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Kapitel V.
Rio Negro.

Mit dem Rio Negro haben wir den mächtigsten linksseitigen Zufluss des Amazonas erreicht, jenen Zufluss, welcher namentlich dadurch beachtenswerth ist, dass erst nachdem seine gewaltigen Wassermassen sich in den Hauptstrom ergossen haben, letzterer allgemein den Namen Amazonas trägt. Der Rio Negro durchläuft auf brasilianischem Gebiet 1460 km. Er steht zwar an Länge hinter anderen Zuflüssen des Amazonas zurück, nicht so jedoch an Tiefe und Breite. Seine Tiefe beträgt bis zu 40 und 60 m, Silva Araujo: Diccionario topographico do Alto Amazonas, 209. – Souza: Valle do Amazonas, 319. und seine Breite bis zu 20 und 30, ja 50 km, so dass er in letztgenannter Beziehung sogar den Solimões übertrifft. Die Strömung des Rio Negro ist gering, namentlich am Unterlauf. Zur Zeit der Enchente steigt der Strom um ungefähr 10 m und überschwemmt die meisten seiner zahlreichen Inseln. Die Vazante beginnt Ende Juni, etwas später wie im Amazonas, und legt manches durch die Enchente herrlich gedüngte Stück Inselland trocken. Die Farbe des Rio Negro ist ein schönes Bernsteingelb, scheint jedoch, wo das Wasser tiefer ist, undurchsichtig schwarz und hat hierdurch dem Strom seinen Namen gegeben. Wie alle Schwarzwasserflüsse beherbergt auch der Rio Negro wegen Mangels an Wasserpflanzen und Ufergras verhältnissmässig wenig Fische Journal of the Linnean Society, Zoology IX. p. 364, 365. Immerhin beträgt sein Fischreichtum noch etliche hundert Arten; Wallace: Travels on the Amazon and Rio Negro, 467. und ist auch er von der entsetzlichen Mückenplage befreit, welche den Aufenthalt am Amazonas zu einem so qualvollen gestaltet. Letzterer Umstand war es vielfach, der Anfang des vorigen Jahrhunderts die Ansiedler vorzugsweise an den Rio Negro lockte. Doch bald erkannte man, dass das Klima hier weit ungesunder sei als am weisswasserführenden Hauptstrom, und dass bösartige Fieber und Hautkrankheiten decimirend herrschen. So sind nun manche einst blühende Ortschaften daselbst wieder verlassen worden und dem Verfalle anheimgegeben.

Als die Portugiesen vor zweieinhalb Jahrhunderten den Rio Negro entdeckten, fanden sie seine Ufer und die seiner Nebenflüsse von Indianern dicht besetzt. Diese Eingeborenen zerfielen in sieben vorherrschende Stämme und ungefähr hundert kleinere Stämme, Horden und Gemeinschaften. Unter diesen ragten die Aruaquí hervor, welche den Stamm fast aller Missionen und Kirchspiele des Rio Negro bilden; die Baré, deren Sprache am oberen Flusslauf das Tupí ersetzt; die Manáo, die im Stromgebiet einst die Hegemonie ausübten und gleich den zwei vorgenannten Stämmen der Nu-Aruakgruppe zugehören; die menschenfressenden Uaupé, welche die Unterlippen durchbohrt haben, für geistig sehr entwickelt gelten und bis jetzt ethnographisch isolirt dastehen; endlich noch manche andere, welche alle hier zu nennen den Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten würde. Die vordringenden Weissen suchten civilisatorisch vorzugehen. Sie gründeten blühende Missionen und von Indianern bevölkerte Dörfer. Doch schon in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sowie einige Jahrzehnte später revoltirten einzelne Stämme, und seither haben sich die Rothhäute immer mehr und mehr vom Hauptfluss zurückgezogen. Das jetzige Verhältniss zwischen Weissen und Indianern ist ein höchst trauriges, ist ein steter stiller Kampf zwischen der raffinirten Schlauheit der einen und der rohen Gewalt der anderen Rasse. Die Hauptschuld an diesen Zuständen tragen die weissen Händler, welche auch die entlegensten Flüsse befahren und zu ihren egoistischen Zwecken die armen Wilden auf die gewissenloseste Weise ausbeuten und hintergehen. Die solcherweise schmählich betrogenen, den Weissen ursprünglich stets vertrauensvoll entgegenkommenden Indianer trachten dann durch Ueberfälle, durch Raub und Mord sich an ihren Peinigern zu rächen. So entwickelt sich ein gegenseitiger Vernichtungskrieg, welchem die Regierung umsonst zu steuern sucht. Der Eigennutz der Privatpersonen weisser Rasse versteht es, die philanthropischen Pläne der staatlichen Behörden immer wieder zu durchkreuzen und den friedlichen Verkehr mit den von Natur aus gutmüthigen Eingeborenen immer wieder zu verhindern. Ein ausführliches, auf eigener Anschauung beruhendes und ganz zu Gunsten der Indianer ausfallendes Bild dieser Zustände giebt Barboza Rodrigues in seinem Buche: Rio Jauapery. Pacificação dos Crichanás, erschienen 1885 in der Imprensa Nacional de Rio de Janeiro. – Ein gleiches Bild giebt derselbe Autor in Mello Moraes: Revista da Exposição Anthropologica Brazileira, 47 ff. – Siehe auch Avé-Lallemant: Reise durch Nordbrasilien, II. 156 ff., und Gonçalves Tocantins: Estudos sobre a tribu Mundurucú (Revista do instituto historico, geographico e ethnographico do Brazil, XL. p. 137 e s., 144 e s.)

Manáos. Samstag den 7. Juli.

Heute Nacht warf unsere »Manauense« Anker vor Manáos im Rio Negro und war somit am Ziel ihrer Reise angelangt. Wir hatten seit Pará ungefähr 1717 km Diese Kilometerzahl ist Souza (Valle do Amazonas, p. 35) und der Tabella das Linhas de Navegação (p. 3) entnommen. Macedo (Noções de Corographia do Brazil, p. 41) nimmt für diese Strecke 103 km weniger an. zurückgelegt und hatten vier Tage auf die Amazonasstromfahrt verwendet. Nachdem wir dem freundlichen Kapitän und den wenigen Mitpassagieren, die uns nicht schon in Pará verlassen, Lebewohl gesagt, gingen wir an das Land und zunächst in das einzige Gasthaus, welches, gleich dem besten in Pará, von einem Franzosen gehalten wird.

Nun galt es, baldmöglichst eine der bescheidenen Expeditionen zu organisiren, zu welchen uns Manáos als Ausgangspunkt dienen soll. Dank der Zuvorkommenheit eines hiesigen Kaufmannes, welcher mit uns von Lissabon übergefahren war, wurden wir in dieser Angelegenheit an einen Halbindianer gewiesen, an Maximiliano Roberto, den Sohn eines Spaniers und einer Muraindianerin. Derselbe ist Kenner von Land und Leuten, Pflanzen und Thieren. Er hat viel unter den Indianern gelebt, um mit ihren Sitten und Gebräuchen bekannt zu werden, und spricht nicht weniger als fünfzehn Indianersprachen. Letzterer Umstand allein aber ist schon die beste Empfehlung zum gütlichen Verkehr mit den Eingeborenen, denn Denjenigen, welcher ihrer Sprache mächtig ist, betrachten sie durchschnittlich als Freund, Denjenigen, welcher sie nicht erlernt hat, als Feind. So scheint Roberto in jeder Beziehung der berufenste Führer für uns zu sein. Nach einigem Zögern erklärte er sich auch bereit, uns zu begleiten, und schlug zum Zweck des Besuches eines wilden Indianerstammes vor, den Rio Negro aufwärts zu den Jauapery oder Crichaná Sie werden auch Uasahy, Auamiry, Uamery, Uamiry, Waimeri, Uaymery, Cericuná, etc. genannt. (Barboza Rodrigues: Pacificação etc., 134, 135. – Mello Moraes: Revista etc., 47.) – Crichaná bedeutet Nação grillo = Grillennation. zu fahren. Dieser 2000-3000 Seelen zählende Stamm, welcher sich nach Barbosa Rodrigues Mello Moraes, I. c. 36. von den Aruaquí abgezweigt hat, somit der Nu-Aruakgruppe zuzurechnen ist, wird nach Ehrenreich Ehrenreich: Die Eintheilung und Verbreitung der Völkerstämme Brasiliens etc. (Petermanns Geographische Mittheilungen XXXVII. S. 124). zur Gruppe der Karaiben gestellt. Er sitzt am Rio Jauapery, einem linksseitigen Nebenfluss des Rio Negro. Während Weiber, Kinder und alte Männer in den Malocas zurückbleiben, ziehen alljährlich zur Zeit der Vazante die streitbaren Männer auf ihren Ubás oder Rindencanoas den Fluss herab zum Rio Negro, daselbst in Verkehr mit den Weissen zu treten. Dass letzterer oft schlimm ausfällt, wird nach dem weiter oben über solchen Verkehr Gesagten als naheliegend erscheinen. Thatsächlich hat ungefähr dreissig Jahre lang eine Art Vernichtungskrieg zwischen den Crichaná und den weissen Ansiedlern des Rio Negro stattgefunden, und erst seit 1884 ist es gelungen, ein freundschaftlicheres Verhältniss anzubahnen. Der Crichaná ist gutmüthig, friedlich und mitleidig, aber auch jähzornig und rachsüchtig. Er ist gross, schlank und kräftig, dolichokephal und von hellbrauner Hautfarbe, seine Nase ist etwas gebogen, seine Augen sind klein und geschlitzt, seine Jochbeine wenig vorstehend, seine schwarzen Haare oberhalb der Augenbrauen horizontal zugeschnitten. Er trägt Federschmuck, verfertigt Strohkörbe, Thongefässe, Baumwollgewebe, besitzt Steinwerkzeuge, Messer aus Schildpatt und Scheeren aus zugefeilten Fischzähnen. Seine Waffen sind Bogen und Pfeile, zu welch letzteren er die Spitzen aus den Knochen erschlagener Weisser herstellt. Aber auch zu Halsketten und Flöten werden die Arm- und Beinknochen des Feindes verwendet. Um sein Palmblatthaus, welches kreisrund ist, pflanzt der Crichaná Mandioca, Bananen, Ananas, Nutzpalmen und andere nützliche Gewächse; ausserdem betreibt er Jagd und Fischerei. Die Todten werden in Hängematten aufrecht in irgend einem hohlen Baumstamm des Urwaldes begraben. Entgegen der Sitte anderer Stämme haben die Crichaná keine gewählten Tuchauá, die Aeltesten unter ihnen sind von Natur aus ihre Anführer. Sich bei feindlichen Zusammenstössen durch Signale zu verständigen, bedienen sie sich einer Pfeilzeichensprache. Barboza Rodrigues: Pacificação etc. – Rockling: Contra os Jauaperys (Revista do Amazonas, I. 98 e s., 124 e s.). – Mello Moraes: Revista etc., 47., 48.

Maximiliano Roberto. (Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.)

Diesen wilden, noch in der Steinzeit lebenden Stamm sollen wir also aufsuchen. Doch hierzu bedurfte es allerhand Vorbereitungen. Vor Allem mussten wir eine Lancha auftreiben, ein kleines Dampfboot, uns stromaufwärts zu bringen, dann musste diese Lancha auf einige Zeit mit Lebensmitteln verproviantirt werden, da unterwegs wenig oder nichts zu haben sein wird, endlich mussten wir uns mit vielerlei Tauschartikeln versehen, einen freundschaftlichen Verkehr mit den Wilden einzuleiten. Diese Ausrüstungen zu unserer Expedition und das Besehen von Manáos füllten unseren heutigen Tag. –

Manáos, die Hauptstadt der 1852 errichteten Provinz Amazonas, zählt circa 25 000 Einwohner, welche in Weisse, Indianer, Neger und Mischlinge zerfallen. Man bemerkt hier weit weniger Neger und weit mehr Indianer als in Pará. Letztere, deren man vor 30-40 Jahren in Stadt und Umgegend über 4000 rechnete, sind Nachkommen von Manáo, Baré, Baníba, Passé, Tarumá, Payana, Purupurú, Coretú, Uerequéna und Jurí und werden jetzt, seit Jahrzehnten und Jahrhunderten untereinander vermischt, mit dem allgemeinen Namen Tapuios bezeichnet. Die auf mehreren Kalkhügeln liegende Stadt hat fast kein einziges hübsches Gebäude aufzuweisen, dafür aber einige ganz annehmbare Verkaufsläden französischen Ursprunges. Die Strassen sind reich an Löchern und noch schlechter als die von Pará. Unter den Begriff Strasse rechnet man übrigens auch grasbewachsenes, zwischen Hütten und Häusern sich hinziehendes Erdreich, auf welchem nur ein Fusspfad ausgetreten ist. Die auf einige Stadttheile beschränkten Bürgersteige sehen höchst ungepflegt aus und haben ebenfalls Berg und Thal. Ueberall dringt das Grün weit in die Stadt herein und wird die mangelhafte Architektur durch Palmen und andere Bäume wett gemacht. Das Stadtende hinter der ganz hübschen Kirche São Sebastião bilden palmstrohgedeckte, malerische Indianerhütten, in Reihen geordnet. Vor ihren stets offenen Thüren spielen braune, schwarzhaarige Kinder. Auf dem Markt und an den Fenstern der Wohnhäuser sieht man allerhand Vögel in Käfigen, graue brasilianische Ammern mit dunklen Flügeln und rothem Kopfe, Paroaria larvata Bodd., einen graubraunen, dunkelgefleckten, also weiblichen Sabiá do sertão (Mimus saturninus Licht.) Dieser Sabiá (Spottdrossel), stimmt nach Wied (Beiträge zur Naturgeschichte von Brasilien III. 658) auf das Weibchen des Mimus saturninus Licht., indessen das Männchen nach Catalogue of the Birds in the British Museum VI. 348 und Burmeister (Systematische Uebersicht der Thiere Brasiliens III. 128), ein gelblicheres und röthlicher braunes Gefieder hat., auch weissgefiederte Thierchen mit graublauem Kopf und noch eine Menge anderer unfreiwilliger Stubengenossen des Menschen. Auf dem Markte, wo sich einige der wenigen Neger Manáos' einzufinden pflegen, bemerkt man ferner riesige Pirarucú (Arapaima gigas Cuv.), bis zu 4,5 m lange Fische des Amazonasgebietes, deren getrocknetes Fleisch eine der Hauptnahrungen der dortigen Bevölkerung abgiebt. Auch allerhand Vegetabilien werden feilgeboten, unter anderem feijões pretos, diese bei den Brasilianern so beliebten, nahrhaften schwarzen Bohnen. Die Stadt durchzieht ein von Häusern und Bäumen eingeschlossener Igarapé, auf welchem Batelões liegen, an Vor- und Achterschiff mit Strohmatten tonnengewölbartig gedeckte, malerische Fahrzeuge. Nach Keller-Leuzinger (Vom Amazonas und Madeira, S. 27) zu schliessen, könnten diese Fahrzeuge möglicherweise Igarités, und nicht Batelões, sein. Gegen den Hafen zu führt eine Allee stolzer Königspalmen (Oreodoxa regia Humb. Bonpl. et Kth.). Auf dem hier 3 km breiten Rio Negro ankern grössere und kleinere Schiffe, bestimmt Waldprodukte wie Kautschuk, Castanha, Castanha = Paránüsse, Früchte der Bertholletia excelsa Humb. Cumarú, Cumarú = zum Parfümiren des Schnupftabaks und der Wäsche verwendete Samen der Dipterix tetraphylla Spruce. Andiroba, Andiroba = ölliefernde Samen der Carapa Guianensis Aubl. Guaraná, Guaraná = Paste aus den gepulverten Samen der Paulinia sorbilis Mart., ein indianisches Genuss- und Heilmittel. Piassaba, Piassaba = Fasern der Blattstiele der Leopoldinia Piassaba Wallace, einer Palme des westlichen äquatorialen Brasiliens und des südlichen Venezuela. Copahybaöl Copahyba = Copaifera; in diesem Falle vermuthlich C. guianensis Desf., C. multijuga Hayne etc. u. s. w., aber auch Cacao, Pirarucú, Thierhäute, Schildkröten und Peixe-boifett, Peixe-boi = Manatus inunguis Natt., pflanzenfressender Cetacee. Goeldi (Os mammiferos do Brasil 120) trennt den M. inunguis des Amazonas als eigene Species vom M. australis Tiles = M. americanus Desm. der tropischen Küstenstriche Ostamerikas. Ein Gleiches thun Pelzeln (Brasilische Säugethiere, S. 88 u. ff.), Wagner, Burmeister etc. federnverzierte Hängematten und vieles Andere stromabwärts zu bringen. Der Werth des jährlichen Waarenumsatzes beläuft sich auf ungefähr neuneinhalb Millionen Mark. Ziffer von 1881-1882.

Unter den hiesigen Europäern finden wir ziemlich viel Deutsche. Wir werden in den Läden mitunter deutsch angesprochen und sogar auf den Strassen wegen unseres deutschen Typus' von Landsleuten angehalten, welche ebenso froh sind wie wir, Anklängen an die Heimath zu begegnen.

Mittelst der heute eingekauften Thermometer maassen wir abends 8 Uhr 26,5° C. Das hiesige Clima gilt als verhältnissmässig gesund, trotzdem das gelbe Fieber bis hierher vorgedrungen ist. Auch wird die Hitze durch Winde und Bergwasser gemildert, erscheint uns aber nichtsdestoweniger unerträglich. Schlimmer steht es um die Gesundheitsverhältnisse stromaufwärts, und zwar so schlimm, dass wir von einem hier angestellten Landsmann ernstlich gewarnt worden sind, uns dahin zu wagen. Unsere Fahrt ist aber nun bestimmt und wir wollen sehen, ob die Malaria dort wirklich so verheerend auftritt.

Manáos – Auf dem Rio Negro. Sonntag, den 8. Juli.

Früh 6 Uhr hörten wir eine heilige Messe in der Kirche dos Remedios. Wir trafen dort einen Missionär, welcher von Itacoatiára mit uns gekommen war und uns unterwegs viel Interessantes über seine Missionsthätigkeit bei den Mundurucú mitgetheilt hatte. Sein Projekt, uns zu diesen Indianern zu bringen, scheiterte an dringenden Geschäften seinerseits. Jedoch führte er uns heute in das Haus des Generalvikars und dessen Schwester ein und in dasjenige des angesehensten Arztes der Stadt. Bei diesem Anlass sahen wir zum ersten Male die überall gleiche, möglichst nüchterne Saloneinrichtung der brasilianischen Häuser. An der Hauptwand steht ein steifes Canapee und zu diesem ziehen sich in rechtem Winkel zwei Reihen von Rohrstühlen, so dass die ganze, ungemüthliche Sitzgelegenheit die Form eines Hufeisens hat. Auch mit einer anderen, in der Musikliebhaberei der Brasilianer begründeten Sitte wurden wir hier bekannt. Unaufgefordert spielte man uns gleich bei diesen ersten flüchtigen Besuchen auf dem Klaviere vor und lud uns hierauf ein, ebenfalls unsere musikalische Fertigkeit zum Besten zu geben.

Das Haus des Generalvikars bot uns ein ferneres Interesse, indem wir daselbst eine erst kürzlich vom Rio Juruá heruntergebrachte Miranhaindianerin antrafen. Sie war kaum mittelgross, kräftig, untersetzt und hatte eine gelbbraune Hautfarbe, eine tiefliegende Nasenwurzel, einen breiten Mund und kleine, dunkle Augen mit enger Lidspalte. Das pechschwarze, schlichte Haar trug sie, wie viele brasilianische Indianer, oberhalb der Augenbrauen und im Nacken horizontal abgeschnitten. Ihr Aussehen verrieth Intelligenz, ihr Benehmen, als das eines echten Kindes der Wildniss, war etwas scheu. Die Miranha, welche eine der acht Hauptgruppen der brasilianischen Indianer bilden und, wenigstens in Brasilien, aus umhertreibenden Banden bestehen, sitzen hauptsächlich auf beiden Seiten des Rio Japurá zerstreut. Sie gehören zu den berüchtigtsten Menschenfressern des Amazonasthales. Nicht nur, dass sie die im Kampf getödteten und die gefangenen und dann gemästeten Feinde verzehren, sie verzehren auch aus dem eigenen Stamm Verwandte und Freunde, welche wegen Altersgebrechen oder schwerer Krankheit umgebracht worden sind. Und dies geschieht mit der Absicht, hierdurch den Betreffenden ein ehrenvolles Grab zu bereiten, welches der zu ihnen gehegten Liebe entspricht. Die Miranha sind fast thierisch roh und doch werden sie andererseits als sanft, aufrichtig und gutmüthig geschildert. Unstät und flüchtig ziehen sie umher, kriegführend, raubend und mordend. Ihre Waffen, unter welchen das Blaserohr zu nennen ist, sind sämmtliche mit Uirari vergiftet. Die Miranha werden als unbezahlte gute Arbeiter von den Weissen gern eingefangen, namentlich die Mädchen, gehen aber an Heimweh bald zu Grunde. Melle Moraes: Revista da Exposição Anthropologica Brazileira, 30, 41 e o., 124 e s., 152, vergl. auch p. 54. – Martius: Zur Ethnographie Amerikas etc. I. 55, 73, 534 u. ff. – Ehrenreich: Die Eintheilung etc. (Petermann's geographische Mittheilungen XXXVII. S. 84, 121). Es ist zu wünschen, dass unsere junge Miranhaindianerin im Hause des Generalvikars vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt bleiben möge. –

Um 1 Uhr mittags lag unsere gemiethete Steamlaunch »Corta-agua« klar zum Auslaufen im Hafen. Diese Launch ist ein winziger Dampfer ohne eine Spur von Cajüte, einfach ein durch Dampf getriebenes offenes Boot, kaum gross genug, uns wenige Personen, das bescheidene Gepäck, den Proviant, die Tauschartikel und den Kohlenvorrath zu fassen. Das Fahrzeug ist für unsere Reise von unbestimmter Dauer entschieden ungenügend, aber es liess sich momentan kein anderes auftreiben. An Bord haben wir, ausser unserem Führer Senhor Maximiliano Roberto, einen englischen Maschinisten, einen tauben, alten portugiesischen Matrosen und einen zu allen Handlangungen zu verwendenden Portugiesen Namens João. Letzterer ist ein prächtiger, findiger Mensch, den wir für die Zeit unseres Aufenthaltes in Manáos in Dienst genommen haben und der über jede Schwierigkeit mit Humor und den Worten »Não faz mal« Não faz mal – es schadet nichts, es macht nichts, es liegt nichts daran. hinwegzukommen sucht.

Anfangs nahmen wir den Kurs am linken Rio Negroufer, welches aus rothem Sandstein besteht, ziemlich hoch ist und dicht bestanden mit Laubbäumen und Inajápalmen (Maximiliania regia Mart.) Der Unterschied zwischen dem vorherrschenden Ufercharakter des Amazonas und dem des Rio Negro wurde uns in Bälde klar. Indessen am Hauptstrom die Ufer meist niedrig und überschwemmt sind und die Inseln sich vielfach über dem Niveau der Enchente erheben, sind hier die Ufer meist sandige Terra firme Der portugiesische Ausdruck »terra firme« heisst so viel wie Festland. Im Amazonasgebiet bezeichnet man damit das von den jährlichen Ueberschwemmungen nicht mehr berührte Terrain. und manche der Inseln fast bis zu den Wipfeln ihrer Bäume überschwemmt. Eine so überaus üppige, mitunter feenhaft reiche und phantastisch gruppirte Ufervegetation, wie wir sie am Amazonas trafen, fehlt hier gänzlich und auch die Pflanzenarten sind im Grossen und Ganzen genommen andere als dort. Keine Montrichardien, keine Cana-rana schmücken die sandigen Ufer, wenig Cecropien strecken ihre steifen Aeste hinaus, wenig und wenigerlei Palmen wiegen ihre zierlichen Kronen im Winde, keine Waldriesen, wie Ceiba Samauma oder Bombax Munguba, nur Holzgewächse mittleren und niedrigen Wuchses bilden die Bestände, und im Flusse selbst treiben keine Caapim-Inseln und keine entwurzelten Bäume.

Um zweieinhalb Uhr hatte die Luft eine Temperatur von 26° C. und das Wasser von 27,5° C. Gegen die Sonnenstrahlen, welche unbarmherzig herniederbrannten, war auf unserem Miniatur-Dampfer nur hoch oben ein Sonnensegel aus dünner Leinwand angebracht; auf den Seiten aber fehlte sogar diejenige Art von Schutzvorrichtung, welche nicht einmal die kleinen Ruderboote dieser Aequatorialgegenden entbehren. So verfertigten wir schliesslich selbst aus einem zufällig an Bord befindlichen Leintuch eine senkrechte Wand um uns herum, uns vor den verderblichen Einwirkungen der Tropensonne zu retten.

Nun steuerte die »Corta-agua« gegen das rechte Ufer hinüber, während am linken deutlich die Mündung des Tarumá-assú sichtbar wurde. Es ist letzteres ein kleiner Fluss, an dessen oberem Laufe wilde Indianer hausen sollen. Es werden dies vermuthlich Aruaquí sein, ein Stamm, dem man von brasilianischer Seite Anthropophagie vorwirft. Wir fuhren jetzt neben der inmitten des Rio Negro liegenden Insel Camaleão vorbei, welche sich, da der Fluss seit dem höchsten Wasserstand erst um 90 cm gefallen war, noch zum Theil unter Wasser befand. In der sie bedeckenden, vorwiegend aus Laurineen bestehenden Wald-Vegetation scheuchte ein röthlicher Vogel aus der Familie der Hokkohühner (Cracidae) auf, und zwar ein Mutúm (Nothocrax urumutum Spix.). Da ausser diesen kein am Rio Negro vorkommender, Mutúm genannter Cracide rothes oder röthliches Gefieder hat, ist eigentlich kein Zweifel, dass der von uns gesehene Mutúm der Nothocrax urumutum Spix. gewesen ist. Am rechten Stromufer waren, wie am linken, ziemlich viel Inajápalmen zwischen die Laubbäume eingesprengt und erhob sich die Terra alta in malerischen Formen. Eine vereinsamte Palmstrohhütte wurde im Walde sichtbar, dann die zwei winzigen, gemauerten Häuser eines sitio, endlich, unfern einer Bacába (Oenocarpus Bacaba Mart), die Hütte eines venezolanischen Indianers aus dem Stamme der Manahá. Unter Manahá verstand unser Führer (dem wir diese Mittheilung verdanken) zweifellos die Manahós = Manaós = Manáos = Manáo (Moura: Diccionario geographico do Brasil II 23), welche sowohl am mittleren Rio Negro, wie unmittelbar an der Grenze Venezuelas sitzen. Wir passirten nun die engste, Tatucuára genannte Stelle des unteren Rio Negro. Oberhalb dieser begegnete uns eine mit zwei Leuten bemannte Igarité Igarité – eine im Amazonasgebiet gebräuchliche Canoa zum Rudern und zum Segeln: sie ist mittelgross und theilweise gedeckt. Siehe weiter oben S. 87 u. Anmerk. 1 daselbst. und bemerkten wir am linken Ufer, zwischen Bäumen versteckt, eine Tapuiohütte. Um 5 Uhr kamen wir wieder an der Hütte eines Indianers vorbei. Hier entschlossen wir uns, nicht in dieser zu übernachten, sondern die Tageshelle vernünftig auszunützen und noch anderthalb Stunden stromaufwärts zur nächsten Unterkunft zu dampfen. Inzwischen ging die Sonne, in glühende Farben getaucht, hinter dem Urwald zur Ruhe. Nicht sonderlich grosse Fledermäuse flatterten vor unserem Schiffe hin und her. Oberhalb einer überschwemmten Insel strichen ganze Schaaren düster gefärbter, nächtlicher Vögel, Bacuráus (Caprimulginae), Es kommen mindestens vier Arten von Caprimulginae (Nachtschwalben) am Rio Negro vor: Caprimulgus nigrescens Cab., Nyctidromus albicollis Gm., Chordeiles acutipennis Bodd. und Chor. rupestris Spix. unheimlich unstät umher. Es wurde vollständig Nacht, eine jener tiefschwarzen, durch keinen Mondschein erhellten Tropennächte. João, unser Portugiese, welcher die ganze Zeit nur aus Gefälligkeit an Stelle des Matrosen gesteuert hatte, weigerte sich plötzlich weiterzufahren, da ihn dieser nicht ablösen wollte, und lenkte die Steamlaunch mitten auf eine tief unter Wasser befindliche Insel. Unser kleines Schiff, welches hierdurch zwischen die Wipfel der Bäume gerieth, stand im Begriff sich in die Aeste zu verwickeln und drohte zu kentern. Es war ein vollständiger Strike an Bord ausgebrochen. Ein Gewitter stieg dräuend am Himmel auf, und unsere Lage inmitten des seebreiten Stromes, dessen Sturmwellen kleineren Fahrzeugen Verderben bringen, konnte mindestens eine höchst unangenehme genannt werden. Nach einigem Unterhandeln und der kategorischen Erklärung, dass wir unter keinen Umständen an diesem gefährlichen Platze, wie uns zugemuthet, übernachten wollten, liess sich João besänftigen, und unser Wille, die Nacht am Ufer zuzubringen, wo immer es auch sei, trug den Sieg davon. Nach der erwarteten Indianerhütte ausspähend, fuhren wir weiter. Wir vermeinten, am Land ein Licht zu sehen, – Täuschung. Wieder fuhren wir weiter, es wurde 8 Uhr – kein Licht weit und breit. Unsere Dampfpfeife gab Nothsignale – – keine Antwort; nur das allnächtliche Thierconcert hallte uns wie höhnend aus dem Urwald entgegen. Wir befanden uns mutterseelenallein in der Urwaldeinsamkeit. Nachdem unser Schiff schon auf einem Felsen an den Grund gerakt war und weitere Experimente bei pechschwarzer Finsterniss nicht gefahrlos erschienen, warfen wir endlich Anker in der Nähe des Ufers, auf einer überschwemmten Insel. An ein Landen und Aufschlagen der Zelte war, bei Unkenntniss des Terrains und dem durch die Enchente unter Wasser Gesetztsein des Uferrandes, in dunkler Nacht nicht zu denken. So beschlossen wir, auf unserem offenen Boote zu übernachten, immerhin gerade zu dieser Jahreszeit ein gesundheitlich bedenkliches Unternehmen, da der Fluss fieberverpestet war und man sich am allermeisten vor dem Schlafen im Freien hüten sollte. Vergleiche das weiter oben S. 29 und in Anmerkung 1 daselbst Gesagte. Zudem war uns erst in Manáos gesagt worden, dass die tropische Malaria den davon ergriffenen Fremdling oft in wenig Tagen dahinrafft. Feuchtigkeit strömte uns von allen Seiten entgegen, doch wir wappneten uns dagegen vernünftigerweise durch warme Umhüllungen, welche weit das durch die Temperatur bedingte Maass überschritten. Unser Lager wurden die Flurhölzer Innere Bodenfläche. und die schmalen Holzbänke des Schiffes, wo wir, eingepresst zwischen unseren Gepäckstücken, den Himmel über uns, nur die leichte Leinwanddecke des Toldo Toldo, portugiesisches Wort für Sonnenzelt eines Bootes = Sonnensegel. hoch zu unseren Häuptern flatternd, die auf Reisen so nöthige Ruhe suchten.

Auf dem Rio Negro – Tauapessassú. Montag, den 9, Juli.

Der Ruhe war zwar heute Nacht nicht viel, doch in vollen Zügen genossen wir das stets poetische, immer neuen, unsagbaren Reiz entwickelnde nächtliche Concert im Urwald. Der tausendstimmige Gesang wechselte in unendlichen Modulationen die dunklen Stunden hindurch. Bald knurrten diejenigen Kröten, welche nur zur Zeit der Vazante lärmen. Ueber Kröten, oder überhaupt Froschlurche, welche nur lärmen, wenn der Fluss fällt, (wie unser Führer Roberto uns angab), konnte ich in keinem einschlägigen Werk irgend einen Aufschluss finden. Dann quakte eine Art von Glattfröschen, die den wilden Indianern als Nahrung dienen Diese von unserem Führer als Giá bezeichnete Raniden dürften Leptodactylus ocellatus L. gewesen sein, ziemlich grosse, dickschenkelige Frösche des östlichen Südamerika, welche mitunter nicht üble Concerte aufführen sollen und von denen speciell erwähnt wird, dass sie den Indianern als Nahrung dienen. – (S. Wied: Beiträge zur Naturgeschichte Brasiliens I, 543. – Wagler: Descriptiones et Icones Amphibiorum, Tafel 21.) Um 2 Uhr nachts zischten Jupará, (Cercoleptes caudivolvulus, III.), diese in den Wäldern des Rio Negro häufigen Baumbären, Unser Halbindianer nannte die Jupará bezeichnend Affen. eine Begleitung dazu. Auf dem Schiff selbst krabbelte und schabte irgend ein Thier die ganze Nacht in der unmittelbaren Nähe meines Kopfes. Eingedenk der in den Tropen nicht selten tödtlichen Scorpionstiche und anderer derlei Vorkommnisse, liess mich namentlich die gespannte Aufmerksamkeit auf dieses unsichtbare Wesen, welches zwischen unseren Säcken herumarbeitete, nicht zum Schlafen gelangen. Ein leichter, kurzdauernder Regen sprühte auf uns nieder. Den Strom herab pustete ein Dampfer der »Companhia do Amazonas limitada« und rechtfertigte unseren Wunsch, in der finsteren Nacht in Ufernähe und nicht im möglichen Kurs grösserer Fahrzeuge verankert zu sein. Zwischen vier und fünf Uhr morgens wurde es lebendig an Bord unserer »Corta-agua«. Eine Canoa mit fischenden Tapuios, welche Pagaias Siehe weiter oben S. 9, 23 und rückwärts Tafel III. f. 1 u. 7. handhabten, tauchte gespensterhaft in der Dunkelheit auf. Angerufen von unseren Leuten, ruderten die Indianer herbei und durch sie orientirten wir uns über den Platz, an dem wir Anker geworfen. Derselbe war ganz nahe der Hütte, in welcher wir hätten übernachten sollen. Nach und nach begann es zu dämmern, und wieder erschienen ganze Schaaren von Nachtschwalben (Caprimulginae), welche in raschem, unstätem Fluge über unser Schiff hin und her kreuzten. Wie diese Bacuráus die letzten Vögel gewesen, welche uns gute Nacht gewünscht, erschienen sie als die ersten, welche uns am erwachenden Tag begrüssten. Das Froschlurchconcert war mit einsetzender Dämmerung verstummt. Wundervoll zog der purpurne Sonnenaufgang hinter dem Waldsaum empor, nachdem der noch wundervollere, hellblitzende Sternenhimmel langsam verblasst war.

Unser kleiner Dampfer begann zu arbeiten, und mit frischen Kräften zogen wir stromaufwärts, einem unsicheren Ziele entgegen. Wie gestern, begleitete uns auch heute rechts und links ununterbrochener Wald in ewigem Einerlei, und nur das Interesse an der fremden Pflanzen- und Thierwelt verkürzte uns die Zeit auf unserem einförmigen Wege. Einige Inajápalmen strebten im Waldesdickicht sich zu entfalten. Ihnen folgten später Tucumá (Astrocaryum Tucuma Mart.), Palmen, deren Stroh den Indianern zu allerhand Flechtarbeiten dient, und ferner Jauarý (Astrocaryum Jauary Mart.), welche durch ihren hellen Stamm auffielen und nur hoch oben einige magere Wedel trugen. Eine solche Sternnusspalme stand auch vereinzelt inmitten des Stromes, fast bis zur Krone im Wasser und nahm sich in dieser Lage noch merkwürdiger aus, als eine kleine hochüberschwemmte Waldinsel, an welcher wir gestern vorbeigefahren waren. Periquitos flogen schaarenweise über den Wald, indessen ein ganz grün scheinender Papagaio (Chrysotis farinosa Bodd.) Da unter allen Papagaios die Mülleramazonen (Chrys. farinosa Bodd.), namentlich von unten gesehen, die grünsten sind und sie am Rio Negro vorkommen, vermuthe ich, dass der hier beobachtete Papagaio dieser Species zugehört haben dürfte. einsam seines Weges zog. Heute bestanden die Ufer häufig aus Igapó. Auf einigen Bäumen sassen riesige Araceen, und einen abgestorbenen Ast umklammerte noch eine Schmarotzerpflanze mit fleischigen, wie zerknittert aussehenden Blättern. Alle hiesigen Inseln trugen viele ölliefernde Bäume, welche unser Führer Namué benannte. Vermuthlich irgend eine Lauracee. Gonçalves Dias wenigstens erwähnt in seinem Diccionario da lingua tupy (S. 115) für die überschwemmten Inseln dieser Gegend einen Nannuým genannten Baum, der auch Louro (Lorbeer) heisst. Möglicherweise handelt es sich hier um Nectandra cymbarum Nees. Siehe Martius; Flora Brasiliensis V. 2 p. 265, 318, Hooker's Journal of Botany VII p. 278 und Wallace: Travels on the Amazon and Rio Negro 438, 439.

Inzwischen waren wir an derjenigen Indianerhütte vorbeigefahren, welche unser Nachtquartier hätte werden sollen. Eine hübsche, ungemein schlanke Schwalbe (Atticora melanoleuca Neuwied) mit langem, zierlichem Schwanze, schwarzem Oberkörper und weissgefiederter Unterseite strich über den Strom dahin. Einige graue Tauben, wohl Chamaepelia minuta L., flogen im Dickicht auf; ein, Bem-te-ví genannter, gelber Königswürger mit braunen Flügeln Der Art des Vorkommens nach dürfte dieser Tyrannide der Pitangus lictor Licht. gewesen sein. liess seinen Ruf ertönen; aus der Familie der Stärlinge fehlte auch hier nicht der weitverbreitete Cassicus persicus L., und am Ufer trieb sich ein grosser Wasservogel umher. Im Wasser selbst standen reizende, von Schmetterlingen umgaukelte gelbroth und rosa blühende Sträucher, letztere vermuthlich Byrsomma inundata Benin. Eine gemauerte Tapuiohütte mit ihren braunen Bewohnern wurde knapp am Strome sichtbar. An neuen Palmen zeigten sich eine merkwürdig kugelige Fächerpalme, die Orophoma Caraná Spruce, und eine nur 3-4 m hohe Bacaba-í (Oenocarpus minor Mart.). Auch die hiesige Assaï (Euterpe) könnte eine von uns bisher nicht gesehene Species des westlichen Brasilien gewesen sein, Euterpe precatoria Mart. oder Euterpe Calinga Wallace, s. Martius: Flora Brasiliensis III, p. 464, 465, doch kommt nach Schwacke auch E. oleracea Mart. am Rio Negro vor. indessen wir in einer Mauritia die altbekannte Mauritia flexuosa des unteren Amazonas wieder erkannten. Häufig thaten sich seeartige, malerische Buchten auf. Eine sehr lange Korallenschlange mit wundervoll im Sonnenlicht leuchtenden hellrothen Ringen schwamm vor unserem Schiffe quer über den Strom. Es war einer jener vielen, schwarz und roth quergestreiften, farbenprächtigen Ophidier, welche Südamerika beherbergt und welche die Brasilianer sämmtlich als Cobras coraes bezeichnen, obwohl sie verschiedenen Arten und sogar ganz verschiedenen Familien zugehören. Siehe Schlegel Essai sur la Physionomie des serpents p. 8, 53. 433. – Wied: Beiträge zur Naturgeschichte Brasiliens I 3S6, 393, 4M, 420. – Für die hier gesehene Korallenschlange dürfte der Grösse, dem Gesammtfarbeneindruck und der geographischen Verbreitung nach vor Allem Erythrolamprus aesculapii I. in Betracht kommen.

Am rechten Ufer erhob sich ein Hügel, der Ai-purusá, d. h. Hügel des Verderbens, genannt wird und an den die Indianer einen Aberglauben, eine Frage an das Schicksal, knüpfen. Demjenigen unter ihnen, welchem es gelingt seinen Pfeil über die Höhe hinwegzuschiessen, stehen viele Lebenstage bevor, derjenige aber, dessen Pfeil am Abhang anprallt, muss bald sein Leben lassen.

Unser Mameluco Roberto, dem wir den Bericht über dieses indianische Augurium verdankten, erzählte uns während der Fahrt noch manches Andere aus seinem reichen Schatze an Sagen und Sitten der Rasse seiner Mutter. So giebt es weiter Rio Negro aufwärts eine Felseninschrift, Man findet am Rio Negro viele prähistorische Felseninschriften, siehe Archivos do Museu Nacional do Rio de Janeiro. VI, 534. 540. 551. siehe auch Tafel XI.-XV. ebendaselbst. Wallace Travels the Amazon and Rio Negro, 524. wie deren viele über das Amazonasgebiet und darüber hinaus bis nach Rio Grande do Sul verbreitet sind. Die besagte Inschrift bringt eine der vielen indianischen Thiersagen zur Darstellung und zwar diejenige einer Metamorphose in verschiedene Thiergestalten. Ferner erzählte Roberto, dass die im oberen Rio Negro-Gebiet sitzenden Uaupé-Indianer der Sitte huldigen, an Festtagen unter Tanzen und Weinen die Knochenasche ihrer verstorbenen Verwandten, in ein Getränk gerührt, zu trinken. Martius (Beiträge zur Ethnographie, I. 599) und Wallace (l. c. 49S) erwähnen von den Cobeu und Tucano, welche der Miranhagruppe zu gehören, und von den Tariana, welche nach deutschen Gelehrten zu den Nu-Aruak, nach französischen zu den Karaiben gerechnet werden, die Sitte, die Asche ihrer Verstorbenen zu trinken, zum Zwecke, Letzterer Tugenden sich anzueignen. Da nun diese drei Stämme am Uaupés sitzen und oft alle in diesem Flussgebiet wohnenden Indianer mit dem Namen Uaupé bezeichnet werden (Martins; l. c. 563, 567 ff.; Wallace: l. c. 481, 482), kann es leicht möglich sein, dass Roberto in seinem Bericht dieser Sitte nicht sowohl den eigentlichen Uaupéstamm, als überhaupt einen der im Volksgebrauch als Uaupé bezeichneten Stämme meinte. – Eine ähnliche Sitte erwähnt Martius (l. c. 404, Anmerkung) von den Mauhé und erwähnen Silva Araujo (Diccionario do Alto Amazonas, 150) und Martius (l. c. 485) von den am Içá. und Japurá wohnenden Xomana oder Jumána, welche ein Nu-Aruakstamm sind. Der Anthropophagie wollte Roberto, entgegen den Berichten Anderer, nur drei Stämme des Amazonasbeckens ergeben wissen; die Miranha, die nördlich vom Rio Japurá wohnenden Umauá Es kann sich hier nur um die am oberen Japurá oder die am oberen Jutahý sitzenden Umaná handeln (Ribeiro de Sampalo; Diario da viagem á capitania do Rio Negro, 81; Martius: l. c. 545 ff.; Silva Araujo: Diccionario etc., 356) und nicht um die Umauá = Omaguá = Cambéba des Solimoes (Ribeiro etc., l. c. 72 e. s.; Martius: l. c. 199, 433 ff.; Moreira Pinto: Apontamento para o Diccionario geographico do Brasil V. 213; Silva Aranjo; l. c. 79, 215 e 356, und Moura: Diccionario geographico. II. 174). und die am oberen Rio Purús sitzenden Ipurina, Die Anthropophagie der Ipurina wird auch von Oberst Labre erwähnt, siehe Ehrenreich: Beiträge zur Völkerkunde Brasiliens (Veröffentlichungen aus dem Museum für Völkerkunde zu Berlin, II. S. 59). welch letztere zur Nu-Aruakgruppe gehören und wegen ihres unverlässlichen Charakters überall berüchtigt sind.

Anderer Art waren die Erzählungen unseres Portugiesen João, welcher, wie viele seiner in Brasilien eingewanderten Landsleute, aus der Umgegend Portos stammte. Er sprach z. B. von den blutsaugenden Fledermäusen, durch welche er in Manáos ein Kind im Alter von zwei Monaten fast verloren hätte. Es könnten diese Thiere etwa Phyllostoma hastatum Pall. gewesen sein, im Amazonasgebiet häufig vorkommende und sehr lästige Blattnasen. Siehe Wallace: Travels on the Amazon and Rio Negro, 449.

Während der heutigen vormittägigen Stromfahrt, und zwar um neuneinhalb Uhr, betrug die Lufttemperatur bis zu 29° C, die Temperatur des Wassers nur 26,5° C. Nach den Igapóufern folgte wieder mehr Terra alta, welche sich namentlich durch einzelne rothe Sandsteinfelsen bemerkbar machte. Ein bläulicher Langschnauzen-Delphin, Inia amazonica Spix, tauchte aus den goldbraunen Fluthen des Rio Negro empor. Am Ufer lag eine Indianerhütte unter Cocospalmen (Cocos Inajá-i Trl.) versteckt, und ein mit rosa Blüthen dicht übersäter Baum Es mag leicht sein, dass nicht der Baum selbst in Blüthe stand, sondern dass er von einer kletternden Securidaca überdeckt war, deren es rosablühende am Rio Negro und überhaupt in der Provinz Amazonas giebt. Siehe Barboza Rodrigues: Rio Jaspery etc., 40, und Martius: Flora brasiliensis, fasc. 1.XIII. 64-65. – Es giebt ebendaselbst auch rosablühende Bignonien (siehe B. Rodrigues: l. c. p. 40) und noch verschiedene andere Pflanzen mit rosa Blüthen (siehe Schwacke: Skizze der Flora von Manáos in Brasilien [Jahrbuch des K. Botanischen Gartens zu Berlin, III, 225 u. ff.]). nahm sich reizend aus im Farbeneinerlei des grünen Waldes. Um einzelne Aeste im Urwalddickicht sassen wie dicke Astanschwellungen grosse Insektennester, welche aus Thon aufgebaut zu sein schienen. Gegen Mittag landeten wir in der Freguezia Tauapessassú, um nach einer Fahrt von 120 km unsere steifgewordenen Glieder etwas zu bewegen und unsere seit mehr denn 24 Stunden fast nur mit Thee genährten Magen wieder etwas zu stärken.

Indianerin in Tauapessassú. (Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.)

Tauapessassú, welches aus zerstreut auf dem hügeligen Ufer gelegenen Häuschen und Hütten besteht, soll früher an 200 Einwohner gezählt haben, grösstenteils Nachkommen von Manáo-, Baré- und Passé-Indianern, Die Passé sind gleich den Manáo und Baré ein Nu-Aruakstamm. ist aber jetzt fast ganz verlassen. Wir hatten Anker geworfen vor dem nahe am Wasser gebauten Hause eines Portugiesen, der uns ohne Zögern gastfreundlichst aufnahm. Nebst seiner indianischen Frau war auf dem Anwesen noch eine andere Indianerin, welch letztere uns durch ihren ausgesprochenen, mehr nordamerikanischen Rassentypus interessirte. Sie hatte eine fliehende, schmalere Stirn als die meisten brasilianischen Indianerinnen, schwarze Augen mit enger Lidspalte, eine tiefliegende Nasenwurzel und fast gerade Nase, einen breiten Mund mit nicht sonderlich dicken Lippen, etwas vortretende Jochbeine, ein eher schwach entwickeltes Kinn, gelbbraune Hautfarbe und prachtvolles, schwarzes Haar. Auch durch höhere Gestalt und grössere Intelligenz unterschied sie sich vortheilhaft von der halbcivilisirten Durchschnittsindianerin des Amazonasgebietes. Da, wie es scheint, die halbcivilisirten Tapuios nicht gern nach ihrer Stammeszugehörigkeit gefragt werden, wohl auch oft die Tradition derselben verloren haben, konnten wir hier ebenfalls nicht den gewünschten Aufschluss erhalten. Jedoch der Gesammterscheinung nach dürfte dieser Indianerin am ehesten Passéblut in den Adern fliessen. Eine nahe Palmstrohhütte beherbergte eine andere Vollblutindianerin, welche sich im Typus besonders deutlich von erstbeschriebener unterschied. Sie war kleineren Wuchses, hatte dunklere Hautfarbe, breiteres und niedrigeres Gesicht und breitere Nasenflügel. Die Hütte, welche sie bewohnte, war fensterlos; Strohmatten bildeten Thür und Wände, der Boden bestand aus gestampfter Erde und die Einrichtung so ziemlich aus nichts. Tabakspflanzungen zogen sich zwischen den einzelnen Behausungen hin, und auf den Bäumen sassen ein paar gelbbäuchige Tyranniden mit braungefiederter Oberseite (Pitangus Sw.). Im Hofe des Anwesens unseres Gastfreundes trippelten zahme, blaustirnige Kurzflügel-Papageien (Chrysotis) herum, denen gegenüber die frechen Haushühner das Feld behaupteten. Eine Tartaruga (Podocnemis expansa Schw.) von etwa So cm Länge, eine dieser häufigsten und wichtigsten Lurchschildkröten des Amazonasgebietes, kroch frei in Haus und Hof herum. Sie stammte aus dem Rio Negro und war mittelst einer Sararáca, das heisst eines Harpunenpfeiles, erjagt worden. Unsere Ankunft setzte ihrem Leben ein frühzeitiges Ende. Es wurde ihr der Kopf abgehauen, und abends erschien sie in verschiedentlichen Zubereitungen auf der Tafel. Das für uns Ausgehungerte leckere und ausgezeichnete Mahl bestand aus Schildkrötenbraten, Schildkrötenleber und -schinken und aus Reis, welcher in Schildkrötenbutter gekocht war. Eine solche Butter gewinnt man sowohl aus dem Fett wie aus den Eiern des Thieres und bringt sie in den Handel als Küchenfett, als Beleuchtungsstoff und zum Kalfatern. Siehe Goeldi: Bedeutung, Fang und Verwerthung der Schildkröten am Amazonas (Der Zoologische Garten, XXVII. 330, 368). Souza: Valle do Amazonas. 33, 34.

Noch ehe der Tag zu Ende ging, war unser ferneres Schicksal entschieden. Erkundigungen nach verschiedenen Seiten ergaben, dass der Rio Negro in ungewohnt hohem Maasse malariaverpestet sei, und dass ausserdem am ganzen Flusse die Masern derart herrschen, dass die Indianer in Massen dahinsterben. Da uns nun, bei dem Mangel jeglichen gedeckten Raumes auf unserem winzigen Dampfboot, bevorstand, die künftigen Nächte entweder wieder unter freiem Himmel auf dem Strom oder in einer allenfalls maserninfizirten Indianerhütte zuzubringen, gebot die Vernunft ein Aufgeben der verlockenden Weiterreise. Eine der als so gefährlich geschilderten Nächte bei regengleichem Thaufall hatten wir glücklich überstanden, aber Niemand gab uns die Versicherung, dass es ein zweites und drittes Mal ebenso günstig verlaufen würde. Und was die Masern betraf, sollte Eines von uns daran erkranken, liefen wir Gefahr, in irgend einer einsamen Indianerhütte im Urwald ohne Arzt, ohne Arzneien, schliesslich ohne richtige Lebensmittel wochenlang liegen zu bleiben und in dieser Lage und Fiebergegend uns die gefürchteten Sezões Sezões (portugiesisch) = Wechselfieber. Wie sehr gefürchtet die Sezões am Rio Negro sind, erzählt auch Wallace: Travels on the Amazon and Rio Negro, 327. Siehe ebenfalls Martins Beiträge etc., t. 559). noch überdies zuzuziehen. Die gesundheitlichen Zustände in Tauapessassú selbst und namentlich in dem Hause, in welchem wir Unterkunft gefunden, boten kein ermunterndes Beispiel, Sowohl unser Hausherr wie seine sämmtlichen Kinder schlichen fieberelend umher, und ersterer, welcher eine wachsgelbe Gesichtsfarbe hatte, lebte in der Ueberzeugung, dass seine Tage gezählt seien. Die Crichaná endlich, denen wir unseren Besuch zugedacht, befanden sich noch zu dieser Zeit, durch das Hochwasser und den Igapó, in ihren Malocas vom Jauaperý abgesperrt, und war es sehr fraglich, ob man überhaupt bis zu ihnen würde vordringen können. Günstiger wären die Verhältnisse ein oder zwei Monate später für uns gewesen. Denn dann, wenn die Vazante fortschreitet, fahren die Crichaná den Fluss herab und dehnen ihre Streifereien auf dem Rio Negro selbst, bis nach Tauapessassú aus. Barboza Rodrigues: Rio Jauapery. Pacificação etc., 9. II, 24, 29, 92 e s. 175. – Mello Moraes: Revista da Exposição anthropologica brazileira, 47. Rockling: Contra os Jauaperys (Revista amazonica, I. 99). Nun – es sollte nicht sein, dass wir sie zu Gesicht bekamen, und bewahrte dies unsere Knochen vielleicht vor dem Schicksal, zu Pfeilspitzen oder Flöten verarbeitet zu werden.

Indianerhütte in Tanapessassú. (Nach einer selbst aufgenommenen Photographie.)

Es war Abend geworden, und vergebens hatten wir auf einen Alligator Es giebt mindestens vier Arten von Alligatoren im Rio Negro, a) Mohrenkaiman (Caiman niger Spix), b) Caiman sclerops Schn., c) Caiman trigonatus Schn. etc. gepasst, welcher täglich zu dieser Zeit sich hier am Ufer einfinden soll. Sicher verscheuchte ihn der Lärm, welchen unser vollständig betrunkener englischer Maschinist in Scene setzte. Kaum fing es an zu dunkeln, so begannen wieder die Cicaden zu pfeifen, die Grillen zu zirpen, die Frösche zu quaken und grosse Fledermäuse, welche den warmblütigen Thieren ungefährlich sind, herumzuflattern. Im Ranidenconcert unterschieden wir das Knurren der Cururú (Ceratophrys cornuta L.), Die Ceratophrys dorsata Wied wird auf Tupí ebenfalls Cururú genannt, doch scheint sie mehr südlich vorzukommen. – Auch Martius (Beiträge etc., I. 658, II. 443) erwähnt zwei, Cururú genannte Anuren, doch dürfte von diesen für hier höchstens der Bufo marinus L. in Betracht kommen. die sowohl in Brasilien wie in Guyana die dunklen Urwälder bewohnen und abends ihre eintönige Stimme hören zu lassen pflegen.

Als Nachtquartier wies uns unser freundlicher Hausherr ein hochgelegenes und noch unbewohntes neues Haus an, dessen scheibenlose Fensteröffnungen durch Holzläden geschlossen waren. Nach echt äquatorialer Bauart hatten die Zimmer keine Decke, sondern nur den Dachstuhl über sich, und waren nur bis auf eine bestimmte Höhe durch Wände voneinander getrennt, so dass man zwar nicht Alles sehen, aber Alles hören konnte, was im Hause vorging. In diese vollständig leeren Räume hingen wir unsere Hängematten an Haken, welche sich in der Mauer befanden, und ergaben uns dem Schlummer.

Tauapessassú – Manáos. Dienstag, den 10. Juli.

Von 8½ Uhr abends bis 3½ Uhr morgens dauerte unsere Nachtruhe, nicht so viel war unseres Schlafes. Wir übernachteten in einem Raum mit Fledermäusen, Eidechsen, grossen Spinnen und noch vielerlei anderen vermuthbaren Thieren. Die Fledermäuse sangen, zwitscherten und zischten an den Wänden herunter, und die ganze Nacht hindurch raschelten Gekos (Hemidactylus mabouia Dum.) Wir bekamen zwar keine dieser ruhestörenden Saurier zu Gesicht, doch waren es aller Wahrscheinlichkeit nach obengenannte Gekos, da sie für das Amazonasgebiet erwähnt werden, speciell in den Häusern vorkommen und sich, entgegen anderen Eidechsen, namentlich durch ihr Nachtleben auszeichnet. im Palmblattdache zu unseren Häupten. Im Freien aber lachte ein Murucututú (Glaucidium ferox Vieill.?), eine in Brasilien weitverbreitete Zwergeule, welche Nachts den Ruf: »Keck! keck! keck! keck!« ertönen lässt. Dem lachenden Rufe und der Angabe von Dias (Diccionario da Lingua Tupí 113) nach, dass der Murucututú steinfarbiges Gefieder und gelbe Iris hat, durfte die von uns gehörte Eule das Glaucidium ferox Vieill. gewesen sein. Doch ist auch vielleicht die Strix nacurutú Vieill. = Bubo magellasiens Gm. in Betracht zu ziehen. da sie Martius (Beiträge etc., II. 456, 464) unter dem Vulgärnamen Murucutatú anführt. Geographisch scheinen beide Arten möglich. Siehe Catalogue of Birds in the British Museum, II. – Pelzeln: Zur Ornithologie Brasiliens. – D'Orbigny: Voyage dans l'Amérique méridionale, IV u. Andere. Ehe wir uns aus unseren Hängematten schwangen, zündeten wir Licht an, um nicht in der Finsterniss allenfalls auf irgend einen unserer lärmenden oder stummen Schlafkameraden zu treten. Die später erfolgte genaue Besichtigung der Wände, Ecken und Böden unserer Zimmer ergab leider nur den Fang einer sehr langbeinigen, ockergelben Krabbenspinne (Laterigrada) von 2,4 cm Körperlänge. Es war dies eine Ocypete setulosa Hahn aus der Familie der Thomisiden, ein, wie es scheint, auf Brasilien und vermuthlich sogar nur auf dessen Aequatorialgegenden beschränktes Spinnenthier.

Um fünfeinhalb Uhr, vor Tagesanbruch, schifften wir uns ein, nach herzlichem Abschied von unserem liebenswürdigen Hausherrn, welcher sich weigerte, für Nachtquartier und Verpflegung auch nur die geringste Vergütung anzunehmen. Nun ging es mit enttäuschtem Hoffen und zerstörten Plänen wieder den Rio Negro abwärts. Bei Sonnenaufgang hatte die Luft 25°, das Wasser 26,5° C. Nicht lange, so landeten wir auf Wunsch unseres Mamelucos an einem rechtsuferig gelegenen kleinen Hause, welches von Mestizen bewohnt war. Im gleichen Augenblicke legte dort eine Canoa an mit einem von der Jagd heimkehrenden Halbindianer. Er hatte ein Inhambú oder Steisshuhn erlegt, welches ich, seinem grauen, etwas gesprenkelten Gefieder nach, für Tinamus major Gm. gehalten. Nach kurzem Aufenthalte an diesem, durch seinen struppigen Wald sehr unschönen Punkte setzten wir unsere Fahrt fort. Da es thalwärts ging und wir die Strömung nicht zu vermeiden brauchten, sondern im Gegentheil benutzen sollten, nahmen wir heute den Kurs in der Mitte des Rio Negro, konnten aber in Folge dessen weniger Thierleben beobachten. Den ganzen Tag über zeigte sich nur ein Vogel, ein schöner grüner Papagaio, welcher gerade seines schönen grünen Gefieders wegen ein Blaubart (Chrysotis festiva L.) gewesen sein könnte.

Nachmittags landeten wir neuerdings am rechten Ufer, diesmal in Paricatúba, einer nur aus einigen Indianerhütten bestehenden Ansiedlung. Es galt hier einen altindianischen Begräbnissplatz aufzusuchen, welcher vermuthlich dem nun aus dieser Gegend verschwundenen und nordwärts verzogenen Stamme der Tarumá zugeschrieben werden dürfte. Vergleiche Martius: Beiträge etc. I. 683 ff. Schomburgk: Reisen in Britisch-Guiana. II. 388. 467 ff. Durch dichtes Gestrüpp arbeiteten wir uns zu diesem interessanten Punkte empor, der unmittelbar neben einer Palmstrohhütte auf einem Hügel gelegen war. Man sah daselbst, auf engem Raum beisammen, die durch den abwaschenden Regen an der Oberfläche erscheinenden Ränder der Todtenurnen, welch letztere aus einer Mischung von Holzasche und Lehm hergestellt waren. In solchen gebrannten und ungebrannten Urnen, welche sich in Brasilien namentlich über das Amazonasgebiet zerstreut finden, begruben und begraben noch viele Indianerstämme die Ueberreste der Verstorbenen, entweder die ganzen Leichen in zusammengekauerter Stellung oder nur die Knochen oder auch nur die Asche. Die alten prähistorischen Urnen, von welchen namentlich Marajó die schönsten liefert, sind manchmal reich ornamentirt, zoomorph oder anthropomorph, bekunden einen hochentwickelten Kunstsinn und stehen den keramischen Arbeiten des alten Peru und Mexiko an künstlerischer Vollendung nur um Weniges nach. Hier in Paricatúba handelte es sich nur um ganz einfache, kleine, ungebrannte Todtenurnen, welche keine Verzierungen hatten und nur zum Aufbewahren von Knochen oder Asche gedient haben konnten. In glühendster Sonne suchten wir eine dieser Urnen freizulegen. Es gelang dies auch, doch als wir dieselbe aus dem Boden herausheben wollten, zerfiel sie in Trümmer. Sie enthielt nichts als Erde, und wenn sie je Knochen beherbergt haben sollte, waren auch diese längst schon zu Staub geworden.

Von diesen Bildern der Vergänglichkeit wendeten wir uns wieder dem frisch pulsirenden Leben zu. Um uns herum schwirrten und gaukelten allerhand Insekten im heissen Sonnenschein. Ein Papilio Polydamas L., ein schwarzer Edelfalter mit gelben, bandbildenden Flecken längs des Aussenrandes der Flügel, wurde das Opfer unserer Nachstellungen. Auch zwei Diastatops pullata Burm., kaum etwas über 3 cm lange, röthliche Wasserjungfern (Libellulina) mit ganz dunkelrostrothen Flügeln, verirrten sich in unser Fangnetz. Soviel mir erinnerlich, wurden diese Libelluliden in Parientuba gefangen, doch ist nicht ausgeschlossen, dass sie von einer anderen Stelle des Rio Negro-Gebietes oder vom unteren Solimões stammen könnten. Nahe der Hütte scharrten zahme Mutums (Mitua mitu L.), zierliche, hübsch gestellte Hokkohühner mit blauschwarzem Gefieder, gekräuseltem Federkamm, langem Schwanz und rothem Schnabel. In dem nebenanliegenden Teich oder Corral Corral heisst Viehhof; mit diesem Wort wird am Amazonas der Schildkrötenteich bezeichnet, Bates: The Naturalist on the River Amazons, 264. tummelten sich einige Chelyden, eine von den uns schon bekannten Tartarugas grandes (Podocnemis expansa Schw.) und eine Tracajá (Podocnemis dumeriliana Schw.), eine kleinere Schildkröte des Rio Negro mit gelb und schwarzem Körper, deren Fleisch wie das der erstgenannten Art als sehr wohlschmeckend gilt Es giebt im Amazonasgebiet noch andere, der P. dumeriliana nahe verwandte Flussschildkröten ähnlicher Grösse und ähnlicher Färbung, welche vermuthlich auch sämmtlich essbare sind, doch scheinen die Eingeborenen unter Tracajá die P. dumeriliana Schw. zu verstehen. Siehe Gray: Catalogue of Shield Reptiles, p. 61 u. 62. In der Hütte hing die Decke eines Veado (Coassus rufus Cuv.), eines der über ganz Brasilien verbreiteten Rothspiesshirsche, welche in der Färbung sehr an unsere Rehe erinnern, jedoch durch ihre weit geringere Grösse auffallen.

Die Bewohner der von uns betretenen Palmstrohhütte waren Vollblutindianer, mit denen Roberto sich auf Tupí, das heisst in der sogenannten Lingua geral unterhielt, diesem allgemeinen sprachlichen Verkehrsmittel des untersten Rio Negro-Gebietes. Sie boten uns Xibé an, ein bei den Tapuios gebräuchliches, sehr erfrischendes Getränk. Dasselbe wird aus Wasser und Tapióca, dem Satzmehl des aus den zerriebenen Mandiocawurzeln ausgepressten giftigen Saftes, hergestellt. An Industrie bemerkten wir in der Hütte nur das Fertigen von Hüten und Körben aus dem Stroh der Tucumápalme (Astrocaryum Tucuma Mart.). Diese Gewerbethätigkeit war ausschliesslich für den Hausbedarf berechnet, wie solches wohl auch der Fall gewesen sein wird mit der Hutflechterei, welche wir bei den heute morgen besuchten Mestizen vorfanden.

Als Jagdgeräthe führten die hiesigen Indianer zum Vogelschiessen die Sarabatána Siehe rückwärts Tafel II, No, 7. und zum Schildkrötenfangen riesige Bogen und Pfeile. Die Sarabatána war ein Blaserohr von 2,9 m Länge, aus dem Schafte einer Stelzenpalme (Iriartea) verfertigt und mit einem glatten, konischen Mundstück aus dunklem Holz und einem beinverzierten Visir aus Pechmasse versehen. Das Rohr bestand der Länge nach aus zwei gleichen Theilen, welche zusammengeleimt und zu grösserer Dauerhaftigkeit noch mit einem Rindenstreifen spiralisch fest umwunden waren. Hätte diese Sarabatána, wie manche andere, einen ungetheilten Schaft gehabt, so wäre ihr Werth, des schwierigen Herstellens wegen, ein weit höherer gewesen. Die zum Blaserohr gehörigen, Uamiri genannten, 30 cm langen Pfeilchen aus Inajá-Palmholz waren am unteren Ende ganz roh mit etwas Samenwolle der Ceiba Samauma umwunden und sahen sehr zerbrechlich aus. Erst Schiessversuche, welche wir auf ein in der Ferne stehendes Brett anstellten, lehrten uns, dass diese dünnen, unansehnlichen Pfeile sich mit einer unglaublichen Kraft tief in das Holz einbohren konnten. Durch Uirari, mit welchem sie die Indianer zu vergiften pflegen, werden die Uamiri noch wirksamer und gefährlicher gemacht.

Die Sararáca oder Harpunenpfeile Siehe rückwärts Tafel II. No. 3. zur Schildkrötenjagd waren aus zwei Theilen gefertigt, einem vorderen, Gomo genannten Theil, welcher die Eisenspitze trug, und einem rückwärtigen, dem federnbesetzten Pfeilschaft, in welchen der Gomo mit seinem Hinterende hineingesteckt wurde. Eine um den Schaft gewundene Palmfaserschnur verband ausserdem noch die beiden Theile. Der Zweck dieser Vorrichtung ist nun, dass, wenn das getroffene Thier mit der im Panzer steckenden Pfeilspitze taucht, der Pfeilschaft, welcher an der sich abrollenden Schnur befestigt ist, auf der Wasserfläche schwimmen bleibt. Hierdurch wird dem Indianer angezeigt, wohin die ohne diese Vorrichtung leicht in Verlust gerathende Jagdbeute ihren Weg genommen hat. –

Während wir uns oben in Paricatúba über indianische Lebensweise unterrichteten, hatte unser englischer Maschinist an Bord in bedenklichem Maasse der Cachaça-Flasche Cachaça = Zuckerbranntwein, s. oben 52. zugesprochen; er war in seinem Rausche sogar in den Strom gefallen, von den zwei Portugiesen jedoch wieder herausgezogen worden. Die fast zwei Stunden dauernde Heimfahrt gestaltete sich unter solchen Verhältnissen zu einer aufregenden. Der vollständig betrunkene Sohn Albions wusste nichts Besseres zu thun, als im Feuerraume der schon überheizten Maschine unablässig nachzuschüren, so dass der Zeiger des Manometers gefahrdrohend um die Marke der höchsten Dampfspannung herumschwankte und zweimal das Sicherheitsventil herausgeschleudert wurde. Unsere wiederholten Proteste gegen das unsinnige Beginnen des Rauschbefangenen prallten an dem Gleichmuth des Letzteren ab; von uns Anderen aber wusste Niemand eine Dampfmaschine zu behandeln, und an ein Landen war bei der Uferbeschaffenheit nicht zu denken. – So mussten wir uns schliesslich in unser Schicksal ergeben, in wahnsinnigem Tempo dahinzusausen, jeden Augenblick gewärtig, mit unserem betrunkenen Jack in die Luft zu fliegen. Gegen 7 Uhr abends erreichten wir endlich Manáos und somit den Abschluss unserer verfehlten Expedition zu den Crichaná. Mehr als den Verdruss über das Fehlschlagen unseres Projektes, empfanden wir jedoch momentan das Gefühl der Erlösung aus der vielleicht unberechtigten, bangen Todeserwartung, welche uns endlose Viertelstunden hindurch in Athem gehalten hatte. Am glücklichsten über die wiedergeschenkte Lebenssicherheit aber schien unser halbindianischer Führer, welcher beim Betreten des festen Landes sich in Erinnerung an die gewesene Gefahr förmlich schüttelte.

Das Erstaunen in Manáos ob unserer verfrühten Heimkehr war gross, rührend die Freude unserer Hausleute, uns wohlbehalten zurückkommen zu sehen. Letzterer Umstand erst öffnete uns die Augen darüber, wie gewagt den Hiesigen unsere Fahrt zu den Wilden und in die Fiebergegend des Rio Negro erschienen war.


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