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Achtes Kapitel.

Am großen Ratsfeuer der Chippeways.

Die Niederlassungen der Ottawas dehnten sich in zerstreuten Dörfern über fast zehn deutsche Quadratmeilen aus, ein Gebiet, welches ihnen von der Regierung der Vereinigten Staaten nach ihrer Vertreibung aus ihren früheren Wohnsitzen angewiesen worden war und das ihnen nicht genommen werden konnte, solange sie sich ruhig verhielten.

An einem kleinen See, drei Tagemärsche westlich von Fort Jackson lag das Hauptdorf dieser Stämme, in welchem ihr Oberhaupt Peschewa hauste.

Es bestand zum größten Teile aus gewöhnlichen Indianerhütten, welche durch zusammengenähte, gegerbte Tierfelle, die über in einer Spitze vereinigte Stangen gezogen waren, gebildet, den Bewohnern einen nur mangelhaften Schutz gewährten; doch zeigten sich auch einige kleine Blockhütten an dem Ufer des Sees.

In der ansehnlichsten derselben wohnte Peschewa, der die Ottawas regierte, soweit man bei einem Indianerstamm von Regierung sprechen kann. Das Dorf wies im ganzen etwa hundert Behausungen auf. Die Regierung der Vereinigten Staaten hatte die Ottawas aus Ohio und vom Eriesee, wo sie ziemlich zahlreich wohnten, gleichwie die in Michigan umherschweifenden Stämme, als deren ausgedehnte Jagdgründe der sich mehrenden ackerbautreibenden Bevölkerung zu neuen Ansiedlungen notwendig wurden, hierher zurückgewiesen und unterstützte sie vertragsmäßig mit Geld, Vieh, Kleidungsstücken, Kernfrüchten und so weiter, was alles leider häufig durch die betrügerische Handlungsweise der Agenten, welchen die Vermittlung übertragen war, arg verkürzt wurde oder in üblem Zustande zu den Indianern kam.

Der Leichtsinn dieser Naturmenschen ging noch dazu keineswegs haushälterisch mit dem um, was wirklich in ihren Besitz gelangte, so daß, da die Jagd immer unergiebiger wurde und der Anbau von Mais und Korn sehr geringfügig war, oftmals empfindlicher Mangel in der Reservation der Ottawas herrschte.

Die Gegend, in welche die Regierung sie verwiesen hatte, war nicht übel; zahlreich waren Bäche und fischreiche Seen, auch war das Land fruchtbar. Im ganzen waren aber die Indianer auf die Unterstützung der Regierung angewiesen, um nicht zu verkommen.

Die hier im Nordwesten der Halbinsel angesiedelten Ottawas mochten an fünf- bis sechstausend Köpfe stark sein und konnten leicht über tausend kampffähige Männer ins Feld stellen.

Die bitterste Not, verursacht durch die Manipulationen gewissenloser Agenten, hatte vor drei Jahren einen Teil des Volkes zu einem verzweifelten Angriff auf die südlich ihrer Reservation gelegenen Farmen veranlaßt, wofür sie dann, nachdem sie mit Feuer und Schwert alles verwüstet hatten, was sie erreichen konnten, zuerst von den erbitterten Farmern und später noch durch die Regierungstruppen grausam gestraft wurden.

Peschewa, der eine für einen Indianer nicht üble Kenntnis der Verhältnisse der Weißen besaß, hatte damals von dem aussichtslosen Kriegszug energisch abgeraten und durch seinen Einfluß auch den größeren Teil seines Volkes von der Beteiligung an demselben zurückgehalten. Wie weise er geraten hatte, lehrte die Folge. Nachdem die Ruhe, nach Abhaltung eines strengen Gerichtes über die Ottawa, wieder hergestellt worden war, wählte ihn sein Volk, da der bisherige Führer durch den Strang hingerichtet worden war, zum Oberhaupt sämtlicher Ottawastämme. Peschewa, der alle wilden Instinkte des Indianers besaß und als rücksichtsloser, grausamer Krieger sich in früheren Kämpfen ausgezeichnet hatte, war, sobald er die Leitung der Angelegenheiten seines Volkes in die Hand genommen hatte, klug genug, sich mit der Regierung und den Agenten auf möglichst guten Fuß zu stellen und verstand es, seine wilden Untergebenen von Ausschreitungen zurückzuhalten, so daß während der drei Jahre seiner Herrschaft ein leidliches Verhältnis zwischen den Ottawas und den Weißen bestand, wenn der tiefe Haß der Indianer gegen ihre Unterdrücker auch mit unverminderter Kraft unter leichter Decke schlummerte.

Die Regierung hatte hier oben im Norden an den Seen, nächst den Ottawas, auch die Pottawatomies angesiedelt, und jenseits der Straße von Mackinaw auf der nördlichen Halbinsel von Michigan die Saulteux, wie einen kleinen Teil des Huronenvolkes, welches, früher von Kanada her eingewandert, noch im Anfang des Jahrhunderts inmitten Michigans seßhaft gewesen war.

Das waren die Verhältnisse, in welchen die Ottawas lebten, als Graf Edgar sich anschickte, sie aufzusuchen.

Wenn für gewöhnlich das Dorf, welches gewissermaßen als Mittelpunkt sämtlicher zerstreuter Niederlassungen dieses Volkes gelten konnte, die Ruhe aufwies, welche bei dem Indianer vorwaltet, wenn er nicht von wilder Leidenschaft hingerissen ist, so herrschte heute ein, freilich nur dem Kenner indianischer Art bemerkbares Leben zwischen den in unregelmäßigen Zwischenräumen errichteten Hütten.

In einzelnen Gruppen standen die Männer zusammen und unterhielten sich leise.

Flinke Boten eilten aus dem Walde der Blockhütte Peschewas zu, andre kamen von dort und suchten die Ferne.

Hie und da schritt ein alter Häuptling, dem die Gruppen der andern bereitwillig Platz machten, nach der Hütte des Hauptes der Nation. Von Zeit zu Zeit trafen über den See, im Kanoe kommend, oder aus den Wäldern auftauchend, Ottawahäuptlinge und alte erfahrene Krieger des Stammes ein. Ja, der Kenner indianischer Trachten würde erkannt haben, daß heute Männer der den Ottawas verwandten Stämme, der Pottawatomies und selbst der fern wohnenden Saulteux anwesend waren. Diese wurden von den ältesten der hier ansässigen Ottawas bewillkommt und zu einem großen Feuer geführt, wo sie mit Fleisch und Rum gastlich bewirtet wurden.

Obgleich wohl an dreihundert und mehr Männer hier versammelt waren, hörte man doch keinen lauten Ton. Die Indianer unterhielten sich in gemessener Weise. Einzelne Weiber machten sich an den Feuern zu schaffen, an welchen Fleischstücke geröstet wurden.

Selbst die wilde Jugend des Dorfes, welche oftmals den nahe gelegenen Wald von ihrem Geheule widerhallen ließ, war heute verstummt, und bewegte sich in ehrfurchtsvoller Stille im weiten Umkreise des Dorfes oder barg sich in den Wigwams, mitunter neugierig durch deren Spalten lugend.

Es war klar, im Hauptdorfe der Ottawas bereitete sich etwas Besonderes vor.

Peschewa hatte man seit Tagen nicht gesehen, er hatte seine Blockhütte nicht verlassen, und nur die angesehensten Häupter hatten Zutritt zu ihm während dieser Tage gehabt.

Über dem Ganzen lag eine Stimmung, welche gerade wegen ihrer Ruhe und der ernsten Gehaltenheit im Benehmen aller etwas Unheimliches hatte.

Die Sonne hatte den Zenith schon weit überschritten, als zwei neue Gäste anlangten, welche die Aufmerksamkeit der zerstreuten Gruppen erregten. In beschmutzten und zerrissenen Kleidern erschienen Morris und Tyron an den ersten Hütten des Dorfes und schritten ungehindert auf dessen Mitte und das dort lodernde Feuer los, an welchem die Gäste bewillkommnet wurden. Morris trug eine Soldatenflinte in der Hand. In einigen der Gruppen, an welchen die wüst und verkommen aussehenden Gestalten vorüberschritten, flüsterte man: »Die rote Hand.« Als die beiden an dem großen Feuer angelangt waren, wo einige Morris bekannte Ottawahäuptlinge weilten, rief er einem derselben zu: »Ah, Kitate, ich freue mich, dein ehrliches Spitzbubenantlitz zu sehen. Wie befindet sich mein Freund Peschewa?«

Mit keineswegs freundlichem Gesicht entgegnete der Angeredete: »Was führt die rote Hand zu den Wigwams der Ottawas?«

»Das Bedürfnis, meine alten lieben Freunde zu sehen. Gib mir deine tapfere Rechte.« Dabei streckte er die seinige dem Indianer entgegen.

Dieser war durchaus nicht bereit, sie zu nehmen.

»Wie? Alter Freund, heißest du mich nicht willkommen, mich, der so manche Flasche Rum für dich bezahlt hat?«

»Denke, Peschewa, Rothand sagen, er nicht mehr zu Ottawa kommen.«

»Das ist ganz richtig, aber das kam dem ehrlichen Peschewa durchaus nicht aus dem Herzen-, du weißt so gut als ich, daß die verd– Schurken in Lansing mich von hier vertrieben haben. Sie hassen mich, diese Hunde, wie sie euch hassen. Wo ist denn der große Häuptling der Ottawas?«

»Peschewa in sein Wigwam.«

»So? Nun, so will ich Seiner Hoheit doch sogleich meine Aufwartung machen.« Er wandte sich nach der Blockhütte Peschewas zu, die er von seinem früheren Aufenthalt her recht gut kannte, als der Indianer vor ihn trat und ihm zurückwinkte.

»Was bedeutet das, Kitate?«

»Peschewa nicht sprechen.«

»Das ist stark. Meinen alten lieben Freund Peschewa, die Perle aller roten Leute, nicht sprechen! Ja, wozu bin ich denn hierher gekommen, als um seine ehrliche Hand zu schütteln.«

»Denke, du gekommen weil Sheriff auf deiner Fährte, du bergen gern dein Haupt vor ihm in den Wigwams der Ottawas.«

Morris lachte gezwungen. »Unsinn, alter Bursche, ich stehe mit dem Sheriff und allen weißen Leuten auf dem besten Fuße, sie lieben mich außerordentlich. Aber ich habe schon unten am Muskegon ein Vöglein pfeifen hören, es könnte sich am Ende ereignen, daß man hier zwei gute Büchsen, wie die meine und die meines Freundes, brauchen könnte. Was sagst du dazu, Kitate?«

Der Ottawahäuptling, dessen Auge alle Aeußerlichkeiten der beiden bereits prüfend überflogen hatte, entgegnete trocken: »Zwei Büchsen? Sehe – nur Flinte von Langmesser hier – eine.«

»Ja, denke dir, mir sind von Raubgesindel angehalten worden da am Chippewaysee, haben uns alles abgenommen, waren in eine Falle gegangen. Kommen todmüde und halbverhungert hier an. Wollt Ihr mir, einem alten Freunde, in dieser Lage Gastfreundschaft verweigern?«

Der Indianer hatte aus dem Zustande, in welchem Morris und Tyron vor ihm standen, bereits seine Schlüsse gezogen. Er sagte jetzt: »Kitate wird zu Peschewa sprechen, ihm sagen, die rote Hand sei da.«

Damit ging er zu des Oberhauptes Hütte.

Morris und Tyron sahen sich an.

»Der Empfang war ja recht erbaulich, Bill, was meinst du?«

»Kalkuliere, sind sehr erfreut uns zu sehen.«

»Nun vielleicht geruhen Seine rothäutige Majestät uns nach geschehener Anmeldung zu empfangen. Uebrigens, Bill, ich müßte mich schlecht auf Indianer verstehen oder hier wird etwas Absonderliches vorbereitet. Der Iltis hat doch ganz recht gehabt, als er erzählte, die Bursche steckten die Köpfe zusammen. Wenn uns der rote Spitzbube übrigens ein Haus weiter schickt, so hoffe ich, daß er uns wenigstens Gewehre und Munition geben wird. Wir müssen dann sehen, wie mir uns durch die Wirrsale dieser Welt möglichst glimpflich durchschlagen.«

»Wäre alles schon gut,« knurrte Tyron, »wenn ich nur etwas zu essen hätte, ich bin krank vor Hunger.«

Und er warf einen sehnsuchtsvollen Blick nach dem Feuer, wo Stücke Hirschfleisches schmorten.

In kurzer Frist erschien Kitate, der Otter, wieder und sagte: »Die rote Hand und sein Freund können an den Feuern der Ottawas bleiben. Am Abend wird entschieden werden, ob sie weiter gehen müssen.«

»Und will mich Freund Peschewa nicht sprechen?«

»Ihn jetzt nicht sprechen. Am Abend sprechen.«

Er wies auf das nahe Feuer, wo ein altes Weib beschäftigt war, den Bratspieß zu drehen; einige Krieger lagen daneben ausgestreckt.

Morris ließ sich nicht lange nötigen, er und sein Genosse setzten sich an der bezeichneten Stelle nieder. »Gebt ein wenig Raum, Freunde,« sagte er zu den dort liegenden Indianern, zog ungeniert sein Messer und schnitt sich ein gehöriges Stück Fleisch ab. Ein gleiches tat Tyron. Ihre indianischen Nachbarn erhoben sich schweigend und setzten sich an ein andres Feuer.

Ingrimmig aber leise stieß Morris einen Fluch aus, als das geschah, doch ließ er sich nicht in Befriedigung seines Heißhungers stören. Mit gleich wölfischer Gier schlang Tyron die Fleischstücke hinunter.

Endlich mußten sie nun doch ihre Mahlzeit schließen und Morris sagte mit einem Ausdruck tiefer Befriedigung: »Ha, das traf sich gut, es schmeckt doch nicht besser, als wenn man gefastet hat wie mir. Verd– sei der uniformierte Schuft, der uns seine Musketenkugeln um die Ohren sausen ließ. Wenn er mir im Walde begegnet, soll er es bereuen, zwei ehrenwerte Bürger so behandelt zu haben. Haha! Tyron,« lachte er roh auf, »schickt er uns noch den Esel von Pottawatomie nach – der wie ein hungriger Wolf auf der Fährte herlief. Muß meine Kugel ordentlich gesessen haben, daß der Bursche seine Jagd einstellte.«

»War 'ne unangenehme Geschichte da am See – meine Büchse zum Teufel. Ohne Büchse in den Wäldern komme ich mir vor wie ein Fisch auf dem Trockenen! Habe die Notion, wird dem Herrn Offizier auch nicht gut ergehen, wenn er Bill Tyron schußgerecht in den Weg kommt.«

»Bin neugierig genug zu erfahren, was die roten Halunken vorhaben. Ich sehe Pottawatomie hier und sogar Saulteux. Die werden doch nicht etwa Onkel Sam über den Haufen rennen wollen? Wenn ich nur erst den braven Peschewa gesprochen hätte. Der Mann ist für allerlei kleine Pläne zugänglich.«

»Seine Freundschaft für dich scheint doch nicht allzugroß zu sein.«

»Ja, bei großen Herren ist man nie sicher, wie man aufgenommen wird, wenn man nach längerer Zeit wiederkommt und zwar wie wir mit leerer Hand.«

»Möchte doch wissen, was aus Burton und dem Iltis geworden ist,« äußerte Tyron nach einer Weile, »war eine ganz verteufelte Idee der beiden, sich nach Süden zu wenden statt mit uns nach Norden zu gehen.«

»Kalkuliere, Burton fühlt sich nicht wohl in der Wildnis, ist ein Gentleman, eignet sich mehr für die Stadt. Kommt nur zu uns, wenn es ihm dort zu heiß wird. Versteht mehr wie mir, Bill, kann dir Kartenkunststücke machen, daß einem die Augen übergehen. Ist auch ein saures Leben im Walde. Kalkuliere, tut recht der Burton, in die Städte zu gehen, ist ein gewandter Mann. Freilich ist er dem Strick dort viel näher als hier – aber – ist ein gewandter Mann. Habe es eigentlich satt, Bill. Wenn ich auf irgend eine Weise ein paar Tausend Dollar ergattern könnte, ging ich nach dem Westen und würde ein solider ruhiger Bürger.«

»Würden bald zu Ende sein, die paar Tausend Dollar.«

»Denke nicht, habe große Lust ein anständiger Kerl zu werden, bin der ewigen Hetzerei müde. Wie jagten die Hunde am Muskegon hinter uns her? Fehlt nicht viel, waren mir am Ende. Wenn ich der schuftigen Rothaut noch einmal begegne – dann – aber haha – 's war doch ein Hauptspaß, als das Feuer ihnen im Nacken brannte. Gloriose Idee vom Iltis. Möchte wohl wissen, ob sie entkommen sind, oder ihre Knochen in der Prairie gelassen haben. Haha! Gaben die Schufte Fersengeld. Tröstete mich einigermaßen für die schönen Pferde. Hoffe, die Hunde sind Staub und Asche geworden.«

Tyron schloß sich diesem so christlichen Wunsche an.

»Bin nicht ohne Besorgnis, Bill,« äußerte er nach einiger Zeit, »weiß nicht, was hier vorgeht, was der Peschewa vorhat. Helfen uns die roten Hunde nicht, ist die Sache schlimm. Müssen dann auf etwas andres sinnen, was uns heraushilft. Indessen warten wir zunächst die Sache ruhig ab, bin schon in schlimmeren Lagen gewesen.«

Die Zahl der von allen Seiten eintreffenden Indianer hatte sich noch gemehrt, und obgleich alle dieselbe ruhige Haltung beobachteten wie bisher, richtete sich doch manch fragender Blick auf die Hütte Peschewas.

Drei langgezogene Muscheltöne, die weit umher die Wälder wiederhallen machten, ließen sich jetzt von der Behausung des Häuptlings her hören. Hierauf erhoben sich die, welche lagerten, und alle zogen sich in einem weiten Umkreis zurück, den Platz in der Mitte des Dorfes vollständig freigebend. Auch Morris und Tyron hielten es für geraten, sich möglichst weit vom Mittelpunkte zu entfernen. Weiber und Kinder verschwanden gänzlich. Zwei Jünglinge richteten von vorbereiteten Scheiten einen Holzstoß inmitten des ausgedehnten Kreises auf und entfernten sich dann wieder. Aus Peschewas Hütte trat Kitate hervor, einen Feuerbrand in der Hand tragend, mit welchem er, leise und eintönig singend, den Holzstoß anzündete.

Als die Flamme des trockenen Holzes hoch aufschlug, winkte er mit der Hand und rief: »Das große Ratsfeuer der Chippeways brennt!«

Aus den in weiter Runde umherstehenden Männern traten die vierzig angesehensten Häuptlinge hervor und umgaben in kleinerem Kreise das Feuer.

Von neuem winkte Kitate und rief: »Die Krieger des Ottawavolkes sind am großen Ratsfeuer der Nation willkommen.«

Etwa zweihundert der Umstehenden traten hierauf auf das Feuer zu und bildeten einen zweiten, größeren Kreis, hinter den Häuptlingen, um dasselbe.

Auf einen Wink Kitates traten alle übrigen noch weiter zurück.

Alles dies geschah in tiefem, feierlichem Schweigen. Kitate ging hierauf zur Hütte Peschewas und gleich darauf trat der erste Häuptling der Ottawas, gefolgt von ihm und den beiden Gefährten, mit welchen er im Fort geweilt hatte, aus derselben hervor.

Peschewa war in vollem Schmuck eines indianischen Stammoberhauptes.

Er trug ein bis zum Knie reichendes Gewand von weichster Hirschhaut, dessen Ränder und Nähte die Kunst der Weiber reich geziert hatte.

Von seinen Schultern wallte ein langer Mantel von schön zubereiteten Otterfellen hernieder, den eine silberne Spange zusammenhielt. Das Haupt umwand ein scharlachrotes Tuch, unter welchem das lange schwarze Haar herniederhing, überragt von einigen Adlerfedern. Um den Hals trug er an leichter Kette eine goldne Medaille, welche ihm die Regierung der Vereinigten Staaten geschenkt hatte, als er zum Haupte seines Volkes gewählt ward. Der große, mit Stickereien und seltsamen Zeichen bedeckte Wampumgürtel der Chippeways, welcher nur bei den feierlichsten Anlässen und nur da, wo alle Stämme vertreten waren, öffentlich erschien, umwand seine Hüften.

Langsam, in würdevoller Haltung, schritt Peschewa auf das Feuer zu.

Im Kreise der Häuptlinge stehend, nachdem er den Kreis der Krieger durchschritten hatte, grüßte er die Versammlung durch leichtes Neigen des Hauptes und eine Bewegung mit der Hand.

»Die Häuptlinge meines Volkes sind Peschewa willkommen.« »Die Gesandten der Brudervölker der Pottawatomies und Saulteux sind willkommen am großen Ratsfeuer der Ottawas.«

»Die Krieger meines Stammes sind willkommen.«

Alle im Kreise befindlichen Männer neigten das Haupt.

Zwei Jünglinge waren mit Peschewa aus der Hütte getreten, von denen der eine einen Feldstuhl trug, den er jetzt dem Häuptling hinsetzte, nachdem er ihn mit einem Pantherfell bedeckt hatte, der andre hielt eine mit Tabak gefüllte Pfeife, welche auch nur bei den größeren Ratsversammlungen benützt wurde.

Der Häuptling setzte sich und alle folgten seinem Beispiele.

Darauf reichte ihm der Jüngling die Pfeife und entzündete sie mit einem aus dem Beratungsfeuer gezogenen Span.

Beide verließen dann die Kreise und zogen sich weit zurück.

Peschema, dessen energisches, trotz seines kühnen Profils nicht unschönes Gesicht einen düsteren Ernst zur Schau trug, blies den Rauch seiner Pfeife gen Himmel und dann gegen die vier Weltgegenden, und reichte sie dem neben ihm Sitzenden.

Nach indianischer Gepflogenheit machte nun die reich verzierte Friedenspfeife die Runde unter feierlichem Schweigen der Versammlung, was einige Zeit in Anspruch nahm.

Endlich kam sie zu Peschewa zurück, und die bei jeder indianischen Beratung unvermeidliche Ceremonie war vorüber.

Jetzt erhob sich der Häuptling in der ganzen Höhe seiner Gestalt.

Es war nicht zu leugnen, der Indianer hatte in der Ruhe und Würde seiner Haltung, in dem ernsten Antlitz etwas von einer wilden Majestät an sich, wie denn auch die ganze Versammlung dieser roten Männer, deren charakteristische, dunkel gefärbte Gesichter, während die blitzenden schwarzen Augen auf den Häuptling gerichtet waren, einen tiefen Ernst bewahrten, etwas durchaus Würdiges zur Schau trug.

»Häuptlinge und Krieger der Ottawas,« begann Peschewa mit tiefer, klangvoller Stimme, »ich habe den Wampum zu euch gesandt, euch zur großen Ratsversammlung unsres Volkes zu laden, ihr seid gekommen und Peschewa dankt euch dafür.

»Häuptlinge der Saulteux und Pottawatomies, ich habe den Wampum meines Volkes zu euch gesandt, denn wir sind Söhne eines Vaters, damit ich beim großen Ratsfeuer der Nation die Stimme von Freunden höre. Ihr seid gekommen und ich danke den Saulteux und Pottawatomies, ich danke euch dafür.«

Eine Handbewegung von echt indianischer Höflichkeit begleitete diese Worte.

Dann fuhr er fort: »Vor drei Sommern zogen Männer der Ottawas aus, getrieben vom Hunger, der selbst das Tier im Winter, wenn der böse Geist sein Leichentuch über die Erde breitet, bis in die Dörfer treibt, in die Niederlassungen der Weißen, um Nahrung zu holen für ihre Weiber und Kinder, die sterbend zu ihren Füßen lagen. Es waren nicht Ottawakrieger, es waren hungrige, wahnsinnige Wölfe, welche in die Ansiedlungen einbrachen, und den Yankees, als sie es nicht gutwillig gaben, Mehl und Fleisch, und als sie zu den Büchsen griffen, auch ihre Skalpe nahmen. Peschewa widerriet damals den Kriegspfad zu betreten, denn er kannte die Macht der weißen Menschen und wußte, daß das ganze Volk es büßen müsse. Er blieb zurück und mit ihm alle, die seinem Rate folgten. Ihr wißt, Männer der Ottawas, daß die Krieger des großen Vaters in Washington kamen, uns zu strafen. Sie haben es getan, denn es waren ihrer viele und wir waren wenige. Als genug der Ottawas gefallen waren im Kampfe, boten die Regierungsmänner Frieden und wir nahmen ihn an, denn wir mußten. Wir häuften die Totenhügel unsern Brüdern, sangen ihnen das Totenlied und waren wieder die Freunde der weißen Männer, wie vorher.

»Peschewa riet, als die Krieger ausziehen wollten, um gegen den weißen Mann zu kämpfen, vor drei Sommern davon ab, denn er wußte, die Tapfern unsres Stammes würden sterben.

»Heute wünscht der Häuptling der Ottawas, er wäre mit gezogen zum Manistee und wäre dort gestorben.«

Eine Bewegung ging bei diesen Worten durch die Versammlung.

Der Ottawahäuptling, der sich selbst unter diesen geborenen Rednern durch seine oratorische Begabung auszeichnete, hatte einen Augenblick das Haupt gesenkt, dann erhob er es wieder, sein dunkles Auge überflog die Versammlung und er fuhr fort: »Es kamen vor drei Sommern die Häuptlinge und Krieger unsres Volkes zusammen, hier an dieser Stelle und entzündeten das Ratsfeuer, und sprachen: da Muga, der große Bär, nicht mehr unter uns weilte, ihr wißt alle, wie er gestorben ist,« trotz der Ruhe dieser Leute flog ein leichter Schauder bemerkbar bei diesen Worten durch ihre Reihen, »so mußte die Nation der Ottawas ein andres Haupt haben, und alle Stimmen fielen auf mich, Peschewa, den Sohn Metotos, des Büffels.

»Häuptlinge und Krieger der Ottawas, drei Sommer und drei lange Winter durfte ich den Wampum des großen Ottawavolkes tragen, den ihr um meinen Leib geschlungen, drei Sommer und drei lange Winter habe ich, wie ich's verstand, unter dem Beistand der Häuptlinge für das Wohl des Volkes gesorgt. Ich habe euch nicht auf den Kriegspfad geführt, obgleich Peschewa gerne Skalpe nimmt, denn aussichtslos ist der Kampf mit den Weißen, und nimmer soll der rote Mann mehr mit dem Bruder fechten, ich habe nur mit dem Hunger gekämpft, damit er euch nicht verschlinge. Ihr werdet sagen, ob ich recht getan.

»Häuptlinge und Krieger der Ottawas, die Zeit ist gekommen, wo Peschema den Wampum seines Volkes ablegen muß, wo ihr an seiner Stelle einen andern Häuptling wählen müßt, Peschewa, der Sohn Metotos, will zu seinen Vätern gehen.«

Eine Stille, daß jeder Atemzug zu hören war, herrschte ringsum. Alle wußten, was im Fort Jackson vorgekommen war, alle fühlten den Schimpf, der nicht nur ihrem ersten Häuptling, der dem ganzen Volke in seiner Person angetan war, und unter der äußerlich bewahrten Ruhe glühte ein verzehrendes Feuer von Zorn und Rachedurst.

Endlich erhob sich einer der Häuptlinge.

»Ich bin Kitschokema, der einsame Wolf. Ich zähle nicht so viele Sommer als die großen Häuptlinge meines Volkes, ich kann mich an Weisheit mit ihnen nicht messen, ich bin nur ein junger Häuptling, aber eines weiß ich und sage es so laut, daß alle Ottawas, daß alle Pottawatomies und Saulteux es hören, das Volk der Ottawas hat nie einen weiseren und gerechteren Häuptling an seiner Spitze gesehen, als Peschewa, die wilde Katze.«

Ein Murmeln des Beifalls lief durch die Kreise.

»Der große Häuptling der Ottawas sagt uns, er könne nicht mehr an der Spitze seines Volkes stehen, wir sollen einen andern Krieger an seine Stelle setzen, es sei Zeit für ihn, zu seinen Vätern in die glücklichen Jagdgründe zu gehen. Dies mag so sein, denn Peschewa sagt es. Doch warum will Peschewa allein gehen und nicht tausend Krieger der Ottawas hinter sich haben, die ihn begleiten in die glücklichen Jagdgründe und das Angesicht Manitous schauen? Peschewa rufe, und wo er geht folgen mir und sterben mit ihm, wenn er sterben will. Kitschokema hat gesprochen.«

Ein dumpfer, sich nach und nach verstärkender Laut des Beifalls flog durch die Reihen.

Es erhob sich Kitate, der sich hohen Ansehens erfreute und Stille herrschte wieder.

»Ehe Peschewa den Wampum seines Volkes von sich wirft, und ehe wir weiter beraten, was heilsam sei für sein Volk, übe er erst noch Gerechtigkeit. Er hat sein Gesicht tagelang vor seinem Volke verborgen. Junge Männer unsres Stammes sind beschuldigt, den Weißen im Fort Jackson die Kühe geraubt zu haben. Wo sind die jungen Männer? Ich will sie sehen und hören.«

Aus dem Volke, welches im Hintergrunde weilte, traten vier junge Leute, aus dem zweiten weiteren Kreise erhob sich einer der Krieger, und alle fünf traten in den inneren Kreis vor Peschewa, legten ihre Waffen zu seinen Füßen und standen dann in ehrfurchtsvoller Haltung da.

»Haben die jungen Männer den Weißen die Kühe geraubt?« fragte Kitate.

»Ja,« sagt der Krieger, »wir taten es. Die Jagd war schlecht, die Beute gering, denn immer weiter entfernt sich der Hirsch von den Gründen der Ottawas, die Weiber und Kinder hatten Hunger, da nahmen wir den Weißen die Kühe, damit sie den Hungrigen zur Speise dienten.«

»Wußte Peschewa darum?«

»Er war eine Tagereise hinter uns, als wir das Fort erreichten, er konnte es nicht wissen. Ich tat es allein, diese jungen Männer horchten auf meine Worte.«

»Es ist gut, mein Bruder spricht mit einer geraden Zunge, er hat Lügen nicht gelernt. Wollen die jungen Leute sich zurückziehen, die Ratsversammlung wird beschließen, was mit ihnen geschehen soll.«

Die Fünf verneigten sich und entfernten sich gehorsam, ohne ihre Waffen wieder aufzunehmen.

Langsam erhob sich ein hochbejahrter Mann. Mit einer Stimme, welche aus einem Grabe heraufzutönen schien, sagte er: »Ich bin Schemagana, der schwarze Rabe. Viele Sommer sah ich über die Erde gehen und Gras und Blumen wachsen, viele Winter saß ich im Wigwam, wenn der Schneesturm raste, und harrte des Tages, da Manitou uns sein lächelnd Angesicht wieder zeigen und seine Sonne wärmer strahlen würde; wie viel Sommer und Winter Schemagana sah, weiß er nicht, es sind sehr viele.

»Einst wohnte das Volk der Ottawas fern von hier in den Wäldern am Ohiofluß, da, wo er in den Vater der Gewässer seine klaren Fluten sendet. Heller schien die Sonne dort, glänzender die Sterne in der dunklen Nacht und milder fuhr der Wind einher in dem Teil des Jahres, da der gute Geist sich seinem Volk verhüllt.

»Zahlreich war das Wild in den Wäldern, und Hirsche und Bären warteten darauf, von einem Ottawapfeil erlegt zu werden.

Groß war das Volk, seine Jagdgründe unermeßlich und die andern Völker beugten sich vor ihm.

»Da kam der weiße Mann von Sonnenaufgang her, hungrig und müde vom langen Wege. Mit leiser Stimme sprach er zum Ottawa: ›Gib mir Fleisch, laß mich an deinem Feuer schlafen, ich bin erschöpft zum Tode.‹ Und der Ottawa gab ihm, was er verlangte. Und mehr kamen von den weißen Menschen, und immer mehr, und baten um ein kleines Stückchen Land, um Mais und Korn zu bauen, damit sie nicht verhungerten. Seltsame Dinge führten sie mit sich, die der arme Ottawa anstaunen mußte, sie schenkten sie den Häuptlingen und baten, sie möchten Freunde sein. In den Händen trugen sie Blitz und Donner, während wir nur den Bogen führten und den Pfeil. Und die Ottawa waren ihre Freunde und schenkten ihnen Land. Aber immer mehr und mehr weiße Männer kamen, und trotziger wurden sie, als sie zahlreich waren, und nahmen sich das Land der Ottawas, was diese nicht mehr schenken wollten, und töteten und verjagten ihre Hirsche und Bären. Da gruben die Ottawas die Streitaxt aus, fielen auf die Weißen nieder und vertilgten sie, und ihre Skalpe trockneten im Rauche unsrer Wigwams.

»Aber zahlreicher, immer zahlreicher wurden die Weißen, je mehr mir töteten, desto mehr erschienen und geringer wurde die Zahl der Ottawas. Dreimal kämpften mir in blutigen Schlachten und dreimal schlugen sie unsre Krieger.

»Da verließen mir trauernd die Gräber unsrer Väter und zogen gen Norden, und die Yankees sprachen zu uns: ›Die Ottawas müssen wohnen an den Wassern des Erie.‹ Und wir wohnten an den Wassern des Erie. Und wiederum kamen die Weißen heran und nahmen das Land an den Wassern des Erie für sich. Wir kämpften und wurden besiegt durch die Ueberzahl, so tapfer unsre jungen Männer auch waren, und von neuem mußten mir nordwärts ziehen, immer weiter und weiter von der Statte, wo die Asche unsrer Väter ruht. In den südlichen Wäldern Michigans bauten mir unsre Wigwams – und ihr alle wißt, auch von dort vertrieben sie uns hierher, und der große Vater in Washington sagt, hier sollen seine roten Kinder wohnen für alle Zeit – seine roten Kinder, so nennt er uns.

»Jede Berührung mit den Weißen hat den Ottawas Tod und Verderben gebracht, denn sie sind mächtig, zahlreich und reich, und Manitou hat uns sein Angesicht verhüllt seit vielen Sommern, die Ottawas sind arm und schwach. Da ist Peschewa, ich kannte ihn, wie er nicht größer war als ein eben gefallenes Hirschkalb und sah, wie er groß wurde und tapfer und weise. Gleich einer Pantherkatze kämpfte er vor meinen Augen und gute Worte sprach er in der Ratshütte.

»Als vor drei Sommern die Männer ausziehen wollten gegen die Weißen, erhob Peschewa seine Stimme dagegen und viele folgten seinem Rate, andre nicht – und was geschah, wißt ihr alle.

»Männer der Ottawas, Häuptlinge, Krieger! Schemagana hat viel gesehen auf Erden, er ist alt und seine Augen trübe, und er möchte nicht den Untergang seines Volkes sehen. Ein großer Häuptling muß leiden und sterben können für sein Volk; Peschewa darf nicht von den Ottawas scheiden, er muß sie führen durch seine Stimme am Ratsfeuer und wenn es sein muß auf dem Kriegspfad. Peschewa darf nicht gehen. Ich habe gesprochen.«

Der Greis ließ sich langsam nieder.

Ein dumpfes Murmeln folgte seinen Worten, von dem unentschieden blieb, ob es Beifall der Rede spendete oder nur ein Ausdruck der Achtung für die verehrte Person des alten Mannes war.

Feurig erhob sich ein junger Häuptling. »Ich bin Papaganawe, der Blitz. Man gab mir diesen Namen, weil meine Streiche rasch fallen, rasch, wie der zuckende Strahl Manitous durch die Wolken saust.

»Mein Vater ist sehr alt und sehr weise, ich beuge mich vor seiner Weisheit, wir alle beugen uns vor ihm; er hat alles Leid Menschenalter hindurch mit ihm getragen, ich beuge mich vor ihm, wir alle beugen uns vor ihm. Ich bin jung und unerfahren gegen ihn. Mein Vater war ein großer Krieger, hat die Schlachten seines Volkes geschlagen und viele Skalpe genommen. Ich bin jung und nur einmal im Kampfe gewesen, als eine Horde Mörder in unser Land brach, welche die Weißen selbst ausgestoßen hatten. Da betrat ich den Kriegspfad wider sie und mein Tomahawk traf gleich dem Blitz aus dunkler Wolke, seit dem Tage führe ich meinen Namen.

»Mein weiser Vater will nicht den Untergang der Ottawas sehen, er hat viel Leid auf Erden gesehen, er will nichts größeres sehen. Er hat recht. Schemagana sah, wie der Yankee vor drei Jahren über uns herfiel und Männer und Jünglinge tötete; Schemagana sah, wie die Yankees die Häuptlinge der Ottawas am Halse aufhingen, bis sie tot waren,« ein dumpfer Schmerzenslaut ging durch die Versammlung, »auf daß sie nimmer in die glücklichen Jagdgründe eingehen können, weil ihre Seele dem Körper nicht entweichen konnte, das alles sah Schemagana, er will nicht mehr Leid sehen. Ich bin jung an Jahren und nicht weise wie mein Vater, aber ich darf wohl fragen: Sind wir noch Ottawas? Sind wir ein Volk, welches frei auf seinen Jagdgründen einherwandelt? Sind mir nicht die Knechte der elenden Yankees und ihrer Diebe, der Agenten? Wir sind es, Männer der Ottawas, wir sind eingesperrt in diese Wälder, die nicht unsre Heimat sind, wie der Wolf in einen Käfig, mir leben von der Gnade der Weißen wie ein Hund, dem man aus Mitleid einen Knochen hinwirft. Männer der Ottawas, das Volk, dem wir angehören, ist längst untergegangen, wir sind noch Ottawas, in unsern Adern rollt noch das Blut der Väter, aber mir sind kein Volk mehr, wir sind eine Herde armseliger Hunde, die man mit Füßen treten, denen man jede Schmach bieten kann. Wer fühlt sie nicht, die Schmach, dem ganzen Volke angetan? Wo ist der Häuptling und Krieger, der nicht freudig sterben würde, um sie zu rächen? Hier steht Papaganawe, bereit, zu fechten bis zum letzten Hauche, besser sterben, die Streitaxt in der Hand, als in Schmach und Elend leben. Ich habe gesprochen.«

Gellender Beifallsruf erhob sich ringsum bei dieser Probe feuriger indianischer Beredsamkeit und die Augen der jüngern Männer blitzten in milder Glut. Die Alten saßen ruhiger und Peschewa selbst unbewegt, gleich einer bronzenen Statue.

Wiederum erhob sich Kitate.

»Mein Bruder ist jung, seine Brust birgt das Feuer des jungen Kriegers, und seine Worte treffen das Herz der Männer, gleich dem zündenden Blitz. Mein Bruder hat recht, es ist besser, zu sterben, als in Schmach zu leben. Mein Bruder sucht den Tod, um der Schande zu entgehen, mein Bruder hat recht, er ist ein Krieger. Aber der einzelne ist kein Volk, Völker suchen nicht gemeinsam den Tod. Will mein junger, feuriger Bruder, daß wir sterben und Weiber und Kinder hier allein bleiben, ganz schutzlos vor den Weißen? Oder will mein Bruder vorher alle Weiber und Kinder durch den großen Geist töten lassen? dann will ich freudig mit ihm sterben. Manitou hat sein Angesicht verhüllt, ja, es ist so, aber weiß mein Bruder, daß es nie wieder den Ottawas leuchten wird? Ich glaube, der große Geist wird das Volk nicht untergehen lassen. Mein junger Bruder hat gesprochen mit einer Feuerseele, wie ein Held, und ich ehre ihn dafür, aber Papaganawe sprach für sich, nicht für das Volk der Ottawas. Wir dürfen nicht die Streitaxt ausgraben gegen den Yankee, und Weiber und Kinder hungernd und frierend in die Wälder jagen. Das darf nicht sein, die Ottawas sollen leben.«

Trotzig erhob sich, ihm zu antworten, ein wild aussehender Krieger.

»Amata will reden im Rate der Häuptlinge und Krieger.«

»Er möge reden.«

»Sollen mir ewig die Hunde der Weißen sein? Verhungern, weil wir kein Wild mehr haben? Körbe flechten gleich Squaws und sie den Yankees verkaufen? Nein, ich will das Blut der Weißen trinken, viel Blut, und dann sterben, aber mit hundert Skalpen am Gürtel. Rufe, Peschewa, rufe den Kriegern und mir ziehen aus, folgen dir, wohin du uns führest, und das Blut der weißen Hunde soll in Strömen fließen. Wir alle sind es überdrüssig, wie Schweine zu leben, als Männer und Krieger wollen mir zu Manitou gehen. Stimm an den Kriegsgesang und kein Ottawa lebt, der schweigt!«

In die ganze Versammlung war eine große Unruhe gekommen, welche sich vorzugsweise unter dem jüngeren Teile der Anwesenden geltend machte. Die feurigen, aufregenden Reden hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Wild sprangen viele empor und schwangen die Waffen, gellende Kriegsrufe ertönten und die Krieger drängten näher zum Kreise der Häuptlinge. Immer wilder wurde das Toben und die eiserne Ruhe der Alten vermochte die Leidenschaften, welche so jäh emporloderten, nicht zu dämmen.

»Kampf! Kampf!« heulte es aus der Reihe der Krieger. »Tod den weißen Hunden! Tod! Blut, Blut!«

Da erhob sich Peschewa und augenblicklich herrschte die tiefste Stille.

Der Häuptling erhob die Hand, prächtig anzuschauen, als er hochaufgerichtet dastand im Scheine des lodernden Feuers, denn die Nacht war bereits hernieder gesunken.

»Volk der Ottawas,« klang seine weithin hallende Stimme machtvoll über den Kreis. »Volk der Ottawas, höre die Worte Peschewas, der zum letztenmal zu dir redet.« Er hielt inne, aller Augen hingen an seinen Lippen, atemlos lauschten die Söhne des Waldes.

»Volk der Ottawas, ich habe dein Schicksal im Herzen getragen, so lange ich denken kann, denn ich bin Peschewa, der Enkel vieler Häuptlinge. Kälte und Sonnenschein, Leid und Freude, Sieg und Niederlage, Hunger und Ueberfluß habe ich mit euch geteilt viele Jahre lang, denn ich bin Peschewa, der Ottawa. Wer kann sagen, er liebe sein Volk mehr als ich? Der trete vor und nenne mich einen Lügner. Mein Herz gehört meinem Volke, und wenn meine Seele dem Körper entwichen ist, und man nimmt es aus meiner Brust, wird jeder sagen, es ist das Herz eines Ottawas.

»Aber alle, auch wenn sie ihr Volk noch so sehr liebten, wie ich, sind gestorben, die Helden unsres Volkes, und auch Peschewa muß sterben.

»Ihr alle wißt,« und seine Stimme bebte in verhaltenem Zorn, »der weiße Mann hat Schmach angetan, Peschewa, dem Häuptling. Peschewa kann nicht leben, die Narben seines Rückens brennen wie feurige Kohlen, er muß die Glut löschen und dann sterben. Wäre das Volk der Ottawas groß und mächtig, würde ich die Stimme erheben und rufen: ›Wer begleitet mich auf dem Kriegspfade?‹ Aber arm sind wir und schwach. Peschewa kann sterben, nicht sollen es die Ottawas mit ihm. Darum sagt er sich los von seinem Volke, legt ab den Wampumgürtel, wendet dem Stamm seiner Väter den Rücken – und ist kein Ottawa, kein Chippeway mehr, er ist ein stamm- und heimatloser Krieger, für dessen Taten ihr nicht verantwortlich seid. Peschewa, der Häuptling, kann die Streitaxt nicht erheben, Peschewa, der Heimatlose, kann sie schwingen, wie sein Herz ihn treibt. Darum muß Peschewa gehen und sein Name ausgelöscht werden im Gedächtnis seines Volkes, daß nicht die Ottawas unter der blutigen Hand des Weißen für seine Taten leiden. So, wie der Stern dort,« und er deutete nach dem Nordstern, »unbeweglich steht an seiner Stelle, so unerschütterlich ist Peschewas Entschluß.« Eine leise Bewegung klang aus dem Ton seiner Stimme, als er weiter fortfuhr: »Volk der Ottawas, Brüder, Peschewa scheidet von dir.« Er löste den Wampumgürtel und legte ihn am Ratsfeuer nieder. »Wollt ihr noch einmal, ehe ich verstumme, meinen Rat hören: Bekleidet Kitate mit dem Wampum des Ottawavolkes.«

Er löste die Kette mit der Medaille von seinem Halse und legte sie neben den Gürtel. »Hier liegt das Zeichen des guten Vaters in Washington, der seine roten Kinder so sehr liebt.«

Mit erhobener Stimme rief er: »Hört es, Kinder des Chippewayvolkes, Peschewa, der Ottawa, ist tot, ich bin der Stammlose, der Heimatlose.«

Er trat hiermit aus den Kreisen und setzte sich still auf einen Baumstamm nieder.

Eine tiefe Bewegung hatte diese rauhen und rohen Kinder der Wildnis ergriffen. Alle sahen schweigend vor sich nieder. Es erhoben sich die beiden Häuptlinge, welche mit Peschewa im Fort gewesen waren, und der eine von ihnen sagte: »Wir sind keine Ottawas mehr, wir gehen mit dem Heimatlosen und sterben mit ihm.« Ruhig schritten sie dann zu Peschewa und ließen sich neben ihm nieder.

Auf sprangen jetzt Amata und Papaganawe, rissen die Streitäxte aus dem Gürtel, schwangen sie wild in der Luft, und der Letztere rief: »Mit Peschewa gehe ich, mit ihm zu kämpfen, zu sterben!«

»So ich!« rief Amata.

Jäh erhoben sich die jüngeren Krieger, nur die Aelteren blieben sitzen: »Mit Peschewa! Mit Peschewa! Tod den Weißen!«

»Ruhe!« gebot da würdevoll Kitate und bald schwiegen die wilden Rufe.

»Wie ein Held hat Peschewa, der unser Häuptling war, gehandelt, groß und schön. Wollen die jungen Männer des Volkes die Ottawas ins Unglück reißen?«

»Ich bin kein Ottawa mehr, ich sage mich los vom Volke, ich gehe mit Peschewa,« rief Papaganawe, ihm nach Amata, und wohl fünfzig der jüngeren Häuptlinge und Krieger gaben gleiche Erklärungen ab und eilten zu Peschewa.

In aller Augen las man die heiße Sehnsucht, zu handeln wie sie, und nur die ernste Besorgnis um die weitere Existenz des Volkes, um das Schicksal von Weib und Kindern verhinderte sie, dem Beispiel zu folgen.

Alle Anwesenden waren so aufgeregt durch die in der Geschichte ihres Stammes unerhörten Vorgänge, daß an ein weiteres ruhiges Beraten gar nicht zu denken war. Kitate hob deshalb die Ratsversammlung auf und setzte die Fortsetzung für den andern Tag fest.

Alle, die Mitglieder der Versammlung, die außerhalb derselben Stehenden, eilten nun zu Peschewa, um ihm die Achtung und Liebe kundzugeben, welche sie für ihn empfanden.

Der fortan Heimatlose saß auf seinem Baume und sah mit ernster Freundlichkeit in das Gedränge vor sich und richtete gute Worte an alle, die ihm näher kamen, sie ermahnend, die Eigenart des Volkes zu wahren und dem Streit mit den Yankees aus dem Wege zu gehen.

Peschewa sprach, wie ein Vater, der seine Stunde gekommen fühlt, zu seinen Kindern spricht, ihnen noch Ratschläge aus dem reichen Schatze seiner Erfahrungen für ihren künftigen Lebensweg erteilend.

Mitternacht war längst vorüber, als die Insassen des Dorfes den Schlaf suchten; Peschewa aber saß mit Kitate in ernster Beratung noch beisammen, bis im Osten die Sterne erbleichten, da begaben auch sie sich zu ihren Lagerstätten.


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