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Neuntes Kapitel.

Im Shanty des »Toten Mannes«.

Als Graf Edgar nach ruhig verbrachter Nacht am frühen Morgen erwachte, sah er den weißhaarigen Gast, der sie am verflossenen Abend überrascht hatte, bereits aufrecht neben sich sitzen.

Das Auge zu den Schläfern wendend, welche unweit sich niedergestreckt hatten, bemerkte er die Abwesenheit Athorees.

»Wo ist der Indianer, Sir?«

»Er weckte mich vor Tagesanbruch und sagte mir, er wolle sich in der Umgegend umsehen.«

»Das ist gut, wir können um so ungestörter hier weilen, wenn Athoree wacht. Auf, Heinrich, zünde Feuer an, daß mir Kaffee bekommen!«

»Ja, ja, Herr,« antwortete dieser, noch schlaftrunken, indem er dem Anruf folgte.

»Es würde ratsamer sein,« sagte der Fremde, »kein Feuer anzuzünden, Herr.«

»Warum?«

»Es könnte uns unliebsame Gäste zuziehen.«

»Sie beunruhigen mich mit ihren Besorgnissen, Herr – Herr – wie nenne ich Sie eigentlich?«

»Mein Name ist Johnson.«

»Was veranlaßt Sie zu dieser Vorsicht?«

»Wie ich Ihnen schon gestern abend sagte, die auffällige Unruhe unter den Indianern. Das schwärmt wie ein Bienenkorb, und gerät man zufällig zwischen den Schwarm, ist Gefahr, daß man den Stachel zu fühlen bekommt. Ich möchte Ihnen vorschlagen, mit zu meiner Hütte zu gehen, dort kann anstandslos Rauch emporsteigen.«

»Und der Indianer?«

»Er ist davon verständigt, hält es auch für das ratsamste und wird dort wieder zu Ihnen stoßen.«

Edgar erwog einen Augenblick den Vorschlag des fremden Mannes, doch die ehrliche, zuversichtliche Art desselben, und der Schluß, daß Athoree sie nicht schlafend in der Gewalt desselben gelassen haben würde, wenn er etwas von ihm für ihre Sicherheit befürchtete, ließen ihn antworten: »Nun wohlan, Mister Johnson, so will ich Ihrem Rate folgen. Brechen mir auf.«

Da der Graf die Bärendecke ungern zurückgelassen hätte, hatte sie Michael auf seine starken Schultern geladen, was ihm freilich die Führung des Tieres nicht erleichterte.

Nachdem Johnson allen strenges Stillschweigen während des Marsches anempfohlen hatte, schritt er voran und führte sie in den Bach, in dessen seichtem Wasser er sie wohl zwei Meilen aufwärts gehen ließ. Dann schlug er den Weg quer durch den Wald ein.

Während sie ruhig unter den Bäumen einherzogen, einer hinter dem andern gehend, Johnson voran, scheute plötzlich das Tier, welches Michael im Nachtrab einherführte, vor einem an ihrem Wege liegenden Haufen irr durcheinander liegender Baumäste. Trotz des streng anbefohlenen Stillschweigens stieß der Sohn der Smaragdinsel einen lauten Fluch aus und machte Miene, das widerspenstige Tier seinen Stock fühlen zu lassen. Der Kampf zwischen ihm und dem Tiere, welches angstvoll und schaudernd die Luft einzog, wurde so heftig, daß er die Aufmerksamkeit der andern erregte und Johnson zurückging, um dem verzweifelnden Irländer beizustehen. Kaum bemerkte er das auffällige Gebaren des Tieres, als er dem Michael befahl, dasselbe zurück- und in weiterer Entfernung an dem Haufen, vor dem es scheute, vorbeizuführen. Das tat denn auch der Irländer. Zum Grafen, der mit Heinrich ebenfalls herbeigekommen war, sagte Johnson: »Es sollte mich nicht wundern, wenn wir unter diesen Aesten seltsame Dinge fänden. Wir wollen doch einmal nachsehen, in diesen Wäldern ist keine Erscheinung unbedeutend zur jetzigen Zeit. Er machte sich daran, die Aeste zu beseitigen, welche mit einem starken Bowiemesser von den nächsten Bäumen und Büschen abgehauen zu sein schienen, und Heinrich half ihm dabei.

Kaum waren einige der belaubten Aeste hinweggeräumt, als Heinrich mit kurzem Ausruf erschreckt zurücktrat.

»Was gibt's, Heinrich?« fragte Graf Edgar und ging näher.

»Ein toter Mann, Herr Graf.«

Johnson hatte noch einige Aeste entfernt, und dem Auge zeigte sich jetzt deutlich der Leichnam eines Mannes, der auf dem Gesichte lag. »Was ist das,« äußerte Johnson. »Ein Mord? Und so nahe meiner Hütte?«

Der Tote trug die im Lande gewöhnliche Kleidung, das Hinterhaupt war mit geronnenem Blute bedeckt.

Büchse und Messer lagen neben ihm.

Aufmerksam betrachtete Johnson den dahingestreckten Körper.

»Der Mann ist von hinten meuchlerisch in den Kopf geschossen worden und zwar von einem Weißen.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Nie würde ein Indianer den Leichnam so ungeschickt verborgen haben, auch hätte er ihm aller Wahrscheinlichkeit nach den Skalp genommen; nein, das hat einer unsrer Farbe getan.«

Man wandte den Leichnam um, und mit großem Erstaunen erkannte der Graf die Züge des Gesellen aus Grovers Blockhause, den er noch jüngst in Lansing bei Myers gesehen hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach der berüchtigte Mörder Wilfers. Zweifel konnte nicht existieren, der Ermordete war der Gefährte von Morris und Iltis.

Die Kleidung war aufgerissen und alle Taschen herausgezogen.

Das Gesicht hatte einen ruhigen, friedlichen Ausdruck, als ob der Tod ganz plötzlich eingetreten sei.

»Hier liegt ein Raubmord vor, das sieht man deutlich an den durchsuchten Kleidern. Büchse, Pulverhorn, Messer, alles ist da, er muß also vielleicht Geld bei sich geführt haben. Aber wie in aller Welt kommt der Mann mit seinem Mörder hierher?«

Der Graf teilte ihm jetzt mit, wen er in dem Ermordeten erkenne.

»Wenn das so ist, so ist den Burschen im Süden überall der Weg verlegt worden und sie haben sich hierher gewendet, um mit Hilfe der Indianer nach Kanada zu entkommen. Dann hat der andre, dessen sie erwähnen, den Mord vollführt, und ihn von hinten niedergeschossen.«

»Ihre Vermutung dürfte um so mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben, als der Ermordete in Lansing die Summe von tausend Dollar betrügerischerweise erhoben hatte.«

»Es ist kein Zweifel, sein Genosse hat den hier erschossen, um ihn zu berauben. Es ist beunruhigend, einen solchen Gesellen in der Nähe zu wissen. Schon vor Jahresfrist trieben sich einige solcher ausgestoßener Vagabunden hier herum. Schlechte Nachbarschaft. Lassen Sie uns eilen, denn der Bube könnte auch meinem Heim und meiner alten Sumach einen Besuch abgestattet haben, ich bin drei Tage von Hause abwesend.«

Nachdem sie den Leichnam mit einigen Ästen bedeckt hatten, traten sie von neuem den Marsch in der bisherigen Ordnung an, bis sie aus ein kleines Gewässer trafen, dessen Lauf sie nun stromab folgten. Nach einiger Zeit, es mochten seit dem Aufbruch wohl drei Stunden vergangen sein, erblickten sie das Shanty Johnsons, aus dessen Schornstein leichter Rauch emporwirbelte.

Die Hütte, aus rohen Balken errichtet, ruhte einsam hier im Urwald, auf einer kleinen Erhöhung, deren Fuß der Bach bespülte. Ein kleines Stück beackerter Boden, auf dem sich Mais, Korn und etwas Gemüse dem Auge darboten, zeugte von fleißiger Menschenhand.

»Hier ist meine Behausung,« sagte Johnson, »Ihr seid willkommen, Fremder. Jetzt bin ich beruhigt, da ich sehe, daß meine alte Sumach am Herde tätig ist.«

Während sie auf die so friedlich liegende Hütte zuschritten, erschien in der Tür ein altes Indianerweib und blickte nach ihnen hin.

Johnson rief ihr einige indianische Worte zu, die sie in gleicher Sprache erwiderte.

»Es ist Sumach, meine Haushälterin, Fremder. Ich habe sie vor fast drei Jahren verschmachtend im Walde gefunden, weiter oben, an der Küste, und sie mit mir genommen. Seitdem kocht sie für mich, stickt meine Schuhe und Kleider und arbeitet im Felde. Sie hat bis jetzt keine Lust gezeigt, zu ihren Landsleuten zurückzukehren.«

Die Indianerin war keineswegs eine besonders angenehme Erscheinung. Zwar trug sie ein reinliches Kalikokleid, und auch das Tuch, welches sie um den Kopf gebunden hatte, unter welchem lange Strähnen grauen Haares niederfielen, war sauber, aber das verwelkte Gesicht mit seinen tausend Falten, die entzündeten Augenränder, der fast zahnlose Mund machte die Erscheinung abschreckend, besonders beim ersten Anblick.

»Ja, eine Schönheit ist Frau Sumach nicht, Herr,« sagte Johnson zum Grafen, da er den Eindruck wahrnahm, den das Äußere der alten Indianerin auf ihn machte, »aber ich bin an sie gewöhnt, und sie sorgt für mich mit einer rührenden Treue.«

Das Maultier wurde hierauf von seiner Last befreit und auf Johnsons Rat im Gebüsch, hinter dem Hause angebunden.

»Es ist zwar selten, daß einer von den roten Burschen hier vorbeistreift, denn sie meiden die Behausung des ›Toten Mannes‹, wie ich Euch schon sagte, aber es könnte doch einer des Weges kommen und es ist nicht nötig, daß sie zu frühzeitig von Euch erfahren.«

Auf seine Einladung betraten sie die Blockhütte, welche sich geräumiger erwies, als es von außen den Anschein hatte. Nach der Rückseite zu zeigte sich ein roh gefertigter Herd, der aus Feldsteinen und Lehmerde errichtet war, mit einem Abzug für den Rauch, der, obgleich aus Holz bestehend, doch keine Feuersgefahr fürchten ließ, da er stark mit der lehmigen Erde, wie sie das Ufer des Baches bot, gefüttert war.

Rechts und links waren die Schlafstätten für die beiden Bewohner durch Felle und Streifen Baumwollenzeug abgesperrt. Einige Öffnungen in den Wänden ließen Licht herein, und wenn die Insassen durch das Wetter gezwungen waren, sie zu verschließen, gab eine Luke im Dach immer noch Helligkeit genug. Zahlreiche Felle vom Hirsch, Reh, Biber, Eichhorn lagen in einer Ecke und deuteten die Tätigkeit des Hausherrn an. An der Wand hing noch eine Büchse, und einige Küchengeschirre, mehrere kleine Fässer, Kisten und Blechgefäße vervollständigten gemeinsam mit einem Tisch und einigen Schemeln die Einrichtung dieser echten Hinterwaldwohnung. Von industrieller Tätigkeit gaben einige, aus Weiden und Bast schön geflochtene Körbchen Kunde, welche an einer der Wände hingen.

Als sie das Auge Edgars fesselten, sagte Johnson: »Die flicht meine alte Sumach, nur im Winter helfe ich ihr an den langen Abenden.«

Es war ein ganz seltsames Heim, in welches der junge Offizier eingetreten war, und er, wie die andern betrachteten es nicht ohne einiges Staunen.

Sie stellten dann ihre Büchsen ab und setzten sich.

Die alte Frau war bereits beschäftigt, in einem eisernen Kessel Wasser zum Sieden zu bringen, und bald konnten sie sich des Labsals des Hinterwäldlers, eines Bechers Kaffee, erfreuen, zu welcher Johnson seinen Gästen Maiskuchen und geräuchertes Hirschfleisch reichte. Das Mahl wurde schweigend eingenommen. Dann bot der Hausherr Tabak an, und mit Behagen rauchten die Männer ihre Pfeifen.

»Eine solche Behausung kommt Ihnen wunderlich vor, Herr – Wie heißen Sie eigentlich, Fremder?«

»Ich bin Graf Bender, Offizier in preußischen Diensten, dies ist mein Jäger Heinrich, und jenen guten Irländer habe ich am Manistee für meine Fahrt angeworben.«

»So! Nun als deutscher Offizier muß Ihnen ein solches Heim noch erstaunlicher erscheinen. Ich fühle mich wohl in dieser Einsamkeit und trage die Entbehrungen, welche sie gelegentlich bedingt, mit Gleichmut. Ich habe mich hier inmitten der Wildnis niedergelassen, ohne zu wissen, daß es auf der Reservation der Ottawas geschah, was uns ja verboten ist. Aber die Leute haben mich trotzdem bis jetzt unbehelligt gelassen. Ihr erster Häuptling, Peschewa, den ich besuchte, ist ein einsichtsvoller Mann, und ich glaube, friedlich gesinnt, gegen meine Niederlassung hier hat er jedenfalls nichts einzuwenden gehabt. Möglichenfalls habe ich das auch der Rücksicht auf die alte Frau dort zu danken.«

»Wenn der Peschewa, wie Sie sagen, friedlich gesinnt ist, wie kommt es, daß Sie doch Unruhen von seiten der Indianer befürchten?«

»Peschewa selbst ist zu klug, um Streit mit den Weißen zu suchen, er kennt unsre Macht, aber die Herrschaft dieser Indianerhäuptlinge ist eine sehr bedingte, und verhindert nicht Ausschreitungen aller Art von seiten seiner Stammesgenossen, die zu gehorchen nicht gelernt haben. Was im Werke ist, kann ich nicht erraten, daß aber unter den Indianern etwas vorgeht, ist sicher, und meine alte Sumach ist derselben Meinung. Ich habe seit Monaten nicht so viel gesprochen, als heute, Herr,« fuhr er fort, »und die Alte sieht mich ganz erstaunt über meine Redseligkeit an. Teils bin ich schweigsam von Natur und hatte auch keine Gelegenheit zum Reden, denn Sumach und ich sind bald mit unsrer Unterhaltung fertig.«

»Sie können sich mit ihr verständigen?«

»Schwer. Sie radebrecht einige englische Worte, und ich habe einige indianische Wendungen mir zu eigen gemacht, damit müssen wir uns begnügen. Aber die Alte ist erfahren, und in den meisten Fällen klug genug, zu erraten, was ich will. Mehrmals im Jahre komme ich nach Fort Jackson, wo ich meine Felle verkaufe und Sumach ihre Körbe absetzt. Gleichzeitig kaufen wir dann unsre Bedürfnisse dort ein, es ist alles dort zu erlangen, was wir im Walde nötig haben.«

»Es ist wohl ein eigenartiges Leben, welches Sie hier führen, Mister Johnson.«

»Und doch, Herr, dürften Sie es begehrenswert finden, wenn Sie die Majestät des Urwaldes kennen würden, wie ich. Ich fühle, daß der Geist des Ewigen in der Einsamkeit dieser Wälder uns näher ist, als an andern Orten, und jeder Gedanke wird hier zum Gebet an den Schöpfer aller Dinge. Fremder, Ihr kommt aus den Mittelpunkten der Zivilisation, aus dem gierigen Treiben der Städte. Ihr kennt den Wald nicht; nicht im Sturme, wenn die alten Baumriesen vor seinem Hause niederbrechen, wie Halme; nicht im leisen Säuseln des lauen Frühlingswindes, wenn nach langer Winternacht wieder Hoffnung in das Menschenherz einzieht. Des Waldes feierliche Einsamkeit hat mich diesem Leben erhalten, sie und das alte Indianerweib da.«

Graf Edgar sah ihn fragend an.

Johnson fuhr mehrmals mit der Hand über die Stirne und fuhr leise fort: »Ich habe einst großes Leid erlitten, Fremder, ein Leid, so schwer, daß es in wenigen Tagen mein dunkles Haar gebleicht hat zur Farbe des Schnees.«

»O, Gott, mein Gott, jetzt fällt mir ein, ich habe ja von dem Unglück gehört, das Euch betroffen hat. Ja, Johnson war der Name. Ihr seid vom Kalamazoo?«

Der Mann nickte, und winkte mit der Hand, andeutend damit, daß jener nicht weiter fortfahren sollte.

Nach einiger Zeit sagte er dann: »Ich rannte in die Wälder, rasender Schmerz trieb mich vorwärts, ich wußte nicht, wohin. Ich fühlte nicht Hunger, nicht Durst, nicht Körperschmerz. Wie ich jene Tage überstanden habe, ich weiß es nicht, nicht wie ich überhaupt am Leben blieb. Ich haderte mit der Menschheit, haderte selbst mit Gott, in wilder Verzweiflung.« Er hielt inne, und der Graf, der die tiefinnere Bewegung des Mannes wahrnahm, schwieg ergriffen gleichfalls, kannte er doch dessen furchtbares Schicksal.

»Dieses alte Indianerweib hat mich wieder zum Menschen gemacht. Fand sie verschmachtend und fiebernd im Walde, sie streckte flehend die mageren Hände nach mir aus, als sie mich erblickte. Ich erbarmte mich ihrer, es war ja ein Mensch in Todesnot. Ich hatte eine Aufgabe, mein Leben wieder einen Zweck in der Linderung fremder Leiden, das gab mich mir selbst zurück. Wochenlang habe ich das alte Geschöpf gepflegt. Gehen konnte sie nicht. Ich baute ihr eine Hütte von Zweigen über den Kopf, ich hüllte sie in meine wollene Decke, suchte heilende Kräuter und kochte sie in meinem Kaffeebecher, schoß Tauben und Schnepfen, um sie mit leichter Kost zu ernähren, und der Todesengel wich von ihrem Lager. Herr, dieses kranke Weib hatte mir Gott zum Troste gesendet; in der aufopfernden Tätigkeit für sie fand ich mich endlich wieder, gelinder wurde der furchtbare Schmerz, ich konnte endlich meinen und wieder zum Allmächtigen in ernster Demut beten. – Seitdem folgt mir die Alte wie ein treuer Hund, und ich habe mich mit ihr hier niedergelassen. Mein Dasein verfließt in stiller Einsamkeit, in anstrengender Tätigkeit und der tiefe Gram über verlorenes Erdenglück ist sanfter Wehmut gewichen, mit welcher ich der Vergangenheit denke.

»Ich habe auf Erden nichts mehr zu hoffen und werde ruhig harren, bis die Stunde kommt, die mich mit meinen Lieben wieder vereint.«

Ganz stille war es in der Hütte, als Johnson so sprach, leise, mit einem Tone, der zu Herzen ging. Sein starkes, schneeweißes Haar, der lange Bart verstärkten den Eindruck seiner Rede. Die alte Indianerin saß in der Ecke und nickte mit dem Kopfe in gleichmäßigem Takte. Der Irländer war ganz gerührt von Johnsons Worten, ob er gleich dessen grausames Schicksal nicht kannte, und auch Heinrich, der kein Wort Johnsons verstand, befand sich unter dem Eindruck des feierlichen Ernstes, der über dem Manne lag.

»Nun wißt Ihr alles, Fremder, und kennt Robert Johnson.«

»Ich nehme den innigsten Anteil an Eurem so traurigen Geschick, und vor allem sehe ich mit Rührung, daß es nicht im stande war, Euer Herz zu verhärten, wie aus Eurer edlen Handlungsweise gegen die Alte dort hervorgeht.«

»Kalkuliere, war ein Mensch, wenn auch nur ein roter Mensch, konnte sie nicht sterben lassen. Hat sich belohnt, war ruhiger hinterher.«

Sie rauchten schweigend.

Dann nahm Graf Edgar das Wort: »Nach dem, was ich von Ihnen gehört habe, Mister Johnson, und bei dem Vertrauen, welches Sie mir einflößen, will ich Ihnen auch nicht länger das meinige vorenthalten und Ihnen Kenntnis geben von der Absicht, die mich hierher führte.«

Er erzählte nun von dem Schicksal seiner Schwester und setzte ihm den Zweck seiner Reise auseinander.

»Das ist ein trauriges Ende für eine deutsche Lady, Fremder. Habe nie etwas davon erfahren, daß die Ottawas eine weiße Frau verborgen halten. Muß wohl so sein, wie Ihre Freunde am Muskegon sagen, die Angst bindet ihre Zungen. Hat der damals kommandierende General kurzen Prozeß mit einigen der grimmigsten Bluthunde gemacht, sie von Standgerichten verurteilen und ohne weiteres aufknüpfen lassen. Haben die größte Angst vor dem Hängen, die Indianer, bedeutet ihnen ein solcher Tod ewige Vernichtung, während sie sonst auf ein seliges Dasein in ihren glücklichen Jagdgründen hoffen. Die Angst vor Strafe macht die Indianer so schweigsam in dieser traurigen Sache. Wenn ich helfen kann, Herr, stehe ich gern zu Gebote.«

»Ich nehme jede Hilfe mit Dank an. Wenn ich nur erst über meine nächsten Maßnahmen im klaren wäre.«

»Wir wollen ruhig warten, bis der Indianer kommt, vielleicht bringt er uns Nachrichten.«

»Wieviel Zeit brauchen wir, um nach Fort Jackson zu gelangen?«

»Es sind zwei Tagemärsche bis dorthin.«

»Kennen Sie den gegenwärtig dort kommandierenden Offizier?«

»Kapitän Davis? Flüchtig. Mir scheint er ein lebenslustiger Herr, der sich hier an der Grenze sehr unbehaglich fühlt. Er hat mir auch schleunigst einen Namen gegeben, und mich den ›Geist des Urwalds‹ getauft.«

»Es ist zweifelhaft, ob wir ihn noch antreffen,« und Edgar unterrichtete Johnson von dem bevorstehenden Garnisonwechsel.

»Das ist freilich eine ungewöhnliche Maßnahme.«

Ein leichter Schritt ließ sich draußen hören, geräuschlos ging die Tür auf und Athorees braunes Gesicht erschien in der Oeffnung. Rasch trat er ein, warf einen Blick umher und blieb dann wie gebannt stehen.

Die Augen aller waren auf ihn gerichtet.

»Nun, Athoree?«

Der Indianer antwortete nicht, er stand, den Kopf vorgebeugt, bewegungslos, doch zeigte ein merkliches Zittern der ganzen Gestalt, daß eine hohe Aufregung den starken Mann ergriffen haben mußte. Die weit aufgerissenen, dunklen Augen waren mit einem Ausdruck auf die alte Indianerin gerichtet, wie man ihn niemals bisher an ihm wahrgenommen hatte. Ein leiser Ausruf, der fast wie ein Stöhnen klang, entrang sich der Tiefe seiner Brust.

Sumach saß in der Ecke auf ihrem Schemel und starrte aus den entzündeten Augen Athoree an, dann hob sie die magere Hand empor, und jede Falte in ihrem runzeligen Gesicht schien Leben zu bekommen, und leise sagte sie, in bebendem Tone: »Athoree.«

Mit einem Sprung war der Indianer bei ihr, und sein heller Jubelruf, der weithin hallte, strafte allen indianischen Stoizismus Lügen.

»Mutter!«

Er faßte ihre mageren Hände und drückte sie an die Brust. Dann streichelte er ihr die runzeligen Wangen, fuhr mit der Hand sanft über ihren grauen Scheitel, und schaute die Alte mit einem Blicke an, aus dem eine Liebe und Sanftmut strahlte, wie man sie nimmer in diesem Antlitz gesucht haben würde.

Erstaunt und schweigend sahen alle diesem überraschenden Vorgange zu.

»Es ist seine Mutter,« flüsterte Johnson. »Seltsam.«

Die alte Frau bebte vor innerer Bewegung heftig, und mehrmals wollte sie sprechen, aber sie konnte es nicht. Rührung erstickte ihre Stimme.

Mit sanftem Tone sprach Athoree zärtliche Worte zu ihr.

Die Alte verhüllte das Antlitz in ihren Händen, und große Tränen rollten zwischen den braunen Fingern hernieder.

Ruhig und ehrerbietig wartete Athoree, bis die Tränen der Mutter versiegten. Sie ließ endlich die Hände sinken, blickte den vor ihr stehenden, sonst so ernsten, fast finsteren Mann an und sagte (Johnson übersetzte es später den übrigen) in der Sprache der Wyandots: »Manitou hat Sumach lieb, er sendet ihr den Sohn.«

Johnson winkte den übrigen, die Hütte zu verlassen, um die beiden tief bewegten Menschen bei Austausch ihrer Gefühle nicht zu stören, und alle folgten ihm geräuschlos durch eine in der Hinterwand angebrachte Türe in den Wald, der sich hier bis dicht an die Hütte heranzog.

»Da spricht man nun diesen roten Menschen das Herz ab,« sagte Johnson draußen, »ich kann mir keinen ergreifenderen Gefühlsausbruch denken, als ihn hier der stoische Indianer wahrnehmen ließ.«

»Ich bin überrascht und bewegt von diesem Wiedersehen,« ließ Graf Edgar sich vernehmen, »ich muß gestehen, auch ich hätte nach dem, was ich bisher von Athoree gesehen habe, eine solche tiefe Herzensregung nicht erwartet.«

»Es ist ein wildes Geschlecht, das der roten Leute, eine erbarmungslose Rasse, wenn ihre Leidenschaften erregt sind, aber sie hassen und lieben, wie mir Menschen alle. Also ein Wyandot ist Ihr Indianer, diesem Stamme gehört Sumach an. Das ist gut. Die Wyandots sind ein ganz andrer Menschenschlag, als diese Chippewayvölker, und ich bin nun über ihn beruhigt. Der verrät Sie nicht an die Ottawas. Anfänglich betrachtete ich ihn mit Mißtrauen, denn unter den roten Leuten gibt es gefährliche Umhertreiber, wie unter den Weißen, hier an der Grenze.«

Aus der Hütte tönten die gedämpften Stimmen der Indianer zu ihnen herüber, bald Athorees, bald der Alten.

Sie harrten geduldig.

Dann kam der Indianer sehr eilig heraus, wühlte eifrig in dem Gepäck, welches das Maultier trug, es war hinter dem Hause abgelegt, holte ein scharlachrotes Tuch und ein paar silberne Ohrgehänge hervor, welche zu den für die Ottawas bestimmten Gaben gehörten, zeigte sie dem Grafen und sagte: »Gib dies, Athoree alter Mutter schenken, dir wieder geben.«

Lächelnd nickte der Graf.

Athoree eilte wieder in die Hütte und führte bald die Alte heraus, welche er mit dem Tuche und den Ohrgehängen geschmückt hatte.

Schöner war Frau Sumach freilich nicht dadurch geworden, aber aus jedem Zuge ihres faltigen Gesichtes strahlte Wonne, und der Indianer blickte mit Stolz auf die Mutter, in ihrem kostbaren Schmuck.

»Athorees Mutter, Gutherz,« sagte er, »lange nicht gesehen. Glauben tot. Großer Geist lassen wieder finden. Er gut.«

»Ich freue mich herzlich deines so seltenen Glückes, Athoree, und wenn du deine Mutter erfreuen willst, so nimm nur, es ist ja genug von dem Zeug da.«

»Ganz genug, alte Frau sich freuen, ganz genug.« Dann ging er auf Johnson zu und sagte: »Du guter Mann gegen alte Mutter, sie mir sagen. Athoree nur ein Leben, es dir gerne geben, wenn du haben willst.«

»Du bist ein guter Sohn, Wyandot, das sehe ich und das freut mich. Deine Mutter hat mir das, was ich für sie getan habe, langst vergolten.«

Michael, der ein weichherziger Bursche war, hatte sich, als ihm das Verhältnis der beiden Indianer klar wurde, verstohlen eine Träne abgewischt, der groteske Aufputz der Alten aber jegliche Rührung verscheucht, so daß er große Lust hatte, in Heiterkeit auszubrechen, wie auch die andern ein Lächeln nicht unterdrücken konnten, als die geschmückte Sumach erschien, aber er bezwang es weislich. Doch murmelte er in den Bart: »Ein guter Kerl mag der Athoree sein, aber Geschmack hat er nicht.« Nachdem wieder ruhige Sammlung in die Gemüter zurückgekehrt war, wandte sich der Graf mit der Frage an den Indianer: »Was hat Athoree Neues gesehen?«

»Nicht viel sehen, nicht weit genug gehen. Viel Ottawa im Walde, sehen Spuren, gehen hin, gehen her, nicht wissen, was Ottawa denken. Besser gehen Fort, dann immer noch zu Peschewa gehen.«

»Nun, wenn das auch deine Ansicht ist, so nehmen wir unsern Weg zunächst zum Fort.«

Man teilte ihm noch den Leichenfund mit. Der Indianer horchte auf, ließ sich die Stelle beschreiben, die kaum drei Meilen entfernt und durch die hinterlassene Spur leicht zu finden war, sagte: »Athoree gehen und sehen,« und entfernte sich augenblicklich. Die andern gingen in die Hütte zurück, wo die vor Glück und Stolz strahlende Sumach ihre Reize wiederholt in einem kleinen Stück Spiegelglas bewunderte. Der Graf erklärte Heinrich den inneren Zusammenhang der Vorgänge, deren schweigender Zeuge er gewesen war.

»Es ist wunderbar genug, dieses Wiederfinden. Auch ich hatte dem finstern braunen Burschen so viel Herzlichkeit nicht zugetraut. Das alte Weib ist aber doch entsetzlich häßlich, Herr Graf.«

»Ja, die Indianerinnen verblühen rasch, Heinrich, es mag wohl das harte Leben, welches diese Frauen führen, Ursache sein, denn der Indianer arbeitet unter keinen Umständen. Alles müssen die Frauen tun. Der Mann kennt nur Jagd und Krieg.«

»Das müßten wir bei uns auch einführen, Herr Graf.«

»Da würden wir bald zu seltsamen Zuständen kommen. Nein, ohne Ackerbau kein Staatengebilde, keine Zivilisation. Die Indianer gehen elend zu Grunde, wenn sie sich nicht entschließen, den Pflug in die Hand zu nehmen.«

Nach einer Stunde kam Athoree zurück.

»Nun?« fragte der Graf.

»Toten Mann sehen, ihn kennen. War am Muskegon, ihn jagen in Big Prairie.«

»Ja, es war einer von den Schurken, die wir verfolgt haben, ich erkannte ihn auch. Aber was denkst du über die Ursache des Todes?«

»Andrer Schurke ihn von hinten schießen, stehlen dann, Taschen leer.«

»Hast du mit deinem untrüglichen Scharfsinn ermitteln können, welcher es gewesen sein mag?«

»Nicht mehr Spur sehen, nicht wissen.«

»In Lansing war, wie ich vermute, der Iltis genannte Mann bei ihm.«

»Dann Iltis ihn erschlagen. Werden rote Hand und Tyron auch hier sein, laufen vor Sheriff fort in dicken Wald.«

»Meinst du? Das wäre eine recht unerfreuliche Nachbarschaft.«

»Erst nach Fort gehen, dann rote Hand suchen! Athoree ihn finden; hier nicht Prairie, hier nicht Feuer, er nicht entwischen.«

»Wann meinst du denn, daß mir nach dem Fort aufbrechen sollen?«

»Gleich gehen, morgen dort, wenn Sonne untergeht.«

»Nun wohlan, so wollen wir uns zur Reise rüsten.« Er überlegte einen Augenblick, ob er Johnson mitteilen solle, daß sich nach des Indianers Vermutung Morris, der Mörder seines Weibes und seiner Kinder, hier in den Wäldern herumtreibe, doch war es fürs erste nur Vermutung und dann fürchtete er die heftige Gemütsbewegung, die diese Nachricht bei Johnson hervorrufen würde, der über die Person des Mörders ununterrichtet zu sein schien, da er dessen mit keiner Silbe erwähnt hatte. Er behielt sich vor, ihm gelegentlich Mitteilung zu machen. Jetzt sagte er nur: »Der Indianer meint, wie es auch, nach der Person des Ermordeten zu schließen, wahrscheinlich ist, daß sich dessen Gefährten, drei äußerst gefährliche Banditen, in diesen Wäldern verbergen. Es dürfte Euch dies vorsichtig machen, Johnson.«

»Ich fürchte sie nicht,« sagte dieser ruhig, »ich führe eine sichere Büchse und bin in den Künsten des Waldkrieges geübter als diese Gesellen. Nebenher erfreue ich mich einer Körperkraft, die es mit allen dreien aufnimmt. Doch ehe ich mich nach dem Burschen umschaue, will ich Euch zum Fort führen.«

»O, das ist sehr freundlich von Euch, doch dann bleibt Euer Heim unbeschützt.«

»Es ist fraglich, ob sie es entdecken und dann, was wollen sie hier? Sumach werden sie nichts zu leide tun.«

»Sumach nicht allein hier bleiben, wenn Rothand im Walde, er Mörder,« sagte der Indianer mit Bestimmtheit.

Er wechselte rasch einige indianische Worte mit seiner Mutter und fügte weiter hinzu: »Sumach stark, sie mitgehen, verkaufen Körbe im Fort.«

»Es ist mir recht, wenn die Alte mitgehen will, mir können dann auch gleich unsre Einkäufe machen. Ich kann Euch nicht allein ziehen lassen, denn wenn der Indianer Euch ja auch schließlich hinbringen wird, so kennt er doch den Weg nicht, und das würde Eure Ankunft dort verzögern.«

Der Graf gab Befehl, das Maultier zu beladen. Die alte Frau schickte sich zur Reise in den Wald an, indem sie ihr Kalikokleid mit einem Rocke von weichem gegerbtem Hirschfell vertauschte und die nackten Füße in schöne Mokassins steckte. Einige Provisionen Maiskuchen und Fleisch wurden den Jagdtaschen einverleibt, und schon wollte man aufbrechen, als der Indianer zu Johnson sagte: »Warum du Büchse hier lassen?« – er deutete auf die an der Wand hängende Waffe – »Felle hier lassen? He? Ihm verstecken, Pulver verstecken – alles verstecken. Diebe im Walde.«

»Meinst du? hm. Wenn meine Türe geschlossen ist, soll es wohl schwer werden, ohne Anwendung der Axt hier hereinzukommen, und der hintere Eingang ist nicht leicht zu finden.«

»Du ihm nicht kennen. Er Spitzbube. Wenn nicht hereinkommen und stehlen, er zünden Wigwam an.«

»Nun, so mag es geschehen, ich habe einen Versteck stets in der Nähe.«

Mit großer Vorsicht trugen er, Athoree und die Alte die Waffe, den Pulver- und Kugelvorrat, die Felle, welche einen ziemlichen Wert repräsentierten, in den Wald zu einer hohlen Eiche, wo alles mit indianischer Kunst und Schlauheit versteckt wurde.

»Ihm nicht finden,« lachte Sumach, »Athoree klug.« Der Indianer verwischte so gut wie möglich die Spuren, welche nach dem Baum zu führten, und dann traten sie ihren Marsch an. Das Bärenfell war in der Hütte zurückgeblieben, dem Maultier aber hatte man Sumachs Körbe aufgeladen.

Johnson ging voran und hieß deren Zug in durch Vorsicht gebotener Weise in den seichten Bach treten, den sie erst nach einer Stunde mit sorgfältiger Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln, um ihre Fährte zu verdecken, an einer steinigen Stelle verließen.

Ihr Wirt kannte den Weg genau und führte sie sicher, während vor- und seitwärts des Zuges der Indianer fortwährend umherspähte. Von Zeit zu Zeit kam er aber zurück und wechselte einige Worte mit seiner Mutter.

Einmal machten sie während des Marsches, auf welchem ihnen nichts Ungewöhnliches auffiel, Halt, um zu rasten, und setzten dann schweigend ihren Weg bis zur hereinbrechenden Dunkelheit fort. In einem Tannendickicht bezogen sie das Lager. Feuer wurde nicht angezündet, doch war die Luft milde und der Aufenthalt im Freien angenehm.

Ermüdet von den Anstrengungen des Tages hüllten sich die Männer in ihre wollenen Decken und streckten sich am Boden aus.

Für seine Mutter hatte der Indianer sorgfältig eine Ruhestätte ausgesucht.

Bald verkündeten die gleichmäßigen tiefen Atemzüge, daß der Schlaf sich auf die Augen niedergesenkt hatte.

Im lauen Abendwinde rauschten leise die Zweige über ihren Häuptern und flüsterten sich die Geheimnisse des Urwaldes zu, der die Schlafenden in seinen Schatten einhüllte.

Tiefes Schweigen herrschte rings umher, nur selten unterbrochen durch das ferne Geheul eines streifenden Wolfes.

Still und feierlich senkte sich dunkle Nacht auf die endlosen Wälder hernieder.


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