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Viertes Kapitel

Der Onkel Meschepesches.

Graf Edgar, der durch die im Ringkampfe mit Morris erlittenen Hautabschürfungen und sonstigen Verletzungen eine Zeitlang unangenehm belästigt worden war, hatte durch die von Grovers Frau ihm verordneten Heilmittel so weit Linderung gefunden, daß er sie kaum noch fühlte; doch war Ruhe für noch einige Tage geboten, ehe er sich den Anstrengungen einer Reise durch die Wälder, ohne Nachteile befürchten zu müssen, wieder aussetzen durfte.

In Sinnen verloren weilte der Offizier am Tage nach der Rückkehr von der wilden Jagd unter einer breitblätterigen Sykomore, unweit des Blockhauses, zu deren Fuße ein roh gefertigter Tisch, von Bänken umgeben, ein angenehmes, schattiges Plätzchen bot.

War ihm auf seiner Reise durch Ohio und quer von Detroit durch Michigan bis zum Muskegon die Art und Weise des Lebens auf den Farmen nicht unbekannt geblieben, so befand er sich doch hier zum erstenmal während seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten an der Grenze der Zivilisation, in Gegenden, in welchen das Gesetz seine Macht bereits verloren hatte, wo jeder Mann bewaffnet sein und seine Waffen gelegentlich brauchen mußte, um sein Leben oder Eigentum zu schützen.

Wenn er sich vergegenwärtigte, daß seine Schwester, die ihm noch als zarte Erscheinung vorschwebte, umgeben von der Liebe und Fürsorge zärtlicher Eltern, und all dem äußeren Schmuck des Lebens, wie ihn ein vornehmes Heim in Deutschland bieten konnte, in ein solch wildes Waldtreiben mit seinen Mühen und Entbehrungen und Gefahren geschleudert worden war, so überkam ihn ein Gefühl unsäglicher Trauer.

Nach den Mitteilungen, die ihm der alte Baring, gemacht hatte. zweifelte er nicht, daß sie und ihr Knabe schon längst nicht mehr unter den Lebenden weilten.

Daß er den Indianerstamm aufsuchte, der damals den Angriff auf die unbeschützten Farmen am Manistee ausgeführt hatte, stand fest bei ihm, wie, daß er weder Zeit noch Mühe und Geld sparen durfte, um Gewißheit über das Ende der ihm teuren Menschen zu erlangen.

Rauh war das Land, in welchem er sich befand, rauh die Bewohner desselben, aber diese wohl geeignet, den Kampf mit allen Mühseligkeiten eines solchen Lebens aufzunehmen und siegreich zu Ende zu führen.

Eine wilde, aber kernige Menschenklasse. Was ihm noch am meisten imponierte, war, daß diese rohen Waldleute solch hohe Achtung vor der Majestät des Gesetzes hatten, wenn sie dasselbe auch gelegentlich auf ihre Art selbst ausübten.

Gleichzeitig hatte er in den wenigen Tagen, die er am Muskegon weilte, auch den Auswurf des Landes kennen gelernt, der sich hier an der Grenze des Urwaldes herumtrieb.

Er erkannte klar genug, daß eine Reise durch die Wälder, selbst mit einem erprobten und erfahrenen Führer, nicht ohne Gefahren sei, um mehr als er und Heinrich weder mit dem Urwald und seinen Geheimnissen, noch mit der Art der wilden Eingeborenen vertraut waren.

Doch das schreckte weder den tapferen Offizier, noch hielt es den Bruder ab, seine Pflichten zu erfüllen, und daß bekannte oder unbekannte Gefahren Heinrich nicht einschüchterten, wußte er.

Während er so in Sinnen verloren im Schatten der Sykomore weilte, kam Grover aus den Feldern zurück und setzte sich zu ihm.

»Kalkuliere, Fremder, langweilt Euch – seid an die Städte und ihr Treiben gewöhnt,« sagte er, nachdem er seinen Gast begrüßt hatte.

»Nicht doch, Mister Grover, die Einsamkeit und Eintönigkeit dieser endlosen Wälder mit ihrer feierlichen Stille hat etwas Ueberwältigendes für mich und versetzt mich in gehobene Stimmung, außerdem habe ich Sorgen, die keine Langeweile aufkommen lassen.«

»Seid entschlossen. Mann, nach Norden zu gehen?«

»Gewiß.«

»Ist ein mildes Land da oben, habe es kennen gelernt. Gehören erfahrene Waldleute dazu, um es zu bereisen. Möchte Euch gerne einen tüchtigen Führer mitgeben. Was meint Ihr denn nun zu dem Indianer, nachdem Ihr ihn im Walde bei der Arbeit gesehen?«

»Ich muß gestehen, der Mann flößt mir Zutrauen ein, Grover.«

»War gestern abend wieder höllisch im Nebel, wie er sagt, wird wohl seinen Rausch noch nicht ausgeschlafen haben.«

»Und doch verweigerte er den Whisky während unsres Streifzuges.«

»Ja, es ist merkwürdig genug, daß er bei seinen Jagden und bei einer Affaire, wie die unsre, sich der geistigen Getränke zu enthalten vermag. Ich würde ihm ja nicht so viel Rum geben und habe ihn ihm auch früher schon verweigert, aber dann geht er einfach davon bis zum nächsten Store und betrinkt sich dort. Es ist nicht leicht, mit diesen Leuten umzugehen. Ich habe früher viel mit Indianern gehandelt und so manche Beobachtungen gemacht, es ist eine besondere Art Menschen und man lernt sie nie auskennen.«

»Sprecht Ihr Ihnen gute Eigenschaften ab?«

»Nein, das tue ich nicht. Der Indianer ist erstens unbezweifelt tapfer, und das ist schon etwas, sie sind auch klug in ihrer Art, und ich höre ja, es sei hie und da der Regierung gelungen, sie seßhaft zu machen und zu Ackerbauern zu erziehen. Aber ich bestreite ihnen die unbedingte Zuverlässigkeit und Treue. Es ist eine trotzige, eitle und deshalb leicht verletzliche Rasse, sehr zum Lügen geneigt und, wenn ihre wilden Instinkte entfesselt werden, geradezu furchtbar, ein Tiger ist dann ein Lamm gegen diese heulenden Wilden.«

»Ich habe es schaudernd gehört.« – Nach einer Weile fuhr der junge Mann fort: »Und haltet Ihr diese Leute nicht auch edler Empfindungen fähig?«

»Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, ich hätte je eine Probe davon gesehen, obgleich, wie ich ja schon bei Baring erzählte, unser John sich wiederholt sehr gefällig gegen uns erwiesen hat.«

»Sollte nicht manches in ihrer Handlungsweise aus der Art und Weise resultieren, mit welcher sie von den Europäern behandelt worden sind, denn ganz gut ist man mit den ehemaligen Besitzern dieses Bodens wohl nicht umgegangen.«

»Ist ein Fakt, Fremder, ist nicht immer redlich mit ihnen verfahren, sind hie und da wie wilde Tiere behandelt und von den schuftigen Agenten greulich betrogen worden.«

»Da seht Ihr.«

»Ist ein Fakt. Sind aber trotzdem tückische Gesellen und ganz ist keinem von ihnen zu trauen. Will Euch deshalb nicht zureden. den John mitzunehmen, ob ich gleich nichts gegen den Mann zu sagen weiß, und ich die Jahre, die er bei uns zubringt, gut mit ihm ausgekommen bin.«

»Wenn der Mann mit mir gehen will, ich will ihm gerne die Führung anvertrauen und ihn reich bezahlen.«

»Wenn ich nur dahinter kommen könnte, was den John eigentlich von seinen Stammesgenossen fern hält? Ein Indianer von den Seen oben ist er, das ist sicher, aber er will nicht heraus mit der Sprache, welchem Stamme er angehört. Es müssen da ganz besondere Gründe vorliegen. Seit Menschengedenken hat sich in diesen Gegenden außer John kein Indianer blicken lassen. Die sind längst alle nach Norden vertrieben morden oder auf Reservationen angesiedelt, wie die Ottawas, Pottawatomie, Huronen und wie diese roten Völkerschaften alle heißen. Wollt Ihr, Fremder, den John mitnehmen, fraglich ist es ja, ob er geht, so will ich Euch nicht abreden, denn geschickt und tapfer ist der Mann, das habt Ihr ja selbst gesehen und, was bei Eurer Fahrt nicht zu unterschätzen ist, ein trefflicher Jäger, aber – auch nicht zureden.«

»Nach dem, was ich von ihm gesehen habe, bin ich entschlossen, wenn er will, ihn mitzunehmen.«

»Gut. – Was ich noch sagen wollte,« äußerte der Wirt nachdem er sich einigemal geräuspert hatte, »wäre mir angenehm. Fremder, wenn Ihr die Sache nicht erwähnen wolltet –«

»Welche Sache –?«

»Nun, daß ich da oben am Muskegon den Kinderstreich beging und die Büchse losgehen ließ. Ich könnte mich ja selbst dafür ohrfeigen, aber wird es hier bekannt, so hänseln mich die Bursche so, daß ich ein Haus weiter ziehen müßte, und das möchte ich nicht.«

Lächelnd entgegnete der Graf: »Seid unbesorgt, Grover, ich erwähne die Sache nicht, aber wie ist's mit dem Indianer?«

»Der spricht nicht. Wenn Ihr aus einem Indianer etwas herausbekommen wollt, dann müßt Ihr's schlau anfangen – Schwatzen ist ihre Sache nicht.«

»Keine üble Eigenschaft.«

»Hallo! alter Biber, Grover, wo steckst du?« schallte eine kräftige Stimme von der Straße herüber – und der greise Baring ritt an die Fenz heran.

Erfreut erhob sich Grover und ging ihm entgegen. Der Graf folgte ihm.

»Alter Biber,« lachte der fröhliche Alte. »Hier ist Joe Baring, deinen Besuch zu erwidern, laß tafeln. Mann, ich fühle mich dir ebenbürtig in Bezug auf wölfischen Appetit.«

»Bist willkommen, Joe Baring, und sollst vor dem Verhungern geschützt werden,« sagte dieser munter und schüttelte dem Freunde die Hand, der dann abstieg und, nachdem der stets bereite Jim ihm das Pferd abgenommen, auf den Grafen zutrat und ihm die Rechte reichte. »Müßt gedacht haben, ist der alte Joe Baring kein Mann von Wort, weil er seinen Brief nicht schreibt. Hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ist freilich keine leichte Aufgabe, Fremder, so ein Ding wie einen Brief fertig zu bringen. Sind's nicht gewöhnt. Mann, müssen zu viel die Pflugschar, die Axt und die Büchse handhaben, aber noch schwieriger wird die Sache, wenn kein Papier vorhanden ist. Hatten keine Handbreit davon im Hause, schreiben selten. Schickte herum bei den Nachbarn, weit und breit, habe aber erst gestern etwas Papier bekommen und mich dann gleich an die Arbeit gemacht, ist glücklich gelungen. Kalkuliere, ist ein Brief so gut wie irgend einer,« und dabei holte er ein merkwürdig zusammengefaltetes und mit Gummi verklebtes Schriftstück aus der Tasche, dem mit einer eckigen, unsicheren Kinderhandschrift die Adresse aufgeschrieben war.

»Mag vielleicht nicht ganz regelrecht sein, aber, kalkuliere, ist ein richtiger Brief, und Tom Myers wird ihn schon lesen.« Damit überreichte er dem Grafen sein Kunstwerk, der es mit Dank in Empfang nahm.

»Es kommt auf die Form wenig an, wenn nur der Inhalt gut ist, Mister Baring.«

»Habt recht, Mann. Der Inhalt muß gut sein, beim Menschen – wie bei – willst du mich verhungern und verdursten lassen, Bill?« donnerte er Grover an und lachte dann herzlich, fortfahrend – »wie bei Flaschen.«

»Nelly, Nelly!« rief Grover zum Hause hin, »hier verdurstet ein Mann –«

»Muß doch deiner Lady erst guten Tag sagen – und wo sind denn die Kinder?«

Da erschienen auch Grovers Frau und dessen Töchter bereits in der Türe und bewillkommneten den alten Freund und Nachbar herzlich.

»Sollt nicht verschmachten, Mister Baring,« sagte die Frau, »ist in Grovers Landing immer etwas zu finden, den Durst zu löschen. Ist's Euch gefällig einzutreten?«

»Danke, bleibe hier unter der alten Sykomore, Mistreß Grover – ist ein liebliches Plätzchen.«

»Wie Ihr wollt.«

Während sie sich ins Haus begab, um Anordnungen zur Bewirtung des Gastes zu treffen, begrüßte der muntere Baring die Töchter Grovers, welche schüchtern knicksten.

»Freut mich, Mädchen, euch so munter zu sehen – habt Wänglein wie ein junger Jerseyapfel – und Lippen wie Rosenknospen –«

»Hör auf, hör auf, alter Joe, mach mir die Mädchen nicht eitel. Glaubt's nicht, Kinder, Baring macht nur Komplimente. Ist stets ein loser Schelm gewesen, treibt seinen Spaß mit euch.«

»Ist nicht wahr, Mädchen –«

»Seid Nachteulen, sage ich euch –«

»Grover,« schrie Baring, »kleine Posaunenengel sind's.«

Die Mädchen lachten, der Alte erst recht – und auch Grover stimmte ein – selbst dem Grafen lockte die Scene ein Lächeln ab.

»Geht ins Haus, Mädchen, und helft der Mutter,« worauf das hübsche, frische Schwesternpaar ins Haus eilte.

»Prächtige Kinder sind's, Grover, ist ein Fakt.«

»Nun,« sagte der geschmeichelte Vater, »können sich sehen lassen.«

Die drei setzten sich an den Tisch, welcher bald reichlich mit Speisen und Trank besetzt war.

»War John Turnbull bei mir,« nahm Baring im Laufe des Mahles das Wort, »hat mir eure Jagd erzählt, Grover. Hätte ich's nur gewußt, wäre dabei gewesen, geht mir das Herz auf bei einer solchen Frolic. Schlimm nur, daß die Bursche entkommen sind, wird denen am White River wenig angenehm sein, kalkuliere ich.«

»Das Land muß gereinigt werden von diesen Gesellen und wenn die Miliz aufgeboten werden muß,« sagte Grover ernst. »Keine einsam liegende Farm ist ja sicher vor ihnen.«

»Ja, wenn Wälder und Prairien nicht wären.«

»Und die Hehler, sage. Die Spitzbuben, die sich hier eingefunden hatten, und vor allen der Iltis, müssen doch anderwärts sowohl als hier einen Unterschlupf finden. Der Iltis ist sicher schon längere Zeit hier in der Gegend verborgen gewesen, wenn man nur erfahren könnte, bei wem? Im Walde oder in den Sümpfen kann er sich doch nicht fortwährend herumgetrieben haben. Und bekannt ist ja dieses Raubtiergesicht genug. Hat die Gelegenheit bei Jones ausspioniert und dann mit seinen Gesellen den Raub ausgeführt.«

»Wird so sein. Am meisten bedaure ich, daß euch der Morris entgangen ist, drei Jahre lang hat er sich jetzt der Gerechtigkeit zu entziehen gewußt, und wer weiß, was er in dieser Zeit für Untaten ausgeführt hat?«

»Ist bedauerlich, ja.«

»Was nur aus dem armen Johnson geworden sein mag?«

»Weiß es niemand, Grover, ist verschwunden, denken alle, hat sich das Leben genommen. »Kennt die Geschichte, Fremder?«

»Ich habe einiges davon gehört.«

»Ist 'ne traurige Sache. Wohnte da am Kalamazoo, südwärts von uns, der Mann Johnson. Habe ihn gekannt, war ein rechter Mann, wohnte, wie wir hier hausen, einsam auf seiner Farm. Hatte eine Frau und zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Ließ sie eines Tages allein zu Hause, was ja oft genug geschah; war dieser gefährliche Mensch, der Morris, der wegen Mordes und Diebstahls bereits dem Henker verfallen war, dorthin gekommen, während ihm die Männer vom Grand River schon auf der Fährte waren, hat, um zu rauben, das arme Weib und die Kinder gemordet, genommen, was an Geld zu finden war, und das war wenig genug, Johnsons bestes Pferd aus dem Stall gezogen und ist so entkommen. Als Johnson am Abend nach Haufe kam und das Liebste, was er auf der Welt hatte, tot vor sich sah, ist er ganz still gewesen, hat kein Wort sprechen können, war wie versteinert. Hat auch keinen Laut mehr hören lassen, sagen die Nachbarn, hat in einer Ecke gesessen und ist ganz still gewesen. Sind die Nachbarn gekommen und haben Frau und Kinder begraben. Schweigend und tränenlos ist Johnson mitgegangen. Ist dann beim Grabe allein geblieben, hat auf keinen Trostspruch gehört, war am andern Morgen fort – hat sein Eigen, alles verlassen. Denken alle, hat sich der Mann ein Leids angetan.«

»Es ist furchtbar,« sagte der junge Graf und schauderte leicht zusammen.

»Ging wie ein Schrei der Wut durchs ganze Land, als die Tat ruchbar wurde. Ist alles aufgeboten worden, den Mörder zu fangen, haben ihn nicht erwischt. Nun erscheint er wieder zwischen uns, um abermals zu entkommen. Jammerschade!«

»Jetzt begreife ich ganz die Wut, mit welcher dieser entsetzliche Mensch verfolgt wird.«

»Wird ihm nicht gut ergehen, wenn unsre Leute ihn ergreifen, kalkuliere, wird einige schlimme Stunden haben, werden den Henker nicht bemühen, ist die Tat vom Kalamazoo nicht vergessen,« sagte Baring, »Ist nicht zu vermeiden, daß solches Gesindel sich hier an den Grenzen herumtreibt. Suchen wie wilde Tiere die Einsamkeit der Wälder, wenn sie verfolgt werden, und Not und Verzweiflung treiben sie zu neuen Verbrechen. Ist der Auswurf der Städte und dichter bewohnten Bezirke, der uns hier im Hinterwald zu teil wird. Machen darum nicht viel Umstände mit den Burschen, wenn mir sie fassen und die Sache klar ist. Hatten den Battle freilich vor die Jury gestellt, saß im Countyhause, wäre aber entwischt, wenn nicht der Konstabel und schließlich der Indianer, der John, gewesen wären. Ist eine Lehre für uns, werden zunächst selbst die Ausübung der Gerechtigkeit in die Hand nehmen.«

»Ich sehe wohl, nach dem, was ich erfahren, ein, daß hier ein energisches Eingreifen am Platze ist. Was Medikamente nicht heilen, heilt Eisen.«

»Ist ein Uebergangsstadium, Fremder, sind noch halbwilde Leute hier, wird anders werden, wenn das Land mehr besiedelt ist. Hatte der Iltis einen Store, weiter unten am Muskegon, ähnlich wie hier Grover, war nichts weiter als ein Hehler, und um dies saubere Geschäft zu verdecken, hielt er den Store. War der Tyron sein Spießgeselle, und auch der Morris trieb sich damals im Lande unter dem Namen Brooker herum, war noch vor der Tat am Kalamazoo. Kamen ihnen endlich auf die Sprünge, als wir aber das Nest ausnehmen wollten, war es leer, hatten das Nachsehen. War viel damals gestohlen worden, besonders Pferde. Habe mit Erstaunen von dem Sumpfe und seiner Furt gehört, wundere mich, daß das nicht früher entdeckt worden ist. Muß es der Battle, der damals die Raubzüge kommandierte, wundervoll verstanden haben, sich und seine Beute zu verbergen. Traute sich der Bursche doch wieder ins Land, bekam ihm schlecht, wie Ihr gehört habt. Werden auch diese Gesellen noch ins Garn laufen.«

»Möge die irdische Gerechtigkeit sie bald erreichen.«

Nach einer Weile fuhr Baring fort: »Seid also entschlossen, die Ottawas aufzusuchen?«

»Ja, Mister Baring.«

»Ist recht. Haben da jetzt einen Häuptling Peschewa, einen geriebenen Fuchs. War sicher vor drei Jahren auch am Manistee dabei. Hat aber seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen gewußt und ist jetzt das Haupt des Stammes. Ich glaube, er ist für Geschenke sehr zugänglich, und wird Euch, wenn Eure Gabe ihm genügt, vielleicht beistehen. Ist eine heikle Sache, bei den Ottawas überhaupt von der ganzen Geschichte am Manistee zu reden, wollen nichts davon hören. Haben Furcht, daß die Regierungsmänner noch einen oder den andern am Schöpfe nehmen. Macht ihnen nur bald plausibel, daß Ihr kein Amerikaner, kein Engländer seid, sondern ein Deutscher, kalkuliere, werden Euch dann mit freundlicheren Augen ansehen. Sind auf uns nicht gut zu sprechen. Alles andre, wie Ihr die Reise einrichtet und so weiter, wird Euch Tom Myers schon sagen, hat eben mit den Indianern zu tun, ist sein Departement.«

Ein kräftiges: »Hallo, Grover!« meldete die Ankunft eines neuen Gastes. Es war der Konstabel Weller, von welchem der Anruf ausging.

Er stieg ab und man hieß ihn willkommen.

Der energische und erfahrene Beamte, der ebenso umsichtig als mutig die Gegend von dem Raubgesindel zu säubern suchte, erfreute sich bei den Farmern allgemeiner Achtung.

»Bin erfreut, Euch zu sehen, Konstabel,« sagte Baring und schüttelte ihm die Hand.

»Von wo des Weges, Weller?« fragte ihn Grover.

»Komm von der Big Prairie, Mann, mußte doch sehen, wie die Sache dort aussah.«

»Nun?« fragten begierig die Männer.

»Das Prairiefeuer hat nicht weit um sich gegriffen, sobald der Wind nachließ, erstarb es auch, war schon zu viel junges Gras zwischen dem vorjährigen, hätte Euch sonst schlimm ergehen können. Den Wald hat's gar nicht angegriffen.«

»Und die Räuber?«

»Haben, wie ich vermutet, sich nach dem White River zugewendet. Ist übrigens schon Botschaft dahin ergangen, wird bald bekannt sein, welche Gäste sich dort eingefunden haben. Jetzt weiß ich übrigens auch, wer der vierte des Kleeblatts war, den Ihr mir schildertet.«

»Wer war's? Sehe den Kerl noch vor mir.«

»Ist ein gewisser Wilfers, ein äußerst gefährlicher Bursche, um so gefährlicher, als er die Manieren der feinen Städter hat. Ist Advokat gewesen, dann Spieler, Mörder. Hat eine alte Frau einer Erbschaft wegen vergiftet. Er rettet sich, sobald man ihm in den Städten auf die Spur kommt, stets in den Hinterwald, was ihn übrigens nicht verhindert, sobald er sich die Mittel dazu verschafft hat, wieder in den Städten aufzutauchen und diese zu brandschatzen. Er ist ein gewiegter Verbrecher und in einem guten Teile der Union bekannt. Wäre kein übler Fang gewesen, bemühen sich mehrere Staaten um die Ehre, ihm frei Logis zu geben und ihn dann mit dem hänfenen Halsband zu schmücken.«

»Werdet Ihr an den White River gehen. Weller?«

»Nein, ist schon alles Nötige veranlaßt, um die Gesellen zu verfolgen. Ist eine schwierige Sache, sie nach Norden hin aufzuspüren. Werden sich natürlich trennen, müssen eine andre Gelegenheit abwarten, ein Wörtchen mit ihnen zu reden.«

Im Verlaufe des Gespräches erfuhr der Konstabel von der Absicht des Grafen, nach Norden aufzubrechen und die Ottawas aufzusuchen, auch der Zweck dieser Reise wurde ihm bekannt gegeben.

»Hm, hm,« äußerte der Beamte, »seid der Bruder von Frau Walther, Mann? War damals mit am Manistee, bin hinter den Wilden hergewesen, als wir sie in die Flucht geschlagen hatten. Erinnere mich auch noch sehr gut der Nachforschungen, welche nach der verschwundenen Frau und dem Kinde angestellt wurden. War Joe Baring der Mann, der sich der Sache annahm.«

Graf Edgar drückte dem Alten herzlich die Hand.

»Versucht's, Fremder, beruhigt Euer Gemüt, aber versprecht Euch keine Aussicht auf Erfolg. Es ist merkwürdig, wie schweigsam die Ottawas über diese ganze dunkle Affaire sind; so viel Verhöre auch stattgefunden haben, aus keinem der roten Bursche war auch nur etwas herauszubekommen, was Licht in die Sache gebracht hätte. Und dabei haben sie sie fortgeschleppt, die Frau und das Kind, daran ist gar kein Zweifel.«

Er bestätigte lediglich nur das, was auch schon Baring gesagt hatte.

»Will Euch was sagen. Fremder,« fuhr er dann fort, »habe früher mit den Ottawas zu tun gehabt in dienstlichen Angelegenheiten, habe mal einem alten Weibe das Leben seines verschmachteten Kindes gerettet, hat mir das Weib, welches vor Dankbarkeit vergehen wollte, einen Totem gegeben, das ist so ein Erkennungs- und Schutzzeichen unter den Leuten roter Farbe, hat mir auf die Seele gebunden, es zu benützen, wenn ich jemals von ihren Stammesgenossen etwas bedürfe. Will Euch das Ding geben, werde schwerlich wieder mit dem Volke in Berührung kommen, habe das Ding die Jahre her mehr aus Gewohnheit als einem andern Grunde bei mir getragen.« Dabei zog er einen kleinen Gegenstand aus der Tasche, der sich bei näherer Betrachtung als ein roh aus Holz geschnitzter Vogel auswies. Das Ding wanderte von Hand zu Hand.

»Wenn das Weib noch lebt, sie nannte sich eine Miskutake, merkt Euch den Namen, das heißt Bohnenblüte, ob sie gleich aussah wie ein: vertrocknete Rübe, so kann sie Euch vielleicht für Euren Zweck von Vorteil sein. Nehmt das Ding mit Euch, nützt's Euch nichts – so bringt's ja auch keinen Schaden.«

»Ich nehme es mit Dank an, Herr Konstabel, und hoffe, das Zeichen soll mir Vorteil bringen.«

»Mag es sein. Fremder.«

»Ist eine eigene Sache mit diesen Totems der Wilden,« ließ Baring sich vernehmen, »haben ihre Bedeutung und werden auch von den Leuten respektiert. Haben unter sich ganz wunderliche Gebräuche die Roten, man kann nur nicht ordentlich dahinter kommen, so viel man's auch schon versucht hat.«

»Ah, da kommt ja John, dem wollen mir das Ding einmal zeigen.«

Langsam schritt der Indianer auf die Gruppe unter der Sykomore zu, um das Gesicht hing feucht das schwarze Haar hernieder.

Er pflegte nach überstandenem Rausche den Kopf in kaltem Wasser zu baden, und das mußte er auch jetzt getan haben.

Als er vor den Männern stand, die ihn schweigend herankommen ließen, richtete er die Augen aus Edgar und sagte: »Kommen danken, Gutherz schenken Athoree schönes Messer – er sehr freuen.«

Der Graf hatte ihm in der Tat ein schönes Jagdmesser von vorzüglichem Solinger Stahl, und reich ausgestattet, geschenkt, was dem Indianer großes Vergnügen bereitet hatte. Er trug die schöne Waffe, welche wenig zu seiner ärmlichen Kleidung paßte, jetzt im Gürtel.

»Es freut mich, Athoree, wenn das Messer dir gefällt, mögest du noch manchem Hirsch den Genickfang damit geben.«

Grover, der den Totem gerade in der Hand hatte, hielt ihn jetzt dem Indianer vor Augen und fragte: »Was ist das, John?«

Athoree sah die Figur an, ohne eine Muskel seines Gesichts zu bewegen, und sagte langsam: »Das, denke Totem von roten Leuten.«

»Kennst du's nicht?«

»Nicht kennen.«

»So bist du also kein Ottawa?«

Der Indianer ließ sein dunkles Auge im Kreis herumschweifen, antwortete aber nicht.

»Kannst du erkennen, John, welchem Stamme dieser Totem angehört?«

Der Indianer nahm die Figur in die Hand, betrachtete sie genau und antwortete dann: »Jedes Volk eigene Totems, ihn nicht kennen, vielleicht Ottawa.«

»Glaubst du denn, daß ein solcher Totem dem, der ihn trägt, Nutzen bringen kann?«

»Totem, gut, bei rotem Mann, rechter Totem.«

»Ich verstehe, du willst sagen, wenn einem roten Mann ein Totem seines Stammes gezeigt wird, so ist es vorteilhaft für den Träger desselben?«

»So meinen.«

»Um so mehr weiß ich jetzt Ihr Geschenk zu schätzen, Herr Konstabel, wir wollen diesen Talisman verwenden, sobald wir mit den Ottawas zusammenkommen.«

»Wolltest du etwas, John?« fragte ihn Grover.

»Athoree will mit Gutherz reden.«

»O, ich stehe dir zu Gebote, Athoree,« sagte Graf Edgar und erhob sich. »Willst du mich allein sprechen?«

»Ihn allein sprechen. Komm mit.«

Er ging und der Graf folgte ihm, während die andern unter der Sykomore zurückblieben.

Der Indianer führte Graf Edgar schweigend zum Flusse, lud ihn dort ein, das Kanoe zu besteigen, und ruderte dann den Muskegon hinauf.

Der junge Mann fügte sich dem Indianer und richtete keine Frage an ihn.

Nach kurzer Frist legte Athoree an dem linken Ufer an und ging in den Wald, wohin Graf Edgar ihm nachging.

Vor einem Erdaufwurf von ziemlichem Umfang, der sich kahl zwischen den Bäumen erhob, stand der Indianer still.

Nach einer Weile sagte er leise, in fast feierlicher Weise: »Grab von großem Häuptling.«

»O,« sagte der Graf, »ist das der Grabhügel eines Mannes deines Volkes?«

»Gebeine von großem Häuptling ruhen hier. Stammt Athoree von Meschepesche, dem großen Panther meines Volkes, ab.«

»Er enthält also die Gebeine deines Ahnherrn?«

»Großer Häuptling – der Wyandots. Athoree Wyandot. Nicht sagen hier, Gutherz; fragen immer nach Stamm, brauchen nicht zu wissen, Gutherz wissen, Athoree Wyandot, das genug, nicht andern sagen.«

»Ich will darüber schweigen.«

»Sagen ihm, damit nicht denken Ottawa; Wyandot ganz ander Volk, andre Sprache.«

Er ließ sich auf einem am Boden liegenden Stamm nieder und Graf Edgar setzte sich neben ihn.

»Hier Grab von großem Häuptling der Wyandots – lange tot – vor vielen Sommern in glückliche Jagdgründe gegangen. Jagten einst die Wyandots hier in den Wäldern, dies ihre Jagdgründe, wohnten hier, war das Land von See zu See ihr Eigentum. Lange her – lange her. Sind arm die Wyandots, arm und schwach – wohnen jetzt weit fort, an anderem See.«

»Also es leben noch Leute deines Volkes?«

Athoree nickte.

»Leben noch viel – sind arm.«

»Und du lebst von deinem Volke getrennt, Athoree?«

Der Indianer senkte den Kopf und erwiderte erst nach einiger Zeit: »Leben nicht bei Wyandots – ich nicht sagen, warum, nicht jetzt. Wollen nicht bei andrem roten Mann wohnen. Leben hier, damit einst begraben werden hier bei großem Vater.«

»Warum hast du mich hergeführt?«

»Will mit dir allein reden, hier reden, reden am Grabe von meines Volkes Häuptling. Hier nur Wahrheit reden, der große Panther hört es.«

Leise säuselte der Wind in den Blättern. Die tiefe Stille des Waldes, der alte Grabhügel vor ihm, der Sprößling eines Volkes, welches einst hier herrschte, neben ihm, der feierliche Ton, in welchem der Indianer mit ihm sprach, das alles machte auf den Grafen besonderen Eindruck.

Es beschlich ihn ein Gefühl, als ob der Geist des alten Indianerhäuptlings sie umschwebte.

Er blickte in seines roten Gefährten ernstes Gesicht und sagte: »Athoree möge reden.«

»Erst sagen, warum gehen zu Ottawa?«

»Es ist dir schon mitgeteilt, ich suche die Spur meiner Schwester, welche die Ottawas vor drei Jahren vom Manistee in die Gefangenschaft geführt haben, und du sollst nun helfen, sie zu finden.«

»Nicht mehr Spur finden – Sonne, Wind und Regen Spur längst verweht.«

»Vielleicht lebt sie noch in der Gefangenschaft der roten Männer.«

»Nicht wagen, weiße Frau gefangen halten – nicht wagen,« sagte der Indianer nachdrücklich.

»Und lebt sie nicht mehr, so will ich ihre letzte Spur auf Erden, ihr Grab suchen.«

»Gut. Athoree suchen und finden Meschepesches Grab, suchen deiner Schwester Grab, ihn auch finden.«

»Und willst du mir beistehen?«

»Du gesehen Athoree im Nebel, dicker Nebel, dreimal, einmal. Du gut gegen fremden betrunkenen Indianer, schützen ihn gegen rote Hand – du Gutherz – nicht vergessen. Du denken, Athoree schlechter Injin, weil trinken Rum, viel Rum, bis Nebel ganz dick im Kopf. Trinken nicht auf Jagd, nicht auf Kriegspfad, trinken, wenn böse Gedanken kommen, viel böse Gedanken, Rum scheuchen sie weg, und Athoree sehen glückliche Jagdgründe vor sich, sehen die Wyandots, wie sie noch herrschen im Land, und zahlreich sind, wie die Blätter des Waldes. Darum Athoree trinken.«

»Nun, ich habe zu meiner Freude gesehen, daß du, sobald ernste Forderungen an dich herantreten, auch dem Rum entsagen kannst.«

»Immer nur trinken, wenn der böse Geist Degschuhvenoh sendet schlimme Gedanken.«

»Ich schenke dir, Athoree, wenn du mich begleiten willst, mein volles Vertrauen.«

»Da» gut, ihm vertrauen, das gut.«

»Und willst du mit mir gehen?«

»Ich will mit dir gehen nach Norden. Vielleicht sendet mich Manitou dorthin – vielleicht,« setzte er leiser hinzu, »der böse Geist – Athoree will gehen und dich beschützen.«

»Gut, ich danke dir.« Und der Graf reichte ihm die Hand, die der Indianer mit einem freundlichen Lächeln nahm und drückte.

»Meschepesche alles hören, nicht Lüge sagen, wo er hören – gerade Zunge, eine Zunge.«

»Das setze ich voraus.«

Der Indianer stand auf und bestieg langsam den Totenhügel, den er, seitdem er in dessen Nähe weilte, durch Entfernung der ihn überwuchernden Pflanzen emsig pflegte. Oben begann er leise zu singen in nicht unmelodischen langgetragenen Tönen. Dreimal umschritt er in der Höhe den Hügel, dann verstummte sein Gesang, und er kam wieder herab.

»Meschepesche sagen, daß Athoree gehen mit weißem Mann nach Norden, ihm sagen, sonst denken, Enkel undankbar gegen großen Vater. Komm, Gutherz, jetzt gehen.«

Bald befanden sie sich wieder in Grovers Heim, wo noch immer Baring weilte, während der Konstabel sich bereits entfernt hatte. Der junge Mann teilte den beiden mit, daß der Indianer ihm erklärt habe, er wolle ihn begleiten.

»Es ist ein hohes Zutrauen, John, welches dir der Fremde schenkt, und wie ich dich kennen gelernt habe, wirst du es rechtfertigen.«

»Athoree nur eine Zunge, ihn führen hin, ihn führen her.«

Es wurde nun noch mancherlei über die Fahrt in die Wälder gesprochen und dem Grafen Ratschläge erteilt. Besonders aber ihm empfohlen, sich in Lansing vorerst die nötigen Empfehlungen zu verschaffen.

In freundlich väterlicher Weise nahm dann Baring Abschied von ihm, ihn wiederholt bittend, ihm von den Resultaten seiner Forschungen Mitteilung zu machen, was Graf Edgar versprach.

Am andern Tage erhandelte er dann zwei Pferde von Jones, das eine für sich als Ersatz für das von Morris geraubte Tier, ein andres für den Indianer, und am Morgen des dritten Tages traten sie, Athoree stattlich mit neuer Kleidung ausgerüstet, die ihm der Graf gekauft hatte, nach einem herzlichen Abschiede von den braven Grovers, die den jungen deutschen Edelmann lieb gewonnen hatten, die Reise nach Süden zu an, den Weg, den sie vor wenig Tagen gekommen waren.


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