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Kapitel IX.
Pará.

Pará. Donnerstag, den 26. Juli.

Ein für diese Tage projektirter Ausflug nach der Nordostküste von Marajó musste unterbleiben, da gerade kein grösserer Dampfer diese Strecke befuhr und das Benutzen einer kleinen offenen Steamlaunch jetzt, zur Zeit höherer Fluthwellen, Vergleiche das weiter oben S. 11 über die Pororóca Gesagte. sich wegen der Gefahr des Kenterns von selbst verbot. Das Verzichten auf diesen Ausflug fiel uns um so schwerer, als wir hierdurch die Gelegenheit versäumten, die endlosen, rindviehbedeckten Campos zu sehen, welche etwa ? der ca. 25 000 km grossen Insel Das Areal von Marajó entspricht ungefähr dem von Sicilien. bedecken. Es giebt dort Fazendeiros, welche Viehheerden von mehr als 10 000 Stück besitzen. Und statt auf Pferden pflegt man dort auf Ochsen zu reiten, welche zu diesem Zwecke ganz regelrecht gesattelt und gezäumt werden.

Da uns also vernünftigerweise die Möglichkeit zu Fahrten auf dem Rio Pará benommen war, suchten wir statt dessen gestern und heute Alles noch Sehenswerthe in der Stadt Pará selbst auszukundschaften. Vor Allem war es das ethnographische Museum, welches unser Interesse in Anspruch nahm. Wir fanden dort allerhand indianische Pfeile, solche mit einem und solche mit mehreren Widerhaken, Harpunen mit Knochenspitze, einen grossen, oben erweiterten Holzstab, welcher den Tuschauás zum Leiten der Tänze dient, einen anderen, an einem Ende lyraförmigen Holzstab, bestimmt, als Fehdezeichen eine grosse Cigarre eingeklemmt zu erhalten, verschiedenen Federnkopfputz, Schmuck aus Muscheln und aus Glasperlen, altindianische, wenig verzierte Thongefässe, einige kostbare Steinwerkzeuge und endlich Ubás, d. h. primitive, im Amazonasgebiet gebräuchliche indianische Canoas aus Baumrinde, welche nur mittelst Querstangen in der richtigen Form erhalten werden, Achter und am Vorschiff mit Lianen zusammengenäht sind und Sitzbretter aus gespaltenen Holzprügeln haben.

Eine zweite Sammlung indianischer Gegenstände besahen wir uns bei einem ehemaligen brasilianischen Schiffskapitän, Souza mit Namen, der viel im Amazonasthal gereist ist und von diesen Reisen eine Unzahl werthvoller Dinge mitgebracht hat. Von den Crichaná besass er eine Acangatára, Siehe weiter oben S. 132. Pfeile mit Knochenspitzen und einen einfachen, schwarzen Bogen, aus dem Gebiet des Rio Negro ferner noch federnverzierte Körbchen und verschiedenen Kopfputz aus Federn, von Indianern aus dem Flussgebiet des Juruá einen graziös geschnitzten Pfeil mit mehreren Holzwiderhaken, von einem Inka stammend einen mit hübschen Ornamenten bemalten Holzschild, Den Namen Inka trugen in Peru nicht nur die Herrscher, sondern alle von Manco Capae in männlicher Linie abstammenden Nachkommen männlichen Geschlechtes. – Möglicherweise aber versteht man am Amazonas unter Inka schlechtweg Peruaner (s. Martius: Zur Ethnographie etc., I. 444) und würde es sich dann hier nur überhaupt um einen Schild peruanischen Ursprunges handeln. ebenfalls aus Peru einen federngeschmückten, sehr eleganten Pfeil in Gabelform mit drei Zinken, ausserdem von verschiedenen Indianerstämmen allerhand Bogen, Pfeile, Blaserohre, einen Holzspiess zur Jaguarjagd, Schmuck aus Vogelknochen, Halsketten aus Pekari-, Pekari = Nabelschwein (Dicotyles torquatus Cuv.). Jaguar- und Affenzähnen, Ohrringe aus Käferflügeln, aus einer steinbesetzten Holzmulde bestehende Ipycei Siehe weiter oben S. 133., einen kleinen Götzen, einige Graburnendeckel und andere präcolumbische, hübsch ornamentirte Thongegenstände. Ausser ethnographischen Objekten hatte Senhor Souza auch einige Jagdtrophäen, von denen ich nur das Fell eines Faulthieres (Bradypoda) nennen will, eines jener in mehreren Arten am Amazonas vorkommenden, ein Baumleben führenden Edentaten, und ein brasilianisches Fischotterfell, Vermuthlich ein Fell von Lutra brasiliensis Cuv. welches, wunderbar in Farbe und Weichheit, an goldbraunen Sammet erinnerte.

Wie fast bei allen Besuchen in brasilianischen Familien wurde uns auch hier eine Musikproduktion zu Theil. Die Frau des Hauses trug uns auf dem Klavier einige schöne Stellen aus der von dem Brasilianer Antonio Carlos Gomes componirten Oper O Guarany vor. Es ist dies eine Oper, deren Text dem gleichnamigen brasilianischen Roman von Alencar entstammt, und welche besonderes Interesse abgewinnt, sowohl wegen ihres nationalen Textes, als auch wegen der in ihr verarbeiteten indianischen und brasilianischen Melodien.

Als werthvolle Gabe schenkte man uns dort beim Abschied Uirari in Originalverpackung. Siehe rückwärts Tafel II No. 5. Dieses Uirari, welches das Aussehen von röthlichbrauner, festgewordener Erde hat, ist in ein kleines, einfaches, mittelst Tauiribast Tauiri = Couratari Aubl., in Brasilien und Guyana wachsende, baumförmige Myrtaceen. geschlossenes Thongefäss gefüllt. So hat es Senhor Souza, wie er behauptet, von den Júmaindianern am Rio Içá aus Ecuador erhalten. Da jedoch die Júma bisher nur südlich des Solimões, vom Madeira bis zum Juruá angetroffen worden sind, Silva Araujo: Diccionario do Alto Amazonas 160, 172, 335. – Guia da Exposição Anthropologica Brazileira p. 7. – Martius: Beiträge etc. I. 385. am Içá hingegen die Jumána, welche auch Tecuna genannt werden, sitzen und die Tecuna Uirari- oder Pfeilgiftbereiter sind, Silva Araujo l. c. 141, 359. Martius l. c. 443, 483. – Reclus: Nouvelle Géographie Universelle XIX 181. was von den Júma nirgends berichtet wird, so liegt sicherlich eine Namensverwechselung vor. Wenn Silva Araujo (l. c. 359.) Jumaná und nicht Jumána schreiben würde, brauchte übrigens nicht einmal eine Namensverwechselung vorzuliegen. Da nämlich auf tupí aná so viel wie Volk, Nation bedeutet, würde Jumaná nichts anderes als die Nation der Júma heissen, und könnte man annehmen, dass Souza statt Jumaná = Nation der Júma zu sagen, sich kurz Júma, mit wissentlicher Auslassung der Bezeichnung Nation, habe ausdrücken wollen. – Vergl. Barboza Rodrigues: Pacificação dos Crichanás 135 und die Tupíwörterbücher. Das von den Tecuna bereitete Pfeilgift ist das wirksamste und das unter den Solimõesindianern bekannteste. Lacerda: Algumas Experiencias com o veneno do Bufo ictericus, Spix (Archivos do Museu Nacional do Rio de Janeiro III 39. Anmerk. 2.) – Mello Morães: Revista da Exposição Anthropologica Brazileira. 52. – Es dient gleich dem von anderen Stämmen hergestellten als werthvollster Tauschartikel, da viele Indianerhorden das Pfeilgift nicht zu bereiten wissen und auch die Pflanzen, aus denen man es gewinnt, nicht überall zu finden sind. Das Pfeilgift wird von den einzelnen Stämmen meist auf verschiedene Weise und aus verschiedenen Pflanzen hergestellt. Diese Pflanzen sind mehreren Familien entnommen, und es werden bald ihre Früchte und Wurzeln, bald ihre Stengel oder ihr Splint, bald ihre Blätter oder ihre Rinde als Giftstoff verwendet. Die Bereitungsart selbst wird von den Indianern meistens möglichst geheim gehalten und der Akt der Bereitung mitunter von einigen Ceremonien begleitet. Der Hauptbestandtheil des Pfeilgiftes scheint immer Rindenextract zu sein. Die zu letzterem zu verwendende Rinde wird zuerst zerstampft oder zerrieben, dann mit kaltem Wasser angefeuchtet, destillirt und über dem Feuer abgedampft, bis der aus ihr gewonnene Saft sich zu einer syrupartigen Masse verdickt hat. Dem Rindenextract werden, um die Wirksamkeit des Giftes zu erhöhen, auch noch giftige Säfte anderer Pflanzentheile zugesetzt. Souza: Lembranças e Curiosidades do Valle do Amazonas 289 e s. – Cerqueira e Silva: Corografia Paraense p. 25 u. Anmerk. p. 128. Sei das Material nun welches es wolle, immer hat bei der Pfeilgiftbereitung das Abdampfen über Feuer eine Rolle zu spielen. Schomburgk: Reisen in Britisch-Guyana I 451 u. ff. – Spix und Martius: Reise in Brasilien III 1237. Anmerk. – Ehrenreich: Beiträge zur Völkerkunde Brasiliens (Veröffentlichungen aus dem K. Museum für Völkerkunde zu Berlin II 64) – Schwacke: Bereitung des Curare-Pfeilgiftes bei den Tecuna-Indianern (Jahrbuch des K. botanischen Gartens zu Berlin III 220 u. ff.) – und Andere mehr. Die Wirkung des in eine Wunde eindringenden Giftes ist hauptsächlich eine lähmende, doch treten auch Convulsionen ein und ist, wenn nicht rechtzeitig Gegenmittel gegeben werden, der tödtliche Verlauf ein sehr rascher. –

Ausser mit ethnographischen Studien, füllten wir unsere Zeit auch mit zoologischen und botanischen aus. Wir besahen die zoologische Abtheilung des Paraenser Museums und suchten in verschiedenen Häusern und Verkaufsläden lebende Thiere auf. In einem Magazin beobachteten wir ein frei umherlaufendes, zahmes Wasserschwein (Hydrochoerus Capybara Erxl.), eines jener grössten sämmtlicher Nager, welche an den grossen Flüssen des östlichen Südamerika hausen und am Amazonas häufig angetroffen werden. Das Thier, welches sich zutraulich streicheln liess, war einfarbig bräunlich, hatte rauhes Haar, die Gestalt eines auf einen Meter vergrösserten Meerschweinchens und die gleichen, ängstlichen Bewegungen wie dieses oder wie unser zahmes Kaninchen. Ein Laden am Hafen enthielt lebende Königsschlangen (Boa constrictor), allerhand, überwiegend braune Affen, Sperlingspapageien (Psittacula passerina L.) und merkwürdige kleine grüne Papageien mit gelbgrau gefiedertem Kopf, welche die am unteren Amazonas vorkommenden Caica leucogaster Ill. gewesen sein dürften. Auf der Strasse endlich begegnete uns ein mit einem Hund zusammengebundener Rüsselbär (Nasua), der von anderen Hunden unbarmherzig herumgerissen und misshandelt wurde.

Botanische Studien betrieben wir im Garten eines Nordamerikaners, des Mister Rand, welcher eine prachtvolle Orchideencultur hat. Da gab es vom Rio Negro Cattleya superba Schomburgk, Synonym von Epidendrum superbum Reichb. mit ihren grossen und schönen lila Blüthen; aus dem Amazonasgebiet, ohne nähere Angabe des Standortes, die weiss und braun blühende Schomburgkia undulata Lind., Synonym von Bletia undulata Reichb. und ebenfalls in Blüthe befindliche Coryanthes Hook., ausserdem aus der ganzen übrigen Welt, z. B. Australien, verschiedene Orchideenarten unter denen sich mehrerlei Cypripedienspecies befanden. Es fehlten dort aber auch nicht allerhand Aroïdeen, Bromeliaceen und sonstige, namentlich tropische Pflanzen.

Pará. Freitag, den 27. Juli.

Wir konnten heute der Lockung nicht widerstehen, nochmals eine Fahrt nach der Ilha das Onças zu unternehmen, nach jener Insel, welche uns gerade vor einem Monat zum ersten Male die Wunder der Tropenwelt erschlossen hatte. Und es sollte uns nicht gereuen, denn obwohl wir inzwischen fast Tag für Tag den Zauber der tropischen Flora und Fauna auf uns hatten wirken lassen, war die heutige Fahrt doch bestimmt, uns wieder neue Eindrücke zu bringen. In der einen grösseren Wasserstrasse, auf welcher unser Boot in die Insel einzudringen begann, beobachteten wir viele absonderliche kleine Fische, die, mit dem Kopf halb aus dem Wasser, ziemlich rasch bald da, bald dort quer über den Igarapé hinüber plätscherten. Es waren dies Quatro-olhos oder Vieraugen (Anableps tetrophthalmus Bl.), höchst merkwürdige, bartgrundelähnliche Zahnkarpfen (Cyprinodontidae) mit breitem Maul, aufgeworfenen Lippen und hervorquellenden, fast wie auf Stielen sitzenden Augen, welch letztere einen Bau haben, der sich bei den Augen keiner einzigen anderen Thiergattung wiederholt. Im Walde zerstreut wuchsen Kautschukbäume (Hevea Brasiliensis Müll. Arg.), am Wasserrande aber Sträucher, deren Blüthe an einen Kamm mit gelben Zähnen und rothem Obertheil erinnerte, zweifellos Mimoseen aus den Gattungen Inga oder Pithecolobium. Zu ihnen gesellten sich andere niederere Pflanzen in Strauchhöhe, mit langen rothen, blüthenartigen Bildungen in Form eines leichtgebogenen Stabes, wohl irgendwelche Araceen, und zwar vermuthlich Blüthenschweife (Anthurium Schott), von welchen mehrere Arten ihren Standort am Amazonas haben.

Vierauge (Anableps tetrophthalmus) ½ nat. Grösse. (Nach Brehms Thierleben VIII 260.)

Wir landeten an einer der rechts und links längs der Igarapés gelegenen Seringueirohütten und vertieften uns von da in den Wald, in welchem ein ganz intensiver Patchouligeruch verbreitet war. Bald umgab uns ein wahrer Palmenhain, in welchen die Sonnenstrahlen hereinspielten, reizende Lichteffecte erzeugend. Wir waren noch nie auf unseren Urwaldstreifereien einer ausschliesslich aus Palmen, grossen und kleinen, gebildeten Waldparcelle begegnet. In derselben wogen Euterpe oleracea weit vor, doch fehlten auch Bactris und andere Arten nicht. Herrliche Schmetterlinge gaukelten durch das Dickicht. Der Picada entlang zogen langsamen Fluges, etwa drei Meter über der Erde, die riesigen, himmelblau atlasglänzenden Morpho Menelaus L., welche um Pará sehr häufig zu treffen sind. Ebenso schläfrig ihre Flügel schlagend, kamen grosse graubraune, breit blaugestreifte Morpho Achilles, allem Anschein nach var. Deidamia Hübn., des Weges daher, durch ihren Dauerflug und ihre Bodenferne sich gleich jenen unserer Verfolgung entziehend. Glücklicher waren wir im Fangen zweier kleinerer, in Brasilien wie in Guyana vorkommender Tagfalter, einer Taygetis Thamyra Cr., eines Satyrinen mit unscheinbarer, dunkelbrauner Oberseite und lila und braun hübsch marmorirter Unterseite, und eines Heliconius Vesta Cr., eines schwarzen Rundflüglers mit schwefelgelb und ziegelroth gefleckten Vorder- und ziegelroth streifig gezeichneten Hinterflügeln. Die übrigen kleineren Papilioniden, unter welchen ich auch Temenis Laothea var. Ariadne Cram. zu bemerken glaubte, retteten sich, wie die Morpho, vor unserem todtbringenden Netze.

Bei weiterem Vertiefen in den Wald begann das bei solchen Streifereien unvermeidliche Klettern über umgestürzte Baumstämme, das Wegsuchen über schlammumringte Wurzeln, das Sichdurchhauen durch eine Wand von Schlinggewächsen, bis endlich Igapó und Igarapé unserem ferneren Vordringen energisch Halt geboten. Wir kehrten zum Boot zurück, doch jetzt erst gewahrten wir, wie misslich das Einsteigen sein würde, nachdem schon das Aussteigen nicht leicht gewesen war. Die Landung an dem ziemlich hohen lehmigen Ufer vermittelte, an Stelle einer Treppe, ein glatter, entrindeter, schräg nach aufwärts gestellter Baumstamm. Hinauf waren wir mit Mühe und Noth geklettert, hinunter würden wir sicherlich auf dem indianisch primitiven Landungssteg ausgleiten und in den schlammigen Igarapé hineingeschleudert werden. Nach einigem Besinnen blieb uns nichts zu thun übrig, als uns unserer Stiefel zu entledigen und gleich den Eingeborenen mit angeklammerten Zehen, mehr rutschend als gehend, den glitschigen Balken zu überwinden.

Ein Wall von Mangroven säumte die beiden Igarapéufer unserer weiteren Bootfahrt. Unter und zwischen den Stelzwurzeln, welche jetzt zur Ebbezeit fast trocken lagen, oder besser gesagt standen, wimmelte es von Hunderten von drolligen Winkerkrabben (Gelasimus). Troupiale und papageiartig kreischende Madenfresser belebten als Vogelproletariat den Igarapé. Eine Taube, vielleicht die am oberen, wie unteren Amazonas verbreitete Leptoptila rufaxilla Rich. et Bern., flog über unsere Köpfe hinweg. Gestelle zu Fischfangzwecken sperrten an einzelnen Stellen die sich abzweigenden Wasserwege. Es waren dies sogenannte Pary, d. h. aus Lianen geflochtene, netzartige Wände, welche kurz vor Eintritt der Ebbe an Reihen quer in den oberen Lauf eines Igarapé eingerammter Pflöcke befestigt werden. Den zur Fluthzeit hinaufgeschwommenen Fischen ist hierdurch der Rückzug abgeschnitten und sie werden in den sich immer mehr entleerenden, schliesslich fast trocken gelegten Wasserläufen, eine leichte Beute der Indianer.

An einem solchen Pary machten wir Kehrt und ruderten den engen, träumerisch schönen Igarapé wieder hinunter, der zu beiden Seiten von den malerischsten überhängenden Pflanzengruppen eingefasst war. Auf der Rückfahrt über den Rio Pará erfuhren wir, dass die Bevölkerung das Baden im Strome vermeidet, da es in demselben viel Zitteraale (Gymnotus electricus L.) giebt und diese wegen der lähmenden Wirkung ihrer Schläge sehr gefürchtet werden. Die inzwischen eingetretene Fluth brachte unsern Kahn nach der Stadt zurück, woselbst wir Nachmittags zweieinhalb Uhr in unserem Zimmer 29,5° C. fanden.

Pará. – Samstag, den 28. Juli.

Der Dampfer, der uns die brasilianische Nord- und Ostküste entlang führen soll, ist schon seit einigen Tagen fällig. Da es nun am Amazonas keine telegraphische Verbindung giebt, Im Jahre 1896 sollte ein Telegraphenkabel von Pará den Strom hinauf, vorläufig bis Manáos gelegt werden. welche sein Eintreffen vorher avisiren könnte und er, wenn einmal eingetroffen, nach wenig Stunden seinen Kurs fortsetzt, so sind wir, um das Schiff nicht zu versäumen, jetzt an Pará und seine nächste Umgebung gebunden. Ein Versäumen des Schiffes wäre nämlich sehr schlimm, weil nur jede zehn Tage ein solcher Dampfer ausläuft und wir also dann noch länger in der ungesunden und langweiligen Hafenstadt auszuharren gezwungen sein würden.

Uns den unfreiwilligen, geduldprüfenden Aufenthalt angenehm auszufüllen, besuchten wir an den letzten Tagen unter Anderem auch verschiedene Landsleute, welche wir von der Zeit unseres ersten Aufenthaltes kannten, oder Solche, welche mit uns von Europa aus übergefahren waren. Die unter die letzteren gehörende Wienerin fanden wir in einem Erbarmen erregenden Zustand. Während wir den Amazonas hinaufgereist waren, hatte sie einen heftigen Anfall von Gelbem Fieber mit knapper Noth und nur dadurch überhaupt überstanden, dass augenblicklich und energisch heilend eingegriffen worden war. Die Gelbfiebergefahr ist in Pará sehr gross, so gross, dass die hiesigen Weissen vollständig mit dem Gedanken vertraut sind, heute oder morgen ein Opfer derselben zu werden. Thatsächlich sollen auch nahezu alle eingewanderten Europäer, welche in Brasilien länger an Orten verweilen, in denen das Gelbe Fieber endemisch ist, davon befallen werden, doch ist der Ausgang beim weitaus grösseren Prozentsatz der Erkrankten kein tödtlicher. Russen und Individuen der germanischen Rasse, unter letzteren die blonden Nordländer, namentlich die Skandinavier, werden am leichtesten vom Gelbfieber ergriffen. Buschan: Einfluss der Rasse auf die Form und Häufigkeit pathologischer Veränderungen. (Globus LXVII. S. 22.) Aehnliches berichtet Andree (Geographie des Welthandels I. 352 Anmerk.), nur tritt hier der Holländer und Belgier (wohl Flamländer) an Stelle des Skandinaviers. Junge Leute sind mehr gefährdet, als ältere, gesunde, kräftige mehr als schwächliche. Ein Ritt oder Spaziergang, jedwede körperliche Anstrengung unter direkter Einwirkung der Sonnenstrahlen kann zur Zeit der Prävalenz des Gelbfiebers lebensgefährlich werden. Der Verlauf der Krankheit ist häufig ein ungemein rascher, und je schneller Gegenmittel angewandt werden, um so grösser ist die Wahrscheinlichkeit der Rettung. Manche Leute tragen zur Gelbfiebersaison die nöthigen Arzeneien stets in der Tasche bei sich. Wenn auch Fälle von Gelbem Fieber, z. B. in Pará und Rio de Janeiro, das ganze Jahr hindurch vorkommen, so steigert sich die Häufigkeit derselben, wenigstens in Rio, doch bedeutend gegen Ende der heissen Jahreszeit, und sogar noch zu Beginn der kühlen. Die Krankheit, welche sich vermeintlich schon vor zwei Jahrhunderten in Pernambuco und Bahia gezeigt haben soll, ist erst 1850 nach Rio de Janeiro und Pará, 1856 stromaufwärts bis nach Manáos eingeschleppt worden. Durchschnittlich beschränkt sie sich auf die Seeküste und die Ufer grosser Flüsse; die landeinwärts und nicht an Strömen gelegenen Orte sind grösstentheils, die hochgelegenen nahezu alle immun. Avé-Lallemant: Das gelbe Fieber S. 9 u. ff, 90, 97, 99 u. ff. 169, 233, 239 u. ff. 320, 321. – Hirsch: Handbuch der historisch-geographischen Pathologie I 235 u. ff. – Scheube: Die Krankheiten der warmen Länder 37 u. f. – Loefgren: Dados climatologicos do anno 1889 p. 4 e 13 (Boletim da Commissão Geographica e Geologica de S. Paulo No. 6). Loefgren: Dados etc. 1890 p. 6 (Boletim etc. No. 8).

Ein Igarapé. (Von H. Wiegandt. Das Original im Besitz der Verfasserin.)

Nachmittag. Als wir heute Vormittag von einer reizenden Trambahnfahrt durch die äusseren Villenstrassen mit ihren tropisch üppigen Gärten zurückkehrten, war inzwischen der längst erwartete Dampfer der »Companhia Brazileira de Navegação a Vapor« eingetroffen. Sofort legten wir die letzte Hand an, unsere seit Tagen bereit liegenden Koffer vollends zu packen. Dieses war jedoch, wie jede Beschäftigung, welche Raum beanspruchte, mit Schwierigkeiten verbunden. Wir zwei Damen nämlich haben hier zusammen nur ein winziges, noch dazu von einer störenden Hängematte überspanntes Zimmer, und sogar dieses mussten wir uns mühsam erobern. Wie schlecht es in unserem Gasthaus um Platz bestellt ist, wird überdies dadurch bewiesen, dass unser Diener gar keinen Wohnraum für sich besitzt, sondern gleich dem Sohn des Hauses auf dem offenen Gang schläft, selbstverständlich in einer Hängematte wie alle Anderen. Es sind dies primitive Verhältnisse für das erste und für Damen einzig besuchbare Hotel einer Stadt von ungefähr 70 000 Einwohnern. Doch in Anbetracht weit minderer Quartiere in solchen Ländern, dürfen wir uns noch glücklich schätzen, es so getroffen zu haben.

Wir verlassen das entsetzlich heisse und feuchte Pará mit einem wahren Gefühl der Erleichterung. Indem wir uns an Bord begeben, findet der äquatoriale Theil unserer Reise in Brasilien seinen Abschluss.

*

Liste der auf unserer Reise in der Amazonasniederung von mir Leider stehen mir die von meiner Reisegefährtin gesammelten Insekten nicht zur Verfügung. gesammelten Insekten, welche keine nähere Angabe des Fundortes aufweisen: Diejenigen Insekten, welchen die genaue Angabe des Fundortes beigemerkt ist, sind im Reisebericht gelegentlich der Besprechung des betreffenden Fundortes erwähnt.

Eumolpus surinamensis Fabr., ein prächtiger, durchaus stahlblauer, metallglänzender Blattkäfer (Chrysomelidae), der am Amazonas seine Südgrenze zu finden scheint. Könnte allenfalls nicht von uns selbst gesammelt, sondern in Pará uns geschenkt worden sein.

Polistes annularis Fabr. var. decolorata, eine schön bronzefarbige Feldwespe.

Ithomia Flora Cram., eine Danaine des unteren Amazonasgebietes, deren florartig durchsichtige, irisirende Flügel auf der Oberseite opaqueschwarz gerandet und gezeichnet sind, auf der Unterseite schwarz und hellrothbraun.

Colaenis Phaerusa L., eine ziemlich grosse, fuchsrothe, braungezeichnete Nymphaline, welche sowohl in Süd- wie in Mittelamerika angetroffen wird.

Colaenis Julia Fabr., eine ebenfalls in Süd- und Mittelamerika verbreitete, in Brasilien gemeine Nymphaline, welche ähnlich gefärbt und gezeichnet ist wie vorhergehende, jedoch schmalere Flügel hat.

Dione Lucina Feld. (zwei Exemplare), auf das obere Amazonasgebiet beschränkte Nymphalinen, deren Flügel auf der Oberseite fuchsroth sind mit dunkelbrauner Zeichnung, auf der Unterseite gelbbräunlich mit silberglänzenden Flecken.

Napeocles Jucunda Hübn. ♀, eine ziemlich grosse, schwarzbraune Nymphaline mit weisser, an den Rändern blau angeflogener Fleckenbinde. Diese Lepidopterenspecies ist nicht über die Nachbarschaft des Amazonasdeltas hinaus verbreitet und ist die einzige Art ihrer Gattung.

Anartia Amalthea L., eine am Amazonas häufig vorkommende Nymphaline mit hellbraunen, weiss getupften und rothgebänderten Flügeln.

Gynaecia Dirce L., eine über Süd- und Mittelamerika verbreitete, braune Nymphaline mit breiter gelber Mittelbinde auf den Vorderflügeln.

Ageronia Iphtime Bates, eine fast schachbrettartig braun, weisslich, graublau und röthlich gezeichnete Nymphaline, welche am Amazonas ihre Südgrenze zu finden scheint. Ich vermuthe, diese Ageronia in Providencia am Solimões gesammelt zu haben.

Anaea Morvus Feld. ♀, eine südamerikanische Nymphaline, deren braune Flügel theilweise in blauem Atlasschimmer glänzen.

Helicopis Acis Fabr., eine reizende kleine, gelbweiss, dunkelbraun und goldgelb gefärbte Lemoniine, deren Hinterflügel einen tief und zierlich gezahnten Saum haben und auf der Unterseite silberglänzende Flecken tragen.

Apodemia Campestris Bates, eine schachbrettähnlich gezeichnete, dunkelbraun, rostroth und weiss gefärbte kleine Lemoniine, welche häufig auf den Campos am Tapajoz vorkommt.

Nymphidium nov. spec. ♂, welches mit zwei von Natterer in Brasilien gesammelten, im Wiener Naturhistorischen Hofmuseum befindlichen Nymphidiummännchen übereinstimmt und durch das Fehlen des braungelben Vorderrandfleckes dem Nymphidium Philone Hew. (non God) Hewitson: Exotic Butterflies IV. Nymph. t. IV. fg. 29, 30. am nächsten steht. Ob mein Nymphidium am Amazonas oder etwas südlicher gesammelt worden ist, kann wegen Fehlens genauerer Fundortangabe nicht mehr festgestellt werden. – Es ist ein am Innenwinkel der Hinterflügel beschädigtes Exemplar. (Im Wiener Hofmuseum befinden sich ausserdem zwei, ebenfalls von Natterer aus Brasilien mitgebrachte, zur gleichen Nymphidiumspecies gehörige Weibchen).

Stalachtis Calliope L., eine ziegelrothe, schwarzgezeichnete Lemoniine, deren Verbreitungsbezirk das Amazonasgebiet und Guyana ist.

Eurema Deva Doubl. ♀, eine in der ganzen Amazonasregion vorkommende, kleine gelbe Pierine mit breitem, dunklem Saum an den Vorderflügeln.

Perrhybris Pyrrha F. ♀, eine auf Südamerika beschränkte, grosse Pierine mit schwärzlichen, breit orange- und citronengelb gestreiften Flügeln.

Tabanus miles Wied, ein Individuum aus einer der zahlreichen Arten von Viehbremsen (Tabanus), welche Brasilien besitzt.

Libellula umbrata F., eine specifisch südamerikanische, 4 cm lange, bräunliche Wasserjungfer mit wasserhellen, der Quere nach durch eine braune Binde gezeichneten Flügeln.

Nymphidium nov. spec. ♂ (Das von der Verfasserin gesammelte Exemplar.) Nymphidium nov. spec.

 

Nymphidium nov. spec. ♀. (Eines der von Natterer gesammelten Exemplare. Mut. Caes. Vindob.)

 

Was speziell die Lepidopterenfauna betrifft, so ist zu bemerken, dass wohl keine andere Gegend auf der ganzen Erde so geeignet ist zur Entwicklung zahlreicher Arten von Tagfaltern, wie gerade die Amazonasniederung. Die Gattung Papilio z. B. ist allein durch 43 Arten und Varietäten vertreten, besonders artenreich zeigt sich auch die Gattung Heliconius. Das hiesige Faunagebiet weist übrigens nicht nur einen grossen Reichthum an Arten, sondern auch viele endemische Formen auf, so giebt es deren eine gute Anzahl in der Subfamilie Nymphalinae. Manche der am Amazonas vorkommenden Schmetterlingsspecies, namentlich die waldbewohnenden, haben einen sehr beschränkten Verbreitungsbezirk. Zu diesen gehören die meisten Ithomiaarten, von denen man in einer Entfernung von nur 160-300 km immer wieder anderen begegnet. Im Grossen und Ganzen kann man in lepidopterologischer Hinsicht das Amazonasgebiet in drei sehr ausgeprägte Verbreitungsbezirke theilen, von denen sich der eine vom Fuss der Anden bis zum rechten Ufer des Rio Negro und linken des Madeira erstreckt, der zweite von diesen Strömen an bis einerseits nach Macapá, anderseits an das linke Ufer des Xingú, der dritte endlich von da bis ungefähr zur Küste, namentlich das Süd- und Ostufer von Marajó in sich einschliessend. Wallace: On the Habits of the Butterflies of the Amazon Valley (Transactions of the Entomological Society of London. New Series II. 253 a. ff.). Bates: Contributions to the Insect Fauna, of the Amazon Valley (l. c. New Series V. 223 a. ff., 352 a. ff.). Bates: Contribution to an Insect Fauna of the Amazon Valley (The Journal of Entomology I. 222). Bates: Contributions etc. (The Transactions of the Linnean Society in London XXIII. 500, 501).


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