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Fünftes Kapitel

In Lansing.

In dem freundlichen Lansing, der Hauptstadt Michigans, schritt, es ist mehr als eine Woche vergangen, seitdem wir Grovers Farm verließen, Graf Edgar in städtischer Kleidung dem Gouvernementsgebäude zu. Den größten Teil seines mitgeführten, teils ihm von Detroit nachgesandten Gepäckes hatte er, ehe er seine Reise zum Muskegon antrat, hier in einem Hotel zurückgelassen, so daß es ihm leicht ward, seine für den Wald berechnete Kleidung angemessen zu verändern. Gaben Tracht und Haltung den Mann vom Stande zu erkennen, so würde jeder Europäer, und besonders der Deutsche, auch sofort in ihm den Offizier im Zivilkleide erkannt haben. Heinrich war mit ihm in Lansing, während er den an die Städte nicht gewöhnten Indianer in einem einsamen Wirtshause vor der Stadt zurückgelassen hatte, um ihn später wieder zu sich zu rufen.

Leichten Schrittes stieg der Offizier der Königsgrenadiere die zum Gouvernementsgebäude führende Treppe hinan und ersuchte im Vestibül einen Bediensteten, ihn zu dem Sekretär Mr. Myers zu führen.

Alsbald stand er vor einem behäbigen Herrn von untersetzter, kräftiger Statur, dessen braunrötliches, frisches Angesicht keineswegs auf einen Stadtbewohner schließen ließ.

Mr. Myers empfing den Grafen höflich, und als ihm dieser, nach seinem Begehr gefragt, das Schreiben Barings eingehändigt, lachte der schon bejahrte Herr, als er es erblickte, so herzlich, daß ihm die Tränen in die Augen traten: »Verzeihen Sie, Herr Graf, meinen ungezügelten Ausbruch von Heiterkeit, aber dieses Schriftstück ist die seltsamste Ausgeburt des Hinterwaldes, die mir je vorgekommen ist. Alter ehrlicher Joe, wir sind Jugendfreunde, Baring und ich, Herr, was mag dir dies Dokument Schweißtropfen gekostet haben –« Und er lachte herzlich von neuem.

Endlich öffnete er den Brief, blickte hinein, und wurde während des Lesens immer ernster. Er legte ihn dann beiseite und sagte: »Aller Beistand, Herr Graf, den ich zu leisten vermag, soll Ihnen gern zu teil werden. Die traurige Angelegenheit hat uns seiner Zeit viel beschäftigt. Indessen ist der Einfluß der Regierung auf jene einsamen und entfernten Gegenden wie auf die in unserm Staate lebenden Indianer nicht bedeutend. Wir hängen dort von untergeordneten Organen ab, die nicht immer zuverlässig sind, wie ich mit Bedauern eingestehen muß. Ich selbst bin im Walde und an der Indianergrenze aufgewachsen, deshalb hat man mich auch hier mit den Indianerangelegenheiten betraut, und kenne ziemlich Land und Leute, bin ja auch nicht ohne Einfluß, besonders auf das Haupt der Ottawas, den Peschewa, aber dieser Einfluß ist sehr bedingter Natur, wie denn ein Indianer in seinen Launen ganz unberechenbar ist. Gern gebe ich Ihnen ein Schreiben an den Mann mit, er kennt das Regierungssiegel, wenn er auch den Inhalt ohne einen Dolmetsch nicht enträtseln kann, und ein solcher ist nicht immer bei der Hand, aber das Siegel legitimiert Sie wenigstens. Sind Sie in der Lage, einige Geschenke hinzuzufügen, wie jene Leute sie lieben, so wird das den Eindruck des Regierungsschreibens wesentlich verstärken. Unser Agent dort oben am Manistee wird Ihnen auf mein Ersuchen ebenfalls alle möglichen Dienste leisten, und Sie können auf der Agentur alles das erlangen, was Sie für die Indianer als Geschenke brauchen.«

Der Graf sprach seinen verbindlichsten Dank aus.

»Warnen aber muß ich Sie, Herr Graf, meinem Briefe an den Peschewa einen besonderen Wert beizumessen, er ist ganz unabhängig und nicht immer gut auf uns hier zu sprechen; ferner muß ich Ihnen mitteilen, daß die Regierung mit diesem Schriftstück durchaus keine Garantie irgend welcher Art für Ihre Sicherheit unter den roten Leuten übernehmen kann. Was Sie wagen, und es ist ein Wagnis, unternehmen Sie auf eigene Gefahr. Unsre Macht ist, wie ich bereits sagte, dort oben beschränkt, und es kann leicht sein, möge Gott es verhüten, daß Sie ebenso spurlos verschwinden, wie Ihre beklagenswerte Frau Schwester. Wir können Sie nicht schützen. Wie ich aus dem Briefe ersehe, hat Ihnen Joe Baring schon genügende Mitteilungen über das, was damals, nach beendetem Kampfe, im Interesse Ihrer Schwester geschehen ist, gemacht; es ist in der Tat nichts versäumt worden, das wird Ihnen mein alter Joe bestätigt haben.«

»Gewiß, Sir, gewiß.«

»Die Gefahren, welche Sie dort oben erwarten, sind größer, als Sie ahnen können. Unsre Indianer sind, seit sie auf ihren Reservationen angesiedelt sind, moralisch gesunken, und ihr Sittlichkeitsgefühl hat nicht dadurch gewonnen, daß sich öfters von der Obrigkeit eifrig gesuchte Mörder und Diebe zu ihnen flüchten.«

Edgar erzählte nun dem freundlichen alten Herrn von den Vorgängen der letzten Tage und von dem für die Fahrt angeworbenen Indianer.

»Von dem, was dort am Muskegon geschehen ist, haben wir bereits Nachricht erhalten, und es ist alles getan, was wir tun können, um besonders den berüchtigten Morris zu fassen. Aber Sie werden sich selbst überzeugt haben, wie weit die Kraft des Gesetzes in jenen Distrikten sich erstreckt, unsre Hinterwäldler müssen das Beste dabei tun. Und was den Indianer anbelangt, wenn der erfahrene Baring damit einverstanden ist, können Sie ihn ruhig mitnehmen; daß er trinkt, kann gelegentlich unangenehm werden, schadet aber schließlich nichts, und was Sie mir von dem Manne erzählen, spricht ja für ihn. Jedenfalls ist er im Walde und im Verkehr mit den Roten eine treffliche Hilfe.«

Edgar mußte Mr. Myers noch weitere ausführliche Mitteilungen über Baring, Grover, die dortigen Farmer und seinen Feldzug in Gesellschaft dieser Leute machen.

»Ist eine wilde Rasse, unsre Hinterwäldler, und geben den Indianern nicht viel nach in manchen Dingen, aber sind Männer.«

»Das sind sie, Sir.«

Die Unterhaltung dauerte an, bis ein Diener hereintrat und Mr. Myers eine Visitenkarte überreichte. Der Graf erhob sich, um sich zu empfehlen, der Sekretär sagte: »Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, Herr Graf, mein Gast zu Tische zu sein, so wird mich das sehr erfreuen.«

Graf Edgar nahm es dankend an und empfahl sich. »Um vier Uhr ist Dinnerstunde!« rief ihm Mr. Myers noch nach.

Im Vorzimmer wartete, um vorgelassen zu werden, ein Herr, dessen Gesicht dem Grafen auffiel. Der Fremde zuckte, als er des Grafen ansichtig wurde, leicht zusammen, was dieser indes nicht bemerkte. Er sah dem Herrn noch nach, als der zu Myers hineinging.

Auf dem Wege zu seinem Hotel sann er ununterbrochen darüber nach, wo er wohl den Mann schon gesehen habe, erlangte aber keine Gewißheit. Nachdem er einige Briefe nach der Heimat geschrieben hatte, kleidete er sich zum Dinner an und traf um die festgesetzte Stunde im Gouvernementsgebäude, wo Myers seine Wohnung hatte, ein.

Der Graf wurde in dem einfach, aber elegant ausgestatteten Parlour von seinem Wirte und dessen Frau und Tochter empfangen, einer würdigen Matrone und einem allerliebsten Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren. Ein stattlicher Herr in der Uniform der Staatentruppen wurde ihm als Oberst Schuyler vorgestellt und eine junge Dame als dessen Tochter. Miß Schuylers äußere Erscheinung würde überall Aufsehen erregt haben, und es war nicht zu verwundern, daß Edgars Auge sie mit staunender Bewunderung traf. Eine schlanke Gestalt von überaus anmutigen Formen trug einen Kopf von fast rein griechischer Bildung, dem das leichtgewellte, aschblonde, in einen einfachen Knoten geschlungene, am Hinterhaupte befestigte Haar das vollkommene Gepräge der edelsten Antike verlieh.

Aus dem etwas bleichen Antlitz leuchteten Augen von ernstem, fast schwermütigem Ausdruck, die demselben ein durchgeistigtes Gepräge verliehen, so daß es dem Grafen schien, er habe noch nie eine weibliche Gestalt erblickt, welche in so vollendeter Weise jugendliche Anmut mit Würde paarte.

Miß Myers, ein bewegliches, munteres, rundliches Dämchen, voll blühenden Lebens, bildete einen nicht ungefälligen Gegensatz zu der ernsten Schönheit an ihrer Seite. Graf Edgar empfing von Miß Schuyler den Eindruck, welchen sie überall hervorrief, wo sie zum erstenmal erschien, den, ein weibliches Wesen ausgerüstet mit seltenen Vorzügen des Leibes und der Seele und von nicht alltäglicher Charakterbildung vor sich zu haben. Die junge Dame mußte an die Wirkung ihrer Persönlichkeit so gewöhnt sein, oder sie so gering schätzen, daß sie den bewundernden Blick Edgars nicht zu bemerken schien und nach kurzer Begrüßung gleichmütig in einer Unterredung mit Miß Myers fortfuhr.

Oberst Schuyler, eine vornehme Erscheinung, dessen schlanke und doch kräftige Gestalt durch die einfache knappe Uniform der regulären Staatentruppen hervorgehoben wurde, mit ernst freundlichem Ausdruck auf den wohlgeformten Zügen, reichte dem jungen Manne die Hand mit den Worten: »Ich freue mich herzlich, einen deutschen Kameraden begrüßen zu dürfen, den Angehörigen einer Armee, welche sich so unverwelkliche Lorbeeren erkämpft hat.«

Graf Edgar dankte in einigen verbindlichen Worten.

»Wir haben hier,« fuhr der Oberst fort, »mit Staunen die Siegesbahnen der deutschen Armeen verfolgt.«

»Mit Freuden habe ich, seitdem ich in den Staaten weile, bemerkt, welche Sympathien man uns hier entgegenbringt und unsre Taten neidlos anerkennt.«

»Im Norden gewiß überall, während der Süden wohl Frankreich sympathischer gegenüber gestanden hat. Wir Militärs, und besonders Sheridan, den ich nach seiner Rückkehr vom deutsch-französischen Kriegsschauplatze wiederholt gesprochen habe, sind voll von Bewunderung für die deutsche Kriegführung.«

Diese Anerkennung von seiten eines gebildeten Offiziers, dem ersten, der ihm in Amerika entgegentrat, tut dem patriotischen Herzen des jungen Mannes nicht minder wohl als die unbefangene Teilnahme, welche ihm wiederholt einfache Landleute zu erkennen gegeben hatten.

»Wir haben einen Fürsten an der Spitze unsres Staates von so hoher Einsicht und solch vornehmer selbstloser Gesinnung, daß er alles dem einen großen Zwecke unterordnet, oft sogar seine eigene Anschauung dem Urteile seiner erprobten Generale und Räte. Nur da, wo diese Einheit in der ganzen Führung herrscht, solche Hingebung von allen Seiten, sind Erfolge möglich, wie wir sie errungen haben.«

»Ja,« sagte der Oberst, »Ihr Kaiser Wilhelm ist wohl eine echt fürstliche vornehme Erscheinung, und ich, obgleich Republikaner, begreife ganz die Liebe und Ehrfurcht, welche ihm sein Volk entgegenbringt.«

Mit leuchtenden Augen entgegnete Edgar mit Shakespeares Wort: »Jeder Zoll ein König! Wir lassen uns auch freudig alle für ihn töten.«

Ein freundliches Lächeln umspielte des Obersten Lippen bei der so ungeheuchelt hervortretenden Verehrung des jungen Mannes für seinen greisen König.

»Es ist ein gewaltiges Volk das deutsche, wenn seine Kräfte vereint wirken, und ich denke, es wird für die Ruhe Ihres Erdteils von Vorteil sein, daß Deutschland die Führung auf dem Kontinent übernommen hat.«

»So hoffen wir alle. Wir haben endlich die Stellung wieder errungen, die uns im Rate der Nationen gebührt, die wir einst in der Welt einnahmen, als vor dem Kaiser der Deutschen sich die Könige Europas beugten – wir werden sie auch behaupten.«

Mr. Myers forderte auf, zu Tisch zu gehen. Oberst Schuyler bot galant der Frau vom Hause seinen Arm, während der Hausherr Miß Schuyler den seinigen lieh; Edgar führte Miß Myers zu dem nahe liegenden geräumigen Diningroom.

Das Mahl war einfach, aber trefflich und die gebotenen Weine vorzüglich.

Während einer der Pausen im Laufe des Mahles bemerkte Oberst Schuyler: »Ich habe vor dem französischen Kriege Ihr Vaterland besucht, Herr Graf, und doch dort einen andern Eindruck von dem deutschen Volkscharakter gewonnen, als mir ihn von dem größeren Teile der bei uns ansässigen Deutschen empfangen.«

»Sind Ihnen meine hier heimisch gewordenen Landsleute nicht sympathisch, Herr Oberst?«

»Unsre Deutschen haben im großen Bürgerkriege treu zur Union und zum Norden gehalten, wie sie bereits im Unabhängigkeitskampfe auf unsrer Seite gegen England fochten, dafür sind wir ihnen Dank schuldig. Niemand wird ihnen auch Fleiß, Betriebsamkeit und Intelligenz absprechen; sie bilden im großen und ganzen ein tüchtiges Element in unserm Staatsleben. Aber es ist etwas Kleinliches in diesen Leuten, und sie werden bei ihrem merkwürdigen Vereinsleben, ihrer Zerrissenheit und Streitsucht, ihren dumpfigen Bierstuben, welches alles wohl Erbteile der politischen Zerrissenheit ihres Vaterlandes und der polizeilichen Bevormundung des Volkes sind, nie die geschäftliche und gesellschaftliche Stellung des Amerikaners erreichen.«

»Es tut mir leid, das zu hören.«

»Es ist so, trotz aller guten Eigenschaften auch Ihrer hiesigen Stammesgenossen. Will man aber den Deutschen kennen lernen, muß man ihn in seinem Vaterlande aufsuchen, da gewinnt man die Ueberzeugung, ein großes, gutes, zum Höchsten aufstrebendes Volk vor sich zu sehen. Das eiserne Staatsgefüge, besonders in Preußen, hat mich mit Bewunderung erfüllt. Ich habe mich als Soldat vorzugsweise um Ihre militärischen Einrichtungen gekümmert, und mit diesen kann kein Volk der Erde sich messen. Der Mangel ähnlicher Einrichtungen hat uns in unserm furchtbaren Bürgerkriege so unendliche Menschenopfer gekostet, welche zweck- und nutzlos hingeschlachtet wurden.«

Miß Schuyler richtete die ernsten Augen auf Edgar und fragte mit einer Stimme von bestrickendem Klang: »Sind Sie ein Freund des Krieges, Herr Graf?«

»Als Berufssoldat müßte ich eigentlich mit Ja antworten, Miß Schuyler; wer aber, der den Krieg gesehen hat, wäre ein Freund desselben? Ich habe ihn kennen gelernt, wie Ihr Herr Vater, in seiner schrecklichsten Gestalt, und ist es gleich geboten, das Schwert zu ziehen, um die höchsten Güter dieses Lebens zu verteidigen, wenn es sein muß, dafür zu sterben – so treffe jeden der Fluch der Menschheit für alle Zeit, der leichtfertig den Krieg heraufbeschwört.«

»Sie sprechen mir aus der Seele,« fügte der Oberst hinzu.

»Und glauben Sie, Sir,« fuhr seine Tochter fort, »daß eine Zeit kommen wird, wo es keine Kriege mehr gibt?«

Nach einer kurzen Pause sagte der Graf: »Nein, Miß Schuyler, ich glaube das nicht und wünsche es auch nicht.«

»Wie? Widerspricht es nicht dem, was Sie eben sagten?«

»Ich glaube nicht. Entfesselt der Krieg alle wilden und grausamen Instinkte der Menschennatur, so ruft er daneben auch alle edlen und großen Eigenschaften des Herzens empor, todesmutige Hingebung für das Vaterland, das hohe Gut der Freiheit, Treue, Mitleid, Aufopferungsfähigkeit in ungeahntem Grade, und nie wird ein Volk würdig unter den Nationen dastehen, welches nicht fähig und bereit ist, für ideale Güter zu kämpfen und zu sterben. Unser Lieblingsdichter sagt:

›Der Krieg ist schrecklich wie des Himmels Plagen,
Doch ist er gut, ist ein Gesetz wie sie.‹«

Er hatte sich bei diesen Worten der deutschen Sprache bedient und fuhr nun fort: »Das heißt im Englischen –«

»Ich lese Schiller im Original, Herr Graf,« sagte Miß Schuyler, sich des Deutschen bedienend.

»O, Sie sprechen meines Volkes Sprache – wie mich das erfreut!«

»In Ihrem Sinne, Herr Graf, will ich den Krieg acceptieren und mit dem Sohne des Tydeus Hektor rühmen:

›Der, für seine Hausaltäre
Kämpfend, ein Beschirmer – fiel.
Krönt den Sieger größere Ehre,
Ehret ihn das schönere Ziel.‹«

Graf Edgar lauschte ihren deutschen Lauten mit Entzücken.

»Meine Tochter hat nur Ihres Schiller wegen, den sie leidenschaftlich verehrt, deutsch gelernt und unser erster Besuch in Ihrem Vaterland galt den geheiligten Stätten, wo Ihr großer Dichter geweilt hat.«

»Schiller,« sagte Miß Schuyler, »kann nicht in andre Sprachen übertragen werden, selbst in das so nahe verwandte Englisch nicht, der bestrickende Zauber, den das Original ausübt, verschwindet im fremden Idiome wesentlich – der Duft fehlt der nachgeahmten Blüte.«

»Ich höre mit innigem Vergnügen, wie Sie unsern Schiller verehren. Er ist der Liebling unsres Volkes und wird es ewig bleiben, und ich verstehe es ganz, ob ich mich gleich niemals mit Uebersetzungen seiner Werke bekannt gemacht habe, daß die Fülle und Schönheit der Sprache, wie deren hinreißende Klangwirkungen nicht wiedergegeben werden können, selbst im Englischen nicht.«

»Da wir gerade bei dem großen deutschen Poeten sind,« äußerte der immer gut aufgelegte Wirt, »wollen wir seiner in diesem Traubensafte vom Rhein gedenken,« und er präsentierte seinen Gästen gefüllte Römer mit dem deutschen Wein.

Das Gespräch nahm eine andre Wendung, bald ward die Tafel aufgehoben und man begab sich zurück in den Parlour, um dort den Kaffee zu nehmen.

»Gestatten Sie mir, eine Frage an Sie zu richten, Mr. Myers?« ließ der Graf sich vernehmen, als sie sich niedergelassen hatten.

»Immer zu, immer zu, wenn ich sie beantworten kann, soll es geschehen; nur Staatsgeheimnisse darf ich nicht verraten,« setzte er lachend hinzu.

»Als ich heute morgen bei Ihnen war, wurde Ihnen ein Herr gemeldet, den ich dann beim Hinausgehen im Vorzimmer sah. Seit diesem Augenblicke sinne ich darüber nach, wo ich diesen Mann gesehen habe, ohne darauf kommen zu können. Doch muß es bei einer nicht unbedeutenden Angelegenheit gewesen sein, wo diese Physiognomie sich mir eingeprägt hat. Freilich ist es bei der Fülle von Eindrücken, welche ich auf meiner Reise durch das Land empfing, der großen Zahl von Menschen, welche mir hierbei vor Augen kamen, nicht verwunderlich, daß mein Gedächtnis nicht gehorchen will. Ist es indiskret zu fragen, wer der Herr war?«

»Durchaus nicht, durchaus nicht, Sir. Der Mann nannte sich Wharton und ist halb Kaufmann, halb Landwirt, wie ich vermute, am Muskegon ansässig, dort werden Sie ihn gesehen haben.«

»Am Muskegon? Das Aeußere des Mannes machte nicht den Eindruck eines der wackeren Farmer dort oben.«

»Nein, das nicht. Wird ein Spekulant sein, schien mir so. Will aber im Norden, wo viel Wasserkraft vorhanden ist, Mühlen bauen und erkundigt sich bei mir nach den dort angesiedelten Indianern, deren Verhältnissen, und ob er etwa Störungen von ihnen zu befürchten habe. Darüber konnte ich den Mann beruhigen, denn Freund Peschewa, die milde Katze, wie sein romantischer Name lautet, ist mit seinen Ottawas sehr friedlich gesonnen.«

»Am Muskegon?« sagte nachdenklich der Graf, »dann muß ich ihn dort in andrer Kleidung gesehen haben.«

»Er wußte auch schon von den Spitzbubenstreichen dort, kam von daher und bat energisch um Sicherung der Grenzdistrikte. Ging mich zwar nichts an, aber beschwichtigte den Mann, sagte ihm, es sei alles getan, um dem saubern Kleeblatt, Morris, Wilson und Tyron, das Handwerk zu legen, unsre besten Spürhunde seien bereits hinter ihnen her. Zu Michigan hinaus kommen sie diesmal schwerlich, wenn sie nicht über den Mackinaw nach Norden hin entwischen und das ist eine sehr schwierige Sache. Ist ganz Michigan zu viel daran gelegen, besonders den Morris zu fangen. Wir haben, was diese Gesellen betrifft, eine energische Tätigkeit entfaltet, sobald wir Nachricht von ihnen hatten, so daß man in wenig Tagen auf der einsamsten Farm von ihrer Anwesenheit im Lande wissen wird. Das schien den Herrn zufrieden zu stellen. Machte übrigens den Eindruck eines ganz gebildeten Mannes.«

»Danke sehr für Ihre Mitteilung, Mr. Myers. Weiß gar nicht, warum mich dieses Gesicht so interessierte. Sie werden wohl recht haben und ich habe den Mann irgendwo am Muskegon gesehen.«

Als der Wirt sich einen Augenblick zu den Damen wandte, sagte Oberst Schuyler zu Edgar: »Freund Myers hat mich von dem Zweck Ihrer beabsichtigten Reise nach dem Norden unterrichtet, Herr Graf, wenn ich Ihren Zwecken förderlich sein kann, stehe ich mit meinem Einfluß zu Gebote.«

»Das nehme ich mit herzlichem Danke an, Herr Oberst.«

»Ich begebe mich in wenigen Tagen nach Norden, um dort das Kommando über unsre Forts an den Seen zu übernehmen, und beziehe mein Hauptquartier in Fort Duncan, nachdem ich die andern Befestigungen inspiziert habe. Es wird mir Freude machen, Sie dort zu begrüßen und mehr noch. Ihnen Nutzen bringen zu können.«

»Ja,« mischte sich Mr. Myers, der wieder herangekommen war, in das Gespräch, »ging mir im Kopf herum, Ihre Reise, Herr Graf, fiel mir ein, daß Freund Schuyler da oben das Kommando übernimmt, habe ihn deshalb schleunigst eingeladen, damit Sie seine Bekanntschaft machten. Ist ein gewaltiger Mann in jener Gegend als Oberbefehlshaber.«

»Wie sehr bin ich den Herren zu Dank verpflichtet.«

»Geschieht gerne Ihnen, Ihrem edlen Zwecke und dem alten Joe zuliebe, dem kunstvollsten Briefschreiber im ganzen alten Mich.« Er lachte wieder in seiner herzlichen Art und erzählte dem Oberst von dem ungeheuerlichen Schreiben, welches ihm der alte Farmer zugefertigt hatte.

Die Herren, welche einstweilen noch ein Glas Wein getrunken hatten, begaben sich nun zu den Damen an den Kaffeetisch, wo sehr lebhaft diskutiert wurde.

»Sie müssen mir beistehen, Herr Oberst,« rief diesem Miß Myers entgegen, welche die gute Laune ihres Vaters als Erbteil überkommen zu haben schien, »wir verhandeln hier wichtige soziale und politische Angelegenheiten.«

»O, Miß Mary, hören mir nicht von Politik täglich so viel, daß uns die Ohren gellen?«

»Unsre Politik ist viel wichtiger und großartiger, als die des Volkes der Staaten, Herr Oberst. Wir entwerfen Zukunftspläne und wollen Frances zur Königin der Indianer machen, dann ist diese leidige Frage mit einemmal gelöst. Eben sind wir dabei, ein königliches Kostüm für sie zu entwerfen.«

»Miß Mary, eine Königin in unsrer glorreichen Republik? Das ist ein revolutionärer Gedanke,«

»Nur zu der der roten Leute, und das kann sich Uncle Sam ruhig gefallen lassen. Wir brauchen dann auch keine Truppen mehr in den Norden zu schicken, um die Wilden zu überwachen, wir senden einfach Frances hin, sämtliche Indianer, Ottawas, Pottawatomies, Missinsig und wie diese entsetzlichen Menschen heißen, ich muß ja oft genug von ihnen hören, fallen auf die Kniee und beten sie an, begraben das Kriegsbeil für ewige Zeiten und lassen sich sanft zur Zivilisation herüber führen.«

»Und solche Macht trauen Sie, Miß Mary, Frances Schuyler zu?«

»Natürlich. Wer sollte sie sonst haben als Frances,« und sie blickte die Freundin liebevoll an. Ueber deren Antlitz zog ein sonniges Lächeln, die ernsten Züge hold verklärend.

»Sie wird naturgemäß sofort zur Königin erhoben, sobald sie nur erscheint, und alles gehorcht ihr mit demütigstem Eifer. Aber – und das ist die Hauptsache – wir sind nach nicht einig über das Kostüm, in welchem sie sich den Roten zeigen soll, ich will ihr eine goldene Krone und einen Purpurmantel geben, und Mama meint, Frances soll als Engel mit Flügeln erscheinen. Da mir uns nicht einigen können, wollen mir das Urteil der Herren anrufen.«

»In Kostümfragen bin ich wenig bewandert,« sagte der Oberst, auf den munteren Ton eingehend, »aber ich denke mir dann so etwas Indisch-Phantastisches, um die roten Leute zu entzücken.«

»Ei bewahre, nein Krone und Purpur. Was meinst du, Papa?«

»Ja, liebes Kind, wenn ein Kostüm diesen roten Menschenbrüdern gefallen soll, so muß es so ein bißchen bunt karriert sein, rot und blau und gelb und so –«

Alle lachten herzlich, selbst Miß Schuyler stimmte in die Heiterkeit ein.

»Ja, ihr lacht, aber es ist richtig, ich kenne den feinen Geschmack der Rasse. Nun, Herr Graf, sagen Sie Ihre Meinung, ihr Deutschen sollt ja die gelehrteste Nation der Welt sein.«

»Wenn ich mir ein Urteil in dieser so hochwichtigen Angelegenheit erlauben darf, ich würde Miß Schuyler den griechischen Chiton und Mantel als passende Gewandung empfehlen, den Helm auf dem Haupte und am Arme den Schild.«

»O, herrlich, herrlich, Herr Graf – ja, Pallas Athene, daß ich darauf nicht kam – das ist's, was Frances tragen muß – dann liegen ihr aber auch die Weißen zu Füßen.«

Ablenkend sagte Miß Schuyler: »Wir wollen die Herren nicht länger mit unsern Phantasien und phantastischen Kostümfragen langweilen, Mary.«

»Ja, ja, meine Athene,« und Miß Myers küßte die Freundin, »wir wollen abbrechen, die Frage ist erledigt. Aber willst du uns eine Freude machen, so setze dich an den Flügel und singe.«

»Gerne,« entgegnete die junge Dame ohne Ziererei, und alsbald klang ihre schöne, wohlgeschulte Altstimme in dem ziemlich großen Räume wieder. Sie sang die so ergreifende Klage des Orpheus um seine Euridike aus Glucks unsterblicher Oper.

Die entzückten Hörer hielten den Atem an, um voll lauschen zu können, und der Graf, dem nicht nur der Ton dieser Stimme, die hehre Weise des großen Komponisten zu Herzen gingen, vor allem auch der Inhalt der Arie, die ihn so lebhaft an seine ernste Mission erinnerte, fühlte, wie ihm das Auge feucht wurde.

Miß Schuyler schloß, und noch herrschte atemlose Stille, erst als sie sich vom Instrumente erhob, löste sich der Zauber, mit welchem sie die Hörer gefangen gehalten, und man überhäufte sie mit Lobsprüchen.

»Es ist der Tonmeister, der euch entzückt,« entgegnete sie hierauf, »es liegt das tiefste menschliche Fühlen in dieser Totenklage, ich selbst singe sie nie, ohne daß ich ergriffen bin.«

»Das singen Sie mal den Ottawas vor, Miß Frances,« sagte allen Ernstes Myers in ungekünstelter Bewunderung, »und wenn sie Sie dann nicht zur Königin machen, dann ist es Viehzeug – was sie freilich überhaupt sind.«

Miß Schuyler lachte, und die andern stimmten bei der mit so großem Ernste gemachten Bemerkung des Sekretärs mit ein.

Die heitere Stimmung war wieder hergestellt. Man begab sich nun in den schönen und großen Garten des Gouvernementsgebäudes, damit die Herren eine Cigarre rauchen konnten.

Sie wandelten durch die schattigen Laubengänge, der Oberst und Edgar gingen zusammen.

»Haben die Befestigungen, welche Sie unter Ihr Kommando nehmen, strategische Wichtigkeit, Herr Oberst?«

»Die älteren Befestigungen sind heutzutage bei der starken Bevölkerung dieser Staaten und den so vervollkommneten Verkehrsmitteln nicht mehr von wesentlicher Bedeutung, ob sie gleich im Unabhängigkeitskampfe sehr wichtig waren. Dennoch dürfen sie nicht vernachlässigt werden, sie bilden den ersten Schutz gegen einen Angriff von Kanada her; die jüngeren Festungsanlagen im Lande gelten fast nur den Indianern.«

»Ich wünsche Ihnen eine Garnison, in welcher Sie mehr geistige und gesellschaftliche Anregung haben, als in manch vereinsamten deutschen Posten zu finden ist.«

»Diese Forts, Herr Graf, sind die eintönigsten und traurigsten Orte der Welt für den, der nicht im stande ist, sich an sich selbst genügen zu lassen. Die Offiziere in ihrer großen Mehrzahl gehen höchst ungern in die Grenzforts, und ich gebe zu, daß für junge, lebenslustige Männer eine solch vereinsamte Friedensgarnison nicht angenehm ist. Die passionierten Jäger söhnen sich mit der Einsamkeit der Wälder noch am ehesten aus. Mir ist es gleichgültig, wo mich der Dienst hinführt, ich fühle mich in strenger Pflichterfüllung überall wohl. Gewöhnlich wird die Besatzung dieser Plätze alle zwei Jahre gewechselt, aus mir unbekannten Gründen hat das Kriegsdepartement kürzlich befohlen, daß die Ablösung sofort erfolgen soll, das heißt noch vor Ablauf der gewöhnlichen Frist, so daß ich vierhundert Mann Truppen mit mir führe.«

»Wollen Sie den Weg zu Lande zurücklegen?«

»Nein. Ich schiffe mich mit meinen Truppen in Grand Haven ein, lande mit einem kleinen Teil derselben in Traverse City, während die andern nach Duncan weiterdampfen, inspiziere die Forts Jefferson und Jackson und begebe mich dann selbst nach Duncan. Von Traverse City aus muß ich natürlich marschieren.«

»So müßte ich also auch einen Teil des Weges zur See zurücklegen?«

»Ei ganz natürlich, was wollen Sie sich unnötigerweise den Strapazen einer Landreise aussetzen. Sie bekommen dort oben noch genug daran. Für Sie wird es das richtigste sein, sich wie ich in Grand Haven einzuschiffen und dann am Manistee an Land zu gehen. Dort treffen Sie unsre Agentur und können dann mit einem des Landes kundigen Führer Ihren Weg durch die Wälder suchen. Sie ziehen nach Nordost, ich nach Südwest. Der nächste Militärposten ist für Sie Fort Jackson, das eigens dazu angelegt ist, die Ottawas zu überwachen.«

»Machen Ihnen die Indianer noch immer zu schaffen?«

»Die Macht des Chippewayvolkes, zu ihm gehören die Ottawas, Pottawatomies, Saulteux und Missinsig, ist längst gebrochen, mit ihnen, einigen Huronen und Senecas, mag die Zahl der Indianer auf den beiden Halbinseln von Michigan nicht ganz achtzehntausend betragen.

»Vor drei Jahren haben die Schurkereien unsrer Indianeragenten, welche die Leute verhungern ließen, einen Ausbruch der Ottawas veranlaßt, der dann freilich die ganze indianische Wildheit entfesselte, aber es war nur ein Akt der Verzweiflung. Sie sind blutig gezüchtigt worden und halten seitdem Ruhe. Diebereien kommen freilich oft genug vor und machen den kommandierenden Offizieren dieser Forts häufig Unannehmlichkeiten, da sie dann zwischen den sehr zur Selbsthilfe geneigten, im Hinterwald ansässigen Farmern und den indianischen Spitzbuben zu entscheiden haben, was selten ohne Verdrießlichkeiten abgeht. Das ist aber auch alles, ich glaube nicht, daß die Indianer im Norden noch einmal zu den Waffen greifen werden.«

»Sie treten bald Ihren Marsch an?«

»Ich bin nur hier, um mich beim Gouverneur zu verabschieden und den alten Freund Myers wiederzusehen, ich reise morgen mit meiner Tochter nach Grand Haven, wo wir uns einschiffen.«

»Ihr Fräulein Tochter begleitet Sie, Herr Oberst?« fragte erstaunt der junge Mann.

»Ja, Herr, Frances Schuyler verläßt ihren Vater nicht.«

Sie schritten weiter, bis sie auf die Damen trafen, welche Mister Myers in guter Laune zu erhalten wußte, wenigstens herrschte sehr muntere Stimmung, als sie zu ihnen gelangten. »Was erregt die Heiterkeit der Damen?« fragte der Oberst.

»Papa erzählt wieder seine drolligen Geschichten.«

»Pst! Mary, Pst!« lachte er. »Es ging wieder über den Adel her, Schuyler, und da Ihr von altem holländischem Geschlecht seid und der Herr Graf sogar ein deutscher Lord ist, so könnte ich mit meiner Geschichte gut ankommen.«

»Nur immer zu, Myers,« sagte Oberst Schuyler.

»Ich werde sie mit dem Stoizismus eines Indianers ertragen,« fügte Graf Edgar hinzu.

»Machen uns gar manchmal lustig, Herr Graf, über Adel, Orden und so weiter, wahrscheinlich, weil wir beides nicht haben können, aber ist harmlos. Haben da eine Familie hier, Courtland, behauptet vom ältesten normannischen Adel abzustammen und mit Wilhelm dem Eroberer in England eingezogen zu sein, ist sehr stolz darauf, sehr exklusiv in gesellschaftlicher Beziehung und behandelt uns Staubgeborene ohne sechsunddreißig Ahnen etwas von oben herunter. Der witzigste Kopf Lansings, der Advokat Hoboken, erzählte nun kürzlich einem besonders hochmütigen Angehörigen dieser Familie folgende Geschichte:

»›Kennen Sie,‹ fragte er den Normannensprößling, ›die Geschichte von der Namengebung an Adam?‹

»Alles ringsum, es war in großer Gesellschaft, horcht auf, denn Hobokens scharfer Witz ist so allgemein bekannt, wie die Schwäche der Courtlands.

»›Nein,‹ sagt der Gefragte harmlos.

»›Als Gott Adam geschaffen hatte,‹ so ließ sich unter tiefem Schweigen der Anwesenden der Advokat vernehmen, ›forderte er ihn auf, sich einen Namen zu wählen.‹

»Nach einigem Nachsinnen sagte Adam: ›Nun, wenn ich wählen darf, so möchte ich wohl Courtland heißen.‹

»›Nun sieh mal einer,‹ sagte lächelnd der liebe Gott, ›diesen Burschen an, sich gleich solchen alten vornehmen Namen auszusuchen.‹

»Das Gelächter war unauslöschlich, welches hierauf ausbrach.«

Der Graf und Schuyler lachten auch.

»Mister Myers hat immer seine Schnurren im Kopf,« sagte Mistreß Myers. »Gott bewahre ihm seinen Humor.«

Indem sie sich anschickten, weiterzugehen, traf es sich, daß Edgar neben Miß Schuyler einherschritt.

»Ihr Vortrag der Orpheusarie hat mich sehr ergriffen, Miß Schuyler, Sie sind eine Künstlerin.«

»Nein, aber ich singe mit dem Herzen, Herr Graf, und da ist bei einem solchen Tonstück die Wirkung unwiderstehlich auf fühlende Menschen,« sagte sie einfach.

»Wenn Ihnen bekannt ist, was mich in dieses Land geführt hat, können Sie erst recht ermessen, wie des Orpheus' Klage mich berührt,«

»Ich habe von dem traurigen Schicksal Ihrer Schwester, wie von Ihrer Mission gehört, und hoffe zu Gott, daß auch treue Bruderliebe im stande ist, der Unterwelt ein Opfer zu entreißen,«

Sie gingen schweigend eine Weile nebeneinander.

»Sie begleiten Ihren Vater in seine einsame Garnison, Miß?«

»Ja. Mein Vater hat nichts auf der Welt als mich, und ich nichts Teureres auf Erden als ihn, den besten der Väter, den vollendetsten Gentleman, den tapfersten Krieger.«

Ihr Auge leuchtete, als sie sprach, und Edgar sah mit aufrichtiger Bewunderung in dieses schöne, von edlen Gefühlen belebte Antlitz.

»Es ist, wie mir Oberst Schuyler sagt, nicht unwahrscheinlich, daß wir uns in den Urwäldern des Nordens wieder begegnen.«

»Es soll mich freuen. Sie dort zu sehen und gute Nachrichten von Ihnen zu hören.«

»Sie fürchten also dieses einsame Leben in jenen so entfernten Garnisonen nicht?«

»Nein, Herr Graf, nachdem ich einige Zeit in Washington zugebracht, wo mein Vater im Kriegsdepartement tätig war, sehne ich mich sogar danach. Es sollen Unordnungen dort oben in den Garnisonen herrschen, deshalb sendet man einen Offizier vom Range meines Vaters dorthin; er wollte den Auftrag meinethalben schon ablehnen, ich selbst habe ihn dazu bestimmt, ihn anzunehmen, ich bin der Bälle, der Soireen, des Klatsches herzlich überdrüssig, und wenn ich,« setzte sie lächelnd hinzu, »Aussicht habe, wie meine liebe Mary meint, Königin der Ottawas zu werden, so ist das schon eines Aufenthaltes in einem einsamen Fort wert.«

Der Graf dachte in seinem Sinn: selten wie das Aeußere dieses Mädchens ist auch sein Denken und Fühlen. Etwas wie ein Kompliment schwebte ihm auf den Lippen, was er in andrer Gesellschaft mit Eleganz vorgebracht haben würde, doch diesem Mädchen gegenüber, die ausgestattet mit solch hohen Vorzügen der Seele wie des Körpers, sich dennoch so schlicht und einfach gab, und einen öden Aufenthalt an der Seite des bejahrten Vaters dem in den Salons der Hauptstadt des Landes vorzog, wollte es nicht über die Lippen, er sagte nur: »Wohl dem Vater, der sich einer solch liebevollen Tochter erfreut.«

Sie traten wieder zu den andern, und Graf Edgar schickte sich an, sich zu verabschieden. Er dankte den Damen des Hauses und vor allem Mister Myers, der ihn mit so warmer Freundlichkeit aufgenommen hatte.

»Den Brief an den Peschewa haben Sie morgen früh, Herr Graf, ebenso den an den Agenten am Manistee, außerdem sind Sie mir, so lange Sie in Lansing weilen, jederzeit willkommen. Die Dinnerstunde kennen Sie nun.«

Oberst Schuyler sagte: »Ich rechne auf ein Wiedersehen im Norden. Sollten Sie mich im Fort Jackson nicht persönlich antreffen, so werden Sie den zeitigen Kommandanten angewiesen finden, Ihnen allen möglichen Beistand zu leisten. Ich wünsche Ihnen besten Erfolg.«

Als er sich von Miß Schuyler verabschiedete, reichte sie ihm die schmale weiße Hand mit den Worten: »Ein guter Stern leite Sie auf Ihrer Fahrt und zu ersehntem Ziele.«

Der junge Mann war bewegt von der so herzlichen Freundlichkeit, mit welcher ihn diese guten und hochgebildeten Menschen aufgenommen hatten, als er Myers' gastliches Heim verließ, und immer klang noch des Orpheus' Klage von solch sympathischer Stimme vorgetragen ihm im Ohr. »Ein seltenes Mädchen,« sagte er leise vor sich hin.

Vor dem Gouvernementsgebäude erwartete ihn Heinrich und ging mit ihm zum Hotel zurück, den mit schönen Ulmen geschmückten Broadway hinunter.

Während sie so zwischen Spaziergängern, welche der schöne Abend ins Freie gelockt hatte, entlang schritten, fiel beiden das Gesicht eines Mannes auf, der an ihnen vorbeikam.

»Hast du dir diese Visage angesehen, Heinrich?« fragte der Graf, »welche Aehnlichkeit mit einem Fuchse.« Der Mann, der ihnen begegnet war, hatte ein spitzes Gesicht, hervorragende Nase und ein Paar stechende schwarze Augen.

»Mehr noch wie ein Marder, Herr Graf.«

Bei dem Wort Marder fiel dem jungen Manne der Name »Iltis« ein, den die Farmer am Muskegon einem der Räuber gegeben hatten.

Er blieb plötzlich stehen und sagte: »Mein Gott, wo hatte ich meine Augen, der Mann im Gouvernementsgebäude war einer von den Schurken, die bei Grover einkehrten, der Gefährte von Morris. Jetzt weiß ich's. Wie konnte ich auch vermuten, einen der Gesellen hier, und im Regierungsgebäude anzutreffen? Was nun beginnen?«

»Wenn der Herr Graf der Sache sicher sind, müßte man es doch der Polizei anzeigen.«

Nach einigem Nachdenken entschloß Edgar sich, zu Mister Myers zurückzukehren und ihm seinen Verdacht mitzuteilen.

Der war nicht wenig erstaunt über die zuversichtliche Behauptung des Grafen und sagte, auf das Abendblatt der Staatszeitung deutend: »Dann haben mir auch bereits einen Beweis von der unheilvollen Tätigkeit der Verbrecher.«

Des Grafen Auge fiel, als er das Blatt in die Hand nahm, auf einen auffällig gedruckten Artikel, in welchem über einen vor einigen Tagen verübten Mord berichtet wurde, der erst gestern entdeckt worden war. Man hatte die gänzlich entkleidete und verstümmelte Leiche eines alten Mannes gefunden, deren Identität bis jetzt noch nicht festgestellt werden konnte.

»Da wollen wir,« sagte Myers, »doch sofort die Polizei avertieren, ob ich mich gleich vergeblich frage, was der Kerl hier in Lansing und bei mir wollte? Irren Sie sich auch nicht?«

»Ich irre mich nicht.«

»Dann muß er auch Sie erkannt haben und leichter, als Sie ihn.«

»Das ist möglich.«

Er teilte weiter seine Begegnung mit dem Manne auf der Straße mit, dessen Gesicht sowohl ihm als Heinrich aufgefallen war.

»Das wäre, wenn auch der Iltis hier weilte.«

Unverzüglich begaben sie sich nach dem Polizeibureau, welches sich ebenfalls im Regierungsgebäude befand, und trafen den Polizeichef noch an.

Nachdem dieser Myers und den Grafen angehört hatte, ließ er sich den Farmer von Muskegon schildern und verglich die Schilderung mit einem Signalement, in einem seiner Bücher. »Es ist kein Zweifel, das war der berüchtigte Wilfers,« sagte er dann, »aber auch ich frage mich vergeblich, was der Mann hier gewollt hat? Den andern, dem Sie auf der Straße begegneten, habe ich hier nicht verzeichnet, der hat sich seine Berühmtheit nur an der Grenze erworben, und wir haben kein Signalement von ihm.«

Alsbald wurden Beamte nach allen Hotels und nach dem Bahnhof abgeordnet, und der Telegraph spielte nach allen Richtungen.

»Ist das Wilfers gewesen, dann hat er auch den Mann am Cedercreek ermordet und die Leiche ganz unkenntlich gemacht, um nicht zu früh die Entdeckung herbeizuführen.«

Während sie noch über den Fall sprachen, ließ sich ein Bankier der Stadt in dringender Angelegenheit melden.

Vorgelassen, berichtete er, daß heute morgen ein Mann, seiner Schilderung nach Wilfers, ihm den Check eines langjährigen Geschäftsfreundes, des wohlhabenden Landmannes eines benachbarten Countys, präsentiert habe, der sich selbst als Farmer und Nachbar des Ausstellers vorgestellt habe. Da der Check gut war und der Mann nichts Verdächtiges an sich trug, habe er den Check, auf tausend Dollar lautend, anstandslos eingelöst. Als er die Abendnummer der Staatszeitung gelesen habe und von dem Raubmord am Cedercreek erfahren, sei ihm unwillkürlich der Gedanke gekommen, der Ermordete, dessen Ankunft schon seit einiger Zeit avisiert sei, sei sein Geschäftsfreund Lewis von Bathfield, und der, der den Check präsentiert habe, sein Mörder oder wenigstens ein an dem Morde Beteiligter.

»Nun wissen wir,« sagte der Polizeichef, »was der Schurke in Lansing wollte. Der Ermordete kam von Bathfield die Landstraße von Norden und ebenso der Mörder vom Muskegon denselben Weg her.«

Er bedankte sich bei dem Bankier und verabschiedete ihn.

»Doch das erklärt noch nicht, was er bei Ihnen wollte, Myers? Dahinter muß noch etwas Besonderes stecken. Nun, wir werden ja sehen.«

Zudem traf auch schon die Meldung ein, daß ein Farmer, der sich Wharton nannte und von Muskegon kam, im Unionhotel gewohnt habe, heute morgen aber ganz plötzlich abgereist sei und zwar zu Pferde und nach Süden zu.

Am zweiten Tage nach diesen Ereignissen verließ Graf Edgar das gastfreundliche Lansing, nachdem er Athoree zu sich gerufen hatte, nahm einen kurzen Aufenthalt in dem am Michigansee gelegenen Grand Haven, wo er Oberst Schuyler in voller Tätigkeit antraf, die Ausrüstung seiner Truppen zu vervollständigen und deren Überführung nach Norden zu bewerkstelligen, und schiffte sich dann mit seinen Begleitern auf einem Dampfer ein, um vom Manistee River aus seinen Zug in die Wälder zu beginnen.


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