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Kapitel VIII.
Auf dem Amazonas.

An Bord der »Pará«. Freitag, den 20. Juli.

Nach herzlichem Abschied von unseren fürsorgenden Wirthsleuten, einem Franzosen und einer Pfälzerin, schifften wir uns gestern Nachmittag auf dem Dampfer »Pará« der »Companhia de Navegação do Amazonas« ein, um nach derjenigen Stadt zurückzukehren, welche den gleichen Namen wie der Dampfer trägt. Das brasilianische Schiff, das wir diesmal zu unserer Stromfahrt wählten, ist wohl weit weniger bequem, als das englische, welches uns herbrachte. Doch hat es, entgegen dem Liverpooler, den für uns Wissensdurstige unbezahlbaren Vortheil, den Lokalverkehr zu vermitteln und folglich an vielen Stationen zu halten und allerhand Seitenwege einzuschlagen, an welchen der überseeische Dampfer stolz vorüberfährt. Zudem sind die Mitpassagiere ausschliesslich Brasilianer, und hören und sehen wir auf diese Weise Manches über brasilianische Sitten. Auch ist die Küche vollständig einheimisch und lernen wir sie hier weit besser kennen, als in den europäisch beeinflussten Gasthäusern. Bis auf die Bananen, welche wir in allen Gestalten, gebraten, als Pudding und als Compot erhalten, munden die Leistungen dieser Kochkunst unserem Gaumen im Ganzen zwar sehr wenig. Sie munden uns sogar so wenig, dass wir mitunter in unserer Cabine eine Nachmahlzeit mit Vorräthen halten, welche unsere voraussehende Wirthin von Manáos uns als Wegzehrung mitgegeben. Doch da das Studium der landesüblichen Küche auch zur Kenntniss eines Landes gehört, unterziehen wir uns willig diesen kulinarischen Erfahrungen. Ueberdies steht neben dem Weizenbrode oder an Stelle desselben stets ein Teller mit Farinha auf dem Tische und ist dieses Mandiocamehl, welches mit den Fingern kunstreich in den Mund geworfen wird, eine auch uns immer geniessbar scheinende Nahrung.

Pünktlich um fünf Uhr Nachmittag verliess gestern unser Dampfer Manáos, welches mit seinen Palmen, Igarapés und malerischen, mit Indianerfamilien besetzten Cobertas, Batelões und Igarités bald unseren Blicken entschwunden war. Terra firme begleitete uns flussabwarts zur Linken, Igapé und Vargem zur Rechten; die den geschlossenen Wald überragenden Palmwipfel zeichneten sich als dunkle Wellenlinie gegen den Abendhimmel ab. Einige Furos durchschnitten die keilförmig die zwei Ströme trennende Landspitze. Nach einer Stunde Fahrt fand im Süden das rechte Ufer des Rio Negro sein Ende, und es öffnete sich der Ausblick auf den Solimões. Wolkig drang das gelbe Wasser des Hauptstromes gegen das braunschwarze des gleichwertigen Nebenstromes vor. Eine Strecke weit wälzten sich die verschiedenfarbigen Fluthen, welche in sehr spitzem Winkel zusammen getroffen waren, unvermischt nebeneinander dahin. Später, nachdem der Solimões einerseits und der Rio Negro andererseits noch eine grosse Insel umflossen hatten, waren die Wasser des schwarzen Stromes braun, die des gelben Stromes schwach dunkler geworden, und bald setzten sie, gründlich durcheinander gemischt, als Amazonas gemeinsam die Reise meerwärts fort. Einzelne indianische Palmstrohhütten blickten vom Ufer friedlich auf das gewaltige Strombild. Die Sonne verglühte in feurigerem Roth als an all den letzten Tagen, später goss sich verklärendes Mondlicht über die einsame tropische Landschaft.

Nachts hielten wir vor Itacoatiára, woselbst uns das versprochene Geschenk des dortigen Missionärs, mit welchem wir die Hinreise nach Manáos zurückgelegt hatten, an Bord gebracht wurde. Es ist dies eine äusserst kostbare anthropomorphe Urne, welche aus einem prähistorischen Grab in der Nähe Maués, von der Südseite des Amazonas, stammt und einen eigentümlichen, breiten Gesichtstypus zeigt, wie einen sehr ähnlichen einige der in Teotihuacan bei Mexico gefundenen, kleinen toltekischen Thonmasken aufweisen. Die Aehnlichkeit der keramischen Alterthümer der Amazonasgegenden mit den keramischen Arbeiten der Tolteken wird auch von Ladisláo Netto (Le Muséum National de Rio de Janeiro p. 64, 65) erwähnt. – Siehe auch Ladisláo Netto: Investigações sobre a archeologia brasileira (Archivos do Museu do Rio de Janeiro, VI. 417.

Heute früh 7 Uhr stand das Thermometer bei etwas bedecktem Himmel auf 25° C.

Wir setzen unsere bisherigen anthropologischen Studien auch auf dem Dampfer fort, da die Schiffsmannschaft hierzu Gelegenheit bietet. Es befinden sich unter den Matrosen sowohl Mestizen wie reinrassige Indianer. Einer der ersteren ist ein Cariboco, das heisst ein Mischling von Negern und Indianern, es herrscht bei ihm jedoch der indianische Typus vor, der sich in diesem Fall durch tiefliegende Nasenwurzel, dürftigen Schnurrbartansatz und noch andere Merkmale äussert. Dieser Cariboco hat nichts so Ansprechendes wie einige auffallend hübsche Mamelucas, Töchter von portugiesischen Vätern und indianischen Müttern, welche wir gerade in den letzten Tagen gesehen haben. Die als Matrosen an Bord befindlichen Indianer sind peruanische; sie haben auffallend gelbbraune Hautfarbe, rabenschwarzes, schlichtes Haar, ein knochiges Gesicht und, wie viele ihrer Rasse, ein zurücktretendes Kinn.

Unsere Pará dampfte heute den ganzen Tag der von Maué bewohnten Rieseninsel Tupinambaránas entlang, bald in diesen, bald in jenen Paraná einlenkend, bald an diesem, bald an jenem Sitio haltend. Die Sitios, deren Besitzer durchschnittlich Weisse waren, bestanden meistens nur aus einer Hütte, selten aus zwei. Ueberall wurden Cacaosäcke geladen, in Yricurituba auch Kautschuk und Schildkröten. Die Bedeutung der Cacaoproduktion in der Amazonasniederung kam uns heute durch Augenschein deutlich zum Bewusstsein. Thatsächlich ist die Hylaea mit ihrem warmfeuchten Klima und ihrem weichen Alluvialboden für diese Kultur geeigneter als alle anderen Landstriche Brasiliens, und ist der Cacao nach dem Kautschuk der Hauptexportartikel aus dem Hafen von Pará. Die Ausfuhr belief sich in diesem ersten Halbjahr auf nahezu 3 Millionen Kilogr. im Werthe von 1429 contos 1888 hatte 1 brasilianischer Milreïs den Werth von 2,26-2,28 Mark deutscher Währung; 1429 contos waren somit e. äquivalent mit 3 269 836 Mark.. Die Cacaokultur ist fast mühelos und sehr einträglich; der Chocoladebaum trägt dreijährig die ersten Früchte und bleibt 50-80 Jahre lang ertragsfähig. Man kann jährlich zwei Ernten erzielen, von jedem Baum bis zu 10 Kilogr. Bohnen, welch letztere einfach auf Matten in der Sonne getrocknet werden. Aus der weissen Pulpa, in welcher die mandelartigen Samen eingebettet liegen, bereitet man an Ort und Stelle eine wohlschmeckende Gelée, die auch wir, in anbetracht der kaum geniessbaren Kost an Bord, zum Betäuben unseres Hungergefühles schätzen lernten.

Anthropomorphe Urne von Maués. (Im Besitz der Verfasserin.)

Einige der an den Stationen am Dampfer anlegenden Boote waren mit Tapuios besetzt, braunen Leuten mit schönem, pechschwarzem Haar, welche manchmal laden halfen. Nachmittags gestaltete sich das linke Stromufer mit seinen urwaldumrahmten Buchten und seinen rothen, urwaldgekrönten Sandsteinhügeln sehr malerisch. Als Staffage diente diesem Tropenbilde eine Canoa, in der indianische Insassen Schildkrötenjagd betrieben. Später, im Paraná do Mocambó, sahen wir eine andere von Indianern besetzte Canoa, in welcher ein Mann vorn am Bug aufrecht stand, Bogen und Pfeil in der Hand um Fische zu schiessen. Es konnte sich hier nur um kleinere Fische handeln, da die grösseren harpuniert zu werden pflegen. Ausser auf den soeben genannten zwei Arten wird den Fischen, dieser Lebensbedingung der Amazonasindianer, auch noch mittelst Angeln, Netzen, Reusen, Vergiften der Gewässer und endlich durch tragbare oder feststehende Hürden, welche die Wasserläufe sperren, erfolgreich nachgestellt. Silva Araujo: Diccionario do Alto Amazonas. 31. – Martius: Beiträge zur Ethnographie etc. I., p. 610 u. ff.

Um 1 Uhr Nachmittag erreichte die Temperatur die Höhe von 29° C. Die Thalfahrt war auf dem Amazonas weniger heiss, als die Bergfahrt, da wir immer erfrischenden Gegenwind aus Osten hatten. Doch sobald der Dampfer stoppte und der Luftzug weniger fühlbar war, wurde die Hitze sofort unerträglich. Ausserdem bedrückte uns die entsetzliche Feuchtigkeit, welche in der ganzen Amazonasgegend herrscht, und die so gross ist, dass man nichts vor ihr zu bewahren vermag. Gepappte Gegenstände lösen sich auf, Photographien verderben und Medicamente in fester Zucker- und Pulverform schmelzen oder werden in kürzester Zeit unbrauchbar.

An Vögeln bemerkten wir heute zwei grosse, grau, schwarz und weiss gefiederte Reiher, von denen der eine fischte, der andere vorüberflog und die uns als Magoarý (Ardea cocoi L.) bezeichnet wurden, ferner einen schneeweissen Reiher, der wohl Ardea egretta Gm. gewesen ist, eine auf einem schwimmenden Holze sitzende Möve, welch ersteres nebst vielen Grasinseln und Baumstämmen den Strom heruntertrieb, schliesslich zwei Aráras, die im Fluge sich durch ihren glänzend rothen Körper und ihre sattblauen Schwingen deutlich als Ara macao L. erkennen liessen.

Gegen Abend dampften wir vom Sitio Santa Luzia wieder etliche hundert Meter stromaufwärts, um in Fortaleza eine Familie an Bord zu nehmen, und setzten dann unseren Kurs den Amazonas hinunter fort nach Parentins, welches in Mondlicht gebadet vor uns lag. Unsere »Pará« stoppte inmitten des Stromes, mit Mühe sich auf der Höhe der Stadt erhaltend; von Ankerwerfen war keine Rede, da der Amazonas an dieser Stelle zur Zeit vielleicht sechzig Faden Etwa 100 Meter. tief sein mochte. Jetzt, da das Schiff stille stand, gelangte uns die Riesengrösse des Amazonas erst wieder zu vollem Bewusstsein und waren wir überwältigt von der Grossartigkeit des Strömens dieser ganzen, ungeheueren Wassermasse, welche in einer Länge von mindestens zweidrittel Breite des nördlichen Südamerika und in mehr oder minder gleich bleibender, seeartiger Uferweite, wellenschlagend, wirbelnd, schäumend, majestätisch dem Meere zustrebt. Vor uns und hinter uns grenzte die endlose Wasserfläche an den Himmel. Ausgedehnte Grasinseln, einige thierbewohnt, schwammen, von den Fluthen mitgenommen, unaufhaltsam thalwärts; von einer derselben tönte ein ganzes Grillenkonzert durch die Nacht zu uns herauf.

An Bord. – Samstag, den 21. Juli.

Nachts fiel etwas Regen und wurden wir durch den Zusammenstoss unseres Dampfers mit einer im Bugsirtau geführten Lancha aus dem Schlaf geschreckt. Später, bei Tageslicht, zeigte sich, dass die Lancha am Bug Havarie erlitten hatte. Um 9 Uhr früh wurde die unmittelbar vom Ufer aus aufsteigende Serra de Trombetas sichtbar, ein durchweg bewaldeter, mässiger Höhenzug, welcher gerade in satten Farben erglühte. Am südöstlichen Ende der 10 km langen Serra tauchte Obidos auf, ein Städtchen von etwa 2500 Einwohnern, in welchem wir, dank dem Aufenthalt unserer »Pará«, an das Land gehen konnten. Am Strand lag eine ganze Flottille indianischer Boote aller Arten und Grössen und war ein ganzes indianisches Zeltlager aufgeschlagen. In den Zelten und um dieselben hockten Männer, Weiber und Kinder und wurde gekocht und gearbeitet. Es war ein buntes, malerisches Bild echt amerikanischen Lebens. Unter Anderen befand sich da eine ganze Familie von Indianern, welche amazonasaufwärts am Rio Sacurí Es ist zwar in keinem geographischen Werk der Rio Sacurí verzeichnet, auch weiss man in Pará nichts von der Existenz eines solchen, doch da es z. B. in der Ererégegend Palmen des Namens Sacurí gibt (Boletim do Museu Paraense I. 267), dürfte dieser Name wohl richtig sein. Oder sollte es sich um den Rio Secundury, Sucundury, einen Quellfluss des Rio Canumá handeln? ihre Wohnsitze hatten. Sie zeichneten sich durch bronzebraune Hautfarbe, breite, flache Gesichtszüge, ziemlich enge Augenlidspalten und prachtvolles Haar aus. Im Orte selbst begegneten wir einem Indianer mit mehr chinesischem Typus, fast gelber Färbung der Haut, verschwindend kleinen Augen, vortretenden Jochbeinen und, von diesen an, nach abwärts spitz zulaufendem Gesicht Indessen fiel uns auf, dass es hier schon viel mehr Neger gab als stromaufwärts. Es war dies für uns keine erfreuliche Bemerkung, denn wenn man sich an das vornehm zurückhaltende Wesen der Indianer gewöhnt hat, berührt das haltlose, fast katzen- oder affenartige Gebahren der Neger unangenehm. Kaum wird Irgendjemand beide Rassen beobachtet haben, ohne genau zu wissen, welche von beiden die höherstehende ist, wenn er auch wird zugeben müssen, dass die grössere Gutmüthigkeit und die leichtere Art des Verkehrens auf Seite der schwarzen Rasse liegt.

Wir wanderten durch die Strassen des hübsch gelegenen Städtchens. Sie zogen sich hügelauf und hügelab, waren sehr schmutzig und ungepflegt und hatten, wie diejenigen aller nordbrasilianischen Städte, ein entsetzliches Trottoir. In einem Hause sahen wir einen zahmen Goldhasen (Dasyprocta) und als Käfiggefangenen einen Rouxinol (Icterus chrysocephalus L.), einen sehr hübsch singenden Troupial mit orangegelb und schwarz durcheinander gemischtem Gefieder welcher seine Heimath am Rio Negro, überhaupt an der Nordseite des Amazonas hat. Wir kauften in einem Laden einige indianische Erzeugnisse, nämlich moderne Thonschüsseln und ein Paar der charakteristischen Strohfächer zum Feueranfachen. Siehe weiter oben Abbildung S. 133. Dann versuchten wir in den nahen, struppigen Wald einzudringen, der uns sehr reich an Vögeln zu sein schien.

Nach zwei Stunden Aufenthalt setzte unser Dampfer seine Fahrt stromabwärts fort. In der Nähe von Obidos zeigte sich eine, Paturi genannte, hochbeinige, langhalsige Ente mit dunkelbefiederter Unterseite, rostbraunen Flügeln, hellgefärbtem, mit dunkler Calotte geschmücktem Kopf und rothem Schnabel. Dieser Entenvogel, welcher jedenfalls nicht der Spix'sche Paturi (Nettion brasiliense Gm.) gewesen sein konnte, war sicherlich die Dendrocycna discolor Scl. et Salv.

Wir hatten in Obidos eine brasilianische Offiziersfamilie mit drei derselben gehörigen Affen an Bord genommen. Es sind dies ein Macaco de cheiro (Chrysotrix sciurea L.), ein intelligentes, aber scheues und bösartiges Aeffchen mit grau- und gelblich-braunem Pelz und hellem Gesicht; ein junger Sahuý (Hapale jacchus L. var. albicollis Spix), ein gelbgrau dicht behaartes, winziges Thier mit weissem Hinterkopf und weissen, langen, fächerförmigen Haarpinseln vor und hinter den Ohren, welches gleich einer Fledermaus zwitschert und, den Schweif abgerechnet, kaum 12 cm Länge misst, so dass seine Herrinnen es in die Kleidertaschen stecken können; endlich ein Macaco barrigudo (Lagothrix cana Geoffr.) von ca. 70 cm Körperlänge, ein rein grauer Affe mit kurzem, wolligem Pelz, dunklem Kopf und Negerphysiognomie, welcher in seinem Wesen vortheilhaft von Affen anderer Arten absticht. Er sucht niemals zu beissen, hat ruhige langsame Bewegungen, ist sanft und melancholisch, dabei zuthulich wie ein Kind. Wir hatten bald Freundschaft geschlossen. Nun liegt er mit Vorliebe vor meiner Cabine und lässt sich von mir anstandslos herumtragen, indessen er, vertrauensvoll seinen Kopf an meine Schultern schmiegend, seine Arme fest um meinen Hals schlingt. Setze ich ihn dann wieder auf den Boden, so ist er geradezu unglücklich. Seine Gebieterinnen lassen ihm die gleiche Behandlung angedeihen, wie die brasilianischen Indianerinnen und Negerinnen ihren Sprösslingen; statt ihn nämlich, wie ich es thue, auf den Arm zu nehmen, tragen sie ihn auf ihren Hüften reitend. Schade, dass diese wirklich sympathischen Affen, welche auf das Amazonasgebiet beschränkt zu sein scheinen, so zart sind, dass man sie selten lebend den Strom hinunter bis Pará Dies wird in neuester Zeit widersprochen, siehe Goeldi: Os mammiferos do Brazil 40., noch seltener natürlich nach Europa zu bringen im Stande ist.

Unterhalb Obidos fuhren wir durch den Paraná gleichen Namens, dessen Ufer entlang ein ganzer Gürtel von Ambaúba (Cecropia) sich erstreckte, denen an vielen Stellen Cana-rana vorgelagert war. Dieser schmale Stromarm rief den Eindruck hervor, sehr bewohnte Ufer zu haben, bald rechts, bald links gewahrte man eine einzelne Hütte. Der Wald hier, welchen schön blauroth und gelbroth blühende Bäume Es könnten dies vielleicht Korallenbäume (Erythrina L.) gewesen sein, von denen einige Arten ihren Standort am Amazonas haben, so z. B. die gelblich blühende Erythrina glauca Willd. und die hochroth blühende Erythrina corallodendron L. schmückten, war theilweise gelichtet und einzelne kleine Campos zogen sich bis an das Wasser vor. Als der ziemlich enge Paraná sein Ende gefunden, steuerte unser Dampfer unmittelbar in den ebenfalls auf der Nordseite befindlichen Paraná von Alemquer hinein. Hier war es zauberhaft schön. Die Waldwände zu beiden Seiten rückten ganz nahe gegeneinander zu, phantastische Schlingpflanzenlauben bekleideten den Waldesrand. Paó mulato (Calycophyllum Spruceanum Hook. fil.), Mungúbas (Bombax Munguba Mart.), jedoch wenig Palmen erhoben sich dahinter. Andirá uschí, fast blätterlose, über und über mit rothen Blüthen bedeckte Bäume, zweifellos eine Spezies Wurmrindenbaum (Andira Lam.), deren man verschiedene am Amazonas zählt Vermuthlich waren es die dunkelpurpurblühenden Andira amazonium Mart., unterbrachen wohlthuend das eintönige Urwaldgrün. Nur wenige Indianerhütten und einzelne hübsche Tapuiotypen belebten die stille Landschaft. Linker Hand öffnete sich das Pflanzendickicht und einige Campos wurden sichtbar. Reizende Lichteffekte spielten über die ausgedehnten, tischplattebenen Rasenflächen, hinter denen neuerdings Wald den Blick gegen den Horizont zu abschloss. Unser Dampfer scheuchte die gesammte Vogelwelt dieses einsamen Paranás auf, welche in wilder Flucht das Weite suchte. Da waren weisse und weiss und schwarze, letztere Socó genannte Reiher, vermuthlich Ardea candidissima Gm. und Nycticorax gardenii Gm.; ein braun und gelb gefiederter Ardeide, den die Leute, wie die von uns am Solimões beobachteten rostbraun und grauen Reihervögel, Japiá-Soca nannten, und welcher vielleicht der, gleich dem Tigrisoma brasiliense, zu den Botaurinen gehörende Botaurus minor Gm. gewesen sein dürfte; schwarzblaue Madenfresser (Crotophaga major Gm.); ein grau-grün und weisser, sicherlich junger Eisvogel (Ceryle torquata L.); allerhand Schwalben oder schwalbenähnliche Vögel; Lathria cinerea Vieill., durchaus graugefiederte Cotingiden Grösse, Färbung und Verbreitungsbezirk nach waren diese Vögel fast zweifellos Lathr. cinerea. welche auf Guyana und den Amazonas beschränkt sind; an Troupialen, ausser den bekannten Japims (Cassicus persicus L.), auch ganz schwarze, mittelgrosse, wahrscheinlich Cassidix oryzivora Gm.; ein Urubú, der seines rothen Schnabels wegen ein Königsgeier (Cathartes papa L.) gewesen sein muss; Periquitos, nämlich kleine Langschwanzpapageien; endlich grosse, röthliche Schopfhühner (Opisthocomus hoazin Müll.) und etliche Möven.

Wir hatten auf unserer Reise noch niemals so viele verschiedenartige Vögel auf einem Raum beisammen gesehen. Aber mit diesen gefiederten Bewohnern der Lüfte war der Reichthum der hiesigen Thierwelt noch keineswegs erschöpft. Affen schrien aus dem Walde, hoch oben an einem Baume hing ein Chartergusnest, Siehe weiter oben S. 132. inmitten des Flussarmes tauchte ein Botó (Inia amazonica Spix et Martius) auf, ein hässlicher Delphin mit hellgrauem Rücken und ganz rosa gefärbter Unterseite, nahe an unserem Schiffe, nur mit dem Kopf über Wasser, schwamm ein junger, kaum sechzig Centimeter langer Alligator vorbei, und in einer stillen Seitenbucht lag träge ein Jacaré-assú oder Mohrenkaiman (Caiman niger Spix), von mindestens 3,5-4 m Länge, dessen ganzer Körper von der Schnauze bis zur Schwanzspitze sichtbar war. Er schielte frech nach unserem Dampfer herüber und liess sich in seiner Ruhe kaum so weit stören, dass etwas Bewegung in den hässlichen, gekrümmten Panzerleib kam.

Wir hielten vor Alemquer, einem Städtchen, welches nur aus einigen der für den Amazonas charakteristischen, langgestreckten, einstöckigen Häuser, die mehr Thüren als Fenster besitzen, zu bestehen schien. Dieses Bestehen aus so wenig Gebäuden, war indessen wirklich nur Schein, da der Ort einige Strassen und Schulen, eine Kirche, eine Post und andere öffentliche Gebäude aufweisen kann. Hinter Alemquer wiegten etliche Fliederpalmen ihre luftigen Kronen und erhob sich ein hübscher, bewaldeter Hügel, welcher den Blick nach Norden vollständig abschloss. Vor dem Orte erstreckte sich flacher, rasenbedeckter Grund bis an den Paraná oder Igarapé heran. Das Hochwasser des Stromes, welches durch seine jährlichen Ueberschwemmungen auf den hiesigen Campos die Viehzucht stört, war schon etwas zurückgegangen und im dadurch entstandenen sumpfigen Lande spazierten einige prachtvolle, scharlachrothe Ibisvögel (Ibis rubra Vieill.). Ein Tapuio mit interessantem Gesichtstypus erschien am Landungsplatz.

Kurz nachdem wir Alemquer verlassen, zeigte sich wieder ein Alligator, der dritte am heutigen Tage, indessen während unserer mehrtägigen Bergfahrt überhaupt nur zwei solche Thiere sichtbar geworden waren. Es hatte dies seinen Grund einerseits wohl darin, dass unsere »Pará« vielfach die Seitenarme des Stromes befuhr, indessen wir uns mit der »Manauense« grösstentheils im Hauptstrom hielten. Andererseits, und zwar namentlich, hat dies aber seinen Grund darin, dass der Amazonas fortschreitend im Fallen ist und hierdurch die wasserbewohnende Fauna, den zurückweichenden Gewässern nach, aus dem Igapó in den Strom selbst hinausgetrieben wird. So sollen zur Zeit der Vazante die Alligatoren zu vielen Dutzenden nebeneinander im Amazonas liegen, eine weitgedehnte, schwarze Fläche bildend. Uebrigens nicht nur die wasserbewohnende, sondern auch die übrige Thierwelt, welche sich zur Enchentezeit im Inneren des unwegsamen Igapó verborgen hält, bietet zur Vazanteperiode, da sie sich dann an den Stromufern einfindet, weit mehr Gelegenheit zu Beobachtungen. Indem wir solcherweise, durch den für den Besuch des Amazonas gewählten Zeitpunkt, Manches in Bezug auf Fauna versäumten, war uns hingegen ein günstigerer Moment für landschaftliche Schönheit geworden; bei fortgeschrittenem Fallen des Stromes nämlich soll der Urwald durch seinen Schlammbehang sich recht hässlich ausnehmen. Gesundheitlich hatten wir hinwieder die schlimmste Zeit getroffen, indem zu Beginn der Vazante, nach Aussage der Einheimischen, die Malaria am stärksten einzusetzen pflegt. In Moreira Pinto: Diccionario etc. I. 234 hingegen, wird das Maximum der Malariaerkrankungen nicht nur als in den Beginn der Vazante, sondern auch in den der Enchente fallend, erwähnt, und an einer anderen Stelle (p. 235) sogar auf die ganze Vazantezeit ausgedehnt. – Dies würde so ziemlich mit anderweitigen Beobachtungen über die Malaria in Tropenländern stimmen. (Vergl. Martin: Aerztliche Erfahrungen über die Malaria der Tropenländer S. 18, und Schellong: Die Malariakrankheiten etc. S. 106, 121, 122, 136.)

Von Alemquer fuhren wir den nämlichen Weg, welchen wir durch den gleichnamigen Paraná gekommen, wieder zum Ausgangspunkt desselben zurück. Die bei Tageslicht schon so phantastischen Pflanzenwände und lianenbehangenen Waldriesen erschienen nun bei Mondschein nur um so phantastischer und wirkungsvoller. Fledermäuse flatterten vor unserem Schiffe über dem Wasser hin und her, einsame Lichter blitzten aus dem undurchdringlichen Dunkel des nahen Waldes zu uns herüber. Die »Pará« lenkte wieder in den Amazonas ein, um später, eine gute Strecke weiter abwärts, in den Tapajoz hineinzusteuern. Ungefähr 11 Uhr Abends lagen wir vor Santarem, über welches sich die Lichtfluthen des Erdtrabanten ergossen.

An Bord. – Sonntag, den 22. Juli.

Nachts entlud sich ein heftiges Gewitter, gegen Morgen ein zweites. Der Regen ging mit solcher Gewalt und solch tropischer Menge nieder, dass die von uns beiden Damen bewohnte Kajüte durch die Zimmerdecke und die Fenster hindurch vollständig überschwemmt wurde. Nicht nur die obere Koje fanden wir den folgenden Morgen tropfnass, auch in der darunter befindlichen war die Matratze wie aus dem Wasser gezogen. Und sogar unsere Reiseeffekten, welche in der unteren Koje in einen sogenannt wasserdichten, irischen Segeltuchsack gehüllt lagen, waren durch die obere Koje hindurch, in der schützenden Hülle nass geworden. Es hatte sich gut getroffen, dass wir, um der unerträglichen Hitze in der Kajüte zu entgehen, heute ohnedies in unseren Hängematten auf Deck geschlafen hatten, was man hier unbeschadet thun konnte, da die »Pará« achtern ein vor Sonne, Regen und Thau schützendes horizontales Holzdach, so zu sagen ein hölzernes Sonnensegel besass. An einen künftigen Nachtaufenthalt in unserer Kajüte war nicht mehr zu denken. Wir retteten unser Hab und Gut in die einzig regensichere Ecke, welche kaum ein Drittel des kleinen Raumes einnahm und warteten geduldig der Dinge, die da noch kommen sollten. Dass es auch ohne solch unentrinnbare Ueberfluthung primitiv genug in den Kajüten unserer »Pará« zuging, beweist der Umstand, dass es in denselben weder Gläser, noch Handtücher gab. Letztere Thatsache liess überdies berechtigte Zweifel an den Reinlichkeitsbedürfnissen der Brasilianer in uns wach werden.

Uebrigens nicht nur der Regen besuchte Nachts unsere Kajüte, auch Schaben (Blattidae) trieben in derselben ihr Unwesen. Diese gefürchteten Insekten, welche in ziemlich viel Gattungen und Arten in Brasilien auftreten und in der Riesenschabe (Blabera gigantea Stoll) eine Länge von sechs Centimeter erreichen, greifen sogar schlafende Menschen an und sind gleich den Ameisen und Termiten eine wahre Landplage dieser Gegenden. Auf den Schiffen nisten sich vorzüglich Periplaneta americana Fabr. ein, Perty: Allgemeine Naturgeschichte III. 916. und so werden wohl sie es gewesen sein, welche unseren kleinen Wohnraum auf der »Pará« unsicher machten und einmal über Nacht meine Stiefel annagten. Die kostbare Fussbekleidung ferner vor ihnen zu schützen, hing ich dieselbe nun immer Abends mittelst eines Bindfadens an einen durch die Kajüte gespannten Strick. Meine Erfindung war auch wirklich vom gewünschten Erfolg begleitet.

Um 7 Uhr früh gingen wir in Santarem an's Land. Santarem ist ein Städtchen von ungefähr 2000 Einwohnern, welches uns im Vergleich mit den übrigen Orten am Amazonas, Pará und Manáos abgerechnet, hübsch erschien. Das Trottoir war besser, und unter den Häusern gab es manche zweistöckige und solche, die, gleich den Häusern in Portugal, fliesenbekleidete Aussenwände hatten. In der That ist Santarem, dank seiner günstigen Lage an der Tapajozmündung, in Bezug auf Handel und Gewerbe die wichtigste der zwischen den beiden obengenannten Provinzhauptstädten gelegenen Ortschaften. Es erhebt sich auf einem niederen Abhange und wird im Hintergrunde von circa 120 m emporragenden, kaenolithischen Höhen begrenzt, welche die einzigen der bisher im Tertiär des unteren Amazonasthales gefundenen Versteinerungen führen Orville Derby: A Contribution to the Geology of the Lower Amazonas. (Proceedings of the American philosoph. Society XVIII. 176.). Der Tapajoz hat sich hier, 5 km oberhalb seines Einflusses in den Amazonas, zu einem See erweitert und erscheint, flussaufwärts gesehen, so ziemlich uferlos. Der Stadt gegenüber entsteigt den Fluthen eine kleine, steile, baumbedeckte Insel. Die Einwohnerschaft Santarems besteht aus Weissen, Indianern, Negern und Mestizen. Die Indianer, welche hier sehr zahlreich auftreten, sind die Nachkommen von Angehörigen der verschiedensten Stämme, doch herrscht das Mauhé- und Mundurucúblut bei ihnen weit vor. Das Negerelement nimmt, im Vergleich mit dem was wir amazonasaufwärts davon bemerkten, hier, mehr stromabwärts, immer sichtbarer überhand.

Unser erster Gang in Santarem war in die Kirche, welche einen romanischen Altar aus weissem Marmor besitzt, den hübschesten Altar, den wir bisher in Brasilien gesehen. Während der heiligen Messe und Predigt fiel uns eine Negerin auf, die mit ausgebreiteten Armen betete. Nach dem Gottesdienst suchten wir den Priester auf, einen liebenswürdigen Franzosen, an welchen uns eine Empfehlung mitgegeben worden war.

Von da aus durchwanderten wir das Städtchen, wobei unsere Studien über brasilianische Fauna eine Bereicherung erfuhren. In einer der Strassen lag eine todte Stachelratte am Weg, welche etwas mehr als die Grösse unserer Hausratte, ein spitz zulaufendes Gesicht, einen ziemlich langen, schwach behaarten Schweif und einen gelbgraubräunlichen, reichlich mit Stacheln untermischten Pelz hatte und die ich für einen Echimys cayennensis Geoffr. hielt.

Wir betraten unter Anderem auch einen nordamerikanischen, oder, wie man hier zu Lande kurzweg zu sagen pflegt, amerikanischen Verkaufsladen. Die Brasilianer nämlich scheinen sich nicht als zu Amerika gehörig zu betrachten; wenigstens bezeichnen sie den nordamerikanischen Dampfer als »Vapor americano«, im Gegensatz zum brasilianischen, dem »Vapor brazileiro«, und wurden wir z. B. hier am Amazonas gefragt, ob wir nach Amerika, sollte heissen Nordamerika, zu reisen gedächten, gerade, als ob wir uns nicht schon in Amerika befunden hätten. Wir betraten also ebenerwähnten Laden, welcher uns durch seine ethnographischen Gegenstände interessirte. Es gab da einen angeblich aus der Inkazeit stammenden, prächtigen, aus Palmstroh geflochtenen Scepter, Da sich die Mauhés im Verfertigen kunstvoller Federscepter hervorthun (s. Martius: Zur Ethnographie etc. I. 406) und in Handelsverbindungen mit Santarem befinden, wird dieser Scepter wohl ihnen zuzuschreiben gewesen sein. welcher die Form eines Köchers hatte und dessen Breitseiten weisse Federn zierten, während in das Innere blau und rothe Ararafedern gesteckt waren, deren oberes Ende kleine, weiss und schwarze, hingebundene Federchen schmückten. Ferner gab es da einen Bogen der am Tapajoz sitzenden Mauhéindianer und endlich einige indianische Thongefässe, von denen eines anthropomorph war, indessen ein anderes am oberen Rande wie einen Ring von verschlungenen Fratzen hatte. Der Styl dieser keramischen Arbeiten erinnerte fast an denjenigen, welchen man an buddhistischen Bauten in Indien findet.

Als wir von Santarem weitergedampft, fesselte unsere Blicke die nach und nach stattfindende Vermischung der dunklen Fluthen des Tapajoz mit den hellen des Amazonas. Am Südufer des Stromes zeigte sich die langgestreckte, niedere Serra de Ayoyé, indessen später auf der Nordseite die hübschgeformten Höhenzüge hinter Montealegre mit ihren sanft ansteigenden, einfachen, fast klassisch vornehm ruhigen Linien sichtbar wurden. Dadurch, dass die »Pará« auf ihrer Thalfahrt begriffen war, bei welcher Gelegenheit sie die Strömung nicht zu vermeiden brauchte, wurde der Kurs inmitten des Amazonas genommen. Wir waren in Folge dessen, bei der mindestens 7-10 km betragenden Breite des Stromes, so weit von den Ufern entfernt, dass gar kein Thierleben zur Beobachtung gelangen konnte. Hingegen wurde uns, gerade durch diese Fahrt in der Mitte des riesig breiten, gewaltig fluthenden Amazonas, seine ganze Grossartigkeit erst wieder recht klar, und begriffen wir, dass der Entdecker desselben, Vicente Yanez Pinzon, ihm einst den Namen Mar dulce Süsswassermeer. gegeben.

Nachmittags 2 Uhr zeigte das Thermometer 28,5° C. Es wehte den Tag über starker Wind aus Osten. Um 5 Uhr stellte sich ein tropischer Regen ein, der an Heftigkeit Alles weit übertraf, was wir in dieser Beziehung überhaupt je erlebt hatten. Es war ein buchstäblicher Wolkenbruch, zu welchem sich ein Sturm gesellte, der das Wolkenwasser unter dem festen Holzdach hindurch über das ganze Deck hinwegpeitschte. Man wusste nicht mehr, wohin sich retten. Auf dreissig Schritte war jeder Ausblick durch die Regenwand vollständig benommen und der Sturm wühlte die Stromfläche zu Wellen auf, unter deren Bewegung der Dampfer zu schlingern begann. Unser Lootse entledigte sich rasch seiner Fussbekleidung, stülpte seine Beinkleider in die Höhe und watete nun wohlgemuth in dem Regenwasser, welches mehrere Centimeter hoch von allen Seiten auf Deck daherschoss. Sobald der Regen sich etwas verzogen hatte, sah man die Landschaft in eine ungewohnt gelbliche Sonnenuntergangsbeleuchtung getaucht.

Um 6 Uhr erreichten wir Prainha, einen kleinen, heruntergekommenen Flecken, welcher nur aus ein paar gemauerten Häusern besteht, an die sich beiderseits etliche primitive Strohhütten und einige von Pfählen getragene Strohdächer anschliessen. Hier lernten wir die am Amazonas gebräuchliche, urwüchsige Art der Viehverschiffung kennen. Jedes einzelne Stück Vieh wurde mittelst eines Strickes an den Hörnern festgebunden und von einem kleinen Boot, welchem es nachschwimmen musste, dem ziemlich entfernt liegenden Dampfer vom Ufer aus zugeführt. Die Thiere wehrten sich gewaltig, und manchen gelang es, zwei- und dreimal im Wasser umzukehren und das Boot stets wieder an das Ufer zurückzureissen. Sobald sie dann festen Boden unter den Füssen fühlten, rannten die durch das Verfahren ganz toll gewordenen Thiere wie rasend hin und her. Endlich, durch die mehrmaligen Fluchtversuche vollständig erschöpft, liessen sie sich widerstandslos durch das Wasser zum Schiffe hin nachschleppen. Doch nun kam das Schlimmste: sie wurden einfach, die ganze Höhe vom Flussspiegel bis zum Zwischendeck, an ihren Hörnern frei in der Luft baumelnd, hinaufgezogen. Die Ochsen ertrugen dies standhaft, wenn ihnen auch der Kopf nachher noch lange gebrummt haben mag, die einzige zu verladende Kuh jedoch, wohl ihrer schwächeren Nerven wegen, sank, an Deck angekommen, ohnmächtig zusammen. Auch ein Pferd sollte eingeschifft werden. Da dieses edle Thier aber kein Gehörn besass, so musste man sich doch bequemen, in diesem Falle Gurten anzuwenden. Es lässt sich vorstellen, welchen unendlichen Zeitaufwand ein solcher Hornviehtransport erfordert, da jedes Stück einzeln an Bord geschafft werden muss. Unser Kapitän war avisirt worden, an einem anderen Orte in der Nähe etliche hundert Stück abzuholen, doch da ihm vor dem langen Aufenthalte graute – wir hätten sicher 1-2 Tage verloren –, lief er diese Viehfazenda nicht an und überliess es dem nächstfolgenden, acht oder zehn Tage später eintreffenden Dampfer, dieses Geschäft zu übernehmen. Bei uns wäre solch willkürliches Handeln wohl auch kaum möglich.

Prainha. (Nach Biard.)

Mit der rohen Art des Einschiffens haben die armen Thiere ihre Leiden übrigens nicht überstanden. Auf der ganzen Fahrt bis Pará ist ihre Verpflegung die möglichst schlechte. Sie erhalten soviel wie gar kein Futter, und auch mit Trinkwasser wird gespart, so dass viele von ihnen auf der Reise zu Grunde gehen, die Ueberlebenden in elendem Zustande am Bestimmungsorte anlangen. Das Vieh hat in diesen Gegenden augenscheinlich wenig Werth. Doch nicht nur vom thierfreundlichen, auch vom rein praktischen Standpunkte aus ist eine derartige Behandlung zu verwerfen; sämmtliches Ochsenfleisch, das in Brasilien in die Küche wandert, ist, dank der schlechten Verpflegung und der mangelhaften Sorgfalt, welche man dem Rindvieh dort überhaupt angedeihen lässt, von einer unbeschreiblichen Zähigkeit und folglich wohl auch von recht geringem Nährwerth.

An Bord. – Montag, den 23. Juli.

Als wir heute früh das Deck betraten, lag unser Dampfer im Xingú. Am Westhimmel stand der untergehende Mond, im Osten dämmerte die Morgenröthe herauf. Eine ganze Reihe von Palmen hob sich als Schattenriss vom sanfterglühenden Horizont. Nach und nach traten zwischen ihnen auch einzelne Gebäude aus der Dunkelheit hervor, welche allmählich dem kommenden Tage zu weichen begann. Diese Gebäude gehörten zu Porto de Moz. Am Fusse eines kaum nennenswerthen Hügels gelegen, bestand diese unsauber aussehende Villa aus hässlichen, einstöckigen, thürenreichen Häusern, wie wir solche am ganzen Amazonas angetroffen hatten; zwischen diesen erhoben sich einzelne Palmstrohhütten. Schade, dass in die einzig schönen Vegetationsbilder der Amazonasniederung so aller Schönheit spottende Ortschaften eingestreut sind.

Der Xingú, welcher ziemlich rein von Süden aus Mato Grosso kommt und bis zu seiner Mündung zwölf Breitengrade durchströmt, misst hier von Ufer zu Ufer ungefähr 9 km und steht an dieser Stelle der durchschnittlichen Breite des Amazonas, von da bergwärts gerechnet, Der Amazonas zwischen Madeira und Xingú wechselt von 7 zu 13 km Breite. nicht um Vieles nach. Den Strom hinauf ist nur Seehorizont sichtbar und das gegenüberliegende Land verschwimmt in der Ferne.

Von Porto de Moz, woselbst Guara-uára-Indianer einst ansässig waren und es vielleicht noch sind, fuhr unsere »Pará« wieder stromabwärts, und zwar in ein bezauberndes Insellabyrinth hinein. Eine kleine Waldinsel reihte sich an die andere. Palmen fehlten fast gänzlich, doch gelbrothblühende Bäume Siehe weiter oben S. 248 Anmerk. belebten die endlosen, grünen Laubmassen. Unzählige Lianen woben schön drapirte, dichte Blättervorhänge den Inselufern entlang, Luftwurzeln von allerhand Epiphyten hingen gleich Stricken von den Baumästen herab. Hier und da mal eröffnete sich ein Einblick zwischen die Pflanzenwände hindurch in den tieferen Wald hinein, welchen undurchdringliches, geheimnissvolles Dunkel umhüllte. Die Faulthierbäume (Cecropia) wurden seltener und seltener, bis sie schliesslich ganz verschwanden, die Aningães oder Montrichardiawäldchen hingegen, welche wir amazonasaufwärts vollständig vermisst hatten, stellten sich nach und nach wieder ein. Hier und da zweigte sich von unserer ungemein malerischen Wasserstrasse ein Igarapé ab, dann schob sich wieder eine Insel hinter die andere. Im Osten wurde ein unter Palmen begrabener kleiner Ort sichtbar, vermuthlich Boa Vista. Wir befanden uns noch immer im Xingú, welcher erst 26 km unterhalb Porto de Moz in den Amazonas mündet. Wie wir gelegentlich der Fahrt Pará-Manáos deutlich bemerkten, dass der Palmenreichthum von Ost nach West allmählich abnahm, so entging uns gelegentlich der Fahrt Manáos-Pará nicht, wie derselbe, den untersten Stromgebieten zu, natürlich wieder in Zunahme begriffen war. Anfangs mischten sich Fiederpalmen in die Waldlandschaft, weiter abwärts erst begannen einzelne Mirití (Mauritia flexuosa) sich zu zeigen. Dann aber bildeten diese letzteren bald die ausschliessliche Vegetation des unteren Endes einiger Inseln, somit vollständig geschlossene Waldungen. Denselben konnte man jedoch keinen Schönheitspreis zuerkennen. Die Unmenge heller, nackter Stämme nämlich, welche nur hoch oben einen Fächerbüschel trugen, nahmen sich, trotzdem sie überaus dicht standen, etwas armselig aus im Vergleich zu dem sonst nirgends fehlenden, üppigen Schlingpflanzenbehang der Hylaea. Reizend hingegen war es, wenn sich Palmen einzeln oder in Gruppen zwischen die Laubbäume eingestreut fanden, eine Vegetationsmischung, welche die malerischsten Urwaldbilder hervorzauberte.

Um 9½ Uhr, drei Stunden nachdem wir Porto de Moz verlassen hatten, that sich ein Durchblick nordwärts nach dem Amazonas auf, der hier schon eine solch ungeheuere Breite besass, dass man das entgegengesetzte Ufer kaum mehr zu unterscheiden vermochte. Der Archipel der Xingúmündung lag hinter uns, wir hatten den Einfluss des vorletzten der von Süden kommenden riesigen Nebenströme erreicht. Bald jedoch lagerten wieder grosse Inseln in unserem Fahrwasser und hemmten den freien Ueberblick. Wir steuerten südlich der ausgedehnten Ilha de Tucuyus entlang und hielten endlich vor Gurupá, einer flach am Strande hingestreckten, scheinbar aus nur wenig Häusern sich zusammensetzenden Villa. Ein Boot brachte uns an das Land, da wir der Versuchung, hier in den Urwald einzudringen, nicht widerstehen konnten. Unmittelbar hinter dem Ort erhob sich der Wald, so erdrückend nahe, dass man denken musste, er könnte einmal wieder die Oberhand über das von Menschenfleiss Geschaffene gewinnen, und von Gurupá bliebe dann nur mehr die Sage übrig, dass da einmal eine Niederlassung gestanden haben solle.

Miritípalmenwald. (Nach Natur von B. Wiegandt.) (Das Original im Besitz der Verfasserin.)

Wunderbar üppig begegnete uns hier der Tropenwald mit seinen Pflanzendraperien phantastischster Art. Der Waldboden war feucht, Pfützen und Wasserarme sperrten uns nach allen Seiten den Weg. Ueber den Tümpeln lagen da und dort gestürzte Waldriesen, natürliche Brücken bildend. Lianenbehängte Bäume mit schirmförmig gebreiteter Krone stiegen aus dem nassen Grunde auf. Ein majestätischer, weit hinauf astfreier Laubbaum faltete den unteren Theil seines Stammes und seine Stützwurzeln wie eine Damenschleppe und auf den Kanten des Faltenwurfs hatten Araceen ihr blühendes Leben begonnen. Dieser Igapó war einer der malerischsten, den wir besucht. Ein pflanzenüppiges, künstlerisch formvollendetes Tropenwaldbild schloss sich an das andere, und der entzückte Blick schweifte von Bild zu Bild und wusste nicht, auf welchem er verweilen sollte. Die innige Verbindung von Wasser und Vegetation war reizend, unten die engumgrenzten träumerisch stillen Wasserflächen, quer darüber gelagert Wurzeln, Stämme und rankendes Grün in wildem Durcheinander.

Von da aus lenkten wir unsere Schritte in den trockenen Wald, in den Caá-Eté, welcher uns weit weniger poetisch anmuthete. Hier stellte sich uns undurchdringliches Dickicht entgegen. Und indessen wir im Igapó, die Nässe zu meiden, von Wurzel zu Wurzel springen mussten, und schliesslich die den Wald durchziehenden Wasseradern unseren Wanderungen ein Ziel setzten, verwickelten wir uns hier in Lianen und mussten, da wir kein Terçado bei uns führten, vor den dichtverwobenen Pflanzenwänden endlich jegliches weitere Vordringen aufgeben. Buchstäblich sah man in diesem Urwalde vor lauter Bäumen den Wald nicht. Das Gezirpe und überhaupt die Thierstimmen, die ringsum aus dem Grün erschallten, lauteten im Zusammenklang wie wenn man eine grosse Säge würde arbeiten hören.

Ehe wir an Bord zurückgekehrt, war daselbst vom Kapitän ein zum Kauf angebotener Anacá oder Fächerpapagei (Deroptyus accipitrinus L.) erworben worden. Es war dies einer jener seltenen, hauptsächlich auf Guyana und das Amazonasthal beschränkten, gelehrigen Papageien, welche sowohl durch ihre absonderliche Gefiederfärbung, wie durch die für ihre Art charakteristische Aufrichtbarkeit der langen Halsfedern zu einer Holle, bemerkenswert sind. Leider gab uns unser neuer Reisekamerad das fächerförmige Entfalten seines Halskragens, der sich aus dunkelrothen, blaugerandeten Federn zusammensetzte, niemals zum Besten.

Stromabwärts von Gurupá begleiteten uns neuerdings Mauritien, und auch Euterpen zeigten sich wieder häufiger als in den westlicher gelegenen Amazonasdistrikten. Die Ufer waren nicht dicht bewohnt, trotzdem schienen sie hier weit weniger durch Vögel belebt als in den oberen Stromgegenden. Viel treibende Baumstämme und Grasinseln schwammen gleich unserem Dampfer dem Meere zu.

Nachmittags 3 Uhr zeigte das Thermometer 28,5° C. Die Temperatur blieb sich auf unserer Thalfahrt, wie auf unserer Bergfahrt, ziemlich gleich, nur hatten wir jetzt, drei Wochen später, weit mehr Niederschläge zu verzeichnen. Namentlich nachts kam nahezu regelmässig ein heftiger Regenschauer aus Süden, so dass sämmtliche Passagiere, welche ihre Hängematten unter dem Holzdach steuerbord aufgeknüpft hatten, sich fast allnächtlich zu einem plötzlichen Exodus nach Backbord entschliessen mussten. Diese schlafstörende Flucht vor den geöffneten Schleusen des Himmels, dieses Retten der Hängematten und der eigenen Persönlichkeiten vor dem hereinpeitschenden Regen, ging jedesmal unter hellem Gelächter und mit unglaublicher Raschheit vor sich.

Am Spätnachmittag bogen wir in den Kanal von Tagipurú ein. Hier begegnete uns ein schwimmender Kaufladen, ein grösserer, halbgedeckter Kahn, bestimmt, Waaren von Hütte zu Hütte zu führen. Es ist dergleichen keine ungewöhnliche Erscheinung im Amazonasthale und bei der dünngesäten Bevölkerung an und für sich eine wohlthätige Einrichtung. Die Bewohner der vereinzelt im Urwald am Wasserrande erbauten Hütten können sich, in den tagereisenweit entfernt liegenden Ortschaften, die nöthigen Waaren nicht persönlich oder nur mit endlosem Zeitaufwand besorgen, und so werden ihnen dieselben auf die bequemste Weise durch Händler zugeführt. Letztere tauschen gegen ihre Handelsartikel allerhand Waldprodukte, ferner Farinha, getrockneten Pirarucú, indianische Industrieerzeugnisse und Anderes ein. Bei diesem Tauschhandel geht es jedoch oft nicht ohne Ausbeutung von Seiten der Händler ab, Ueber diese traurigen Zustände siehe Silva Araujo: Diccionario topographico do Alto Amazonas 42 c. da sie wenig Konkurrenz zu befürchten haben, und dies ist die einzige, grosse Schattenseite dieses eigenartigen Waarenumsatzes.

Im Kanal von Tagípurú wirkten die wunderbaren Urwaldscenerien mit gleicher Macht auf uns ein, wie an jenem Tage, als wir sie, gelegentlich unserer Bergfahrt, zum ersten Mal zu schauen bekamen. Wieder zogen die malerischen, auf Pfählen ruhenden Seringueirohütten mit ihren Tapuiogruppen an uns vorüber. Manche dieser einfachen Wohnstätten waren vollständig über das Wasser herein gebaut und vergegenwärtigten uns die reinste Pfahlbauerexistenz. Canoas aller Arten, welche vor den Hütten lagen, erzählten deutlich, dass die Verkehrswege hier zu Land die Wasserstrassen seien. Verschiedene Palmen, wie Pupunha (Guilielma speciosa Mart.), Ubussú (Manicaria saccifera Gärtn.) und Oenocarpus distichus Mart., welch letztere merkwürdig sind dadurch, dass sie ihre sämmtlichen Wedel in einer senkrechten Ebene gestellt haben, ferner Páo mulato, und Bäume mit rothbraunen Blüthen, vielleicht Myristica sebifera Swartz, liessen sich im lianenumstrickten Urwaldrand, der uns zu beiden Seiten begleitete, unterscheiden. Uferbegrenzende Cana-rana bemerkten wir jedoch keine mehr in diesen, der Strommündung näheren Regionen. Wenig Vögel belebten die abendlichen Gefilde, ein Alligator schwamm quer über den Flussarm und Affen zwitscherten, pfiffen und zischten im nahen Waldesdickicht. Aehnliche Laute gab auf Deck unser armer, kranker Macaco barrigudo von sich, der trotz Arzneien, welche ihm eingegossen wurden, recht elend war und durch seine kindlich hilfesuchende, immer gleich sanfte Weise mit jedem Tag unsere Herzen mehr gewann.

Von Norden mündeten einzelne Furos ein, die an Breite dem Tagípurú um Nichts nachstanden, vor uns zweigten andere in die gleiche Richtung ab. Die Fernsicht und die feine Luftperspektive, welche sich durch den Einblick in diese ziemlich gerade verlaufenden Furos ergab, bot eine reizend hübsche Abwechselung zum Blick auf die fast ununterbrochen in nächster Nähe sich entrollenden Waldwände.

Heftigem Regengusse folgte ein Sonnenuntergang mit schönen Lichtwirkungen. Feierlich stieg der Vollmond hinter dem geheimnissvollen, dunklen Urwald in die Höhe. Um 9 Uhr theilte sich der von uns befahrene Flussarm in noch zwei Arme; alle drei setzten sich als sehr enge Wasserstrassen fort. Wir steuerten in die nördlichste derselben, deren dichtbewaldete Ufer dermassen nah zusammenrückten, dass sich zwei Dampfer kaum hätten ausweichen können. Gespenstisch, wie es nur die wildeste Phantasie im Stande ist sich auszumalen, reckten die schlingpflanzenumkleideten Laubbäume ihre Wipfel in die Nacht empor, scharf zeichneten sich die graziösen Palmenhäupter vom klaren Vollmondhimmel ab. Manche der malerischen Palmstrohhütten lagen traumhaft da, vom hellsten Mondenschein übergossen, Im Wald, der sonst zu nächtiger Stunde so thierstimmenbelebt, war es heute ziemlich still.

Abends 11 Uhr erreichten wir das am Nordufer des Furos Paraúaú erbaute Städtchen Breves. Es ist dies eine der wenigen Ortschaften des Innern von Grão Pará, welche sichtbaren Fortschritt aufweist. Denselben verdankt es einzig seiner für Handel und Schifffahrt so günstigen Lage. Moreira Pinto: Apontamentos pra o Diccionario Geographico do Brasil, IV. 237. Von Breves, welches 5-600 Einwohner zählt und Schulen und andere öffentliche Gebäude besitzt, unterschieden wir nicht mehr als etliche gemauerte Häuser. Dieselben waren flach am Strande gelegen, da hier, auf der Rieseninsel Marajó, das ganze Terrain mehr oder minder tischplatteben ist.

An Bord. – Pará. Dienstag, den 24. Juli.

Früh fünf ein halb Uhr stoppte unser Dampfer vor Curralinho. Es war unser letzter Halteplatz vor Pará. Die wundervollen Paranás und Furos, welche den Urwald durchschneiden, hatten wir schon weit hinter uns gelassen, und nun ging es in breitem Fahrwasser auf den Endpunkt unserer Amazonasreise zu. Die Natureindrücke hier waren dieselben, wie auf der Bergfahrt, da wir wohl den gleichen Kurs steuerten wie damals. Anders jedoch mutheten uns unsere diesmaligen Reisegefährten an. Es waren gutmüthige, aber unglaublich ungebildete Leute, die nie den Fuss ausserhalb Brasiliens gesetzt hatten. Namentlich die Frauen verriethen einen sehr beschränkten Horizont und gestatten in ihrem unweltläufigen Benehmen keinen sehr günstigen Rückschluss auf die übrigen Brasilianerinnen. Ebensowenig wie den Mitpassagieren, gedachten wir unserem Dampfer nachzuweinen. Seine nicht regensicheren Kajütendecken und seine für europäische Magen bedenkliche Verpflegung waren eine Erfahrung, gut für einmal. Den dritten Tag nach der Einschiffung erhielten wir anstatt Brot nur mehr Farinha und dies war noch das Günstigste an dieser brasilianischen Küche. Uebrigens durften wir auf die Thalfahrt und überhaupt die ganze Reise auf dem Amazonas und seinen Nebenflüssen nur mit grosser Dankbarkeit zurückblicken. Trotz der ungünstigen Jahreszeit waren wir Alle gesund geblieben und trotz der einen oder anderen schwierigen Lage waren wir immer glücklich durchgekommen. Eine Reise auf dem Amazonas, nicht zu geschäftlichen oder rein wissenschaftlichen Zwecken, gilt hier zu Lande für etwas so Unerhörtes, dass man seine Verwunderung aussprach, uns nicht als möglicherweise verdächtige Individuen, wenn nicht gerade festgehalten, so doch wenigstens polizeilich überwacht zu sehen. –

Nachdem wir uns elf Stunden lang zwischen einer unüberblickbaren Reihe von Waldinseln durchgewunden hatten, tauchte endlich Pará schneeweiss in der Ferne auf. Um 5 Uhr nachmittags rasselte die Ankerkette unseres Dampfers angesichts der Stadt in die Tiefe und war unsere fünftägige Stromfahrt zum Abschluss gekommen. Diesmal konnten und wollten wir auch nicht, wie bei unserem ersten Aufenthalt vor drei Wochen, an Bord wohnen bleiben. Wir bezogen daher das Hotel Central.

Daselbst gilt es nun sich zu gedulden, in Erwartung des nächsten, den Amazonas herunterkommenden Dampfers der ›Companhia Brazileira‹, der uns südwärts, neuen Eindrücken entgegenbringen soll.


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