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Kapitel I.
Ueberfahrt nach Brasilien.

An Bord der »Manauense«. Sonntag, den 17. Juni 1888.

Nun befinden wir uns schon einige Tage auf hoher See. –

Den 14., abends 5 Uhr, verliessen wir an Bord des Liverpooler Dampfers »Manauense« Lissabon, um auf dem Wege nach Brasilien den Ocean zu queren. Eine Stunde später schon schwamm unser Fahrzeug auf offenem Meere. Der Wind war äusserst heftig, die See ging hoch, Wellen brachen über Deck. Als endlich eine Sturzsee auch die Deckkajüte überspülte und uns, die wir gegen das Unwetter hinter letzterer Schutz gesucht hatten, in ihrem Wasserfall vollständig begrub, mussten wir auf Wunsch des Kapitäns gedeckte Räume aufsuchen. Die Gefahr, über Bord gerissen zu werden, war zu gross.

Den ganzen folgenden Tag dauerte das Wetter an. Unser Dampfer schlingerte stark. Sturzseen wiederholten sich von Zeit zu Zeit, doch konnte man auf Deck aushalten, mit beiden Händen fest angeklammert. Aber nur wenige Passagiere waren im Stande, gleich mir, sich der frischen Luft zu erfreuen; die Mehrzahl lag theilnahmlos in den Kajüten, in welchen eine unerträgliche Hitze herrschte. Man sah von früh bis spät nichts als Himmel und Wasser – einen trüben, bedeckten Himmel, ein hoch aufgewühltes, wild schäumendes Wasser. Die Temperatur war in Folge der bewegten Luft eher kühl, abends zwischen 6 und 7 Uhr zeigte das Thermometer 20° C.

Den dritten Tag kam zu früher Morgenstunde die Insel Porto Santo in Sicht, ein Portugal gehöriges hübsches Eiland, welches sich zackig aufbaut wie Ischia. Wir liessen es steuerbord liegen und nahmen den Kurs zwischen ihm und den nahezu unbewohnten Desertasinseln hindurch. Letztere sind öde und so steil, dass sie den Fluthen theilweise senkrecht entsteigen. Nun tauchte im Nordwesten auch die Hauptinsel der ganzen Madeiragruppe auf, Madeira selbst, im Allgemeinen jäh und hoch sich emporthürmend, nur gegen Osten in eine niedere Landzunge auslaufend. Deutlich liess sich an der Südostküste das schneeweisse Funchal unterscheiden, die Hauptstadt, welche vom Meere ab die Höhen malerisch hinanklimmt.

Funchal

Wie sich all die Eilande nach und nach der duftigen Ferne entrungen hatten und in immer bestimmteren Formen in das Gesichtsfeld getreten waren, ebenso verwischten sich die schönen Umrisse jetzt immer mehr und mehr. Der entgegengesetzte Vorgang fand statt, und endlich waren auch die letzten Inselcontouren in der duftigen Ferne wieder entschwunden. Volle 8 Tage sollten wir nun kein Land mehr erblicken.

In der Nähe der Inseln war, zum ersten Male seit wir in See gegangen, der Wellentanz ein ruhigerer geworden, und da wir die Inseln passirt hatten, hielt die verhältnissmässige Ruhe an. Die Temperatur betrug unter Tags etwas über 22° C; vielleicht eine Stunde lang war es drückend und windlos gewesen. An lebenden Wesen bemerkten wir den ganzen Tag über nur einen Sturmtaucher, ein kleines, dunkelgefiedertes Thier mit langen spitzen Flügeln. Es war sicher eine der namentlich auf den Ilhas desertas, aber auch bis zu den Canarischen Inseln vorkommenden Bulweria bulweri Jard. et Selb. Delphine (Delphinus) hatten sich seit dem ersten Abend unserer Seefahrt, seit wir die Küstengewässer Europas verlassen, keine mehr gezeigt.

Heute stand das Thermometer schon morgens sechs ein halb Uhr auf 22,5° C., fiel aber bis 10 Uhr bei frischem Wind auf 20° C. Das Meer zeichnete sich andauernd durch Stille aus, die lange Dünung abgerechnet, welche jahraus jahrein die Oberfläche des Atlantik hebt und senkt. Bis Mittag war unser Dampfer in 24 Stunden 300 Seemeilen gelaufen: Wir befanden uns zu dieser Zeit auf 28°47' n. Br. und 21° 11' w. L. von Greenwich. Vormittags kam ein Segelschiff in Sicht, nachmittags wieder eines, diesmal ein Vollschiff, ausserdem ein Dampfer, welcher den Kurs von Afrika nach Westindien zu steuern schien. Zum ersten Male fesselten unser Interesse fliegende Fische, deren es im Atlantischen Ocean über 20 Arten giebt, nämlich mindestens 16 Arten von Hochflugfischen (Exocoetus), Unter den Hochflugfischen (Exocoetus) ist die gemeinste und verbreitetste Species der Exocoetus evolans L. eine Art von Flatterfisch (Dactylopterus) und einige Arten von Prionotus und Trigla. Im Ganzen sind Prionotus und Trigla mehr springende als fliegende Fische, doch rechnet z. B. Lacépède (Histoire naturelle des Poissons, III, 349 ff.) drei Species zu den echten Flugfischen, und von diesen kommen zwei nur an der amerikanischen Küste vor, indessen eine für die wärmere Osthälfte des Atlantik verzeichnet ist. Siehe auch Günther; Catalogue of the fishes in the British Museum, II. 192 ff. Dass heute, einem der längsten Tage der nördlichen Hemisphäre, die Sonne um 7 Uhr unterging, bewies uns, auch ohne sonstige Beobachtungen, wie weit wir schon nach Süden vorgedrungen waren.

Des Abends, als das Meer mit seinen Wundern weniger unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, beschäftigten wir uns heute wie alltäglich mit unseren Reisegefährten. Dieselben bilden eine rassig und social sehr gemischte Gesellschaft und geben uns einen vorläufigen Begriff von dem, was wir in dieser Hinsicht in der neuen Welt zu erwarten haben. Eine freundliche Wiener Jüdin, welche als Putzmacherin nach Pará geht, und ein gemüthlicher Stuttgarter Weinhändler, den Geschäftsangelegenheiten nach derselben Stadt rufen, sind ausser uns die einzigen Passagiere deutscher Zunge. An Franzosen ist nur einer da, ein sehr bescheidener Mann, der dem Schneiderhandwerk obliegt und dasselbe Reiseziel verfolgt, wie die zwei Erstgenannten. Die portugiesische Nation wird vertreten durch eine junge Kaufmannsfrau, welche ihrem vorausgereisten Gatten nach Manáos folgt, und durch einen jungen, brustleidenden Ansiedler, der spannend von seinem Verirren und seinem fast zu Tode Hungern in den Amazonaswäldern erzählt. Spanierinnen sind zwei an Bord; sie vertreiben sich Abends die Zeit durch nationales Tanzen mit graziös erhobenen Armen und Begleiten des Tanzes mit nasalem Singen spanischer und portugiesischer Lieder, welche einen eigenthümlichen Nachschlag am Ende der Strophe haben. An Brasilianern endlich zählen wir unter uns einen in Deutschland erzogenen, feingebildeten Kaufmann aus Pará, einen ebenfalls dem Kaufmannsstande angehörigen Herrn aus Manáos, einen jungen Arzt, welcher an seinem Finger einen schlangenverzierten Ring trägt, in Brasilien das übrigens nicht obligatorisch zu führende Zeichen der Schüler Aeskulaps, und als Letztzunennenden einen Paraenser Postbeamten, dem zweifellos nicht wenig indianisches Blut in den Adern fliesst. Des Letzteren Frau und Schwägerin sind hübsche Mulattinnen, welche von ihrer grossen und entsetzlich korpulenten Mutter begleitet werden. Diese Alte ist eine aus der Schaar jener Schwarzen, die niemals Sklaven waren, sondern nur Verdienstes halber auf eine Spanne Zeit aus Afrika nach Brasilien herüberkamen und -kommen. Trotz der bevorzugten Stellung, welche diese Neger gegenüber den bisherigen Negersklaven einnahmen, scheinen sie doch nicht als social gleichstehend mit den Weissen betrachtet zu werden. Wenigstens isst z. B. unsere alte Schwarze nicht, wie ihre Töchter, am gleichen Tisch mit uns, sondern an der Tafel für die Dienerschaft; auch hat sie keine Koje zur Verfügung, sondern schläft am Fussboden auf der Schwelle der Kajüte ihrer Töchter. Und wenn die Mulattinnen von der Schwester ihrer Mutter sprechen, vermeiden sie die Bezeichnung »Negerin«, welche wohl als demüthigend gilt, und nennen sie umschreibend »die Tante aus Afrika«.

Diese unsere Mitpassagiere, durchwegs Muss- und nicht wie wir Vergnügungsreisende, sind fast Alle mehr oder minder mit den Verhältnissen am Amazonas vertraut. Von ihnen suchen wir deshalb möglichst viel Aufschluss zu erhalten über die von uns in Aussicht genommenen Ausflüge in das Innere des Landes. Denn kein bequemer Bädecker steht uns hilfreich zur Seite, und bisher konnten wir den Plan zu diesen Touren nur aus zum Theil veralteten Reisebeschreibungen mühsam und unzuverlässig zusammenstellen.

An Bord. Sonntag, den 24. Juni.

Morgen sollen wir den Ocean gequert haben. Diese letzten acht Tage unserer Seereise boten wieder des Interessanten genug für uns, die wir zum ersten Male die Ueberfahrt nach Amerika unternahmen. Fliegende Fische beobachteten wir nahezu täglich und den ganzen Tag hindurch, indessen man ihnen in den kälteren Theilen des Atlantik selten oder gar nicht begegnet. Die des 18. Juni, südlich von Madeira, waren kleine, weissglänzende Thiere mit flügelgleichen Brustflossen, deren Spitze bis zum Schwanzende zurückreichte. Sie flogen meist zu mehreren oder vielen in ein und derselben Richtung mit schwirrendem, an den der Alken erinnerndem Fluge nahe oberhalb des Wassers eine gute Strecke weit dahin. Ihrer Färbung im Grossen und Ganzen und der Länge der Brustflossen nach könnten wir in ihnen vielleicht Vertreter der fast durchwegs silberglänzenden Species Exococtus Rondeletti Cuv u. Val. gesehen haben, welche südwärts bis zu den Canarischen Inseln vordringen. Den folgenden Tag, bei Abenddunkel, kam ein fliegender Fisch auf Deck gefallen und zwar ein Gemeiner Flughahn (Dactylopterus volitans L.), ein Fisch von kaum 30 cm Länge mit konischem Körper, ziemlich grossen schwarzen Augen und stacheligen, dunklen Brustflossen, mit welch letzteren er um sich schlug wie ein Vogel mit seinen Flügeln. Soweit mir die mangelhafte Beleuchtung an Bord zu unterscheiden gestattete, hielt ich den Rücken des Thieres für grau mit etwas dunklerer Zeichnung, die Unterseite für weiss. Die ganze Erscheinung des Flughahnes war die eines riesigen Nachtfalters, wozu sowohl die Körperform wie die weitabstehenden, je in zwei getheilten Brustflossen, deren oberer Theil den unteren überragt, die Veranlassung gaben. Nachdem sich der arme Fisch eine Zeitlang abgezappelt, wurde er wieder in sein nasses Element zurückbefördert. Die heute, schon näher der Küste gesehenen Flugfische dürften möglicher Weise einer der zwei, Exocoetus bahiensis Ranzani und Exocoetus cyanopterus Cuv. nicht als allgemein im Atlantischen Ocean, sondern speciell für diese Regionen verzeichneten Exocoetus-Arten angehören.

Ausser durch fliegende Fische war die Meeresoberfläche auch durch Seeblasen (Caravella) belebt. Den 18., bei schönem Wetter, blauem Himmel und dunkelblauer, ruhiger See, bemerkten wir die ersten. Ihre nach oben kammförmige Luftblase irisirte mehr oder minder roth- oder blauviolett, was uns hätte vermuthen lassen können, Caravella gigantea Hkl. vor uns zu haben, wenn nicht die geographische Breite unter der wir uns befanden, darauf hingedeutet hätte, dass es Grosse Seeblasen (Caravella maxima Hkl.) sein mussten. Da wir uns an der Grenze des Verbreitungsgebietes der Caravella gigantea Hkl. befanden, welche im südlichen und tropischen Atlantischen Ocean angetroffen wird, ist übrigens die Möglichkeit, dass es doch Caravella gigantea Hkl. waren, nicht unbedingt ausgeschlossen. Die Wellen, welche unser Dampfer verursachte, warfen den segelartigen Hautkamm dieser Röhrenquallen um, doch augenblicklich richtete sich derselbe wieder empor. Am nächsten Tage, bei gleich schönem, regenlosem Wetter, begegneten uns neuerdings Schaaren solcher Physaliden. Den dritten. Tag, bei etwas Seegang, segelten sie nur sehr vereinzelt daher, indessen sich die Flugfische durch die bewegte See nicht stören liessen. Sie sollen im Gegentheil zur Unterstützung des Fliegens etwas Wellenbewegung benöthigen. Vergleiche Cuvier: Histoire naturelle des Poissons, XIX. 73. Während des Restes unserer Ueberfahrt, bei mehr trüber Witterung und theilweise höheren Wellen, waren sie gänzlich verschwunden.

An Vögeln war auf hoher See wenig zu sehen. Den 19. Juni zeigte sich vormittags eine hellgrau geflügelte Möwe mit weisser Unterseite, vielleicht die an der westafrikanischen Küste verbreitete Rosen-Silbermöwe (Larus gelastes Thienem.), Nachmittags kam eine ähnlich gefiederte Seeschwalbe mit schwarzem Oberköpfchen in unseren Gesichtskreis. Unter den verschiedenen Sterninen, welche den Atlantischen Ocean bewohnen, dürfte es am wahrscheinlichsten eine der auch des Sommers weit im Süden sich herumtreibenden Paradies-Seeschwalben (Sterna dougalli Mont.) gewesen sein. Den 20. Juni erschien hoch über dem Wasser ein Seeflieger, an welchem mir nur die dunkle Färbung auffiel. Es war vermuthlich ein Noddy (Anous stolidus L.), eine jener tropischen Seeschwalben, die sowohl im Atlantik, wie in den asiatischen Meeren und dem Pacifischen Ocean, oft fern von jeglichem Lande angetroffen werden. Bis zum 23. zeigte sich nun keine Möwe mehr; an diesem Tag zählten wir eine, heute am 24. deren drei.

Dass wir uns diese letzten acht Tage auf hoher See befanden, bewies uns auch der fast gänzliche Mangel an Schiffen. Die ganze Zeit war kein Dampfer in Sicht gekommen, den 18. wohl ein Vollschiff, den 19. ein Schuner, heute wieder ein Segelschiff – das war aber Alles. Den 18. befanden wir uns zu Mittag auf 25° 6' n. Br. u. 24° 58' w. L. von Greenwich und hatten in 24 Stunden 300 Seemeilen zurückgelegt. Die Sonne stand fast im Zenith, so dass wir kaum einen Schatten warfen. Sie ging diesen Tag kurz nach 6 Uhr unter, dann folgte ein prachtvoller Mondschein.

Den 19., früh 5 Uhr, passirten wir den Wendekreis des Krebses und betraten zum ersten Male die tropische Zone. Wir befanden uns nun in der Region des Nordostpassates, einem regenarmen Striche. Zu Mittag wurde festgestellt, dass die »Manauense« in den letzten 24 Stunden 304 Seemeilen gelaufen war. Der Spiegelsextant gab 21° 27' n. Br., der Chronometer 28° 47' w. L. an. Der gesteuerte Kurs, den wir auch den folgenden Tag beibehielten, war S 44 W. Eine bezaubernd helle Mondnacht schloss sich an das Scheiden des Tagesgestirnes und verhinderte nicht, dank der klaren Luft, dass die vier Jupitermonde sichtbar wurden. Bis zum Mittag des 20. Juni war das Schiff neuerdings 304 Knoten gelaufen, von da ab aber verminderte sich die Geschwindigkeit unserer »Manauense« von Tag zu Tag, wohl in Folge des Eintretens bewegterer See und verschiedener Meeresströmungen. Wir zählten nur mehr 294, dann 292, 285 und endlich heute 272 Seemeilen von Mittag zu Mittag. Der gesteuerte Kurs schwankte zwischen S 37 W und S 40 W.

Den 20. Juni wurde mittags die geographische Lage zu 17° 49' n. Br. und 32° 33' w. L. bestimmt, den 21. zu 13° 56' n. Br. und 35° 40' w. L., den 22. zu 10° 13' n. Br. und 38° 52' w. L., den 23. zu 6° 24' n. Br. und 41° 42' w. L., den 24. zu 3° 48' n. Br. und 44° 27' w. L. Die Temperatur wies, den geographischen Breiten gemäss, keine grossen Sprünge auf. Den 18., an der Grenze der Tropen, hatten wir früh acht ein halb Uhr noch 23° C., von da ab aber, in der heissen Zone, stand das Thermometer schon morgens zwischen sechs ein halb und sieben ein halb Uhr auf 24° bis 26° C. In den Mittagsstunden stieg es am 21. bis auf 28° C. und blieb die anderen Tage auf 26-27,5° C. stehen, Abends 8 oder 9 Uhr ergaben die Beobachtungen durchschnittlich 25-26,5° C. Eine Steigerung der Temperatur vom Morgen zum Mittag um 1-2° war die Regel, ebenso ein Fallen um eine gleiche Anzahl Grade bis zum Abend; nur einen Tag, den 22., stand das Thermometer früh und Mittag, und einen zweiten, den 19., mittags und abends gleich hoch. Auf Deck war, dank einzelner Brisen und dem durch die Fortbewegung des Schiffes erzeugten Luftzuge, die Temperatur immer erträglich. Die Nächte in den Kajüten gestalteten sich aber in Folge der Hitze zu einer wahren Marter, und wenn man des Morgens erwachte, fühlte man sich, statt erquickt, durch das heftige Transpiriren so ermattet, als ob es gälte sich von einer schweren Krankheit zu erholen. Vom 20. ab hatten wir, wie an den ersten Tagen unserer Ueberfahrt, manchmal bewölkten Himmel zu verzeichnen, und vom 21. ab, gemäss unserem Eintritt in die Aequatorialzone, auch zeitweise Regen. Letzterer gestaltete sich den 22. zum ersten Male zu einem echt tropischen und gab uns einen Begriff von den uns auch ferner erwartenden, Alles überschwemmenden Güssen. Zugleich mit der Bewölkung und den Niederschlägen stellte sich auch mehr Seegang ein. Die ersten zwei Tage kam derselbe aus Osten und konnte man ihn noch Dünung nennen; den 22. hatte er jedoch den Charakter richtiger Windwellen, die das Schiff von achter in spitzem Winkel backbord trafen, und den folgenden Tag, gestern, waren entschieden Seen aus Südost zu bemerken. Heute endlich, seit wir uns in der, besonders zu dieser Jahreszeit starken, südlichen Aequatorialströmung befinden, ist die Bewegung eine doppelte geworden, und unsere »Manauense« stampft und rollt ganz erbärmlich. Die Wellen sind grossartig und von einer Länge, bis zu welcher man sie sich niemals in einem Binnenmeere entwickeln sieht.

Bezüglich der Meeresfarbe während unserer bisherigen Ueberfahrt machte ich die nämliche Beobachtung, welche ich schon vor Jahren im Polarmeere gemacht hatte. Die Farbe des Wassers richtete sich nach der jeweiligen Farbe des Firmamentes: war letzteres grau umzogen, so erschien auch das Wasser melancholisch schwarzgrau, und lachte der Himmel blau auf uns nieder, so schimmerten uns auch die Fluthen gemüthserheiternd blau entgegen. Doch das Blau der tropischen See ist nicht mattblau wie das des hohen Nordens, oder undurchsichtig dunkelblau wie das der wärmeren gemässigten Zone; es ist von einem so leuchtenden Azur und einer so entzückenden Klarheit, dass es die Sinne märchenhaft umstrickt.

Seit dem 20. stand das südliche Kreuz schon ziemlich hoch über dem Horizont und bot unseren Nächten auf hoher See einen neuen Reiz. Die Kreuzesform dieses Sternbildes ist deutlich ausgeprägt, doch wird der eine Kreuzesarm nur durch einen Stern dritter Grösse bezeichnet, was, gegenüber dem helleren Leuchten der übrigen drei Sterne erster und zweiter Grösse, etwas störend wirkt.

Aber nicht nur an angenehm interessanten Eindrücken war unsere Seefahrt reich, es fehlte auch nicht an unangenehm aufregenden. Wenn man das erste Mal den Ocean quert und liegt des Nachts bei Wellenrauschen schlaflos in seiner Koje, da keimen mitunter in der Phantasie alle Schreckbilder einer Reise auf hoher See empor und wachsen sich riesengross aus. Nur dünne Wände trennen den kühnen Herrn der Schöpfung von einem gähnenden Abgrund, welcher 6000-7000 m in die Tiefe geht Auf Tagereisen vor und hinter dem Schiffe ist kein Land, keine Hilfe. Das schwanke Fahrzeug weiss man den Elementen auf Gnade und Ungnade preisgegeben, und wenn sich irgend ein Unglück ereignet, kann das Schiff mit Mann und Maus untergehen, ohne dass je eine lebende Seele das Wie und Wo in Erfahrung bringt. Bei solchen Betrachtungen fühlt der Mensch seine unverantwortliche Waghalsigkeit, fühlt er sich ohnmächtig und verlassen; – aber das sind nur Stimmungen durch eine halbwache Einbildungskraft erzeugt. Ist der lichte Tag wieder am Himmelszelt heraufgezogen und schimmert das Meer wieder in unendlicher Bläue, dann verschwinden diese Hirngespinnste, wie der Frühnebel vor der aufgehenden Sonne zerrinnt. Und nicht einmal greifbare Ereignisse können dann das Gleichgewicht der Seele ernstlich erschüttern. Ich denke hierbei an den einzigen Unfall, der uns unterwegs begegnet ist. Den 21., kurz nach Mittag, verspürte man im ganzen Schiff einen heftigen Stoss – dann schien dasselbe stillzustehen. Hatte es wirklich keine Fahrt mehr? Oder war dies nur eine Täuschung? Nein, unsere »Manauense« rührte sich in der That nicht von der Stelle. Was war geschehen? Bis man wusste, um was es sich handelte, verflossen einige bange Minuten. Dann erfuhren wir, dass die Maschine nicht mehr arbeitete, weil ein Maschinentheil gebrochen war. Nun lag unser Dampfer inmitten des Atlantischen Oceans, auf einer fast garnicht befahrenen Strecke und somit wohl ohne Aussicht, einem rettenden Fahrzeug zu begegnen. – Doch so schlimm, dass wir letzteres gebraucht hätten, stand es glücklicher Weise noch nicht um uns. Eine Stunde lang wurde unser Schiff durch die Dünung willenlos hin und her gewiegt, und nur die rasch gesetzten, schlaffen Segel brachten uns langsam vorwärts. Dann war der Schaden an der Maschine ausgebessert und mit frischen Kräften unser Kurs wieder aufgenommen. Uebrigens hatte uns der Kapitän lachend versichert, er sei auf drei Wochen verproviantirt, und wir könnten uns also ohne Hungersgefahr noch eine geraume Zeit auf hoher See herumtreiben lassen.

An Bord. Montag, den 25. Juni.

Heute war ein ereignisreicher Tag. Um 6 Uhr früh passirten wir den Aequator, doch keine Linientaufe verherrlichte für uns, die wir zum ersten Male die südliche Hemisphäre betraten, den feierlichen Moment. Auf diesem Kauffahrteischiff wenigstens ist durch die Prosa der Neuzeit jegliche humoristische Feier abgeschafft. Um sieben ein halb Uhr zeigte heute das Thermometer schon 28° C. Das Meer verrieth durch seine grüne Färbung die Nähe des Landes, und um 8 Uhr kam die ersehnte Küste in Sicht, zunächst als grauer, nebelverschleierter Höhenzug. Wie auf Columbus' Caravelas hatte sich Alles auf Deck versammelt, den fremden Welttheil zu begrüssen. Es war dies der zweite packende Augenblick des heutigen Tages. Eine Viertelstunde später schon glänzte uns der blendendweisse Leuchtthurm der Ponta de Atalaia Atalaia (portug.) = Wachtthurm. entgegen, der Lootsenstation für die nach Santa Maria de Belem do Grão Pará bestimmten Schiffe.

In den Fluthen um uns schwammen Ctenophoren und Polypomedusen in Menge. Erstere waren graugrüne Melonenquallen (Beroidae), deren untere, den Mund einschliessende Hälfte roth erschien, Obwohl diese Beschreibung nicht ganz genau auf Idyia ovata Eschsch. passt, dürfte es doch vermuthlich diese Beroide gewesen sein. Die ihr nahestehende Idyia gilva Eschsch. ist wohl zu klein und zu gelblich, um in Betracht zu kommen. letztere graugrüne Hydroidpolypen, welche, Gestalt und Färbung nach, Aequoriden gewesen sein könnten.

Inzwischen war auch der Lootsenschuner sichtbar geworden, und die Küste hatte sich als weisser, von braunem Terrain überlagerter Dünenstreifen in weiter Ausdehnung entwickelt. Das Wasser wurde immer gelbgrüner. Wir näherten uns dem Schuner, welcher ein winziges Beiboot mit drei riemenführenden Leuten und dem Lootsen aussetzte. Die Riemen waren richtige Pagaien des Amazonas, d. h. kurze Handruder mit nahezu kreisrundem, flachem Ruderblatt. Siehe rückwärts Tafel III. No. 1. Eine gleiche Pagaia diente dem achter sitzenden Mann zum Steuern. Unser Dampfer stoppte, indessen drei Delphine sich in der Nähe tummelten und ein paar Reiher hoch zu unseren Häupten dahinflogen. Der Lootse kam an Bord. Es war dies ein Tapuio, d. h. ein halbcivilisirter Indianer oder überwiegend von Indianern abstammender Mischling Nordbrasiliens. Der Begriff Tapuio wird verschieden definirt. Hartt (Archivos do Museu Nacional de Rio de Janeiro, VI. 173, und Revista da Exposição Anthropologica brazileira, 75) sagt, dass die Nachkommen der Tupí am Amazonas jetzt Tapuya oder Tapuios heissen, dass aber dieser Name auch auf die Nicht-Tupíindianer angewendet wird. Couto de Magalhães (O Selvagem XII. XXVI. und II.) 68, 88 ff. versteht unter Tapuio sowohl den wilden wie den civilisirten Indianer und den Mestizen Nordbrasiliens, Tschudi (Reisen durch Südamerika, II. 259) unter Tapuyas die wilden und halbcivilisirten Indianer eines Theiles von Nord- und Mittelbrasilien. – Mello Morses Filho und Barboza Rodrigues (Revista da Exp. Anthrop. Brazil, 30 u. 41) nennen Tapuios die civilisirten Amazonasindianer; letzterer bezeichnet so speciell die reinrassigen. Silva Araujo (Diccionario do Alto Amazonas, 142, 193) versteht unter Tapuios die Eingeborenen am Amazonas, welchen Stammes sie auch sein mögen. Schütz (Der Amazonas, 174) nennt so die getauften Indianer. Martius endlich (Zur Ethnographie Amerikas, zumal Brasiliens, I. 30, 370, 713, 717, 721 ff.) bezeichnet als Tapuios bald die nichtcivilisirten, bald die halbcivilisirten, bald die Amazonasindianer überhaupt. – Meinen in Brasilien gemachten Beobachtungen nach versteht man unter dem Worte Tapuio den sesshaften Indianer des Amazonasthales, dem in den meisten Fällen die Tradition, welchem Stamm er zugehört, verloren gegangen ist, aber auch den indianischen Mischling mit vorwiegend indianischen Rassenmerkmalen. Zu ähnlicher Schlußfolgerung ist auch Keller-Leuzinger (Vom Amazonas und Madeira, S. 28 Anm. 1) gelangt. Er hatte unleugbar die Züge der mongolenähnlichen Völker, unter anderem plattes Gesicht, vortretende Jochbeine, dicke Lippen, Bartarmuth und straffes, schwarzes Haar. Seine Hautfarbe war ein schmutziges Braun.

Wir nahmen nun den Kurs direkt nach Westen, in ziemlicher Entfernung parallel der Küste. Um 11 Uhr war der Thermometerstand 31,5° C., eine bis jetzt auf unserer Reise noch nicht erreichte Höhe. Eine Stunde später kamen wir am Leuchtschiff vorbei, welches die Mündung des Rio Pará oder südöstlichen Amazonasarmes anzeigt. Wir liefen, die Tijucabank nordwestlich zur Rechten, die Tijucainsel mit der Brandung an der davorliegenden Bragançabank südöstlich zur Linken lassend, in den gewaltigen Strom hinein. An Bord entspann sich unter den Passagieren ein Streit darüber, ob die von uns jetzt zu befahrende Wasserstrasse als Tocantins oder als Rio Pará, das heisst Ostarm des Amazonas zu betrachten sei. Auch die Karten und geographischen Werke sind darüber verschiedener Meinung, Siehe Moreira Pinto: Apontamento para o Diccionario Geographico do Brasil, I. 263. – Moura: Diccionario Geographico do Brazil, I. 44. – Silva Araujo: Diccionario do Alto Amazonas, 34. – Wappäus: Brasilien, S. 1244, 1245, 1250, 1251. – Levasseur: Le Brésil, p. 9. – Osculati: Esplorazione delle regioni equatoriali, p. 266 e. s. jedoch weisen die geologischen und orographischen Verhältnisse des Amazonasbeckens darauf hin, dass besagter Wasserlauf dem Amazonas und nicht dem Tocantins zugehört. Orville Derby: Physikalische Geographie und Geologie Brasiliens, 18, 19. – Hartt: Geology and Physical Geography of Brazil, 491. – Süss: Das Antlitz der Erde, II. 631, – Siehe auch Ehrenreich: Südamerikanische Stromfahrten (Globus LXII S. 36).

Auf unserer Weiterfahrt stromaufwärts sah man nur links in der Ferne einen Uferstreifen, rechts dehnten sich die grünen Fluthen scheinbar uferlos. Es wird dies begreiflich, wenn man sich vorstellt, dass diese ungeheueren Wassermassen an ihrer Mündung, von der Ponta de Tijuca bis hinüber zur Ponta de Magoary auf Marajó, eine Breite von 60 km einnehmen. Welke Blätter trieben uns entgegen, einzelne Palmstämme schwammen im Wasser und kleine Segelboote kreuzten auf diesem Süsswassermeere. Wir kamen an einer ertrunkenen Insel vorbei. Ihre Bäume waren weggerissen und verschwunden, auf dem übriggebliebenen Sande starrten nur mehr etliche astlose, abgestorbene Stämme empor. Vielleicht war dieses Eiland ein Opfer der berüchtigten Pororóca, jener hohen Fluthwelle, welche sich zur Zeit der Syzygien, alles vernichtend, amazonasaufwärts wälzt. Die Pororóca ist landeinwärts auch im Rio Puras, einem Nebenfluss des Amazonas, 1277 km von der Mündung des ersteren, beobachtet worden. (Souza; Valle do Amazonas, 127. Boguslavski: Handbuch der Oceanographie, II. 160 ff.) Weitere einheimische Quellen über die Pororóca sind Cerqueira e Silva: Corografia Paraense, 69 e. s. – Moreira Pinto: Apontamentos para o Diccionario Geographico do Brazil, I. 264. – Silva Araujo; Diccionario etc., 54. Monra: Diccionario etc., I. 45; endlich nochmals Souza: Valle etc., 126, 146, 219, welcher, entgegen allen anderen Quellen, merkwürdiger Weise behauptet (p. 146), dass die Pororóca niemals im Amazonas selbst beobachtet worden sei! – Im Süden lagerten dem Festland, von letzterem kaum zu unterscheidende Waldinseln vor. Nicht früher als drei Stunden, nachdem wir in den Strom eingefahren, zeigte sich im Westen die Rieseninsel Marajó als kaum über den Wasserspiegel aufragender Waldsaum. Erst durch das Auftauchen dieser zweiten Uferlinie erhielten wir eine klare Vorstellung der ganzen überwältigenden Breite des rechten Amazonasarmes. Südöstlich trat die Insel Collares in den Gesichtskreis, indessen das von den Jesuiten gegründete Städtchen Vigia durch vorlagerndes Land den Blicken verborgen blieb. Auf Collares erhob sich aus blaugrünem Gebüsch der Flecken gleichen Namens, welcher einst ein Tupinambá-Dorf gewesen. Als Hintergrund diente ihm der bräunlich-grün getönte Wald. Ein paar Klippen entstiegen den Fluthen, welche letzteren hier schon die charakteristische Farbe des Amazonas trugen, nämlich ein schmutziges Gelb. Nachdem wir die Insel passirt, öffnete sich die Bahia do Sol. Immer wieder, bald näher, bald ferner, tauchten im Süden flache, über und über mit der üppigsten Vegetation bedeckte Eilande empor. Als gefranste Baumlinie blieb uns im Westen Marajó, jenes grosse, ebene und überwiegend alluviale Land, welches, in die Mündung des Amazonas eingelagert, dessen nordwestlichen Arm vom südöstlichen, dem Rio Pará, trennt. Die hereinbrechende stockfinstere Nacht setzte unserer Fahrt ein Ziel, und wir warfen Anker inmitten des Stromes. Heftiger Regen rauschte hernieder, und die Luft maass zwischen 7 und 8 Uhr abends gut 26° C.


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