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Kapitel XXII.
São Paulo.

Rio de Janeiro – São Paulo. Samstag, den 29. September.

Heute früh 6 Uhr verliessen wir Rio de Janeiro, um unseren letzten weiteren Ausflug in Brasilien zu unternehmen. Derselbe ist nach São Paulo gerichtet, einer Provinz, welche zu den grösseren des Landes zählt. São Paulo hat einen Flächeninhalt von 290 876 qkm und übertrifft somit an Umfang um etwas das Königreich Italien. Es erstreckt sich vom 20° bis zum 25° s. Br. und greift weit in das Innere des Landes hinein. Nach einem schmalen, niederen Küstenstreifen erhebt sich das Terrain steil als Serra do Mar, welche der Küste ziemlich parallel verläuft und bis zu ungefähr. 1000 m ansteigt. Dem steilen Anstieg der Serra auf der Südostseite giebt es keinen entsprechenden Abfall, jenseits des Gebirgskammes, nach Nordwesten. Hier geht das Gebirge mit kaum bemerkbarer Abdachung in das grosse, wellige Binnenplateau über, welches, von mässigen Bergketten durchzogen, das ganze Innere der Provinz einnimmt. Unter diesen Gebirgszügen ist weitaus der bedeutendste die der Serra do Mar parallel laufende Serra da Mantiqueira, welche eine Strecke weit die Grenze gegen die Provinz Minas Geraes bildet.

Da sich in São Paulo die Serra do Mar, das Randgebirge der brasilianischen Hochebene, weit gegen die Küste vorschiebt, ist der Küstenurwald auf ein enges Gebiet im Südosten der Provinz beschränkt. Das Binnenplateau wird von Campos bedeckt, welche gegen Paraná zu immer mehr den Charakter reiner Grasfluren annehmen. Der Wald in der Camposregion entwickelt sich, wie in den Campos der anderen Provinzen, am üppigsten längs der Flussläufe, welche er als schmaler Saum begleitet. Ausser dieser Flussuferwälder giebt es im Camposgebiet von São Paulo sehr ausgesprochene Capões, ferner, namentlich in der Serra da Mantiqueira, Bergwälder und, vom 23° 40' s. Br. an südwärts, Waldungen von Araucaria brasiliana A. Rich. Lamb.

Die Bodenkultur der Provinz ist, dank ihrer äquatorferneren Lage, eine sehr mannigfaltige. Während sich die nördlichen und mittleren Theile von São Paulo noch vorzüglich zum Anbau des Kaffeebaumes und des Zuckerrohres eignen, bieten die südlichen Striche die Möglichkeit, Pflanzen der gemässigten Zone zu cultiviren, wie z. B. Weizen, Weinreben und europäische Obstbäume. Daneben wird auch Tabak, Baumwolle, chinesischer Thee und Anderes angebaut und auf den Campos die Viehzucht in grossem Maassstab getrieben. Die Hauptproduktion der Provinz bleibt immerhin der Kaffee, für welchen die Bodenbeschaffenheit im ganzen übrigen Brasilien nicht so günstig ist wie hier. Diese Produktion betrug im Jahre 1884 auf 1885 130 Millionen kg und war innerhalb der vorhergehenden elf Jahre um mehr als das Dreifache gestiegen. São Paulo besitzt im Hafen von Santos einen Kaffee-Exporthafen ersten Ranges, der nur hinter dem von Rio de Janeiro zurücksteht. Von dem Gesammtwaarenumsatz der Provinz, welcher sich im Jahre 1885-1886 auf den Werth von 56 376 contos 56 376 contos = circa 128,5 Millionen Mark. belief, entfiel weitaus der grösste Theil auf landwirthschaftliche Erzeugnisse. Rio de Janeiro ausgenommen, hat in keiner Provinz Brasiliens der Werth des Exportes nach dem Ausland eine solche Höhe erreicht wie in São Paulo. Derselbe betrug 1885-1886 35 889 contos 35 889 contos = circa 82 Millionen Mark., indessen sich der Import aus dem Auslande auf nur 12 498 contos 12 498 contos = circa 28,5 Millionen Mark. belief. Die Ein- und Ausfuhr von resp. nach den übrigen Provinzen des Reiches, namentlich letztere, war nicht sonderlich bedeutend. Der Schiffsverkehr in Santos ist ein reger und steht nur wenig hinter dem der zwei nördlichen Häfen, Pernambuco und Bahia, zurück. Verschiedene überseeische Dampferlinien laufen den Hafen von Santos an, und deutsche Schiffe vor Allem sind es, welche den Kaffeeexport von da nach Europa vermitteln.

Araucarienwald in São Paulo (nach Reclus).

Nicht nur in Bezug auf Handel und Landwirthschaft nimmt Sao Paulo einen hohen Rang unter den brasilianischen Provinzen ein, auch sein Reichthum an Mineralien, hauptsächlich an Eisen, ist bemerkenswert!!. Das Eisen zeichnet sich durch hervorragende Güte aus und wird bis jetzt namentlich in Ipanema in fachmännischer Weise gewonnen.

Das Klima der Provinz São Paulo ist je nach der Lage des betreffenden Landstriches ein sehr verschiedenes. Am Litorale finden wir noch den Charakter der heissen Zone, mit vorherrschendem Sommer- und Herbstregen. Die Jahresisotherme ist daselbst 21,3° C, das absolute Maximum der Temperatur 360 C, das Minimum 3,5° Die höchste der für da verzeichneten, jährlichen Niederschlagsmengen beträgt über 2500 mm. Am Südostabhang der Serra do Mar steigert sich die Menge der Niederschläge noch um ein beträchtliches. In Cubatao berechnet man deren Höhe auf 3613 mm, in Alto da Serra bis auf 4030 mm. Hitze und Feuchtigkeit stempeln das Klima der Küste zu einem ungesunden, Malaria und Gelbfieber sind da heimisch. Ersteigt man das Hochplateau, so ändern sich die Verhältnisse bedeutend. Das Klima, welches hier den Uebergang von dem der tropischen zu dem der warmen gemässigten Zone bildet, ist im Ganzen mild, angenehm, gesund und auch für Europäer zuträglich. Die 740 m über dem Meere gelegene Hauptstadt Sao Paulo, deren Klima man als subkontinentales bezeichnen kann, hat eine Jahresisotherme von 19,7° C. Die höchste der daselbst beobachteten Temperaturen ist 34,8°, die niederste -1° C. Frosttage sind jedoch äusserst selten, und es vergehen Winter, ohne dass ein einziger Frost zu verzeichnen ist. Wie die jährliche Amplitude der Temperaturschwankungen im Vergleich zu derjenigen der nördlichen Provinzen zunimmt, so auch die tägliche. Die Regenmenge beträgt im Jahr durchschnittlich 1500 mm und verteilt sich, wie an der Küste, vorwiegend auf Sommer und Herbst. Morgennebel treten häufig auf West- und nordwärts von São Paulo, mehr gegen das Innere der Provinz zu, wird die mittlere Jahrestemperatur wieder etwas höher, erreicht aber keineswegs diejenige des Litorale. Die absoluten Maxima der Temperatur übertreffen zum Theil diejenigen der Küste und von São Paulo, zum Theil bleiben sie hinter denselben zurück. Die absoluten Minima hingegen sind sämmtlich niedriger als die des Litorale und halten sich so ziemlich auf gleicher Stufe mit denen der Provinzhauptstadt S. José do Rio Pardo und Tatuhý besitzen unter allen meteorologischen Stationen der Provinz das extremste Klima. In Tatuhý z. B. ist die höchste der bisher beobachteten Temperaturen 42,5°, die niederste -1,8°; in São José beträgt über die Hälfte des Jahres das Mittel der interdiurnen Temperaturschwankungen 16-20°. Den tiefsten Thermometerstand, nämlich -5°, hat die im Nordosten von Sao Paulo gelegene Stadt Cunha zu verzeichnen. Die Höhe der Niederschlagsmenge nimmt landeinwärts der Provinz-Hauptstadt durchschnittlich ab, doch ist in der trockenen Jahreszeit die Dürre dort nicht so anhaltend, wie in den weiter nördlich gelegenen benachbarten Provinzen des Innern. Es herrschen die Sommer- und Frühjahrsregen vor, wie auf dem Hochland von Minas Geraes.

In Anbetracht der günstigen klimatischen Verhältnisse sollte man meinen, dass São Paulo dicht bevölkert wäre. Dem ist aber nicht so. Es wird in Bevölkerungsdichtigkeit von acht anderen Provinzen übertroffen und kann nicht mehr als 4 Seelen pro Quadratkilometer aufweisen. Wie in allen südlichen Provinzen des Reiches herrscht hier die weisse Rasse weit vor; sie beläuft sich auf 67,7 Prozent und wird immer mehr überhand nehmen. Die Verschiebung der Rassenverhältnisse, wie sie hier stattfindet, hält nicht Schritt mit derjenigen in anderen Landestheilen, sondern eilt derselben weit voraus, da der Strom der weissen Einwanderer sich vorwiegend hieher ergiesst. Von den 54 990 Immigranten, welche Brasilien im Jahre 1887 zählte, entfielen auf São Paulo allein 34 710 Aehnlich blieb das Verhältniss im folgenden Jahre. Da trafen von 131 745 Einwanderern allein auf São Paulo 92 000.. Nach den Lusobrasilianern dürften, unter den Weissen der Provinz, die Italiener die zahlreichsten sein. Deutsche mag man immerhin an 20 000 rechnen. Dank dem grossen Prozentsatz an kräftiger, fleissiger und unternehmender weisser Bevölkerung ist die Provinz in jeder Beziehung im Aufblühen begriffen. Die Mischrasse, welche in der grösseren Hälfte des Reiches die Mehrheit der Einwohnerschaft bildete, ist hier auf 13,5 Prozent reduzirt; sie besteht vielfach aus Nachkommen von Portugiesen und Carijóindianern. Die Neger betragen ein Zehntel der 1 306 000 Köpfe zählenden Gesammtbevölkerung São Paulos. Die civilisirten Indianer endlich belaufen sich auf 8,4 Prozent, was, verglichen mit den Verhältnissen in den meisten anderen Provinzen, eher viel zu nennen ist Die Prozentverhältnisse der Rassen in der Provinz São Paulo sind diejenigen des Jahres 1886, indessen für die anderen Provinzen die Verhältnisse des Jahres 1872 angeführt sind, siehe Levasseur: Le Brésil p. 50 et 51.. Diese civilisirten Autochthonen stammen sowohl von den Guyanás ab, welche möglicherweise zu der Völkergruppe der Gès gehören, als von den Puri aus der Gruppe der Goyntacá und von den Carijó, Tamoyo und Tupiniquim, die alle drei zu dem weitverbreiteten Tupivolke zu rechnen sind. Im Westen von São Paulo, auf einem ganz unbekannten Gebiet, welches ein volles Drittel der Provinz einnimmt, hausen die wilden Indianer. Sie sind im Grossen und Ganzen der Gruppe der Gès zuzuzählen und gehen unter der allgemeinen Benennung Bugres Martius: Beiträge zur Ethnographie etc. I. 185. 301.. Es finden sich unter ihnen Stammesnamen wie Camé, Tactayás und Voturões vor. Nach Cazal Cazal: Corographia Brazilica I. 183. zerfallen sie in vier Stämme Da in Cazal die heutige Provinz Paraná noch zur Provinz São Paulo gezählt wird, kommt sicher ein Theil der Stämme, die er für S. Paulo anführt, der Provinz Paraná zu., welche sich durch verschiedene Sitten unterscheiden lassen. Die einen z. B. durchbohren die Unterlippe, die anderen malen sich das Gesicht, die dritten scheeren das Kopfhaar kranzförmig. Sie leben noch in der Steinzeit, pflegen aber, im Gegensatz zu den meisten der Botokuden, ihrer im Osten Brasiliens wohnenden Gruppengenossen, Töpferwaaren herzustellen, Hütten zu bauen und Pflanzungen anzulegen. Da ihre Wildheit den Verkehr mit ihnen erschwert, und die von ihnen durchstreiften Gebiete von Weissen nicht betreten werden, sind übrigens alle Nachrichten über sie mit Vorsicht aufzunehmen. Für den Norden der Provinz werden Cayapóindianer genannt. Doch insofern sie ihre Wohnsitze jenseits der Grenzen von São Paulo haben und nur vorübergehend diesseits erscheinen, kann man sie, streng genommen, nicht zu den Indianern dieser Provinz rechnen.

Von den an Zahl noch immerhin beachtenswerthen Ureinwohnern des Landes sollten wir auf unserer heutigen Eisenbahnfahrt nach São Paulo nur wenige zu Gesicht bekommen. Der Indianer ist an den von uns zurückgelegten grossen Bahnstrecken der Provinzen São Paulo und Minas Geraes nahezu verschwunden. Es war auch nicht das Begegnen von Autochthonen, welches uns bewog, die fast dreizehnstündige Fahrt zu unternehmen, es war der Wunsch, den Charakter der südlicheren Campos Brasiliens kennen zu lernen.

Die erste Strecke des Weges, nämlich die von Rio über die Serra do Mar nach Barra do Pirahy im Parahybathal, war uns durch den Ausflug nach Ouro-Preto schon bekannt. Von Barra do Pirahy ab geht die Bahn flussabwärts nach Minas Geraes, flussaufwärts nach São Paulo. Eine entsetzliche Bahnhofsrestauration stellte hier heute, wie das erste Mal, grosse Zumuthungen an unsere noch nicht brasilianisch gebildeten Mägen. Unter allen Speisen konnte nur das geröstete Mandiocamehl unsere vollste Anerkennung erringen.

Ungefähr die ersten sechzig Kilometer von Barra do Pirahy ab, war die Gegend nicht sonderlich schön. Grösstenteils abgeholzte Hügel starrten trostlos rechts und links der Bahn empor. Die steifen Kaffeeplantagen, welche viele von ihnen bekleideten, boten vom malerischen Standpunkte aus keinen Ersatz für den gefallenen Wald. Wir befanden uns wieder in einem richtigen Kaffeedistrikt: Kaffeebäumchen an den Hängen, Kaffeebäumchen im Thal, dazwischen Fazendas, in deren Hofraum die Bohnen zum Trocknen ausgebreitet lagen. Die Bahn verfolgte den Lauf des Parahyba, der hier breit war und von wenig Gefäll. Stellenweise lagerten hübsche, waldbestandene Inseln inmitten des Flusses. Bis 10 Uhr war die Temperatur auf 22° C. gestiegen. Zu dieser Zeit hatten wir die Station Divisa erreicht, in deren Nähe eine italienische Kolonie gegründet worden ist, welche in blühendem Zustande sein soll. Während wir zur Linken von der Nordabdachung der Serra do Mar begleitet wurden, hatten wir zur Rechten die ihr parallel laufende Serra da Mantiqueira, welche hier in mächtigen Massen an die Bahn herantritt. Diese Serra ist durchschnittlich durch Gneiss und Granit charakterisirt und besteht in ihren höchsten Spitzen aus Eruptivgestein. Ungefähr östlich von Divisa steigt sie mauergleich bis zu 1000 und 1300 m empor. Westlich davon, beim Städtchen Rezende, beginnt ihr interessantester Theil, der 90 km lang ist und sich, mehr oder minder nahe der Bahn, bis nach dem Städtchen Lorena hinzieht. Gleich zu Anfang dieser Strecke erhebt sich im Itatiaya die Serra bis zu 3000 m. Der gewaltige Itatiaya, als dessen vorwiegendes Gestein der Nephelin-Syenit betrachtet wird, ist nicht nur der höchste Berg Brasiliens, sondern, die Anden ausgenommen, auch der höchste Berg von ganz Südamerika. Er hat hier, auf seiner Südseite, da das Parahybathal 4-500 m über dem Meere liegt, eine relative Höhe von 2500-2600 m. Bei 2200 m über dem Meeresspiegel bildet er ein welliges Plateau, von dem aus noch einzelne Spitzen aufragen Orville A. Derby: Os picos altos do Brazil p. 9 e s. – Orville A, Derby. On nepheline-rocks in Brazil (Quarterly Journal of the Geological Society 1887 p. 457)..

Als wir in seiner unmittelbaren Nähe vorbeifuhren, waren diese Gipfel, unter denen die zackigen, unersteigbaren Agulhas negras die höchsten sind, leider in dichten Nebel gehüllt. Doch rangen sich später einige der Serraspitzen aus dem Wolkenschleier los und standen in ganzer Pracht und Majestät vor uns.

In Campo Bello bemerkten wir auf dem Bahnsteig die mitleiderregende Gestalt eines Aussätzigen, welchen die Krankheit nicht nur des Augenlichtes beraubt, sondern welchem sie auch schon den linken Fuss zu einem Klumpen verstümmelt hatte, indessen am rechten erst die Zehen ergriffen waren. Bei Salto passirte unser Zug die Grenze zwischen Rio de Janeiro und São Paulo und hatte bald den Flecken Queluz erreicht. Letzterer ist ein grösserer, zu beiden Seiten des Parahyba gelegener Ort, in welchem einige Keulenbäume (Casuarinaceae), somit verpflanzte Kinder der australischen Flora, unsere Aufmerksamkeit erregten. Die nähere Umgebung des Bahnkörpers fuhr fort, unschön zu sein, in Folge abgeholzter, zum Theil mit Campos, z. Th. mit Kaffeeplantagen bedeckter Hügel. Fourcroyen, Bananen und namentlich viel Cecropien wechselten mit einander ab. In Cruzeiro wurde uns der in hiesiger Gegend seltene Anblick einiger Indianerinnen. Die hügelige, von einzelnen kegelförmigen Termitenbauten geschmückte Camposgegend, welche wir nun durchfuhren, machte nach Cachoeira ebenen Campos Platz. Es waren mit Niederwald und Buschwald bedeckte Strecken, welche Campos cerrados unterbrachen. Auf den Grasfluren sah man weidendes Vieh. Im Norden, nur durch einen Höhenzug von den Campos getrennt, war die Serra da Mantiqueira hingelagert, welche sich hier, in der Serra de Tembé, zu fast 2000 m erhebt. Im Süden begrenzte den Horizont eine nur mässig hohe Bergkette.

Gegen 1 Uhr Nachmittags fuhr unser Zug in Lorena ein, einer Stadt von ca. 11 000 Einwohnern, Hier bewunderten wir von der Bahn aus die hübscheste Kirche, die uns in Brasilien bisher zu Gesicht gekommen. Sie war gothisch, aus weissem Stein erbaut, ziemlich reich ornamentirt, namentlich an der Façade, und zum Theil schwach vergoldet. Zwei mit blauem Schiefer gedeckte Spitzthürme, deren Vorsprünge ebenfalls durch Vergoldungen einen wärmeren Ton erhielten, vollendeten den feinen, geschmackvollen Bau.

Schon vor Lorena hatten wir die unmittelbare Nähe des Parahyba verlassen und waren in die Region der Campos Geraes eingetreten. Mit letzterem Namen sind, ihrer grossen Ausdehnung wegen, die hiesigen Grasfluren belegt worden. Es entragen ihnen einzelne, scharf abgegrenzte Capões Siehe weiter oben S. 185 und 269., in welchen wir niedere Faulthierbäume (Cecropia) und strauchförmige Pflanzen unterscheiden konnten. Ausserhalb dieser Waldinseln waren vereinzelt stehende Palmen (Acrocomia sclerocarpa Mart?) über die ebene Rasenfläche zerstreut. Später verschwand die Ebene und es traten neuerdings Cochilhas, d. h. baumlose Campos mit leichter Hügelbildung auf. Den hiesigen höheren Camposwald schienen keine epiphytischen Bromeliaceen zu schmücken, wohl aber durchzogen Schlingpflanzen sein Geäste, und zierliche Farnbäume, vermuthlich Alsophilen, erhöhten seinen Reiz. Nach Guaratinguetá zeigten sich zum ersten Male einige grössere, ganz strauchfreie Grasstrecken, somit Campos veros; diesen folgten Kaffeeplantagen. In der Station Apparecida standen einige Trolys Siehe weiter oben S. 442., von denen einer, nach Art der Vetturiniwagen in Neapel, mit Menschen überladen war. Nun durchfuhren wir wieder ebene Campos. Ueber dieser weiten, gesträuch- und baumbesäeten Ebene, welche sich, von zwei Seiten bergkettenbegrenzt, stundenlang hinzog, ruhte eine ganz eigene, malerische Stimmung. Warm und duftschimmernd lag der Sonnenschein auf dem ausgedehnten Plan, und kräftig hoben Schatten das dunkler gefärbte Buschwerk vom lichteren Hasengrunde ab. Während wir uns, gelegentlich der Fahrt durch die Campos von Minas Geraes, vielfach auf Bergrücken fortbewegten und auf andere Gebirgszüge hinüber- oder in Schluchten hinunterblickten, befanden wir uns heute immer im Thal, bald näher, bald ferner von Bergketten eingeschlossen.

Bäume und Sträucher traten nun zurück und nur schlanke Palmen, welche einzeln standen, wie die Bäume in den englischen Parks, wiegten ihre Blätterkronen über das schier endlose Grasland. Daran schloss sich neuerdings Campo vero, der, flach wie eine Tischplatte, über die ganze Ebene hinüberreichte und einen merkwürdigen Zauber der Weite, des Unendlichen auf das freischweifende Auge ausübte. Da der Vegetationsteppich zum Theil aus büschelförmig wachsendem grünem und röthlichem Gras, aus ächtem Savannengras Hier kommen wohl zunächst Hirsegräser (Paniceae) in Betracht., bestand, waren diese Campos als Campos agrestes Siehe weiter oben S. 184. zu bezeichnen. Später störten wieder einige von niederem Gebüsch gebildete kreisrunde Capões den Charakter der reinen Grasflur.

Nach der Stadt Jacarehý, deren dem Tupí entnommener Name Alligatorenwasser bedeutet, trat der Zug neuerdings in eine Cochilharegion ein. Wir berührten den hier noch ziemlich breiten Parahyba, der an dieser Stelle wenig Gefäll hat und dessen Ufer streckenweise ein schmaler Waldstreifen einsäumt. Solche Flussuferwälder sind typisch nicht nur für die Campos Brasiliens, sondern ebenso für die ausserdem baum- und schattenlosen Prärieen des amerikanischen Nordens. Von Osten trat jetzt die Serra do Quebra-Cangalho nahe an die Bahn heran. Es ist dies ein unschöner, mühselig zu übersteigender Gebirgszug, welcher seine merkwürdige Benennung Quebra-Cangalho, d. h. Packsattelbrecher, davon herleitet, dass die Maulthiertreiber, wenn sie seine Höhen passirt haben, meist genöthigt sind, ihre Sättel auszubessern Siehe Moura: Diccionario Geographico do Brazil II 375..

Wir verliessen endgiltig den Parahyba, in dessen Thal, zwischen der Serra do Mar und Serra da Mantiqueira, das Vorkommen von Süsswassertertiär festgestellt worden ist Orville A. Derby: On nepheline-rocks etc. (Quarterly Journal etc. p. 472).. Noch eine kurze Zeit befanden wir uns im Parahybaflussgebiet, dann überschritten wir die uns quer vorgelagerte Serra de Itapetý, die Wasserscheide nach dem Rio Tieté. Die Serra ist ein vollständig reizloses, mit Gestrüpp und Niederwald bestandenes Hügelland. Auf seiner Südseite wachsen viele Saumfarne (Pteris) und starren Termitenhügel in die Höhe. Wir querten den Tieté, einen der Hauptzuflüsse des Rio Paraná. Er entspringt in der Serra do Mar, hat eine Länge von ca. 900 km und ist wegen seines dunkelbraunen Wassers und seiner zahlreichen Cachoeiras bekannt. Vor der Stadt Mogý das Cruzes fuhren wir wieder über Campos agrestes, welche, an den feuchten Stellen, mit deutlich convexeu Capões besetzt waren. Nach Mogý folgten Campo vero, Capões und zusammenhängender Camposwald in stetem Wechsel. Auf den trockenen Höhen zeigten sich die ersten Schuppentannen (Araucaria brasiliana A. Rich. Lam.). Sie waren nur vereinzelt, da die waldbildende Eigenschaft dieser Coniferen erst weiter südlich zur Geltung kommen kann. Das Terrain wurde welliger. Die Nacht brach an und zahllose leuchtende Käfer, so viel, wie ich noch niemals gesehen, flogen in allen Richtungen durch das nächtliche Dunkel. Es war, wie wenn es Funken regnete, wie wenn tausende von Irrlichtern uns umtanzten.

Um 6 Uhr 40 Minuten, bei frischer Temperatur, langten wir in der Stadt São Paulo, am Ziel unserer heutigen Reise an. Seit Rio de Janeiro waren 497 km zurückgelegt worden. Unsere in Ceará begonnenen Studien über die verschiedenen Camposformen hatten eine weitere Ergänzung erfahren, und wir konnten mit Befriedigung auf unsere lange Fahrt durch die unabsehbaren Grasfluren Südbrasiliens zurückblicken.

São Paulo. Sonntag, den 30. September.

São Paulo, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, ist im Jahre 1554 aus einem indianischen Dorfe entstanden und im Jahre 1711 in die Zahl der Städte eingereiht worden. Es liegt auf der Hochebene von Piratininga. auf etwas erhöhtem Terrain, ca. 6 km südlich vom Rio Tieté. Seine südliche Breite von 23° 36' sagt uns, dass es schon, wenn auch knapp, aus der tropischen Zone hinausfällt. Es zählt etwa 50 000 Einwohner, von denen fast die Hälfte aus Italienern bestehen soll. Aber auch Deutsche sind in ziemlicher Anzahl vorhanden. Wir lasen unter den verschiedenen Aufschriften sowohl »Padaria toscana«, Toskanische Bäckerei. wie »Deutsche Schule«. Auch fehlt es nicht an einer deutschen Apotheke, an deutschen Conditoreien und grossen deutschen Geschäftslokalen. Da die nach Brasilien Einwandernden ihre Schritte vornehmlich hieher lenken, hat man in der Stadt ein Hospedaria gegründet, in welcher 4000 Neueingetroffene eine Woche hindurch unentgeltlich Unterkunft und Verpflegung finden können und man sich um ihr weiteres Fortkommen bemüht. S. Anna Nery: Le Brésil en 1889 p. 497. Wohl der grösseren Menge von daselbst lebenden Europäern ist es zu danken, dass São Paulo einen eleganteren und reinlicheren Stempel trägt, als die meisten übrigen Städte Brasiliens, Auch das Strassenpflaster ist für brasilianische Verhältnisse bewundernswerth gut. Einige hübsche öffentliche Gebäude und einige auf europäischem Fuss eingerichtete, elegante Verkaufsläden erhöhen den angenehmen Eindruck, welchen die Stadt hervorruft. Nur die Kirchen lassen, wie fast überall im Kaiserreich, an Schönheit sehr zu wünschen übrig.

Da die verschiedenen Sammlungen, welche wir besehen wollten, geschlossen waren, blieb uns nur der Besuch der öffentlichen Anlagen übrig. Dieselben sind ganz hübsch, aber nicht sonderlich interessant für Solche, welche, wie wir, aus den Tropen kommen. Weder die Pandanaceen, noch die verschiedenen Arten von Palmen und Araucarien lenkten hier unsere Blicke auf sich, wohl aber prachtvolle, purpurroth blühende Heliconien, welche sicherlich Heliconia metallica Planch. et Lind, aus Neu-Granada gewesen sind. Die Besteigung des Aussichtsturmes lohnte sich durch den guten Ueberblick über Stadt und Umgegend, den wir hierdurch gewannen. Um die keineswegs grosse Stadt breitet sich ringsum die weithingedehnte, wellige Hochebene, camposbedeckt, von schmalen Waldstreifen durchzogen, mit brasilianischen Schuppentannen spärlich besät. Nach Norden und Nordwesten schliessen die Serra da Cantareira und die schöngeformte, 1100 m hohe Serra de Jaraguá den Horizont in der Ferne ab. Die erstgenannte Serra, ein mehr massiges Gebirge, die zweite, ein isolirterer Berg, gehören beide zu dem, Serra da Mantiqueira genannten Gebirgssystem. Orville A. Derby: A Denominação »Serra di Mantiqueira« p. 3.

Nachmittags fuhren wir nach der Fazenda des Herrn Dietrichssohn, die dortige Theeplantage zu besuchen. Unser Weg führte durch die reinste Camposgegend. Wir hatten vier Pferde vorgespannt und zwei Kutscher auf dem Bocke sitzend. So ging es über die weite Grasebene dahin, über Stock und Stein, oft in sausendem Galopp. Es erinnerte diese Fahrt an das Reisen in der russischen Steppe; auch hier, wie dort, war der primitive Weg sehr breit und vielgeleisig. Die Flora, die uns umgab, zeigte sehr charakteristische Züge. Die lang hingestreckte Fläche war zum Theil mit büschelförmig wachsenden Gramineen, echten Savannengräsern bedeckt. Unter diesen überwog die in Sao Paulo überaus häufige, hellschimmernde Aristida pallens Cavanilles, In mein Herbarium gesammelt. welche den Namen Barba de Bode, d. h. Bocksbart, trägt und als gutes Schaffutter gilt. Unzählige Ananas (Ananas sativus Schult, var. bracteatus Lindl.) mit hohen Blüthenschäften wuchsen über die Grasfluren zerstreut. Sida macrodon DC., reizende kleine Malvaceen mit ganz rosenrothen Blüthen, und nicht nördlicher als São Paulo vorkommende Kreuzblumen, die rosablühende Polygala galioides Poir. var. molluginifolia St. Hill., Beide in mein Herbarium gesammelt. stimmten gut zum Grau des Savannengrases. Längs der Strasse, noch ehe wir die eigentlichen Campos betraten, war hohes Gebüsch gestanden mit blumenblätterreichen, weissen Blüthen, ähnlich kleinen Astern, sicher Rubus rosaefolius Smith var. coronarius DC. Jetzt, auf den Campos selbst, gab es ebenfalls einen weissblühenden Strauch, der jedoch vermuthlich der artenreichen Familie der Bignoniaceen angehörte. Sollte es Sparattosperma lithontripticum Mart. gewesen sein? Zu ihm gesellten sich grosse lila Blüthen an einem ca. 1-1,5 m hohen Stengel, wohl Tibouchinen, deren bei São Paulo ziemlich viele Species vorkommen.

Wir fuhren quer über die schier endlose, wellige Hochebene, auf deren Grassteppe sich einzelne Baumreihen als schmale, dunkle Streifen abzeichneten. Heiss strahlte die Sonne auf dieses, durch seinen weiten Horizont grossartige Landschaftsbild herab, welches ferne Höhenzüge malerisch begrenzten. Weidendes Vieh belebte die sonst öde Gegend und Geierfalken trieben sich in der Nähe herum. Einer derselben sass gemächlich auf einer liegenden Kuh, welche durch diesen seltsamen Gast durchaus nicht gestört zu sein schien. Nach ihrem Vorkommen in baumarmer Camposregion, Ibycter chimachima Vieill. wird zwar auch ausserhalb der Campos angetroffen, doch am häufigsten auf baumarmen, ebenen Camposgefilden. Siehe Burmeister: Systematische Uebersicht der Thiere Brasiliens II 37. – Wied; Beiträge zur Naturgeschichte von Brasilien III S. 168. – Goeldi: As Aves do Brazil I 47. namentlich aber nach ihrem vertraulichen Gebahren dem Hornvieh gegenüber, vermuthete ich diese Raubvögel Ibycter chimachima Vieill. zu sein, von welchen berichtet wird, dass sie den Thieren auf der Weide die Insekten abzulesen pflegen.

Noch mussten wir durch eine Strecke Camposwald fahren, dann war die Fazenda erreicht, die grösste Theefazenda in der Nähe von São Paulo. Sie beschränkt sich übrigens nicht ausschliesslich auf die Kultur des chinesischen Thees, sondern hat auch Kaffeeplantagen. Die Theekultur Brasiliens, welche sich 1830 in blühendem Zustand befand, wird jetzt nur mehr in den Provinzen São Paulo und Minas und nur in kleinem Umfang betrieben. Die Theeplantagen bestehen aus Feldern mit geneigter Fläche, auf welchen die Theesträucher (Camellia Thea Link) in langen Reihen gesetzt sind. Von diesen Sträuchern, auffallend kleinen Pflanzen, werden die jüngsten und zartesten Blättchen als beste Theesorte gepflückt. Die älteren und grösseren Blätter liefern einen minderen und folglich auch billigeren Thee, den sogenannten Chá de familia. Der Theestrauch wächst ungemein langsam, wird aber ausserdem von Zeit zu Zeit, des bequemeren Pflückens halber, wieder zugeschnitten. Das Sammeln der Blätter geht das ganze Jahr hindurch fort. Die gepflückten Blättchen werden in grosse, gemauerte Mulden gebracht, unter welchen sich Oefen befinden. Jede Mulde besitzt ihren eigenen Ofen. In diesen Mulden werden die Blättchen über Feuer getrocknet, ein Verfahren, welches gerade soviel Zeit in Anspruch nimmt, dass man die Mulde per Tag viermal frisch füllen kann. Der chinesische Thee Brasiliens wird im ganzen Lande abgesetzt, ist aber kaum im Stande, an Güte mit dem aus Asien kommenden Thee zu konkurriren.

Bei schwüler Luft traten wir die Heimfahrt an. Auf dem Hinweg wie auf dem Rückweg führte uns die löcherreiche Strasse in der Nähe der Stadt am Kirchhof vorbei. Die Gräber waren hier genau so heraufgemauert wie auf den Cemiterios von Rio de Janeiro. Wir sahen einen Leichenzug, der die sterbliche Hülle eines Kindes zur letzten Ruhe geleitete. Dieselbe lag in offenem, von Kindern getragenen Sarg und war mit rothem und weissem Papier geschmacklos phantastisch aufgeputzt. Der Tod eines Kindes hat hier nichts Trauriges; der kleine Liebling ist ja ein »anjinho«, ein Engelchen geworden.

São Paulo. Montag, den 1. Oktober.

Zwischen 4 und 5 Uhr Morgens entlud sich ein heftiges Gewitter. Um 7 Uhr traten wir auf dem Schienenwege den Ausflug nach Santos an die Küste hinunter an. Zunächst war die Bahn südöstlich über das grosse Gneisstafelland geführt, welches hier, in der Nähe der Provinz-Hauptstadt, zum Theil von Süsswassertertiär überlagert ist. Zahlreiche Orangenbäume, Wollmispeln (Eriobotrya japonica Thb.) und, wie in Südtyrol, in Lauben gezogene Weinreben bildeten die unmittelbare, pflanzliche Umgebung der Stadt. Dann ging es in die Camposgefilde hinaus über Campo vero, Campo cerrado und durch Niederwald verschiedenen Charakters. Weithin wogte das graue Savannengras mit seinem reizenden Blumenflor; zwischen den Grasbüscheln starrten die steifen Blätter der Echten Ananas empor, und weidendes Vieh stand und lag über die ebenen Fluren zerstreut. Wieder packte uns der eigene Reiz der Oede und Einsamkeit dieser brasilianischen Steppenlandschaft. Wir fuhren unfern von Ypiranga vorbei, dieser geschichtlich berühmten Stelle, auf welcher der Prinzregent Dom Pedro am 7. September 1822 mit dem Rufe: »Independencia ou morte« Unabhängigkeit oder Tod. die Unabhängigkeit Brasiliens vom portugiesischen Mutterlande erklärte. Die Bahn folgte mehr oder minder dem Laufe des unbedeutenden Rio Tamanduatehý, dessen aus dem Tupí stammender Name Ameisenbärwasser bedeutet. Die Gegend wurde immer hügeliger und waldiger, und nach einer guten Stunde hatten wir mit dem 800 m hoch gelegenen Alto da Serra den Südostrand des grossen brasilianischen Binnenplateaus erreicht. Von hier, wo wir uns schon inmitten der Serra do Mar befanden, ging der Zug an einem Drahtseil zwischen waldbedeckten Hängen steil gegen die Küste zu hinab. Es eröffnete sich ein schöner Blick auf die Berge gegen Süden zu. Der hiesige Küstenurwald war wohl üppig im Verhältnis zu den Camposwäldern der Hochebene, konnte aber keinen Vergleich aushalten mit den Waldungen der Serra do Mar in der Umgegend von Rio de Janeiro. Es fehlten namentlich die zauberhaft schönen Schlingpflanzendraperien, welche dort die höheren Holzgewächse umkleiden und untereinander zu einer einzigen phantastischen Laubmasse verbinden. Doch entbehrten die hiesigen Waldgehänge der Farbenpracht nicht. Da glühten auf grünem Grunde die Purpurblüthen der Heliconien, dort machten sich im Dickicht viel gelbblühende Bignoniaceen (Tecoma aurea DC.), bemerkbar, und wieder eine Strecke weiter entzückten das Auge Bäume in lila Blüthenschmuck, vielleicht Jacaranda paulistana Manso.

Wie die Vegetation, so konnte auch die Landschaft, durch welche diese Bergbahn führte, es an Schönheit mit keiner der Landschaften der Gebirgsbahnen um Rio aufnehmen. Eine Stunde etwa dauerte die Hinabfahrt an den Steilhängen der Serra do Mar, welche hier die engere Bezeichnung Serra do Cubatão trägt. Dann lief der Zug auf capoeirabedeckter Ebene östlich gegen Santos zu. Sumpfiger und sumpfiger wurde die Niederung. Die Sumpfvegetation bestand zum Theil aus Mangrovewäldern, welche hier eine ganz ähnliche Zusammensetzung zeigten, wie an anderen Punkten der brasilianischen Küste. Am meisten landeinwärts wuchsen Laguncularien, diesen folgten Avicennien und dem Meere zunächst erhoben sich gemeine Manglebäume. Schimper: Die indomalayische Strandflora. S. 65 u. 66.

Wir passirten den Rio Cubatão und den nur flussbreiten, Rio São Vicente genannten Meeresarm und waren gegen halb elf Uhr in Santos, einer Stadt von ca. 15 000 Einwohnern. Sie liegt ungefähr 6-12 km vom Gebirg entfernt, auf der Insel Enguá-Guaçú, welche nur durch zwei ganz schmale Meeresarme, die Barra grande und den schon genannten Rio São Vicente, vom Festland abgetrennt wird. Da Santos auf schlammigem Grunde steht, der sich kaum 2 m über den Meeresspiegel erhebt, bedarf es wohl nicht der Versicherung, dass sein Klima ein höchst ungesundes ist. Das Gelbfieber hält daselbst alljährlich mehr oder minder reiche Ernte und hat von da aus seinen Weg sogar schon auf das Hochplateau hinauf gefunden, 150 km landeinwärts und bis auf eine Höhe von 660 m Letzteres trug sich im Jahr und 2 Jahre nach unserer Anwesenheit in São Paulo zu. Siehe Loefgren: Dados climatologicos do anno 1889 p. 4 und Dados etc. do anno 1890 p. 6. II e 15. (Boletim da Commissão Geographica e Geologica de São Paulo.).

Für Diejenigen, welche nicht zu den Kaffeebaronen zählen, ist in Santos nicht viel zu sehen. Und so flüchteten wir bald aus der heissen, schmutzigen Stadt hinaus an den Meeresstrand. Eine Trambahn oder wie die Brasilianer dieses Beförderungsmittel nennen, ein Bond, brachte uns auf höchst uninteressanter Strecke nach dem gewünschten Ziel. Es war dies der winzige Ort Barra, welcher die äusserste Südostspitze der Ilha Engua-Guaçú einnimmt, indessen Santos selbst am Nordostufer genannter Insel, dem Festland gegenüber, gelegen ist. In Barra nahmen wir einen Troly und fuhren dem Meer entlang gegen Westen nach São Vicente, der dritten auf der Insel befindlichen Ortschaft. Vor uns erhob sich, von nahen Waldbergen günstig eingerahmt, die schöngeformte, in blauen Duft getauchte Serra de José Menino. Hinter uns, im Südosten, liessen wir den weit in die Fluthen vorspringenden Morro da Barra zurück, ein kegelförmiges, unschönes Vorgebirg, welches der benachbarten Ilha Guahibá oder Santo Amaro angehört. Von Süden rollten die langen, blauen Oceanwellen durch die Bahia de Santos heran und verrauschten auf dem sandigen Strand. Einige steile, kleine Waldinseln, welche auch Palmen trugen, entragten dem wogenden Meer.

Wir sammelten an Bewohnern der Salzfluth nur Callista purpurata Lam. Paetel (Catalog der Conchyliensammlung III 73) theilt diese Venusmuschel nicht der Gattung Callista, sondern der Gattung Dioce zu, die er, entgegen Adams und Chenu, von Callista als selbstständige Gattung abtrennt. Muscheln, welche der atlantischen Küste Südamerikas entlang bis nach Patagonien hinunter vorkommen, Mytilus elongatus Ch., eine brasilianische Miesmuschel, welche gegessen wird, und ferner Schellenseepocken (Balanus tintinnabulum L.), Rankenfüsser, die in allen wärmeren Meeren sehr gemein sind.

An São Vicente, einem Flecken, welcher schon dreieinhalb Jahrhunderte alt ist, fanden wir nicht den geringsten alterthümlichen Charakter. Dafür besitzt er eine Errungenschaft der neuesten Zeit, einen Skating-Rink. Für Zeitvertreib sorgen dort ausserdem Hahnenkämpfe, deren Kampfplatz wir in Augenschein nahmen. Es war dies in Brasilien der einzige von dessen Existenz wir Kunde erhielten. Doch sollen Hahnenkämpfe im Lande sehr beliebt sein. Ein von Deutschen bewohntes Haus erwies sich für uns als dritte Merkwürdigkeit des sterbenslangweiligen Oertchens.

Unser Troly, der in seinen Bewegungen nicht gerade sanft gewesen war, wurde hier verabschiedet, und wir kehrten mittelst Dampftrambahn auf anderem Wege nach Santos zurück. Es ging in raschestem Tempo durch einen krabbenbevölkerten Mangrovewald nach einer Schlächterei, in welcher zahllose Urubús (Catharistes atratus Bartram) mit Auflesen der Abfälle beschäftigt waren. Einige Waggons mit frischgeschlachtetem Fleisch wurden dem Zuge angehängt und die 9 km lange Fahrt nach Santos fortgesetzt. Landschaftlich war sie reizend. Sie führte den steilen Kuppen und Spitzen und den Schlünden der malerischen Küstengebirgskette entlang. Ebenso schön ist das Landschaftsbild von Santos selbst, welch letzteres am Fuss eines abschüssigen, von der Wallfahrtskirche Nossa Senhora de Monserrate gekrönten Hügels liegt. Namentlich am Hafen hat man einen entzückenden Blick. Um einen Wald von Schiffsmasten, welchen eine inmitten des Hafens gelegene Insel unterbricht, gruppiren sich die Berge in malerischer Weise. Kaffeeladende Dampfer und die unmittelbar am Ufer erbauten grossen Kaffeelagerräume, in welchen reges Leben herrschte, liessen ahnen, dass sich, wie es tatsächlich der Fall ist, in Santos das gesammte Interesse auf den Kaffee konzentrirt. Im Erdgeschoss der grossen Handelshäuser waren die kostbaren Bohnen zu hohen Haufen aufgeschüttet. Arbeiter fuhren mit flachen Holzschalen in diese Kaffeehügel hinein und warfen die aufgenommene Menge in appetitliche Leinensäcke, welche andere Arbeiter offen hielten. Mit je einem Sack waren immer nur zwei Mann beschäftigt, ein Hineinwerfender und ein Haltender. Vier Schalen voll genügten einen Sack zu füllen, welch letzterer hierauf vom Sackhaltenden auf die Wage geschleppt wurde. Hier stand ein dritter Arbeiter, dem das Wiegen des Sackes oblag und der, je nach Ueber- oder Untergewicht, mittelst einer kleineren Holzschale etwas Bohnen abhob oder solche aus einem nebenanstehenden, kaffeeerfüllten Behälter hinzufügte. Ein vierter Arbeiter trug schliesslich den Sack zum Zunähen. So ging es mit militärischer Präzision zu in allen Magazinen, an denen wir vorüberkamen. So wimmelte es überall von Menschen, welche ihr ganzes Leben nur mit Verpacken der geschätzten Kaffeebohnen verbringen.

Auf dem Wege zur Bahn wurden wir nach echt brasilianisch, natürlich-ungenirter Weise von einem uns vollständig Unbekannten angesprochen, welcher sich hierauf vorstellte und nichts weiter wollte, als uns über unsere Eindrücke von Brasilien und unsere Reiseprojekte zu interviewen. Die gleiche Beschäftigung setzte er dann im Waggon fort, indem er unaufgefordert sich uns zugesellte. Es war nicht das erste Mal, dass uns Solches in Brasilien begegnete, da man sich daselbst, wie schon öfters gesagt, im gesellschaftlichen Verkehr höchst einfach und natürlich benimmt.

Um 4 Uhr Nachmittags verliessen wir Santos, auf dem gleichen Wege, auf welchem wir gekommen, nach São Paulo zurückzukehren. Ehe der Fuss der Serra erreicht wurde, passirte der Zug ausgedehnte Bananenpflanzungen. Dann begann die Bergfahrt, welche wir, um Bahnbau und Gegend besser übersehen zu können, in einem niederbordigen, offenen Güterwagen, einer Lowry, zurücklegten. Auf vier sich folgenden, schiefen Ebenen mit einer Steigung von 1:10 wird die Höhe erklommen. Die Ebenen oder Sektionen sind durch je eine Plattform geschieden, auf welcher eine stationäre Dampfmaschine der dem Zug vorgespannten Lokomotive hilft, die Wagen hinaufzuziehen. Die Drahtseilbahn, welche jetzt seit etwa 23 Jahren besteht, hat noch keinen Unfall zu verzeichnen. Die Seile sind drei Jahre lang verwendbar und laufen in dieser Zeit eine Strecke von 40 000 miles. Da die Bahn englischer Construktion ist, beziehen sich die uns gemachten Längenangaben sicher auf englische Maasse und handelt es sich hier somit um eine Strecke von 64 360 km.

Leider beeinträchtigte während unseres Anstieges Nebel den Aufblick nach der Gebirgswelt. Doch blieb uns anfangs noch die Aussicht in die Tiefe unbenommen, auf den herrlichen Urwald, welcher sich uns zu Füssen entrollte und viel Wild, Cutiá, Paca, Tatú Dasyprocta Azarae Licht., Coelogenys Paca L. und Dasypodidae, vielleicht verschiedener Species. und andere Thiere, bergen soll. Schliesslich musste unser Zug auch in das wogende Nebelmeer einfahren, sodass wir keine 40 Schritte weit sehen konnten. Auf dem Hochplateau erst wurde der Nebel geringer, um endlich ganz zu verschwinden. Epidendreen, welche auf einer Station feilgeboten wurden, nahmen wir als Andenken an die Wälder der Serra de Cubatão mit. Als die Dunkelheit hereingebrochen war, zogen, wie vor zwei Tagen, unzählige leuchtende Käfer langsamen Fluges geheimnissvoll durch die stille Nacht. Die Luft war schwül und Alles wäre dazu angethan gewesen, uns in eine Märchenwelt hineinzuträumen, wenn nicht das Rütteln des Zuges und der Pfiff der Lokomotive uns in die prosaische Wirklichkeit zurückversetzt hätte. Um 7 Uhr waren wir wieder in São Paulo angelangt.

São Paulo – Rio de Janeiro. Dienstag, den 2. Oktober.

Heute früh 6 Uhr dampfte der Zug, welcher uns nach Rio zurückführen sollte, aus dem freundlichen São Paulo hinaus. Die ersten viereinhalb Stunden gab es nichts als Campos in ihren verschiedenen Formen zu verzeichnen. Dann, in Pindamonhangaba, fesselte unsere Aufmerksamkeit ein winziges, reizendes Vögelchen, welches einen Schopf hatte und etwa Platyrhynchus mystaceus Vieill. gewesen sein könnte. Um 11 Uhr Vormittags maassen wir 25,5° C.

Da sich uns heute landschaftlich nichts Neues bot, hatten wir mehr Zeit, die Einrichtungen der von uns gerade benutzten Bahn, der Ferrovia S. Paulo e Rio de Janeiro, zu beachten und überhaupt Betrachtungen über das brasilianische Eisenbahnwesen anzustellen. Das Abläuten der Züge am Bahngebäude fällt auf den meisten Bahnen weg, wird jedoch auf dieser Ferrovia mittelst der auf der Lokomotive angebrachten Glocke bewerkstelligt. Da dieselbe den Klang einer Kirchenglocke hat, kann man jedesmal meinen, zu irgend einem Gottesdienst gerufen zu werden. Die Namen der Stationen werden hier, wie auf nahezu allen brasilianischen Bahnen, nicht ausgerufen und sind auch an den Stationsgebäuden häufig nicht angebracht. Dafür geht der Schaffner nach jeder Station durch den ganzen Zug, in allen Waggons fragend, ob für die nächstfolgende Station keine Passagiere vorhanden seien. Auf den von uns befahrenen Bahnen fanden wir nirgends eine dritte Klasse, und die zweite ist schlecht; der grösste Theil der Reisenden benutzt in Folge dessen die erste. Die Waggons sind meistens in zwei Räume getheilt, von denen ein jeder Bänke und Lehnsessel, und einen in der Mitte durchlaufenden Gang enthält. Auf den besseren Bahnen sind nur Bänke, und zwar für zwei Personen berechnete angebracht. Zwischen zwei solch gegenüberstehenden Bänken befindet sich je ein Wandtisch, den man nach Belieben aufschlagen und zusammenklappen kann.

Am Frühnachmittag fuhren wir neuerdings dem Südfuss des gewaltigen Itatiaya entlang. Obwohl der Bergriese heute noch mehr als vor drei Tagen sein ehrwürdiges Haupt in Wolken barg, wirkte er durch die Mächtigkeit seiner, unvermittelt aus ebener Thalsohle ansteigenden, einzig sichtbaren unteren Hänge, nichtsdestoweniger geradezu überwältigend.

Noch erfreuten wir uns am Anblick der von uns zum vierten Mal durchfahrenen Gebirgslandschaft zwischen Barra do Pirahý und Belem, der schönsten Strecke des ganzen heutigen Weges. Dann zog die Nacht herauf, und nicht lange darnach hatten wir wieder das paradiesisch herrliche Rio de Janeiro erreicht.


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