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Kapitel XXIV.
Ueberfahrt nach Europa.

An Bord der »Frankfurt«. Samstag, den 13. Oktober.

Den ersten Tag unserer Oceandurchquerung kam weder Schiff, noch Land in Sicht, obwohl wir noch unfern der Küste steuerten. Zu Mittag überstieg das Thermometer 27° C. Es zeigten sich die ersten Flugfische, von denen an der brasilianischen Küste, ausser dem Gemeinen Flughahn (Dactylopterus volitans L.) und dem Prionotus punctataus Cuv. & Val., mindestens drei Arten Hochflugfische (Exocoetus) Zwei für diese Regionen speziell verzeichnete Arten sind schon S. 5, Anmerkung 1, erwähnt worden. Die dritte der hier gemeinten Species ist der überall im Atlantischen Ocean vorkommende E. evolans L. beobachtet worden sind.

Eine prachtvolle Mondnacht leitete uns in den folgenden, den gestrigen Tag, hinüber. An diesem hatte es früh 9 Uhr 26,5° C. und Mittags 27,25° C. Wie all die vorhergehenden Tage, seit wir uns eingeschifft, kämpfte unser Dampfer mit Gegenwind und Gegenströmung. Wir befanden uns noch in dem nach Südwest gerichteten Brasilienstrom, einer Fortsetzung der Südostpassattrift. Zu Mittag waren wir unter 9° 6' s. Br. und 34° 42' westl. Länge und hatten in den letzten 24 Stunden nur 204 Knoten zurückgelegt. Unsere »Frankfurt« ist schon lange nicht mehr gedockt worden und dies verspricht eine langsame Fahrt.

Eine Schwalbe setzte sich flüchtig an Bord. Einer meiner schönen bunten Papageien (Pyrrhura leucotis Licht.), der Tags vorher ausgekommen und von der Mars wieder herabgeholt worden war, verendete unerwartet.

Heute, den dritten Tag unserer Seefahrt seit Bahia, ging die zweite Pyrrhura zu Grunde und ihr folgte eine der Zinnoberrothen Tangaras. Das Sterben unter der gefiederten Welt hat bedenkliche Dimensionen angenommen und unsere Vorsicht in Bahia, keine allzu theueren Vögel zu erwerben, gerechtfertigt. Diese entzückenden, farbenprächtigsten Bewohner der brasilianischen Tropen vermögen wohl das Verlassen der Heimath nicht zu ertragen, eine Vermuthung, in welcher wir dadurch bestärkt werden, dass man dieselben niemals auf europäischen Vogelmärkten antrifft. Die Temperatur erreichte heute Mittags nur 26° C, nachdem sie früh 8 Uhr 25,75° C. betragen hatte. Wir fuhren heute unter dem Parallelkreise der Sonne hindurch und nun werden unsere Schatten wieder nach Norden fallen, nachdem wir sie fast vier Monate lang südlich von uns beobachtet haben. Abends passirte auf drei Seemeilen Backbord ein Dampfer mit Kurs nach Süden. Nachts zwischen 11 und 12 Uhr erreichten wir die Höhe von Fernando de Noronha, welches sich, in Mondlicht gebadet, pyramidenförmig gegen den Horizont abzeichnete.

Es ist diese Insel die grösste aus einer acht englische Meilen langen Kette kleiner Inseln. Sie liegt, unter 3° 50' südl. Breite und 32° 25' westl. Länge, ungefähr 200 englische Meilen von der beim Cap de São Roque befindlichen Ponta de Petitinga, dem nächsten Punkte der brasilianischen Küste, entfernt. Ihre Länge beträgt fünf, ihre grösste Breite zwei englische Meilen. Sie erhebt sich zu einem etwa 230 m hohen Phonolithpik, welcher bezeichnender Weise den Namen Pyramide trägt. Ausser aus Phonolith besteht die Insel auch aus anderem Durchbruchsgestein, ausserdem aus wahrscheinlich pliocänem Sandstein und aus Korallenkalk. Die Flora von Fernando de Noronha entspricht im Grossen und Ganzen derjenigen von Guyana und Nordostbrasilien, ist aber in Folge des sehr trockenen Klimas keineswegs von tropischer Ueppigkeit. Auch die Thierwelt, welche eine Mischung nordbrasilianischer und kosmopolitischer Formen zeigt, ist eher arm zu nennen und nur reich an Seevögeln und einstmals eingeschleppten Ratten (Mus rattus L.). Da die Insel Brasilien als Deportationsplatz für seine Verbrecher dient und folglich keine Schiffe dort anlegen dürfen, entfiel für unsere »Frankfurt« von vornherein jedwede Ursache, daselbst anzulaufen. Und so verschwand auch bald dieses letzte Stück brasilianischer Erde aus unserem Gesichtskreis.

An Bord. Donnerstag, den 18. Oktober.

Seit fünf Tagen haben wir kein Land gesehen. Inzwischen ist auch meine zweite Zinnoberrothe Tangara (Pyranga saira Spix) zu Grunde gegangen, und täglich fliegen Leichen von Amazonenpapageien (Chrysotis aestiva L.) über Bord. Letztere Vögel waren vor Verlassen des amerikanischen Bodens von Rückwanderern und Schiffsmannschaft gekauft worden, sei es, um ein Andenken vom fernen Westen in die Heimath mitzunehmen, sei es, um sie drüben im alten Europa mit Gewinn wieder loszuschlagen. Wir sind gespannt, zu sehen, wie viele der armen, ihren herrlichen Wäldern entrissenen Thiere überhaupt noch die jenseitige Küste des Atlantik erreichen werden.

Uns die Zeit zu vertreiben, mustern wir täglich mehrmals unsere eigene kleine Menagerie und was sich sonst noch an exotischen Thieren an Bord befindet. Zwei Riesentukane (Rhamphastos toco Mull.), Repräsentanten einer charakteristisch neotropischen Familie, wissen uns kein besonderes Interesse abzugewinnen; es sind stumpfe, langweilige Vögel. Um so abwechslungsreicher geberden sich die verschiedenen Amazonenpapageien. Sie wiederholen allerhand portugiesische Worte und kreischen dieselben um die Wette hinaus; einer von ihnen aber ahmt tauschend das Lachen der Negerweiber nach, welches er wohl auf dem von Negerinnen besetzten Bahienser Markte erlernt hat. Die Säugethiere beschränken sich auf etliche junge Seidenäffchen (Mapale jacchus L.), welche sorgfältigst vor rauher Luft gehütet werden, auf meinen munteren Mocó (Cavia rupestris Wied), der sich in Riesensprüngen an Bord herum tummelt, und auf zwei Rüsselbären, einem Coatí do bando und einem noch unerwachsenen Coatí ruivo (Nasua socíalis Wied var. rufa Pelzeln). Da die Rüsselbären viel mit ihren Tatzen greifen und halten, erinnern sie mitunter an Affen; auch ist ihr sonstiges Gebahren oft affenmässig. So hat sich mein altes Thier einmal von seinen Fesseln befreit, eine Kajüte besucht, dort Alles darunter und darüber gebracht und mit den in Tinte getauchten Krallen seine Anwesenheit auf frischer Wäsche beurkundet. Die zwei Coatí's harmoniren nicht mit einander. Der junge möchte wohl öfters mit dem alten spielen, doch jeder solche Versuch wird von letzterem schnöde zurückgewiesen; und während wir bei Tisch sitzen, hören wir fast täglich das Zischen und Pfauchen, welches solche Nasenbärschlachten begleitet. –

Wir haben uns in diesen letzten Tagen auch über die Einrichtungen unseres Dampfers orientirt und sind in den verschiedenen Räumen herumgestiegen. Das Schiff hat vier Stockwerke und zerfällt ausserdem in Vorschiff, Mittsschiff und Achterschiff, Letztere drei sind durch wasserdichte Querschotten voneinander getrennt, um die Schwimmfähigkeit des Dampfers, bei allenfallsigem Leckwerden zu erhöhen. Im Zwischendeck sind die Auswanderer, bezw. Rückwanderer untergebracht. Sie schlafen auf Pritschen, immer vier nebeneinander und acht auf einem Gestell. Weitere acht liegen darüber. Männer, Weiber und Kinder sind zusammen auf einen einzigen Raum beschränkt, ein Missstand, welchen man in den neueren Auswandererschiffen zu vermeiden sucht. Unter dem Zwischendeck befinden sich die Provianträume mit den Conserven, dem Bier-, Wein- und Eiskeller. Im Raum Raum = der tiefste Ladungsraum eines Schiffes. des Vorschiffes ist weiterer Proviant aufgestapelt, von dem ich nur Säcke mit Erbsen und Kartoffeln erwähnen will. Das Vorschiff enthält ferner die Schlafstellen für die Matrosen. Sowohl im Vor-, als im Mitts- und Achterschiff sind die Waaren gestaut, Piassavawurzeln zur Besenfabrikation, Holzschwellen, über 1000 Pack Tabak, 10 000 Säcke Kaffee, Schafwollballen und 7000 Stück Rindshäute. –

Schaaren von Flugfischen, welche über die Wellenkämme flatterten, fesselten mitunter unsere Aufmerksamkeit. Einen Tag zeigte sich eine ganze Wolke von Möven; fern dem Schiff spielte ein Trupp Delphiniden und wühlte das Wasser zu Streifen Schaumes auf.

Täglich legten wir zwischen 233 und 254 Seemeilen zurück. Den 15., Nachts 2 Uhr, wurde die Linie passirt. Die ersten zwei Tage, nachdem wir an Fernando de Noronha vorübergefahren waren, zeigte das Thermometer früh zwischen 8 und 9 Uhr an 26° C. und stieg gegen Mittag nur mehr um Weniges. Die folgenden Tage war die Temperatur des Morgens höher und heute endlich hatten wir von 8 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends 29° C, welche nur um Mittag eine Steigerung von einem Viertel Grad erfuhren. Wir befanden uns die letzten Tage hindurch in der Kalmenzone und hatten demgemäss Windstille, theilweise Bewölkung und heftige Regenniederschläge. Nun sind wir in die Regionen des Nordostpassates eingetreten. Heute Mittag wurde die geographische Lage zu 13° 1' nördl. Br. und 25° 31' westl. L. bestimmt.

Die ersten drei Tage seit wir Fernando de Noronha hinter uns gelassen, kam kein Schiff in Sicht. In ewigem Einerlei breitete sich der Himmel über und das Wasser unter uns. Gestern endlich belebten sich die uferlos gedehnten Meeresfluthen. Bis zu Mittag passirten Steuerbord ein englischer Dampfer und eine Lübecker Bark, Backbord ein Schooner und eine aus der Nähe von Bremen stammende Bark. Da auf der Brücke ein Buch aufliegt mit dem Verzeichniss sämmtlicher deutscher Schiffe und der vier lateinischen Buchstaben, welche jedes Schiff führt, die gestern vorbeisteuernden Barks aber auf vier Wimpeln ihre Buchstaben signalisirten, konnte der Wachoffizier die Namen der beiden Schiffe nachschlagen und feststellen. Unsere »Frankfurt« hisste, als Dampfer, die Flagge zum Gruss nur einmal, die Segelschiffe hissten die ihre dreimal. Nachmittags passirten weitere zwei Barks Backbord, und Abends segelte bei Mondschein ein Vollschiff Steuerbord ganz nah vorbei, in der verschwommenen Beleuchtung scheinbar zu riesigen Dimensionen anwachsend. Auch heute früh wurde ein Segelschiff Steuerbord sichtbar.

An Bord. Montag, den 22. Oktober.

Freitag, Nachts 1 Uhr, erreichten wir die Höhe der südlichsten der Kap Verdischen Inseln, der Insel Brava, welche schon seit drei Stunden in Sicht gewesen. Dieses ziemlich steil ansteigende, tafelbergförmige Eiland, welches von Negern bewohnt wird, ist geradezu unschön. Es blieb wenige Seemeilen von uns Steuerbord liegen. Unser Dampfer nahm den Kurs zwischen der westlichen und östlichen Gruppe der aus 14 Inseln bestellenden Gesammtgruppe dieser Eilande hindurch, welche den Portugiesen seit dem Jahre 1456 gehören und zur Deportation benutzt werden. Oestlich von dem unbedeutenden Brava zeigte sich nun die Insel Fogo mit ihrem 2750 m hohen Pik, einem noch thätigen Vulkan. Derselbe ragte, vornehm ansteigend, als majestätische Pyramide in den Nachthimmel empor. Magisch lag das Mondlicht auf den Berginseln und blitzte in silbrigem Strom auf dem windgepeitschten Meere. Unser Dampfer stampfte durch die Wellen emsig vorwärts.

Um 5 Uhr früh weckte uns das Alles überschwemmende Waschen des Oberdeckes unbarmherzig aus unseren nächtlichen Naturbetrachtungen und jagte uns in die heisse Kajüte. Vormittags wurde Steuerbord in schwachen Umrissen noch die Insel Boa Vista sichtbar, Backbord São Nicolão, welches erst Nachmittags wieder unseren Blicken entschwand. Letztgenannte der Kap Verdischen Inseln, rollte ihre langgestreckten, gelblichgrünen Hänge viele Stunden hindurch auf, sich zu verschiedenen vulkanischen Gipfeln und bis zu einer Höhe von über 1200 m erhebend.

Am Abend dieses Tages fiel ein Hochflugfisch (Exocoetus evolans L.) auf Deck und wanderte für unsere Sammlung in ein weingeistgefülltes Glas.

Diesen ganzen Tag kam nur eine Bark in Sicht und an den folgenden Tagen kein einziges Schiff. Wir waren wieder allein zwischen Himmel und Wasser. Kein Land grüsste aus der Ferne zu uns herüber, kein Segel glänzte am fernen Horizont. In bedrückender Eintönigkeit wölbte sich das Firmament zu unseren Häupten, wogte das unbegrenzte Meer zu unseren Füssen.

Die Temperatur ist nun auch in langsamer Abnahme begriffen. Während wir im Bereich der Kap Verdischen Inseln Früh und Mittags noch 27,25° C. bezw. 28,25° C. hatten, zeigte das Thermometer die letzten zwei Tage Früh zwischen 7 und 8 Uhr 25° C. und 23° C. und zu Mittag kaum über 26° C. Schlingern und Stampfen des Schiffes waren abwechselnd an der Tagesordnung. Einzig die herrlichen Mondnächte entschädigten für die Langeweile der Tage.

Gestern Abend passirten wir den Wendekreis des Krebses und verliessen somit die Tropenzone; deren unbeschreibliche Reize wir mehr als vier Monate hindurch genossen hatten.

Die Fahrt unseres Dampfers verlangsamte sich zusehends. Von 254 Knoten in 24 Stunden, die wir einmal erreicht, war schon lange keine Rede mehr. Die Zahl der zurückgelegten Seemeilen betrug per Tag 218, 204 und 214, heute gar nur 198. Wir sind schon 18 Tage eingeschifft und noch ist nicht abzusehen, wann wir Europa erreichen werden.

An Bord. Dienstag, den 23. Oktober.

Der heutige Tag sollte uns wenigstens den Genuss bringen, nach 11 Tagen wieder einmal den Fuss an das Land setzen zu können. Zum Kohlenfassen musste unser Dampfer irgend einen Hafen anlaufen und der Kapitän wählte als solchen Las Palmas auf Gran Canaria. Letztgenannte Insel, die drittgrößte der dreizehn Inseln, welche die Gruppe der Islas Canarias bilden, hat einen Flächeninhalt von 1376 qkm und eine Bevölkerung von 90 000 Seelen.

Schon Morgens 8 Uhr konnte man die dunstverschleierten Umrisse Gran Canarias unterscheiden. Nach und nach entrangen sich die vegetationslosen Bergrücken dem leichten Morgennebel immer deutlicher, und bald lag die ganze Insel in greller Sonnenbeleuchtung vor unseren erwartungsvollen Blicken. Es waren keine unter Tropenvegetation begrabene Hänge, die uns da entgegengrüssten, keine grünen Berglehnen, wie wir sie von Brasilien her gewöhnt waren. Nein, dürr und sonnenverbrannt verbrannt wie die südlicheren Küsten des Mittelmeeres, starrten uns diese Höhen an, aber auch mit der gelben und rothen Farbengluth, welche nur den pflanzenentkleideten Landschaften eigen ist. Der afrikanische Charakter der Insel prägte sich deutlich aus; die Kanarischen Inseln sind auch diejenige Inselgruppe des Atlantik, welche dem afrikanischen Kontinente am nächsten liegt. Während wir noch in den ersten Anblick Gran Canarias versunken waren, arbeitete sich fern im Westen der Pico de Teyde aus der Nebelhülle heraus. Anfangs, da sein Fuss noch in der auf dem Meere lagernden Dunstschicht verborgen war, schien der Pico de Teyde wie eine schneeige Fatamorgana hoch oben in den Lüften zu schweben, wie eine wunderbare Vision sich vom blauen Firmamente abzuheben. Später wurde die ganze Insel Teneriffa sichtbar. Und nun sah man, dass der 3715 m hohe vulkanische Berg sanft und doch majestätisch aus den blauen Fluthen ansteigt, von Südwesten herauf steiler, von Nordosten in etwas geschwungener Linie. Die oberste Pyramide, welche im Winter eine Schneedecke trägt, hatte auch jetzt, auf der nordöstlichen Seite, ihren Schneemantel umgehängt.

Teneriffa. Nach Natur skizzirt von der Verfasserin, ausgeführt von E. Berninger.

Bis Mittag waren die edlen Formen Teneriffas hinter den Gebirgen Gran Canarias verschwunden, und einige Stunden später rasselte Angesichts von Las Palmas die Ankerkette in die Tiefe.

Las Palmas, die Hauptstadt der Insel Gran Canaria, zählt 18 000 Einwohner und hat durch ihre schneeweissen Häuser und flachen Dächer einen orientalischen Anstrich. Malerisch ziehen sich die Strassen vom Strand die Höhe hinauf. Eine Menge schlanker Palmen und anderer hübsch gruppirter Pflanzen erhebt sich zwischen den blendend hellen Gebäuden.

Kaum hatte unser Dampfer Anker geworfen, so wimmelte es schon auf Deck von Verkäufern. Da wurden namentlich Thiere feilgeboten, ein grauer Affe der alten Welt, eine Unzahl der hier heimischen Kanarienvögel (Serinus canaria L.) und einer der in Westafrika sehr gemeinen Rothschwänzigen Graupapageien (Psittacus erithacus L.). Es war eine kleine Musterkarte afrikanischer Thierwelt.

Ein Boot brachte uns an das Land, ein Wagen in die Stadt. Die gewöhnlichen hiesigen Gefährte sind zweirädrig, nach allen Seiten offen und mit einem Dach versehen, welches auf vier Eisenstangen ruht. Die Stadt ist unleugbar spanischen Charakters, wie die Städte Brasiliens den portugiesischen Einfluss nicht verleugnen können. Es fehlen in Las Palmas weder die berühmten Rejas, noch Einzelheiten maurisch-gothischer Architektur, auch fehlt nicht in der Kathedrale der Chor im Centrum der Kirche. Die Männer tragen sich in annähernd spanischer Tracht; die Frauen werfen, an Stelle der malerischen Spitzentoca, schwarze oder weisse Wolltücher über den Kopf.

Doch nicht speziell die Stadt wollten wir besuchen, und zum Studium der daselbst befindlichen Guanchischen Alterthümer reichte die Zeit nicht aus. Uns drängte es hinaus in die afrikanische Bergwelt, Tafira zu. In erster Linie interessirten uns die unmittelbar hinter der Stadt beginnenden, zur Cochenillezucht angelegten Cacteenpflanzungen, welche mit Mais- und Bananenfeldern wechselten. Diese Pflanzungen bedecken ziemlich grosse, rechteckige Flächen. Die auf letzteren gezogenen, Nopal genannten Opuntienarten werden ganz niedrig gehalten. Aus der Ferne erscheinen die Stengelglieder der Cacteen wie überzogen von einer weisslichen, wolligen Masse. In der Nähe besehen erkennt man in diesem Ueberzug die weissbereiften Echten Cochenilleläuse (Coccus cacti L.) und ihre weissen Ausschwitzungen, mit welchen sie die Pflanzen wie mit Schimmel überdecken. Diese farbliefernden Läuse, lauter ungeflügelte Weibchen, sind hübsche, eiförmige Thiere; sie haben auf ihrer weichen Oberfläche vertiefte Punkte, von welchen strahlige Furchen sternartig ausgehen. Mit der Hand zerdrückt, lösen sich diese Cocciden in einen dunkelrothen Brei auf. Sie werden mittelst Messers und Händen von den Opuntien abgestreift und in Gefässe gesammelt, hierauf getrocknet, in Säcke verpackt und so in den Handel gebracht. Vor 25 Jahren bezahlte man auf Gran Canaria das Kilo, d. h. circa 140 000 Thierchen, zu 8-9 Franken. Fritsch: Reisebilder von den Canarischen Inseln S. 26 (Petermann's Geographische Mittheilungen, Ergänzungsband V.) Wie der Preis jetzt steht, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Vor Regen müssen diese Schildläuse zugedeckt werden, da sie derselbe leicht hinwegspült und vernichtet. Eine neue Cochenillezucht anzulegen, genügt es, in einer frischen Opuntienpflanzung ein Mutterthier auf ein Stengelglied zu setzen, worauf sich dann in kurzer Zeit junge Thiere entwickeln, ausbilden und weiter vermehren.

Aus diesen Plantagen führte die Strasse tiefer zwischen die Berge hinein. Kahle, schluchtenzerrissene Höhen stiegen steil empor, gelb und steinig dehnte sich das Bergland. Nur in den Thälern war es grün und entwickelte sich eine üppige Vegetation. Dattelpalmen (Phoenix dactilifera L.) wiegten dort ihre stolzen Kronen über die Terrassendächer blendendweisser Landhäuser, und Kiefern mit dünnen, bis zu 27 cm langen Nadeln, die für diese Gegenden charakteristischen Pinus canariensis Chr. Smith, erhoben sich am Wege, staubüberflogen. In grossen Kurven stieg die Strasse bergan. Endlich war die Höhe erklommen und eröffnete sich uns der Ausblick über eine echt nordafrikanische Landschaft. Dürre, von wasserlosen Rinnen durchfurchte Hänge, auf welchen die glühenden Ostwinde jede Spur von Vegetation ertödtet, streckten sich thalwärts. Zwischendurch zogen sich Bodensenkungen, in denen ein reicher Pflanzenwuchs Schutz gefunden hatte. Dahinter ragte das mächtige, vulkanische Gebirge bis zu 1951 m auf, breitgelagert, in mehreren hintereinander verlaufenden Kämmen und Zacken endend. Weit unten wogte und schimmerte der unbegrenzte blaue Ocean. Es war ein grossartiges, überwiegend in gelbrothe Tinten getauchtes Bild, himmelweit verschieden von der in üppigster Vegetation prangenden Natur des tropischen Amerikas, welche auch nicht ein Fleckchen Erde von grünem Pflanzenteppich unbedeckt lässt.

Bei unserer nun erfolgenden Rückfahrt durch die Stadt fiel uns, wie bei der Hinfahrt, auf, dass an allen Häusern Käfige mit Kanarienvögeln hingen. Diese Canarios waren aber keine wilden, grünlichen, welche auf Gran Canaria seltener zu sein scheinen als auf Teneriffa; es waren durchweg gelbe, also durch andauernde Zucht veränderte. Ais wir in einer Vogelhandlung nach solchen niedlichen Thierchen fragten, zeigte man uns ebenfalls nur gelbe und verlangte für dieselben den hohen Preis von etwa 16 Pesetas Ca. 13 Mk. das Stück. Die wilden, andersfarbigen Stammvögel sollen indessen weit billiger sein.

Abends 8 Uhr waren wir an Bord zurück, und um 10 Uhr setzte unser Dampfer, welcher hier 160 Säcke mit getrockneten Cochenilleläusen geladen hatte, seine Fahrt europawärts fort. Anderthalb Stunden später erlitt dieselbe wieder eine kurze Unterbrechung, da die Maschine sich etwas warm gelaufen hatte und man sie, vor weiterer Arbeit, erst abkühlen lassen musste.

Heute war uns, vom Tropenklima Verwöhnten seit Monaten zum ersten Male kalt geworden und zwar auf der Fahrt in die Berge. Nachdem wir uns jetzt erst in der Höhe von Mittelegypten befinden, wird bei der nahebevorstehenden Rückkehr in die deutsche Heimath, die dortige Spätherbsttemperatur wohl sehr unangenehm von uns empfunden werden.

Vigo. Sonntag, den 28. Oktober.

Die letzten Tage unserer Oceandurchquerung zeichneten sich durch merkliche Abnahme der Temperatur aus. Des Morgens tun 8 Uhr zeigte das Thermometer durchschnittlich 21° C, in den Mittagsstunden ebensoviel oder höchstens 22° C. Mittwoch schlingerte die »Frankfurt« sehr heftig, Donnerstag weniger und vorgestern, Freitag, kaum merklich. Ihre Fahrgeschwindigkeit hatte wieder zugenommen und war einen Tag bis auf 232 Knoten gestiegen. Vorgestern Mittag ergaben Spiegelsextant und Chronometer die geographische Lage zu 36° 51' nördl. Br. und 10° 27' westl. L.; wir befanden uns somit schon in der Höhe von Europa. Tags vorher passirte ein Dampfer der Chargeurs réunis Backbord. Am Freitag selbst bekundete das Zunehmen der in Sicht kommenden Segelschiffe die Nähe des Landes. Nachdem wir schon einige vorhergehende Abende etwas Meeresleuchten beobachtet hatten, phosphorescirten am Abend des 26. die Fluthen in noch prachtvollerem bläulichem Schimmer. Um 9 Uhr blitzte das Licht eines Leuchtthurmes durch Nacht und Nebel zu uns herüber. – Also Land! Das Festland Europas!

Mit halber Fahrt näherten wir uns der Küste und hielten Nachts 2 Uhr vor der Tejomündung stille. Bei den ersten Strahlen der Morgensonne ging unter gehobenen Gefühlen die Einfahrt in den seegleichen Fluss von Statten. Und nun lag Lissabon, das Ziel unserer langen Seereise vor unseren freudetrunkenen Blicken.

Aber noch waren wir nicht erlöst, noch wollte uns die »Frankfurt« nicht freigeben. In Las Palmas hatte man unser Schiff nur nach den sanitären Verhältnissen von Santos, und zwar speziell nach etwaiger Blatternepidemie behandelt. Da wir in dieser Beziehung reines Gewissen hatten, war die Pratica ertheilt worden. Hier in Lissabon gestalteten sich die Dinge anders und wurde der Gesundheitspass von Rio de Janeiro verlangt. Dieser aber war, wegen Gelbfieberfällen in der brasilianischen Hauptstadt, nicht rein und sollten wir deshalb eine Quarantäne von acht Tagen halten. Weil uns diese Aussicht jedoch nicht anlockte, beschlossen wir kurzweg, bis zum nächsten spanischen Hafen, bis nach Vigo, wo uns eine gleiche Passbehandlung wie auf Gran Canaria erwartete, an Bord unseres Dampfers zu bleiben.

So war es uns, statt gestern früh, erst heute Abend, nach dreiundzwanzigtägiger Seefahrt, vergönnt, den Fuss wieder auf europäischen Boden zu setzen. Aber bewegte uns auch beim Betreten der alten Welt eine Art Heimathsgefühl, im Innersten des Herzens blieb doch die Sehnsucht zurück nach jenem Wunderlande jenseits des Oceans, wo die Natur ihre reichsten Gaben ausgeschüttet und zu einem Bilde vereinigt hat, welches auf der weiten Erde seines Gleichen kaum mehr finden kann.


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