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Vierzehntes Kapitel.

Verzweiflungskampf.

Die Nacht war dunkel und stürmisch. Eilende Wolken flogen am Himmel vorüber, zwischen denen hie und da ein Stern freundlich herniederleuchtete, um sofort hinter schwarzem Wolkenrande wieder zu verschwinden.

Die Wälder rauschten ringsum und der See schlug schäumende Wellen, welche an dem kleinen Bollwerk, welches die Boote schützte, sich hochaufspritzend brachen.

Die Männer schliefen, auch die Sergantin, nur Sumach war wach und Frances. Die alte Frau schlich im oberen Stock des Hauses umher, blickte durch die Luken oder horchte mit scharfem Ohre hinaus, doch verschlangen das Wogen des Waldes, der aufschäumende See jedes andre Geräusch, welches etwa zu ihrem Ohre hätte dringen können.

Mehrmals erhob sich Athoree, öffnete die Türe und schlich hinaus, um durch die Schießscharten nach den Feinden auszuspähen. Seine Mutter hielt dann an der Pforte Wache, bis er zurückkehrte.

Im oberen Zimmer saß bei der Lampe Schein Frances Schuyler. Sie hatte zu schlafen versucht, doch vergeblich. Sie saß aufrecht, hatte die Hände im Schoße gefaltet und blickte starr vor sich hin. Das holde Antlitz, dessen Anmut durch den ihr für gewöhnlich eigenen ernsten Ausdruck nicht beeinträchtigt wurde, hatte tiefe Trauer überzogen. Sie bot in ihrer Ruhe das Bild stiller Ergebenheit in ein unvermeidliches Schicksal. Stundenlang saß sie so bewegungslos und nur ein tieferer Atemzug zeugte manchmal von Leben. Trotzdem sie bereits früher mit dem Vater in einsamen Grenzgarnisonen geweilt hatte, war dort das Leben zwar einförmig aber ruhig verlaufen. Bücher, Musik, die Sorge für den Vater bildeten ihre Unterhaltung.

Die Ehrfurcht einflößende Kriegergestalt ihres Vaters, eines Offiziers von ebenso hoher Einsicht als unerschütterlicher Tapferkeit, von jener ruhigen Art, welche selbst dem Schicksal Trotz zu bieten scheint, sein hochgebildeter Geist, sein vornehmer Sinn, dem weit ab lag, was uns, wie der große Dichter sagt, alle bändigt, bildete für sie die Idealgestalt eines Mannes.

Die innige Liebe des Obersten, die seit dem Tode ihrer Mutter sie noch zärtlicher umgab als vorher, war das Glück ihres bisher so ruhigen Daseins. Ihr eigenes Wesen ging auf in Bewunderung und Liebe, dem Vater dargebracht.

Zum erstenmal waren ihr heute die Greuel des mörderischen Krieges, der Schrecken des Todes entgegengetreten, und doch hatte sie bei dem wilden Ritt unter den Kugeln tückischer Feinde und dem Donner der Geschütze mehr an ihren Vater und die Gefahr gedacht, welcher er ausgesetzt war, als an sich selbst.

Trotz der Vorsicht, welche man angewendet hatte, um sie im unklaren über das Geschehene zu lassen, waren ihr die hier verübten Greuel nicht verborgen geblieben. Sie bewunderte um so mehr die ruhige Zärtlichkeit ihres Vaters, mit welcher er sie über das Bedenkliche der Lage hinwegzutäuschen suchte, als die Offizierstochter genügend von den Schrecknissen eines Kampfes, wie er ihnen bevorstand, unterrichtet war, und Einsicht genug besaß, um die drohenden Gefahren vollauf zu würdigen.

Fest entschlossen war Frances Schuyler, im Fall eines unglücklichen Ausgangs nicht lebendig in die Hände der Wilden zu fallen.

So weilte sie hier im einsamen Stübchen, während der Wind die Hütte umsauste und oftmals seltsame Töne hervorbrachte, und Todesahnung machte das arme Herz erbeben, umschattete den sonst so klaren Geist.

Einmal war die alte Sumach zu ihr gekommen, hat sie eine Zeitlang schweigend beobachtet, dann ihr die Hand gestreichelt und in gebrochenen englischen Lauten gesagt: »Weiße Rose nicht traurig. Athoree fechten, großer Wyandotkrieger, toter Mann fechten, alle fechten. Nicht traurig, alles gut.«

Bei dem Worte »toter Mann« – sie wußte nicht, daß man Johnson diesen Namen gab – schauerte Frances zusammen und Bilder des Schreckens stiegen vor ihrem inneren Auge auf.

Sie drückte der alten Frau, deren Augen aus dem runzelvollen, unschönen Gesicht freundlich auf sie blickten, die Hand, dann schlich diese wieder hinaus, um von neuem Wache zu halten, und Frances blieb mit ihren düsteren Gedanken allein.

Nichts konnte einem verstohlenen Angriff der Wilden günstiger sein, als diese Nacht, deren tiefe Dunkelheit den Gesichtskreis arg beschränkte, wahrend der heftige Wind im Rauschen der Bäume und im Plätschern des Sees jedes Geräusch erstickte, welches die Bedrohten von der Annäherung der Feinde unterrichten konnte.

Dazu kam noch die verhältnismäßig große Ausdehnung der Umwallung. Das Sergeantenhaus war dem Tore gegenüber errichtet und konnte dies unter sein Feuer nehmen. Zu seiner Rechten, etwa zwanzig Schritte entfernt, lag indes das Kommandantenhaus, welches einem eindringenden Feinde Deckung bot, und zu seiner Linken, im länglichen Viereck, das Blockhaus, welches der Mannschaft zum Aufenthalt gedient hatte.

Zwar hatten die Männer die Wände der kurzen Seiten entfernt, so daß ein Schußfeld durch das Gebäude hin eröffnet war, aber die Rückwand bot einem Feinde noch Schutz genug und erlaubte ihm, gedeckt bis auf zwanzig Schritte dem Sergeantenhaus zu nahen.

Als die Sterne im Osten zu erbleichen begannen und die Zeit heranrückte, in welcher die nordamerikanischen Indianer am liebsten ihre Ueberfälle ausführen, weckte Athoree die Männer alle. Er, der Oberst, Johnson und der Konstabel begaben sich in den ersten Stock, während Edgar, Heinrich und Michael unten blieben.

Sie nahmen sämtlich Stellung an den Schießscharten und blickten, die Büchsen bereit haltend, hindurch.

Totenstille herrschte im Hause, während draußen der Wind stärker rauschte.

Vom oberen Stock konnte man die Pallisaden vollständig übersehen, wenn auch über die beiden Gebäude, die Kaserne und das Offiziershaus, nur die Spitzen derselben hervorragten.

Selbst das scharfe Auge Athorees hatte in der Dunkelheit nicht gewahren können, daß bei seinem letzten Rundgang schon Feinde im Graben lagen, welche, wie man vermutet hatte, zu Leitern hergerichtete Bäume mit sich führten. Die Nacht und der Wind hatten ihnen erlaubt, unbemerkt heranzukommen und sich unter den Ecken der Bastionen niederzukauern, wo sie vor dem Feuer aus dem Fort geschützt waren.

Wiederholt Leuchtkugeln steigen zu lassen, hatte man nicht für zweckmäßig erachtet, denn es verhinderte das Anschleichen der Feinde doch nicht, und konnte bei einem plötzlichen nächtlichen Angriff, der ja doch möglich war, trotz der Abneigung der Indianer gegen Nachtkämpfe, leicht dazu führen, daß einer oder der andre, welcher vom Walle herab das Feld beobachtete, von ihrer letzten Zufluchtsstätte abgeschnitten wurde. Aus diesem Grund hatten sie es vorgezogen, sich auf das Sergeantenhaus zu beschränken und dort der Dinge zu harren, welche kommen sollten.

Die Männer standen kampfbereit in tiefem Schweigen da.

Da, wo die Pallisaden das Dach des Offiziershauses ein wenig überragten, schob sich, Johnson bemerkte es trotz des geringen Lichts, vorsichtig ein Arm herüber, dem bald darauf der Kopf folgte.

Johnsons Büchse entlud sich, und die Stelle der Pallisaden, an welcher sich der Mann gezeigt hatte, war leer, als der Dampf verflogen war.

Gleichzeitig aber schwangen sich auf der entgegengesetzten Seite zwei Indianer über die Pallisaden und verschwanden hinter der sich dem Walle entlang ziehenden Rückwand der Kaserne. Athoree und der Konstabel feuerten, doch wahrscheinlich bei der Schnelligkeit der Bewegung der Eindringlinge ohne Erfolg.

So war nun der Kampf eröffnet.

Die Blicke der Männer im oberen Stock überflogen die Pallisaden, die im unteren erfuhren durch den Knall der Büchsen, daß der Angriff begonnen habe, aber keiner der Feinde war ihnen zu Gesicht gekommen.

Von den zwei Verwundeten, die im Erdgeschoß lagen, schrie der von heftigem Wundfieber heimgesuchte Sergeant, als die Gewehre sich entluden: »Hurra!« Dann kommandierte er: »Das Gewehr fällt! Trumm, trumm, trumm, trumm!« Und er ahmte den eintönigen Trommelschlag des Sturmmarsches nach. »Vorwärts! Hurra!« Und dann lachte er wie ausgelassen.

Seine Frau saß betend an seinem Bette. Leutnant Sounders, obgleich auch fiebernd, war bei Sinnen und lauschte aufgeregt dem Kampfeslärm.

Im oberen Stock lag Frances auf den Knieen, innige Bitten zum Allmächtigen emporsendend, und in einer Ecke kauerte Sumach, bald auf den Büchsenknall horchend, bald den ihr unverständlichen Worten des Mädchens lauschend. Denn sie begriff sehr wohl, daß ihre Gefährtin zum großen Geiste der weißen Menschen rief.

Die Männer standen schußbereit.

Wiederum schwangen sich auf Johnsons Seite zwei dunkle Gestalten über die Pallisaden und verschwanden hinter dem Offiziershause, welches sie schützte.

Johnson hatte zwar geschossen, aber der Raum zwischen dem First des Daches und dem oberen Rande der Pallisaden war zu klein, als daß bei der großen Gewandtheit und Schnelligkeit der Ottawas, gewiß der jüngeren Mitglieder der Bande, das Feuer Erfolg haben kannte.

Die Indianer, welche sich nunmehr im Fort befanden, riefen den draußen Stehenden etwas zu.

Athoree sagte zum Oberst: »Acht geben, kommen jetzt zu Tor herein.«

»Fassen Sie das Tor ins Auge!« rief Schuyler Edgar zu.

Dieser übersetzte Heinrich des Obersten Worte und alle drei, Michael hatte auch eine Muskete genommen, aber nichtsdestoweniger seinen Shillalah neben sich stehen, richteten die Läufe auf das Tor.

Fünf, sechs Schüsse wurden jetzt durch die Schießscharten der Pallisaden auf das kleine Blockhaus abgegeben. Eine Kugel traf den Lauf der Muskete, welche Michael ziemlich weit durch die Oeffnung geschoben hatte, und schlug sie ihm unsanft aus der Hand.

Der Ire stieß einen grimmigen Fluch aus.

»Heimtückische Halunken! – So ein Ding taugt gar nichts, Ew. Gnaden, mein Stock ist besser.«

Lächelnd entgegnete ihm der Graf: »Du mußt den Lauf nicht so weit hinausstecken, Michael. Dein Shillalah ist zu rechter Zeit gewiß eine gute Waffe, wie wir gesehen haben, aber einstweilen ist auch eine Muskete nicht zu verachten. Nimm ein andres Gewehr.«

Der Ire gehorchte.

Von beiden Seiten der Pallisaden wurde jetzt auf die Schießscharten der Blockhütte gefeuert, ohne daß Schaden verursacht worden wäre, und zugleich erhob sich draußen ein wildes Geheul. Zum Erstaunen aller sprangen bei diesen Lauten gleichzeitig zwei junge Indianer, einer hinter der Kaserne, der andre hinter dem Offiziershause hervor und setzten in weiten Sprüngen auf das Tor zu.

Die Ueberraschung der Männer war so groß, daß einige Sekunden vergingen, ehe sie feuerten, dann aber spie das kleine Haus gleichzeitig sieben Feuerströme aus.

Doch schon waren die mit pantherartigen Sätzen vorstürmenden beiden Wilden am Tor.

Johnson und Heinrich waren Männer, welche den Hirsch im Sprunge zu treffen gewöhnt waren, und beider Kugeln trafen. Sie hatten sich leider dasselbe Ziel gewählt. Der Getroffene fiel, der andre aber riß mit gellendem Jubelschrei den Riegel zurück, das Tor öffnete sich, ungestümem Andrang nachgebend, und herein stürmte, Peschewa voran, die ganze Schar der Ottawas, unter ihnen drei weiße Männer, mit ohrzerreißendem Kriegsruf.

So rasch es anging, hatten die Schützen im Hause nach andern Gewehren gegriffen und einige Schüsse empfingen die Heranstürmenden, welche sich aber mit großer Geschwindigkeit hinter den beiden Gebäuden verloren.

Der fiebernde Sergeant ließ von neuem sein »Hurra!« hören. »Das Gewehr fällt! Stecht sie nieder, die Hunde! Hurra!«

Ein tiefes Schweigen folgte dem wilden Ausbruch draußen.

Im Erdgeschoß forderte Edgar Michael auf, die abgeschossenen Gewehre zu laden, und ein gleiches zu tun, erbot sich oben der Oberst, indem er sagte: »Ihr seid die besseren Schützen, Männer, bleibt an den Scharten, ich mache euch die Waffen schußfertig.«

»Was wird jetzt kommen, Heinrich?« äußerte der Graf.

»Es gibt nur zwei Dinge, entweder hauen sie mit Aexten Bresche, oder sie räuchern uns aus.«

Der Graf sah nach der gefüllten Spritze, welche hinter ihnen stand.

»Das erstere würde ihnen viel Blut kosten, denn diese Eichenbalken sind nicht leicht zu zerhauen, und den Angriff mit Feuer wollen wir abwarten.«

Immer noch blieb es still draußen und von den Feinden war nichts zu gewahren.

Wahrscheinlich berieten sie den weiteren Angriffsplan.

Der Oberst hatte die Gewehre geladen und ging nun in das andre Zimmer zu seiner Tochter.

Auf den Rat von Sumach hatte sich Frances in einer Ecke niedergelassen, damit nicht eine durch die Schießscharten eindringende Kugel sie verletze, und neben ihr saß die alte Indianerin mit demselben gleichmütigen Ausdruck des Gesichts, den sie für gewöhnlich zeigte.

»Mein Herzenskind ist gefaßt?« fragte Schuyler mit ruhiger Zärtlichkeit.

»Ich bete für dich, Vater,« entgegnete sie mit bebender Stimme leise, und ein Blick voll liebender Besorgnis strahlte aus dem schönen Auge, als es sich auf des Obersten hohe Gestalt richtete.

»So, recht mein Kind, das gibt Kraft im Sturm.«

»Hast du noch Hoffnung, Vater?« fragte sie fast tonlos.

»Diese Citadelle ist uneinnehmbar, wir werden sie halten, bis Hilfe kommt. Fasse Mut, Frances.«

»Ich habe Mut, Vater, ich bin auf das Schlimmste vorbereitet.«

Er küßte sie auf die Stirn und sagte mit tiefer Bewegung: »Nicht auf das Schlimmste, das verhüte Gott. – Doch, was uns auch treffen mag. Glück oder Unglück, wir tragen es zusammen, Herzenskind. Und nun sei meine tapfere Tochter.«

Er küßte sie noch einmal und ging hinaus. Ihr Blick folgte ihm, bis er verschwunden war, dann sagte sie leise: Mein heldenhafter Vater, Gott schütze dich und – mich.«

Der junge Tag war da.

Der Sonnenball stand bereits über dem Horizonte und sandte eine Flut strahlenden Lichts hernieder.

Der Wind hatte sich gelegt und nur die Wellen des Sees rauschten noch auf.

Kräftige Axtschläge ließen sich hinter den Gebäuden hören, und bald zeigte es sich, daß ein Teil der Angreifer in das Kommandantenhaus gedrungen war, von welchem aus man das Blockhaus gut beschießen konnte.

Ein vorwitziger Ottawa schob auch bereits seinen Büchsenlauf zu einem der Fenster heraus, doch kaum erschien seine Stirn über dem Fensterrande und das über den Lauf hinblitzende Auge, als auch Johnsons sichere Kugel hineinfuhr. Lautlos stürzte der Ottawa zurück. Die Axtschläge dauerten hüben und drüben fort. Bald zeigte es sich, daß die ins Offiziershaus eingedrungenen Feinde ebenfalls Schutzvorrichtungen an den Fenstern anlegten, sie bedienten sich dazu einfach der Balkenwände, welche die inneren Räume des Gebäudes trennten.

Diese Beschäftigung wurde durch zwei Schüsse empfindlich gestört, welche fast gleichzeitig Athoree aus dem oberen, Heinrich aus dem unteren Stock abgaben – zweimal gab ein jäher Schmerzensschrei kund, daß die Kugeln saßen.

Im Kommandantenhause wandte man von da ab die größte Vorsicht an, um dem Gegner keine Zielobjekte zu bieten, denn jeder Schuß der Belagerten kostete den Angreifern Blut.

Unaufhörlich dröhnten von der Rückwand der Kaserne, hinter der Peschewa mit einem Teile seiner Leute sich befand, Axtschläge her.

Der Oberst begab sich hinunter.

»Unsre Festung hält sich, Graf.«

»Wenigstens wollen wir sie halten, bis uns die Balken über dem Kopf zusammenstürzen.«

»Ja, wehren wollen wir uns,« entgegnete Schuyler mit dem Ausdruck der unerschütterlichen Festigkeit, welche oft im dichtesten Schlachtgetümmel seine Krieger ermutigt hatte. »Die eifrige Tätigkeit der Axt hier hinter der Kasernenwand deutet darauf hin, daß der Feind einen besonderen Angriff plant. Ich bin herabgekommen. um den Raum von hier aus besser überblicken zu können. Daß sie es mit Feuer versuchen werden, halte ich für wahrscheinlich, doch sind die dicken Balken der Wände und des Daches Schutz genug, und Feuerungsmaterial an das Haus zu bringen, wird ihnen unter unsern Büchsen schwerlich gelingen.«

Das Feuer war auf beiden Seiten gänzlich verstummt und nur die Axtschläge gaben Zeugnis von der Anwesenheit der Feinde, von denen keiner vor diesen todbringenden Büchsen auch nur seinen Schatten blicken ließ.

Das Tor stand weit offen, in seiner Mitte lag die Leiche des erschossenen jungen Indianers.

»Wie halten sich Ihre Leute, Herr Graf?«

»Vortrefflich. Mein Heinrich ist ein Held und Michael kampfbegierig wie ein Berserker.«

»Wie ist dir jetzt zu Sinne, Sohn der grünen Insel?« redete Schuyler den Iren an.

»Ganz gut, Ew. Gnaden, Herr Oberst, mir werden schon mit den Schuften fertig werden. Sie sollen nur in den Bereich meines Shillalah kommen, und wenn sie dann mit ganzen Schädeln nach Hause gelangen, will ich nicht meiner Mutter Sohn sein.«

»Brav, mein Junge; die Irländer sind stets tapfere Leute gewesen, und wie ich sehe, machst du keine Ausnahme.«

»Darauf dürfen sich Ew. Gnaden, Herr Oberst, verlassen, jeder Bursche aus Leitrim ficht, solange sich sein Arm nur regen kann.«

»Nun, halte dich wacker. Mann, es geht ums Leben,«

Der Oberst lugte zu verschiedenen Schießscharten hinaus, doch war nichts wahrzunehmen, was auf die Absicht des Feindes schließen lassen konnte.

»Wir werden ja sehen,« sagte er; dann ging er wieder hinauf.

Während die Indianer sich schweigend verhielten, hörte man mehrmals die rauhen Stimmen von Morris und Tyron, ohne jedoch verstehen zu können, was sie sagten.

Der Konstabel, der ein verwegener Mann und seinem Berufe eifrig ergeben war, welcher im Kampfe mit den Ausgestoßenen hier an den Grenzen der Zivilisation große Gefahr mit sich führte, wurde nicht wenig dadurch geärgert, daß er die Stimmen der von ihm Verfolgten so nahe vor seinem Ohre hören mußte, ohne sich an sie wagen zu können!

Als wieder die laute Stimme von Morris vernommen wurde, welche diesmal näher und verständlicher mit einem: »So ist's recht, Leute, das wird's tun!« zum Konstabel herüberdrang, bezwang er seinen Grimm nicht länger und rief hinüber: »Morris, Bluthund, hörst du?«

Einen Augenblick schwieg's hinter der Kaserne, dann ließ sich die Stimme des Mörders wieder vernehmen, nicht ohne einiges Erstaunen im Ton: »Wer seid Ihr denn, alter Bursche?«

»Wirst's schon erfahren. Mann. Suche dich schon lange, um dir das hänfene Halsband anzulegen, dir und deinen Freunden.«

»Segne meine Seele!« schrie Morris, »das ist Weller, der Konstabel.« Und die drei Mordgesellen brachen in ein wieherndes Gelächter aus.

»Segne meine Seele, seid zur rechten Zeit gekommen. Kommt 'raus, will Euch gestatten, mir das Halsband umzulegen.«

Wiederum erscholl das höhnische Gelächter.

»Lacht nur, Mordbuben! Gibt so ein Ding, das heißt Gesetz, und gibt einen da droben, der es mitunter selbst handhabt. Werdet dem Galgen nicht entlaufen.«

»Wollen's versuchen, alter Konstabel. Hast mir oft das Leben verbittert, Spürhund, sitzest jetzt in der Falle. Warte nur, wird gleich zuklappen.«

»Komm,« rief der Mann, »wollen dich empfangen, Geselle!«

Damit schloß dieser überraschende Dialog, und die Tätigkeit der Aexte begann wieder.

Gern hätte der Oberst einen Blick nach außen auf die Wälder geworfen, doch das Dach des Hauses ragte nicht über die Pallisaden hinweg, und war auch hie und da ein Blick durch die Schießscharten möglich, so war doch der Raum, welcher dem Auge sichtbar wurde, sehr beschränkt.

Die geheimnisvolle Tätigkeit der Feinde flößte ihm Besorgnis ein, und um so mehr, als er sie bei ihrem Vorgehen durch drei weiße Männer unterstützt wußte, welche in allen Praktiken des Grenzkrieges erfahren genug waren.

In ununterbrochener Wachsamkeit vergingen die Stunden.

Der Oberst wußte seine Aufregung unter einer ruhigen Außenseite zu verbergen, und richtete von Zeit zu Zeit tröstende Worte an Frances oder freundliche an einen der Mitkämpfer.

Der eiserne Konstabel nahm das Ganze als die gleichgültigste Sache von der Welt, und machte nur seinem Grolle gelegentlich Luft, indem er in seiner derben Weise derer gedachte, welche zu verfolgen er ausgesandt war. Athoree trug den finstern Stoicismus zur Schau, der seiner Rasse so eigentümlich ist, während Johnson eine ruhige Ergebenheit in die Fügungen des Schicksals zeigte.

In hoher Aufregung war Graf Edgar, der das Verderben unaufhaltsam herannahen sah, ohne Mittel, ihm entgegenzutreten, doch fiel kein Schatten von Furcht in seine Seele. Als ein tapferer Soldat, der mehr als einmal dem Tode ins Auge gesehen hatte, nahm Heinrich die Sache.

Michael hingegen verließ sich mit rührendem Zutrauen auf Edgar.

»Ew. Gnaden,« sagte er, »werden uns schon aus dieser Sache heraushelfen, Ew. Gnaden können alles.«

»Ich will wünschen, Michael, daß dich dein Vertrauen in meine Fähigkeit, zu helfen, nicht täuscht.«

Frances brachte martervolle Stunden zu.

»Was denkt Ihr, Konstabel, von unsern Angelegenheiten?« fragte diesen gelegentlich der Oberst.

»Kalkuliere, Oberst,« und Weller schnitt sich kaltblütig ein Stück Kautabak zurecht, »ist eine unheimliche Sache, hier so ruhig zu sitzen, während die draußen eine Teufelei vorbereiten. Wäre mir lieber, die Wilden heulten und tanzten draußen herum. Haben was vor, daß sie so still sind.«

»Und habt Ihr noch Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang?«

»Will Euch was sagen, Oberst; bin schon in schlimmeren Affairen gewesen, bin immer glücklich herausgekommen, wird auch hier der Fall sein. Schert mich das heulende Indianergesindel wenig, wir nehmen es mit einem ganzen Stamm auf, aber wurmt mich, daß die drei Spitzbuben mich durch ihre Anwesenheit verhöhnen, jage schon seit drei Jahren hinter ihnen her, bin das ganze alte Mich auf ihren Spuren durchlaufen.«

»O, hätte ich deine kaltblütige Ruhe,« dachte der Oberst, »aber du hast kein Kind innerhalb dieser Wände.«

Die Indianer hatten auf beiden Seiten hinter den sie schützenden Gebäuden Feuer angezündet, deren weißer Rauch sich hoch erhob.

Daß von seiten der Belagerten ununterbrochene Aufmerksamkeit dem Feinde gewidmet wurde, verstand sich in der Lage der Dinge von selbst.

Ein Jubelschrei hinter der Kaserne richtete ihre Blicke dorthin.

Das Gebäude lag, wie gesagt, durch Hinwegnahme der kurzen Seitenwände seiner ganzen Länge im Innern nach schußfrei da, nur die Wand nach dem Walle zu, dem die Kaserne sich parallel hinzog, schützte die Belagerer vor den Schüssen aus dem Sergeantenhause, dessen Lage nicht erlaubte, ihre Rückseite zu bestreichen.

Nicht ohne Staunen sahen alle, wie sich langsam am entgegengesetzten Ende des länglichen Hauses quer eine Balkenwand vorschob, welche bald fast ganz den Raum, der ihren Büchsen offen lag, ausfüllte.

Diese bewegliche Barrikade zeigte mehrere Schießscharten.

»Sie haben sich einen Schutz hergerichtet, um ungefährdeter schießen zu können,« äußerte der Oberst.

Vergeblich wäre es gewesen, auf die starken Balken zu feuern; auch deren Oeffnungen für die Gewehre, es waren nur wenige, boten keine Gelegenheit, eine Kugel anzubringen.

Das anfängliche Staunen über die sich geheimnisvoll seitwärts vorschiebende Wand nahm etwas Schreckhaftes an, als diese sich langsam durch die Kaserne vorwärts zu bewegen begann, auf das Blockhaus zu, langsam aber stetig.

Die Augen der Schützen waren auf die in ihr sich öffnenden Schießscharten gerichtet, doch an diesen ließ sich nichts erblicken.

So war die Wand, welche sich über Mannslänge erhob, einem Sturmbock gleich, langsam aber unwiderstehlich durch die Kaserne vorgerückt und befand sich kaum zwanzig Schritt von dem Hause, dem der Angriff galt, entfernt.

Ein Schuß war währenddessen weder von hüben noch drüben gefallen.

Der Oberst kam herunter.

»Was meinen Sie dazu, Herr Graf?«

»Das Unheil rückt näher.«

»Wir wollen einmal gemeinschaftlich auf die Balkenwand schießen und sehen, ob sie dem Anprall von sieben Kugeln widersteht. Halten wir alle in die Mitte und gefeuert wird auf mein Kommando.«

»Gut.«

Der Graf, Heinrich und Michael legten sich in Anschlag, oben taten der Oberst und die andern das gleiche.

»Feuer!« Und sieben Kugeln schlugen gleichzeitig in die Wand.

Sie wankte unter dem Anprall einen Moment, stand aber gleich darauf wieder fest.

Ein höhnisches Gelächter ließ sich hinter ihr hören und drei Büchsenläufe erschienen in den Schießscharten, deren Kugeln mit großer Präzision in die Schußöffnungen des Blockhauses im Erdgeschoß hineinfuhren. Da die Verteidiger sich abgewendet hatten, um neue Gewehre zu nehmen, fuhren die Geschosse in die gegenüberliegende Seite, ohne jemand zu verletzen.

Der Kampf hatte jetzt etwas überaus Gefährliches angenommen. Denn auf beiden Seiten stritten geübte Schützen gegeneinander.

Besonders die Männer im Erdgeschoß hatten die größte Vorsicht zu beobachten, um vor den durch die Schießlöcher gesandten Kugeln sich zu decken und doch dabei gleichzeitig die gespannteste Aufmerksamkeit auf den Gegner zu richten.

Edgar befahl dem unerfahrenen und unvorsichtigen Iren, von der Schießscharte hinwegzugehen.

»Aber wenn Euer Gnaden so dastehen, dann kann doch Michael O'Donnel sich nicht verkriechen, das würde sich für meiner Mutter Sohn wenig ziemen.«

»Du bist zu ungeübt, Michael, halte dich von der Schießscharte fern, du kommst später mit deinem Shillalah ins Treffen.«

»Das ist mir dann freilich schon lieber. Euer Gnaden.«

Heinrich, ein Schütze ersten Ranges, zog sich in den Hintergrund zurück, vor sich seine Schießscharte, durch welche er gerade die ihm gegenüberliegende des Gegners mit scharfen Jägeraugen beobachten konnte.

Ein Büchsenlauf wurde langsam dort eingeschoben, die Mündung nach ihm zu gerichtet.

Aber ehe er noch in wagerechter Richtung lag, krachte Heinrichs Büchse. Er traf den Lauf an der Mündung. Die Büchse verschwand und ein wilder Fluch ließ sich hören.

Eine Kugel, von oben gesandt, fuhr durch die andre Schießscharte und der Schrei eines Indianers drang herüber.

Von neuem begann jetzt ein starkes und wohlgezieltes Feuer vom Kommandantenhause her, mehrere Kugeln schlugen durch das obere Zimmer, ohne doch jemand zu verletzen.

Da die Verteidiger ihre ganze Aufmerksamkeit der Balkenwand widmeten, hatten sie ihre rechte Flanke vernachlässigt.

Johnson begab sich nach dieser Seite, sein scharfes Auge entdeckte durch die höchst unregelmäßig angelegten Oeffnungen in den Fensterbefestigungen ihm gegenüber die Schulter eines sich im Hintergrunde haltenden Indianers. Das Zimmer, in welches er hineinblickte, war hell durch ein vom Sergeantenhause nicht sichtbares Fenster erleuchtet, während der Raum, in welchem er sich befand, nur Licht empfing durch die Scharten und so Dämmerung darin herrschte.

Die Schulter erblicken, die Büchse heben, feuern, war das Werk kürzester Zeit. Ein Schmerzensschrei bestätigte, daß die Kugel ihr Ziel erreicht hatte.

Die Büchsen schwiegen. Niemand draußen wagte augenscheinlich, sich dem Feuer solcher Schützen auszusetzen.

Ueber die Balkenwand herüber, deren oberer Rand etwa vier Fuß vom Dach der Kaserne entfernt war, flogen nunmehr Holzstücke und Späne, welche nach dem Sergeantenhause von unsichtbaren Händen geschleudert wurden.

Immer mehr und mehr.

Der Oberst kam herunter.

»Jetzt legen sie Feuer an!« Er sah nach der Spritze und deren Schlauch.

Diese war so aufgestellt, daß die sie bedienenden Leute vor Kugeln von außen geschützt waren.

»Komm an die Spritze, mein Sohn,« rief der Oberst Michael zu, »wirst gleich zu tun bekommen.«

Michael gehorchte schnell.

»Doch wo bringen mir den Schlauch an? Ihn hier zur Schießscharte hinauslegen, ist gefährlich, dennoch müssen wir es versuchen auf die Gefahr hin, daß er uns entzwei geschossen wird.«

Er rief leise hinauf, daß alle Büchsen auf die Schießscharten in der feindlichen Wand gerichtet werden sollten.

Nach den bitteren Erfahrungen, welche man jenseits derselben gemacht hatte, schien man auch dort es mit großer Bedachtsamkeit zu vermeiden, Körperteile dem feindlichen Feuer auszusetzen.

Unaufhörlich flogen Späne und Holzstücke über die Wand herüber und bildeten bereits einen stattlichen Haufen am Sergeantenhause.

Jetzt folgte ein lodernder Feuerbrand.

»Wasser, Michael!«

Dieser setzte den Schwengel in Bewegung.

Kühn sich aussetzend, richtete der Oberst den Schlauch. Das Feuer zischte und erlosch. Andre Brände folgten, zwei, drei. Mit Geschick richtete der Oberst den Strahl auf sie und tilgte den beginnenden Brand.

Nach diesem mißglückten Versuche verging einige Zeit, während welcher der Feind kein Lebenszeichen von sich gab, und schon glaubten die Belagerten, es sei aufgegeben worden, mit Feuer gegen sie vorzugehen, als auf einer andern Seite der Angriff in gleicher Art begann.

Hinter der Wand der Kaserne hervor wurden jetzt in reicher Zahl Holzstücke und Splitter an die Seitenwand des Blockhauses geworfen, während man in der Front fortfuhr, Holz und Feuerbrände über die künstliche Balkenwand zu schleudern. Nachdem an der Seite genügend Holz vorhanden schien, folgten auch hier brennende Scheite, welche den Haufen bald in Brand fetzten.

Die Spritze konnte nicht an zwei Stellen ihre Tätigkeit üben.

Die Axt war unsichtbar wieder in Tätigkeit, um aller Wahrscheinlichkeit nach Nahrung für das Feuer herbeizuschaffen.

Die Spritze war bereits geleert und mußte aus den Tonnen wieder gefüllt werden.

Oberst Schuyler leitete den Schlauch nach der Seitenwand und versuchte das Feuer zu löschen, indessen alle andern die Schießscharten im Auge behielten.

Während die Spritze zur Seite des Hauses ihre Tätigkeit entfaltete, flogen immer mehr glühende und brennende Holzscheite an die Front des Hauses, sie zündeten endlich auch hier an und verbreiteten bei der Feuchtigkeit der dort liegenden Holzstücke starken Rauch.

Bald zuckten die Flammen auf, welche den Rauch jedoch nicht minderten.

Auch an der Seite, wo das Feuer unaufhörlich mit Holzspänen, Holzstücken und Feuerbränden genährt und verstärkt wurde, entwickelte sich Rauch unter dem Einfluß der Spritze, die dennoch nicht im stande war, die Glut zu löschen.

Bereits begann der Qualm die im oberen Stock Befindlichen zu belästigen.

Bei alledem herrschte im Fort eine unheimliche Stille.

Schon erschwerte auch der Rauch das Zielen durch die Schießscharten.

Michael nahm, während Heinrich die Spritze bediente, einen Eimer und goß Wasser durch die Oeffnungen im untern Raume, was nur den Erfolg hatte, daß der Rauch dunkler und stärker wurde.

Der Oberst rief Johnson herunter und bat ihn, den Schlauch zu führen, und begab sich hinauf.

Das Atmen war oben bereits erschwert, während die Luft im Erdgeschoß noch erträglich war.

Der Oberst suchte Frances auf.

Sie saß wie vorher mit der alten Sumach in der Ecke des Zimmers.

Er richtete tröstende Worte an sie und blickte dann forschend um sich, das Gemach hatte eine dünne Bretterdecke, und über dieser erhob sich, spitz anlaufend, unmittelbar das Dach. Er rief den Konstabel an.

»Wir müssen dem Rauch einen Abzug verschaffen, Mister Weller.«

»Ganz wohl, Sir,« hustete dieser, »müssen gesegnete Luft haben oder bald an den großen Abzug denken.«

Weller nahm eine Axt und beide begaben sich hinauf bis unter das Dach.

Die Rückwand des Hauses lag dicht am Wall, und hierher hatte sich noch keiner von den Feinden getraut, sie hätten hier den Kugeln der Belagerer ohne Deckung gegenübergestanden, wenn sie nicht unter dem Schutz der Pallisaden von außen angriffen.

Weller hieb geschickt und schnell ein Loch in die Bretterlage, welche dem darunter befindlichen Zimmer als Decke diente, und öffnete eine im Dach befindliche Luke.

Dies hatte Wirkung, denn der Rauch zog augenblicklich ab.

Ein gleiches tat der Konstabel dann über dem Raum, von welchem die Verteidiger aus den Feind bekämpft hatten.

Das erleichterte das Atmen merklich. Vergeblich aber schien es, des Feuers Herr werden zu wollen, bei der Nahrung, welche ihm unaufhörlich zugeführt wurde.

Man leitete den Schlauch in den oberen Stock und versuchte es von dort aus, die sich vergrößernde Glut zu löschen; es zeigte sich, daß es von hier aus noch schwieriger war, dem Feuer beizukommen, als von unten.

Der Dampf wurde dichter und die Glut stärker.

Schon züngelten die Flammen am Hause empor, welches glücklicherweise aus so massiven Eichenbalken aufgeblockt war, daß diese sehr schwer Feuer fingen.

Die Indianer, welche das offene Tor unter den Kugeln aus dem Sergeantenhause nicht passieren konnten, hatten unter der Führung ihrer weißen Verbündeten zwei Pallisaden ausgehoben, und gelangten so in den Graben, ohne sich dem feindlichen Feuer auszusetzen.

Es war ihnen nicht entgangen, daß man dem Rauch im Sergeantenhause einen Abzug durch das Dach zu verschaffen gewußt hatte.

Einige gewandte Ottawas begaben sich im Graben dahin, wo die Rückseite des Hauses sich dem Wall näherte, erkletterten auf den Bäumen, welche sie in der Nacht herbeigeschleppt hatten, wie schon früher, die Pallisaden, bemerkten die Luke und wenige Minuten nachher sausten Feuerbrände, hinter den hölzernen Brustwehren hervorgeschleudert, auf das Dach, von denen zwei durch die Luke auf den Bretterboden fielen, während die andern vom Dach abglitten. Dies wurde von den Belagerten nicht gleich bemerkt, da sie vollauf durch das Feuer draußen in Anspruch genommen waren.

In dem nach dem Wall zu gelegenen Zimmer, in welchem die Verwundeten weilten, war die Luft noch am erträglichsten, obgleich auch hier der Dunst sich bereits belästigend bemerkbar machte.

Es war ein Glück, daß der immer dichter werdende Rauch die Feinde verhinderte, Kugeln durch die Schießscharten des Hauses zu senden, was bei dem Hin- und Hergehen der Männer, wobei sie alle Vorsicht außer acht lassen mußten, leicht gefährlich werden konnte.

Die energischsten Anstrengungen, des Feuers Herr zu werden, erwiesen sich als vergeblich, und der Eingeschlossenen bemächtigte sich eine sich steigernde Verzweiflung.

»Ich fürchte, Heinrich,« sagte Graf Edgar traurig zu seinem treuen Begleiter, »ich fürchte, unsre Stunde ist gekommen.«

»Ich fürchte es auch,« entgegnete dieser und atmete schwer, fuhr aber dann mit einem Ausdruck, in welchem sich wilde Entschlossenheit mit der Verzweiflung paarte, fort: »Aber ehe wir uns in diesem Hause ersticken oder verbrennen lassen, lieber hinaus, Herr Graf, und bis zum letzten Atemzuge gekämpft.«

»So denke ich auch,« sagte dieser, »müssen wir sterben, soll es kämpfend geschehen.«

Oberst Schuyler führte Frances die Treppe herunter, oben war im Dampfe nicht mehr zu atmen.

Durch die Luke hatten noch mehr Feuerbrände ihren Weg auf den Bodenraum gefunden und diese endlich die Decke entzündet. Zwar waren die Brände wie die Dielen rasch gelöscht worden, als man die Gefahr endlich bemerkte, doch hatte gerade dies einen starken Qualm auf dem Boden verbreitet, der den Abzug von unten hinderte.

Auch Sumach kam herab und ihr folgten Athoree und der Konstabel.

Der Oberst, der bleich aussah und dessen Augen unaufhörlich zu seinem Kinde hinirrten – Frances hatte sich an die Wand gelehnt –, winkte die Männer zusammen.

»Es ist das Ende, Freunde, Gott hat uns verlassen. Wir haben nur die Wahl, hier zu sterben oder draußen einen raschen Tod zu suchen,« sagte er langsam. »Die letzte Stunde ist da.«

Es herrschte eine Stille in dem Halbdunkeln, durch den Rauch noch mehr verdüsterten Raum, welche nur durch das unheimliche Knistern des brennenden Holzes unterbrochen wurde. Todesstimmung lagerte auf der kleinen Schar, der nur die Wahl blieb, hier oder draußen von diesem Leben zu scheiden. Sie blickten sich schweigend an mit tiefem, traurigem Ernste. Sekunden nur dauerte das Schweigen und wohl eine Welt von Gefühlen mochte in jeder Brust lebendig sein.

Da sagte der Konstabel mit rauher Stimme: »Will nicht ersticken hier, Oberst, wie ein Fuchs im Bau, will hinaus.« Selbst jetzt gedachte der Mann seiner Amtspflichten und fügte unwillig hinzu: »Daß mir die Schurken so entkommen müssen!«

»Ja, wenn Euer Gnaden meinen,« ließ Michael sich vernehmen und kratzte sich den buschigen Kopf, »dann wollen wir in Gottes Namen drauf los, hier geht's nicht länger mehr.«

Mit Festigkeit erklärten sich Heinrich und der Graf zum letzten Verzweiflungskampfe bereit.

Johnson gab ruhig seine Zustimmung. Athoree hatte mit seiner Mutter geflüstert: »Die alte Frau wird sich tief niederbeugen, daß keine Kugel sie trifft. Die Ottawas werden ihr nichts Schlimmes zufügen. Sumach wird auf die weiße Rose achten und später für eines Häuptlings Grab Sorge tragen. Sumach wird dann zu den Wyandots gehen und sagen, wie Athoree gestorben ist. Sie werden die alte Frau pflegen,« lauteten seine Worte.

Sumach hielt, während er ihr so zuflüsterte, ihre Schürze vor die Augen und erwiderte kein Wort.

Stärker wurde der Rauch, stärker das unheimliche Knistern. Die Balken hatten endlich Feuer gefangen.

Der Oberst war zu den Verwundeten gegangen, um denen mitzuteilen, daß das Ende sich nahe und welchen Entschluß sie gefaßt hatten.

Der Sergeant lag wie bisher bewußtlos im heftigen Wundfieber da.

Seine Frau erklärte ruhig, ihn nicht verlassen zu wollen.

»Wo er ist, bleibe ich, Herr Oberst.«

Der Oberst reichte Sounders die Hand.

»Lassen Sie mich ruhig liegen, hier oder dort enden, es ist gleichviel,« kam es finster, aber gefaßt über seine Lippen.

Der Oberst ging hinaus, die Männer standen zum letzten Kampf bereit an der Türe, Frances lehnte nach wie vor an der Wand.

Fest schloß der Oberst sein Kind an die Brust und flüsterte ihr zu: »Auf Wiedersehen droben.«

»Oeffnen Sie die Tür, Michael!« kommandierte er dann mit fester Stimme.

Michael, seinen Stock neben sich, begann die Befestigungen zu lösen. Athoree wollte zur Türe treten, um der erste zu sein, welcher hinausstürzte; mit strenger Gebärde wies ihn der Oberst hinweg.

»Zurück, Indianer, wo Gefahr ist, geht Oberst Schuyler voran!«

Der Wyandot trat zurück.

Die Tür war von allen Hemmnissen, die sich ihrem Oeffnen entgegenstellten, befreit, der Schlüssel umgedreht.

»Oeffne! Vorwärts!« und die kleine, todbereite Schar stürzte durch Flammen und Rauch ins Freie.

Ein Geheul, als wenn zehntausend Teufel brüllten, erhob sich, Schüsse krachten hier und dort, von allen Seiten eilten mit wilden Sprüngen die Indianer herbei.

Der Oberst stürzte, von drei Kugeln getroffen, auf das Angesicht. Der herzerschütternde Schrei seines Kindes verhallte in dem Toben; aber achtlos einen kleinen Dolch fallen lassend, den sie in der Hand hielt, stürzte sie hinaus und fiel auf der Leiche des Vaters nieder.

Einen Moment bildeten Angegriffene und Angreifer einen verworrenen Knäuel.

Trommelwirbel – eine dröhnende Befehlshaberstimme: »Feuer!« und vom Eingang knatterten die Musketen der amerikanischen Truppen.

Wie aus Stein gehauen stand alles da.

»Feuer!«

Und zum zweitenmal krachte eine Salve.

»Fällt das Gewehr! Stoßt alle Roten nieder!« Und eine geschlossene Reihe von Staatentruppen, welchen andre durch das Tor nachdrängten, rückten mit der von den Indianern so gefürchteten Waffe vor.

So stürmisch und wild die Indianer beim Angriff gelegentlich sind, so groß ist ihre Furcht bei einer Ueberraschung wie die gegenwärtige.

Mehr als zwanzig ihrer Leute wälzten sich schon tot oder verwundet am Boden, die andern stürzten hinter die Häuser nach dem Wall, um durch dessen Lücke zu entkommen.

Die Büchsen von Edgar, Heinrich, Johnson, dem Konstabel und Athoree entluden sich; jede Kugel fand ihr Opfer.

Athoree warf die Büchse fort, und die Streitaxt von der Seite reißend, sprang er mit dem Schlachtruf seines Volkes einem flüchtigen Ottawa nach.

Der Konstabel hatte gleichfalls die entladene Schußwaffe fallen lassen und seinen Dienstsäbel gezogen.

Morris, als er diesen Ausgang der Sache sah, rief seinen Genossen zu, die sich wie er mehr im Hintergrunde gehalten hatten: »Zu den Kanoes!« und sprang, von ihnen gefolgt, zur Wasserpforte, riß den Riegel auf, sprang hinaus, und die Axt, welche er im letzten Augenblicke ergriffen hatte, zertrümmerte mit gewaltigem Schlage die Befestigung des Sperrbalkens. Morris und Iltis sprangen in das vorderste Kanoe, Tyron, nach welchem sie sich einen Augenblick umsahen, fehlte, und ruderten in Todesangst in den See hinaus. Einige Indianer, welche ihnen nachgeeilt waren, folgten in den nächsten Booten.

Tyron hatte den beiden andern nacheilen wollen, als ihn der Säbel des grimmigen Konstabel traf. Er taumelte, schnell folgte der zweite Hieb – Tyron stürzte und ein Stich brachte ihm die Todeswunde bei.

»Daß der Schurke von der Hand eines ehrlichen Mannes sterben muß!« knurrte der Konstabel. Dabei sah er sich nach den andern um und lief, als er sie nicht gewahrte, auf den Wall nach der Seeseite zu.

Heinrichs Büchse krachte drei-, viermal. Der Graf aber hatte sich, nachdem er geschossen, dem Oberst und der ohnmächtigen Frances zugewendet.

Johnson war nach dem Hause zurückgekehrt, hatte im Zimmer ein Fenster geöffnet, um frische Luft einzulassen, dann auf seinen starken Armen den Leutnant ins Freie getragen und gleich darauf den Sergeanten, der immerfort »Hurra!« und »Drauf!« schrie, im Kasernenhaus niedergelegt.

Den wildesten Kampf hatte aber Michael bestanden, der mit einem riesenhaften, gräßlich bemalten Indianer gleich anfangs ins Handgemenge geraten war. Dieser hatte nach ihm geschossen, aber die Kugel war ihm am Haupte vorbeigeflogen, und der wütende Ire stürzte nun mit seinem Stock auf jenen zu. Der Indianer griff zur Axt und machte einige wilde Sprünge hin und her, um dem Iren einen Schlag beizubringen, aber Michael, der Mann aus Leitrim, war ebenso gewandt als stark, und wo der schnelle Wilde sich hinwandte, bedrohte ihn des Irländers Stock. Da schleuderte der Indianer das kleine Beil nach Michaels Haupt, aber dieser wich der Waffe aus und im selben Augenblick zerschmetterte sein Stock des Indianers linke Schulter. Dieser stand mit schmerzverzerrtem Gesicht und zog nun mit einem Wutschrei das Messer; aber mit dem verblüffenden Trommelwirbel zugleich traf Michaels Stock die Hand, das Messer fiel nieder. Der Indianer wandte sich zur Flucht, aber der unermüdliche Shillalah erreichte noch seinen Rücken, so daß er niederstürzte. Gleich lag der Ire auf ihm und faßte seine Arme. »Du willst andre ehrliche Leute verbrennen und ihnen die Kopfhaut abziehen, du roter Teufel du? Dir wird Michael O'Donnel zeigen, wie man in Leitrim mit solchem Gesindel umgeht. O warte nur.«

Der Konstabel, der auf dem Wall mit wahrer Verzweiflung gesehen hatte, daß seine langgesuchten Opfer entflohen, rief einige Soldaten an, welche auch dem Boote nachfeuerten. In den Kanoes, welche Indianer trugen, schlugen die Kugeln wahrnehmbar ein, Morris und Iltis aber erreichten unverletzt das westliche Ufer des Sees und verschwanden gleich darauf im Walde.

Drohend streckte ihnen der Konstabel die Faust nach: »Ich hole euch ein!«

Diese Vorgänge hatten von dem Augenblicke an, wo die Männer aus dem brennenden Hause stürzten, bis jetzt, wo außer drei Gefangenen, zu denen der gehörte, welchen Michael gemacht hatte, kein lebender Indianer mehr im Fort weilte, viel weniger Zeit in Anspruch genommen, als wir brauchten, um sie zu schildern.

Athoree, welcher drei Ottawas mit seinem Tomahawk getötet hatte, wäre seiner roten Hautfarbe wegen fast ein Opfer der Wut der Soldaten geworden, wenn sich nicht Heinrich rasch entschlossen vor ihn gestellt und Johnson, welcher es glücklicherweise bemerkt, ihnen zugerufen hätte, er sei ein Freund. Die tiefe Stimme Kapitän Blackwaters, eines untersetzten, breitschultrigen Offiziers, rief dem Hornisten zu: »Blas zum Sammeln!«

Die Soldaten traten rasch in Reih' und Glied. Es fand sich, daß nur fünf verwundet waren, gefallen war keiner.

Jetzt warf er seinen Blick in die Runde. Ringsum sterbende oder tote Indianer, hinten das brennende Haus und diese ergreifende Gruppe vor demselben? »Wer ist der Offizier, dessen bleiches Haupt an der Brust der jungen Dame ruht? Doch nicht–?« Rasch ging Blackwater darauf los. »Mein Gott, mein guter, tapferer Oberst!« Man hörte es an dem Tone, daß der rauhe Krieger ergriffen war: »O, meine arme Miß Frances, welches Unglück!«

Das Mädchen saß bewegungslos, die Arme um des Vaters Leiche geschlungen, die Augen starr auf sein noch im Tode würdig schönes Angesicht geheftet, dessen Ausdruck ein durchaus friedlicher war, da.

Sie antwortete nicht, hörte auch wohl nicht, was Blackwater sagte.

»Welches Geschick! Welches Geschick!« Er stand eine Weile stumm, dann wandte er sich an Edgar, der neben Frances stand.

»Sind Sie vielleicht der tapfre deutsche Herr, der dieses Fort verteidigt hat?«

»Ja, Herr, preußischer Premierleutnant Graf Bender.«

»Geben Sie mir die Hand, mein tapferer Kamerad. Dort der Verstorbene hatte Sie mir schon empfohlen und unser Pottawatomie mir alles berichtet, was Sie hier getan haben. Ihnen und Ihrem Kanonenfeuer danken wir es, daß mir noch leben.« Mit warmer Herzlichkeit schüttelte er ihm die Rechte.

»Sie kamen zu rechter Zeit, Herr Kapitän.«

»Leider nicht früh genug, um unsern tapfern Oberst zu retten.« – Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und fuhr dann fort: »Die wiederholten Kanonenschüsse hatten mich stutzig gemacht, ob ich gleich an nichts Arges dachte, denken konnte; dennoch marschierte ich sofort, als der erste fernher klingende Donner zu meinen Ohren drang, in Schlachtordnung. Das rettete uns vor Vernichtung, denn im dichten Walde plötzlich, unahnend jeder Gefahr, überfallen, wären wir rettungslos verloren gewesen. Wir wurden angegriffen, heftig, und nach tapferer Gegenwehr und großen Verlusten, ich verlor den dritten Teil meiner Leute, mußte ich zurückgehen, was in Ordnung geschah. Ich besetzte einen sich darbietenden Hügel, welcher geschlossene Verteidigung erlaubte, und bald ließ der Feind von uns ab und verschwand. Ich war ratlos. Ueberfallen von Indianern im tiefsten Frieden? Die Nacht über verharrte ich in meiner Position. Noch im Laufe dieser erreichte mich der Pottawatomie und gab mir von all den ungeheuerlichen Vorgängen hier Kunde. Er entfernte sich, um die auf dem Marsche nach Fort Jefferson begriffene Kolonne aufzusuchen. Ich ließ den Führer derselben, Kapitän Percy, auffordern, sofort auf Fort Jackson zu marschieren. Das Glück, der Zufall, die Vorsehung wollten es, daß diese Abteilung den Weg nach Fort Jefferson verfehlt hatte und dem Chippeway-See viel näher war, als sie glaubte. Dies allein ermöglichte es uns, noch in letzter Minute einzutreffen. Leider zu spät, um dieses teure Leben retten zu können. Mein armer, armer Oberst, so unter der Hand dieser Schurken zu fallen. Der vornehmste, gelassenste und zugleich tapferste Offizier, den wir in der Armee hatten, Herr!«

Auf Befehl des andern Kapitäns, der jetzt zu Edgar herankam und sich mit ihm bekannt machte, hatten die Soldaten sofort begonnen, das Feuer zu löschen, was ihnen, dank dem kernigen Holze, welches dem Feuer Widerstand leistete, mit Hilfe einiger Eimer und des reichlich fließenden Brunnens auch binnen kurzer Frist gelungen war.

Das Sergeantenhaus rauchte nur noch. Blackwater begab sich zu den beiden Verwundeten, die ihm von früher bekannt waren, in die Kaserne.

»Das war dem Tode entlaufen, Sounders, he?«

»Er war nahe genug, Kapitän.«

»Hm,« brummte dieser, »ob die Kugel eine Meile weit vorbeifliegt oder einen Zoll, gleichgültig. Wie befindet Ihr Euch, Leutnant?«

»Meine Wunden sind nicht schwer, ich hoffe, in vierzehn Tagen wieder Dienst tun zu können.«

»Der Chirurg soll gleich nach euch beiden sehen, er ist noch draußen, denn Mister Baker ist kein Freund von Kugelregen. – Und unser Oberst, Sounders?«

»Er ist gestorben, Sir, wie ein Held, indem er mit seiner Brust die andern schützte.«

Blackwater nickte.

»Es war ein Mann. – Ach, das arme Mädchen! – Nun, Mistreß Wood,« wandte er sich an diese, »Ihren Alten flicken wir auch wieder zusammen. Sie ist eine alte Soldatenfrau und wird ihn schon wieder auf die Beine bringen,«

»Ich hoffe es, Herr; Gott hat uns wunderbar erhalten.«

»Halten Sie sich wacker, Sounders, es soll rasch für Euer Unterkommen Sorge getragen werden.«

Heraustretend befahl er: »Schafft mir die Kadaver der roten Hunde hinaus und scharrt sie draußen irgendwo ein.«

Sein Blick fiel jetzt auf den Gefangenen, den Michael gebunden hatte und unter strenger Aufsicht hielt.

Der bemalte Krieger saß finster am Boden.

»Wen haben wir denn da?«

»Dieser Bursche ist mein Gefangener, Euer Gnaden. Er wollte mir zu Leibe, Herr, aber mein Shillalah hat ihm das Fest verdorben.«

»So, mein guter Bursche, dein irländischer Kampfstock hat diesen roten Helden besiegt? Brav, mein Junge, brav. Wie heißt du denn, Mann?« wandte er sich an den Indianer.

Dieser würdigte ihn weder eines Blickes noch einer Antwort.

»Es ist Peschewa selbst, Herr,« sagte Johnson, der dabei stand.

»O, wir haben den Helden dieser Mordkomödie in Händen? Gut, Peschewa, wir werden mit dir abrechnen,« setzte er finster hinzu.

Er rief einen Sergeanten an: »Nehmen Sie hier diesem Mann den Gefangenen ab. Verwahren Sie ihn mit den beiden andern, aber sicher, rate ich. Der Chirurg soll auch nach seinen Wunden sehen, wir wollen ihn möglichst ganz in die Hölle schicken.«

Die Soldaten führten den Ottawahäuptling fort und schlossen ihn mit den beiden andern Gefangenen ein.

Blackwater ließ ein Lager für die Leiche des Obersten in einem Parterrezimmer des Offiziershauses herrichten.

Frances saß immer noch stumm und nichts um sich her beachtend am Boden. Des Obersten Haupt ruhte auf ihrem Schoße.

»Miß Schuyler,« wandte sich Blackwater an sie, »wir wollen unsern tapfern Obersten dort im Hause betten, bis wir ihn der Mutter Erde übergeben. Seien Sie stark. Miß Frances, wie die Tochter eines solchen Vaters es sein muß.«

Sie neigte langsam das Haupt.

Blackwater, Edgar, Johnson und Heinrich hoben den Leichnam auf und trugen ihn nach dem Hause, wo sie ihn auf das für ihn bereitete letzte Ruhelager niederlegten.

Sounders und den Sergeanten hatte man wieder in ihr Zimmer gebracht, welches ganz unversehrt geblieben war, und die Sergeantin hatte bereits im oberen Stock ein Heim für des Obersten Tochter hergerichtet.

Das Feuer hatte an der Vorder- und Seitenfront des Hauses nur wenig Schaden angerichtet, die andern Seiten mit den daran liegenden kleinen Zimmern waren ganz unversehrt und auch vom Wasser verschont geblieben. Willenlos ließ sich Frances von Mistreß Wood dorthin führen und setzte sich schweigend an den Tisch, das Haupt mit der Hand stützend. Die alte Sumach schlich zu ihr, kauerte sich ihr gegenüber nieder und verharrte ebenso schweigend, wie davon seinem Schmerz betäubte Mädchen.

Unter der Offiziere Aufsicht und der energischen Tätigkeit der Soldaten waren nicht nur die Leichen der Indianer entfernt worden, sondern auch viele Hände in Tätigkeit, um Kaserne und Kommandantenhaus in einen Zustand zu versetzen, der ein Unterbringen der Mannschaften und Offiziere für die Nacht erlaubte.

Die Geschütze wurden geladen, die Boote gesichert, Wachen ausgestellt, die ausgehobenen Pallisaden wieder an ihrer Stelle befestigt, kurz, das Fort in verteidigungsfähigen Zustand gesetzt.

Dann endlich zündeten die Soldaten Feuer an, lagerten und stärkten sich an dem, was das Proviantmagazin des Forts aufweisen konnte.

Blackwater hatte sich zu Edgar gesellt und von diesem einen ausführlichen Bericht über alle Ereignisse empfangen, deren Schauplatz das Fort in den letzten Tagen gewesen war.

Die Sergeantin hatte sich mit der Energie einer an den Krieg und seine Wechselfälle gewöhnten Soldatenfrau von der ausgestandenen Todesangst rasch erholt und war eifrig beschäftigt, für die Offiziere Speise und Trank herbeizuschaffen und mit ihnen den Tisch neben dem Kommandantenhause zu bedecken, der denn auch bald die Offiziere, zwischen denen auf Einladung Blackwaters auch Edgar Platz genommen hatte, um sich vereinigte.

Hier wurden noch einmal die Vorgänge der letzten Tage besprochen, und Edgars, des tapferen preußischen Kameraden, Verhalten unter so schwierigen Umständen, wie das seiner Begleiter, von den Amerikanern ehrend anerkannt.

»Sie haben nun einmal den irregulären Krieg an der Indianergrenze kennen gelernt, Herr Graf, als Ergänzung Ihrer Kriegserfahrungen in Frankreich. Welch blutige Tage für dieses kleine Fort.«

Edgar ging der Tod Schuylers, dessen Persönlichkeit ihm unendlich sympathisch gewesen war, sehr nahe, und mit Schmerz erfüllte ihn das tiefe Leid, welches Frances betroffen hatte. Er saß ernst und traurig zwischen den amerikanischen Offizieren.

Es ist nichts Kleines, auch für den tapferen und kriegsgewohnten Soldaten, in den sicheren Tod zu stürmen oder ihn in einer schrecklichen Gestalt zu erwarten.

Der preußische Offizier war in die sich überstürzenden blutigen Ereignisse der letzten Tage widerstandslos hineingerissen worden.

Als mutiger, entschlossener Krieger zu kämpfen, entsprach seiner Natur, denn er war ein tapferer Soldat, aber die letzte Stunde des verzweiflungsvollen Ringens in dem kleinen Blockhause lag wie eine Wolke auf seinem Geiste.

Nicht die Todesgefahr an und für sich war es, die ihn während des Kampfes beben machte, oder jetzt noch in ihm nachwirkte, nein, die schreckenvollen Vorstellungen von dem grausigen Schicksal, welches das anmutvolle Mädchen erwartete, sobald sie in die Hand der Wilden fiel, waren es vor allem, welche noch jetzt lähmend auf sein Denken wirkten. Daß Frances den Dolch bereit gehalten, um nicht lebend in die Hand dieser Feinde zu fallen, war ihm nicht bekannt; die Ausführung dieses Entschlusses hatte nur der jähe Tod des Obersten verhindert. Als sie ihn stürzen sah, vergaß das Mädchen alles um sich her und warf sich, unwiderstehlichem Antrieb folgend, schützend über den Vater, leider nur, um von seinem letzten Atemzuge berührt zu werden.

Daß diese Greuelscenen, in welche eine solch jugendlich ideale Erscheinung wie Miß Schuyler hineingerissen war, auch die Erinnerung an die Schwester und deren grausiges Schicksal wachrief, war natürlich genug und diente nicht dazu, den düsteren Ernst seiner Stimmung zu mindern. Auch sie war einst von den sonnigen Höhen des Lebens bis zu den Schrecken eines Indianerkrieges herabgesunken und hatte ihren Tod – wo gefunden? Und der zarte Knabe, welchem sie das Leben gegeben hatte? War auch er ein Raub des Todes geworden?

Alle diese Vorstellungen hatten sich in seinem Geist gebildet und durchkreuzt, als nach dem letzten Kampfe Ruhe eingetreten war.

Sehr ernst entgegnete er dem Kapitän: »Ich habe den Krieg kennen gelernt auf blutigen Schlachtfeldern, aber es war ein Ringen im offenen Felde mit einem ebenbürtigen tapferen Gegner. Diese Kriegsführung von seiten der erbarmungslosen Wilden hat etwas Grausiges an sich und entfernt sich weit von der Kampfesart ritterlicher Nationen.«

»Und dabei gibt's noch immer zarte Menschenfreunde, welche Ach und Weh schreien und Himmel und Erde in Bewegung setzen, wenn dieser Rasse ein Haar gekrümmt wird. Diesen Menschenfreunden wünschte ich den Anblick eines indianischen Mordfeldes oder noch besser ein Stündchen in jenem Blockhaus«, wie Sie es darin zugebracht haben. Die Indianer sind Tiere, wilde Tiere, unfähig zur Zivilisation, und darum müssen sie wie Wölfe vertilgt werden. Sie bilden ein unnützes Glied in der Kette der Geschlechter der Menschen und so zermalmt sie das Rad der Geschichte, ganz im natürlichen Gang der Dinge. Nun, ich hoffe, diese blutigen Tage werden die Regierung veranlassen, die Sentimentalität der Cooperschen Romane ad acta, zu legen und energisch gegen diese Mordbande vorzugehen. Biegen wollen sie sich nicht, so müssen sie gebrochen werden.«

»Wahrlich, ich bin geneigt, nach den Erfahrungen dieser Tage Ihre Ansicht zu der meinigen zu machen.«

» Well Wollte, alle Europäer dächten so. Sind außerdem, nachdem wir die Bande des Herrn Peschewa vernichtet haben, nicht einen Augenblick sicher, daß uns nicht das ganze Volk der Ottawas auf den Hals kommt. Solche Indianerhorde gleicht einem Pulverfaß, ein Funke, und es explodiert. Nun, wir werden sie anders empfangen als der arme Davis.«

Während die Offiziere in solchen Gesprächen an ihrem Tisch verweilten, saßen Johnson, der Konstabel, Heinrich, Michael und der Wyandot in einer Gruppe vereinigt in der Nähe des Hauses, welches sie so mutig verteidigt hatten.

Johnson zeigte seine gewöhnliche ergebene Ruhe, und Heinrich hatte wenigstens die Aufregung des Kampfes überwunden. In übler Laune war der Konstabel, und Michael befand sich noch in wilder Kampfeslust. Athoree rauchte gelassen seine Pfeife.

»Bei St. Patrick,« schrie Michael, »mit einem ganzen Stamm dieser Banditen werde ich fertig, wenn es Mann gegen Mann geht und das verwünschte Schießen nicht stattfindet.«

»Ja, das ist es eben, guter Irländer,« sagte Weller, »mit deinem Stock wirst du nicht weit kommen.«

»So? Habe ich den blutigen Peschewa nicht damit zusammengehauen?« fragte Michael, der nicht wenig von seinem Siege über den gefürchteten Häuptling aufgeblasen war.

»Das ist richtig, mein Junge, in diesem Falle leistete dir dein irischer Prügel gute Dienste, und ich gestehe ganz gern, daß du dich wie ein braver Bursche benommen hast. Aber gründlich hilft gegen diese Bursche wenigstens in ihren Wäldern nur der Säbel von einem Gaule herab geschwungen.«

»Kavallerie?« fragte Michael. »Hier in diesen Wäldern?«

Auch Johnson sah den Konstabel erstaunt an.

»Ist ein Fakt, Leute. Im Waldkrieg sind uns die Roten mit der Büchse gewachsen, verstehen diesen Kampf. Sind Vorteile und Nachteile dabei so ziemlich ausgeglichen. Unsre Waldleute schießen freilich besser als die Indianer, aber nicht so die Soldaten. Ist ein Kampf von Baum zu Baum, von Versteck zu Versteck, selten ein offener Angriff; das indianische Gewürm kriecht wie Schlangen im Busch herum, bald vor- bald rückwärts, ist nicht jedermanns Sache, das nachzumachen. Aber den Burschen das Feuer entlocken und dann ein paar Schwadronen Dragoner in die Büsche jagen, ehe sie Zeit haben, wieder zu laden, und mit dem Säbel den Hunden zu Leibe zu gehen, das tut's. Sage euch, Männer, habe bei den Michigan-Dragonern gedient und gegen die Blackfeet und noch vor drei Jahren gegen die Ottawa gefochten. Da ist die Kavallerie die beste Waffe gegen die Roten.«

»Und mein Shillalah,« sagte Michael.

»Nun ja, mein guter Bursche, kannst ja von Glück sagen, daß du kein Loch in deinem ehrenwerten Hirnschädel aufzuweisen und deinen schönen Skalp noch fest darauf hast.« Michael fuhr unwillkürlich mit der Hand nach dem Kopf. »Brauchst nun nicht nach eurer irischen Manier mit deinen Heldentaten zu prahlen. Haben Glück gehabt, daß die Kugeln um uns herumsausten, mußte der brave Oberst sie für uns erhalten. War ein Mann, der Schuyler, segne meine Seele, habe die Notion, war kein besserer in der Union.«

»Das muß wahr sein, Konstabel,« schrie Michael, »das war ein Herr und ein rechter Kriegsmann, aber mein Lord ist auch ein Mann, denke, ist ebenso brav wie der Oberst.«

»Muß gestehen, hätte das hinter den Deutschen nicht gesucht, haben sich wacker geschlagen, und ist der Mann dort,« er wies auf Heinrich, der schweigend der ihm unverständlichen Unterhaltung lauschte, »ein mächtiger Schütze, ist ein Fakt.«

»Oberst Schuyler,« nahm Johnson das Wort, »ist gestorben wie ein Held.«

»Das ist er. Mann, glorioser Soldat.«

»Großer Häuptling,« fügte Athoree hinzu.

Sie schwiegen eine Weile in Erinnerung an den Obersten, dann aber sagte Weller: »Traurig ist es, daß mir die Schurken entwischt sind, könnte mir die Haare ausreißen vor Wut, kann jetzt die Jagd von neuem beginnen. Meinetwegen hätten alle andern entkommen mögen, der Lump Tyron, der leider nun unter eines ehrlichen Mannes Hand gestorben ist, und der Spitzbube, der Iltis, wenn ich nur zum Jubel von ganz Michigan den Morris erreicht hätte.«

»Was hat der Mann verbrochen?« fragte Johnson.

»Der?«

Der Konstabel blickte ihn an, es war ein seltsamer Blick, und schon war er im Begriff, ihm zu sagen, welcher Schreckenstat Morris schuldig war, aber er bezwang sich, als er den weißhaarigen Mann so ruhig vor sich sitzen sah, und verspürte seine Mitteilung auf geeignetere Gelegenheit.

»Der? O, der hat gemordet – nichts weiter.«

»Gottes Gerechtigkeit wird ihn schon ereilen.«

Es lag etwas Prophetisches in dem Ton, wie in der seltsamen Gestalt des Mannes, als er so sprach.

»Hoffentlich auch noch die der Menschen,« brummte Weller in sich hinein. »Die Spitzbuben gehen jetzt über den Mackinaw und ich habe das Nachsehen, wenn sie nach Kanada hinüberwechseln. Bleiben sie aber in den Staaten, so will ich auch ihre Fährte finden und – dann werden wir sehen.«

Unter solchen Gesprächen verging die Zeit. Der Abend des ereignisvollen Tages sank hernieder und alle die ermüdeten und abgespannten Männer ersehnten die Ruhe.

Unsre Freunde bereiteten sich ihr Lager im Sergeantenhause und bald lag alles, die verstärkten Wachen ausgenommen, in tiefem Schlafe.


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