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Neunzehntes Kapitel.

Ni-hi-tha.

Die Küsten der nördlichen, zum Staate Michigan gehörigen Halbinsel bieten dem Auge ein wesentlich andres Bild als die der südlichen. Während die bewaldeten Ufer der letzteren sanft ansteigen und das Land sich hie und da nur in anmutigen Hügeln erhebt, herrscht im Norden die Felsformation vor, und sowohl der obere See als der Michigan bespülen oftmals sehr steil sich erhebende Steinwände.

Die eigenartige Bildung der Bluffs ist das besondere Kennzeichen dieser nördlichen Ufer.

Es sind dies in fast regelmäßiger Stufenform ansteigende Felsmassen, häufig unterbrochen durch kühn geformte Klippen.

Im Innern erhebt sich das Land weit höher als im Süden des Staates, bis zu wirklichen Gebirgszügen, vorwiegend aus wilden Steingebilden bestehend.

Auch daß Klima ist der Bodengestaltung angemessen bei weitem rauher und das Land weniger fruchtbar als in der andern Hälfte des Staates, Weizen kommt hier nur an einigen Stellen noch zur Reife.

Dünn sind die Küstenränder besiedelt, während das Innere, reich an Fels, Wald, Seen und Wasserläufen, noch ganz Wildnis ist, nur verlockend für den kühnen und ausdauernden Jäger.

Wenige kleinere Ortschaften an der Küste ausgenommen, in deren Nähe Kupferbergwerke ausgebeutet werden, weist diese Hälfte Michigans kein städtisches Gemeinwesen auf.

An einigen Stellen sind Befestigungen in Gestalt kleiner Forts angelegt, in welchen eine spärliche Garnison weilt.

Bergbau wird besonders im östlichen Teil getrieben, jedoch können bei den schwierigen Verbindungswegen diese Schätze des Bodens nicht genügend ausgenützt werden. Das Innere des Landes ist öde Wildnis, welches nur der flüchtige Fuß der Indianer durchstreift.

In dichten Wäldern, welche die felsigen Berge krönen, wohnt hier das Jägervolk der Saulteux, eines Zweiges des einst sehr zahlreichen Chippeway-Stammes, von uralters her.

Der Teil des Huronenvolkes, welcher sich, von Kanada kommend, einst im südlichen Michigan am Grand-River und Saginaw niedergelassen hatte, ist schon seit Jahrzehnten von der Regierung hier angesiedelt und wird von derselben, wie auch die Saulteux, ähnlich wie die andern aus Reservationen verwiesenen Indianerstämme, unterstützt.

Schön war der Tag, die leichten Wellen des Michigan glitzerten im Sonnenstrahl, der auch die felsigen Ufer, welche sich in grotesken Formen steil erhoben, beleuchtete, und ein leichter Wind füllte das Segel des Bootes, welches einsam dicht an der Küste hinfuhr.

Athoree saß am Steuer und lenkte das Fahrzeug mit fester Hand. Im Bug weilte Johnson und blickte still und traurig bald auf die Wasserfläche, bald zu den kahlen Felsen mit ihren Höhlen, seltsam geformten Vorsprüngen, steil, sich gleich gotischen Türmen erhebenden Spitzen.

Neben ihm kauerte Sumach so schweigsam wie er, in der Mitte des Bootes saßen auf niedrigen Bänken der Graf, Heinrich und Michael.

Langsam glitt das Boot mit leichter, steter Bewegung die rauhe Küste entlang, an welcher sich die Wellen des Michigan brachen.

In Grand Traverse City hatte Graf Edgar die nötigen Vorbereitungen zu seinem Zug nach der nördlichen Halbinsel getroffen und unter anderm dies Boot angekauft, zu dessen Führung sich sowohl Athoree, als auch der Mann aus Leitrim sehr geschickt erwiesen.

Ehe er sich ins Innere wagte, um mit sehnsuchtsvoller Hoffnungsfreudigkeit die Saulteux aufzusuchen, hatte er das am Michigan gelegene Fort Mulder berührt, um von dessen Kommandanten die Unterstützung zu erbitten, welche dieser gewähren konnte.

Er war mit viel Freundlichkeit dort aufgenommen worden, welche sich zur Herzlichkeit steigerte, als er als Zeuge und Mitkämpfer in den blutigen Vorgängen in Fort Jackson sich zu erkennen gab.

Die Kunde davon war bereits bis zu diesem einsamen Posten gedrungen, denn kurz vor des Grafen Ankunft war Weller dort gewesen, der vergeblich die Verbrecher zu erreichen versucht hatte.

Der Konstabel hatte sich, begleitet von den Wilsons, kühn in die Wälder gestürzt, da das aufgefundene Boot Zeugnis davon ablegte, daß die Verfolgten unweit des Forts gelandet sein mußten. Die beiden Farmer, welche sich an der Jagd beteiligt hatten, waren in diesem Boot zur Heimat zurückgekehrt.

Der Kommandant von Fort Mulder, ein älterer, erfahrener Offizier, der mit inniger Teilnahme von der Absicht Kenntnis nahm, welche den Grafen hierhergeführt hatte, gab ihm ein Bild der Schwierigkeiten, welche ihm im Innern des Landes entgegentreten würden.

Auch ihm war die Fortführung Mistreß Walthers durch die Ottawas bekannt geworden, wie sie denn seiner Zeit in weiteren Kreisen Aufsehen und Teilnahme erregt hatte.

Zur freudigen Ueberraschung des Grafen teilte er diesem mit, daß im verflossenen Jahre das dunkle Gerücht zu ihm gedrungen sei, bei den Saulteux halte sich eine weiße Frau auf. Er hatte hierauf Nachforschungen anstellen lassen, die aber zu keinem Resultate führten, die Saulteux hatten geleugnet, daß eine weiße Frau in ihrer Mitte lebe.

»Diese Saulteux,« hatte der Kommandant sich geäußert, »sind die rohesten und verwegensten Bursche hier im ganzen Norden, noch rechte Wilde, und von der Kultur nur so weit beleckt, daß sie Schießwaffen führen.

»Ich komme ungern mit diesen Gesellen in Berührung, vermeide, soweit es angeht, jeden Konflikt mit ihnen und bin froh, wenn sie bei ihren gelegentlichen Besuchen hier sich bald wieder entfernen. Sie wohnen in schwer zugänglichen Felsschluchten, und Gewaltmaßregeln gegen sie würden nur unter schweren Opfern auszuführen sein.

»Als gelegentliches Gegengewicht gegen diese wilden Banden kann ich nur die hier angesiedelten Huronen benützen, deren Stamm den intelligentesten Teil der nördlichen Indianervölker darstellt. Mit diesen Leuten komme ich gut aus.

»Ich glaube zwar nicht, daß Sie etwas von den Saulteux zu besorgen haben, denn sie haben gehörigen Respekt vor einer Entziehung ihrer Rationen, jedenfalls aber finden Sie, sobald Gefahr Sie bedroht, Zuflucht bei den Huronen.

»Diese und die Saulteux stehen durchaus nicht gut miteinander und ich habe öfters zwischen ihnen entstandene Konflikte wieder auszugleichen, bald handelt es sich um Fischerei, bald um Jagdgerechtsame. Noch kürzlich beschuldigten die Saulteux die Huronen, einen der ihrigen erschlagen zu haben, und ich sah mich genötigt, einen Offizier in die Wälder zu senden, um den Fall zu untersuchen.«

Auf die Frage, ob er denn einen Führer habe, der ihn durch die Wildnisse führen könne, hatte Graf Edgar ihm von Athoree gesprochen.

»Nun,« meinte der Kommandant, »da Sie den Mann erprobt haben, kann man Sie seiner Führung anvertrauen und um so mehr, wenn er ein Hurone ist.«

Vom Landwege hatte er der großen Schwierigkeiten wegen abgeraten und empfohlen, an der Küste bis zum Eskonaba hinzusegeln und von da aus die Marblebeds, in deren Nähe die Saulteux hauptsächlich hausten, zu erreichen zu suchen.

»Zwei Dinge gibt es nur,« hatte zum Schluß der wackere Offizier noch hinzugefügt, »halten die Saulteux aus irgend welchen Gründen eine weiße Frau verborgen, so können Sie sie nur mit List oder Gewalt befreien. Geschenke dürfen Sie natürlich nicht sparen, aber diese werden kaum wirken. Erlangen Sie aber auch nur die Gewißheit, daß eine weiße Frau von ihnen gewaltsam zurückgehalten wird, so will ich, wenn es Ihnen nicht gelingt, sie zu befreien, die ganze Regierungsmaschinerie spielen lassen, um den notwendigen Druck auf die Saulteux auszuüben.« Mit seinen herzlichsten Wünschen für das Gelingen hatte ihn dann der Kommandant entlassen.

Leicht glitt das Boot durch die Wellen und kein Wort unterbrach die feierliche Stille, nur das eintönige Rauschen der schwachen Brandung ließ sich hören.

In Traverse City hatte der Graf noch die große Freude gehabt, Frances Schuyler begrüßen zu können, welche die wackere Frau Wilson nach der Küste befördert hatte. Noch einmal hatte er Abschied von dem Mädchen genommen, die seinen Lebenskreis unter solch seltsamen Umständen berührt hatte.

Während er in dem schaukelnden Boote sah und sinnend vor sich hinblickte, weilten seine Gedanken abwechselnd in den fernen Wäldern, die das Geheimnis bargen, welches seine Schwester umgab, und bei der so anmutigen und doch so hoheitsvollen Tochter des tapferen Obersten, die so tieftraurig den Weg nach Süden genommen hatte, um fortan fast einsam durch, das Leben zu gehen.

Von Zeit zu Zeit richtete er die Blicke auf die felsigen Ufer, die öfter durch kleinere Wasserläufe oder Buchten unterbrochen wurden.

»Wann glaubst du, daß mir die Mündung des Eskonaba erreichen, Athoree?« richtete er dann die Frage an den ernsten Indianer.

»Nicht Eskonaba gehen, ander Fluß,« entgegnete ihm dieser.

»Nicht zum Eskonaba? Und warum nicht?«

»Häuser dort, Menschen dort. Fragen wohin gehen. Besser niemand wissen, daß zu Saulteux gehen. Athoree weiß andern Fluß, ganz einsam.«

»Gut, mein Freund, du hast jetzt das Kommando. Ein Wyandothäuptling führt uns und wir vertrauen ihm.«

Der Wind wurde frischer.

Sie segelten an Kap Detour vorüber, zwischen den Summer-Inseln hindurch, ließen die große und die kleine Noquet-Bai, in deren letztere der Eskonaba mündete, mit ihren wenig zahlreichen Ansiedlungen, welche Edgar durch sein Glas deutlich liegen sah, rechts liegen und näherten sich dann wieder der Küste, welche jetzt nach Süden lief.

Athoree maß mit aufmerksamen Blicken die eigentümlich gestalteten Felsspitzen und hielt, seiner Mutter etwas zurufend, direkt auf die Küste zu.

Der Graf gewahrte das nicht ohne Erstaunen und befragte ihn deswegen.

»Gleich sehen, nicht stören.«

Die im Bug sitzende Alte winkte leicht mit der rechten Hand und Athoree änderte hiernach etwas die Richtung des Bootes.

Edgar untersuchte das Ufer mit dem Glase, gewahrte aber nur die nackte Felswand, auf welche das Fahrzeug rasch zulief.

Sie waren schon der Küste ganz nahe. Wieder winkte die Alte und von neuem änderte Athoree den Kurs.

Jetzt gewahrte der Graf eine Stelle in der leichten Brandung, welche ruhiges Wasser zeigte, auf diese hielt das Boot zu.

Leicht segelte es hinein in eine anscheinend geschlossene Bucht, als der Graf zu seiner großen Ueberraschung zur Linken sich einen schmalen Wasserarm öffnen sah, der von außen der vorstehenden Felsen wegen nicht bemerkt werden konnte.

In diesen bog das Boot ein und segelte eine Strecke zwischen Felswänden hindurch, bis nach einer Wendung rechts sich ihren staunenden Augen eine im Sonnenstrahle glänzende Wasserfläche zeigte, welche sich seeartig ausdehnte.

»Das Tuenta-Fluß,« sagte Athoree, »hier sicher, niemand sehen. Nicht viele kennen Einfahrt, nur Wyandotjäger.«

Der breite, sich weithin ins Land erstreckende majestätisch ruhige Strom, der, umsäumt von starren Felsgebilden, in einsamer Schönheit vor ihnen lag, machte nach der so überraschenden Einfahrt durch den engen, windungsreichen, düsteren Kanal einen großen Eindruck auf die Insassen des Bootes.

Alle genossen den selten schönen Anblick dieses geheimnisvollen Wasserbeckens in schweigender Bewunderung.

Der Wind war hier weniger fühlbar als draußen, doch war der Luftzug stark genug, um das Boot leicht über die klare, grünliche Flut hinwegzutreiben. Einige Meilen legten sie so in tiefem Schweigen zurück. Die Felsen wurden allgemach niedriger. Wiederum, als das Auge schon glaubte, Fels schließe den Ausgang, ließ Athoree das Boot eine Schwenkung nach links ausführen, und sie bogen in einen ruhigen Fluß ein, dessen Ufer dichter Wald säumte.

Langsam segelten sie ihn hinauf.

Es herrschte eine solch feierliche Stille auf dem Wasser zwischen den dunklen Waldufern, innerhalb deren der Kahn leicht und geräuschlos hinglitt, daß das Herz sich zur Andacht gestimmt fühlte.

Unwillkürlich leise sprechend, um das Schweigen ringsum nicht zu stören, fragte der Graf nach einiger Zeit: »Führt der Fluß weit ins Land hinein, Häuptling?«

»Er in Eskonaba führen, aber weit oben, nicht Ansiedlungen, nicht Menschen mehr.«

Nach einigen Stunden wurde der Fluß enger und die Strömung stärker, doch war der Wind stark genug, um sie zu überwinden. Endlich drängte sich das Boot unter überhängende Aeste und zwischen Schilf. Die Männer mußten helfen, es hindurchzubringen, und dann lief es, aus dichtem Rohr hervortretend, in einen breiten Strom ein, der seinen Lauf mehr östlich nahm.

»Dies Eskonaba,« sagte Athoree.

Auch hier begegnete das Auge schweigenden Waldufern.

Der Wind wehte hier frischer, und da er zur Fahrt günstig war, trieb er das gut gebaute Boot kräftig stromauf.

In mannigfachen Windungen kam der Eskonaba von Nordwesten her und bot dem Auge fortwährend neue überraschende Ansichten, Oftmals zeigten sich kleine, bewaldete Inseln inmitten des Flusses.

Nach längerer Fahrt traten sie wieder zwischen Felsen ein, welche die Ufer einfaßten, doch zeigten sich auf der Höhe Büsche und Bäume.

Die Bewegung des Wassers wurde stärker und ein dumpfes Brausen ließ sich, dem Waldesrauschen gleich, wenn der Wind die Blätter leise bewegt, fernher hören.

Es war Abend geworden und schon nahte sich die Nacht.

Am linken Ufer öffnete sich in den Felsen eine halbkreisförmige Bucht, in diese ließ Athoree das Boot einlaufen und zog das Segel ein.

Im Dämmerlicht zeigte sich hinter einem Felsvorsprung eine geräumige Höhle. Vor dieser befestigte der Indianer das Boot an einem Felsblock und stieg aus.

»Hier die Nacht bleiben, hier gut.«

Alle stiegen aus und hießen den stillen, trockenen Raum als Lagerstätte für die Nacht willkommen.

Man gewahrte, daß die Höhle öfters zu gleichem Zwecke aufgesucht wurde, denn Feuerstätten waren sichtbar und in einzelnen Ecken lag dürres Laub aufgehäuft.

Von dem trockenen Holze, welches man im Boote mitführte, wurde rasch ein Feuer angezündet und die Männer schickten sich zur Abendmahlzeit an, welche schweigend eingenommen wurde.

Die Nacht war bereits herabgesunken und die Flamme bestrahlte hell das Innere der Höhle und über den Eingang hinausdringend die stille Wasserfläche und die gegenüberliegende Felswand.

Graf Edgar richtete jetzt das Wort an Athoree: »Der Wyandothäuptling hat in den letzten Tagen nicht viel Worte verloren, will er mir nicht sagen, was er nun zu tun gedenkt, mein Ohr ist offen.«

»Wir morgen gehen in die Wälder, Gutherz, Boot muß hier bleiben, oben Stromschnelle, nicht hinüberbringen. Boot niemand hier nehmen. Gehen langsam nach den Marblebeds, wie die Weißen sagen, da wohnen Saulteux. Hier,« er deutete nach Osten, »haben Wyandots ihre Wigwams und wir gehen nach Nordwesten. Athoree wird die Dörfer der Saulteux umkreisen, dann sehen.«

»Den Fluß können wir der nahen Stromschnellen wegen nicht weiter benützen?«

»Nicht Boot hinauffahren; oben Wasser wieder ruhig.«

»Aber wird uns Athoree nicht zu seinen Brüdern, den Wyandots, führen?«

Ruhig entgegnete der Indianer: »Nicht gut, wenn zu Saulteux von Wyandots kommen, er Wyandots nicht lieben, darum reisen in Boot Tuenta hinauf, sagen, Wyandots nicht gesehen.«

»Gut.«

Da der Indianer keine Neigung zu haben schien, sich weiter über seine Absichten auszulassen, der Graf seiner Führung völlig vertraute und des unklaren Verhältnisses gedachte, in welchem Athoree zu seinem Volke stehen mußte, richtete er keine weiteren Fragen an ihn.

Neben seiner Mutter sitzend, wechselte Athoree leise Worte mit der alten Frau in ihrer Muttersprache.

Johnson war, seit man des Mörders seiner Lieben vor seinen Ohren gedacht hatte, in Schweigen versunken, auch jetzt saß er ernst am Feuer und schaute wortlos in dessen verflackernde Glut.

Michael rauchte behaglich seine kurze Pfeife.

»Je mehr ich mich unserm Ziele nähere, Heinrich,« wandte sich der Graf an den Jäger, »je unruhiger pocht mir das Herz. Was werden wir finden?«

»Ich habe die beste Hoffnung, Herr Graf. Hat uns Gott so weit geführt und auf die Spur Ihrer Frau Schwester geholfen, so wird er uns auch jetzt weiter helfen.«

»Du hast gesehen, welche Schwierigkeiten uns die Ottawas in den Weg legten, um die Aufhellung des Geschicks meiner Schwester zu verhindern, nach der Beschreibung des guten Kommandanten in Fort Mulder sollen diese Saulteux die grausamsten und rohesten Wilden hier im Norden sein. Sie werden vielleicht Geschenken und Bitten gegenüber sich noch unzugänglicher verhalten, als die Ottawas. O, Heinrich, wenn alles, alles vergeblich gewesen wäre?«

»Ihre Unruhe und Besorgnisse, Herr Graf, vermag ich, da wir so nahe vor dem Augenblicke stehen, der uns eine oder die andre Gewißheit geben soll, zu begreifen, nur denke ich, daß das Volk, zu dem mir jetzt auf dem Wege sind, nicht die gleichen Gründe haben kann, die Gesuchte zu verbergen, wie die Ottawas. Die Saulteux waren doch an dem Kriege vor drei Jahren, wie an der Entführung der Gräfin nicht beteiligt.«

»Deine Worte klingen tröstlich, auch liegt etwas Wahres in dem, was du sagst, dennoch kann ich das Gefühl der Angst und Beklemmung, welches mich überkommen hat, nicht bemeistern.«

»Es ist die Aufregung der aufs äußerste gespannten Erwartung.«

»Welche Überraschungen hat uns unsre Reise schon gebracht, Heinrich, was wird nun kommen?«

Er versank in Nachdenken und saß, unaufhörlich freud- und leidvolle Bilder vor seinem Geiste aufsteigen lassend, noch am Feuer aufrecht, als die andern schon ihre Lagerstätten aufgesucht hatten und schliefen. Endlich suchte auch er die Ruhe und sah im Traum seine Schwester schön und jugendlich, wie er ihre Gestalt in seiner Erinnerung bewahrte, auf einer Bahre liegen, von weißen Rosen eingekränzt.

Er schlief noch, als Athoree sich beim ersten Tagesgrauen erhob und hinausging.

Erst nach länger als einer Stunde kam er zurück und berührte des Grafen Arm.

»Jetzt gehen,« sagte er, als dieser die Augen aufschlug, worauf sich der Graf rasch erhob.

Sumach hatte bereits das Feuer wieder angefacht und das Frühstück bereitet. Als dies beendet war, wurde dem Boot entnommen, was mitgeführt werden mußte, unter anderm ein Packen, welcher die Geschenke für die Saulteuxhäuptlinge enthielt, diesen hatte Michael zu tragen.

Der Ire führte neben seinem unvermeidlichen Kampfstocke jetzt auch eine Büchse. Während ihres kurzen Aufenthaltes in Grand Traverse City und im Fort, wie auf ihrem Marsche von den Ottawas nach der Küste, hatte ihn Heinrich eifrig einexerziert und Michael rasch Fortschritte gemacht, wie denn die Iren durchaus anstellig und dabei geborene Soldaten sind, welche den Kern der englischen Armee bilden.

Aber dem trefflichen Shillalah entzog der Mann aus Leitrim sein Vertrauen deshalb nicht.

»Er hat doch gute Dienste getan und sogar dem blutigen Peschewa hingeholfen, weshalb sollte ich ihn lassen?«

Er liebte es jetzt, seines Sieges über den Ottawahäuptling öfters mit Selbstbewußtsein zu gedenken, bis ihm der Graf lächelnd riet, dies ja nicht den Saulteux gegenüber zu tun, da dies die nächsten Verwandten Peschewas seien, worauf der gute Michael seine Heldentaten nicht mehr erwähnte.

Als sie jetzt zur Reise gerüstet waren, führte sie Athoree hinaus zu einem engen, nur dem Kundigen bemerkbaren Felsenpfade, welchen sie nicht ohne Mühe emporstiegen.

Auf die Höhe der Felsen gelangt, betraten sie dichten Wald, der durch das Vorwiegen riesenhafter Schwarztannen einen düsteren Charakter hatte. Dafür war er aber von Unterholz ziemlich frei und erschwerte nicht wesentlich das Gehen.

Eine Zeitlang schritten sie längs des Flusses einher, der tief unter ihnen dahinfloß, dessen dumpfes Rauschen immer stärker und stärker zu ihnen drang, bis sie endlich die Stromschnellen zu Gesicht bekamen.

Brausend wälzte der Fluß hier seine stattliche Wassermenge in schäumenden und springenden Kaskaden durch ein felsiges Bett, ein Bild ungezügelter Naturkraft, von wilder Schönheit.

Doch es war nicht Zeit, die Wunder der Natur zu betrachten, Athoree schritt vorüber und die andern folgten ihm, ohne mehr als einen flüchtigen Blick auf die niedersausenden Wasser werfen zu können.

Als das Geräusch der Fälle schwächer wurde, äußerte der Graf zu Athoree: »Der Häuptling scheint diese Gegend zu kennen?«

»Er ist hier aufgewachsen,« entgegnete der.

Der Fluß machte eine Biegung nach Westen und sie verließen sein Ufer, rasch und lautlos in die düstern Wälder eindringend, die hie und da felsiges, ansteigendes Terrain zeigten.

So waren sie in anstrengendem Marsche einige Stunden fortgeschritten, als Athoree zur Ueberraschung des hinter ihm schreitenden Grafen mit heftiger Gebärde »Halt!« gebot und ihnen leise aber deutlich zurief: »Niederlegen!«

Alle gehorchten schnell, waren aber nicht wenig erstaunt über diesen unerwarteten Befehl.

Athoree legte noch in bezeichnender Weise den Finger auf die Lippen, ihnen so Schweigen einschärfend, und verschwand, sich gebückt und vorsichtig durch den Wald bewegend.

Beunruhigt, aber doch der Weisung folgend, blieben alle am Boden liegen, der Rückkehr des Indianers harrend.

Nach wenigen Minuten erschien dieser wieder und, eine seltene Erscheinung, in wahrnehmbarer Aufregung.

Er winkte zu folgen, nachdem er seiner Mutter einige Worte zugeflüstert hatte, welche auf die alte Frau einen starken Eindruck machten, und schritt voran, sie einen zur Linken ihrer bisherigen Richtung liegenden, mit Büschen bewachsenen Felsen hinaufführend.

Oben angekommen, forderte er sie wieder auf, sich niederzulassen.

Der Fels, der an der Seite, von welcher sie seinen Gipfel erreicht hatten, nur eine mäßige Steigung aufwies, fiel nach der andern etwa dreißig Fuß tief steil ab. Sein Rand war mit dichten Büschen umsäumt und einige hoch emporragende Tannen krönten seinen Gipfel.

»Was bedeutet das, Athoree?« fragte leise der Graf.

»Komm,« flüsterte der und kroch vorsichtig durch die Büsche bis an den Rand des Felsens.

Edgar folgte ihm.

Dort bog der Indianer die Büsche auseinander, ließ den Grafen einen Blick hinauswerfen und sagte: »Sieh!«

Der Graf sah von oben in ein verhältnismäßig offenes Terrain, denn der nackte Felsboden duldete keine dichte Vegetation, auch fernerhin standen die Bäume lichter, hinter diesen aber erhoben sich jäh und hoch ansteigende Felsenmassen.

Mit nicht geringem Schrecken gewahrte Edgar, dem ausgestreckten Finger des Indianers folgend, eine Schar Wilder, welche, einer hinter dem andern gehend, sich zwischen dem Felsgestein hindurchwanden.

»Athoree, was ist das?«

Mit einer Stimme, deren Beben von hoher Aufregung des Sprechenden zeugte, entgegnete er: »Wyandots auf dem Kriegspfade.«

»Um Gottes willen, gegen wen?«

»Gegen Saulteux. Saulteux kommen hierher, in die Wigwams der Wyandots zu fallen, diese ziehen aus, ihnen den Weg zu verlegen.«

Der Graf erschrak nicht wenig über diese Mitteilung.

Ein Kampf zwischen den roten Leuten drohte alle seine Hoffnungen zu zerstören.

»Was beginnen wir, Freund?«

»Müssen warten. Vielleicht nicht fechten.«

Auch die andern waren, Johnson ausgenommen, durch diese Nachricht peinlich überrascht.

Sumach hielt die Hände vor das runzelvolle Gesicht.

Leise und eindringlich sprach der Sohn zu ihr, sie schien zu widersprechen und endlich nachzugeben.

Hierauf zog Athoree zwei Schwungfedern des Falken aus seinem Gewande, warf seine Mütze ab, kauerte vor seiner Mutter nieder, welche die Federn geschickt in seinem dichten Haar befestigte, so daß sie hoch emporragten und dem Kopfe des Wyandots, dessen Augen gleich denen eines Raubtieres blitzten, etwas überaus Wildes gaben.

Angestrengt lauschten alle.

Fernher klang der Hall einer abgefeuerten Büchse. Da, wieder und wieder. Dumpf drang Schlachtruf der Indianer zu ihnen.

Hohe Aufregung hatte sich der Hörer bemächtigt bei diesen kriegerischen Lauten. Athoree stand horchend, einem Panther gleich, der zum Sprunge ansetzt, da.

Die Schüsse wurden zahlreicher, dann klangen sie wieder nur vereinzelt herüber, aber – die auf dem Fels Weilenden vernahmen es mit Schrecken, das Feuer kam näher, ein Zeichen, daß die Huronen zurückgingen.

Näher und näher erklang der scharfe Laut der Büchsen. Es war klar, die Wyandots wichen vor ihren Feinden, langsam, jeden Fuß ihres Bodens verteidigend.

Der Graf und die andern lagen in den Büschen am Rande des Felsens und schauten hinab, die Büchsen in der Hand.

In ihrem Gesichtskreis erschien eine kleine Schar Indianer, welche rasch zurückspringend und Deckungen suchend, sich niederwarfen und eifrig luden.

Bald krachten auch ihre Schüsse auf den vom Fels aus unsichtbaren Feind, der das Feuer viel stärker erwiderte.

Athoree erhob sich und sagte in der Sprache seines Volkes zu seiner Mutter: »Die Kinder der Wyandots weichen.«

»Sumach hört es.«

»Athoree wird fechten in den Reihen seiner Brüder.«

»Athoree geht in den Tod.«

»Soll der Enkel Meschepesches, des großen Panthers, zurückbleiben wie eine Squaw, wenn die Wyandots fechten und sterben?«

Sumach antwortete nicht, sie bebte und hielt die Hand vor die Augen.

Eine starke Schar der feindlichen Indianer, der Saulteux, greulich bemalt, mit wehenden Skalplocken, drang, vom Fels aus deutlich sichtbar, in raschen Sprüngen vor, dicht am steilen Abhang des Felsens mußte sie ihr Weg vorbeiführen, augenscheinlich war es darauf abgesehen, den in der Front stark engagierten Huronen in die Flanke zu fallen.

Athoree berührte des Grafen Schulter: »Der Wyandot kämpfte für dich, jetzt fechte Gutherz für den Wyandot.«

Er riß die Büchse an die Wange, feuerte in die andringenden Saulteux und ließ einen so gellenden Schrei erschallen, daß die Wälder ringsum widerhallten: »Der Pfeil der Wyandots ist da.«

Mit rasender Schnelligkeit glitt er hierauf den Fels hinab und den blinkenden Tomahawk schwingend, stürmte er in wilden Sprüngen auf die Gegner seines Volkes los.

»Feuer!« schrie bei diesem Anblick der kampflustige Ire und schoß; Johnson, Heinrich, selbst der Graf, er nur mit Widerstreben, feuerten ihre Büchsen in den stutzend haltenden Haufen der Saulteux ab.

Auf seiten der Huronen erhob sich von neuem gellendes Geschrei und alle, die von oben gesehen werden konnten, und dem starken Laute nach zu urteilen auch die andern durch Baum und Fels unsichtbaren, stürzten zu wildem Angriff vor.

In panischen Schrecken durch das ganz unerwartete Feuer von der Spitze des Felsens versetzt, hinter dem rasend anstürmenden Athoree eine starke Schar vermutend, ergriffen die Saulteux die Flucht, hastig verfolgt von den Huronen.

Athoree war verschwunden.

Einzelne Schüsse wurden noch gehört, dann herrschte Schweigen wie vorher.

Die Männer auf dem Felsen saßen stumm und sahen sich betroffen an.

»Das, fürchte ich, Heinrich, zerstört alle meine Hoffnungen,« sagte mit trübem Ernste der Graf.

»Und doch war es nötig, daß wir Feuer gaben, die vordringenden Wilden, welche uns in der Schlachtreihe ihrer Feinde erblickten, und in Gesellschaft eines Huronen, hätten uns in der Hitze des Kampfes sicher nicht geschont.«

»Du wirst recht haben.« Zu Johnson fuhr er in englischer Sprache fort: »Es ist sehr schlimm für uns, daß wir in diesem Bruderzwiste auch unsre Büchsen sprechen ließen.«

Ehe dieser noch antworten konnte, sagte Michael: »Euer Gnaden werden verzeihen, aber ich konnte doch den Athoree, da er nun einmal kämpfen wollte, nicht allein unter die Wilden stürzen lassen, ohne einen Schuß für ihn abzugeben; der rote Mann hat mich auch herausgehauen und ein Bursche aus Leitrim läßt keinen Freund sitzen.«

»Ja, mein guter Michael, du hast wie ein treuer Gefährte gehandelt, aber nichtsdestoweniger ist unsre Beteiligung am Kampfe für meine weiteren Schritte bei den Saulteux sehr bedenklich.«

»Ich bin der Meinung, Herr Graf,« nahm Johnson das Wort, »daß, wenn mir in den Bereich der siegreich vordringenden Gegner der Huronen gekommen wären, unsre Skalpe jetzt an ihren Gürteln hingen. In seiner Wut schont der Wilde nichts. Auch mußten sie uns in dieser Position für ihre Feinde halten. Unser Feuer war Notwehr.«

Der Graf entgegnete: »Ich gebe zu, es war eine traurige Notwendigkeit ... Athoree gesellte sich zu seinen Stammesgenossen und wir konnten ihn, der so oft für mich gekämpft hat, nicht verlassen. – Ob er gefallen oder verwundet ist, da er nicht zurückkommt?«

Sumach sagte: »Athoree nicht kommen, nicht jetzt. Wyandots ihn nicht sehen dürfen.«

»Wie, nicht sehen? Jetzt, wo er durch sein und unser Eingreifen ihnen den Sieg verschafft hat?«

Die Alte schüttelte den Kopf: »Nicht sehen, Wyandot ihn nicht sehen.«

Die Büsche wurden auf der Seite, von wo sie gekommen waren, auseinandergebogen und ein alter hochgewachsener Indianer trat aus ihnen hervor.

Sein Auge überflog die Gruppe und haftete dann an Sumach.

»Die Mutter Athorees, des befiederten Pfeiles der Wyandots, kehrt zu ihrem Volke zurück?«

Die Alte neigte ihr Haupt.

»Die Wyandots haben den Schlachtruf des Enkels der großen Häuptlinge vernommen, aber mein Auge ist trübe, es sieht den befiederten Pfeil nicht.«

Die Alte wiegte das Haupt hin und her, entgegnete aber nichts.

Der Indianer wartete kurze Zeit auf Antwort, sagte: »Sumach ist willkommen,« und wandte sich dann an den Grafen in verständlichem Englisch mit den Worten: »Die weißen Männer haben die Waffen erhoben für die Wyandots gegen jene Wölfe aus den Felsbergen. Die Wyandots danken ihnen. Die Bleichgesichter sind an den Feuern des Volkes willkommen.«

Edgar erhob sich, ging auf den Huronen zu und sagte: »Wir mußten in den Kampf eingreifen, Hurone, wir fochten für unsern Freund Athoree und zu unsrer eigenen Sicherheit, da uns ein Zufall in die Schlachtlinie geführt hatte, das ist alles. Ich habe auf dem Wege zu den Dörfern der Saulteux am wenigsten Ursache, Streit mit ihnen zu suchen.«

»Der weiße Mann ist ein Freund der Saulteux.«

»Ich suche ihre Dörfer in friedlicher Absicht auf und glaubte nicht, in eine kriegerische Verwicklung zu geraten.«

Der Indianer richtete einige Fragen an Sumach, welche diese beantwortete.

»Der weiße Mann ist kein Feind der Saulteux, Sumach sagt mir, warum er sie aufsucht. Die Wyandots sind dennoch dankbar und die Freunde der Bleichgesichter. Sie werden nicht laut sagen, daß die weißen Männer ihre Büchsen abgefeuert haben, sie können ruhig zu den Saulteux ziehen, diese werden es nicht wissen, niemand weiß es.«

Der Graf faßte wieder Hoffnung, denn wenn die Huronen darüber schwiegen, konnte ihren Feinden wohl kaum eine Ahnung davon aufsteigen, von wem die Büchsen aus den den Felsrand umsäumenden Büschen abgefeuert waren, von dem außerdem ein Huronenkrieger hinabgeeilt war.

»Gut,« sagte er. »Die Saulteux dürfen nicht wissen, daß wir unsre Büchsen auf sie abschossen. Die Wyandots sind Männer und unsre Freunde, sie werden schweigen.«

»Sie werden schweigen.«

Ein kräftiger Schritt wurde hörbar und durch die Büsche ward die Uniform eines Offiziers der Staatentruppen sichtbar.

Gleich darauf trat der junge Krieger zwischen den Zweigen hervor und warf einen staunenden Blick auf die Gruppe.

»Was ist das? Landsleute hier? Mein Gott, wie kommt ihr denn in das Indianergemetzel?«

Edgar erklärte es ihm mit kurzen Worten.

»Nun, das ist ein eigener Zufall. Aber es ist gut, daß Sie halfen, diesen mörderischen Hunden heimzuleuchten, sie hätten bei ihrer viel stärkeren Kriegsmannschaft die Huronen sämtlich massakriert. Ich bin mit dem Auftrag ausgesandt, Frieden zwischen den Roten zu stiften, und leider zu spät gekommen, um diesen blutigen Zusammenstoß zu verhindern. Es wird doch wohl notwendig sein, den Saulteux einen solchen Friedensbruch für immer zu verleiden.« Er wandte sich dann an den Huronen: »Konntest du, alter, kluger Hayesta, diesen Kampf nicht vermeiden?«

»Wenn wir freiwillig unsre Skalpe hingaben, ja. Der Saulteux kam auf unsre Reservation und schoß auf meine jungen Leute, da wehrten sie sich.«

»Diese Wilden,« erläuterte der junge Offizier dem Grafen, »liegen beständig im Hader mit unsern Huronen. Sie beschuldigten die letzteren, einen ihrer Männer meuchlerisch getötet zu haben, und ich bin abgeschickt, den Fall zu untersuchen. Unterdes haben sie sich selbst Genugtuung zu verschaffen gesucht. Verwünschtes Volk! Wieviel Leute hast du denn verloren, Hayesta?«

»Fünfzehn Krieger der Wyandots gingen in die seligen Jagdgründe.«

»Und die Saulteux werden natürlich auch Haare gelassen haben.«

»Ließen zwanzig fünf Tote liegen.«

»Da haben wir es. Eine blutige Rasse.«

Er ließ sich dann, während der alte Indianer, der erste Häuptling der Huronen, sich mit Sumach besprach, in eine Unterhaltung mit Edgar ein, der ihm offen die Absicht mitteilte, welche ihn hierhergeführt hatte.

»Hoffentlich bleibt Ihr Eingreifen in den Kampf verborgen; den Saulteux bekannt, würde es Ihrem Zwecke nicht nur hinderlich sein, sondern Ihnen auch Gefahren bringen, wenn Sie sich auf das Gebiet dieses Volkes wagen. Ich gebe Ihnen den Rat, sich schleunigst von den Huronen zu trennen und Ihre Marschroute etwas zu ändern. Es ist nicht unmöglich, daß die Befürchtung, für diesen Friedensbruch, wenn auch nur durch Entziehung ihrer Rationen, bestraft zu werden und die hier erhaltene Schlappe die Saulteux etwas gefügiger gemacht haben und sie Ihnen deshalb leichter Gehör geben.«

Es ward nun beschlossen, den Weitermarsch unverzüglich, trotz der Abwesenheit Athorees, unter Führung Johnsons anzutreten, und sich soweit als möglich von den Huronen zu entfernen.

Sumach erklärte, bei ihrem Volke bleiben zu wollen, und flüsterte dem Grafen, als er lebewohl sagte, zu: »Geh nur, Gutherz, Athoree schon kommen, Gutherz nicht verlassen.«

Sie verabschiedeten sich von dem jungen Staatenoffizier und von dem alten Huronen, der dem Grafen mit Wärme versicherte, daß er stets bei den Wyandots willkommen sei, und drangen wieder in den Wald ein.

Nach einem anstrengenden Marsche über Felsen und Berge hinweg, während das Land um sie wilder und bergiger wurde, lagerten sie am Abend an der Seite eines Felsens, welcher sie vor dem rauhen Wind schützte, der in der Höhe, welche sie bereits erreicht hatten, schon empfindlich kalt war.

Kaum hatten sie Feuer angezündet, als zu aller Freude Athoree unter den Bäumen hervortrat und sich so ruhig, als ob er sie eben verlassen hätte, an ihrer Seite niederließ.

Nach gemessener Pause sagte der Graf: »Ich freue mich, dich wiederzusehen, Häuptling, schon fürchtete ich, du seiest in deine glücklichen Jagdgründe gegangen.«

»Die Saulteux heulen vor Angst, wenn ein Krieger der Wyandots den Schlachtruf erhebt. Drei der Hunde fielen unter meinen Streichen.«

»Mein Freund Athoree ist ein großer Krieger, ein Held seines Volkes, die Wyandots werden sein Lob singen.«

Ernst entgegnete der Indianer: »Manitou hat mich über das Wasser gesandt, die Wyandots werden ihres befiederten Pfeiles gedenken. – Sumach zurückgeblieben? Gut. Alte Frau hier nichts nützen.«

»So schätzenswert Johnsons Walderfahrung ist, so würden wir doch ohne dich, Athoree, kaum hier Erfolge erzielen. Nur eines fürchte ich, daß du als Hurone hier in die Hand deiner Feinde fallen wirst.«

»Saulteux blind wie neugeborene Hunde. Athoree nicht sehen, nur ihn fühlen. Du sehen, wie Saulteux laufen, er laufen noch.«

»Ich würde es zeitlebens bedauern, wenn dich hier infolge deiner Anhänglichkeit an mich ein Unglück träfe.«

»Was für Unglück? Sterben als Krieger? Müssen alle sterben. Wyandots jetzt das Totenlied für Athoree singen. Das gut.«

»Welche Schritte werden mir nun zunächst tun müssen? Hältst du es für ratsam, daß ich in das Dorf der Saulteux gehe, ihnen Geschenke anbiete und offen mit ihnen verhandle?«

»Morgen sagen. Athoree erst sehen. Kennen hier jeden Schritt, als junger Krieger hier oftmals auf Skalp lauern. Mehr als einmal ganzer Stamm hinter mir her. Athoree nicht fangen.«

»Um so besser, wenn du diese wilde Gegend kennst.«

»Ihm kennen gut genug, so gut als Saulteux.«

Sie verbrachten die Nacht unter dem Schütze des Felsens.

Mit Tagesanbruch erhoben sie sich und schritten unter Athorees Führung immer höher in die Felsenwildnis hinein.

Düstere Nadelhölzer umgaben sie auf allen Höhen. An Abgründen vorbei über schäumende Gießbäche ging der Weg, oftmals gefährlich genug, einmal rettete nur Johnsons Riesenkraft den Iren vor einem jähen Absturz.

In tiefster Einsamkeit lagen diese Felsenschlünde da, in deren verschlungenem Labyrinthe sich Athoree mit wunderbarer Sicherheit zurecht fand.

Es war eine Gegend von wilder, großartiger Schönheit, durch welche sie ihr verstohlener Pfad führte, aber von jener Schönheit, welche schaudernde Bewunderung abnötigt.

Jetzt begriff der Graf, wie schwierig es war, die Saulteux in ihrem eigenen Lande zu bekriegen.

Still war es hier oben zwischen den zerrissenen Felsen, nur der heisere Schrei eines Adlers, der sich von seinem Horst erhob, aufgescheucht durch den seine Einsamkeit störenden Menschenfuß, unterbrach hie und da das feierliche Schweigen dieser rauhen Wildnis.

Die Sonne stand fast im Zenith, als Athoree vor einer Felsenöffnung Halt machte.

Ein schmaler Pfad hatte sie zu dieser emporgeführt. Vor derselben befand sich ein tiefer Abgrund, aus dem das Rauschen eines Wildbaches empordrang.

Der tiefe Felsenspalt war durch einen Baumstamm überbrückt; drüben mußte der Weg abwärts führen, da sie jenseits einen entfernten, bewaldeten Höhenzug erblickten.

Neben der dunklen Felsöffnung erhoben sich junge Tannen und Birken und verdeckten sie fast zur Hälfte. Auch drüben auf der Felswand, zu welcher der Baumstamm leitete, zeigte sich junges Holz, über das hinwegeilend das Auge auf düsterem Nadelwald ausruhte, während der Blick nicht ins Tal zu dringen vermochte.

Rechts und links erhoben sich starre Felsmassen, deren Gipfel von Wald gekrönt war, wie in gleicher Weise die Wand, in welcher sich die Oeffnung befand. Athoree schritt über den dicken Baum hin und legte sich jenseits in den Büschen nieder.

Nach einigen Minuten kehrte er zurück und forderte die Männer auf, in den Felsen zu treten, dessen Oeffnung sie zu einer geräumigen Höhle führte.

Auch hier zeigten Feuerstätten an, daß sie öfters besucht wurde.

Der Raum war groß und dunkel in seinem rückwärts liegenden Teile.

Athoree blickte aufmerksam um sich und ging dann nach dem Innern der Höhle zu und verschwand dort hinter einem Vorsprung.

Als er zurückkehrte, forderte er den Grafen und Johnson auf, ihm zu folgen.

Er führte sie in einen engen Gang, welcher nach oben auslief.

Gebückt konnte ein Mensch, wenn auch mit Schwierigkeit, darin gehen.

Bald erblickten sie durch eine Spalte Tageslicht.

Der Indianer deutete darauf hin und sagte zu Johnson: »Toter Mann sehr stark, er gehen und sehen, ob dort Felsblock fortschieben. Saulteux legen ihn davor.«

Johnson bewegte sich darauf zu und bemerkte, näher gekommen, daß die Oeffnung, welche gerade groß genug war, einen Menschen durchzulassen, von zwei schweren Felsstücken verschlossen war.

Er strengte seine herkulische Kraft an und es gelang ihm, den einen Felsblock zur Seite zu drücken. Die Oeffnung war groß genug, um es zu ermöglichen, daß Johnson, wenn auch mit Mühe, hindurchkroch. Er befand sich hiernach auf der Höhe des Felsens im dichten Walde.

Mit geringerer Anstrengung gelang es ihm hier, den zweiten stattlichen Felsblock zur Seite zu wälzen.

Der Graf und Athoree folgten Johnson jetzt, und der letztere ging in den Wald hinein.

Dann hieb er, zurückkommend, einige junge Tannen mit seinem Tomahawk ab und stellte sie vor den Höhleneingang. Sich zwischen diesen durchwindend, gelangten sie in den Gang und gingen wieder zur Höhle zurück.

»Jetzt hier bleiben. Alles ganz still. Nicht Feuer anmachen, Dorf der Saulteux nahe. Athoree gehen und nach ihnen sehen.«

»Man wird dich entdecken, Athoree.«

»Saulteux können nicht denken, daß Huronenkrieger hier, halten für ihren Krieger, wenn von ferne sehen. Kommen nah – nun« – er legte die Hand ans Messer – »dann machen stumm. Saulteux alle in Dorf, klagen um ihre Toten, alle sehr betrübt.«

»Und wenn mir während deiner Abwesenheit entdeckt werden?«

»Dann gehen mit Saulteux in Dorf, sagen, kommen als Freund, bringen Geschenke. Nicht sagen, daß von Wyandots kommen, von See.«

»Gut, wir wollen tun, wie du sagst.«

Athoree entfernte sich über den Baumstamm und verschwand in den Büschen.

Die andern streckten sich auf ihren wollenen Decken zur Ruhe aus, und abwechselnd hielt einer nach dem andern am Eingang Wache, um nicht durch einen unerwarteten Besuch ganz unvorbereitet überrascht zu werden.

Der Tag verging dem Grafen in mannigfachen Gemütsbewegungen. Was würde er, so nahe dem ersehnten und so mühevoll erreichten Ziel, erfahren?

Unruhig ging er oft hin und her.

Einmal traute er sich über den Baumstamm hinüber und wagte einen Blick in das Tal zu werfen.

Dasselbe war ausgedehnt genug, und sein Grund, den ein Bach durchfloß, mit Wiesengras bedeckt.

An einem Ende hatte er Hütten der hier hausenden Indianer gewahrt.

Dann war er durch den engen Gang, welcher von der Höhle nach oben führte, gegangen und hatte sich draußen im Walde umgesehen, der, wie er jetzt an andern, auch von unten aus sichtbaren Berg- und Felsspitzen bemerkte, doch bedeutend höher lag, als der zur Höhle führende untere Eingang.

Ihr von Gefahren umgebener, verschwiegener Zug hierher, das seltsame Asyl, welches ihnen der Fels bot, die ganze wildromantische Umgebung, hatten etwas phantastisch Geheimnisvolles, welches sehr wohl zu seiner aufgeregten Stimmung paßte, ohne seine Unruhe indessen zu beschwichtigen.

Eine unsägliche Sehnsucht nach der Schwester bemächtigte sich seiner; dann dachte er des Greises in der fernen Heimat, er sah ihn in seinem Lehnstuhl sitzen und den Diener fragen, ob kein Brief von Amerika gekommen sei.

Was werden die nächsten Stunden bringen?

Ein Trost für ihn war die Anwesenheit Heinrichs, mit welchem er über die Heimat und die Schwester reden konnte in den lieben deutschen Lauten.

Der Tag verging und Athoree kam nicht zurück.

Des Grafen Unruhe steigerte sich noch. Wenn dem Indianer ein Unglück zugestoßen war, wenn er verhindert wurde, zu ihnen zurückzukehren, so waren sie hier inmitten des Gebietes eines durch seine jüngsten kriegerischen Erlebnisse erbitterten Indianerstammes in keiner beneidenswerten Lage, da sie es heimlich in einer verstohlenen Weise betreten hatten, welche sie verdächtig machen mußte.

Die Nacht schritt vor und der Indianer kam nicht.

Während die andern schliefen, saß Edgar in dem Eingang an der Höhle, blickte zu den Sternen auf und horchte hinaus auf Athorees leichten Schritt.

Dumpf tönte das Brausen des Wildbachs zu ihm herauf.

Endlich sank auch er in einen unruhigen Schlummer.

Mitternacht war schon lange vorüber, als endlich der Wyandot schattenhaft über den Baumstamm huschte und in die Höhle trat.

Er weckte den Grafen.

»Nun?« fragte begierig der Graf.

»Kommen mit, Gutherz, selbst sehen.«

»Hast du meine Schwester gefunden?«

»Weiße Frau sehen, ja.«

Der Graf zitterte in fieberhafter Aufregung.

»Wo? Wo? Athoree!«

»Kommen, sehen, dann handeln.«

»Vorwärts, Freund, ich bin bereit. O, noch nie hat eine Botschaft so gewaltig mein Herz bewegt. Und doch? O Gott, Gott, laß hier keine Täuschung stattfinden. Komm!«

»Erst Johnson reden.«

Er weckte ihn.

»Gutherz und Athoree jetzt weiße Frau suchen,« sagte er zu ihm. »Saulteux nimmer gutwillig sie geben, müssen fortnehmen. Hierher bringen. Der tote Mann muß sich, sobald die Sonne über die Berge scheint, in die Büsche dort legen und eifrig in das Tal hinunterspähen. Kommen die Saulteux hinter uns her, muß er im Notfall die Büchse sprechen lassen. Der tote Mann hat verstanden?«

»Ich verstehe dich ganz gut, Indianer. Aber eine gewaltsame Befreiung der Gefangenen hetzt uns die ganze Meute auf den Hals und wie aus diesem Land herauskommen mit einer Frau?«

Ruhig erwiderte ihm der Hurone: »Saulteux nicht wissen, daß wir hier. Wenn weiße Frau fort, er denken, sie in Wald gehen, und suchen dort. Er nimmer denken, daß hierher gehen in Höhle. Fels machen keine Spur. Wenn erst hier oben, und werfen den Baum dort hinab, sie müssen großen Weg machen, um auf andre Seite zu kommen. Viele Pfade führen hinab, er nicht wissen, welchen wir wählen. Ich würden sagen: Geben Saulteux Geschenke für weiße Frau, aber er nehmen Geschenke und behalten weiße Frau; zu lange schon hier verbergen, geben nicht für Geschenke her, ich Saulteux kennen. Wir dann nimmer aus den Bergen herauskommen, fallen in Abgrund, das alles.«

»Wenn du der Meinung bist, hier könne nur gewaltsame Entführung helfen, so muß sie gewagt werden, und Sie, mein treuer Freund, werden uns beistehen.«

»Ja, Herr Graf, ich stehe Ihnen bei.«

Edgar weckte noch Heinrich, der in hoher Erregung die Nachricht vernahm, daß die weiße Frau gefunden sei, und gab ihm im Sinne Athorees ähnliche Instruktionen, wie dieser Johnson gegeben hatte.

»Verlassen Sie sich auf mich, Herr Graf, in diesem Felslabyrinthe kann der ganze Stamm gegen mein Mausergewehr anstürmen und ich weise ihm die Wege. Ich werde, wenn es nötig sein sollte, Ihren Rückzug decken.«

Der Graf schüttelte ihm und Johnson die Hände und folgte Athoree. Er hatte auf des Indianers Rat schon im Fort indianische Fußbekleidung und Gamaschen angelegt, sein Schritt war deshalb so geräuschlos, wie der des Indianers.

Sie überschritten den Baum und stiegen einen schmalen, beim Sternenlichte eben noch erkennbaren Felsenpfad hinab, der abwechselnd von Gestein oder Büschen umgrenzt war.

Nur die wunderbare, fast instinktive Sicherheit des Indianers bewahrte den Grafen bei diesem nächtlichen Marsche vor Unheil.

Als sie unten waren, schlug der Indianer, statt das Tal zu betreten, von neuem einen felsigen Pfad ein, der sie an demselben langhingestreckten Berge, an dessen Seite sie eben herabgekommen waren, wieder emporführte.

Endlich graute der Tag und ihr Weg wurde sichtbarer.

Vorsichtig schritten sie weiter. Athoree mit den Schritten einer Katze, lauschend und mit den dunklen Augen jeden Busch durchforschend.

Bei jeder Wendung des Weges kroch er erst voran, um die Sicherheit desselben zu erkunden.

So waren sie auf rauhem Pfade, zwischen Gestrüpp und wirr umherliegendem Felsgestein hindurch an eine Stelle gelangt, von wo sie von hoch oben herab in das Dorf der Saulteux hineinsehen konnten.

Dreißig bis vierzig Hütten lagen zerstreut dort im Tale, teils an dem Bache, der es durchfloß, teils an Felsen angelehnt.

Vorsichtig lugten sie durch die Büsche hinab.

Die Bewohner der Wigwams schliefen größtenteils noch. Nur hie und da zeigte sich ein schläfriges Weib, welches Wasser aus dem Bache schöpfte. Männer waren nicht zu sehen.

Sie schlichen weiter, über das Dorf hinaus. In einer sehr steil ansteigenden Rinne, die wohl bei Regengüssen strömendes Wasser und Steingeröll hinab ins Tal führte, deren Seiten mit fast undurchdringlichem Buschwerk eingefaßt waren, kletterten sie hinauf, die Richtung derselben verbarg sie den Blicken aus dem Tale vollständig.

So erreichten sie nach mühevollem Aufstieg ein Felsplateau, der höchste Punkt in der näheren Umgebung des Tales. Dort legten sie sich nieder und ruhten von dem anstrengenden Marsche aus.

Hell strahlte die Sonne vom Himmel hernieder und beleuchtete die Wälder, Berge und Felsspitzen, welche sich ringsum erhoben, wie das Tal, welches unter ihnen sich ausdehnte.

Sie lagen gedeckt zwischen Steinen und Birkengestrüpp da.

Leise äußerte der Graf: »Athoree, meine Schwester wird einen solchen Weg, besonders noch in eiliger Flucht, nicht zurücklegen können.«

»Nicht Weg für Squaw. Gehen andern Weg. Noch Zeit, erst sehen, nicht gehen vor Mittag, dann alle schlafen.«

Höher und höher stieg die Sonne und sie lagen noch immer zwischen den Steinen. Graf Edgar in ungeminderter seelischer Aufregung.

Der Indianer kroch jetzt an den Rand des Plateaus und schaute von ihm in der Längsrichtung des Tales hinab.

Er winkte dem Grafen und dieser legte sich neben ihn. Beide versteckten sorgfältig die Köpfe zwischen den Birkenzweigen.

Der Graf erblickte tief unter sich einen sich isoliert im Tale erhebenden Felskegel, der eine Vertiefung gleich der Oeffnung eines Kraters hatte. In diese Vertiefung, deren Felswandungen sie vollständig von der Außenwelt abschlossen, sah der Graf hinein. Gras, Blumen und einige Büsche zeigten sich auf deren Grunde und an die Felsmauer angelehnt eine indianische Hütte, welche, aus gegerbten Häuten und Baumrinde gefertigt, hinreichenden Schutz gegen die Unbilden der Witterung zu bieten schien.

Die Einsenkung lag still und einsam vor den Augen der Lauscher da.

»Was ist das, Athoree?«

»Werden gleich sehen.«

Innerhalb des so gänzlich abgeschlossenen Raumes erschien jetzt eine alte Indianerin, ging auf das Wigwam zu und schien hineinzusprechen. Der Graf nahm sein Glas an das Auge und richtete es hinab.

Nicht lange dauerte es, so sprang ein Knabe aus der Hütte hervor und an der Alten in die Höhe. Diese wehrte, wie es schien, gutmütig seine wilden Liebkosungen ab.

Der Knabe hatte langes blondes Haar, welches ein Band um seine Schläfen zusammenhielt. Ein kurzes, tunikaartiges Gewand, durch einen Gürtel um die Lenden festgehalten, bedeckte den schlanken, jugendlichen Körper bis zu den Knieen, Arme und Beine waren nackt, die Füße steckten in Mokassins.

Zitternd in innerer Erregung beobachtete ihn der Graf durch sein Glas.

Die Alte ließ unterdes Feuer zwischen zu einem Herd hergerichteten Steinen auflodern und schickte sich augenblicklich an, das Frühstück zu bereiten, während das Knäblein einen Bogen zu prüfen schien.

Der Graf wollte reden, aber er vermochte es nicht, so gewaltig pochte ihm das Herz, er verschlang mit den Augen das Bild vor sich.

Jetzt bewegte sich der Fellvorhang und eine schlanke Frauengestalt trat aus dem Zelte.

Der Graf richtete hastig das Glas auf sie und mit einem leisen Schrei ließ er es seiner Hand entsinken. »Luise – Luise,« flüsterte er in einem Tone, der das tiefste Fühlen seines Herzens verriet: »Luise!«

»Das Schwester? He?« fragte mit einem Lächeln Athoree.

»Ja, ja, Freund, das ist die lang Gesuchte,« sagte er mit vor Freude bebender Stimme, »das ist meine Schwester Luise. Gott sei gelobt, daß er mich diesen Tag erleben ließ.«

Er drückte Athoree die Hand und richtete sein Glas wieder in das Felsenrund.

Der Knabe sprang auf die Frau zu, umarmte und küßte sie zärtlich, sie streichelte ihm Wange und Haar, und beide setzten sich dann an einen roh gefertigten Tisch und nahmen das Frühstück, welches die Indianerin bereitet und aufgetragen hatte, ein.

Das Verhalten der Alten ließ darauf schließen, daß die Gefangene mit großer Ehrfurcht behandelt wurde.

Der Knabe entfernte sich dann mit seinem Bogen, die Indianerin trug einen Stuhl vor die Hütte und holte, wie es schien, eine Näharbeit aus deren Innerem und überreichte sie der Frau.

Dann ging auch sie hinweg.

Dies alles beobachtete der Graf durch sein Glas mit einer tiefinneren Bewegung, wie er sie nie gefühlt hatte.

Da saß vor ihm die Verlorene, so heiß Ersehnte, die so Vieles und Schweres erduldet hatte, eine Gefangene der wilden Rothäute in fast unzugänglicher Gegend. Nach und nach erst minderte sich die Erregung seiner Seele, schlug sein Herz ruhiger.

»Und was nun, Athoree?« fragte er endlich.

»Jetzt steigen herab, sprechen zu Schwester und dann leise fort.«

»Jetzt, am hellen Tage?«

»Schwester bei Nacht nicht gut klettern auf Felspfad. Müssen jetzt gehen. Niemand dort, kommen niemand dorthin. Kennen Weg, denken niemand uns sehen. Werden weit weg sein, ehe Saulteux es merken.«

»Und wenn man uns erblickte, so wäre alles und für immer verloren.«

»Müssen an Tag gehen, nachts schlafen Krieger vor Fels, ihn zu bewachen.«

»Athoree, Athoree, wenn es mißlänge?«

Der Indianer blickte ihn mit seinen dunklen Augen bedeutungsvoll an und sagte ernst und nachdrücklich: »Glaubst du an großen Geist?«

»Wehe mir, wenn ich es nicht täte.«

»Er lassen finden Schwester, er werden Schwester führen zu den Leuten ihres Stammes.«

»Ja, du hast recht, hat er mich so wunderbar hierhergeleitet, so wird er das Rettungswerk auch gelingen lassen. Laß uns gehen.«

Sie verließen ihren hohen Standpunkt und kletterten, mit großer Vorsicht es vermeidend, daß unter ihren Füßen Steine ins Rollen kamen, hinab und drangen in dichtes Gebüsch ein.

Es gehörten die scharfen Sinne eines Indianers und dessen geradezu wunderbarer Ortssinn dazu, um hier in dem oftmals verschlungenen Unterholz, welches kaum zwei Schritt weit zu sehen erlaubte, die Richtung inne zu halten.

Es war ein kühnes Wagnis, welches diese beiden Männer unternahmen, und es gehörten starke Nerven dazu, um mit Besonnenheit inmitten eines Feindeslagers, wo der geringste unglückliche Zufall sie verraten konnte, zu handeln.

Daß im Falle einer Entdeckung wahrscheinlich augenblicklicher Tod ihr Los sein würde, sagten sie sich selbst, denn aus allem, aus dem Geheimnis, mit welchem die Indianer ihre Gefangenen umgaben, der Art ihrer Aufbewahrung ging hervor, welchen hohen Wert sie ihr beilegten.

Was der kühne Indianer in dem angeborenen und durch Erziehung gefestigten Stoicismus seiner Rasse kaltblütig hier unternahm, vollbrachte der Graf in einem ruhigen, unerschütterlichen Gottvertrauen als ein Gebot heiliger Pflicht.

Für Athoree war außerdem der Ruhm, welchen ihm im Falle des Gelingens diese Tat verschaffen mußte, denn es war nichts Kleines, eine Gefangene aus der Mitte blutdürstiger Feinde am hellen Tage herauszuholen, ein anfeuernder Sporn.

Was sie bis jetzt geschützt hatte und noch schützte, war neben der Klugheit und Vorsicht Athorees und seiner, wie es schien, genauen Kenntnis des Landes, die unglaubliche Kühnheit ihres Vorgehens.

Athoree schloß aus der Art der Gefangenschaft der weißen Frau und seiner Kenntnis des indianischen Charakters, daß der Raum in der Nähe des Felsens bei einiger Vorsicht ohne Gefahr betreten werden könne. Aus allem Bisherigen ging hervor, daß die Saulteux die Gefangene gleich einem Schatze hüteten, wozu unter anderm vielleicht Aberglauben beitragen mochte, wie er sich bei diesen Kindern des Urwaldes in mannigfacher Art äußerte.

Der Indianer hatte schon bei seiner früheren Nachforschung, als sein Instinkt ihn auf den sonderbaren Felskegel aufmerksam werden ließ, zu dem er die alte Indianerin mehrmals mit Speise und Trank hinschleichen sah, bemerkt, daß die gefangene Frau, freilich nach indianischer Weise, auf das vornehmste gekleidet war, ein sicheres Zeichen, wie hoch sie verehrt ward. Indianischer Takt hielt unter diesen Umständen die Bewohner des Dorfes von dem seltsamen Gefängnis fern. Sein seiner Spürsinn hatte auch den Eingang entdeckt, welcher in das Innere des vermutlichen Kraters führte.

All dies ließ ihn mit Vertrauen an das Wagnis gehen.

Vorsichtig schlichen sie durch die Büsche, welche sich auf einer Seite bis dicht an den Rand der Felswand hinzogen, weiter. Schritt für Schritt jedes Geräusch ängstlich vermeidend.

Einmal waren sie auf ihrem Wege dicht an den Rand des Unterholzes gekommen, und der Graf sah eine in eiligem Laufe heranstürmende Schar halbnackter, indianischer Knaben, zwischen ihnen den blonden Germanen, seinen Neffen. In ihrem wilden Spiele gelangten sie bis nahe zu den Büschen.

Der Graf war so gefesselt von dem Anblick, den das Kind seiner Schwester zwischen den roten, gleichaltrigen Söhnen der Saulteux bot, daß er stehen blieb und dem Spiele zusah, ohne an die Gefahr zu denken, in welche er durch die Kinder geraten konnte.

Mit Freuden gewahrte er, daß der blonde Knabe an Gewandtheit allen gewachsen, an Kraft aber überlegen war. Einem etwas rohen Spielgenossen hatte der Blondkopf soeben einen ganz kräftigen Faustschlag versetzt und mit den gut deutschen Worten begleitet: »Da nimm das, roter Dummkopf!«

Als nun die andern auf ihn eindrangen, sprang er ins Gebüsch und zwar an der Stelle, wo die Männer standen.

Athoree sank augenblicklich zu Boden, der Graf erschrak so heftig, daß er unfähig war, eine Bewegung zu machen.

Schon öffneten sich vor ihm die Zweige und große blaue, staunende Kinderaugen starrten ihn an.

Unbewußt fast flüsterte er leise: »Wilhelm!« und legte den Finger auf die Lippen.

Im Augenblick wandte sich der Knabe, trieb, während der Graf sich aufs Knie sinken ließ, die Genossen, welche folgen wollten, zurück und rief in indianischer Sprache: »Geht, hier wohnt Ni-hi-tha. Ich sage es den Häuptlingen.«

Gleich einem Wirbelwinde stürmte die Schar davon, der weiße Knabe aber blieb ruhig vor dem Gebüsche stehen.

Es war klar, daß den Kindern verboten war, diesen Teil des Waldes zu betreten.

Athoree und der Graf richteten sich wieder empor. »Weißer Knabe klug,« flüsterte der Indianer, »er indianische Erziehung.«

Leise rauschte es in den Blattern und der blonde Knabe stand vor ihnen mit den großen verwunderten und doch über seine Jahre klugen Augen den Grafen anblickend.

»Wilhelm,« sagte er leise und hielt ihm die Hand hin, »komm zu mir.«

Der Knabe nahm vertraulich die Hand.

»Bist du ein Deutscher, Mann?«

»Ja, Kind, ja.«

Aufmerksam betrachtete ihn das Kind.

»Du siehst der Mutter ähnlich.«

Der Graf nickte nur.

»Willst du zur Mutter?«

»Ja, Wilhelm, Herzenskind – ja – ich suche euch,« brachte er in der Bewegung seines Herzens nur mühevoll über die Lippen.

Er faßte den schönen Knaben, der kräftig und gesund aussah, und küßte ihn.

»So komm.«

Das Kind schritt voran, die Männer folgten und bald erreichten sie den Fels, wo hinter dichten Büschen und Steinen so verborgen, daß nur ein Zufall zu seiner Entdeckung führen konnte, der Eingang zu dem Innern des Kraters lag.

Sie traten in einen, von der Natur geschaffenen, ziemlich hohen und geräumigen Gang, welcher nur die Annahme verstärken konnte, daß einst flüssige Lava hier einen Ausweg gesucht hatte.

Die Oeffnung nach dem Innern zu verdeckte ein großes Bärenfell.

Der Knabe schlug es zurück und ließ die Männer eintreten.

Vor dem kleinen Wigwam saß die blonde Frau und führte die Nadel, halb abgewandt gewahrte sie die leise Eintretenden nicht.

Mit tiefer Rührung betrachtete Edgar die so schmerzlich Vermißte.

Endlich trat er vor, während Athoree taktvoll zurückblieb, und sagte mit zitterndem Tone: »Luise.«

Die Frau fuhr empor und richtete den Blick auf den Grafen.

Sie sah schön und blühend aus und schien jünger als ihre Jahre.

Ein langes Kleid von feinem Musselin, welches ein Gürtel zusammenhielt, hüllte die schlanke Gestalt ein.

Aus dem edel geschnittenen, freundlichen Antlitz blickten blaue, sanfte Augen fragend auf Edgar.

Das Haar war wohlgeordnet und von einer Schnur Perlen durchzogen, den kleinen Fuß bedeckten mit den seltensten Zieraten des Waldes geschmückte Mokassins.

Sie bot, während sie so ruhig dastand, ein ungewöhnlich anmutvolles Bild, doch von fremdartigem Charakter.

»Luise!« wiederholte der Graf mit tiefer Innigkeit.

»Wer bist du, fremder Mann?« fragte sie mit wohllautender Stimme.

»Luise, Luise, bin ich deinem Gedächtnis gänzlich verschwunden? Kennst du Edgar, deinen Bruder, nicht mehr?«

Er ging auf sie zu, faßte ihre Hand und sah ihr mit zärtlicher Liebe ins Antlitz.

»Einen Bruder, Fremder? Ich habe keinen Bruder,« sagte sie sanft.

»Luise, Luise, ich habe dich seit vielen Monaten gesucht, endlich, endlich dich gefunden. Der Vater hat mich zu dir ausgesandt – er liebt dich wie nur je zuvor. Kennst du deinen Edgar nicht mehr?«

»Geh, Fremder,« sagte sie und lachte, »ich habe keinen Edgar, nur meinen Walther und sein Ebenbild dort, Willy.«

Der Knabe stand unweit und sah bald die Mutter, bald den Grafen an.

Ein jähes Entsetzen zog durch des Grafen Herz bei diesen Worten, er blickte in ihr Auge und gewahrte jetzt erst, daß kaum der Geist eines Kindes darin lebte, es war leer und ausdruckslos.

Bei dieser furchtbaren Entdeckung stürzte unaufhaltsam ein Strom von Tränen aus des Grafen Augen.

Der Knabe eilte auf ihn zu, umklammerte ihn krampfhaft und weinte mit.

Stumm, in eherner Haltung stand der Indianer im Hintergrunde, während des Grafen Schwester diesen und das Kind mit leichter Verwunderung anblickte.

»O Gott, mein Gott,« stöhnte der Graf, als der plötzliche jähe Schmerz, der ihn mit furchtbarer Gewalt ergriffen hatte, nachließ.

»So ist die Mutter seit dem Tage, wo die Roten meinen armen Vater töteten,« schluchzte der Knabe.

Als Luise ihr Kind so heftig weinen sah, nahm sie den Knaben in den Arm und sagte liebreich: »Warum weint der kleine Willy? Warum weint das Kind?«

Dem Grafen wollte in bitterem Jammer fast das Herz brechen.

Das war das so heiß ersehnte Wiedersehen? Er suchte eine teure Schwester und fand nur deren immer noch schöne äußere Hülle, welcher der Geist entflohen war.

Graf Edgar sank auf einen Stuhl und barg das Gesicht in den Händen.

Liebevoll nahte sich ihm der Neffe und schlang seine Arme um ihn.

»Nein, weine nicht. Mann. Du bist der Mutter Bruder? Mein Onkel Edgar?«

Der Graf konnte nicht reden, er nickte nur und streichelte sein Haupt.

»Die Mutter hat früher oft von dir erzählt und gesagt, daß du kommen würdest, uns zu besuchen, und nun bist du da.«

Der Graf zog ihn aufs Knie und legte seinen Kopf an das so tief bewegte Herz.

»Mein lieber Wilhelm, meiner teuren Schwester Kind!«

Lebhaft richtete sich dann der Knabe auf.

»Aber wie kommst du hierher? Wissen denn die Häuptlinge, daß du da bist?«

»Nein, Kind, mir sind heimlich gekommen, um euch hinwegzuholen.«

»Sie werden euch töten und skalpieren, wenn sie euch sehen,« sagte der Kleine, der sein Deutsch mit englischen und indianischen Worten mischte, unruhig.

»Wir werden uns verbergen.«

Der Knabe flüsterte ihm ins Ohr: »Ich hasse die Roten alle, aber ich darf es hier nicht sagen. Wer ist der Mann, den du da bei dir hast? Es ist keiner unsrer Krieger.«

»Nein, er ist ein Hurone oder Wyandot und mein wie euer Freund. Er hat mich hierher geführt und wird uns beistehen, an die Küste zu gelangen.«

»O, ein Wyandot?« Und der Knabe warf einen forschenden Blick auf Athoree.

»Sie haben mit den Wyandots gefochten da draußen und haben Hiebe bekommen, das ganze Dorf ist voll von Verwundeten. Wenn sie wüßten, daß ein Wyanbot hier ist, würden sie heulend herbeistürzen.«

»Du magst die Indianer nicht, Wilhelm, behandeln sie euch nicht gut?«

»O, gut genug, besonders die Mutter. Sie bringen ihr alles, was sie nur Kostbares an Fellen, Wild und Schmucksachen haben, sie lieben Mama sehr.«

»Darf deine Mutter hinausgehen oder wird sie hier gefangen gehalten?«

»Nein, sie kann in den Wald oder zu den Wigwams gehen, wenn sie will, aber sie geht sehr selten. Sie meint,« sagte er ganz leise, »während ihrer Abwesenheit könne der Vater kommen und sie nicht finden, darum geht sie nicht, weißt du, die arme Mama wartet immer auf den Vater, den armen Vater. Hu!« – das Kind schauderte zusammen, während es sprach – »ich sehe noch, wie diese Unmenschen ihn erschlugen, auch Mama hatten sie schon an den Haaren und wollten ihr mit der Axt den Kopf spalten, da – lachte sie und wollte gar nicht aufhören zu lachen, o, nimmer werde ich es vergessen. Die Wilden erschraken darüber und taten uns nichts, sie schleppten uns nur fort, weit, weit fort, und endlich über ein großes Wasser hierher. O, ich weiß alles. Weißt du, seit der Zeit hat Mutter alles vergessen, was früher war, nur den Vater nicht.«

Der Graf, welcher die erste furchtbare Erschütterung, welche die Entdeckung des Geisteszustandes seiner Schwester hervorgerufen, überwunden hatte, ging zu Athoree, welcher noch immer am Eingang stand.

»Du hast gesehen und gehört, Freund!«

»Sehen, ja. Sehen, Schwester Liebling des großen Geistes, ihr alle roten Menschen gut, nichts zuleide tun.«

»Aber was beginnen wir mit ihr? Werden mir mit der Geisteskranken den gefährlichen Rückweg antreten können? Und hier kann ich sie doch unmöglich lassen.«

»Gehen mit Schwester zu deinen Wigwams, ihr dort sehr lieben.«

»Hältst du es für möglich, sie davonzuführen?«

»Es gut, sie Manitous Geist in sich.«

Langsam ging der Graf zurück zu seiner Schwester, welche wieder saß und an einem Gewand arbeitete. Wilhelm hatte sich zu ihren Füßen niedergekauert.

»Luise, Schwester, vernimmst du, was ich sage?«

Luise sah ihn freundlich an, erwiderte aber nichts.

»Es ist Onkel Edgar, Mutterchen, dein Bruder, von dem du mir früher so oft erzählt hast.«

»Edgar? Edgar?« Sie legte nachdenkend die Hand an die Stirn. »Edgar? Ja,« und fröhlich wie ein Kind lachte sie, »es war ein kleiner, munterer Knabe und Walther ließ ihn reiten auf einem Pony, ich weiß es wohl. Er war so groß wie du –«

»Nun, siehst du. Mutterchen.«

»Aber,« setzte sie dann mit trauriger Miene hinzu, »er ist schon lange tot. Alle sind tot, nur« – und Glück strahlte aus ihrem Angesicht – »Walther lebt noch. Mein teurer Walther.«

Es war herzzerreißend, wahrzunehmen, wie in ihrem zerstörten Geiste nur allein das Bild des Gatten noch lebte, während die Erinnerung an alles andre wohl für immer ausgelöscht war.

»Luise, liebe Schwester,« begann der Graf von neuem mit weicher, bebender Stimme, »willst du mit mir kommen? Ich will dich zum Vater bringen nach Schloß Elm.«

»Nach Schloß Elm? Ja, da war Walther auch. Ja, ich weiß es wohl.«

»Komm mit mir, komm!«

»Ich kann nicht; weißt du, Walther kann jeden Augenblick erscheinen, und er wäre betrübt, wenn er mich hier nicht fände, und ich – ich freue mich sehr, wenn er heimkehrt.«

Die Zeit rückte vor; wenn sie in die Felsen und so in verhältnismäßige Sicherheit gelangen wollten, mußten sie bald aufbrechen.

Der Körper Luisens war gesund und stark, der Knabe über seine Jahre kräftig und unter den Indianern abgehärtet.

Dann sagte sich Edgar auch, daß, wenn es den Saulteux gelänge, sich ihrer wieder zu bemächtigen, weder die Schwester noch der Knabe etwas von ihnen zu fürchten haben, daß nur er und seine Begleiter die Opfer sein würden.

Es war Zeit aufzubrechen.

Aber wie die Kranke bewegen, mit ihnen zu kommen? Ein Gedanke schoß ihm durch den Sinn. Alles Denken seiner armen Schwester bewegte sich um den ihr noch immer so teuren Gatten, und so wagte er im angstvollen Drängen des Augenblicks zu fragen: »Willst du nicht mit mir zu Walther gehen, Luise?«

Sie erhob sich lebendig.

»Wo ist er?«

»Drüben in den Felsen, er sandte mich her, dich zu holen, er erwartet dich.«

Ein helles Rot der Freude flog über ihr Angesicht.

»O, so komm, wir dürfen ihn nicht warten lassen.«

Der Talisman, mit welchem man sie ihrem Gefängnisse entführen konnte, war gefunden.

»Warte!« Sie schritt in das Wigwam und erschien bald wieder mit einem kurzen Mantel aus den schönsten Otterfellen, den sie über die Schultern geworfen hatte.

»Komm, Wilhelm!« sagte Edgar noch.

Sie schickten sich an zu gehen, als Athoree plötzlich winkte und zur Seite trat.

Der Vorhang, welcher den Eingang verdeckte, öffnete sich und herein trat die alte Indianerin, die stumm vor Staunen stand, als sie den weißen Mann erblickte. Rasch trat Athoree hinter sie, das blanke Messer in der Hand und zischte ihr im Saulteuxdialekte zu: »Einen Laut und dies Messer fährt dir ins Herz.«

Erschreckt taumelte die Alte vorwärts, immer noch mit weit aufgerissenen Augen Edgar anstarrend.

»Tu ihr nichts, roter Mann!« rief Wilhelm Athoree zu, »Doneta ist gut und freundlich.«

Athoree blieb ruhig stehen, aber seine finstere Miene weissagte der Frau nichts Gutes, für den Fall sie seine Drohung mißachten sollte.

Doch war nicht Gefahr, daß sie durch Hilferufe die Saulteux herbeiziehen würde. Erstlich war sie zum Tode erschrocken und dann wußte sie, daß über die hohen Felswände kaum ein Ton hinausdrang, wenn überhaupt jemand in der Nähe gewesen wäre, ihn zu vernehmen.

»Ich gehe meinem Mann entgegen, Doneta,« sagte freundlich Luise, »wir kehren bald zurück.«

»Ni-hi-tha, die Tochter der Saulteux, will gehen?« fragte die Alte kläglich.

»Ich komme bald wieder.«

»Die Saulteux weinen, wenn sie ihren Liebling nicht sehen.«

»Komm, Mann,« wandte sich Luise an Edgar, »Walther wartet.«

»Was beginnen mir mit der Frau, sie wird ja das ganze Dorf in Aufruhr setzen, sobald wir fort sind.«

»Müssen binden. Mit Schwester fortgehen.«

Edgar ging mit Luise in den Gang, welcher ins Freie führte.

»Tue der alten Frau ja nichts, sie ist gut.« Und Wilhelm ging hinter den andern her.

Mit drohender Miene schritt Athoree auf die Alte zu und sagte ihr, daß er sie zur Sicherheit der Flüchtlinge binden und knebeln müsse, ihr aber, wenn sie nicht schreie, kein Leid zufügen werde.

Die Frau ergab sich in ihr Schicksal, und Athoree band ihr Hände und Füße, schob ihr ein dem Wigwam entnommenes Stück Kattun zwischen die Zähne und legte sie auf das Lager der Gefangenen.

»Sage den Saulteux, Weib, sie seien blinde Maulwürfe. Der befiederte Pfeil der Wyandots ist mitten unter ihnen gewesen und sie haben ihn nicht gesehen. Die Saulteux sind Hunde, welche angstvoll heulen, wenn sie den Schritt eines Wyandot hören.«

Und auch er verschwand hinter dem Felle, welches den Ausgang bedeckte.

Sie traten in die Büsche.

Edgar sagte zu der Schwester: »Du darfst nicht laut sprechen, Luise, sonst hören es die Saulteux und diese wollen nicht, daß du zu Walther gehst.«

»O, ich bin stumm, wenn Walther es will.«

Wilhelm zeigte, daß er den indianischen Knaben alle ihre Künste abgelernt hatte, denn er schlich mit einer Gewandtheit und Geräuschlosigkeit durch die Büsche, welche einem erfahrenen Krieger Ehre gemacht hätte.

Auch war er ganz durchdrungen von der Gefährlichkeit ihrer Lage.

Luise war durch Edgars Argument gänzlich von der Notwendigkeit des Schweigens überzeugt und ahmte die Vorsicht der andern in Bezug auf den Marsch nach.

Bald waren sie in den Felsen und stiegen hinauf.

Zur Freude des Grafen zeigte es sich, daß seine Schwester die ganze Spannkraft der Jugend bewahrt hatte. Sehnsucht beflügelte ihre Schritte.

Schon nahten sie ihrem Ziele, als, da sie um eine Felswand bogen, ein junger Indianer vor ihnen stand.

Einen Laut des Staunens stieß dieser aus. »Ni-hi-tha!«

Mit einem Sprung war Athoree neben ihm und setzte ihm das Messer an die Kehle.

»Nicht töten, Athoree,« rief ihm der Graf nachdrücklich zu. »Wir wollen Blut nur im äußersten Notfall vergießen!«

Ungern gehorchte der Wyandot. Er band den eingeschüchterten, etwa sechzehnjährigen Jüngling, mit dem Taschentuche des Grafen ward ihm der Mund verstopft und er dann in die Büsche gelegt.

»Jetzt rascher gehen. Junger Saulteux gefährlich.«

Schneller schritten sie den Weg hinan, bald erblickten sie den Fels, welcher in seinem Inneren die Höhle barg, und gewahrten die Freunde, welche Wache haltend vor ihr lagen. Sie überschritten den Baum und waren vorläufig in Sicherheit.

»Und Walther?« fragte Luise.

»Wir werden den Vater bald sehen, Mama,« sagte der Knabe, der vollständig begriff, durch welches Mittel man seine Mutter veranlassen konnte, die Flucht fortzusetzen.

Nach dem anstrengenden Aufstieg bedurften Luise und ihr Knabe einiger Ruhe. Bald aber drang Athoree auf Fortsetzung des Marsches.

Es handelte sich jetzt um Beseitigung des als Steg dienenden Baumes.

»Meinst du nicht, Athoree,« äußerte der Graf, »daß das Geräusch des stürzenden Baumes bis zu den Ohren der Saulteux dringen und ihnen den Weg verraten kann, welchen wir genommen haben.«

»Baum fort,« erklärte der Sohn Sumachs bestimmt, »sonst Saulteux bald hinter uns; Squaw schwache Füße, Papuse auch. Wenn Baum fort, müssen Saulteux großen Umweg machen und wissen doch nicht, wo wir hinabgehen, viele Täler führen hinunter. Aber wollen vorher Stein werfen. Stein hier oft von Bergen rollen, erst Stein, dann Baum, denken dann, zwei Steine fallen.«

Es geschah, wie er gesagt hatte.

Ein ansehnlicher Felsblock ward in die Schlucht hinabgestürzt, und Michael und Heinrich, unterstützt von Johnsons riesenhafter Kraft, schoben dann das Ende des schweren Baumes von dem Fels ab, bis er stürzte und donnernd gleich dem Stein die Tiefe suchte.

Dann brachen sie auf.

Die Geschenke, welche Edgar für die Häuptlinge mitgebracht und welche Michael hierhergetragen hatte, wurden in der Höhle gelassen, der Graf hatte nicht die Absicht, sie ihrer Bestimmung zu entziehen, denn die freundliche Weise, mit welcher diese Wilden seine arme Schwester behandelt hatten, forderte seinen Dank heraus.

Sie durchschritten die Höhle, gelangten an den Wald dahinter, wälzten die schweren Steine wieder vor den Ausgang und setzten ihren Weg erst im Walde, dann in engen Felsentälern und tiefen Schluchten fort, bis gegen Abend, wo Athoree in einem kleinen Talkessel, der sich zur Seite ihres Weges öffnete, die Nacht zuzubringen beschloß.

Feuer zündeten sie nicht an. Sie verzehrten von den mitgeführten Vorräten. Edgar bettete Luise und den Knaben, welche den anstrengenden Marsch ziemlich gut ertragen hatten, warm in eine geschützte Ecke und alle gaben sich dem Schlafe hin.

Mit der aufgehenden Sonne nahmen sie den Weg wieder auf.

Athoree, welcher einsah, daß des Grafen Schwester und der Knabe nicht zum zweitenmal einen solchen Marsch zurücklegen konnten, ohne zur Fortsetzung der Flucht unfähig zu werden, änderte gegen seine ursprüngliche Absicht den Weg und nahm die Richtung nach dem oberen Laufe des Eskonaba.

Eine Marschunfähigkeit besonders Luisens konnte verhängnisvoll werden, denn daß die Saulteux, sobald ihnen die Entführung bekannt wurde, in wildester Wut nachsetzen würden, war zweifellos. Die Schmach, daß ein Hurone mitten unter ihnen gewesen sei und sie eines kostbaren Kleinods beraubt habe, mußte sie zur Raserei treiben.

Die Gefahr, bei zeitiger Entdeckung der Flucht Luisens von den schnellfüßigen Feinden eingeholt zu werden, lag unter diesen Umständen nahe.

Athoree glaubte ihr ausweichen zu können, wenn er einen Teil des Weges zu Wasser zurücklegte, wo dann die Frau neue Kraft zur Fortsetzung des Marsches finden würde.

Von der geraden Richtung ablenkend, näherte er sich also dem Flusse, wo er Kanoes zu finden erwartete, da sowohl Saulteux als Huronen dort zu fischen pflegten und ihre Boote in Verstecken unterbrachten, wenn sie den Fluß verließen.

Luise war trotz der ungewohnten Anstrengungen in heiterer Stimmung. Die Zeit war für sie nicht vorhanden und sie hoffte heute wie gestern, dem ersehnten Gatten zu begegnen.

Wilhelm, ein überaus kräftiger Knabe, der, trotzdem er stetig in Gesellschaft seiner Mutter war, doch viel von den Gewohnheiten seiner indianischen Umgebung angenommen hatte, eilte auch heute leichtfüßig einher und beobachtete auf dem Marsche dieselbe Vorsicht wie Athoree.

Der kleine Zug verließ das felsige Terrain und tauchte in hochstämmigen Wald ein. Nach etwa einer Stunde erreichten sie einen wasserreichen Bach, der nach Westen zu floß.

Athoree war das Land der Saulteux durch seine öfteren Streifzüge in ihren Wäldern im allgemeinen bekannt, doch dieser Bach machte ihn stutzen.

Seiner Richtung und der ganzen Bodengestaltung nach mußte er dem Eskonaba zufließen.

Er erwies sich als zu tief, um anders als schwimmend überschritten werden zu können, und einen Baum zu fällen, um ihn als Brücke über den Bach hinstürzen zu lassen, fehlten die Mittel, denn Athorees kleines Streitbeil vermochte keinen Stamm von geeigneter Stärke niederzulegen.

Es blieb also nichts übrig, als jenem Bache zu folgen.

Athoree sowohl als Wilhelm spähten mit scharfen Augen umher, denn auch der aufgeweckte Knabe kannte bereits die Zeichen der Wälder.

Er berührte leicht den Indianer und deutete nach einem jenseits des Baches liegenden Baumriesen, der durch einen Sturm entwurzelt, morsch danieder gefallen war.

Alle blieben stehen und betrachteten den wie es schien ausgehöhlten Baum, ohne etwas an ihm zu erblicken, was die Aufmerksamkeit des Knaben rechtfertigen konnte.

Athoree aber hatte sein Auge kaum auf den Baum gerichtet, als er des Knaben Kopf freundlich streichelte und sagte: »Gut. Das kleine Bleichgesicht hat Indianeraugen. Denken, finden Kanoe.«

An dem dicken Ende des Baumes lagen große Rindenstücke, und diese waren es, welche das in den Wäldern geübte Auge des Kindes auf sich gezogen hatten. Er erkannte sofort, daß nicht die Natur sie so geordnet, sondern Menschenhand und Athorees Erfahrung bestätigte es.

Der Indianer legte seine Waffen und die Jagdtasche ab und schwamm hinüber.

Die Rindenstücke am Ende des Baumes hinwegräumend, erblickte er ein Kanoe, welches er hervorzog und mit leichter Mühe in das Wasser brachte.

Dann schaute er sich mit suchendem Auge um, denn nahe lag die Vermutung, daß das nicht das einzige hier versteckte Fahrzeug sei, denn wenn die Saulteux sich auf dem Bache zum Eskonaba hinunter begaben und auf ihm zurückkehrten, so geschah es stets truppweise.

Des Indianers prüfendem Blick fiel ein Haufen Reisig auf, das vom Sturme niedergebrochen und zusammengeweht schien. Auch hier sagten ihm untrügliche Zeichen, daß Menschenhand dabei tätig gewesen. Seine sofortige Nachforschung förderte ein zweites Kanoe mit den dazu gehörigen Rudern zu Tage.

Er brachte die beiden Boote an das andre Ufer. Sie waren geräumig genug, die Gesellschaft aufzunehmen.

Edgar half seiner Schwester in das eine, in welchem er selbst mit Wilhelm und Heinrich Platz nahm. Johnson und Michael traten in das andre Boot, während Athoree erklärte, er wolle am Lande folgen.

Der Graf und Heinrich hatten bei ihren Streifzügen gelernt, das leichte Boot mit dem Schaufelruder zu handhaben, und Johnson verstand trefflich damit umzugehen.

Sein Boot voran, fuhren sie nun den Bach hinab.

Die Ufer waren dicht bewaldet und die alten Baumriesen streckten ihre Aeste über das schmale, dunkle Wasser, so daß sie oft wie in einem Laubengang einherfuhren, wenn die Zweige sich über ihren Häupten einten.

Sie beobachteten tiefes Schweigen, horchten auf jedes Geräusch und richteten die Augen auf die Wälder.

Der Knabe saß im Bug des zweiten Bootes und spähte unablässig umher. Seine Mutter betrachtete ihn von Zeit zu Zeit mit glücklichem Lächeln.

Wäre nicht die Sorge vor drohender Gefahr so lebendig in ihnen gewesen, nichts Herrlicheres hätte sich denken lassen, als diese Fahrt auf dem sanft hinströmenden Bach, unter dem grünen Dach zu ihren Häupten inmitten des feierlichen Schweigens des Urwaldes.

Leicht und geräuschlos tauchten sie die Ruder ein und gelangten rasch ihrem Ziele näher.

Wilhelm, dessen Sinne schärfer entwickelt waren, als die jedes andern der Anwesenden, gab dem ersten Boot ein Zeichen, zu halten, dem Johnson sofort nachgab und das zweite Boot erwartete.

»Was gibt's, Kind?«

Leise sagte der Knabe: »Ein Mann in den Wäldern.«

Das kam so ernst und verständig heraus, daß sofort alle zu den Waffen griffen. Angestrengt lauschten sie und durchforschten die Büsche.

Ein gedämpfter Schritt wurde hörbar und am Rande des Ufers erschien Athoree.

Er winkte Johnson und glitt, als dieser sein Fahrzeug zum Ufer trieb, gewandt in dasselbe hinein.

Auf die fragenden Blicke der Männer entgegnete er ruhig: »Saulteux da.«

Lebhaft erschrak der Graf und warf einen Blick schmerzlicher Besorgnis auf seine Schwester, die in anmutiger Freundlichkeit neben ihm saß.

Der Indianer flüsterte: »Schweigen,« nahm Michael das Ruder aus der Hand und trieb das Kanoe mit vorsichtiger Bewegung weiter. Der Bach wurde breiter und rechts und links zeigte sich Röhricht.

In dieses lenkte Athoree sein leichtes Boot, das andre folgte, und sie befanden sich eng von flüsternden Schilfhalmen eingeschlossen.

Langsam ließ der Indianer sein Boot vorwärts dringen, bis sie einen schmalen Kanal offenen Wassers erreichten.

Hier sahen sie den Himmel über sich und die Wipfel der Bäume nur in einiger Entfernung.

Die Kanoes lagen nebeneinander.

Mit flüsternder Stimme teilte der Wyandot dem Grafen mit, daß der Feind auf dem nahen Eskonaba, den sie bereits erreicht hatten, sei.

»Ist das ein Zufall oder sind sie bereits in unsrer Verfolgung begriffen?«

»Ich denken, sie verfolgen, wollen den Fluß verlegen. Muß weiter oben noch ein Bach sein, den Athoree nicht kennt, daß so rasch zu Eskonaba kommen.«

Es war so, wie er vermutete.

Die Flucht Luisens war rascher entdeckt worden, als die Flüchtlinge ahnen konnten. Der erste Häuptling der Saulteux hatte sich, wie er von Zeit zu Zeit zu tun pflegte, zu Ni-hi-tha, das ist: der Schwester, begeben, um sie nach der Rückkehr von seinem Kriegszuge zu begrüßen.

Als die Alte, welche man gebunden dort zurückgelassen hatte, Mitteilung von dem Geschehenen machte, war die Wut der Saulteux grenzenlos.

Nicht nur, daß sie die Entdeckung, daß eine weiße Frau bei ihnen gefangen gehalten werde, wegen ihren Folgen fürchteten, denn sie hatten das im verflossenen Jahre dem sie besuchenden Regierungskommissar geleugnet, trotz seiner Drohung, daß ihnen die Provisionen entzogen werden würden, wenn sie die Frau nicht auslieferten, nein, vor allem beklagten sie den Verlust eines Wesens, welches sie wie eine Heilige verehrten und liebten. Deren Anwesenheit in ihrer Mitte ihnen glückbringend deuchte, der diese abergläubischen Naturkinder gerade wegen der Störung ihrer geistigen Funktionen Prophetengabe zuschrieben.

Dies und dann die Anwesenheit eines Huronen in ihrem Dorfe und seine Tätigkeit bei der Entführung ihrer Ni-hi-tha erbitterte sie aufs äußerste.

Da die Flüchtigen den Eskonaba zu gewinnen suchen mußten, machten sich augenblicklich fünfzehn erlesene Krieger auf und ruderten mit großer Schnelligkeit einen unweit einherströmenden Wasserlauf, von dem Athoree in der Tat nicht Kenntnis hatte, hinab zum Estonaba. Eine andre Schar begann sofort die Verfolgung zu Lande.

Als die Ottawas vor drei Jahren die Ansiedlungen am Manistee überfielen, rettete Luisens Leben und das ihres Kindes nur der so plötzlich ausbrechende Wahnsinn.

Unfähig war ein Indianer, Hand an eine Geisteskranke zu legen, die seiner Anschauung nach unter dem Schutze Manitous stand.

Sie schleppten sie auf ihrer eiligen Flucht mit und verbargen sie. Bei dem harten Strafgericht, welches dann über die Ottawas hereinbrach, den fortwährenden Nachforschungen nach der weißen Frau, welche auch bei jedem amtlichen Verhöre vorgenommen wurden, legten sie der Gefangenen größere Bedeutung bei als sie hatte.

Alle die harten Urteile, welche später gefällt wurden, die Hinrichtung angesehener Häuptlinge und Krieger durch den Strick, schrieben sie wesentlich der Fortführung der geisteskranken Frau zu, von der sie annahmen, daß sie schon vor ihrer Gefangennahme sich in diesem Geisteszustande befunden habe und deshalb besonders geschätzt worden sei.

Da sie sich einmal in ein Lügengewebe verstrickt hatten und noch schlimmere Folgen fürchteten, wenn dieses zerrissen werde, schwuren sie alle bei ihrem großen Geiste, nichts zu verlauten über die gefangene weiße Frau, und da sie einsahen, daß sie deren Anwesenheit auf die Dauer nicht verborgen halten konnten, sandten sie Luise mit ihrem Kinde zu den stammverwandten Saulteux, in deren unwegsamer Heimat sie leichter jeder Nachforschung zu entziehen waren.

Diese fanden an der anmutigen Erscheinung, dem liebenswürdigen Wesen der Gefangenen großes Gefallen, und ihr hilfloser Geisteszustand machte sie ihnen zu einem Gegenstande aufrichtiger Verehrung.

Dieses Wesen, dessen Entweichen sie schmerzlich empfanden und das sie zugleich mit Gefahren bedrohte, ähnlich wie ihre Vettern, die Ottawas, sie fürchteten, Ni-hi-tha, die Schwester, war ihnen plötzlich entrissen und zwar – durch einen Todfeind, einen Wyandot.

Es war nicht zu verwundern, daß die Verfolgung mit einem ungewöhnlichen Maße von Energie ins Werk gesetzt wurde.

Athoree veranlaßte jetzt den Grafen, zu ihm in das Kanoe zu kommen, während Johnson und Michael in das andre stiegen.

Er forderte Johnson auf, das Boot in das Schilf zu treiben und dort ruhig seine Rückkehr zu erwarten, während er mit dem Grafen langsam den schmalen Kanal entlang ruderte.

Dieser machte bald eine Wendung und sie hörten dann, nur durch einen schmalen Schilfsaum von ihnen getrennt, das Rauschen des Eskonaba.

Athoree trieb das Kanoe in das Schilf hinein und beide lauschten schweigend nach dem Fluß hinaus und suchten mit ihren Blicken das Schilf zu durchdringen.

Nicht lange harrten sie, als sie vom Fluß her Stimmen vernahmen.

Wie Athoree Edgar übersetzte, schlug einer der Verfolger vor, diesen Bach zu untersuchen, was ein andrer, wohl der Führer der kleinen Schar, für zeitraubend und unnütz erklärte, da die Verfolgten weiter unten ihnen oder den zu Lande Nachsetzenden in die Hände fallen müßten.

Sie fuhren rasch an der schilfumsäumten Mündung des Baches vorüber. Es waren, wie Athoree berichtete, vier Kanoes mit fünfzehn Kriegern.

Langsam kehrten sie dann zu den andern zurück.

Erwartungsvoll sahen alle zu Athoree auf, der allein im stande war, sie drohender Gefahr zu entreißen.

»Was beginnen wir, Häuptling?«

»Feind auf Wasser, Feind auf Land – sehr schlimm. Müssen durch die Wälder zu Wyandots gehen.«

»Und wenn wir denen, welche uns aus den Felsen nachfolgen, in die Hände laufen?«

»Dann fechten,« sagte kaltblütig der Indianer, »können nichts andres tun.«

»Welche Schwierigkeiten, welche Gefahren,« stöhnte der Graf, »arme Schwester.«

»Wäre es nicht geratener,« meinte Johnson, »hier die Nacht abzuwarten und dann im Dunkel den Eskonaba hinunterzugehen?«

»Du nicht über Stromschnellen fahren, müssen landen. Saulteux an den rauschenden Wassern warten, andre in den Wäldern, besser noch, gehen hier in Wald, als weiter unten.«

»Du hast recht, Athoree, ich dachte nicht an die Stromschnellen. Aber wenn wir das jenseitige Ufer nehmen würden?«

»Drüben Sumpf, müßten hoch an Eskonaba hinauf, ehe guten Pfad finden, Schwester werden krank, Saulteux finden Spur, nehmen Skalp. Drüben nicht entrinnen, Pfad zu krumm.«

»Ich sehe, Herr Graf, es erübrigt nichts, als den Weg durch die Wälder hin nach den Dörfern der Huronen zu nehmen.«

»Ich füge mich eurer überlegenen Erfahrung.«

»Dann gehen zurück.«

Der Graf tauschte mit Johnson und Michael den Platz, und Athorees Boot voran, ruderten sie zurück, den Bach wieder hinauf.

An geeigneter Stelle ließ der Indianer halten, über einige Steine hinweg betraten sie das Land und vertieften sich von neuem in den Wald, in der Richtung nach Osten vordringend.

Bald stieg der Boden an und es zeigten sich Felsformationen.

Sie schritten eine Felsschlucht hinauf, welche von einem rauschenden Bach durchströmt wurde, der an beiden Seiten nur einen schmalen Pfad für den Fuß frei ließ.

Als die Schlucht eine Wendung machte, erblickten sie einen Wasserfall vor sich, der senkrecht in die nicht unbeträchtliche Tiefe hinabstürzte und dort in schäumenden Wellen weiter eilte.

Sie waren an der Felswand so hoch gelangt, daß das Wasser jetzt weit unter ihnen rauschte, während die Höhe des Falles über ihnen lag.

Weiter auf dem schmalen Pfade emporsteigend, gelangten sie über den Fall hinaus und erblickten einen kleinen von Felswänden umgebenen See vor sich.

Zu ihrer Rechten zeigte sich eine dunkle Oeffnung im Felsen, augenscheinlich ein Eingang zu einer der hier so häufigen Aushöhlungen des Gesteins.

Athoree schaute sich um, welchen Weg er weiter zu nehmen habe, und schon schickten sie sich auf seinen Wink an, den Fels emporzuklimmen, als der Knabe rief: »Saulteux! Da!«

Auf dem der Höhle gegenüberliegenden felsigen Ufer stand hoch aufgerichtet vor aller Augen ein Indianer, der rasch verschwand, als Athoree seine Büchse hob. – Edgar erschrak. Was er heimlich gefürchtet, daß die Verfolger sie ereilen würden, war eingetroffen.

»Dort!« Sumachs Sohn wies auf die Felsöffnung, welcher alle rasch zugingen.

Es fand sich, als sie eintraten, daß es eine hinreichend geräumige Höhle war, in welcher sie in ihrer Not Zuflucht suchten. Sie war zu Fuße nur von der Seite zu erreichen, von welcher sie selbst sie betreten hatten, denn wenige Schritte jenseits des Eingangs endete der schmale Pfad und das tiefe, klare Wasser des Sees bespülte dort den Fels. Von hier aus konnte man nur zu Boote oder auf einem Floß dem Eingang der Höhle nahe kommen. Augenblicklichen Schutz gewährte freilich dieser Zufluchtsort, aber was sollte folgen, jetzt, wo sie entdeckt waren?

Den Grafen ergriff eine tiefe Verzweiflung, als er, so nahe dem Ziele, alle seine Hoffnungen vereitelt, die Früchte seiner endlosen Mühen sich entrissen sah. An ein Entrinnen war hier nicht zu denken. Wenige Leute konnten ihnen den einzigen schmalen Pfad verlegen, der hinaus in die Wälder führte. Gefangenschaft oder Tod war ihr Los.

Selbst wenn der Saulteux, welchen sie gesehen hatten, nur ein vereinzelter Späher war, so war anzunehmen, daß er rasch genug Leute um sich zu versammeln vermochte, um alsbald eine nachdrückliche Verfolgung aufnehmen zu können, wenn sie es wagten, eine Flucht fortzusetzen, welche durch die Frau und das Kind in ihrer Mitte wesentlich in der gebotenen Eile gehindert wurde. Der Graf sah ein, daß nichts andres geschehen konnte, als den Zufluchtsort, den ihnen das Schicksal bot, anzunehmen.

Die Lage war trostloser als je.

Von den Verfolgern war nichts zu bemerken, aber sie kannten indianische Art hinreichend, um zu wissen, daß diese eifrige Vorbereitungen trafen, sich ihrer zu bemächtigen.

Eine schmale, dunkle Rauchsäule, welche sich über den Felsen jenseits erhob, durfte als ein Zeichen gedeutet werden, welches die Saulteux unter sich auswechselten und wohl dazu bestimmt war, die zerstreuten Krieger zu sammeln.

In einer Ecke der Höhle hatte sich Luise niedergelassen und liebkoste mit einem vor innerer Freude strahlenden Antlitz ihren Sohn.

Dem Grafen wurden die Augen feucht, als er auf dieses lieblich-trauliche Bild schaute, und ein nie gefühlter Jammer faßte ihn an.

Das war das Ende? Nach langem Suchen hat er die Schwester gefunden, sie in so herzzerreißendem Zustande gefunden, sie kühn der Gewalt der Wilden entrissen – und – jetzt?

Der Knabe dort, diese junge, unter Wilden aufgewachsene Menschenblüte? Was wurde aus ihm?

Draußen lauerte der heulende Wilde, der kein Erbarmen kannte.

Todessehnsucht bemächtigte sich des jungen, heldenhaften Mannes in dieser hoffnungslosen Lage und der Gedanke stieg in seiner Seele auf: Es sei besser, alle Qual und alle Not rasch dadurch zu enden, daß er mit seinen Lieben freiwillig in den Tod ging.

Der letzte Verzweiflungskampf im Fort Jackson war nicht ohne Nachwirkung auf seine Seele geblieben.

Johnson war wie immer still in sein Schicksal ergeben, obgleich er, seit ihm der Mörder vom Kalamazoo bekannt geworden war, eine düstere Stimmung zeigte und sein Antlitz oftmals einer finsteren Wolke glich, welche Verderben in ihrem Schoße birgt.

Athoree, dessen bronzene Gesichtszüge nichts von seinen Gedanken verrieten, stand ruhig in der Nähe des Eingangs und lauschte. Heinrichs Auge ruhte besorgt auf dem Angesicht seines Herrn und nur Michael schien seine gewöhnliche weichherzige Stimmung nicht verloren zu haben.

Er unterbrach auch zuerst das Schweigen mit der Frage: »Werden mir wieder eine Schlacht gegen diese wilden Menschen liefern müssen, Euer Gnaden?«

Der Graf richtete den gesenkten Kopf empor und sagte: »Ich fürchte, es wird nötig sein, Michael.«

»Nun,« meinte gelassen der Ire, »hat meiner Mutter Sohn sich jetzt so oft mit dem Gesindel herumgeschlagen, so soll es mir jetzt auch nicht darauf ankommen. Werden ihnen schon heimleuchten. Euer Gnaden, und die Lady wieder zu Christenmenschen bringen.«

»Mögest du ein guter Prophet sein.«

Obgleich der Eingang der so glücklich und zur rechten Zeit sich darbietenden Höhle von feindlichen Kugeln bestrichen, ja von den Felsen gegenüber auch in deren Inneres gefeuert werden konnte, waren die Insassen derselben doch vor den feindlichen Geschossen geschützt, solange sie sich vom Eingang fern hielten, wenn ihnen auch von den Innenwänden zurückprallende Kugeln Gefahr bringen konnten.

Heinrich machte den Grafen darauf aufmerksam und Luise wurde mit ihrem Kinde an eine Stelle der Höhle geführt, welche auch rikoschettierende Kugeln kaum erreichen konnten.

Da einzelne größere, von den Felswänden abgebröckelte Steine in dem Räume umherlagen, machte er sich mit Johnson daran, einige derselben in den Eingang zu wälzen, so daß wenigstens ein Schütze dahinter liegen konnte.

In dieser Tätigkeit störte sie eine Stimme, welche, wie es schien, aus ziemlicher Nähe erklang.

Hoch horchten alle auf.

»Hört mich der weiße Mann reden?« ließ sich die Stimme in englischer Sprache vernehmen. »Der Häuptling der Saulteux spricht mit ihm.«

Edgar trat nahe an den Eingang und antwortete: »Ich höre dich.«

»Der weiße Mann hat den Liebling der Saulteux mit sich genommen, meine Tochter Ni-hi-tha, er wird sie uns zurückgeben und dann in Frieden seines Weges gehen.«

»Nein, Häuptling, das kann nimmer geschehen. Deine Ni-hitha ist meine Schwester, sie gehört zu mir, zu ihrem Vater und zu ihrem Volke, sie wird mit mir gehen. Ich habe Geschenke für dich mitgebracht und sie liegen in der Höhle, in der Nähe deines Dorfes. Nimm sie, und ist es nicht genug, will ich dir noch mehr geben, so viel, bis du zufrieden bist, aber laß mir die Schwester, die ich so lange vergebens gesucht habe.«

»Der weiße Mann mag seine Geschenke behalten, Ni-hi-tha muß wieder zu uns zurückkehren.«

»Nimmermehr.«

»Wie will der weiße Mann sie davonführen? Er hat nur einen schmalen Pfad, um darauf zu gehen, und den bewachen meine Krieger. Niemand kann die Höhle verlassen, ohne unter den Kugeln meiner jungen Leute zu fallen.«

»Ich habe nur genommen, was mein ist, Indianer. Ich wünsche in Frieden von dir und deinem Volke zu scheiden, und will euch reich belohnen für die Güte, mit welcher ihr meine arme Schwester behandelt habt. Zu euch zurückkehren kann sie nicht, eher sterbe ich mit ihr gemeinsam in den Fluten dieses Sees.«

Aus dem Ton, in dem er diese letzten Worte sagte, klang die ganze Verzweiflung, aber auch die ganze Entschlossenheit seiner Seele.

Es erfolgte nicht gleich eine Antwort hierauf. Dann aber ließ sich dieselbe Stimme wieder vernehmen: »Hört mich Ni-hi-tha, meine Tochter?«

»Ja, Häuptling,« erwiderte diese freundlich und trat ebenfalls zum Eingang, »Ni-hi-tha hört dich.«

»Will das Kind nicht zu seinem Vater kommen?« Es war der bejahrte erste Häuptling der Saulteux, welcher sprach, derselbe, der zuerst die Flucht entdeckt hatte. »Ni-hi-tha weiß, daß die Saulteux sie lieben. Sie haben ihr immer das Beste gegeben, was sie hatten, und wenn im Winter der Hunger in den Wigwams herrschte, war ihre Hütte voll Wildbret.«

»Du bist ein guter Mann, Tugensik.«

»Warum will die Tochter der Saulteux nicht zu ihnen zurückkehren? Warum ist sie überhaupt von ihnen gegangen?«

»Ich mußte gehen, Häuptling, denn mein Mann wünscht es, er ließ mich rufen, und ich bin auf dem Wege zu ihm. Ich kann nicht zu dir kommen, denn Walther erwartet mich.«

Wiederum herrschte draußen Schweigen, dann sagte dieselbe Stimme: »Und will der kleine Wila nicht zu seinen roten Freunden kommen, sie lieben ihn alle, denn er hat das Herz eines Saulteux.«

»Nein, Häuptling,« antwortete des Knaben helle Kinderstimme im Indianerdialekt, »Wila will zu den Leuten seines Stammes gehen, er hat das Herz eines Deutschen und nicht das eines Saulteux.«

Nach einer Weile sprach der Häuptling: »Tugensik ist traurig, denn Ni-hi-tha will zu ihrem Volke wandeln, sie liebt es mehr als die Saulteux. Sie hat eine Schnur an ihrem Herzen befestigt und diese verbindet sie mit den Leuten ihrer Farbe. Kummer wird einziehen in die Dörfer meines Stammes, wenn Ni-hi-tha scheidet – aber die Saulteux werden sie nicht gegen ihren Willen halten. Ni-hi-tha – mag gehen mit den Bleichgesichtern. Allein sie hat einen diebischen Huronen bei sich, der sich wie ein elendes, schleichendes Wiesel bei Nacht in unser Wigwam stahl, dieser muß hier bleiben.«

Athoree hatte bisher finster und ernst der Unterredung gelauscht. So sehr er sich zu bemeistern verstand, war sein Naturell doch den wild leidenschaftlichen Ausbrüchen des indianischen Temperaments unterworfen, und da in ihrer gegenwärtigen Lage nichts mehr zu erhoffen war, er vor allem von seiten der Verfolger kein Erbarmen zu erwarten hatte, fürchtete er auch nichts mehr.

Auf die Hohnrede des Häuptlings entgegnete er in zorniger Aufwallung: »Ich höre einen Hund winseln, der angstvoll den Schwanz zwischen die Beine klemmt, wenn er die Stimme eines Wyandot vernimmt. Ich will den Hund sehen.«

Mit einem Satze war er vor der Höhle, den gellenden Kriegsruf seines Stammes ausstoßend, und feuerte seine Büchse nach links hin ab, wo er den Redenden vermutete und wo dieser auch wirklich sich befand. Aber der schlaue Saulteux stand gedeckt und die Kugel Athorees erreichte ihn nicht.

Ebenso rasch, als er hinausgestürzt war, sprang er zurück, sofort eifrig ladend.

Ein furchtbares Wutgeschrei, begleitet von Schüssen, erfüllte draußen die Luft.

Das gellende Heho! der Indianer wurde mit zehnfacher Wucht von den den See einfassenden Felswänden zurückgeworfen und hallte so in der Höhle wider. Es war ein greulicher Ausbruch tierischer Wildheit, welche sich in diesem Heulen, das nichts Menschenähnliches mehr hatte, geltend machte und die Ohren der Hörer betäubte.

Luise bot bei diesen Lauten ein Bild des furchtbarsten Entsetzens. Aufgerichtet, den Kopf vorgebeugt, die Augen weit geöffnet, bleich wie eine Tote stand sie da: »Walther! Walther!« klang es in Tönen aus ihrem Munde, welche nur die Todesangst der menschlichen Brust erpreßt. »Walther! Sie töten dich! Der Wilde! Blut! Ha – Blut – Walther –« und sie schlug in krampfhaften Zuckungen hart auf den Boden nieder.

Draußen ließen sich rasche Schritte leichter Füße vernehmen und die Feinde erschienen in ungestümem Andrang im Eingange der Höhle, mit wilder Gebärde und noch wilderem Geschrei ihre Tomahawks schwingend. Aus Rücksicht auf das Leben Luisens war ihnen die Anwendung der Schußwaffe untersagt worden.

Athoree hatte nicht geladen, der Graf sich zu seiner Schwester niedergebeugt, Michael und Heinrich standen überrascht da; schon waren die Feinde in der Höhle, als Johnson, der sich dem Eingange zunächst befand, mit der Riesenkraft, die ihm eigen war und welche der ausbrechende Kampfeszorn wohl verdoppelte, den vordersten der Eindringlinge ergriff, wie einen Säugling emporhob und mit so gewaltiger Wucht auf die andern schleuderte, daß diese sämtlich zurückgeworfen wurden. Sie stürzten mit einem solch unwiderstehlichen Anprall rückwärts auf die, welche ihnen nachdringen wollten, daß zwei davon bis in den See taumelten, die andern am Boden lagen. Von neuem faßten die ehernen Hände des gereizten Mannes zu, und zwei Feinde, die er emporriß, flogen ungestüm zur Höhle hinaus. Ein Tritt fegte den letzten hinweg, der weit ins Wasser hineinflog. Die draußen am Boden Liegenden waren mit erstaunlicher Schnelligkeit zurückgekrochen.

Der ebenso überraschend als mit wildem kriegerischem Feuer ausgeführte Angriff war abgeschlagen worden.

Tiefes Schweigen herrschte nach dem grimmen Kampfeslärm.

Edgar und der Knabe waren angstvoll um Schwester und Mutter beschäftigt, welche immer noch in Zuckungen am Boden lag.

Endlich richtete sie sich auf und schaute mit starren Blicken um sich. Dann verbarg sie schaudernd das Antlitz in den Händen und sank wieder zurück.

Der Graf ließ sich neben ihr nieder und legte ihren Kopf an seine Brust.

Es war ganz still in der Höhle und alle Blicke waren auf die unglückliche Frau gerichtet, nur der Indianer stand nach außen hin lauschend da.

So vergingen angstvolle Minuten. Eine Stimme draußen, welche wie aus der Höhe herab klang, unterbrach plötzlich das Schweigen.

Athoree zuckte zusammen bei den Lauten, er hörte die Sprache der Huronen.

»Die Saulteux,« so drang es zu seinen Ohren, »haben wiederum die Grenze der Wyandots überschritten. Wir haben einmal ihren Angriff abgewiesen und sind von neuem bereit, sie hinwegzujagen von unserm Boden, wenn sie nicht sofort freiwillig gehen. Hier stehen fünfzig meiner jungen Männer, bereit ihre Skalpe zu nehmen. Sie hingen schon an unsern Gürteln, wenn der große Vater in Washington es nicht verboten hätte, das Schlachtbeil auszugraben. Wir gehorchen ihm. Geht.«

Keine Antwort erfolgte, still blieb es draußen.

Endlich, nach einem langen angstvollen Schweigen, ließ sich dieselbe Stimme in englischer Sprache vernehmen: »Die Saulteux sind fort, ein Freund spricht zu den Bleichgesichtern, der Häuptling der Wyandots. Ist er willkommen?«

Athoree stand in sich gekehrt da, der Graf hielt seine Schwester im Arm, so trat Johnson hinaus, um der Frage zu antworten.

Auf dem schmalen Pfade, welcher zur Höhle führte, stand der alte Huronenhäuptling, den sie bereits gesehen hatten, hinter ihm und auf den Felsen ringsum eine starke Schar seiner Krieger. In trotzigem, finsterem Schweigen zog drüben die kleine Zahl der Saulteux ab.

»Der Huronenhäuptling ist uns willkommen, er brachte Rettung aus großer Gefahr,« begrüßte ihn Johnson.

Der Alte trat an ihm vorübergehend in die Höhle, warf einen raschen Blick auf die darin Befindlichen, ließ ihn auf Athoree haften, der mit niedergeschlagenen Blicken dort stand, zog langsam sein Messer aus der Scheide, trat dicht zu ihm, richtete die Waffe nach dessen Brust – der Sohn Sumachs atmete schwer, aber stand bewegungslos da– und fragte: »Will der Enkel Meschepesches das Messer des Häuptlings seines Volkes im Herzen fühlen, oder will er sich morgen vor dem Rat der Alten einfinden, sein Urteil zu empfangen?«

Der alte Mann sprach mit einem würdigen Ernste, dem es nicht an Feierlichkeit gebrach.

Athoree richtete die dunklen Augen auf ihn und sagte langsam: »Der Enkel Meschepesches wird morgen vor den Häuptlingen seiner Nation stehen.«

»Es ist gut.« Und Hayesta steckte das Messer wieder in die Scheide, wandte sich von ihm weg und zu Edgar, welcher das Haupt der Schwester in den Schoß ihres weinenden Kindes gelehnt und sich erhoben hatte.

Im Eingang standen Huronenkrieger, aber keiner nahm Notiz von Athoree, dieser begegnete nur ernsten Blicken.

Der Häuptling streckte Edgar mit freundlichen Blicken die Hand entgegen.

»Du fochtest für die Wyandots, als der Saulteux sie angriff; wir helfen dir, da diese Hunde deinen Skalp begehren. Das gut.«

»Du kamst zur rechten Stunde.«

»Mein Auge sah, wie die jungen Männer der Saulteux zu Boden fielen; wer besitzt die Stärke des zur Wut gereizten Bären?«

Der Graf stellte ihm Johnson vor.

Staunend blickten Hayesta und seine Leute die seltsame Gestalt des weißhaarigen Mannes an.

»Mein Bruder ficht gewaltig wie der braune Herr der Wälder, ich bewundere ihn.«

»Ich danke Gott, Indianer, daß er mir die Körperkräfte verliehen hat, die hier erforderlich waren, um Gefahr abzuwenden,« erwiderte Johnson, der nach dem rasch verloderten Kampfeszorn ruhig wie immer dastand.

Das Auge des Huronen richtete sich auf die bewußtlose Luise.

»Die Squaw ist krank. Ist sie verwundet?«

»Nein, nicht verwundet, der Schrecken stürzte sie in Krämpfe danieder, und ich fürchte, ihr Geist ist jetzt völlig umnachtet.«

Der Indianer hörte mit ehrfurchtsvollem Staunen von dem Geisteszustande Luisens.

»Der Häuptling der Bleichgesichter wird mich begleiten zu den Wigwams der Huronen, er ist willkommen.«

»Gern nehme ich deine Gastfreundschaft auf einige Tage an; doch wie gelangt meine Schwester in diesem Zustande dorthin.«

»Wir werden sie tragen, sanft, wie das Kind am Herzen der Mutter ruht.«

Er rief seinen Leuten einige Worte zu, die dann ebenso schnell als geschickt aus Aesten und ineinander geflochtenen Zweigen eine Tragbahre herstellten.

Alle verließen hierauf die Höhle und stiegen den engen Felspfad neben derselben zum Walde hinauf. Edgar trug die immer noch ohnmächtige Schwester auf der Schulter.

Oben bettete man sie auf die mit Laub und wollenen Decken zum weichen Lager hergerichtete Tragbahre, und Edgar, Johnson, Heinrich und Michael trugen sie dem voranschreitenden Indianer nach, während der Knabe traurig daneben einherging.

»Wenn meine weißen Freunde müde sind, werden Huronenkrieger die kranke Frau tragen,« sagte Hayesta.

So geschah es. Willig wechselten kräftige rote Männer mit den bisherigen Trägern während des Marsches ab.

»Fürchtet der Wyandothäuptling nicht, daß die Saulteux uns nachsetzen?«

»Sie dürfen es nicht wagen, sie sind zu schwach an Zahl. Auch werden sie von meinen jungen Kriegern beobachtet.«

»Wie kam es, daß du mit solcher Mannschaft hier wärest? Gedachtest du einen Einfall in das Land der Saulteux zu machen?«

»Nein, die Wyandots graben die Streitaxt nur aus, wenn der große Vater in Washington es befiehlt. Einmal trieb mich die Besorgnis vor einem neuen Angriff der Feinde an die Grenze unsrer Reservation, und dann dachte ich, auch meinen Freunden nützen zu können, denn der Saulteux ist falsch und redet mit zwei Zungen. Als ich den Rauch gewahrte, wußte ich, daß der Saulteux da und wo er war. So kam ich hierher.«

Der Graf teilte ihm ihre jüngsten Erlebnisse mit.

Ernst hörte Hayesta zu und nickte, als Edgar den Mut und die Geistesgegenwart Athorees rühmte, mehrmals mit dem Kopfe.

Dieser schritt in düsterem Schweigen hinter der Tragbahre her. Keiner der andern Huronen sprach mit ihm oder beachtete ihn nur, obgleich der Graf bemerkte, daß ihn verstohlen hie und da der bewundernde Blick eines jüngeren Mannes streifte.

Die seltsame Scene in der Höhle, als der Alte mit gezücktem Messer auf seinen tapferen Führer und Mitkämpfer losschritt, war ihm trotz der Besorgnis um die Schwester nicht entgangen.

Er sagte zu dem neben ihm schreitenden Häuptlinge: »Athoree ist mein Freund, der mich hierhergeleitet und treu und tapfer mit großer Hingebung an meiner Seite gefochten hat. Wie ich bemerke, ist eine Wolke zwischen ihm und seinem Volke und das tut mir leid. Was ist es, das den befiederten Pfeil den Wyandots entfremdet?«

Kurz entgegnete der Alte: »Nicht jetzt, morgen hören, darf nur vor den Häuptern der Nation davon gesprochen werden.«

Edgar teilte seine Aufmerksamkeit zwischen seiner Schwester und seinem Neffen, den der Zustand der Mutter tief betrübte.

»Wird sie sterben, Onkel Edgar?« fragte er mit Tränen in den Augen.

»Gott wird es verhüten, Wilhelm.«

»Weißt du,« sagte er leise, »da in der gräßlichen Höhle erinnerte sich zum erstenmal die Mutter daran, wie der Vater unter den Tomahawks der Bluthunde, dort am Manistee, starb, darum wird sie auch wohl so krank sein. Sie hatte es ganz vergessen und glaubte immer, der Vater würde kommen.«

»Der tödliche Schreck damals hat ihr das Erinnerungsvermögen geraubt, Wilhelm.«

»Und wird sie wieder gesund werden?«

»Wenn Gott meine innigen Gebete erhört, ja, Kind.«

»Gott wird schon hören,« entgegnete der Knabe innig, »Gott ist gut, sagte die Mutter, wenn sie mich abends beten ließ. Aber wenn er so gut ist,« fuhr er fort, »warum ließ er dann den Vater so gräßlich sterben? O, o, ich werde es nie vergessen.«

»Wer kann Gottes Ratschlüsse ergründen? Dein Vater ist jetzt in des Himmels ewiger Seligkeit.«

»Und da kommen mir auch hin, nicht wahr?«

»Wenn wir gut und brav sind, ja.«

»O, Vater war gut, Onkel.«

»Gewiß, mein Kind, das weiß ich.«

Nach einem für die Träger sehr anstrengenden Marsche bot sich endlich die Gelegenheit, die Kranke auf dem Rücken eines Baches, in einem Kanoe sanft gebettet, nach dem Dorfe der Huronen zu führen, wo sie abends anlangten und freundlich von allen empfangen wurden.

Man brachte Luise in einer Hütte unter und sorgte gastfreundlich für die Männer. Athoree suchte seine Mutter auf.

»Ich wußte wohl,« sagte der Ire zu Johnson, »daß mir glücklich aus dem Felsenloche herauskommen würden, denn Seine Gnaden stehen beim lieben Gott in besonderer Gunst. Das aber, was Ihr dort vollbracht habt, Johnson, das macht Euch niemand, selbst der stärkste Bursche in Leitrim, nicht nach. Wetter, wie die roten Halunken hinausflogen!« Und Michael lachte bei der Erinnerung an die ihm sehr vergnügliche Scene herzlich in sich hinein.


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