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Kapitel XX.
Petropolis.

Rio de Janeiro – Petropolis. Montag, den 17. September.

Früh 6 Uhr, bei anbrechendem Tage, verliessen wir Santa Thereza, um uns eine Stunde später an der Prainha nach Mauá einzuschiffen. Zum ersten Maie sollten wir die herrliche Bai von Rio de Janeiro in südnördlicher Richtung ihrer ganzen Länge nach befahren. Rauschend durchfurchte unser Dampfer die inselbesäte Wasserfläche. Bald rechts, bald links tauchten pflanzenbedeckte Gneiss-Eilande auf, von denen das eine oder das andere, nebst der nicht sonderlich üppigen Vegetation auch Wohngebäude trug. Zwischen hinein entragten viel niedere, verwitterte Klippen den schimmernden Fluthen. Der Kurs führte uns an der Ostseite der Ilha do Governador entlang. Es ist diese Insel die weitaus grösste der ganzen Bucht. Sie hat von Ost nach West eine Länge von circa 13 km, ist stark eingebuchtet und etwas hügelig. Zum Theil besteht sie aus Gneiss, zum Theil vermuthlich aus tertiärem Thon. Ein paar Ortschaften, aus unschönen Häusern zusammengesetzt, beleben ihre Ufer. Es finden sich auf ihr auch etliche Sambaquís vor, und hat man daselbst schon verschiedene prähistorische Gegenstände ausgegraben. Wie es scheint, wird diese Insel von verheerenden Ameisen besonders heimgesucht.

Wunderbar entwickelten und verschoben sich während unserer Fahrt die Bergreihen, welche die Bai von allen Seiten einschliessen. Fern im Westen glänzten zwei mächtige, sonnenbeschienene Höhen in hellem Grün. Nach Süden gruppirten sich malerisch Tijúca, Gavea und Corcovado. Und gerade vor uns, im Norden, stiegen die Gneiss- und Granitmauern der Serra da Estrella und der Serra dos Orgãos einige tausend Meter massig empor. Ihnen zu Füssen lagerten niedrigere Gebirgszüge, welche sich vierfach hinter einander aufbauten und durch verschiedene warme, satte Töne deutlich von einander geschieden waren. Immer sichtbarer lösten sich aus der übrigen Felsmasse die buchstäblich orgelpfeifenartig gereihten Nadeln des berühmten Orgelgebirges heraus, vor Allem der Dedo de Deos, die spitzeste unter den Spitzen. Und je näher wir kamen, desto grösser und seltsamer erschienen sie unseren staunenden Blicken.

In ungefähr einer Stunde hatten wir den Weg über die Bai zurückgelegt. Das Wasser derselben, welches geringeren Salzgehalt hat als das offene Meer, ist hier an ihrem oberen Ende etwas brackisch und von Austern und zahlreichen Fischen bevölkert. Die Tiefe des Wassers, die nach den Ufern zu sich bis auf einen Meter reduzirt, war bei Mauá, in Folge der Ebbe, gerade so unbedeutend, dass die Landung etliche Schwierigkeiten bot. Die Fluthhöhe der Bai von Rio beträgt ungefähr einen Meter, Die Dauer des Gezeitenwechsels daselbst ist, in Folge der zeitweiligen Stauung des Wassers an dem engen Buchteingang, oft eine sehr unregelmässige.

In Mauá bestiegen wir den Eisenbahnzug, welcher uns zunächst über eine häuser- und menschenleere, zum Theil sumpfige Ebene führte. Weite Strecken waren mit Papyrus bedeckt, andere dazwischen mit dichtem Gebüsch und niederem, dichtem Wald. Wir kamen dem Gebirge, der Serra do Mar, immer näher. Mit Raiz da Serra hatten wir, wie der Name der Station besagt, den Fuss der Berge erreicht. Wir waren hier auf drei Seiten von steilen Hängen umgeben. Namentlich der im Osten wuchtig emporstrebende Morro do Frade, dessen Form an diejenige des Wetterhorns im Berner Oberlande erinnert, fesselte uns durch seine schöne Erscheinung. Hier begann die Zahnradbahn und das Emporschieben unseres Waggons durch eine Lokomotive. Steil ging es bergan, rechts und links war das Gebirge eng zusammengerückt. Vegetationsüberwucherte Schluchten thaten sich auf und wurden auf luftigen Brücken überschritten. Waldbekleidete Lehnen verloren sich thalwärts. Nirgends kam der Waldboden zum Vorschein, denn der üppige Pflanzenwuchs hat von jeder Erdkrume Besitz genommen. Aber auch dies genügt der rastlos erzeugenden Tropenflora nicht, die Stämme und Aeste der Bäume müssen eine ganze Last von Epiphyten tragen. Höher und höher stieg die Bahn und gestattete einen entzückenden Rückblick hinunter auf die bergumrahmte Bai von Rio mit ihrer Kaiserstadt, welche gerade von hellem Sonnenlichte überfluthet war. Bei 835 m Höhe hatten wir mit Alto da Serra den höchsten Punkt der Bahn erreicht, und nun ging es wieder 185 m hinunter, zwischen deutschen Ansiedlungen hindurch nach Petropolis. Der hübsche, volle Klang der auf unserer Lokomotive angebrachten Glocke kündete der Umgegend die Ankunft des Zuges.

Hier, wie auf einigen anderen Bahnen Brasiliens, ist die nordamerikanische Sitte der Lokomotivglocken eingeführt. Dass die Wirkung des Glockenklanges auf das Ohr eine angenehmere ist, als die des bei uns üblichen schrillen Pfeifens, wird Niemand leugnen. Und doch berührt es Anfangs befremdend, wenn man jene hehren Tone, welche in Europa der Ankündigung frommer und feierlicher Handlungen vorbehalten sind, gleichsam entweiht findet im Dienste des prosaischen modernen Verkehrswesens.

Bahn nach Petropolis.

Also, unter weithin schallendem Glockenklange, fuhren wir in den Bahnhof von Petropolis ein.

Petropolis ist eine Stadt, die mit ihrem Municipium, Municipio bedeutet in Brasilien nicht Stadtverwaltung, sondern Distrikt. eine Bevölkerung von ungefähr 12 000 Seelen hat. Ueber die Einwohnerzahl des Städtchens Petropolis selbst ist nichts Sicheres zu erfahren. Nach einer Angabe zählt es 6000, nach einer anderen 8600, nach einer dritten ca. 10 000 Einwohner. Sie liegt in einem engen, von Waldbergen umschlossenen Hochthale und zieht sich von diesem aus noch in die nach allen Richtungen abzweigenden, schluchtartigen Seitenthäler hinein. Hier befinden sich hauptsächlich die Kolonistenhäuschen, im Centrum hingegen das kaiserliche Schloss, die Villen der Fremden und der reichen Fluminenser, die eleganten Hotels und die verschiedenen Verkaufsläden. Die Stadt, welche der im Jahre 1845 hier gegründeten deutschen Kolonie ihre Entstehung verdankt, hat einen vornehmen und ganz europäischen Anstrich. Ueberall, auf der Strasse und in den Läden, hört man deutsch sprechen. Die meisten Lohnkutscher sind Deutsche, unsere Wirthin ist eine Deutsche, der katholische und der evangelische Pfarrer sind Deutsche. Sobald man einem blondhaarigen Menschen begegnet, kann man ihn getrost mit dem heimathlichen »Guten Tag« anreden. Fragt man aber die schon in Brasilien geborenen Deutschen, aus welchem Theile der alten Heimath ihre Eltern eingewandert sind, wissen dies die meisten nicht. So rasch gehen bei diesen Leuten die Familienüberlieferungen verloren, so wenig sorgen die Eingewanderten dafür, dass unter ihren Nachkommen sich auch nur das dürftigste Wissen über ihr Abstammungsland erhalte. –

Wir haben das villenartige Hotel Inglez bezogen. Im Garten vor unseren Fenstern ist Alles in Blüthe, und buntschillernde Colibris, unter welchen ich Chrysolampis moschitus L. mit ihrer topasglänzenden Kehle und rubinroth funkelndem Köpfchen zu unterscheiden vermeine, Castelnau giebt ihn für die Serra dos Orgãos an. Andere Autoren meinen, er komme nicht oder nur höchst selten so weit südlich vor. fliegen von Blume zu Blume. Wir haben Musse, den eigenartigen Flug dieser reizenden Thierchen zu beobachten. Er bewegt sich immer in geraden Linien. Senkrecht lassen sich die Colibris aus der Höhe zu den Blüthen herab, schwirrend erhalten sie sich vor denselben in Schwebe, während ihr langes Züngchen nach Insekten in die Blumenkrone taucht, und senkrecht steigen sie nach genossenem Mahle wieder empor, um dann in genau horizontalem Fluge sich zwischen den Büschen zu verlieren.

Da der Hauptzweck unseres hiesigen Aufenthaltes ist, die brasilianischen Majestäten zu sehen, lenkten wir unsere Schritte heute vor Allem nach der Quinta Imperial, dem kaiserlichen Schlosse. Dasselbe ist in einem sehr hübschen, gut gepflegten Garten gelegen, der, theils im französischen, theils im englischen Style gehalten, nebst Palmen und brasilianischen Schuppentannen, namentlich einen Reichthum an baumhohen Bambusgräsern aufweist.

Der Empfang bei Hofe war neuerdings sehr herzlich. Die Einfachheit und Gemüthlichkeit, die uns schon in Rio so angenehm berührt hatten, fanden wir hier wieder. Auch Privatleute werden ohne die geringsten Schwierigkeiten gleich vorgelassen, und man verkehrt mit den Majestäten so ungezwungen und natürlich, wie mit Seinesgleichen. Es zeigt sich hier keine Spur der ceremoniellen, steifen Höflichkeit, die an verschiedenen europäischen Höfen Sitte ist. Die Individualität braucht nicht, wie in den alten Kulturländern, in konventionellen Formen unterzugehen Aehnliche Eindrücke über den gesellschaftlichen Verkehr in Brasilien haben auch Andere in sich aufgenommen. Ich nenne nur Esche: Aus dem Wunderlande der Palmen, S. 101 und namentlich S. 102., man darf vor Allem Mensch sein, Mensch unter Menschen. Und so darf man auch frei seine Meinung äussern, um so mehr, als der Kaiser gern auf Diskussionen eingeht und die der seinen entgegengesetzte Ansicht vollauf achtet. Der allen Brasilianern gemeinsame Charakterzug, dass man schon beim erstmaligen Sehen sich so zwanglos zu einander verhält, als habe man sich sein ganzes Leben gekannt, hat auch an den Thüren des Kaiserpalastes nicht Halt gemacht. Merkwürdiger Weise will es andererseits die einst von Portugal überkommene Hofsitte, dass die Majestäten unter sich, ohne ihren Hofstaat, die Mahlzeiten einnehmen, und dass bei Ausfahrten mit seinen Herren der Kaiser allein im Fond sitzt, indessen die Kavaliere den Platz ihm gegenüber inne haben. –

Kaiserliches Schloss in Petropolis.

Nachmittags fuhren wir in einem bequemen Wagen auf der ausgezeichneten, nach Minas Geraes führenden Kunststrasse nordwärts bis Corréas. Diese Strasse ist eine rühmliche Ausnahme in dem an guten Verkehrswegen so armen Brasilien. Wir hatten eine Stunde Fahrt zwischen hohen, steilen Bergen, welche das enge Thal des Piabanha begleiten. Die Vegetation ist hier ziemlich dürftig. Palmen giebt es nur vereinzelt; es sind dies verschiedene Arten von Fiederpalmen, hohe, niedere, buschige und magere. Ein paar wahrhaft himmelanstrebende, schlanke unter ihnen dürften vielleicht Exemplare der für die Provinz Rio de Janeiro genannten In Martius: Tabulae physiognomicae LXXI ist die Cocos botryophora für die Provinz Rio de Janeiro erwähnt, in Martius: Flora brasiliensis III, p. 409 ihr Vorkommen daselbst bezweifelt. Cocos botryophora Mart. gewesen sein. Als häufigerer Baum tritt hier, dem etwas kühleren Klima gemäss, die brasilianische Schuppentanne (Araucaria brasiliana A. Rich. Lamb.) einzeln und in kleinen Beständen an den Berglehnen auf. Unter diesen Coniferen, welche etwas an Legföhren erinnern, deren Krone einem hohen Stamm aufgesetzt worden ist, befanden sich einige schöne Exemplare. Die Flussniederung zierten viel hochgewachsene, sehr hübsch in weisser Blüthe stehende Stechäpfel (Datura suaveolens Humb. et Bonpl.) In mein Herbarium gesammelt.. Ein paar der in Brasilien verwilderten Wollmispeln (Eriobotrya japonica Thb.) Siehe hierüber das Kaiserreich Brasilien auf der Weltausstellung in Philadelphia. S. 62. In Flora brasiliensis ist die E. japonica nicht erwähnt, obwohl andere in Brasilien eingeführte und dort verwilderte Pflanzen daselbst erwähnt werden. standen am Wege. Und aus einem nebenanliegenden Garten dufteten mehrere auffallend hohe Heliotropsträucher (Heliotropum peruvianum L.) und leuchteten uns die rothen Blüthen eines baumhoch gewachsenen Camelienstrauches (Camellia japonica L.) entgegen. Unmittelbar bei Petropolis waren wir an einer Reihe deutscher Ansiedelungen vorbeigefahren und hatten dann keine Ortschaft mehr getroffen bis Cascatinha. Hier, inmitten einer hübschen Baumgruppirung, schäumt der noch ziemlich wasserarme Piabanha über sanftgeneigte, glattgewaschene Felswände herunter. Auf der nun folgenden Wegstrecke begegneten wir einer grossen Viehheerde, die von Norden kam, vermuthlich aus dem campos- und heerdenreichen Minas Geraes. Die sie begleitenden Tropeiros hatten leichte, hübsche Sättel aus gepresstem Leder. Ich konnte nicht bemerken, ob sie auch die unter den Tropeiros üblichen kleinen Peitschen mit theilweise versilbertem Stock führten. In Corréas, dem Orte, in welchem wir umkehrten, um nach Petropolis zurückzufahren, fiel uns eine von Schlinggewächsen vollständig überwucherte Figueira (Urostigma) auf. Die Urostigmen sind von Lianen und Epiphyten immer besonders bevorzugte Bäume, indessen z. B. die wohlbekannten Cecropien keinen anderen Pflanzen als Stützpunkte dienen.

Abends neuneinhalb Uhr zeigte das Thermometer hier in Petropolis 2O° C. Die Luft hier ist, im Vergleich zu der drückenden in Rio, rein und frisch. Die Intensität der Sonnenstrahlung ist gross und der Temperaturunterschied zwischen Sonne und Schatten, wie in unseren Bergen, sehr bemerkbar. Seinem gesunden Klima, in der Nähe des ungesunden Klimas von Rio, verdankt Petropolis seinen Aufschwung. Während z. B. in der Hauptstadt das Gelbe Fieber wüthet, dringt es niemals in diese Höhen hinauf. Viele Geschäftsleute haben es gesundheitshalber vorgezogen, mit ihren Familien hier ihren ständigen Wohnsitz zu nehmen und nur zu den Bureaustunden täglich nach Rio hinunterzufahren. Es ist dies kein geringer Entschluss, da die Betreffenden somit Tag für Tag über vier Stunden unterwegs zubringen müssen.

Petropolis. Dienstag, den 18. September.

Früh 7 Uhr hatte es 20° C. Mein Aneroidbarometer, welches, so lange wir uns in den Tropenniederungen bewegten, unveränderlich zwischen Schönwetter und Trocken gestanden hatte, ist hier in Folge der bedeutenderen absoluten Höhe auf Veränderlich gefallen.

Den heutigen Morgen, den ersten freien seit Victoria, benutzte ich, die in Espirito Santo gesammelten Pflanzen zu revidiren und umzulegen. Da das durch einige sehr saftige Pflanzen besonders feucht gewordene Papier nicht rechtzeitig mit trockenem hatte vertauscht werden können, war mindestens der dritte Theil meines Herbariums verdorben und musste entfernt werden. Es ist dies ein empfindlicher Verlust, auch in pflanzengeographischer Beziehung, weil die Objekte begreiflicherweise noch nicht bestimmt waren und vielleicht neue Standorte hätten festgestellt werden können. Uebrigens nicht nur das Herbarium, unsere entomologische Sammlung ist ebenfalls schon arg geschädigt worden. Ein in Rio des Morgens zum Trocknen geöffnetes Kästchen mit Insekten war bis zum Abend, vermuthlich von Ameisen, vollständig ausgefressen, sodass uns nunmehr die leeren Nadeln entgegenstarrten.

Heute Mittag fuhren wir mit den Majestäten nach der grossen Baumwollwaarenfabrik in Cascatinha. Diese Fabrik ist eine auf Aktien gegründete, welche, Dank der gnädigen Bewilligung des Kaisers bezüglich Wasserkraftbenutzung Siehe Relatorio da Directoria da Companhia Petropolitana, e:n Julho 1886 p. 5., in letzterer Zeit einen grossen Aufschwung genommen hat. Sie zerfällt in Spinnerei, Färberei und Weberei, hat die neuesten Maschinen eingeführt und besitzt auch einen zur Ausbesserung von Maschinentheilen reservirten Raum. Der Kaiser bekundete gelegentlich unseres Besuches dieses Etablissements sogar für alle Einzelheiten grosses Interesse und führte uns selbst durch alle Räumlichkeiten, überall mit Sachkenntniss erklärend. Besonders schien ihm an unserer Besichtigung der Arbeiterhäuser gelegen, in welchen er es sich nicht nehmen liess, ebenfalls den Führer zu machen. Die Wohnungen in diesen von den Aktionären erbauten Häusern sind ganz ordentlich. Die Fabrik beschäftigt über 1000 Arbeiter aus den verschiedensten Nationen. Wir fanden unter denselben eine Chinesin, welche ich anfänglich für eine Indianerin hielt. Es ist dies ein unbefangenes Zeugniss für die so vielfach angezweifelte Rassenverwandtschaft zwischen den Mongolen und den amerikanischen Völkern. Diese Chinesin ist das einzige Individuum gelber Rasse, welchem wir in Brasilien bisher begegnet sind. Man hat die Einführung von chinesischen Arbeitern in grösserem Maassstab zwar schon öfters angeregt, dieselbe ist, sicher zum Wohle des Landes, bisher jedoch nicht gelungen.

Nachmittags fiel Nebel ein, der sich später in leichten Regen auflöste. Abends 6 Uhr stand das Thermometer auf gut 19° C. Nach eingetretener Dunkelheit fing ich im Hotelgarten einen Bufo marinus L., eine jener grossen Kröten, deren Triller und schnarchendes Gebell die Stille der hiesigen Nächte unterbricht. Diese Kröten spritzen einen in den Halsdrüsen enthaltenen giftigen Saft aus, der, kleineren Thieren eingeimpft, eine herzlähmende Wirkung ausübt Lacerda: Algumas experiencias con o veneno do Bufo ictericus Spix. (Archivos do Museum Nacional do Rio de Janeiro III p. 34 e. s.)..

Petropolis. Mittwoch, den 19. September.

Um 11 Uhr Vormittags war die Temperatur heute 20,5° C.

Des Morgens hatte ich noch genügend Arbeit mit meinem beschädigten Herbarium. Mittags besuchte ich die heute eingetroffene Kronprinzessin, welche diesmal im Schlosse ihrer Eltern abgestiegen ist. Kaiser und Kaiserin fanden sich ebenfalls im Salon der Princeza Imperial ein und so verbrachten wir einige sehr gemüthliche Augenblicke. Es ist herzerfreuend, zu beobachten, mit welch rührender Liebe Vater und Tochter einander zugethan sind. Der Kaiser ist nicht nur Vater, er ist auch väterlicher Freund des einzig ihm verbliebenen Kindes, und ein anregender geistiger Verkehr erhöht die Innigkeit des Verhältnisses. Das Urtheil eines in Brasilien lebenden Deutschen, dass der Kaiser »vor Allem ein guter Mensch« sei Koseritz: Bilder aus Brasilien S. 132., möchte ich mit Einfügung der Worte »und edler« vollauf bestätigen, aber auch für die Kaiserin edle Güte als Haupteigenschaft in Anspruch nehmen. –

Nachmittags führten wir einen Ritt aus nach den Wasserfällen des Itamaratý, eines Flüsschens, welches einen südnördlichen Lauf hat. Der Weg zieht sich hübsch zwischen eng aneinander gerückten Bergen hindurch und gewährt einen schönen Blick tief hinunter in das Itamaratýthal. Nach Erreichung der Thalsohle, um welche sich malerisches Gebirge thürmt, sassen wir ab und wanderten zu Fuss aufwärts nach den Fällen. Das Flüsschen stürzt in zwei Absätzen zu Thal. Ueber die obere, minder hohe und breite Felswand schäumt das Wasser fächerförmig und ziemlich rasch herab, sammelt sich dann auf einer wagrechten Felsplatte in ein grosses, seichtes Bassin und wirbelt schliesslich über eine mächtige, glattgewaschene Felsenwand in die Tiefe hinunter, wo im Flussbett riesige Steinblöcke übereinander geworfen liegen. Oberhalb des obersten Falles tändelt der Itamaratý auf felseingeengtem Grund in leichtem Gefälle dem Abgrund zu. Schlingpflanzenbehangene, epiphytengeschmückte Bäume neigen sich von beiden Seiten malerisch über das Wasser herein. Die Vegetation, welche sich in der Umgegend von Petropolis im Ganzen nicht durch Ueppigkeit auszeichnet, hat hier eine reiche Entfaltung gefunden. Pflanze drängt sich an Pflanze. Palmen und Baumfarne breiten graziös ihre Wedel über das Unterholz. Cuphea ingrata Cham. et Schl., zierliche, in Brasilien auf die südlichen Gegenden beschränkte Halbsträucher, sind in der Vegetationsfülle bemerkbar, ebenso Diodia polymorpha Cham. et Schl., var. anthospermoides Schumann, auffallend kleinblättrige strauchförmige Rubiaceen Beide in mein Herbarium gesammelt.. Rothblühende Büsche stimmen vortrefflich zu Cecropia adenopus Mart. mit ihrer weissbefilzten Blattunterseite. Eine Figueira (Urostigma), eine dem in Minas und Goyaz wachsenden Urostigma subtriplinervium Miq. nächststehende Art Die von mir mitgebrachte Blattprobe stimmt mit keiner der in Martius: Flora brasiliensis IV I p. 90 u. ff. angeführten Species vollständig überein., hat sich inmitten dieser Pflanzenrepublik angesiedelt. Eine Synantheree, die Baccharis genistelloides Pers. var. trimera Baker In mein Herbarium gesammelt., erinnert an die charakteristische Vegetation der Bergcampos von Minas. Marantaceen In mein Herbarium gesammelt; nicht näher bestimmbar. und Canna polyclada Wawra In mein Herbarium gesammelt; so viel wie sicher C. polyclada Wawra. ragen aus dem Dickicht auf. Yamswurzeln (Dioscorea) In mein Herbarium gesammelt; Species nicht bestimmbar. winden sich von Zweig zu Zweig. Tillandsia usneoides L. wallen wie graue Schleier von den Baumästen herab, und grosse, rothblühende, terrestrische Bromeliaceen, sicher die in der Serra dos Orgãos häufige Bilbergia pyranudalis Lindl., gedeihen neben Araceen mit grossen Blättern und neben zungenförmig schmalblättrigen, welche wohl Anthurien sein dürften.

Indessen während unseres Rittes zu und von dem Itamaratý dichter Nebel schwer auf den Berghängen ruhte, flimmerten, gerade als wir vor dem Falle standen, Sonnenstrahlen über die tosenden Wasser hinweg.

Gegen Abend holten mich Kaiserin und Kronprinzessin in unserem Hotel in Petropolis ab, mir die kronprinzessliche Villa zu zeigen. Im Garten daselbst liess ein Sabiá (Mimus lividus Licht.?), eine jener viel gerühmten brasilianischen Nachtigallen, ihr Lied aus den Büschen ertönen. Es stehen dort deutsche Eichen friedlich neben brasilianischen Schuppentannen; und Francisceen, welche an ein und demselben Strauch weisse und lila Blüthen tragen Die Provinz Rio de Janeiro besitzt mehrere Arten von Franciscea mit gemischt weissen und andersfarbigen Blüthen., gereichen den gärtnerischen Anlagen zur Zierde. Das Haus ist elegant, im Gegensatz zu den meisten brasilianischen Häusern, und der Salon geschmackvoll, modern und nach europäischen Bequemlichkeitsbegriffen eingerichtet. Als nach einiger Zeit auch der Kaiser erschien, entspann sich ein Gespräch über die deutsche klassische Literatur. Es zeigte sich hierbei, dass der hohe Herr an derselben grosse Freude hat und, bei erstaunlichem Gedächtniss, in derselben weit besser bewandert ist, als ich.

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Auf der Ueberfahrt nach Europa im Jahre 1889 und im darauf folgenden Sommer unternahm der Kaiser eine gelungene Uebersetzung von Schillers Glocke in das Portugiesische.

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Petropolis. Donnerstag, den 20. September.

Als ich mich heute Mittag bei der Kaiserin einfand, waren die Majestäten so gnädig, mir das Innere des Schlosses zu zeigen. Die erst unter dem jetzigen Kaiser gebaute Quinta imperial hat fast durchgängig grosse schöne Räume, welche aber, nach brasilianischem Geschmack, wenig eingerichtet sind. Im Erdgeschosse befinden sich das Zimmer des dienstthuenden Kammerherrn, das ziemlich kleine und schmucklose Speisezimmer, das Billardzimmer, der Salon der Kaiserin, in welchem man sich Abends versammelt, und der sehr einfache Empfangssalon, in dem die Möbel, gewöhnliche Rohrstühle, echt brasilianisch in Hufeisenform aufgestellt sind. Im ersten Stock betritt man zunächst das Arbeitszimmer des Kaisers, welches ganz das Gepräge einer Gelehrtenstube hat. Auf einem grossen Arbeitstisch liegen zahllose Bücher und Broschüren in buntem Durcheinander, am Fenster steht ein Schreibtisch. Hier vertieft sich der Kaiser, der täglich um 6 Uhr aufsteht, in seine ernsten, wissenschaftlichen Studien. Der einzige Schmuck des Zimmers sind zwei von seinen Töchtern, der Kronprinzessin und der verstorbenen Herzogin zu Sachsen, gemalte Blumenbilder. Nun folgen das Ankleidezimmer, der Raum für den Kammerdiener und das Schlafzimmer der Majestäten. Auch in letzterem befindet sich ein grosser Tisch, auf welchem Bücher liegen. Daselbst liest der Kaiser seiner Gemahlin, jeden Nachmittag um 3 Uhr, anderthalb Stunden lang italienisch vor. An diesen Raum schliesst sich ein grosser Salon, der ebenso leer ist wie alle vorhergehenden Zimmer und dessen Einrichtung sich auf Stühle beschränkt, welche längs der Wände herumgestellt sind. Die in diesem Stockwerk noch vorhandenen Wohnräume sind den zwei in Brasilien aufgewachsenen Söhnen der frühverstorbenen Tochter zugewiesen. Das ganze Schloss ist die Einfachheit selbst, wie ja auch seine hohen Besitzer sich durch wohlthuende Einfachheit in ihrem Wesen auszeichnen. Die wahre Grösse besteht nicht in Prunk, sondern in Edelmuth des Herzens, und diesen findet man hier in reichem Maass. –

Nachmittags fuhren wir nach Südwesten, das Thal des Rio Quitandinha aufwärts. Nebel und Regen schmälerten den Genuss der Gegend, doch entschädigte uns hier, für die verhüllte Berglandschaft, wenigstens eine üppigere Vegetation. Das Ziel unserer Wagenfahrt war die Käserei des Franzosen Buisson. Hier wird Rahmkäse bereitet, ein Verfahren, das wir des Näheren besahen. Die zu Käsemasse geronnene Süssmilch füllt man in durchlöcherte Formen oder Behälter, welche auf einer rinnendurchzogenen Platte aufgestellt werden. Hier hat die sich ausscheidende Molke abzulaufen. Den Formen entnommen, werden die Käsemassen in einen kellerartigen Raum gebracht, in welchem sie reifen müssen. Nach zwei Monaten ist dieser Prozess vollendet und kann der Käse in den Handel kommen. Wie uns Herr Buisson versicherte, liegt bei dem hiesigen tropischen Klima die Hauptschwierigkeit der Käsebereitung im Erzielen der nöthigen kühlen Temperatur des Käsekellers.

Ausser der Käserei besitzt Herr Buisson auch einen hübschen Garten mit ausgedehnter Orchideenkultur. Um einen reizenden kleinen, dunklen Weiher sprosst und schlingt sich üppige tropische Vegetation, von schmalen Fusspfaden durchschlängelt. An den Aesten der überhängenden Bäume sind da und dort Orchideen angebracht, namentlich aus den hiesigen Wäldern stammende Miltonien, mit weissen und gelben, schöngezeichneten Blüthen. Es dürften wohl Miltonia spectabilis Lindl. und M. Clowesii Lindl. gewesen sein. s. Reichenbach: Nenia Orchidacea I 129, 130. Ein ziemlich grosser, grünglänzender Colibri mit überwiegend weisser Unterseite, einer der in dem südlichen Theil der Provinz Rio de Janeiro sehr häufigen Leucochloris albicollis Vieill.. flüchtete sich in das Gezweige eines blühenden Busches. Im Hause des Franzosen wurde uns ein winziger Affe gezeigt, weichen ich, seinem Löwenköpfchen und seinem dunkelbraunen, gelbgezeichneten Pelz nach, für eine Hapale chrysopyga Natt, aus São Paulo gehalten. – -

Heute war zu Mittag die Temperatur etwas höher, Abends etwas niedriger als die letzten Tage. Mittags zeigte das Thermometer 22° C, um 8 Uhr Abends 18° C.

Petropolis. Freitag, den 21. September.

In kühlerer Morgenstunde stiegen wir hinter der Eisenbahnstation in das Gebirge hinauf. Wie auf einer Reliefkarte lag das Land vor uns, Berg an Berg, Hügel an Hügel. Nirgends war in den strahlenförmig auslaufenden Thälern eine breitere Thalsohle zu bemerken. Die Leute, denen wir hier begegneten, waren fast ausschliesslich Deutsche.

Mittags begaben wir uns, wie jeden Tag, zu den Majestäten und trafen den Kaiser in das Studium der arabischen Sprache vertieft, welche er fliessend vorlesen kann.

Der Nachmittag wurde von uns zu einem Ritt nach dem Aussichtspunkt Alto do Imperador benutzt. Anfangs führte der Weg durch das enge, waldige Thal des Quitandinha, welches wir schon gestern besucht hatten. Hier mussten wir die Colonietheile Rhenania, d. h. Rheinthal, durchreiten, einige der 22 Quartiere, in welche die Colonie Petropolis ursprünglich eingetheilt wurde. Da diese Quarterões grösstentheils den Namen der Gegenden tragen, aus denen die Colonisten eingewandert sind, werden hier wohl Rheinländer und deren Nachkommen angesiedelt sein. Nachdem die gestern besichtigte Käserei hinter uns geblieben war, ging unser Pfad steiler aufwärts und dann westlich vom Hauptweg, durch den Wald. Der Pfad war so schmal, der Wald so dicht und das Geäst so tief herabhängend, dass wir manchmal kaum durchkommen konnten und, wie in den Urwäldern von Espirito Santo, ganze Strecken weit bis zum Sattel heruntergebückt reiten mussten. Endlich war die Kammhöhe der Serra da Estrella erreicht und öffnete sich uns ein wunderbarer Blick nach Süden hinab auf die Bai von Rio de Janeiro Wir standen auf dem Alto do Imperador, einem kaum 16 m2 grossen, baumlosen Platz, der sich inmitten des Waldes an Bergesrand befindet. Fast senkrecht stürzt der Abhang von hier bis in das Thal hinab, welches sich wellig und waldbedeckt bis zur Bai hin erstreckt. Einzelne waldige Höhenzüge und mit Urwald bekleidete Kuppen entragen dem wasserumschliessenden Flachland. Jenseits der Bai, uns gerade gegenüber nach Süden, thut sich die felsbewachte Baieinfahrt auf. Davor liegt, im Duft der Ferne verschwimmend, die helle, weitgedehnte Kaiserstadt mit ihrem wohlbekannten Kranz von Bergen. In das blaue Wasser der Bai ist die Ilha do Gobernador wie auf einer Landkarte eingezeichnet. Wir standen am Rand des Abgrundes und schauten hinunter in das endlose Meer von Wipfeln und hinüber nach dem schimmernden Ocean. Aus der Tiefe herauf rauschte der Urwald mächtig wie Wogenprall an der Küste.

Der Wald auf Bergeshöhe bestand überwiegend aus mittelhohem Laubholz, dem einzelne Palmen und Baumfarne beigemischt waren. Den Boden deckten namentlich viel Farnkräuter, unter denen die steifen Mertensien besonders in die Augen fielen.

Auf dem Rückweg besuchten wir die zwei Miniaturseen von Quitandinha. Der eine derselben liegt zu Füssen eines hohen Waldberges und ist ganz waldumgeben. Es fehlt an seinen Ufern die Ueppigkeit der Tropen, doch ist er reizend in seiner einsamen, ernsten Stimmung, in seiner Aehnlichkeit mit den Gebirgsseen bei uns zu Lande, Ein der Mitte des Wassers entragender Baumstumpf, auf welchem, wie eine Vase, eine riesige Bromeliacee ruht, und da und dort ein fluthenumspültes Gebüsch in Ufersnähe, erhöhen noch seinen poetischen Zauber. Der zweite See liegt in frischgrünen Matten eingebettet, welche nach allen Seiten bergan steigen und sich in waldigen Hängen verlieren.

Durch das Gasteiner Thal kehrten wir heim. Auch hier sind viele deutsche Ansiedler, und kleben rechts und links am Abhang die Häuschen Derer, welche in der Ferne ihr Glück gesucht und auch zum Theil gefunden haben. –

Abends 8 Uhr betrug heute die Temperatur 21° C.


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