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Kapitel X.
Maranhão und Ceará.

An Bord der ›Maranhão‹. Sonntag, den 29. Juli.

Da man in Brasilien für jede Reise auf dem Wasser, also von einem brasilianischen Hafen zum anderen, eines Passes bedarf, Diese Bestimmung ist im Jahre 1890 aufgehoben worden. so konnten wir uns erst einschiffen, nachdem in Pará unsere Pässe visirt worden waren. Seit gestern Nachmittag um 3 Uhr nun befinden wir uns an Bord der ›Maranhão‹, eines schönen, grossen brasilianischen Dampfers mit bequemen, reinlichen, luftigen Kajüten und einer grösseren Anzahl von Passagieren. Letztere sind bis auf einen deutschen Kaufmann und einen deutschen, in Nordamerika thätigen Missionspriester, ausschliesslich Brasilianer. Einige dieser weissen und farbigen Eingeborenen huldigen der von uns schon früher beobachteten brasilianischen Sitte, die Stiefel, wenn unbequem, einfach aufzuschneiden und aufgeschnitten weiter zu tragen.

Wir haben eine ganze Menagerie an Bord, ein neuer Beweis für die Thierliebe der Brasilianer, von denen fast Jeder irgend ein lebendes Wesen mit sich führt. Dies kommt mir sehr gelegen, da es meine Studien über die Fauna des Landes fördert. Namentlich sind Affen und Vögel vertreten. Unter ersteren befindet sich ein Macaco de cheiro (Chrysotrix sciurea L.); zwei Nachtaffen verschiedener Art (Nyctipithecus vociferans Spix (?) und Nyct. felinus Spix) von denen einer durch sein ziemlich grosses Gesicht auffällt; zwei Neger-Sahuý (Midas ursulus Hoffmgg.), sehr kleine Aeffchen mit dichtem, schwarzem, sammetweichem, gelbgesprenkeltem Pelz, schwarzen, haarlosen Gesichtern und intelligentem, aber boshaftem Ausdruck; endlich einige mittelgrosse, braune Affen, von denen einer sich sehr zuthulich benimmt. An Säugethieren enthält unsere Menagerie noch einen munteren, jungen, rothbraunen Rüsselbär (Nasua socialis Wied), welcher behende auf- und abklettert, eine schöne Cutiá (Dasyprocta Aguti Erxl.) und zwei reizende Rothspiesshirsche (Coassus rufus F. Cuv.), die uns wie eine Miniaturausgabe unseres europäischen Rehes (Cervus capreolus L.) anmuthen.

Die Vogelwelt, welche unser Schiff belebt, besteht aus zwei prachtvollen, scharlachrothen Araras (Ara Macao L.); einem Goldsittich (Conurus guarouba Gm.), einem jener nicht häufigen Keilschwanzsittiche, welche mit Ausnahme der Schwungfedern ganz hellgoldgelb sind; einer der wegen ihres Gesanges gern im Käfig gehaltenen Küstenspottdrosseln (Mimus lividus Licht.); zwei wachtelartigen, gelbbraun sandfarbigen, dunkelgezeichneten Vögeln, welche Pavão Den Vulgärnamen Pavão tragen Vögel aus den verschiedensten Familien. genannt werden und Eupsychortyx sonnini Temm. sein dürften; einigen farbenprächtigen, zinnoberrothen Ibissen (Ibis rubra Vieill.) und etlichen rosagefiederten Flamingos (Phoenicopterus ruber Bonn.). Es sind dies nahezu sämmtlich Vögel, welche in der Amazonasgegend ihre Südgrenze finden und wohl deshalb, als grössere Seltenheiten, nach den südlicheren Theilen des Landes mitgenommen werden.

Doch mit Säugethieren und Vögeln ist unsere Sammlung lebender Thiere noch nicht erschöpft. Es sind an Bord auch einige Jabuti (Testudo tabulata Walb.) aus dem Amazonasgebiet, sehr wohlschmeckende Waldschildkröten, welche in den Sagen der Tupíindianer dieselbe Rolle spielen wie der Fuchs in denen der alten Welt. Ueber solche Sagen siehe Archivos do Museu National do Rio de Janeiro VI 137 c. und Couto de Magalhães: O Selvagein I 185 c. s.

Um vier ein halb Uhr erst lichtete gestern unsere ›Maranhão‹ den Anker und dampfte stolz den mächtigen Rio Pará hinunter, durch welchen der Amazonas per Sekunde 70 000-100 000 cbm Wasser dem Meere zuführt. Es ist dies eine Wassermasse, welche diejenige sämmtlicher Ströme Europas zusammengenommen übertrifft. Levasseur: Le Brésil, 9. Regen begleitete unsere Abreise, Segelschiffe flogen pfeilschnell über die winderregte, hier schon meergleiche Wasserfläche, durch den Wolkenhimmel sich stehlende Sonnenuntergangsstrahlen küssten vergoldend das aus unseren Blicken scheidende, zauberische Tropenland.

Heute hatten wir etwas Seegang bei hellgrünblauer, durchsichtiger Meeresfarbe. Alle weiblichen Passagiere, mit dem den brasilianischen Frauen eigenen Mangel an Energie, ergaben sich willenlos der lästigen Seekrankheit, im Voraus überzeugt, dass sie krank werden müssten.

Im Südwesten zeigte sich tagsüber die ferne Küste als kaum bemerkbarer Streifen. Streckenweise verschwand auch dieser und man konnte meinen, auf hoher See zu sein.

Morgen soll unser Dampfer S. Luiz de Maranhão anlaufen; eine im Jahre 1610 von Franzosen gegründete Stadt, welche jetzt 45 000 Einwohner zählt. Sie liegt unter 2° 31' 45? s. Br. an der Nordostküste Brasiliens und ist die Hauptstadt der Provinz Maranhão. Diese Provinz, welche zwar einen weit geringeren Umfang hat als die zwei vom Amazonas durchströmten Provinzen, gehört immerhin zu den sechs grössten des Landes, Sie bedeckt einen Flächeninhalt von 459 884 km2 und ist somit um ein Bedeutendes grösser als Italien und Rumänien zusammen genommen. Dabei hat sie aber eine Bevölkerung von nicht einmal einer halben Million, so dass auf den Quadratkilometer nur 1,1 Bewohner treffen. Von dieser Bevölkerung bilden die Mischlinge den Hauptbestandtheil, nämlich volle 46 Procent. Die Weissen betragen nur 28 Procent, also weniger als in der Provinz Grão-Pará, die Neger hingegen 23, was gegen die Amazonasprovinzen eine grosse Zunahme des schwarzen Elementes bedeutet. Die Urrasse ist, an civilisirten Indianern, durch drei Procent vertreten. Die im Centrum und Südwesten hausenden wilden Rothhäute hat Niemand genau gezählt, doch mögen sie, die vor 80 Jahren sich noch auf viele Tausende beliefen, nun auch etwas zusammengeschmolzen sein. Ein Theil von ihnen, die Guajajara, Manajós und Cupinharós, gehören der Tupígruppe an, der sich auch die Hauptstämme am Amazonas einreihen; der andere, grössere Theil wird zur grossen Gruppe der Gês gerechnet, welche hauptsächlich das nordöstliche Innere Brasiliens besetzt hält. Die hiesigen Gês zerfallen in verschiedene, der Berührung mit den Weissen so ziemlich entrückte Stämme, von denen die Meisten der brachycephalen Kayapóvölkerschaft zuzählen.

*

Mit Maranhão sind wir im Begriff, ein neues Floragebiet zu betreten. Wohl ragt die Hylaea noch eine gute Strecke weit in diese Provinz herein und geht nach der Meinung Einiger Wallace: Travels on the Amazon and Rio Negro 433. Sclater and Salvin: List of Birds collected by Mr. Wallace on the Lower Amazonas and Rio Negro (Proceedings of the Zoological Society of London 1867 b. p. 596). ostwärts fast bis zum Rio Parnahyba, doch sind es nur mehr ihre Ausläufer, und diese bilden einen Uebergang zu einer anderen mächtigen Vegetationsform Brasiliens, zu derjenigen der Campos. Der Urwald ist hier nicht mehr so üppig und ausgedehnt wie in der Amazonasniederung; grosse Wiesenflächen beginnen ihn zu unterbrechen, und von S. Luis de Maranhão nach Osten wird er, der Küste entlang, durch sterile Strecken immer mehr und mehr zurückgedrängt. Wappäus: Brasilien 1213, 1312, 1644. Siehe auch die Karte in Reclus: Nouvelle Géographie Universelle XIX. 155. Wie die Hylaea, dieses ungeheure äquatoriale Waldgebiet Südamerikas, in der Provinz Maranhão seine Ost- und Südostgrenze findet, so hat auch die Thierwelt der Amazonasebene, welche daselbst, wie überall, innig mit der Vegetation verknüpft ist, in manchen Arten und Gattungen hier die Grenze ihrer südlichen Verbreitung gefunden.

Während uns, wie gesagt, im nördlichen Maranhão ein an die Natur der Amazonasgegenden erinnernder Landschaftscharakter entgegentritt, begegnet uns im südlichen Theil der Provinz zum ersten Male die eigentliche Camposwelt, und zwar in verschiedenen ihrer Gestaltungen. Allerdings haben wir in den Niederungen des Amazonas Campos gesehen, doch verschwinden sie dort gegenüber der riesigen, dem Landstrich die Physiognomie aufdrückenden Ausdehnung der hohen, dichten Urwälder. Hier hingegen handelt es sich nicht mehr um einzelne Campos, sondern um jene fast endlose, steppenartige Hochebene, welche das ganze Innere Brasiliens einnimmt und, nach Nordosten allmählich sich senkend, am Parnahyba bis zur Meeresküste vordringt. Auf diesem trockenen Hochlande, der Camposregion, herrschen gerade die entgegengesetzten Verhältnisse wie in der Amazonastiefebene; der Wald wird zur Nebensache und die Grasfluren prägen dem Gebiete den Charakter auf.

Wenn schon die Hylaea, der Aequatorialwald Brasiliens, kein einförmiges Bild bietet, sondern bald als Caá-Eté, bald als Caá-Igapó erscheint, so zeigt noch mehr das Camposgebiet des brasilianischen Binnenlandes ein sehr abwechslungsreiches Aussehen. Es zerfällt in Campos veros oder reine Grasfluren, in Campos abertos, d. h. von baumartigen Liliaceen bestandene Rasenflächen, in Campos cerrados, d. h. Rasen mit kleineren oder grösseren Gebüschgruppen besetzt, und in die verschiedenen Formen von Camposwald. Die Campos heissen Campos mimosos, wenn ihr Grasteppich mehr geschlossen ist und seine Halme durch ihre Feinheit gute Viehweiden abgeben, Campos agrestes hingegen, wenn ihre Pflanzendecke hauptsächlich aus einzelstehenden Büscheln harten, mattgrünen Grases besteht.

Unter den verschiedenen Formen des Camposwaldes ist die häufigste Form die Catinga oder richtiger Caá-tinga, welches Tupíwort weisser Wald bedeutet. Es ist dies der zusammenhängende Camposwald, welcher licht und durchschnittlich nieder, höchstens mittelgrosse Bäume aufweist und in der trockenen Jahreszeit, dem Winter, seine Blätter verliert. Ist genug Feuchtigkeit vorhanden, so kann dieser Niederwald auch sein Laub behalten; anderenfalls wieder, bleibt, was hier und da zu geschehen pflegt, die Regenzeit aus, so stellt sich auch die Neubelaubung des Waldes jahrelang nicht ein. Der Gattungs- und Artenreichthum der Catinga ist grösser als derjenige unserer europäischen Wälder. Im Grossen und Ganzen wechseln die Baumarten von Gegend zu Gegend. Die Camposwälder werden durch Lianen und Epiphyten geschmückt, vor Allem durch Loranthaceen und Bromeliaceen, indessen Orchideen, Aroideen und Farrenkräuter daselbst weniger gedeihen als in der Hylaca und dem hohen Küstenurwald.

Eine andere Art von Camposwald sind die Capões Caá (tupí) = Wald, apuám (tupí) = rund., durchschnittlich runde, convexe kleine Waldinseln, welche vereinzelt auf den weiten Grasfluren stehen. Da ihr Boden gewöhnlich sumpfig, sind sie auch meistens immergrün. Sie haben grösstenteils ihnen eigentümliche Pflanzenarten, ihre Pflanzen stehen dicht und üppig, und die in der Mitte befindlichen Bäume erreichen eine ziemliche Höhe.

Immergrün, wie im Ganzen die Capões es sind, und ebenfalls mit eigenem Floracharakter, ist eine dritte Form von Waldvegetation des Camposgebietes, der Flussuferwald. Er zieht sich als schmaler Streifen den Flüssen entlang und ist durch Ueppigkeit ausgezeichnet, entbehrt aber doch der Vegetationspracht der eigentlichen Urwaldzone Brasiliens.

Eine vierte Art von Wäldern der Camposregion ist der Cerrado. Es ist dies ein höherer, geschlossener, baumuntermischter Buschwald, welcher, wie die Catinga, zur trockenen Jahreszeit seine Blätter abwirft Im Norden des Landes wird er namentlich durch Cacteen, Akaziengebüsche und terrestrische, rasenbildende Bromeliaceen charakterisirt, im Süden, wo ihm mehr Feuchtigkeit zu Gebote steht, nähert er sich mehr der Catinga und der Vegetation des Flussuferwaldes. Ist dieser Busch- oder Zwergwald nicht höher als 3-3,3 m und treten in ihm die Bäume noch mehr in den Hintergrund, oder fehlen sie gänzlich, Siehe Hartt: Geology and Physical Geography of Brazil. 147. Anmerk. 252, 253. Wappäus: Das Kaiserreich Brasilien 1316. so trägt er den Namen Carrasco. Es ist dies ein eigentlicher Gestrüppwald, der eine grosse Mannigfaltigkeit dichtgedrängter Sträucher mit wenig saftigem Laube aufweist. Charneca heisst diejenige Vegetationsform, welche den Uebergang vom Carrasco, dem Halbwald, zum Sertão bildet. Unter letzterem endlich versteht man die Wüsten Brasiliens, menschenleere, hochgelegene, trockene Gegenden, welche mitunter lichtes, mannshohes, oft nicht länger als zwei bis drei Monat des Jahres belaubtes Gesträuch bedeckt, die aber manchmal auch jeglicher Vegetation entbehren. Schenk: Beiträge zur Biologie der Lianen 60. – Martius: Tabulae physiognomicae p. XXXI. – Martius versteht unter Sertão die typische, völlig vegetationslose Wüste, die Brasilianer (s. Caminhoá: Geographia botanica [Botanica Medical Geral XIII] und Moura: Diccionario Geographico do Brazil II 418) verstehen darunter sowohl hochgelegene, trockene, durch eine besondere Vegetation charakterisirte Strecken im Innern des Landes, denen einzelne Bäume nicht fehlen, als, in einigen Landestheilen, menschenferne Gegenden, welche auch waldbedeckt sein können.

Nicht nur nach der Verschiedenheit der Pflanzendecke, auch nach der Verschiedenheit der Oberflächengestalt führen die Campos verschiedene Benennungen. Chapadas zum Beispiel heisst man flache, hochgelegene, somit plateauartige Campos, Taboleiros Campos, welche welliges Terrain haben und gleichzeitig vorwiegend dürr sind. Tragen die Taboleiros nur zerstreut stehende Bäume, so bezeichnen sie die Eingeborenen als Taboleiros cobertos, als Taboleiros cerrados jedoch, wenn die Bäume näher zusammengerückt sind und dichtes Unterholz die Zwischenräume ausfüllt. –

Es lässt sich denken, dass mit den Campos auch eine, von derjenigen der Hylaea im Allgemeinen verschiedene Fauna aus dem Süden herauf nach Maranhão vordringt. Zwar besitzt die Camposregion manche Thierspecies mit der Hylaea und der Küstenurwaldregion gemeinsam, doch hat sie viele Arten und manche Gattungen, die ihr eigentümlich sind. Die Affen, welche im äquatorialen Wald Brasiliens überaus zahl- und artenreich auftreten, werden auf den Campos weit mehr in den Hintergrund gedrängt, dafür erscheinen Steppensäugethiere wie der Mähnenwolf (Chrysocyon jubatus Desm.), verschiedene Schakalfüchse (Lycalopex vetulus Sund, und L. fulvicaudus Burm.), Stinkthiere (Mephitis chilensis F. Cuv.), Felsenmeerschweinchen (Cavia rupestris Wied), Grosse Ameisenbären (Myrmecophaga jubata L.), Diese Ameisenbären werden zwar auch ausserhalb des Camposgebietes angetroffen, sind jedoch für letzteres charakteristisch. S. Goeldi: Os mammiferos do Brasil 154 u. Andere. Pampashirsche (Blastocerus campestris F. Cuv.) und Camposrehe (Coassus simplicicornis Illig.). An Vögeln hat Brasilien, das vogelartenreichste Land der Erde, natürlich auch seine für die Campos charakteristische Arten. Hier sind, um nur einige anzuführen, unter anderen zu nennen Erdeulen (Speotyto cunicularia Mol.), die schönsingenden Camposspottdrosseln (Mimus saturninus Licht), eine Troupialart (Icterus jamacaii Gm.), eine Art von Königswürger (Milvulus tyrannus L), mehrere Arten der wegen ihres Nestbaues bekannten Töpfervögel (Furnarius Vieill.), Rothbraune Baumhacker (Picolaptes bivittatus Licht.), Camposspechte (Colaptes campestris Vieill), aus der Gattung der Schlangenstörche die Seriema (Dicholophus cristatus L.), aus der Familie der Steisshühner Rhynchotus rufescens Temm. und Nothura media Spix, endlich, als besonders in die Augen fallend, zwei Amerikanische Strausse (Rhea americana L. und Rhea macroryncha Scl.), Vögel, welche sich, gleich der obengenannten Seriema, durch rasches Laufen auszeichnen. Unter den Reptilien begegnen uns, als so ziemlich auf das Camposgebiet beschränkt Wied (Beiträge zur Naturgeschichte Brasiliens I 445) und viele andere Naturforscher erwähnen den Crotalus terrificus speciell für die Campos, Osculati (Esplorazione delle regioni equatoriali p. 248), hingegen nennt ihn auch für die Rio Negrowälder., die Schauerklapperschlangen (Crotalus terrificus Laur.), welche ungefähr anderthalb Meter lang werden und wegen ihres Bisses mit Recht sehr gefürchtet sind. Was endlich die Insekten betrifft, so ist zu sagen, dass sie die weitgedehnten, oft scheinbar öden Savannen Brasiliens beleben, mehr als man vermuthen sollte. Auch unter ihnen befinden sich diesem Vegetationsgebiet eigentümliche Arten, während andere ebenfalls in den Regionen der hohen Urwaldungen verbreitet sind. In den Sertões treten namentlich Meliponen und Trigonen, die honigliefernden Bienen Brasiliens, zahlreich auf. Die Ameisen, von denen man in Brasilien bisher ca. 400 Arten kennen gelernt hat, Europa besitzt nur etwa 100 Arten Ameisen. und von denen wir in Manáos sagen konnten, dass sie mehr denn die Menschen als Herren des Amazonasthales zu betrachten seien, kommen auch auf den Camposplateaus äusserst arten- und individuenreich vor. Ebenso stellen die merkwürdigen Fangheuschrecken (Mantidae) und die noch weit absonderlicheren Gespenstheuschrecken (Phasmidae) ihr Contingent zur Camposfauna, aber mehr als alle anderen Insekten sprechen in der Physiognomie der Campos die Termiten mit, nicht sowohl persönlich, als durch die prachtvollen Lehmbauten, welche sie aufführen und welche oft, gleich einer Vereinigung kegelförmiger Hütten, weithin die Grasfluren bedecken. –

*

Die im Vorhergehenden gegebene Skizze ist eine zusammenfassende der gesammten Camposwelt Brasiliens und trifft somit selbstverständlich für die steppenähnlichen Strecken Maranhãos nur theilweise zu, da die Campos in ihrer riesigen Ausdehnung von Nord nach Süd und von Ost nach West, wie schon im Laufe des Gesagten angedeutet, manche floristische und faunistische Abänderungen erleiden.

Flora und Fauna gestatten uns einen Rückschluss auf das Klima, und da in den Provinzen Maranhão sowohl Hylaea als Camposregion vertreten sind, so bauen sich auch die climatischen Verhältnisse daselbst aus den Klimaten dieser beiden Landschaftsarten auf. Die Küstenlande Maranhãos lehnen sich in ihrer geringen jährlichen Temperatur-Amplitude an die äquatorialen Waldgegenden der beiden auf das Amazonasthal entfallenden Provinzen, das Innere von Maranhão schliesst sich in seinen grösseren Temperaturschwankungen an die nördlichen Camposprovinzen an. In Bezug auf Salubrität und deutliches Hervortreten der trockenen und nassen Jahreszeit zeigen indessen sowohl das Litorale wie die inneren Landesstriche fraglicher Provinz mehr Uebereinstimmung mit der Camposwelt des übrigen Brasilien als mit der Hylaea. Das Klima ist heiss und feucht und gilt nur an den Ufern des Parnahyba für ungesund. Genauere meteorologische Beobachtungen scheinen sich bisher so ziemlich auf São Luiz de Maranhão zu beschränken, welches noch innerhalb des Waldgebietes der Amazonasniederung liegt. Die Jahresisotherme beträgt daselbst 27,4° C. und bleibt somit, gleichwie diejenige von Pará, um einen Grad hinter der für diese Breite normalen Temperatur zurück. Das Temperaturmaximum ist 33,8° C., das Minimum 21,1°. Als heisseste Monate haben sich Dezember und Februar ergeben mit einer Durchschnittstemperatur von 28,6° C., als kältester Monat ist der Juli zu betrachten. Die Juliisotherme ist nicht anführbar, da sie in den meteorologischen Notizen nicht richtig wiedergegeben zu sein scheint. São Luiz gilt als sehr regnerisch; es zählt im Jahre 86 Regentage und hat eine jährliche Niederschlagshöhe von 2450-2470 mm. Die Regenzeit, welche auf Sommer und Herbst fällt, beginnt Ende Dezember und dauert bis in den Juni. Die Hauptregenmonate sind März und April, indessen die Frühjahrsmonate September, Oktober und November fast gar keine Niederschläge zu verzeichnen haben. –

An Bord. Im Hafen von São Luiz. – Montag, den 30. Juli.

Heute früh warf unser Dampfer die Anker Angesichts São Luiz de Maranhão, in einem natürlichen Hafen, welcher an einzelnen Stellen bis zu 10 m Tiefe misst. Mit São Luiz hatten wir denjenigen Punkt der brasilianischen Küste erreicht, an dem die Differenz zwischen höchstem Stand der Fluth und tiefstem der Ebbe so gross ist wie nirgends sonst am ganzen übrigen Litorale Brasiliens, nämlich 6-8 m.

Die Stadt São Luiz liegt auf einer hügeligen Landzunge welche sich an der Nordwestseite der waldbedeckten Insel Maranhão befindet. Anmuthig zieht sich die baum- und palmenuntermischte Häusermasse auf sanft ansteigendem Terrain hinauf, zur Rechten und zur Linken von breiten Flussmündungen umrahmt, welche ihrerseits wieder von weit vorspringenden, rothen, tertiären Sandsteinufern umschlossen werden.

Ein Boot brachte uns an das Land, eine Trambahnfahrt nach allen Richtungen durch die Stadt. Die Strassen schienen uns weit sauberer gehalten als in Pará; ziemlich viel baumbesetzte Plätze unterbrachen die eintönigen Häuserreihen. Zahlreich waren die Gebäude vertreten, deren Aussenwände helle Fliesen bedeckten. Es ist dies eine sehr reinliche, aber in der Farbe kalt wirkende Mauerbekleidung, welche uns daran erinnerte, dass die weisse Bevölkerung Brasiliens überwiegend aus Portugal stammt. Denn wie die Spanier ihre Bauart nach Amerika hinüber verpflanzt haben, so auch die Portugiesen. Und wenn man eine dieser von Romanen der iberischen Halbinsel erbauten Städte in der neuen Welt betritt, wird man keinen Moment in Zweifel darüber sein, welcher Nation dieselbe zuzuschreiben ist.

Auf der Fahrt durch die Stadt hatten wir hübsche Blicke nach beiden Seiten in die auf- und absteigenden Querstrassen, in welche tropisch üppige Bäume hereinragten und deren Hintergrund meist waldige Gegend bildete. Von der Hässlichkeit der Kirchen will ich schweigen und nur die primitiven Beichtstühle erwähnen, welche wir in der Sé, d. h. Kathedrale, vorfanden. Sie bestanden einzig aus Beichtgittern, die sich aus der, von den Seitenaltären ununterbrochen bis vor den Hochaltar erstreckenden Kommunionbank herausziehen liessen. Der mit Königspalmen (Oreodoxa) geschmückte, hochgelegene Platz vor der Kirche Nossa Senhora dos Remedios bot eine schöne Aussicht auf den schiffbelebten Hafen und auf die jenseitigen unbewohnten, durchaus waldigen Uferhöhen, welche in weitem Halbkreis die Stadt umgeben. Die Nordseite von S. Luiz bespülen unmittelbar die breiten Mündungsfluthen des Rio Anil, die West- und Südseite die noch breiteren des Rio Bacanga, welch beide Flüsschen sich Angesichts der Stadt vereinen und in die Bucht von S. Marcos, den schon besprochenen Ankerplatz, ergiessen. Ein Blick landeinwärts zeigte uns, wie die knapp oberhalb der Mündung ganz schmalen Flüsse sich mit geringem Gefäll einer grünen Waldlandschaft entwinden und im Oberlauf vollständig unter Laubwerk verschwinden. Die Bäume längs der Ufer prangen in hellem Grün, den Abhang hinauf färben sie sich etwas dunkler.

Vorüber an Gärten mit gelbrothblühenden Magnoliaceen und mit Bougainvilleen, deren Hüllblätter blendend dunkelroth erglühten, vertieften wir uns auf breiter Landstrasse in die freundliche Umgegend. Ein schön gewelltes weites Thal breitete sich um uns, buchstäblich begraben unter einer zusammenhängenden grünen Decke dichten Waldes, welchem einzelne Palmen entragten, und der, in Höhe des Pflanzenwuchses, ungefähr dem Caá-Igapó der Amazonasufer entsprechen mochte. Schattenlos, in glühendem Sonnenbrande, zog sich mitten hindurch der rotherdige Fahrweg, auf welchem Ochsen im trägen Schritte Lastenfuhrwerke vorwärts bewegten. Die speichenlosen Räder waren denjenigen der Bauernwagen in Portugal nachgebildet und quälten unser Trommelfell mit dem gleichen entsetzlichen, ohrenzerreissenden Chiado, Chiado (portug.) = Gekreisch der Wagenräder. der im Mutterlande Brasiliens eine eigenthümliche Berühmtheit erlangt hat. Ziegelbrennereien erhoben sich an der Strasse; Leitern aus Bambushalmen zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich. In einem stilleren Winkel, vom Wege ab, sahen wir ganz nah auf einem Zweige einen kleinen dunklen Colibri Es könnte vielleicht Hylocharis sapphirina Gm. gewesen sein, der sowohl im Amazonasgebiet wie in Ostbrasilien angetroffen wird. sitzen und dann schwirrenden Fluges zwischen dem Gebüsch verschwinden.

Ausser- und innerhalb der Stadt fiel uns die grosse Menge Neger und Mulatten auf, welch beide zusammen genommen die Weissen an Zahl übertrafen. Die meisten der Negerinnen zeichneten sich durch malerische Kleidung aus; einzelne hatten den Kopf mit einem bunten Tuch turbanartig umwunden, ausser einem Rocke trugen viele, auf blossem Leibe, aus bunten Kattunflecken genial zusammengesetzte Jacken. In den Stadtstrassen tummelten sich einige hässliche, vollständig unbehaarte Hunde, diese charakteristischen Hausthiere des tropischen Amerika.

Nachmittags begaben wir uns an Bord unserer ›Maranhão‹ zurück, nicht ohne unterwegs im Boot von einem echt tropischen Platzregen gründlich getauft worden zu sein. Auf dem Dampfer erst wurden wir inne, warum uns die Leute, in den von uns betretenen Verkaufsläden von São Luiz, in uns so befremdender Weise freudig empfangen und neugierig über das woher und wohin ausgefragt hatten, um uns dann, enttäuscht über unsere baldige Abreise, wieder ziehen zu lassen. Es war nämlich mit unserem Schiffe in der, wie es scheint nicht nur für literarische Bestrebungen, sondern auch für musikalische Genüsse zugänglichen Stadt eine Concertsängerin erwartet gewesen, welche man nun in einer von uns vermuthet hatte. Die Nachricht, dass wir schon in wenig Stunden wieder weiterdampfen wollten, zerstörte somit den Maranhensern die Hoffnung auf ein Vergnügen, welches ihnen gewiss selten zu Theil wird, und welches sie deshalb sicher doppelt schätzen. Uebrigens ist anzufügen, dass die wirkliche Sängerin auch wirklich mit uns angekommen war, sich jedoch selbstverständlich geradewegs in das Gasthaus begeben und hierdurch den Augen der Menge entzogen hatte. Freudig wird später in der musikliebenden Bevölkerung die Ueberraschung gewesen sein, dass das Concert, trotz unserer Abreise, nun doch stattfinden konnte.

An Bord. Küste von Ceará. Dienstag, den 31. Juli.

Seitdem wir gestern um 4 Uhr Nachmittag wieder in See gegangen, stampfte unsere ›Maranhão‹ ununterbrochen bis heute Abend und noch ist kein Ende der Bewegung abzusehen. Die Meeresoberfläche war grün und schaumbedeckt, das Wetter die ganze Zeit über schön. An der brasilianischen Küste kennt der Atlantische Ocean keinen Nebel und nur wenig Stürme. Es war alleinig der Südsüdostwind, der das ganze Jahr zwischen dem Cap São Roque und der Amazonasmündung weht, von Oktober bis März heftig, von da bis zum Oktober gelinde, welcher uns, die wir ihm entgegenfuhren, ziemlich stark fühlbar wurde. Obwohl er als hitzemildernd gilt, stieg die Temperatur heute Nachmittag 2 Uhr doch auf 27,5° C.

Seit wir das Delta des Parnahyba passirt haben, fahren wir längs der vielfach und oft auf weite Strecken unterbrochenen Kette von Sandstein- und Korallenriffen, welche die brasilianische Küste, von hier ab nach Süden zu, 14 bis 15 Breitengrade hindurch umsäumt. Die Sandsteinriffe, welche manchmal Flussmündungen vorgelagert sind, verdanken Wind und Wellen ihre Entstehung. Die Korallenriffe, die gleich den erstgenannten, unfern der Küste liegen und meist schiffbare Kanäle zwischen sich und dem Festlande lassen, haben sich aus sehr wenig Korallenarten aufgebaut, unter anderen aus Spezies von Acanthastraeen und Siderastraeen. Diese Korallenarten sind, soweit bekannt, fast alle Brasilien eigenthümlich. Hartt: Geology and Physical Geography of Brazil. 189 and f. 214. – Verrill: Notes on the Radiata in the Museum of Yale College (Transactions of the Connecticut Academy of Arts and Sciences I. 352, 364 a. f.)

Das von den sechs Mündungen des Parnahyba durchströmte Gebiet hatte sich uns heute Vormittag als ein einziger gelber, flach erscheinender Dünenstreifen präsentirt, über welchem an einzelnen Stellen noch eine dunkle Waldlinie sichtbar wurde. Die nackten Dünen werden die Ostufer, die Mangrovewaldungen die Westufer der Mündungsarme gewesen sein. Vergleiche Wappäus: Das Kaiserreich Brasilien S. 1213, 1214. Nachmittags lag das reizlose, niedrige Land hinter uns und wurde jenseits der langgestreckten Südküste ein ziemlich hoher Berg sichtbar. Abends 6 Uhr stieg vor uns in Südosten die doppelkuppelige Ponta de Jericoácoára in rosa Sonnenuntergangsbeleuchtung empor.

Wir hatten nun die Anfangs östlich, dann südöstlich verlaufende Küste der Provinz Ceará vor uns. Es ist letzteres eine Provinz, welche zwar einen geringeren Flächeninhalt besitzt, als die bisher von uns gesehenen Provinzen, nämlich nur 104 250 qkm Nach Pompeu (O Ceará em 1887 p. 4) berechnet sich der Flächeninhalt auf 157 992 qkm, nach Anderen (l. c. p. 4 Anmerk. 2) auf 200 336 qkm, resp. 111 940 qkm (!)., aber immerhin für sich allein noch die Grösse des Mutterlandes Portugal und seiner Inseln übertrifft. Sie gehört unter die dichtestbewohnten Strecken Brasiliens, da man innerhalb ihrer Grenzen neun Menschen auf den Quadratkilometer rechnet. Wenn auch, wie durchschnittlich in Nord- und Mittelbrasilien, die Mischlingsbevölkerung überwiegt – sie beträgt hier 49 Procent – so sehen wir doch schon gegen die nördlicheren Provinzen eine bedeutende Zunahme des weissen Elementes; dasselbe beläuft sich auf 38 Procent, indessen sich die Neger auf 6 Procent beschränken, die civilisirten Indianer hingegen mit 7 Procent gegen Maranhão wieder zunehmen.

Ceará zählt zu den reinen Camposprovinzen, da von Maranhão angefangen bis zum Rio San Francisco, sieben Breitengrade hindurch, die Campos aus dem Innern Brasiliens bis zum Meere vorstossen. Die Küstenregion Cearás ist niedrig und grösstentheils sandig, hat aber auch fruchtbare Strecken. Landeinwärts steigt das Terrain gegen die Berge zu langsam an. Grasfluren wechseln mit Catingas und anderen Formen des Camposwaldes; auch Sertões, welche sich noch für Viehzucht eignen, sind reichlich vorhanden. Wie die übrigen Camposprovinzen der Küste ist auch Ceará, im Vergleich zu den anderen Küstenländern Brasiliens, arm an Pflanzen- und Thierarten. Das Klima an der Meeresküste zeichnet sich durch grössere Feuchtigkeit und gemässigtere Temperatur vortheilhaft vor dem des Innern aus. Die Jahresisotherme von Fortaleza, welches unter 3º 43' 36'' südlicher Breite liegt, ist 26,6° C, die mittlere Temperatur des wärmsten Monates 30,4° C, des kältesten 23,1° C. Die jährliche Niederschlagshöhe beträgt durchschnittlich 1491 mm; man hat aber auch schon 2500-3000 mm beobachtet. Auf den Herbst, die Monate März bis einschliesslich Mai, entfällt die grösste Regenmenge, doch weisen auch Februar und Juni eine ziemliche Höhe der Niederschläge auf, indessen das Frühjahr am regenärmsten ist Im Innern des Landes zeigt sich ein mehr kontinentales Klima; die Jahresisotherme steigt bis auf 30,8° C; das Mittel des wärmsten Monates ist 35,2° C, des kältesten 26,6° Auf den Hochebenen des Innern, dem Sertão, steigt die Sommertemperatur unter Tags häufig auf 37° C. und sinkt Nachts auf 19° herab. Das Klima ist nicht nur sehr heiss, sondern auch überaus trocken. Die im Januar oder März beginnende Regenzeit dauert bis Juni; eine oft vollständig regenlose Periode charakterisirt die übrigen Monate. Die Wasserläufe vertrocknen, und wenn, was von Zeit zu Zeit zu geschehen pflegt, die Regenzeit ein Jahr oder auch mehrere Jahre hindurch ganz ausbleibt, entstehen Dürren, welche Mensch und Vieh zum Auswandern zwingen oder deren Hungertod verursachen.

An Bord. Küste von Ceará. Donnerstag, den 2. August.

In der Nacht von vorgestern auf gestern hatten wir ziemlich starken Seegang. Gestern früh wurden landeinwärts die schönen Linien der 920 m hohen, aus Granit bestehenden Serra de Maranguape sichtbar. Zu dem graugrünen Hauptton der Berglehne, welchen wohl eine Carrascobekleidung erzeugte, gesellten sich an den Hängen röthliche Färbungen, durch dunkle, scharfbegrenzte Schattenpartien gehoben. Davor lagerte die grell beleuchtete Dünenbildung der öden Küste, welche auf kurze Strecken ein nicht sonderlich üppiger Waldwuchs krönte. Als traurige Staffage diente ein gestrandeter Dampfer der ›Companhia brazileira‹, welcher, trotzdem ihm der ortskundigste Lootse zur Verfügung gestanden, an der ihrer vielen Sandbänke und der hier häufigen Schiffbrüche wegen berüchtigten Küste verunglückte. Nach kurzer Zeit tauchte Fortaleza, die Hauptstadt der Provinz Ceará, auf gelber Düne liegend, am Horizonte auf. Im Westen bildeten in ziemlicher Entfernung Berge den Hintergrund.

Meerwärts von uns trieben sich Fischer auf Jangádas herum, den merkwürdigsten, flossartigen Fahrzeugen, die man sehen kann. Es sind dies aus Bombaceenstämmen hergestellte Flösse, wie deren schon in uralter Zeit bei den brasilianischen Küstenindianern in Gebrauch waren. Jetzt dienen diese primitiven Fahrzeuge den Indianern und Mestizen, längs der Flachküste zwischen Pará und Bahia, sowohl zu Fischereizwecken wie auch zum Personen- und Handelsverkehr. Ladisláo Netto; Investigações sobre a archeologia brazileira. Archivos do Museu Nacional do Rio de Janeiro VI. 314, 315. – Avé-Lallemant: Wanderungen durch die Pflanzenwelt der Tropen. 92. Sie sind durchschnittlich mit Mast, lateinischem Segel, Steuer und einer Bank versehen. Sind die Jangádas sehr klein und ist das Segel eingezogen und die Bank sehr niedrig, so sieht man aus der Ferne überhaupt kein Fahrzeug und hat den Eindruck, dass der fahrende Mann auf dem Wasser sitzt und von den Wellen, die ihm mitunter über die Beine schlagen, direkt gehoben und gesenkt wird. Die absolute Sicherheit, welche diese Art von Fahrzeugen zu bieten scheint, ist nur Täuschung; die kleinen unter ihnen belieben manchmal zu kentern, und verdanken dann die in das Wasser geschleuderten Fischer nur der Schwimmkunst ihre Rettung.

Unser Dampfer hielt auf der offenen Rhede des nur durch ein niederes Riff geschützten, hafenlosen Fortaleza, welches schneeweiss wie eine orientalische Stadt vor unseren Augen emporstieg. Vervollkommnetere Jangádas, als die vorhin beschriebenen, sollten uns an das Land bringen. Jede dieser Jangádas war für zwei Passagiere berechnet, die auf einer Bank Platz zu nehmen hatten, welche sich auf dem höchsten Punkte einer, oberhalb der Flossstämme angebrachten, schiefen Bretterebene befand. Vorn, am Ende dieses Bretterbodens, da, wo unter demselben die Stämme zum Vorschein kamen, erhob sich der Mast, rückwärts stand auf den zusammengebundenen Stämmen eine zweite Bank für die Flossmannschaft. Da unsere Jangádas, über deren niedrig gelegene Theile die Wellen spülten, bedeutend schwankten, hielten wir uns während der kurzen Fahrt an den Bänken fest. Eine energische Woge setzte die Flösse auf den Strand und ehe noch eine zweite nachfolgen konnte, hatten uns feste Arme durch die schäumende Brandung auf das Trockene hinausgetragen.

Gerade oberhalb des Strandes lag eine reizende öffentliche Anlage, in Terrassen ansteigend. Die unteren dieser Terrassen belebte ein charakteristischer Vogel der Camposregion, ein graugefiederter Strauss (Rhea macrorhyncha Sclat.), welcher hier seiner verlorenen Freiheit nachtrauerte. Die oberen Theile der Anlagen schmückten Statuen auf saftiggrüner Blätterfolie. Mongubeiras (Bombax Monguba Mart.) mit grossen, braunen, holzigen Früchten von ovaler Form, breiteten daselbst ihr dunkles Laub. Daneben standen Espinheiros (Mimosa sepiaria Benth.), im südlicheren Brasilien häufig anzutreffende Bäume. Auch fehlten nicht die hier viel verbreiteten, rothblühenden, baumförmigen Pflanzen, welche die Eingeborenen Logura oder Jasmin nennen und welche vermuthlich Bougainvillea pomacea Choisy sein werden. Kleine Bäche durchrieselten den Garten und grossblätterige Araceen deckten an einzelnen Stellen den hellen sandigen Boden.

Es war dies nicht der einzige Garten in Fortaleza. Sehr schöne Privatgärten unterbrachen die Reihen hübscher, frischgetünchter, ein- und zweistöckiger Häuser. Ornamentaler Schmuck zierte die Façaden der Wohngebäude. Wasserspeier, Drachenköpfe darstellend, ragten von den Dächern weit über die gut gehaltenen Bürgersteige in die sauberen, breiten, schnurgeraden Strassen herein und liessen uns einen Spaziergang bei Regen als wenig verlockend erscheinen. Cocospalmen, einzeln oder zu Gruppen und Hainen vereint, hoben bald da, bald dort ihre gefiederten Wedel über die Häusermasse empor. Es fehlten auch nicht einige der merkwürdigen Fächerbananen (Ravenala), und zum ersten Male sahen wir einen Säulencactus (Cercus), eine jener sonderbaren pflanzlichen Gebilde, welche sowohl für die mexikanischen Landschaften, wie für die Campos von Ceará physiognomisch sind. In den äusseren Strassen der Stadt und in den Vorstädten schlossen sich an die gepflegten Häuser und Villen malerische Palmstrohhütten an, wie wir deren am Amazonas gesehen. Den Hintergrund der Strassenperspectiven bildete das blauschimmernde Meer oder die farbenprächtige tropische Gegend.

Gegen Manáos, Pará und São Luiz zeigte Fortaleza mit seinen 30 000 Einwohnern in Beschaffenheit der Häuser und Strassen, was civilisirtes Aussehen betrifft, einen grossen Fortschritt. Die Neger, deren Menge uns in São Luiz aufgefallen war, traten hier an Zahl weit mehr zurück; stattdessen gab es viel Weisse. Auch einige braune, schlitzäugige Indianer mit vortretenden Jochbeinen, bemerkten wir auf den Strassen, während uns in der Hauptstadt Maranhãos auch kein einziger zu Gesicht gekommen, obwohl ganz in der Nähe auf der gleichen und gleichnamigen Insel noch einige Osttupí ihre Wohnsitze haben. Welchem Stamme die Indianer zugehörten, die uns in und bei Fortaleza begegneten, brachten wir nicht in Erfahrung. Die an der Küste Cearás wohnenden Indianer, sind Tupí, aber nicht mehr reiner Rasse; die landeinwärts ansässigen sind Cayriri, somit Angehörige eines Stammes, welchen man gegenwärtig in keine der acht Hauptindianergruppen Brasiliens einordnet. Es werden ausserdem für Ceará noch etwa zwölf Stämme oder Horden erwähnt, von denen ungefähr die Hälfte als Nichttupí bezeichnet ist, indessen über die Gruppenzugehörigkeit sämmtlicher auch nicht der geringste positive Aufschluss gegeben wird. Pompeu: O Ceará em 1887. p. 183, 262, 275, 281, 282. – Moreira Pinto: Apontamentos para Diccionario Geographico do Brazil I 55, III 229, V 197e, 346, – Moura: Diccionaro geographico do Brazil II 720. – Diese Indianer scheinen aber heutigen Tages theils gar nicht mehr zu existiren, theils sich nicht unvermischt erhalten zu haben.

In Fortaleza wurden wir zum ersten Mal in Brasilien an Griechenland und Nordafrika erinnert. Der Himmel war dunkelblauer als am Amazonas und die Vegetation minder üppig, die Strassen und Plätze waren öder, sandiger und sonnenverbrannter. Die Stelle der Mauritien mit ihren fächerförmigen Wedeln hatten die Cocospalmen eingenommen, welche durch ihre gefiedert zertheilten Blätter im Habitus den Dattelpalmen der Mittelmeerküste näher kommen. Auch die vielfach weissen, einstöckigen Häuser und die auf den Strassen sich bewegenden weissgekleideten Leute mit weissverhülltem Haupte, von denen viele zu Pferd oder zu Esel sassen, gemahnten an südliche Breiten der alten Welt. Endlich der Hintergrund der ganz orientalisch aussehenden, von dichtem Grün eingefassten Strasse, welche durch das nahe Bemfica führt und schnurstracks auf einen kuppigen Berg zuläuft, rief uns geradezu eine Strasse Korinths mit Akrokorinth als Abschluss des Bildes in das Gedächtniss zurück.

Da inzwischen unser Dampfer sein Auslaufen vom Tag der Ankunft auf den folgenden verschoben hatte, kehrten wir schleunigst an Bord zurück, uns für einen Ausflug nach Maranguape mit Uebernachten daselbst zu rüsten. Die Rückfahrt nach dem Schiff, das heisst das Abstossen der Jangáda bei heranrollender Fluth, war noch aufregender als das Ausschiffen etliche Stunden vorher. Nachdem einige stämmige Leute das Floss mühsam in das seichte Wasser geschoben hatten, und wir durch den Gischt auf unser Fahrzeug hinübergetragen worden waren, galt es, vom Strande abzukommen. Hierin bestand die Schwierigkeit. Eine Brandungswelle nach der anderen wusch über unsere Jangáda hinweg, nur die Bänke verschonend, und mehrmals wurde letztere wieder gegen die Flachküste geschleudert, ehe es uns gelang, tieferes Fahrwasser zu gewinnen. Am aufregendsten aber war unsere dritte Jangádafahrt, diejenige vom Dampfer an das Land zurück, da wir bei derselben fast gekentert wären. Der hohe Mast unseres Flosses blieb nämlich in der Takelung des Dampfschiffes hängen, während die mächtige Dünung den Jangádakörper selbst landwärts zerrte und immer bedenklicher aus der Horizontale brachte. Erst beispringende Matrosen an Deck der Maranhão und ein kräftiger Ruck unseres Fahrzeuges befreiten uns aus dieser zum mindesten unangenehmen Lage.

Nachmittags 4 Uhr verliessen wir Fortaleza mit dem Zug nach Maranguape, einem landeinwärts, am Fusse der gleichnamigen Serra gelegenen Städtchen, welches sich eines besonders feuchten Climas erfreut. Pompeu l. c. p. 104. Diese 28 km lange Eisenbahnfahrt, die unsere erste in Brasilien war, flösste uns gerade keine grosse Achtung vor dem brasilianischen Bahnbetrieb ein. Mitten unterwegs, auf einer unbedeutenden Steigung, blieb unsere Lokomotive stehen. Es war ihr der Dampf ausgegangen, ein Ereigniss, welches sich nach Aussage unserer eingeborenen Mitreisenden tagtäglich wiederholt, und welches letztere mit den ironischen Worten begrüssten: »Está cansada« (Sie ist müde). Diese Bahn, deren Bau zum Theil dazu diente, der 1878 durch Dürre und Hungersnoth aus dem Innern des Landes vertriebenen Bevölkerung Arbeit zu verschaffen, Moreira Pinto: Apontamentos para o Diccionario etc. III. 230. brachte uns in die uns noch fremde Camposwelt hinein. Der Küstenwald, den wir zunächst zu durchqueren hatten, war ganz hübsch, aber mit der prachtvollen Hylaea durchaus nicht zu vergleichen. Ihm folgte ein die ganze übrige Gegend bedeckender Cerrado oder Carrasco, ein Buschwald, welcher, da es Winterszeit, vielfach seine Blätter abgeworfen hatte. Den überaus öden landschaftlichen Eindruck, den diese laublose Gestrüppvegetation namentlich in uns hervorrief, die wir geradewegs vom Amazonas, aus der üppigsten Pflanzenwelt der Erde kamen, konnten die dem Gestrüpp hoch entragenden Palmen nur einigermaassen mildern. Viele Säulencacteen (Cereus) streckten ihre phantastischen Stengelglieder und Seitenäste weit in die Luft hinaus. An der ersten Eisenbahnstation wuchsen Anonaceen und Genipapeiros (Genipa americana L.). Weiter landeinwärts erschienen neben den Catolés (Cocos comosa Mart) mit ihren mageren Kronen, die vornehmen Carnaúbas (Copernicia cerifera Mart.), mit ihren fächerförmigen Blättern und spiralig den Stamm hinauf angeordneten Stachelreihen. Es waren letztgenannte Palmen die berühmten Wachspalmen Brasiliens, welche ihr Hauptvaterland in Ceará haben. Nicht genug, dass der Absud ihrer Wurzeln als Arzneimittel, ihre Stämme als Bauholz, ihre Blätter zum Dachdecken, die Fasern derselben zu Flechtwerk, Mark. Blattknospen und Früchte als Nahrungsmittel dienen, liefern sie auch noch als charakteristischstes Produkt ein aus den Blättern zu gewinnendes, vielfach zu Lichtern verwendetes Wachs. Von diesem Wachs, das sowohl in der Provinz selbst verbraucht, wie nach dem übrigen Brasilien und bis nach Europa ausgeführt wird, verschafften wir uns an einer der Stationen eine Probe in Gestalt einer kleinen, graugrünen Kerze.

Carnaúbapalmen. (Nach Reclus.)

An Nutzpflanzen und Kulturen bemerkten wir auf unserer Fahrt nach Maranguape, ausser obengenannten, noch Cajueiros oder westindische Nierenbäume (Anacardium occidentale L.), Mandioca und Baumwollfelder, Kaffee- und etliche Zuckerrohrplantagen, in deren Nähe Engenhos errichtet waren. Den Hauptausfuhrartikel Cearás bildet die Baumwolle, von der in Brasilien mindestens drei Arten einheimisch sind. Mehr noch als in Ceará wird sie in den nahegelegenen Provinzen Parahyba do Norte, Pernambuco und Alagòas kultivirt, gedeiht aber so ziemlich überall im Lande. Sie ist ein Kulturgewächs, welches, neben dem Tabak, am besten die längeren Dürren übersteht. Man schätzt die brasilianische Gesammtproduktion an Baumwolle im Durchschnitt auf jährlich ca. 40 Millionen Kilogramm; der Export erreichte im Jahre 1887 die Höhe von 23 Millionen Kilogramm.

Je näher wir den Bergen kamen, desto anziehender wurde die Gegend. Der hässliche, verdorrte Zwergwald trat mehr zurück und ein so reizendes Bild tropischer Landschaft entwickelte sich vor unseren Augen, wie wir es in Ceará nicht erwartet hatten. Einige kleine Seen mit flachen Ufern breiteten ihre spiegelglatte Wasserfläche aus; Gruppen malerischer Carnaúbapalmen, deren schlanke Stämme sich anmuthig zueinander neigten, umringten und beschatteten die stillen Gewässer; im Hintergrund bildete ein Halbkreis schöner Berge den Abschluss des künstlerisch tadellosen Bildes. Vor uns stieg die aus Granit bestehende, 780 m hohe Serra de Aratanha empor, zu unserer Rechten die prächtige Serra de Maranguape, beides Gebirge, welche sich sowohl durch ihr angenehmes Klima wie durch die Güte ihres Bodens für Kaffeekultur auszeichnen. Namentlich der auf letztgenannter Serra erzeugte Kaffee gilt als vorzüglich und hat schon seinen Weg auf den europäischen Markt gefunden.

Immer tiefer drangen wir zwischen diese beiden Serras hinein in das von ihnen halbumschlossene Thal, welches uns, von seiner tropischen Vegetation abgesehen, an die am Bodensee liegende Partie des oberen Rheinthales erinnerte. Noch galt es, einen vollständigen Hain von Wachspalmen zu passiren, dann lag am Fuss des gleichnamigen Bergzuges das durch seine Orangenkultur ausgezeichnete Städtchen Maranguape vor uns.

Obwohl Maranguape 12 000 Einwohner zählt, entbehrt es jeglichen Gasthofes. Somit fanden wir Unterkunft in einem Privathause, woselbst uns Hängematten angewiesen wurden, die für gewöhnlich Negern als Schlafstelle dienen. Die sonstige Einrichtung der Zimmer war höchst einfach und primitiv doch all das kümmerte uns wenig; bitter war nur, dass der Hausherr, nachdem wir seit 10 Uhr Morgens nichts mehr über die Lippen gebracht, uns bis Abends 9 Uhr auf eine Labung warten liess. Wir betäubten unsere knurrenden Magen durch einen Spaziergang gegen den Fuss des Berges zu, zwischen Palmstrohhütten und einer farbigen Bevölkerung hindurch. Unser Erscheinen setzte halb Maranguape in Aufregung, ein Zeichen, wie selten Ausländer und namentlich Ausländerinnen diesen Ort besuchen. Zudem waren wir überhaupt schon als reisende Damen etwas Unerhörtes, da die Brasilianerinnen der besseren Klassen fast auf orientalische Weise von der Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden.

Die schönen Ochsen, welche uns allenthalben begegneten und die von ihren mageren Brüdern am Amazonas vortheilhaft abstachen, gemahnten uns an die immerhin bedeutende Viehzucht des Innern der Provinz. Sechs- bis zehnköpfiges Ochsengespann bekamen wir gestern und heute des Oefteren zu Gesicht. Auch an Pferden mangelte es nicht, und fast die ganze Bevölkerung war beritten. Die Viehzucht Cearás wird, ausser durch die Dürren, übrigens noch durch einen anderen, merkwürdigen Feind bedroht. Es sind dies die Unmengen von Fledermäusen, welche tagsüber in den Felsenhöhlen hausen und dann, bei Dunkelheit ausflatternd, durch ihre grosse Anzahl schreckliche Verwüstungen unter den Viehheerden anrichten. Ayres de Cazal: Corographia brazilica II. 199.

Maranguape. (Nach Natur skizzirt von der Verfasserin, ausgeführt von B. Wiegandt.)

Eine südlich warme Sonnenuntergangsbeleuchtung auf der dünnbewachsenen Serra de Aratanha, ein rother Sonnenblick auf der Spitze der Serra de Maranguape, dies waren die letzten genussreichen Eindrücke des gestrigen Tages. Rings um uns ragten Cocospalmen auf und auch das weite Thal zwischen den beiden Gebirgszügen war palmengeschmückt

Heute früh 5 Uhr brachen wir auf zu einem Ausfluge nach der Serra de Maranguape. Da die bestellten Pferde nicht eintrafen, setzte sich unsere kleine Gesellschaft zu Fuss in Bewegung. Blendender Mondschein erhellte den Pfad, doch bald begann es langsam zu tagen. Der Anstieg führte uns an Indianerhütten vorbei und zwischen blätterlosem Carrasco und hässlichen Feldern gelbblühender Baumwollstauden Gossypium religiosum L. (?) hindurch. Der sehr unebene, staubige Fusssteig hatte den Charakter eines Gebirgspfades in Südeuropa, Der bis oben buschbewachsene Berghang selbst war zerrissen wie die Abhänge der griechischen Berge es sind. Einzelne palmenumgebene Teiche lagen am Weg. Catolés (Cocos comosa Mart.) und andere Cocospalmen erschienen wie Riesen inmitten des Halbwaldes. Ein paar Mulatten und Indianer kamen an uns vorbei, auf dem Abstieg nach der Stadt begriffen.

Die Dämmerung dauerte über dreiviertel Stunden. Nur kurz war der Himmel mit einer dunklen Röthe übergossen, dann blasste er in gelben Tönen ab, und schon war das Firmament zum Tagesblau entfärbt, als der feurige Sonnenball machtvoll in die Höhe schoss. Wegen seiner in diesen Breiten fast senkrechten Bahn entfernte er sich in einer uns Nordländern ungewohnten Raschheit vom Horizont.

Ochsenfuhrwerk.

Die fremde Landschaft lag entschleiert vor unseren Blicken. Uns zu Füssen, nach Norden und Nordosten dehnte sich bis zum Meere die vegetationsbedeckte Ebene, in einen violetten Schimmer getaucht. Im Osten und Süden stieg die ebenfalls violettlich angehauchte Serra de Aratanha empor. Im Westen, hinter und neben uns, dachten sich die palmenbewachsenen, rosenroth erglühenden Hänge der Serra de Maranguape gegen das Thal zu ab. Der leise Anklang an griechische Bergbeleuchtungen war nicht zu verkennen, doch fehlten hier wegen der Alles überwebenden Vegetation die intensiven Farbentöne hellenischer Lande.

Gegen acht Uhr erfolgte die Rückfahrt nach Fortaleza. Wir waren inzwischen um ein lebendes Gepäckstück reicher geworden. Auf dem Wege zur Bahn nämlich hatte ich in einem Verkaufsladen, dessen Thüren weit offen standen, ein reizendes Nagethier, einen Mocó (Cavia rupestris Wied) bemerkt und gestreichelt Eine Viertelstunde später brachten uns einige fremde Herren in echt brasilianischer Liebenswürdigkeit das Thierchen zum Geschenk auf die Station nach. Es ist dieses Thier ein zutrauliches, völlig schwanzloses kleines Geschöpf von circa 27 cm Länge; sein Pelz ist von der Farbe desjenigen unseres Hasen, seine Ohren sind niederig, seine Bewegungen weit lebhafter und graziöser als die unseres Gemeinen Meerschweinchens. Seine Heimath ist die steinige, felsige Serra der nordöstlichen Camposregion, woselbst es sein munteres Wesen treibt, aufwartet und, dank seiner ziemlich hoch gestellten Beine, in grossen Sprüngen über den Boden hinwegsetzt.

In Fortaleza erging es uns noch schlimmer, als in Maranguape. Während wir auf einen Tramwagen warteten, entstand über unsere, wie es scheint, etwas exotische Erscheinung, ein wahrer Volksauflauf. Polizisten suchten ihn zu zerstreuen, doch da dies vergeblich war, hiessen sie uns in ein Verkaufsmagazin eintreten, um unseren Anblick dem gaffenden Volke zu entziehen. In der Menge hatten wir einen Neger bemerkt, der an Elephantiasis Graecorum, dem echten Aussatze, litt. Es war bei ihm bis jetzt keine Gliederverstümmelung eingetreten, doch äusserte sich der Aussatz dadurch, dass die beiden Füsse und jede einzelne Zehe mit grauweissen Flecken oder Geschwüren eingefasst waren. Diese entsetzliche Krankheit, welche in Brasilien hauptsächlich die Neger befällt, aber auch die Weissen nicht verschont, kommt zwar im ganzen Lande vor, jedoch häufiger im Innern als an der Küste.

Der zum Strande hinunterfahrende Tram erlöste uns endlich aus unserem Belagerungszustande. Doch kaum hatte ich im Wagen Platz genommen, meinen provisorisch in einer Mausefalle untergebrachten Mocó auf dem Schooss, als mich der Schaffner wegen des Thieres nöthigen wollte wieder auszusteigen. Die gefährliche tropische Mittagssonne brannte unbeschreiblich glühend herab, kein Schatten weit und breit, zudem drohte die nun an Stelle der Wagenfahrt notwendig werdende Fusswanderung uns den Dampfer versäumen zu lassen. Die Lage war kritisch. Flehende Worte erweichten endlich das Herz des brummenden Mannes, und die Condessa, als welche ich unter den Schiffsgenossen bekannt war, durfte mit ihrem Thier die Trambahn bis zum Meere hinunter benutzen.

Kurz nach Mittag lichtete die ›Maranhão‹ die Anker und verfolgte neuerdings ihren Kurs nach Süden. Das schneeweisse Fortaleza, auch kurzweg Ceará genannt, kam durch die Vorwärtsbewegung des Schiffes scheinbar an den Fuss der Serra de Maranguape mit ihren vornehm langen Linien zu liegen und bot solcherweise ein reizend malerisches Bild, Nach und nach verschwanden die Berge, und nur eine trostlos flache und einförmige Sandküste aus grellgelben Dünen begrenzte den Horizont. Abends sandte uns ein von Strandbewohnern angezündetes Feuer und der an der Barre des Rio Jaguaribe gelegene Leuchtthurm von Aracaty die letzten Grüsse der interessanten Camposprovinz Ceará herüber.

Fortaleza, mit einer Jangáda im Vordergrund. (Nach Natur skizzirt von der Verfasserin, ausgeführt von E. Beninger.)


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