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Siebzehntes Kapitel.

Bei den Ottawas.

In schweigender Majestät umfing der düstere Urwald die kleine Karawane Edgars, welche mühevoll ihren Weg zu den Dörfern der Ottawas suchte.

Zwei anstrengende Tagemärsche lagen bereits hinter den Reisenden, und nach einer ruhig am Rande eines seichten Baches verbrachten Nacht strebten sie von neuem kräftig ihrem Ziele entgegen.

Der Weg war bisher ohne die geringste Störung zurückgelegt worden. Zwar hatte man keine der üblichen Vorsichten versäumt und Athoree oft den kleinen Zug spähend umkreist, doch ohne auch nur die geringste Spur zu finden, welche auf gegenwärtige oder frühere Anwesenheit von Menschen schließen ließe.

In tiefster Einsamkeit lagen die endlosen, eintönigen Wälder da, so jungfräulich, als ob sie eben aus der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen wären.

Hie und da wurde ein scheues Wild flüchtig und brach durch die Büsche oder ein Eichhorn ließ einen pfeifenden Laut hören, sonst herrschte feierliche Stille.

Einmal hatte der Indianer das Schweigen durch den Knall seiner Büchse gestört und einen Bock erlegt, von dem die besseren Teile auf dem Saumroß mitgeführt wurden.

Michael, welcher am ersten Tag sehr still einhergeschritten war und mit peinlicher Aufmerksamkeit jeden Busch und Baum gemustert hatte, an dem sie vorüberzogen, dessen Ernst selbst am zweiten Marschtage noch nicht ganz schwinden wollte, hatte seine gute Laune bereits wieder gewonnen, und der leichtherzige Sohn Erins schritt so munter einher, als ob Skalpiermesser und Marterpfähle weit ab von seinem Wege lägen.

Man hatte unterwegs dem Shanty Johnsons einen Besuch abgestattet, dessen Eigentümer zu seiner Zufriedenheit noch alles in gutem Zustande und unverletzt vorgefunden hatte.

In gemessenem Tempo zogen sie durch den Wald und hofften am andern Abend das Hauptdorf der Ottawas zu erreichen.

Der Graf hatte Johnson und Athoree von dem Inhalt der Unterredung mit Kitate Kenntnis gegeben und ihnen auch das auffällige Benehmen der Indianer bei Erwähnung der geraubten weißen Frau geschildert.

»Nach allem, was Sie mir von den Aeußerungen und dem Verhalten der Indianer mitteilten,« hatte ihm Johnson entgegnet, »scheint nur eines klar, daß die Ottawas die harten Verfolgungen, welche sie nach ihrem so törichten Kriegszuge trafen, hauptsächlich dem Raube Ihrer Frau Schwester zuschrieben, daraus ergibt sich denn auch das hartnäckige Leugnen der ganzen Tatsache und das Schweigen über das endliche Schicksal der Vermißten. Ich möchte Sie bitten, Herr Graf, sich von unsern Nachforschungen nicht viel zu versprechen, obgleich man nicht wissen kann, wie schwer der Umstand hier in die Wage fällt, daß Sie nicht zu dem Volke gehören, welches seit Menschenaltern mit den Roten im Kampfe liegt und sie allmählich, aber unwiderstehlich aus seinen Wohnsitzen vertrieben hat.«

Athoree hatte sich ähnlich wie Johnson geäußert und nur hinzugefügt: »Denken großes Geheimnis hier. Wenn Schwester tot, Ottawa nichts fürchten. Tote nicht reden, wenn Papuse tot, ihm alles verschwinden, nicht Spur mehr finden, ganz verweht. Ottawa fürchten, Spur finden.«

Diese Andeutungen des klugen und kaltblütigen Indianers hatten neue und stürmische Hoffnungen in Edgar erregt, denn die Beweisführung Athorees ermangelte nicht der logischen Kraft. Es war einleuchtend, wenn Mutter und Kind längst zu den Toten gegangen waren, unter Umständen, welche eine Feststellung des Tatbestandes unendlich schwierig, ja unmöglich machten, was hatten die Ottawas von einer erneuten Untersuchung, von weiteren Nachforschungen zu fürchten?

Der Indianer hatte noch hinzugefügt: »Alte Miskutake aufsuchen, Totem zeigen, Totem gut. Schenken schöne Sachen – auch gut, Squaw gerne schmücken, lieben buntes Tuch, lieben Ohrgehänge und schönes Kleid.«

So zwischen erneuten Hoffnungen endlich Gewißheit über das Schicksal der Seinigen zu erlangen und der Befürchtung, trotz allen Mühen seine Nachforschungen vereitelt zu sehen, hin und her geworfen, hatte Graf Edgar den Weg zurückgelegt.

Außer der hie und da geübten Wachsamkeit Athorees beobachteten sie keine besonderen Vorsichtsmaßregeln, auch wurde eine gelegentliche Unterhaltung nicht in dem leisen Ton geführt, der auf unheildrohendem Boden geboten war.

Im Laufe des Gesprächs äußerte Heinrich: »Mich will es manchmal bedünken, der liebe Gott habe diese Landstrecken eigens für Leute mit rotbrauner Hautfarbe geschaffen, und Athoree erinnert mich an Seumes Kanadier, der Europas übertünchte Höflichkeit nicht kannte.«

»Und doch wirst du bemerkt haben, mit welchem Anstand und welcher schicklichen Ruhe dieser Kanadier, denn das wird er ja wohl sein, sich benimmt.«

»O gewiß, er hat sogar mitunter etwas Würdevolles an sich.«

»Und ein Krieger ist er, Heinrich.«

»Ein unbezweifelt tapferer Bursche, das muß wahr sein. Was mir aber am meisten an ihm gefallen hat, ist die Zärtlichkeit, welche er für seine Mutter hegt. Ich beobachte das so im stillen. Für gewöhnlich scheint er sich um die Alte gar nicht zu bekümmern, aber oft genug kommt er zurück und sieht nach, ob sie munter einhergeht, manchmal bringt er ihr Beeren, und abends sorgt er schon für einen guten Platz am Feuer und bereitet ihr sorgfältig das Lager.«

»Warum sollte der Wilde nicht ebenso für seine Mutter fühlen als wir?«

»Gewiß, ob ich es gleich nicht hinter ihnen gesucht hätte. Die Augen der Alten glänzen, wenn sie Athoree anblickt, und auf dem Marsche verlassen sie ihn kaum.«

»Es muß auch, was das Schicksal dieser beiden Menschen angeht, etwas Geheimnisvolles zu Grunde liegen, wie auch schon daraus hervorging, daß Athoree über seine Stammesangehörigkeit so verschwiegen war.«

Von Zeit zu Zeit gesellte sich der den Zug führende Athoree zu Michael, an dessen ursprünglichem Wesen und unverkennbarer Ehrlichkeit er Gefallen gefunden hatte.

Oftmals schritten sie nur schweigend nebeneinander her, vor allem in den ersten Tagen des Marsches, wo die Redseligkeit des Iren durch seine üble Laune und die gespannte Aufmerksamkeit, welche er der Umgebung widmete, im Zaume gehalten wurde. Heute aber war ihm mit der verbesserten Stimmung auch die Lust, sich mitzuteilen, wieder gekommen.

Als Athoree sein Herankommen erwartete und die Büchse im Arm neben ihm herschlenderte, äußerte der Irländer: »Weißt du, Athoree, ich bin es eigentlich herzlich überdrüssig, durch diese dunklen Wälder zu marschieren. Nichts als Busch und Baum, nichts als Baum und Busch, es wird langweilig.«

»Wald schön, ihn Manitou gemacht für roten Mann, er sollen darin jagen Hirsch und Elen.«

»Nun, es ist gewiß Geschmacksache, den einen erfreut ein Gericht Austern, den andern eine Schüssel mit Haferbrei, es kommt nur darauf an, daß es mundet. Mein Geschmack sind diese Wälder nicht, sie haben etwas verd– Tückisches an sich.«

»Starkhand sich fürchten in Wald?«

»Das will ich nicht sagen, aber unheimlich sind diese endlosen, düsteren Strecken.«

»Darum du nicht gern mitgehen, he?«

»Ich will dir nur zu verstehen geben, Indianer, daß ein Mann seine Gründe haben kann für dies oder jenes, und wenn ich nicht mitgehen wollte, so hatte ich auch meine Gründe.«

»Das gut, sagen Grund.«

»Gründe haben, mein guter Athoree, ist eines, und sie andern mitteilen, ein andres. Ich gebe aber prinzipiell keinen Grund an, verstehst du?«

»O, nicht gut, hören Grund gern.«

»Das glaube ich wohl, denn Gründe sind immer die Hauptsache, ob es gleich auch Leute gibt, welche gar keine haben.«

»Aber du haben Grund, he?«

»Das darfst du mir glauben, Michael O'Donnel tut nichts ohne Grund.«

»Gut. Nun mir Grund sagen.«

»Jetzt laß mich mit allen Gründen zufrieden, ich will keine angeben; verstehst du, ich will nicht.«

»Das sehr guter Grund.«

Aergerlich ging Michael weiter.

Nach einer Weile fragte er: »Wie denkst du denn, daß uns die Leute, die wir aufsuchen gehen, empfangen werden?«

»Denken sehr gut. Ottawa guter Freund.«

»Na, mit der Freundschaft kann man mir vom Leibe bleiben, ich habe gerade genug davon. Aber du hast doch auch einige von ihnen um die Ecke gebracht,« fuhr er dann fort.

»Nicht verstehen. Ecke bringen, was meinen?«

»Nun, du hast einigen den Schädel eingeschlagen oder sie niedergeschossen.«

»Das so tun. Er kommen, schießen auf Athoree, der schießen wieder, so recht.«

»Natürlich ist es recht: was du nicht willst, das dir geschieht, das füg auch keinem andern zu. Weiter habe ich doch auch nichts getan, und der Herr Graf nicht und Johnson nicht, und der deutsche Jäger nicht, warum sollten sie mich denn gerade, wie Weller sagt, martern wollen und euch nicht auch?«

Der Indianer pfiff leise vor sich hin und warf einen Blick, der von innerer Heiterkeit zeugte, auf den Mann aus Leitrim.

Da er vollständig begriff, welches Spiel man mit dem guten tapferen Iren gespielt hatte, und nicht abgeneigt war, den harmlosen Michael zu necken, sagte er: »Jetzt wissen Grund.«

»Nun, und welchen?« fragte Michael hastig.

»Du großen Häuptling erschlagen, wir nur Krieger töten.«

»Also meinst du doch?« platzte Michael heraus, und fuhr dann in kläglichem Tone fort: »Warum nur mir der liebe Gott gerade diesen großen Häuptling in den Weg führen mußte! Ich bin hierher gegangen aus Liebe zu meinem Lord, obgleich mir der Konstabel alles vorher gesagt hatte. Als nun am ersten Tage nichts passierte und am zweiten nichts, so dachte ich wirklich, er hätte nur seinen Scherz mit mir getrieben – aber – du willst doch nicht auch deinen Spaß mit mir treiben?« unterbrach er sich plötzlich.

»Nicht scherzen,« sagte Athoree mit seinem ernstesten Gesicht.

»Du großer Krieger, Ottawa das wissen, nicht vergessen,« sagte nachdrucksvoll Athoree, und ging wieder an die Spitze des Zuges.

»Großer Krieger, danke dafür,« murmelte Michael. »Ich hätte jetzt die größte Lust auszureißen, wenn ich nur könnte. Verwünschte Geschichte. Na,« setzte er grimmig hinzu, »einigen breche ich vorher noch die Knochen entzwei, ehe sie an mich kommen,« und er schwang drohend seinen Stock.

Nach einiger Zeit verließen sie den dichteren Urwald und traten in eine von der Natur geschaffene Lichtung ein.

Athorees scharfe Augen, der Graf mit seinem Fernrohr durchforschten das Terrain, doch nichts bot sich dar, das ihre Aufmerksamkeit hätte erwecken oder gar ihre Besorgnis hätte wachrufen können.

Friedlich wie bisher setzten sie ihren Weg fort.

Der westliche Horizont hüllte sich bereits in feuriges Rot, weithin die leichten Wolken, welche am Himmel standen, mit Gold umsäumend. Die Natur schickte sich zum Schlafen an und auch unsre Reisenden dachten daran, sich eine geeignete Ruhestätte für die Nacht zu suchen.

Auf eine hierauf Bezug nehmende Frage des Grafen entgegnete Johnson, welcher allein den Weg kannte, den er wiederholentlich zurückgelegt hatte: »Wir wollen bis zum dichteren Wald gehen,« und er wies auf den unweit befindlichen dunklen Saum desselben, »dort finden mir einen geeigneten Platz, um für die Nacht zu lagern.«

Sie zogen weiter und trafen wenige hundert Schritt im Walde auf einen augenscheinlich künstlich angelegten Ringwall.

Durch den nach Osten zu gelegenen Eingang betraten sie den inneren Raum.

Der trotz des Dämmerlichtes deutlich erkennbare Wall war mit dichtem Buschwerk bestanden, sein Inneres aber, da er häufig streifenden Indianern zum Aufenthalt diente, von solchem gesäubert, wozu auch die Feuer, welche hier von Zeit zu Zeit angezündet wurden, das ihrige beigetragen haben mochten.

Inmitten des umwallten Raumes sprudelte ein frischer Quell, dessen Wasser seinen Weg durch den Ausgang suchte.

Trockenes Holz wurde herbeigeschafft und bald loderte ein helles Feuer empor.

Nachdem das Pferd seiner Last entledigt war, wurde es getränkt und dann von Michael draußen, wo es in dem süßen Waldgras reichliche Nahrung fand, an langer Leine angepflockt.

Die alte Sumach hatte den mit dem Wasser des Quells gefüllten Blechtopf ans Feuer gesetzt und beschäftigte sich dann mit dem Braten des Bockziemers.

Blechbecher und Maiskuchen wurden dem Gepäck entnommen, und während Michael, Johnson und Heinrich dürres Laub zu Lagerstätten herbeiholten, ward von der Indianerin die Abendmahlzeit bereitet.

Mit großer Aufmerksamkeit hatte währenddes, beim hellen Scheine des Feuers, Graf Edgar den Wall untersucht und zu seinem nicht geringen Erstaunen Reste von Mauerwerk, wie zahlreiche Scherben von gebrannten Tongefäßen gefunden.

Nach dem einfachen aber reichlichen Mahle, dessen Würze in einem Becher guten Kaffees bestand, zündeten die Männer ihre Pfeifen an und streckten sich am Feuer aus, während Sumach die Geschirre im Wasser des Quells reinigte.

Edgar wandte sich jetzt an Johnson mit der Frage: »Ist Ihnen etwas von dem Ursprung dieser eigenartigen Befestigung, denn eine solche ist es sicher, bekannt?«

»Nein, Herr Graf. Ich habe in Ohio ähnliche kreisförmige Umwallungen gesehen, auch finden sich solche hier oben an den Seen vereinzelt vor, doch von ihrem Ursprung habe ich keine Ahnung.«

»Diese Stätte muß uralt sein. Athoree, weißt du etwas davon, wer diesen Wall gebaut hat?«

»Können nicht sagen. Am See und in Kanada viel finden solcher Runden. Nicht Wyandots machen, ander Volk.«

»Gut, Athoree, aber berichten nicht die Ueberlieferungen der Wyandots, wer vor ihnen das Land bewohnt hat und diese Befestigungen angelegt haben könnte?«

»Alte Häuptlinge viel erzählen abends an den Feuern, wenn in Wigwam sitzen und draußen der Schneesturm heult, viel erzählen von alten Zeiten, als das Volk der Wyandots noch zahlreich war, wie die Blätter des Waldes, aber nicht sprechen von ander Volk. Wyandots hierher kommen, nehmen Land.«

»Und wo kamen deine Vorfahren her?«

»Kamen von Norden, weit her.«

»So laß uns von dem Ursprung deines Volkes hören und wie es in dieses Land eingewandert ist, wenn eure Sagen davon melden.«

Der von Büschen dicht besetzte Ringwall, hinter diesem die nur schattenhaft wahrnehmbaren Waldriesen, welche in leichtem Abendwinde rauschten, die Gruppe um das Feuer, rötlich beleuchtet von dessen Scheine, inmitten derselben die beiden Kinder dieses Bodens, die alte, runzelvolle Sumach und ihr stattlicher Sohn mit dem dunkeln, ernsten Antlitz, neben ihnen die seltsame Erscheinung des »toten Mannes«, dies alles gab hier inmitten der Einsamkeit des Urwaldes ein Bild von unverlöschlichem Eindruck.

Verstärkt wurde derselbe durch die feierliche Stille, welche ringsum herrschte, denn selbst das leichte Rauschen der Blätter klang wie fernher kommend zu den Ohren der um das Feuer Gelagerten.

Mit seiner tiefen, klangvollen Stimme hub der Indianer an, während aller Augen auf ihn gerichtet waren: »Viele, viele Sommer sind dahingegangen, viel welke Blätter herniedergefallen von den Bäumen, seit die Wyandots zahlreich in einem fernen Lande wohnten. Es waren ihrer endlich so viele, daß Wald, See und Fluß nicht mehr Nahrung genug boten, um aller Hunger zu stillen. Und als die Not groß war, jammerte es Manitou und er sprach zu dem Propheten des Volkes: ›Laß ausziehn die Hälfte aller, ich will ihnen ein andres Land geben.‹ Da zogen aus Männer und Weiber und Kinder zahllos wie die Sterne des Himmels, und viele Sonnen zogen sie immer weiter und weiter nach Norden zu, bis sie an ein großes Wasser kamen, das zu überschreiten unmöglich war, denn es war breit wie der Michigan-See und sie hatten nicht Kanoes.

»Und als die weisen Männer des Volkes um das große Ratsfeuer saßen und kein Mittel fanden, das Hindernis im Wege zu überwinden, sprachen sie endlich zu Manitou: ›Du hast uns ausgesendet, großer Geist, um uns neue Jagdgründe zu geben, und wir stehen am salzigen Wasser und vermögen nicht es zu überschreiten, hilf uns!‹ Und siehe da, als sie so riefen, erschien auf dem Wasser ein Knabe in einem leichten Kanoe, von der Haut eines Tieres verfertigt; des Knaben Farbe war licht und seine Augen funkelten gleich dem Abendstern, wenn er am herrlichsten strahlt. Und er sprach, als er zum Ufer kam, mit einer Stimme, süß klingend wie des Zaunkönigs Laut im Frühling, doch konnten es alle hören, so viele umherstanden: ›Mich sendet Manitou, das Volk der Wyandots hinüberzuführen in das Land, welches er seinen Kindern geschenkt hat.‹ Und alle wunderten sich über den kleinen Kahn, welcher kaum zwei Männer fassen konnte, und den Knaben, welcher das Volk über das salzige Wasser führen sollte. Zwar sahen die Männer bereits das jenseitige Ufer, doch wie sollte das schmale Kanoe, welches leicht gleich einem Rosenblatte auf dem Wasser schwebte, das Volk der Wyandots hinübertragen? Aber Manitou hatte gesprochen, und gehorsam trat der älteste der Häuptlinge in das Boot und die andern folgten. Und je mehr einstiegen, desto größer wurde dass Kanoe, und größer und immer größer, bis daß es das ganze Volk der Wyandots in sich faßte. Der Knabe aber saß im Stern und führte leicht das kleine Ruder, eilig bewegte sich das Schiff durch das glatte Wasser und bald stiegen alle an das Ufer, welches so unerreichbar geschienen hatte. Das Kanoe aber wurde kleiner und kleiner, wie die Leute ausstiegen, und als alle am Lande waren, war es nicht größer, als da es erschien, und der Knabe ruderte davon und verschwand in der Ferne.

»Die Männer aber besahen sich das Land, und es war herrlich anzuschauen. Wälder und Seen, Ströme und Bäche, Lichtungen und Prairien wechselten ab, und die Wälder waren voll Wild, das Wasser belebt von Fischen, und alle dankten dem großen Geiste, daß er sie hierher geführt habe.

»Da sandte der böse Geist, zornig, daß Manitou seine roten Kinder hierher geführt hatte, gewaltige Tiere, fast so hoch wie ein Baum, um die Wyandots zu vertilgen, aber die Männer wußten sie zu erlegen mit Pfeil und Speer, und vernichteten sie mit der Zeit gänzlich, so daß man nur hie und da in einer Höhle oder in der Erde ihre riesenhaften Knochen findet. Heller schien die Sonne damals, steter Frühling herrschte und glücklich und zufrieden lebten die Wyandots in dem neuen Land viele Geschlechter hindurch und vergaßen bald der alten Heimat.

»Eines Tages aber hatten sie Manitou erzürnt. Niemand weiß heute mehr wodurch, und er zog eine Wolke vor sein Angesicht und sie erblickten es nicht mehr.

»Da wurde der böse Geist mächtig, als der gute Vater seinen Kindern zürnte. Nicht mehr warm wie früher schien die Sonne hernieder, ein Teil des Jahres wurde kalt, und Eis und Schnee zeigten sich, welche die Wyandots lange nicht gesehen hatten.

»Und eine große Wasserflut sandte da Degschuh-venoh auf die Erde, die Ströme traten aus ihren Ufern, die dunklen Wolken ergossen unaufhörlich Regen, und die Wyandots starben dahin wie Schnee an der Sonne.

»Nur ein kleiner Teil hatte sich auf einen hohen Berg gerettet, doch als auch diesen die Flut verschlingen wollte, mit allem Leben, welches er schützte, da sprach Manitou: ›Es ist genug, nicht vertilgen will ich das Volk von der Erde, es hat gebüßt und was noch atmet, soll leben.‹ Da mich gehorsam das Wasser zurück, und Hoffnung zog in das Herz der Wyandots ein.

»Wiederum bauten sie ihre Wigwams auf dem getrockneten Lande, aber das Antlitz Manitous sahen sie nimmer unverhüllt.

»Kälter und kälter wurde es, Schnee und Eis griffen mächtig um sich, und immer weiter nach Süden mußte das Volk ziehen, immer weiter und weiter, bis zu den Kanadas und an die großen Seen.

»Arm waren sie geworden und mühevoll mußten sie seit der Zeit in schneebedeckten Wäldern das Wild jagen, und heute sind die Wyandots ärmer als je, und das Antlitz Manitous schauen sie nur durch eine dunkle Wolke.«

Eine lautlose Stille herrschte, während der Indianer sprach, und herrschte noch an, als er geendet hatte.

Seine einfache Rede klang wie Totenklage um ein dahingeschwundenes Volk, welches einst glücklich und mächtig auf Erden einhergewandelt war.

Ein tiefer Seufzer Sumachs war der einzige hörbare Laut.

Dann lüfte der Graf den Bann, der auf der kleinen Gruppe lagerte, mit den Worten: »Ich danke dir, Athoree, für diese Mitteilung der Überlieferungen deines Volkes und werde sie in meinem Gedächtnis bewahren. Sie ist von hohem Interesse für mich, denn sie bestätigt die Annahme unsrer Gelehrten, daß deine Vorfahren aus Asien über die Behringsstraße in Amerika eingewandert sind.«

»Weiß nur, was die alten Männer meines Volkes erzählen, aber sie reden Wahrheit.«

»Wunderbar genug ist es, daß dein Volk, welches keine schriftlichen Aufzeichnungen besitzt, noch solche Erinnerungen an die einstigen Wanderungen bewahrt. Bemerkenswert ist ferner deine Erwähnung vorsündflutlicher Tiere.«

»Das ganz wahr,« sagte eifrig der Indianer, »ihm selbst gesehen. Knochen so dick wie Baum, Zähne so lang,« und er breitete die Arme auseinander, »groß wie zwanzig, zehn Büffel, ihm gesehen in Höhle, er ganz groß. Weißer Mann holen ihn weg, bringen ihn in große Stadt – dort noch sehen.«

»Sollten sich hier in Amerika auch Ueberreste des Mammut gefunden haben?«

»Ja, Herr,« sagte Johnson, »Gerippe von Mammuts, ganz recht, so heißen die Riesentiere, hat man wiederholt gefunden, besonders in Ohio und vielleicht auch anderwärts, es ist so, wie der Indianer sagt.«

»Seltsam, wie die Erinnerungen an ferne, ferne Zeiten, selbst nur mündlich übermittelt, sich erhalten und fortpflanzen. Gerade aus der Erwähnung dieser Riesengeschöpfe geht hervor, daß die Sage, welche Athoree uns erzählte, sehr alten Ursprungs sein muß.«

»Die Indianer, Herr, haben viele Geschichten aus alten Zeiten, die sich von Mund zu Mund fortpflanzen. Es ist nur zu schwierig, sich der Sprache dieser Völker gründlich zu bemächtigen, für die Herren Gelehrten erst recht, ich meine, was den praktischen Gebrauch anlangt. Selten findet sich auch ein Indianer, der so gut englisch spricht, wie hier Athoree. Es müßte einmal ein richtiger Vollblutindianer eine gelehrte Erziehung genießen und dann diese Sachen alle aufschreiben, und so Licht über die Vergangenheit der roten Volksstämme verbreiten, von der man doch eigentlich wenig weiß.«

»Ihre Bemerkung ist außerordentlich treffend, lieber Johnson, ja, ein intelligenter Indianer, innig mit seines Volkes Geistesleben verwachsen und mit unsrer gelehrten Bildung ausgerüstet, könnte als Forscher der Wissenschaft wohl Dienste leisten.«

Mit einem Lächeln sagte Athoree: »Willst du klugen weißen Mann aus Indianer machen, Gutherz? Wird nicht gehen. Sollte Athoree, als er noch ein Kind war, in Schule gehen zu Bruder Missionar. Sitzen auf Bank in festem Wigwam, singen Lieder, sollen schreiben, lesen in großem Buch, das nicht möglich; alle davongelaufen, alle in die Wälder, lieber mit den Wölfen im Schnee heulen, als sitzen in festen Wigwam vor Buch. Bruder Missionar sehr betrübt, daß laufen fort, aber nicht möglich für Indianer, er in Wald, weißer Mann in Blockhaus oder Stadt.«

»Da hören Sie, Herr Graf, wie schwer es fällt, den roten Leuten unsre Zivilisation mitzuteilen.«

»Ich höre es und bedaure es. Mußten sich die roten Männer nicht sagen, Athoree, daß der Weiße nur dadurch so mächtig ist. Blitz und Donner in seinen Händen führt, Städte baut, ein Dampfroß anspannt, um eine lange Wagenreihe mit Windeseile zu bewegen, du hast ja diese Wunder gesehen und angestaunt, nur weil er seßhaft geworden ist und den Acker baut, und müßte das nicht ein Grund für euch sein, ihm nachzuahmen.«

»Die Bleichgesichter sind klug, reich und mächtig, viel mehr als armer Indianer. Weiße haben alles, der rote Mann nichts. Das alles wissen. Sehen weißen Mann den Acker bauen, das sehr gut, ihm sehr bewundern. Kennen nicht Hunger, nicht Frost, weiße Leute in Ansiedlungen – viel reiche Leute. Indianer andre Farbe, andrer Mensch. Fange du Panther und lege ihm Sattel auf, er wird sterben, aber nicht Reiter tragen – er Panther, nicht Pferd. So roter Mann, er sterben, verhungern, aber nicht Acker bauen, er Krieger, er Jäger – nicht Sattel, nicht Reiter tragen – er sterben.«

»Traurig, Athoree, daß es so ist. Jägervölker haben ihre Zeit und verschwinden, wenn sie sich nicht höherer Kultur zu fügen vermögen. Ein Voll, welches dauern soll, muß den Pflug in die Hand nehmen.«

»Du auch Pflug in die Hand nehmen?«

»Nun, ich gerade nicht selbst, ich bin Soldat,« entgegnete Graf Edgar ihm lächelnd.

»Du Krieger, he? Nicht Pflug in die Hand nehmen? Athoree Wyandotkrieger, auch nicht Pflug in die Hand nehmen.«

»Nun, ich sehe, man kann forthin nicht nur sagen: Stolz wie ein Spanier, sondern auch: Stolz wie ein Wyandot.«

Ermüdung machte sich bei den Reisenden geltend, Heinrich, welcher der Unterhaltung nicht zu folgen vermochte, war schon eingeschlafen, und Michael gähnte bereits, als ob er sich die Kinnbacken ausrenken wollte. Athoree bereitete seiner Mutter abseits ein Lager, die Männer suchten die ihrigen und bald lagen alle in tiefem Schlafe an dem verglimmenden Feuer.

Nach ungestörter Nachtruhe sah sie der frühe Morgen schon wieder munter. Rasch wurde das Frühstück eingenommen, das Pferd beladen und dann die Reise fortgesetzt.

Edgar hatte im Tageslichte mit hohem Interesse den Ringwall noch einmal untersucht und von neuem die Ueberzeugung gewonnen, daß er hier ein Bauwerk vor sich sehe, welches sicher viele Jahrhunderte alt, sein Dasein einem Volke verdankte, welches eine bei weitem höhere Zivilisation besessen haben mußte, als die Völkerschaften, welche man in diesen nördlichen Gegenden zur Zeit ihrer Entdeckung antraf, deren Bildungsstufe sich im Laufe zweier Jahrhunderte nicht wesentlich verändert hatte.

Schweigend durchzogen sie den Wald. Noch im Laufe des Vormittags hofften sie die Niederlassungen der Ottawas zu erreichen.

Vielerlei Gedanken kreuzten sich in Edgars Kopf. Daß sie möglichen Falles neuen Gefahren entgegen gingen, machte ihm keine Sorge, desto mehr erregte ihn jedoch die Erwartung, endlich Spuren von der so eifrig gesuchten Schwester zu finden. Den Gedanken, daß sie noch unter den Lebenden weilen könne, wagte er nicht zu hegen.

Der Verkehr der auf ihren Reservationen angesiedelten Indianer mit den Amerikanern war ein geregelter und in den Agenturen ziemlich häufiger. Die Indianer empfingen dort die ihnen von der Regierung zugebilligten Unterstützungen und setzten die Erträgnisse ihrer Jagden oder ihres geringen Kunstfleißes dort ab. Alljährlich erschien auch ein höherer Regierungsbeamter, um die Niederlassungen der Indianer zu inspizieren, ihre Wünsche entgegenzunehmen, Klagen anzuhören und Maßregeln zu deren Beseitigung zu treffen, wenn sie als begründet anerkannt wurden. Häufig besuchten auch wandernde Krämer die Dörfer der Ottawas, um Tauschhandel zu treiben. Von Zeit zu Zeit waren Missionare zwischen ihnen tätig, um ihnen das Wort Gottes zu predigen. Ein Teil dieser Völkerschaften bekannte sich auch zum Christentum, doch ging es wohl schwerlich über Aeußerlichkeiten hinaus, und die blutigen Scenen der letzten Tage zeigten deutlich genug, daß der von den frommen Männern ausgestreute Samen noch keine Wurzel gefaßt hatte.

All dies, welches er bei seinen Forschungen über Land und Leute erkundet hatte, ließ den Schluß zu, es sei unmöglich, jahrelang Gefangene solcher Art so verborgen zu halten, daß auch nicht die geringste Kunde davon zu den Ansiedlungen gelangt sei. Und doch, das Menschenherz ist ein gar eigenes Ding, es entsagt erst im letzten Augenblicke jeder Hoffnung.

Die Unruhe des Grafen steigerte sich, je naher sie dem Ziele kamen.

Während sie durch einige lichtere Waldstellen zogen, erblickte das Auge des vorangehenden Athoree zwei Indianer, welche einige Hundert Schritt entfernt an einem Baume standen und dem Zug entgegensahen.

Der Sohn Sumachs rief den Folgenden zu: »Ottawas,« setzte aber seinen Weg ohne zu zögern fort.

»Wo?« fuhr Michael auf und faßte seinen Kampfstock fester, während seine Augen wild umhersuchten.

Edgar begab sich zu Athoree, und er wie alle sahen nun die beiden Männer, welche auf ihre Büchsen gelehnt dort am Walde standen.

»Was tun wir?« fragte der Graf.

»Schütteln Hände, er guter Freund,« fügte mit einem zweideutigen Lächeln der Sohn Sumachs.

Während sie vorwärts schritten, flüsterte er Edgar noch zu: »Nicht Ottawa dort nach Schwester fragen, nicht nach Miskutake. Sumach überlassen, alte Frau sehr klug.«

»Gut.«

Sie gelangten, ruhig ihren Weg fortsetzend, in die Nähe der beiden augenscheinlich ihrer harrenden Indianer, welche Michael mit Mißtrauen und tiefem Widerwillen anstarrte.

Als sie noch ungefähr zwanzig Schritt entfernt waren, kamen die Männer, welche in eherner Ruhe verharrt hatten, auf sie zu, blieben vor dem Grafen stehen und grüßten ihn mit höflicher Handbewegung.

Graf Edgar erwiderte den Gruß. Der eine der Ottawas, beide waren schon Männer in reiferen Jahren, öffnete die Lippen und fragte in verständlichem Englisch: »Du bist der Dutchmanhäuptling aus Fort Jackson?«

»Der bin ich, Indianer.«

»Amaqua, der Biber, hat uns dir entgegengesandt, dich zu unsern Dörfern zu führen, du bist willkommen in seinem Wigwam.«

Amaqua war, wie Edgar wußte, der Name eines der beiden Häuptlinge, welche mit Kitate nach dem Fort gekommen und von Blackwater entlassen worden waren; da diese von seiner Absicht wußten, die Ottawaniederlassungen aufzusuchen, war es nicht verwunderlich, daß ihm der Häuptling Führer entgegenschickte.

»Es ist sehr freundlich von Amaqua, mich schon auf dem Wege begrüßen zu lassen, und ich danke ihm.«

Der Ottawa richtete seine Augen auf Athoree und fragte: »Du ein Wyandot?«

»Athoree, der Enkel Meschepesches.«

»Gut, der Wyandot ist willkommen, Ottawa und Wyandots Freunde.«

Beide schüttelten sich die Hände.

Die Augen der Indianer, welche natürlich den Zug bis in seine kleinsten Einzelheiten gemustert hatten, weilten auf Johnsons auffallender Persönlichkeit und richteten sich dann auf den Iren.

»Ja, starrt mich nur an, ihr roten Vagabunden,« murmelte dieser vor sich hin, »ehe ihr meinen Skalp bekommt, soll es erst noch Schläge regnen, so wahr ich meiner Mutter Sohn bin.«

Dann sagte der Ottawa, der bisher allein gesprochen hatte: »Beliebt es dem Häuptling, zu gehen?«

»Führe uns, wir folgen dir. – Wie nenne ich dich, mein Freund?«

»Tamaskobe, das wilde Wasser, dies,« und er deutete auf seinen stummen Begleiter, »Kokumtha, das Elen, der nicht die Sprache der Yengeese reden, nicht verstehen.«

Er schritt dann, während Athoree zurückblieb, an der Seite Edgars weiter, und der Zug, welcher während dieses kurzen Austausches Halt gemacht hatte, setzte sich wieder in Bewegung.

Nach einiger Zeit begann der neben Edgar gehende Ottawa, während sein Gefährte langsam nachschlenderte: »Du nicht Inglis, nicht Yengeese, du Dutchman?«

»Ganz recht, weder Engländer noch Amerikaner, sondern ein Deutscher.«

»Habe von deinem Volk Männer gesehen, wohnen zwischen Yengeese hier.«

»Ja, es leben Deutsche hier im Lande.«

»Ihr Streitaxt ausgraben gegen Frenchers, wie solche in Kanada leben, he?«

»Wir haben mit den Franzosen Krieg geführt.«

»Ihr siegen, viel siegen?«

»Gott sei Dank, ja, in vierundzwanzig großen Schlachten blieben wir Sieger.«

»So weiße Händler hier erzählen. Du Krieger? Mit auf Kriegspfad?«

»Ja, Indianer, ich war dabei.«

»Du Dutchmanhäuptling, das gut. Ottawa Freund.«

Etwas später nahm er wieder das Wort: »Du Ottawa lieben, ihn besuchen kommen, he?«

»Ja, wildes Wasser, ich bin auf dem Wege, euch meinen Besuch abzustatten.«

»Gut. Du nicht wohnen hier im Land, nicht Haus, nicht Feld?«

»Nein, ich wohne in meinem Vaterlande, jenseits des großen Meeres.«

»Kommen weiten Weg Ottawa zu besuchen, Ottawa stolz sein.«

Da der Graf hierauf nicht antwortete, fuhr der Indianer fort: »Ihm nicht gut, daß Kitate nicht da, dich willkommen zu heißen, er in Fort.«

»Ich komme von ihm und trage seinen Schutzbrief bei mir.«

»Kitate traurig, he?«

»Nun, angenehm mag ihm seine Gefangenschaft nicht sein, indessen wird er gut behandelt.«

»Es schlimm, sehr schlimm. Ottawa sehr betrübt.«

Da der Graf sich nicht auf das heikle Gebiet einer Besprechung der letzten Vorfälle begeben wollte, lenkte er durch die Frage ab: »Wie weit ist es noch bis zu deinem Dorfe?«

»Bald sehen, wenn Sonne dort,« und er wies auf eine Stelle des Himmels, welche die Sonne in zwei Stunden erreichen mußte.

»Du Wyandotkrieger bei dir?«

»Ja, er ist mein Führer durch die Wälder.«

»Alte Frau auch Wyandot?«

»Es ist seine Mutter.«

»Denken, alte Frau wohnen bei toten Mann?«

»Ja, und der Sohn hat seine Mutter dort abgeholt.«

»Gehen zu Wyandot-Volk, wie?«

»Ich glaube nicht. Athoree wohnt im Süden am Muskegon und wird wohl wieder dorthin zurückkehren.«

»Er sehr fern wohnen seinem Volke,« bemerkte der Indianer noch, ohne die Unterredung weiter fortzusetzen.

Der übrige Teil der Gesellschaft verhielt sich schweigend.

Johnson hatte Michael eingeschärft, nichts über den Zweck ihrer Reise, über die Vorgänge im Fort oder die Ottawas zu äußern, da anzunehmen war, daß der schweigsame Krieger, welcher oftmals seine Stelle im Zuge wechselte, genügend Englisch verstand, um die Unterhaltungen zu belauschen. Weder er noch Athoree glaubten die Versicherung des andern, daß sein Gefährte nicht die Sprache der Weißen rede oder mindestens verstehe.

Im Laufe ihres Marsches hatte sich das Elen auch zu Frau Sumach gesellt, was Athoree mit einem spöttischen Lächeln bemerkte.

Der Ottawa eröffnete in seiner Sprache eine Unterhaltung mit Athorees Mutter; doch diese antwortete ihm, ob sie ihn gleich ganz gut verstand und auch durch ihre Kenntnis des Saulteux-Dialektes wohl befähigt war, ihm in seiner Sprache zu antworten, nur in der ihm unverständlichen Zunge der Wyandots und endlich auf Englisch: daß sie ihn nicht verstehe.

Der Ottawa verließ sie hierauf, nahte sich nach einiger Zeit seinem Gefährten und flüsterte diesem, dem seinen Ohr Athorees aber doch vernehmbar, zu: »Wyandots aus den Kanadas,« worauf der andre befriedigt nickte.

Als dieser dann später in der Ottawasprache, welche Athorees Ohr gleichfalls nicht fremd war, eine Unterhaltung mit Sumachs Sohn anzuknüpfen versuchte, erklärte auch dieser schließlich, ihn nicht zu verstehen, sann aber darüber nach, welches Interesse es wohl für die Ottawas haben konnte, zu erfahren, ob er den Wyandotstämmen im nördlichen Michigan oder den in den Kanadas heimischen angehöre.

Genau zu der Zeit, welche das »wilde Wasser« angegeben hatte, erreichten sie die Niederlassung der Ottawas.

Sie gewahrten die im hellen Sonnenschein den See entlang sich ausbreitenden Hütten mit den wenigen Blockhäusern, welche sich dazwischen erhoben, und empfingen einen freundlichen Eindruck von dieser Residenz Kitates.

Als sie aus dem Walde traten, stürzte ihnen eine Schar halbnackter Knaben und Mädchen entgegen, welche die Fremden neugierig anstarrten, aber sofort ehrfurchtsvoll Raum gaben, als der Begleiter Edgars ihnen einige Worte zurief, obgleich die dunklen Augen mit nicht freundlichem Ausdruck auf den Weißen ruhten.

Am Eingang des Dorfes empfing sie Amaqua und leitete sie nach dem Blockhause Peschewas, in welchem die Weißen übernachten sollten, während für Athoree und seine Mutter eine leerstehende Hütte zur Wohnung ausersehen ward.

Der Indianerhäuptling begrüßte den Grafen mit großer Höflichkeit und dankte ihm für die Ehre, welche er den Ottawas durch seinen Besuch erweise.

Die einstige Wohnung Peschewas, ein gewiß von den Händen Weißer aufgerichtetes Blockhaus, entbehrte nicht eines gewissen europäischen Komforts. Tische, Stühle, Schränke bildeten das Mobiliar, und Trophäen europäischer und indianischer Waffen, kostbare Felle den Schmuck, auch den seltenen Luxus wohlerhaltener Glasfenster wies die Häuptlingsbehausung auf, welche, da Peschewa nicht Weib, nicht Kinder hinterlassen hatte, verwaist war.

Unsre Reisenden richteten sich rasch ein. Die Gastfreundschaft der Indianer sandte alsbald den Gästen Stücke gebratenen Fleisches und Maiskuchen.

Nach einiger Zeit erschien Amaqua wieder, begleitet von den ältesten Häuptlingen der Niederlassung, und machte dem Grafen mit ihnen seinen Besuch.

Die ernsten Indianer nahmen Platz auf den Stühlen, und nach schicklicher Pause begann Amaqua: »Der Häuptling der Dutchmen ist willkommen bei den Ottawas.«

Es zeigte sich bei diesen Begegnungen, daß auch er recht gut englisch sprach.

Edgar dankte ihm.

»Der Häuptling hat den weiten Weg nicht gescheut, mit seinen Begleitern hierher zu kommen, die Ottawas sind stolz auf seinen Besuch.«

»Viel, ihr Häuptlinge,« begann da Edgar, welcher seine Rede der Ausdrucksweise der Indianer anzupassen suchte, »habe ich in meiner fernen Heimat von dem großen Volke der Ottawas gehört, welches hier oben an den Seen wohne, und mein Herz trieb mich, es aufzusuchen und seine weisen Männer, seine tapferen Krieger kennen zu lernen.«

Die Indianer ließen ein beifälliges Gemurmel hören.

»Ich bin kein Inglis, kein Langmesser, sondern ein Dutchman, dessen Volk jenseits des großen Meeres wohnt und nie die Streitaxt gegen den roten Mann ausgegraben hat. Ich bin ein Häuptling in meinem Volke, und führe Krieger in die Schlacht, und komme in Freundschaft, um den großen Häuptlingen der Ottawas meine Achtung zu bezeigen.«

Wiederum beifälliges Gemurmel der Indianer.

Auf einen Wink Edgars brachten nun Heinrich und Michael die Geschenke herbei, welche für die Häuptlinge bestimmt waren.

Da war ein Fäßchen mit Pulver, ein Fäßchen mit Rum, einige schön verzierte Messer, mehrere kleine Spiegel, wollene Decken, Pulverhörner und reichlich grünes Tuch zu Jagdhemden. Von hübsch gearbeiteten silbernen Bechern gab er jedem der Häuptlinge einen.

Mit großem Wohlgefallen wurden die Geschenke von den Indianern entgegengenommen.

»Auch für die Ladies der Ottawahäuptlinge habe ich Dinge mitgebracht, welche ihnen wohl gefallen werden.« Und er entfaltete rotes Tuch, bunte Bänder, Ohrgehänge, Vorstecknadeln, Kattun.

Lächelnd sagte Amaqua: »Die Squaws der Ottawas werden den jungen Häuptling der Dutchmen in ihr Herz schließen. Doch die Ottawas sind arm, sie haben nichts, was sie dem weißen Bruder dagegen schenken könnten.«

»Ich bin zufrieden, Häuptling, wenn ich mir Eure Freundschaft gewinne, mehr begehre ich nicht.«

Die Indianer waren angenehm überrascht, und Amaqua stand auf, reichte Edgar die Hand und sagte: »Amaqua ist des jungen Dutchman Freund; was er tun kann, um sein Herz zu erfreuen, soll geschehen.«

Edgar hielt es für geraten, gerade auf sein Ziel loszugehen.

»Du hast schon im Fort Jackson gehört, Amaqua, was mich hierher führt. Sind deine Freundschaftsversicherungen nicht nur Worte ohne Inhalt, so hilf mir die Spur meiner Schwester und ihres Kindes aufzufinden, gib mir Gewißheit über ihr Schicksal, und wenn es auch noch so traurig war, ich werde deiner stets in Dankbarkeit gedenken und diese Geschenke reich vermehren. Ihr Ottawas habt von mir nichts zu fürchten, ich bin ein Deutscher und stehe amerikanischer Politik gänzlich fern. Ich gebe euch das Wort eines deutschen Häuptlings, daß nie mein Mund etwas mitteilen soll, was ihr verschwiegen wissen wollt. Nur Gewißheit will ich erlangen über meiner Schwester Schicksal.«

Ernst lauschten die Indianer seinen Worten. Dann sagte Amaqua in wohlwollendem Tone: »Der Häuptling der Deutschen ist ehrlich, er hat nur eine Zunge, er denkt, was er spricht. Die Langmesser sind seine Freunde, die Ottawas sind seine Freunde. Er sucht eine Schwester, welche die Ottawakrieger, als sie die Streitaxt gegen ihren großen Vater in Washington erhoben, geraubt haben sollen. Amaqua weiß nichts davon, diese Häuptlinge hier wissen nichts davon, niemand weiß etwas davon. Mein junger Bruder sage, wo wir ihre Spur suchen sollen, und die Ottawas werden sich aufmachen und ihm suchen helfen.«

Mit trauriger Miene entgegnete Edgar: »Da wären wir so weit wie bisher, Häuptling. Nicht daß ich in deine Worte Zweifel setze, ein Häuptling hat nur eine Zunge, und wenn er sagt: ich weiß nichts von der weißen Frau, so ist es so. Aber es leben gewiß noch Krieger, welche das Schicksal meiner Schwester kennen, wenn Amaqua diese befragen wollte, so wäre ich ihm sehr dankbar.«

Mit immer gleicher Höflichkeit entgegnete der Indianer: »Sie sind befragt, doch niemand entsinnt sich der weißen Frau. Mein Bruder frage selbst, und es soll Amaqua freuen, wenn die Antwort erwünscht lautet.«

Mit schmerzlicher Betroffenheit sah Edgar ein, daß seine Mittel versagten, die Indianer wollten oder durften nicht reden.

Mit leichtem Schritte trat Athoree ins Zimmer und grüßte die Häuptlinge mit einer Neigung des Hauptes.

Amaqua faßte ihn scharf ins Auge und fragte in der Ottawasprache: »Mein Bruder ist ein Wyandot?«

Höflich entgegnete Athoree in englischer Sprache: »Der Häuptling muß mit mir die Sprache der Inglis reden, wenn ich seine Worte vernehmen soll, oder in der Zunge der Wyandots, Athoree versteht nicht die Laute der Ottawas.«

Amaqua sagte freundlich in der Zunge der Engländer: »O, die Wyandots jenseits des Michigan sprechen oder verstehen gemeinhin die Sprache unsrer Brüder, der Saulteux, welche nahe bei ihren Dörfern wohnen. Sollte mein Bruder diese nicht verstehen?«

»Die Wyandots wohnen in den Kanadas, Häuptling, und weitab von den Saulteux. Zwar wissen wir, daß Männer unsres Volkes im Gebiete des großen Vaters in Washington leben, aber ich kenne sie nicht und nicht deine Brüder, die Saulteux, ich kann ihre Sprache nicht sprechen, sie nicht verstehen.«

»So müssen wir uns der Worte der Inglis bedienen, wenn wir den Wyandothäuptling an unsern Feuern willkommen heißen wollen,« sagte der Ottawa in verbindlicher Weise.

Dann erhob er sich: »Der Häuptling der Dutchmen ist willkommen bei den Ottawas, er sage, was er wünscht, und er wird es erhalten, wenn mir es geben können.«

Damit packten die Indianer ihre Geschenke auf und gingen hinaus.

Mädchen und Knaben standen harrend vor dem Hause, in welchem die Weißen wohnten, während die Männer sich würdevoll zurückhielten.

Die Geschenke Edgars bereiteten draußen viel Freude und gewannen ihm sofort die Herzen der Frauen.

»So bin ich meinem Ziele nicht einen Schritt nähergekommen,« sagte der Graf traurig, als die Indianer fort waren.

»Sind in den Dörfern der Ottawas, Gutherz, wollen schon Spur finden. Geben etwas Tücher, Kämme, Schmuck für alte Mutter, soll an Ottawasquaws schenken.«

»Nimm, Athoree, was dir gut dünkt, ich gäbe gern das Hundertfache und mehr für eine sichere Nachricht von meiner Schwester.«

Athoree nahm von den zu Geschenken bestimmten Gegenständen, verbarg sie unter der über seiner Schulter hängenden wollenen Decke und ging hinaus.

Nach einiger Zeit folgte ihm auch der Graf.

Er schlenderte, Heinrich hinter sich, langsam zwischen den Hütten umher, zwar folgten ihnen aufmerksame Blicke, aber keine zudringliche Neugier belästigte ihn. Männer saßen und lagen umher, manche grüßten ihn, andre starrten ihn wortlos an.

Vor der Hütte, welche Athoree angewiesen war, sah Edgar wohl einige Dutzend Knaben und Mädchen versammelt, welche Sumach, die vor derselben saß, bewundernd anblickten.

Frau Sumach forderte aber auch die Aufmerksamkeit heraus.

Das brennend rote Kopftuch, die glitzernden Ohrgehänge, die Brosche, das glänzende Armband konnte nur die Frau oder Mutter eines großen Häuptlings tragen.

Die Ottawaweiber unterhielten sich auf das lebhafteste.

Sumach verstand ganz gut, was sie sagten, blieb aber, als verschiedene Anfragen an sie gerichtet wurden, dabei, nur einige Worte Ottawasprache erlernt zu haben.

Die Alte lauschte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf alles, was die Frauen äußerten, ob sie gleich so teilnahmlos dasaß, als seien die Ottawaweiber kaum vorhanden.

»Die Weißen sind reich,« sagte eine der Frauen, »ich denke, sie bringen für jede Squaw ein Geschenk mit.«

»Was sie nur hier zu suchen haben, die bleichgesichtigen Hunde?« äußerte eine andre mit haßblitzenden Augen.

»Still, es sind keine Langmesser,« sagt Amaqua.

»Gleichviel.«

»Bringen sie Geschenke,« ließ eine dritte sich vernehmen, »sollen sie willkommen sein.«

»Wenn ich doch nur ein solches Tuch erhielte, als diese alte Wyandotsquaw um den Kopf trägt,« sagte die erste wieder.

»Sieh nur die schönen Ohrgehänge.«

»Was tut nur die alte Frau mit so viel Schmuck? Den sollte sie doch jüngeren überlassen.«

»Das finde ich auch.«

»Was mag der weiße Häuptling nur hier wollen, er ist doch sicher nicht allein gekommen, uns Geschenke zu bringen?«

»Was wollen die weißen Männer bei den Ottawas, alte Wyandotsquaw?« richtete eine der Frauen die Frage an Sumach in gebrochenem Englisch.

»Weiße Männer Geschenke bringen,« entgegnete diese in derselben Sprache.

»Ist der Mann mit dem Haar von der Farbe des Schnees ein Medizinmann, Mutter?« fragte schüchtern ein junges Mädchen.

»Nicht verstehen,« entgegnete Sumach.

Die Fragerin wandte sich, wie es schien, betrübt ab.

»Warum fragst du?« wandte sich eine der Frauen an das Mädchen.

»Die Weißen sind große Medizinmänner, vielleicht könnten sie Miskutake helfen, sie leidet große Schmerzen.«

Bei dem Namen Miskutake zuckte Sumach zusammen, doch so leicht, daß es niemand der Anwesenden bemerken konnte, um so weniger, als sich in ihrem Gesicht nicht ein Zug bewegte. Erst nach einiger Zeit wandte sie das Auge auf das junge Mädchen und prägte sich ihre Züge ein.

»Ja, die arme Bohnenblüte,« nahm eine andre das Wort. »Man muß den Weißen fragen, vielleicht ist er ein Medizinmann. Sie sind klug, die Blaßgesichter. Als mich im vorigen Winter das Fieber schüttelte, gab mir ein Händler seine Medizin und es lief davon.«

»O, wenn er Miskutake helfen könnte,« klagte das junge Mädchen mit sanfter, wohlklingender Stimme, »vor drei Jahren hat ein Blaßgesicht auch meinem kleinen Bruder das Leben gerettet durch seine Medizin.«

»Es ist schade, daß die alte Wyandotfrau nicht die Sprache der Ottawas spricht. Mich dünkt, alle roten Leute sollten eine Sprache sprechen.«

»Warum?« fragte eine andre und warf stolz das Haupt empor. »Was haben mir mit den Wyandots gemein? Die Chippewayvölker sprechen eine Sprache – das ist genug.«

Indem nahte Athoree der Gruppe, welche seine Mutter umgab.

»Will die Mutter nicht Geschenke an die Squaws verteilen? Es wird ihre Herzen erfreuen und ihre Zungen lösen.«

»Gib!« entgegnete lakonisch die Alte.

Er händigte ihr die Gaben, welche sie verteilen sollte, ein.

»Gib acht, Enkel Meschepesches, ich habe gefunden.«

Die Aufmerksamkeit Athorees steigerte sich.

Sumach überblickte die Schar der Frauen und winkte das junge Mädchen zu sich. Schüchtern trat dieses heran.

Athorees Mutter schlang ein buntes, seidenes Tuch um ihren Hals und nickte ihr freundlich zu: »Für junge Squaw!« und setzte dann wie vorher rasch in der Wyandotsprache, aber so, als ob sie noch mit dem jungen Mädchen spräche, hinzu: »Suche, wo sie wohnt,«

Gespannt sahen alle Umstehenden dem Vorgang zu.

Das junge Mädchen ließ einen freudigen Laut hören und sagte mit Wärme: »Die alte Mutter der Wyandots ist gütig, Silimach wird es nicht vergessen,« und huschte eilig davon.

Athoree schlenderte umher, scheinbar achtlos, folgte aber der Davoneilenden mit scharfem Auge.

Sumach begann nun unter großem Jubel der Frauen weitere Geschenke zu verteilen, wesentlich die älteren Frauen dabei bedenkend, und als die Gaben erschöpft waren, die andern vertröstend.

Die Freude dieser einfachen Geschöpfe über die erhaltenen Geschenke äußerte sich auf das lebendigste.

Sie legten sie sofort an und bewunderten sich gegenseitig.

Heiteres Lachen ertönte und lebhaft wurden Worte gewechselt.

Innig dankten sie der alten Sumach. »Welch eine gute Frau bist du? Und wie reich mußt du sein? Wir danken dir! Wir danken dir!« klang es ringsum.

Sumach lächelte freundlich.

Zwei ernstblickende Ottawas standen in der Nähe und sahen dieser Verteilung zu.

»Schwatzt nicht so viel, ihr Weiber,« sagte der eine, »und seht nach euern Kochtöpfen.«

»Willst du uns verwehren, die Geschenke der guten Frau zu nehmen?« fragte hastig eines der Weiber. »Du schenkst uns doch nichts.«

»Ich sage euch, schwatzende Elstern, hütet eure Zungen,« sagte von neuem der Ottawa, »ich weiß, weshalb die Alte euch beschenkt – ich rate euch,« setzte er in drohendem Tone hinzu, »hütet eure Zungen.«

Augenblicklich herrschte tiefes Schweigen in der Frauengruppe und langsam schlich eine nach der andern davon.

Sumach hatte jedes Wort verstanden, lächelte aber freundlich den sich scheu zurückziehenden Frauen nach.

Graf Edgar hatte aus einiger Entfernung das alles mitangesehen.

»Welch große Kinder sind diese Indianer noch,« sagte er zu dem neben ihm stehenden Heinrich.

Johnson war auch außerhalb der Hütte erschienen und erregte bei denen, die ihn noch nicht kannten, Aufsehen, während, trotz aller den Gästen gegenüber geübten Höflichkeit, Männer sowohl als besonders die Frauen ihn scheu zu meiden suchten.

Johnson war daran gewöhnt.

Michael verließ die Hütte indessen nicht und blickte nur verdrießlich hie und da durch die Fenster auf die Wigwams und ihre Bewohner.

Amaqua, der Häuptling, schritt heran und gesellte sich zu Edgar.

»Du große Freude bereitet, Häuptling, Squaw sich alle freuen, Männer auch.«

»Das höre ich gern, ich wünsche, daß die Ottawas freundlich meiner gedenken, wenn ich fern bin.«

Er wanderte dann mit dem Häuptling umher und dieser zeigte ihm die Hütten und Blockhäuser, den See, stellte ihm einige ältere Ottawas vor und bemühte sich, den Gast nach Kräften zu unterhalten.

Als sie zwischen einigen entfernter liegenden Wigwams hindurchschritten, trat aus einem derselben das Mädchen, welches von Sumach beschenkt worden war, und richtete einige Worte an den Häuptling.

Ernst hörte dieser sie an und richtete dann die Frage an Edgar: »Ist der tote Mann, der dich begleitet, ein Medizinmann?«

»Ein Medizinmann?« fragte dieser erstaunt. »Wenn du darunter einen Arzt verstehst, nein. Mister Johnson ist Landmann, Farmer.«

»Bist du ein Medizinmann?«

Lächelnd entgegnete der: »O nein, ich bin nur Soldat. Warum fragst du?«

»Das junge Weib hier hat eine kranke Mutter und meint, jedes Bleichgesicht müsse ein Medizinmann sein.«

»Ich führe auf der Reise einige Arzneien mit, Häuptling, Heilmittel für Fieber und Wunden, wenn die Frau davon Gebrauch machen kann, stehen sie ihr zu Gebote, aber Arzt oder Medizinmann bin ich nicht.«

Der Ottawa wechselte wieder einige Worte mit dem Mädchen.

»Willst du dir die Frau ansehen? Unser Medizinmann kann ihr nicht helfen.«

»Ich noch weniger, indessen wenn ihr etwas Chinin nützen kann – es steht ihr zu Gebote – allein ich kann es nicht verordnen.«

»Sieh die Frau, komm.«

Auf seinen Wink öffnete das Mädchen den Vorhang, welcher den Eingang deckte, und beide traten in die Hütte.

Auf einem Lager von trockenem Laub, mit Decken und Fellen zugedeckt, ruhte ein abgezehrtes Indianerweib, dessen trübe Augen sich auf den Eintretenden hefteten. Amaqua redete sie an, und sie erwiderte schwach einige Worte.

Graf Edgar trat näher und faßte ihren Puls, der einen hohen Grad von Fieber verriet.

»Frage die Frau, Amaqua, wo sie leidet.«

Dieser willfahrte und übertrug ihm die Antwort der Kranken.

Aus dieser schien dem Grafen hervorzugehen, daß die Frau an heftigem Wechselfieber litt, und er glaubte es verantworten zu können, wenn er sie Chinin nehmen ließ. Er sagte das dem Ottawa, wiederholt betonend, daß er kein Arzt sei.

Nachdem Edgar mit dem Häuptling den Rundgang vollendet hatte, zog er sich in seine Hütte zurück, nachdem er versprochen hatte, am Abend einer ihm zu Ehren gegebenen Schmauserei beizuwohnen.

Dem jungen Mädchen, welches bei ihm erschien, händigte er einige Chininpulver ein und ließ ihr durch Johnson einschärfen, wie die Mutter sie nehmen sollte.

Als die Kleine hinausging, trat Athoree ins Zimmer.

Ihr nachsehend, sagte er leise zu Edgar: »Das Tochter von Miskutake.«

»Was?« fuhr der Graf empor, »Hast du sie gefunden? O, Gott sei Dank. Vielleicht, vielleicht hilft sie zur Lösung des Rätsels.«

»Sumach finden, alte Mutter klug.«

»Aber wie, wie, Athoree, bringen mir die Frau zum Reden? Und weiß sie auch überhaupt etwas?«

»Hier alle wissen; du nicht hören, wie Häuptling Weiber wegschicken von Sumach? Fürchten plaudern, wissen alle etwas.«

»Gut, du belebst meine Hoffnung. Aber wie veranlassen wir die Kranke zum Sprechen?«

»Heute abend essen, he?«

»Ja, Amaqua hat mich eingeladen.«

»Essen, viel trinken. Alle Nebel um Augen, Nebel in Kopf.«

»Du glaubst, sie werden alle betrunken sein?«

»Denke so. Du auch betrunken –«

»Ich?«

»Du nur so tun, Athoree so tun. Nicht betrunken, nur so tun. Wenn Häuptling schlafen, gehen zu Miskutake.«

»Ich verstehe. Aber wenn nun der Wyandothäuptling auch Nebel vor den Augen hat und den Weg nicht findet?«

»Athoree nicht Nebel, das versprechen. Trinken, doch nicht Nebel.«

»Nun, sei es so.«

»Nicht reden, nicht fragen, nicht gehen, du überall bewacht von Ottawas, alle bewacht.«

»Meinst du?«

»Es wissen.«

In peinlicher Aufregung vergingen die Stunden.

Endlich, die Sonne war längst vergangen, erschienen zwei Indianer, um im Auftrage Amaquas die Bleichgesichter zum Festmahl abzuholen.

Alle gingen, auch Michael, obgleich widerwillig und mißtrauisch: »Ich möchte mit den roten Burschen so wenig wie möglich zu tun haben,« brummte er, »sie gaffen mich fortwährend an und das ist unheimlich.«

Sie wurden zu einer offenen Hütte geführt, welche dem Stamm zu Ratsversammlungen diente.

In deren Mitte brannte ein Feuer, an welchem verschiedenes Wildbret schmorte.

Amaqua war da und um ihn ein Dutzend der älteren und angeseheneren Ottawas. Auch Athoree war schon dort.

Der wilde Häuptling begrüßte seine Gäste mit viel Anstand, machte sie mit den andern Indianern bekannt in einer Form, welche jeder europäischen Gesellschaft Ehre gemacht hätte.

Zwei alte Frauen beschäftigten sich mit Zubereitung der Speisen.

Alle nahmen dann um das Feuer Platz und auf ganz hübsch geschnitzten Holztellern wurden ihnen Stücke Fleisches überreicht, ebenso Fisch, welcher trefflich in einer Blätterlage gebraten worden war.

Jeder zog sein Messer und alle griffen munter zu.

Während des Mahles herrschte Schweigen. Michael schaute sich zwar oft mit einer bemerkbaren Scheu im Kreise dieser grimmigen, dunklen Gesichter um, entwickelte aber trotzdem einen beneidenswerten Appetit.

Die Indianer verschlangen erstaunenswerte Mengen Fleisches.

Bald begann auch der Becher, mit Rum gefüllt, zu kreisen, das Fäßchen Edgars lagerte in der Nähe des Häuptlings.

Endlich war der Hunger der Roten gestillt. Edgar, der sehr aufgeregt war, aber dies so gut als möglich zu verbergen suchte, hatte nur wenig essen können.

Die Männer nahmen jetzt die Pfeifen hervor, Edgar bediente sich einer seiner Zigarren, die Indianer streckten sich äußerst zwanglos aus, und der gefüllte Rumbecher kreiste fleißiger.

»Wie es dir gefallen bei Ottawas, Dutchman?«

»Gut, die Ottawas sind freundlich und gastfrei. Besser noch würde es mir gefallen, wenn ich meinem Zwecke etwas näher gekommen wäre.«

»Gerne Dutchman helfen, er Freund. Nicht können, alle hier fragen, alle dasselbe sagen, nichts wissen. Vergnügt sein, trinken, trinken.«

Edgar trank mit vorsichtiger Mäßigkeit, während die Indianer große Quantitäten des starken Trankes hinuntergossen.

Nach und nach geriet auch eine Art Unterhaltung in Gang, denn sämtliche Anwesende sprachen etwas Englisch.

Hie und da stieß auch einer der Ottawas einen wilden Ruf aus oder begann ein eintöniges Lied zu singen.

Zu seiner Freude bemerkte der Graf, daß Athoree Maß im Trinken beobachtete und ihm öfters einen verständnisinnigen Blick zuwarf. Der Graf bewunderte diese Enthaltsamkeit aufrichtig.

Johnson, der allein saß, sprach dem Rum auch nur wenig zu, ebenso Heinrich, Michael aber zechte wacker mit, was bald seine schwere Zunge verriet. Edgar gewahrte es nicht ohne Besorgnis.

Athoree, der mit Meisterschaft den Durstigen zu spielen wußte, stellte bald mit gleicher Vollendung den Betrunkenen dar, und der Graf folgte ihm hierin so gut er konnte.

Bei Amaqua wie auch bei allen andern Roten machte sich die Wirkung des Rums geltend, stierer wurden die Augen, schwerfälliger die Rede.

Bald herrschte ein wildes Durcheinander von Stimmen, untermischt mit gellenden Rufen.

Draußen lungerten einige Dutzend Ottawas und sahen dem Gelage zu. Amaqua ließ ihnen einige Kannen Rum reichen, und bald kreiste der Becher auch draußen.

Der Häuptling, welcher immer betrunkener wurde, klopfte Edgar auf die Schulter und schrie: »Du Dutchman, ich dich lieb. Dutchman gut. Inglis und Langmesser seien verdammt. Würde dir gerne helfen, Bruder,« lallte er, »geht nicht, geschworen bei Manitou, alle geschworen, geht nicht. Verdammt sei die weiße Frau.«

Edgar spielte den Betrunkenen hinreichend gut, um wenigstens die schon stark angezechte Gesellschaft zu täuschen.

Es gelang ihm auch jetzt, obgleich ihn die Aeußerung des berauschten Wilden sehr aufregte, in lallendem Tone zu erwidern: »Amaqua, Bruder, er würde helfen, weiß ich, er kann nicht.«

»Nein, kann nicht, Bruder,« und wieder stürzte er einen Becher Rum hinunter.

Michael hatte bereits genug und schlief.

Athoree wankte hin und her und lallte vor sich hin.

Amaqua bemerkte es und lachte wie besessen: »Der Wyandot kann nicht trinken, nur Krieger können trinken. Wyandots Weiber.«

Schon streckten sich einige nieder und schliefen ein.

Johnson erhob sich und ging nach Peschewas Hütte zurück, nicht ohne daß ihm draußen aufmerksame Augen folgten.

»Gut,« lallte Amaqua, »toter Mann fort, gut, ihn nicht gerne sehen. Jetzt trinken.«

Edgar füllte den leeren Becher, tat, als ob er daraus schlürfe, und überreichte ihn mit schwankendem Arm dem Häuptling.

»Ah,« lallte dieser, »du auch betrunken, Dutchman, du auch kein Krieger.«

Mehrere der Indianer erhoben sich schwerfällig, schlugen die wollenen Decken ums Haupt und wankten davon.

Nur Edgar, Heinrich, Athoree, Amaqua und zwei andre saßen noch um das Feuer.

Die übrigen hatten sich entfernt oder schliefen ihren Rausch aus.

»Dutchman, du gut, ich dich lieb. Verdammt die Langmesser – trinken – gut – Rum.«

Edgar reichte ihm wieder einen Becher, aber ehe der Indianer ihn noch zum Munde führen konnte, ließ er ihn fallen und sank um.

Schwerfällig erhob sich jetzt Athoree, fiel hin, erhob sich mit Mühe wieder und wankte fort; draußen faßten ihn zwei der lauernden Ottawas unter den Armen und führten ihn, der sich kaum auf den Beinen halten zu können schien, nach dem ihm angewiesenen Wigwam, wo sie ihn auf einem Lager niederlegten.

»Heinrich,« sprach Edgar, der auch verschiedentliche Versuche gemacht hatte, aufzustehen, deutsch, »hilf mir auf, komm, damit ich den Betrunkenen mit Natürlichkeit spiele.«

Heinrich tat es und führte den wankenden Grafen hinaus, draußen faßte ein Indianer diesen stützend am Arm und so schritten sie zur Hütte Peschewas.

Der Warnung Athorees folgend, daß sie überall von Spähern und Lauschern umgeben seien, sank der Graf, seiner Rolle getreu, schwerfällig auf sein Lager.

Bald herrschte im Dorfe der Ottawas die tiefste Stille.

Wohl eine Stunde mochte verflossen sein und die Sterne zeigten an, daß Mitternacht längst vorüber sei, als leise an die Türe geklopft wurde und Athoree hereinschlich.

»Jetzt Zeit. Jetzt gehen.«

Der Graf erhob sich, schlug wie Athoree eine wollene Decke um Kopf und Schultern und beide traten in die finstre Nacht hinaus.

»Wenn Ottawa sehen, tun als wären betrunken. Wenn fragen, gehen zu kranke Frau, Medizin bringen.«

So schritten sie vorsichtig im Dunkel einher und gelangten zur Hütte der gesuchten Frau. Es zeigte sich noch Licht darin. Sie schlichen leise daher und sahen Miskutake auf ihrem Lager, zu ihren Häupten saß das junge Mädchen und schlief.

Athoree öffnete den Vorhang am Eingang und trat ein, hinter ihm der Graf.

Die Kranke lag machend und schaute sie schweigend mit großen Augen an.

»Medizinmann kommen,« rief ihr Athoree rasch und leise mit freundlicher Gebärde in der Ottawasprache zu, »will sehen, wie es kranker Frau geht.«

Miskutake, eine nicht mehr junge, von Krankheit entstellte Frau, sah mit hoffnungsvollem Blick auf Edgar und sagte: »Miskutake wohler, die Krankheit wird fliehen vor der Medizin des weißen Mannes.«

In der Tat war bei der Patientin ein wohltätiger Schweiß ausgebrochen.

Das junge Mädchen erwachte und blickte mit schreckhaftem Staunen auf die nächtlichen Gäste, beruhigte sich aber, als sie Edgar erkannte.

»Meine Tochter wird hinausgehen und machen, daß niemand uns stört, der große Medizinmann wird mit der Krankheit der Mutter kämpfen und sie verjagen, es gefährlich für kranke Frau, wenn jemand kommen,« sagte Athoree.

Gehorsam ging das Mädchen hinaus.

»Spricht meine Schwester die Sprache der Inglis?«

»Ja,« sagte die Kranke schwach, »Miskutake lernte es von Bruder Missionar, sie Christin, heißen Mary seit sie getauft.«

»Um so besser. Mary wird wieder gesund werden und dem Heiland danken, daß er ihr in ihrer Not Hilfe gesandt.«

Die Kranke faltete die Hände und sagte: »Sie wird Jesus Christ danken.«

»Will mir Mary eine Frage beantworten?«

Aufmerksam sah ihn die Kranke an.

»Ich schwöre ihr bei unserm Herrn und Heiland, daß kein Mensch erfahren soll, was sie mir gesagt, aber um Jesu Christi willen muß sie mir die Frage beantworten.«

Die großen dunklen Augen der Frau hafteten mit fieberhafter Spannung auf Edgar.

»Ich bin der Bruder der weißen Frau, welche vor drei Jahren am Manistee mit ihrem Kinde geraubt wurde,« die Kranke überfiel ein Zittern, »sage mir, Mary, wo sie jetzt ist.«

»O,« stöhnte die Frau, »ich kann nicht, es steht Tod darauf. Ich habe geschworen.«

»Hast du bei deinem Heiland geschworen?«

»Nein, bei Manitou.«

»Gilt der dir mehr als dein Erlöser?«

»O nein, o nein – aber sie töten mich, wenn sie es erfahren.«

»Niemand wird es erfahren.«

Die Frau kämpfte gewaltig mit sich selbst.

Da zog Edgar den Totem hervor und hielt ihn ihr vor.

»Sieh dies und denke an den, der dein Kind vom Tode errettet hat. Auch er läßt dich bitten, meine Frage zu beantworten.«

Schreckenvolle Aufregung wechselte mit Rührung in der Seele der kranken Frau.

Endlich sagte sie mit Entschluß: »Mögen sie mich töten. Neige dein Haupt zu mir.«

Eilig tat es der Graf.

Kaum hörbar flüsterte sie ihm zu: »Sie wurden zu den Saulteux gebracht. Beide, Mutter und Kind, zu den Saulteux über das Wasser.«

»Leben sie noch?« fragte zitternd, in gewaltiger Erregung der junge Mann.

»Ich glaube, ja – nicht weiß ich's gewiß. Verrätst du mich, trifft mich der Tomahawk der Häuptlinge. Sie fürchten die Entdeckung mehr als alles.«

»Und du sagst Wahrheit, Mary, so wahr du hoffst, einst bei deinem Heiland zu sein?«

»Sie sagte Wahrheit,« stöhnte die Frau und sank in Ohnmacht.

Außerhalb ließen sich Schritte vernehmen und eine rauhe Stimme fragte: »Was tust du in der Nacht hier draußen?«

Edgar schrak zusammen, und Athoree fühlte nach seinem Messer, aber das gewandte Mädchen, dem die Frage galt, antwortete: »Silimach holt Wasser für die kranke Mutter.«

Hierauf entfernten sich die Schritte.

Athoree und Edgar standen noch einige Minuten und lauschten mit angehaltenem Atem, dann löschte der Indianer den brennenden Kienspan aus und beide schlichen geräuschlos hinaus.

Draußen harrte Silimach.

»Die Mutter schläft,« sagte Athoree, »morgen wird der Medizinmann wieder kommen, er wurde gestört. Miskutake wird wieder gesund werden.«

»Dank dir,« flüsterte das Mädchen.

»Die Tochter darf niemand sagen, daß der weiße Mann hier war, sonst muß die Mutter sterben.«

»Nein, nein,« sagte erschreckt die junge Indianerin und schlüpfte in die Hütte.

Dem Grafen schlug das Herz gewaltig und nur mit Mühe legte er sich Schweigen auf.

»Vorsichtig!« mahnte Athoree, und leise, die Decken umgeschlagen, wie es die Art der Indianer war, schlichen sie durch die Hütten und gelangten ungesehen zu ihrer Behausung.

Kaum hatte sich die Türe hinter ihnen geschlossen, als Edgar mit einer Innigkeit im Tone, die selbst auf den Indianer Eindruck machte, sagte: »O, Gott, Gott sei Dank! Wir werden sie finden, Athoree, sie weilen noch unter den Lebenden. Hast du gehört, was die Frau mir gesagt hatte?«

»Athorees Ohr vernahm es.«

»Wo wohnen die Saulteux?«

»Wohnen weit über Wasser.«

»Und wenn sie am Ende der Welt wohnten, ich suche sie auf.«

»Jetzt schlafen, morgen weiter reden,« und Athoree entfernte sich mit äußerster Vorsicht.

Graf Edgar aber warf sich auf die Kniee und sandte ein inbrünstiges Dankgebet zum Höchsten empor. Er fühlte starke Versuchung, Heinrich zu wecken, um ihm die Freudenkunde mitzuteilen, aber er bezwang sich und suchte sein Lager; die gewaltige Erregung seines Innern ließ ihn erst im Morgengrauen einen unruhigen Schlaf finden.

Die Sonne stand schon hoch, als er erwachte.

Er blickte um sich, und vor ihm saß schweigend der Indianer, sie waren allein, die andern waren draußen.

»Mein guter Athoree, welch ein Glück, welch ein Glück.«

»Es gut, Gutherz sich freuen, großes Glück.«

»Was tun wir nun zunächst?«

»Gutherz müssen traurig tun bei Ottawas, sonst wissen, daß gute Nachricht, das nicht gut.«

»In meiner Freude soll ich Trauer heucheln?«

»Müssen so tun – sonst gefährlich. Ottawa nicht Gutherz erschlagen, er sich fürchten, aber Stammlose es tun. Niemand kann Kugel der Ottawas von denen der Stammlosen unterscheiden.«

»Meinst du, daß es so gefährlich sei, das Geheimnis, welches meine Schwester umgab, gelüftet zu haben?«

»Es ganz gefährlich, erschlagen uns alle in dichtem Wald, dann Stammlose es getan.«

Aus des Indianers warnenden Worten sprach der ganze Ernst der Lage.

»Gut, ich will Trauer heucheln, während mein Herz vor Freude bebt. Du führst mich zu den Saulteux, mein treuer, tapferer Freund.«

Athoree antwortete nichts und sah starr mit einem Gesichtsausdruck vor sich hin, so schmerzlich und so finster, daß Edgar ihn betroffen anblickte.

Die gewöhnliche Ruhe kehrte nach kurzer Frist in des Indianers Züge zurück, dann sagte er langsam, nachdrücklich: »Athoree kämpfen für Gutherz, er gern tun, Gutherz Freund, ihn lieben. Drüben, jenseits des Wassers, lauert der Tod auf den Enkel Meschepesches.«

»Athoree,« sagte der Graf, von der Aeußerung und dem tiefen Ernste des Mannes ergriffen, »so viel hast du zu fürchten?«

»Nur den Tod. Athoree ihm entfliehen zu weißen Menschen.«

Als ihn der Graf mit zweifelnden Blicken ansah, setzte er hinzu: »Nichts Schlechtes denken von Athoree, er getan, was er mußte.«

»Nein, Athoree, du hast dich tapfer und treu bewährt, hast so viel Opfermut und Hingebung gezeigt für mich, den Fremden, daß ich nichts Uebles von dir denken kann und will. Hier meine Hand, Athoree.«

Hastig nahm sie der Indianer.

»So muß ich deiner Führung und Unterstützung entsagen, das bedaure ich von Herzen.«

Nachdenklich blickte der Indianer vor sich hin, dann ließ er in leisem, weichem Tone sich vernehmen: »Manitou senden Sturm und Sonnenschein. Athoree Jahre hindurch Sturm im Herzen, so alte Sumach. Vielleicht senden ihn der große Geist zurück zum Lande seiner Väter, wer kann wissen? Manitou weise. Der Sohn wird mit der alten Mutter reden, dann sagen, ob der Enkel Meschepesches auf den Pfaden der Saulteux wandeln wird.«

Er ging langsam hinaus.

Betroffen blieb der Graf zurück.

Heinrich kam, und nun brach die tiefe Herzensfreude des Bruders aus, als er diesem die wunderbare Kunde mitteilte.

Heinrich standen die Tränen in den Augen, »O, Herr Graf, welch herrliche Nachricht. Welches Glück!« stammelte er tief bewegt.

Auch dem stillen Johnson ward das Geheimnis mitgeteilt, der es mit inniger Teilnahme entgegennahm.

»So haben die Ottawas sie damals ihren Verwandten, den Saulteux, zur Aufbewahrung gegeben. Diese sind mit nicht großer Mühe zu erreichen, und wenn Sie mich brauchen können, Herr Graf, begleite ich Sie gern, ich wende so mein armes Leben nützlicher an, als wenn ich in meinem einsamen Shanty Hause.«

Mit großem Danke nahm Edgar das Anerbieten an.

Auf den Rat Johnsons ward nun beschlossen, die Abreise für morgen zu bestimmen und den Weg, wie es auch von Anfang geplant war, wenn die Nachforschungen bei den Ottawas kein Resultat ergeben sollten, nach Traverse City zu nehmen, wo sich dann Gelegenheit finden würde, nach der nördlichen Halbinsel Michigans zu gelangen und ihre weiteren Schritte festzustellen.

Später kam Amaqua, der die Folgen des schweren Rausches noch nicht überwunden hatte, um den Grafen zu begrüßen.

Es gelang diesem, eine betrübte Miene zu erheucheln, und er teilte dem Häuptling mit, daß er seine Pflicht erfüllt und traurig morgen von hinnen scheiden werde, weil sein Besuch bei den Ottawas so vergeblich gewesen sei.

Dieser vernahm das nicht ohne innere Befriedigung.

»Gerne gutem Bruder helfen, nicht können.«

Ein Besuch bei der kranken Frau in Begleitung des Häuptlings konstatierte eine merkliche Besserung ihres Befindens.

Für den Nachmittag hatten die Indianer zum Vergnügen ihrer Gäste auf dem See eine Fischjagd mit dem Speer veranstaltet, bei welcher die jungen Ottawas große Gewandtheit entfalteten. Am Abend verteilte Edgar die noch übrigen Geschenke, wobei die kranke Frau nicht übergangen wurde, und am andern Morgen in der Frühe zog die kleine Karawane nach Norden zu, eine Strecke begleitet von Amaqua und einigen Häuptlingen. Als diese endlich geschieden waren, warf Edgar die mit großer Mühe festgehaltene ernste Miene ab und rief mit vor Freude bebendem Tone Heinrich zu: »Jetzt wollen wir sie finden – Gott wird weiter helfen.«


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