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Kapitel VII.
Rio Negro.

Manáos. Samstag, den 14. Juli.

Den Morgen verbrachten wir zunächst mit Ordnen der gesammelten zoologischen, botanischen und ethnographischen Gegenstände. Dann sahen wir in einem Privathause einige junge, in einem Käfig gehaltene Jaguare (Felis onça L.) an, welche sich trotz ihrer Jugend sehr wild geberdeten. Schliesslich verschafften wir uns bei einem Händler was an interessanten indianischen Objekten in Manáos aufzutreiben war. Zu diesen gehörte ein Gefäss aus Gürtelthierpanzer, Siehe rückwärts Tafel III No. 2. ein flacher Korb mit Papageifedern verziert, zwei Pagaias, Siehe Tafel III No. 1 u. 7. ein Bogen der Mauéindianer, ein kunstvoll mit Faden verzierter, eleganter Bogen aus dem Amazonasgebiet Siehe Tafel II No. 8. und last not least Verschiedenes, was die Crichaná als Tauschartikel an den Rio Negro gebracht hatten. Unter letzteren befanden sich einige sehr selten zu erhaltende Steinbeile, Siehe Tafel III No. 8 u. 9. ein grosser Bogen aus schwerem dunklen Holz, über ein halbes Dutzend 1,42-1,66 m lange Pfeile mit Knochenspitze, Siehe Tafel I No. 1-4. ein Pfeil mit Spitze aus Bambushalm Siehe Tafel I No. 5. und ein Pfeil von 1,65 m Länge mit äusserst zierlich geschnitzter Holzspitze, welche drei Paare sehr scharfer, sich in einer Ebene symmetrisch gegenüberstehender Widerhaken aufweist. Siehe Tafel I No. 6. Die Verwendung von Stein und Knochen zu Waffen und Hausgeräth sprach deutlich von der niederen, dem Eisen noch fremden Culturstufe dieses Indianerstammes.

In einem anderen Laden kauften wir eine Anzahl Cuiás. Es sind dies aus den holzartigen Schalen der Früchte der Crescentia Cujete L. Siehe weiter oben 8. 50., einfach durch Halbirung hergestellte halbkugelige Gefässe, welche den Eingeborenen als Napf, Becher, Teller und Anderes dienen. Sind diese Cuiás mit Malerei zu versehen, und zwar ist dies gewöhnlich nur auf der Innenseite derselben der Fall, so wird die zu bemalende Fläche zunächst mit Baumrindenabsud getränkt, um der Farbe, welche aufgetragen werden soll, mehr Haltbarkeit zu geben. Hierauf wird die stets schwarze, Cury genannte Grundfarbe meistens durch Bereiben erwähnter Fläche mit einer aus verbrannten Palmfrüchten gewonnenen Kohle erzielt und mit einem Spatel aus hartem Holze recht glatt polirt. Die auf diese Grundfarbe aufgesetzten Malereien ergehen sich, sowohl was Zeichnung, wie Farbe betrifft, in den grössten Abwechslungen. Die hierzu verwendeten Farben bereiten die Indianer aus verschieden gefärbten Erden und aus den Blättern, Früchten und Wurzeln von allerhand Pflanzen. Am meisten ist diese in den Händen der Indianerinnen befindliche Cuiáindustrie in Carvoeiro am Rio Negro und in Monte Alegre, Prainha und Outeiro am Amazonas entwickelt.

Cuiá. (Im Besitz der Verfasserin.)

Nachmittags fuhren wir zu Kahn nach dem in der Nähe von Manáos befindlichen Estabelecimento de Educandos artifices, einer Erziehungsanstalt, in welcher für 122 Waisenknaben der Provinz Platz geschaffen ist. Wir wollten hier die jungen Vollblutindianer sehen, deren die Anstalt aus allerhand Stämmen aufgenommen hat. Doch auch hier zeigte sich wieder die betrübende Thatsache, dass die Indianer, viel mehr als alle anderen Rassen Brasiliens, Krankheiten unterworfen sind. Bis auf wenige, lagen sämmtliche indianische Knaben an den Masern darnieder, indessen die übrigen Schüler, Weisse, Neger und Mischlinge, den Krankenzimmern ein weit geringeres Contingent stellten. Wenigstens war hier nicht zu befürchten, dass die Masernkranken, wie es in den Indianerdörfern am Rio Negro aufwärts geschieht, sich, unbekümmert um ihren Hautausschlag, im Flusse baden würden. Letzterwähntes Verfahren ist es, welchem man die erschreckend hohe Ziffer an letalem Ausgang der Masernfälle zuschreibt. Ebensolche schlimme Folgen der Flussbäder Masernkranker will man auch bei den Botokuden beobachtet haben. Rey Los Botocudos. 72. Uebrigens nicht nur durch Hautkrankheiten, auch durch Lungenschwindsucht werden nach Aussage Einheimischer die Reihen der Indianer decimirt. Dies stimmt mit dem, was Ehrenreich Globus LXII S. 35) erzählt, und mit den Beobachtungen, welche über nordamerikanische Indianerstämme gemacht wurden. Siehe Buschan: Einfluss der Rasse auf Form und Häufigkeit pathologischer Veränderungen (Globus LXVII S. 62 u. 63)

Unter obwaltenden Gesundheitsverhältnissen bekamen wir in der Educandosanstalt nur einen einzigen Indianer zu Gesicht, einen Cachinána vom Rio Negro. Einen Cachinána, Cachiuána genannten Stamm konnte ich in keinem einschlägigen Werke finden. Vielleicht handelt es sich um die am benachbarten Japurá und Tunantins sitzenden Cauixánas, Cauxinas (s. Martius: Beiträge I 481 u. ff. und Mello Moraes: Revista da Exposição Anthropologica brazileira, p. 72), welche zu den Nu-Aruakstämmen zählen. Wie unglaublich die Stammesnamen geändert und verballhornt werden, beweist uns Martius fast auf jeder Seite seines Werkes. – Vergl. auch Martins I. c. S. 143 Anmerk. 1. Sein Typus war kein vornehmer und seine Züge waren unschön; er hatte eine fliehende Stirn, vorspringende Jochbeine, eine Nase ohne Spur von gekrümmtem Rücken, pechschwarze schlichte Haare und eine ausgesprochen braune Hautfarbe.

Typytí. (Im Besitz der Verfasserin.)

Von diesem Estabelecimento brachte uns unser Kahn in ein östlich von Manáos gelegenes Flüsschen, welches den Namen Igarapé da Cachoeirinha Cachoeirinha (portug.) = kleiner Wasserfall. trägt. Der dort zur Zeit der Vazante zu sehende Wasserfall hatte sich noch nicht entwickeln können, da das Hochwasser die fallverursachenden Felsen noch gänzlich überdeckte. Doch die Fahrt an sich war reizend. Auf dem von beiden Seiten mit üppigster Vegetation eingefassten schmalen Igarapé schwamm unser Boot unter und zwischen den Bäumen hindurch, welche sich malerisch über das Wasser zusammen beugten und ihre schönen Formen in einen Schleier von Lianen hüllten. Nachdem wir uns durch das hochüberschwemmte Pflanzenchaos durchgewunden, landeten wir an einigen im Walde versteckten Indianerhütten, welche aus Lehm und Palmstroh aufgebaut waren. An einer derselben hing ein Typytí, das heisst ein langer, aus Desmoncus- oder Marantaceenstengeln geflochtener, elastischer Schlauch, der zum Auspressen des giftigen Saftes aus den zerriebenen Mandiocawurzeln dient. Von den hiesigen Vollblutindianern, welche uns sehr freundlich aufnahmen und als »branco« und »branca« Branco = Weisser. Branca = Weisse. ansprachen, waren zwei alte Leute mangelhaft gekleidet. Die jüngeren Familienmitglieder hingegen hatten, wie fast alle Tapuios, vollständige Anzüge aus blauem Kattun.

Nach einer kurzen Fusstour in den hinter den Hütten sich fortziehenden prächtigen Wald, kehrten wir zu Kahn nach Hause zurück. Eine Unzahl grösserer und kleinerer Canoas, von Indianern mittelst Tellerruders gelenkt, belebten in der Dämmerstille den anziehenden Wasserweg; und gegen den rotherglühten Abendhimmel zeichneten sich als graziöse Schattenrisse einzelne hohe, anmuthig geneigte Palmen. Es war ein vollendetes, tropisches Stimmungsbild.

Manáos. Sonntag, den 15. Juli.

Der heutige Tag diente zu einem Ausflug nach dem Hyanuarýsee, Heisst auch Januarysee, Jauanarisee etc. welcher in dem zwischen dem Zusammenfluss des Solimoes und Rio Negro eingekeilten Stück Niederung liegt. Wir querten zunächst letztgenanntes Wasser und fuhren dann in den Hyanuary-Igarapé hinein. Das Wasser hatte – es war 7 Uhr Morgens – 26,5° C, die Luft nur 25,5° C. Wir landeten an einer Indianerhütte, die aus kaum mehr als einem Dache bestand und vor der die Decke eines Veado (Coassus rufus Cuv.) Siehe weiter oben S. 102. lag. Der Anziehungspunkt in dieser ursprünglichen Behausung war ein noch nicht ausgewachsener, weiblicher Coatá (Ateles paniscus L.) Da dieser Affe, soviel ich mich entsinne, ein sehr dunkles Gesicht hatte, würde ich ihn für einen Ateles ater Cuv. gehalten haben, wenn diese Species von Ateles in diesen Regionen schon beobachtet worden wäre. ein ganz schwarzer, zahmer Klammeraffe, der sich streicheln liess und gern aufrecht zu gehen schien. Er legte seinen langen Schweif malerisch um sich herum, war gemessen in seinen Bewegungen, hatte an diejenigen des Menschen sehr erinnernde Stellungen und machte uns den Eindruck sanften, eher melancholischen Characters zu sein. Die Coatäs, diese grössten Vierhänder Brasiliens, welche sich auch durch besonders schlanke Gestalt auszeichnen, gehören zu den Lieblingsaffen der Amazonasindianer und werden häufig gezähmt in den Hütten gehalten.

Von der Hütte aus traten wir eine fast zweistündige Wanderung durch den Caa-Eté Siehe weiter oben S. 2. an, den ersten solchen Streifzug im Gebiet des Rio Negro. Die Picadas, welche zu Jagdzwecken den Urwald durchzogen, waren gerade breit genug, um eine Person durchzulassen, Wilde Cacaobäume Ein Blatt in mein Herbar gesammelt. und allerhand Palmen schmückten das Waldesdickicht. An letzteren bemerkten wir Maximiliania regia, Euterpe oleracca, verschiedene Geonomen und kleinere Bactrisarten, unter denen namentlich die 3 m hohe Bactris bifida Mart. In mein Herbar gesammelt. mit ihren zweigespaltenen, stachelbewehrten Blättern häufig auftrat. Riesige Biomeliaceen, die echten Ananas (Ananas sativus Schult.), von denen einige sich im Fruchtstand befanden, waren über den ganzen Waldboden verbreitet. Dazwischen erhoben Adiantum pulverulentum L., in Süd- wie in Nord-Brasilien anzutreffende Haarfarne, ihre anmuthigen Wedel und fiel ein zierlicher Bärlapp, Selaginella Parkeri Hook. Grev durch sein zartes Hellgrün in die Augen, Beide in mein Herbar gesammelt epiphytische und terrestrische Araceen, unter anderen die in Brasilien auf die Amazonasgegenden beschränkte Dieffenbachia Seguine Schott, In mein Herbar gesammelt. erhöhten die Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. Vom Waldesgrunde endlich stiegen zahlreiche Lianen in das Laubdach empor, Bauhinien mit bandförmig flachem, auffallend gewelltem Stamm, dem Doliocarpus Rolandri Gmel. sehr nahe stehende Dileniaceen mit gewundenem Stamm und rother brüchiger Borke, Die von mir mitgebrachte Stammprobe stimmt wohl so ziemlich in den Holzringen, aber nicht in der Borke mit Stammproben von Doliocarpus Rolandri Giel. Coccoloben mit merkwürdiger Rinnenbildung an den Flachseiten des stark gewundenen Stammes Die von mir mitgebrachte Stammprobe hat in der Structur die meiste Aehnlichkeit mit der Stammstructur der Coccoloba striata Benth., doch können auch andere Coccolobaspecies, wie C. peltigera Meissn., C. excelsa, etc. in Betracht kommen. und unzählige andere, gleich diesen, nach Licht und Luft strebende Gewächse. Zwar stand der Boden dieses Urwaldes an Dichtigkeit des Pflanzenwuchses hinter dem des Caa-Eté bei Pará zurück, doch übte auch dieser matt virgem Portugiesische Bezeichnung für Urwald. durch seine Unberührtheit, durch die ungehemmte Entwicklung seiner Pflanzenrepublik einen grossen Zauber auf uns aus. Da lag ein riesiger, faulender Baumstamm über dem Waldpfad, im Tode noch hundertfältig überwuchert, dort drängte sich dorniges Gestrüpp an die Picada heran, und stachelige Palmstämme und Palmblätter klammerten sich zudringlich an unsere Kleider. Wir mussten uns durchwinden und durchkämpfen.

Urwald im Amazonasgebiet. (Nach der Natur von B. Wiegandt). (Das Original im Besitz der Verfasserin.)

Schmetterlinge gaukelten auf dem schattigen Wege vor uns her, ein Colibri schwirrte an uns vorbei, allerhand Vogellaute schallten aus den Zweigen herab, doch war keiner der befiederten Sänger zu erspähen. In der Ferne liess sich eine Waldtaube hören mit einem weniger girrenden, als klagenden Ton, vielleicht die Pomba rolla (Chamaepelia talpacoti Temm.), deren Stimme als eintönig, sanft und etwas tief beschrieben wird. Siehe Wied: Beiträge zur Naturgeschichte Brasiliens IV 468. Die Ch. talpacoti ist, so viel mir bekannt, bisher zwar nicht speciell für den Rio Negro angeführt worden, doch wüsste ich keine andere Taube, von welcher eine nur irgend annähernd klagende Stimme beschrieben worden wäre. Um einen Ast herum bewegte sich in Spirale eine Prozession blättertragender Saúbas (Atta cephalotes (L.) Fabr., Da es mehrere Arten Atta im Amazonasgebiet giebt und ich zum Bestimmen kein Individuum von dieser Prozession mitbrachte, ist es nicht ausgeschlossen, dass es vielleicht eine andere Art als Atta cephalotes Faber gewesen sein kann, doch scheint letztgenannte Species am Amazonas die verbreitetste und bekannteste zu sein.) ziemlich grosser rothbrauner Ameisen, welche auf die Bäume steigen, sich aus dem Laub pfenniggrosse Stücke herausschneiden und diese in ihre unterirdischen Wohnungen schleppen. Da beim Tragen der Blattstückchen die Thiere unter ihrer grünen Last verschwanden, schien der ganze Zug einer sich rührenden Pflanze täuschend ähnlich.

Nicht nur Insekten und Vögel, auch zahlreiche Säugethiere soll dieser Urwald bergen, Veados, d. h. Rothspiesshirsche (Coassus rufus Cuv.,) Tatus (Dasypodidae) und verschiedene Arten von Nagern, wie Capivaras (Hydrochoerus Capybara Erxl.), Pacas (Coelogenys Paca L.) und Cutiás (Dasyprocta), sämmtlich Thiere, welche in die Küche des Amazonasuferbewohners wandern. Dieselben werden nicht nur durch das Gewehr des Jägers erlegt, sondern auch durch Fallen mit Selbstschuss, deren wir eine auf dem Waldterrain begegneten.

Der Igapó, der überschwemmte Wald, setzte unseren Fusswanderungen ein Ziel, und so fuhren wir von der Indianerhütte aus zu Kahn weiter hinein in die Verzweigungen des Hyanuarýsees, welcher mehr als 200 Fischarten bergen soll. Hier trieb das Wassergeflügel sein Wesen. Ein weisser Reiher, sicher Nycticorax pileatus Lath., stand sinnend am Wasserrande. Eine prachtvolle, grosse Ente, die mir braun und blauschwarz zu sein und nur einen weisslichen oder weissen Ring um den Hals zu haben schien, Es dürfte dies vielleicht die bei Manáos vorkommende Dendrocyena discolor Sch. et Salv. gewesen sein. schwamm in einer ferneren Bucht. Hübsche graue und weisse Möwen (Phaëtusa magnirostris Licht.) stiessen auf Beute herab und mussten zwei aus ihrer Schaar als Opfer unserer Jagdflinte lassen. Eine Unzahl der namentlich im Fluge reizenden, rothbraun und gelben Piossocas (Parra jaçana L.), deren Gekreisch jedoch ganz entsetzlich ist, stiegen aufgescheucht in die Höhe und suchten das Weite. Ein wohlgezielter Schuss holte einen dieser Spornflügler herab, doch er fiel auf einen wegsperrenden Caa-pimteppich, dessen Gräser so dicht ineinander verwoben waren, dass sogar der Terçado unserer Leute dem Kahn keine Strasse hindurch bahnen konnte. Es soll ein solcher Caa-pim- oder Cana-ranateppich manchmal so verfilzt sein, dass er grosse Thiere zu tragen im Stande ist. Siehe José Verissimo: Revista Amazonica I 92, 93. Und so mussten wir auf das wenige Schritte von uns verendete, hübsche Thier verzichten. Glücklicher waren wir im Erbeuten eines Königswürgers (Tyrannus melancholicus Vieill.), welcher mit seinesgleichen und den Japims, den überall zu sehenden Trupialen, das Ufergebüsch belebte. Wir ruderten viel an überschwemmtem Wald vorbei; hohe Palmen und andere baumartige Gewächse ragten vereinzelt oder in Gruppen aus dem Wasser heraus. Auf einem wasserumgebenen Riesenbaum sass hoch oben eine entzückende Aechmea setigera Mart., eine nicht südlicher als am Amazonas gefundene, grosse Bromeliacee mit rothen Stengelblättern und langem, grünem, dornenbewehrtem Blüthenschaft. Mit dem Terçado, welches an ein Ruder gebunden worden war, holten wir die Pflanze von ihrem luftigen Standorte herab, wobei sich das auf den Blättern angesammelte Regenwasser auf uns entlud. In der Bromeliacee war eine wundervolle, dunkelrothbraune, sammtig behaarte, weibliche Vogel-Würgspinne (Avicularia vestiaria De Geer.) verborgen. Sie hatte rostroth umrandeten Mund, strohgelbe und bernsteinfarbige Augen, blutrothe Längslinien auf den Beinen und Tastern und hellrubin und smaragdgrün schimmernde Sohlen. Ihre Körperlänge betrug, die Fresszangen nicht mitgerechnet, ungefähr 4 Centimeter.

Nahe dem Ufer bereiteten wir im Kahne, unter dem Sonnensegel, unsere einfache Mahlzeit. Um 2 Uhr maass die Luft im Schatten 34,5° C., es war dies die höchste der bisher am Amazonas von uns beobachteten Temperaturen, Es blieb auch die höchste Temperatur, welche wir in Brasilien maassen. und wir empfanden sie als unerträglich heiss. Das Wasser des Sees hatte um 3 Uhr 28° C. Wir wollten, da uns das Getränk ausgegangen war, als Ersatz das uns umgebende Seewasser mit Cachaça vermischt zum Durstlöschen benutzen, doch hatte es einen so überaus sumpfigen Geschmack, dass wir in Anbetracht der möglichen Malariagefahr davon Abstand zu nehmen für gut fanden. Siehe das weiter oben S. 109 und Anmerk. 1, daselbst Gesagte.

Unsere heutige zoologische Ausbeute war noch nicht beendet. Während, des Kochens halber, unser Boot stille lag, setzten sich verschiedene Wasserjungfern auf dasselbe. Es gelang uns einige dieser Insekten in unser Netz zu bekommen, zwei Erythemis bicolor Hag., prachtvolle Libellulinen mit bläulich bereiftem Thorax und glänzendrothem Hinterleib und ferner ein Leptagrion flammeum ♀ Bates, eine bisher nur am Amazonas beobachtete sehr seltene Schlankjungfer.

Reichbeladen mit Thieren und Pflanzen aller Art kehrten wir unter Führung unseres getreuen João bis 5 Uhr nach Manáos zurück.

Manáos., Montag, den 16. Juli.

Diesen Morgen streiften wir durch die Stadt, am Hafen und auf dem Markte umher, Indianertypen zu beobachten. Es gelang uns, einiger Tapuios, einiger peruanischen Indianerinnen und einiger Mura ansichtig zu werden. Die Tapuios waren hässlich und den von uns am Solimões gesehenen Mura ähnlich. Sie zeichneten sich durch kleine Augen mit enger Lidspalte, einen kurzen schwarzen Bart und vortretende Jochbeine aus; einige hatten gelbbraune, andere, gleich dem Muramädchen in Providencia, ganz dunkelbraune Hautfarbe. Die Eine der peruanischen Indianerinnen stammte aus Moyobamba; ihr Typus war fast der einer Japanerin, ihre Hautfarbe gelblich, ihr Haar straff und pechschwarz, ihre Züge waren ausgesprochen mongolenähnlich. Die andere Peruanerin hatte sowohl weniger gelbliche Hautfarbe, wie weniger mongoloide Merkmale. Die Mura waren furchtbar hässlich und trugen ganz den Typus der beiden Mura in Corarezinho; sie hatten gemeine Züge, einen höchst unschönen Mund, einen kurzen Schnurrbart und im Ganzen einen abstossenden, wilden Ausdruck. Einer von ihnen fiel durch seine stark aufgestülpte Nasenspitze besonders in die Augen. Ein über und über mit blauen Strichen tätowirter Mundurucú, welcher als Matrose auf einem Dampfer der »Companhia do Amazonas« einige Zeit hier gewesen war, hatte leider den Rückweg schon angetreten und entging somit unseren Beobachtungen.

Auf dem Markte und sonst in der Stadt gab es ausser Indianer auch eine Menge interessanter Dinge in Augenschein zu nehmen. Wir erwarben an letzteren die Haut einer Boa constrictor und diejenige einer Sucurijú (Eunectes murinus L.), die Decke eines Rothspiesshirsches (Coassus rufus Cuv.), einige Jaguarfelle, das Fell eines Ozelot (Felis pardalis L.), einen indianischen Halsschmuck aus Früchten des Thränengrases (Coïx Lacrima L.) Martius (Beiträge zur Ethnographie etc. I. 702) erwähnt solchen Schmuck als bei den Aruaqui gebräuchlich., welches in den feuchten Amazonaswäldern wächst, und endlich ein rohornamentirtes Gefäss aus der verholzten Fruchtschale einer Lagenaria vulgaris Ser., von Indianern am Rio Branco verfertigt. Siehe rückwärts Tafel III. No. 6. Auch erhielten wir ein Muster des Muirapinima geschenkt, eines der hübschesten Nutzhölzer des Amazonas, welches dem Brosimum discolor Schott, einer baumförmigen Urticinee, entstammt. Leider fehlte uns wegen des Marktbesuches die Zeit, einen in der Stadt in Privatbesitz befindlichen, zahmen jungen Tapir anzusehen.

Nachmittags hatte es 30° C. in unseren Zimmern, und fühlten wir uns, wie an jedem in Manáos verbrachten Tage, so vollständig abgespannt, dass es uns einen Entschluss kostete, auch nur einen zu Boden gefallenen Gegenstand wieder aufzuheben. Und doch durfte keine Viertelstunde gefeiert werden, wollten wir unsere naturwissenschaftlichen Schätze ordnen und verpacken. Am schlimmsten aber empfanden wir bisher die Nächte. Da unsere hiesigen Wohnräume klein sind und Zimmerdecken haben, also kein Luftzug durch das ganze Haus streifen kann, man zudem wegen der Malaria Nachts kein Fenster öffnen soll, ist jede Nacht wie ein ununterbrochenes Dampfbad. So wacht man denn des Morgens nicht erfrischt auf, sondern durchaus erschöpft, als wenn man gerade eine schwere Krankheit überstanden hätte. Die erträglichsten Tagstunden sind die im Freien verbrachten, sei es im Waldinnern, sei es unter dem Sonnensegel eines Kahnes oder einer Lancha. Die zu Wanderungen in der Stadt verwendeten hingegen sind geradezu eine Qual. Obwohl man im Schatten der Häuserreihen dahinschleicht, ist der Körper durch die feuchte Hitze doch so erschlafft, dass man kaum die Füsse heben kann und vermeint, Blei in den Gliedern zu haben. Jeden Morgen stehen wir bei Kerzenlicht auf, die ersten Frühstunden zu unseren Gängen zu benutzen und womöglich nach acht Uhr schon wieder zu Hause zu sein. Abends dann, da es um 6 Uhr finster wird und man die Nachtluft möglichst vermeiden soll, ist für uns kein Grund vorhanden, nicht zeitig unser Lager, Bett oder Hängematte, aufzusuchen.

Am Spätnachmittag, wenn die Haupthitze des Tages gebrochen ist, kann man sich wieder in das Freie wagen, und so benutzten wir auch heute diese Zeit zu einem Ausfluge. Unser João brachte uns in seinem Boote nach dem Igarapé da Cachoeira grande, Cachoeira grande (portug.) = grosser Wasserfall. welcher sich westlich von Manáos in den Rio Negro ergiesst. Anfangs war das Flüsschen ganz breit, dann wurde es enger und enger. An den Ufern standen wenig Palmen, aber viel hübsche, pinienförmig gebreitete, lianenbehangene Laubbäume. Der Igarapé zog sich in zahlreichen Windungen tief in den Wald hinein und bot einen malerischen Punkt nach dem andern, an welch jedem man mit Entzücken gerne länger verweilt hätte. Und doch sind der Igapó und die Igarapés am Rio Negro lange nicht so schön und künstlerisch formvollendet, wie diejenigen bei Pará, da hier der Wald weniger palmenreich und zugleich weit mehr den Ueberschwemmungen unterworfen ist als dort. Bei Pará differirt der höchste und niederste Wasserstand verhältnissmässig nur um Weniges. Hier stehen jetzt noch manche Baume bis zur Krone im Wasser; und wenn die Vazante fortschreitet, ragt der lange Zeit überschwemmt gewesene Wald viele Fuss weit hinauf schmutz- und schlammbehängt empor, durch die hässliche Farbe seiner unteren Theile den hohen Stand der Enchente markirend.

Am Igarapé da Cachoeira grande sind ausschliesslich Europäer oder wenigstens Weisse angesiedelt, den Urwald hat meistens die struppige Capoeira ersetzt, die Gegend ist augenscheinlich viel von der Civilisation beleckt und es fehlt überhaupt das Anziehende des Urwüchsigen. An der Cachoeira selbst, wo der Wald stark gelichtet, befindet sich ein Wasserwerk für eine Wasserleitung nach Manáos.

Wir verliessen hier das Boot und wanderten zu Fuss weiter durch wilde Vegetation bis zum Tanque, Tanque (portugiesisch) = grosser Wasserbehälter. welcher klares Wasser hatte. Ueber unseren Weg zogen blättertragende Saúbas (Atta), jene gefürchteten Zugameisen, die ganze Bäume entlauben und die Landwirtschaft oft empfindlich schädigen. Siehe weiter oben, S. 128. Die Heimfahrt traten wir erst nach Sonnenuntergang an. Nachtschwalben kreischten um unsere Köpfe, später flatterten Fledermäuse zackigen Fluges vor uns her. Gegen den dunkelroth aufflammenden Abendhimmel zeichneten sich reizend die Umrisse eines Segelschiffes. Ein grosser, mit Tapuios bemannter Batelão durchfurchte die Fluthen des Rio Negro, mittelst kräftiger Ruderschläge vorwärts getrieben. Und auf dem Igarapé und dem Schwarzen Strome wiegten sich unzählige Canoas, welche von ihren dunkelhäutigen Insassen heimwärts gelenkt wurden.

Manáos – Paricatúba., Dienstag, den 17. Juli.

Gelegentlich unseres heutigen Morgenspazierganges durch Manáos begegneten wir einem jungen Indianer, welcher einen Affen trug. Das Thier hatte braunen Pelz und helleres, von dunklem Bart umrahmtes Gesicht (Cebus cucullatus Spix??).

Wir waren auf der Wanderung zu einem deutschen Kaufmann begriffen, seine kleine Sammlung indianischer Gegenstände zu besichtigen. Es gab daselbst Acangatára, d. h. bei festlichen Gelegenheiten gebrauchte Kopfbinden aus aufrecht stehenden, bunten Federn; ein schmales, federnbesetztes Stirnband aus Zeug, vermuthlich eine der von Martius als Häuptlingsinsignie beschriebenen Acanguapé; Gürtel aus senkrecht nach abwärts gerichteten rothen Arárafedern; ein Armband aus Affenzähnen; ein Halsband aus Zähnen des Pekari (Dicotyles torquatus Cuv.); ein Blaserohr; einen kleinen, geflochtenen Köcher mit Uamiri, d. h. Blaserohrpfeilchen und noch manch anderen interessanten Gegenstand.

Als wir heimgekehrt waren, brachte man mir ein Nest des Chartergus Chartarius Sauss., einer unserer Gemeinen und unserer Deutschen Wespe (Vespa vulgaris L. und V. germanica Fabr.) nicht unähnlichen, nur um ein Geringes kleineren Wespe, mit schwarzem, der Quere nach gelbgestreiften Hinterleib. Es ist ein sehr solid und glatt gearbeitetes, an einem Baumzweig aufgehängtes Cartonnest von 27 cm Länge und weisslicher Grundfarbe mit braunen Sprenkeln. Seine Form sind zwei mit ihrer Basis aneinandergesetzte Kegel von sehr verschiedener Höhe; der obere ist spitzwinkelig, der untere, welcher an seinem Scheitel das Flugloch trägt, stumpfwinkelig.

Um halb 1 Uhr traten wir unseren letzten Ausflug von Manáos aus an. Diesmal stand uns eine, »São Pedro« genannte, ausgezeichnete Steamlaunch mit Achterkajüte zur Verfügung. Deutsche Liebenswürdigkeit hatte sie uns verschafft. Um 2 Uhr zeigte das Thermometer 30,5° C. Lufttemperatur. Eine halbe Stunde später warfen wir Anker vor dem wohlbekannten Paricatúba Die Angabe der Lage von Paricatúba auf der in Reclus (Nouvelle Géographie Universelle XIX. Pl. I) befindlichen Karte vom Rio Negro kann ebensowenig ganz richtig sein, wie die Angabe in Silva Araujo (Diccionario do Alto Amazonas, p. 308), dass die Tarumá-assúmündung nur 1 legoa = 6,6 km oberhalb Manáos liegt. Nach der von uns gebrauchten Zeit zur Zurücklegung dieser Strecke, die wir viermal durchfuhren, stellt sich die Entfernung von Manáos bis zum Tarumá-assú, sowie bis nach Paricatúba als eine etwas grössere heraus., diesmal, um das vor acht Tagen dort gesehene, seltene Blaserohr zu erhandeln. Da der dasselbe besitzende Indianer gerade abwesend war, blieb uns nichts zu thun übrig, als geduldig zu warten. Ein entzückender, urwaldumgebener See und Igarapé hinter den zerstreuten Indianerhütten lud uns ein, das Lenken ächt indianischer Canoas zu versuchen, welche unbenutzt am Ufer lagen. Diese schwankenden, schmalen Fahrzeuge bestanden blos aus einem ausgehöhlten Baumstamm, auf dessen Seitenwänden, zum Erhöhen des niederen Bordes, je eine Planke von geringer Breite aufgesetzt war. Indem wir, wie die Eingeborenen, am Buge sassen, gelang es uns ganz gut, mittelst der Pagaias im unsicheren, indianischen Boote über die unbekannte Tiefe zu steuern. Allerhand Wasserpflanzen stiegen aus dem braunen, geheimnissvollen Grunde bis nahe an die Oberfläche herauf. Es war still und träumerisch auf dem einsamen kleinen Waldsee im fernen Indianerlande.

Feuerfächer. (Im Besitz der Verfasserin.)

Am Ufer befand sich eine Igarité befestigt, eines jener malerischen Fahrzeuge mit Tonnengewölbe aus Palmstrohgeflecht. Die nahe dem Wasser gelegenen, zum Theil wandlosen Strohhütten hatten den Boden mit Matten bedeckt. Eine derselben war die Yapona-oca, der so wichtige Schuppen zur Verarbeitung der Mandiocawurzeln. Man sah daselbst Ipycei, primitive Reiber zur Wurzelverkleinerung, Typytí Siehe weiter oben S. 123., verschiedene Körbe und Siebe aus Stroh, geflochtene Strohfächer zum Feueranfachen und vor Allem Yapona, d. h. niedere Oefen aus Lehm und Stein mit riesigen Thonpfannen zum Trocknen des Mandiocamehles. In einer der Wohnhütten war eine Indianerin mit Flechten von gelb und roth gemusterten Körben beschäftigt.

Während wir nach unserer Lancha zurückkehrten das Abendessen zu bereiten, flog über unsere Köpfe hinweg eine Schaar Amazonenpapageien, deren ausgespannte Flügel im Sonnenlichte prachtvoll roth durchschimmerten.

Die Paraquitos ziehen heim zur Rast
Das Abendgold mit ihrem Glanz durchstreifend. Kaiser Maximilian von Mexico: Aus meinem Leben. VII. 276.

Bei Mondschein klommen wir neuerdings hinauf zur Hütte des endlich heimgekehrten Indianers, die gewünschte, von den Uaupé stammende Sarabatána Siehe weiter oben S. 102 und rückwärts, Tafel I. Nr. 7. zu erbitten. Nicht nur dass uns der freundliche Tapuio das Blaserohr überliess, er schenkte uns dasselbe sogar, ebenso wie einen Balaio Siehe rückwärts Tafel III. Nr. 4., welchen er als von den stromaufwärts sitzenden Marquiritariindianern Die zu den Karaibenstämmen zählenden Maquiritari wohnen in Südvenezuela, zwar nicht direkt am Rio Negro, dehnen jedoch ihre Streifzüge bis zu diesem Strom auf brasilianisches Gebiet hinein aus. S. Martius: Beiträge etc. I. 565. herrührend Die Angabe, dass die Maquiritari solche Körbe verfertigen, stimmt, das Korbmaterial ausgenommen, mit dem in Hooker's Journal of Botany VII. 278 Gesagten. Uebrigens verfertigen auch die Parecí, die Baníba, die Içána und die verschiedenen, fälschlich und richtig unter dem Namen Uaupé gehenden Gemeinschaften ähnliche Körbe und letztgenannte Indianer treiben mit denselben einen schwunghaften Handel flussabwärts. S. Wallace: Travels on the Amazone etc. 491, 492, 507 und s. die Körbe südamerikanischer Indianer im Ethnographischen Museum zu Wien., bezeichnete. Dieser Balaio ist ein aus Rindenstreifen von Palmblattstielen gefertigter, wenig vertiefter runder Korb, der ein Mäandermotiv als Muster aufweist.

Wir sassen mit der kinderreichen Indianerfamilie vor deren malerischen Hütte. Der Mond schien hell, weit heller als in unserer Heimath, und die Erde ringsum leuchtete in seinem Lichte schneeweiss auf. Uns zu Füssen lag mondverklärt der stille urwaldumgebene See, uns zu Häuptern rauschten die Tucumápalmen ihre geheimnissvollen Weisen. Es war unsagbar poetisch, zauberhaft schön. Nur ein Misston klang in die stimmungsvolle, märchengleiche Tropennacht – ein achtjähriger, blödsinniger Indianerknabe Martius erzählt in seinen Beiträgen etc. (I. 633), dass die Blödsinnigen bei den Indianern ähnlich wie bei den Orientalen eine besondere Rücksicht und Verehrung geniessen. schlich lallend umher und gemahnte uns, dass auch in diesen gesegneten Gefilden die Nachtseiten des menschlichen Daseins nicht fehlten. –

Zu unserer Steamlaunch zurückkehrend, verirrten wir uns im Igapó und kamen dermaassen in das Flusswalddickicht, dass wir genöthigt waren, uns platt in den Kahn zu legen, um unter dem Gebüsche durch zu gelangen. Nach Erkletterung des verankerten »São Pedro« schwangen wir uns in die an Bord kreuz und quer aufgeknüpften Hängematten. Doch die gehoffte Ruhe war gleich Null. In Folge der Strombrandung schaukelte die Lancha als wenn wir uns auf dem Meere befunden hätten, und die Redes Rede (portugiesisch) = Hängematte. schlugen aneinander, uns jeden Augenblick aus dem Schlummer schreckend. Die Nacht über liess sich in unmittelbarer Nähe unseres Schiffes ein eigenthümliches Brummen und Plätschern hören, Laute, welche wir Alligatoren zuschrieben. In grösserer Entfernung aber klang tausendstimmige Anurensymphonie, aus der uns das bekannte Hämmern der Hyla crepitans Wied und der metallische Ruf des Fereiro (Hyla faber Wied) heraus zu tönen schien.

Unser Landungsplatz am Tarumá-assú. (Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.)

Tarumá-assú – Manáos. Mittwoch, den 18. Juli.

Früh viereinhalb Uhr lichtete unserer »São Pedro« den Anker und querte bei wunderbar klarer Mondnacht und prachtvollem Sternenfunkeln die ganze Breite des Rio Negro.

Ruhig schifft der Mond im blauen Himmel;
Ob des Urwalds dichtem Wipfelmeer
Schwebt der Stern' und Käfer Lichtgewimmel.

Abwärts strömt der Fluss, ein Silberband,
Küsst die duft'gen Blumen, trankt die Bäume,
Und die üpp'ge Pflanzenwelt am Strand
Wiegt er sanft in nächt'ge Träume. Kaiser Maximilian etc. VII. 274.

Eine Stunde später, als schon der Morgen graute, dampften wir in den Tarumá-assú hinein, der von Norden her seine bescheidenen Wasser dem Hauptflusse zuführt. Anfangs, eine kurze Strecke hindurch, bestanden die Ufer dieses kleineren Flusslaufes aus Igapó, weiter aufwärts aus Terra firme. Sie waren grösstenteils urwaldbedeckt und arm an Palmen. Wir lenkten nach rechts in ein noch engeres Fahrwasser ein, welches ein Nebenarm oder Zufluss war, und woselbst einige palmblattgedeckte Lehmhütten standen. Hier landeten wir und unternahmen eine stundenlange Streiferei durch den Urwald, der uns als der formvollendetste der im Amazonasgebiet von uns gesehenen Urwälder anmuthete. Wundervolle Palmengruppen, so schön wie kein Künstler sie schöner hätte zusammenstellen können, erhoben sich im Waldesinnern. Es gab da allerhand grössere Fiederpalmen und einzelne Mauritien. Unterhalb dieser, einen Theil des Unterholzes bildend, sah man viel Palmen niedrigeren Wuchses, Geonomen, Bactris und vermuthlich noch andere, zu denen, was Höhe betraf, die Iriartea setigera Mart. In mein Herbar gesammelt. den Uebergang bildete. Paó-mulato (Calycophylium Spruceanum Hook, fil.) mit ihren braunrothen, glänzenden Stämmen fehlten nicht. Ein Baumriese trug hoch oben eine nach Aussage der Eingeborenen weissblühende Orchideenart, welche Epidendrum cochleatum L. gewesen sein könnte. Da die Orchidee gerade nicht in Blüthe stand, konnte ich in mein Herbarium nur Blätter sammeln. Nach diesen allein ist eine sichere Bestimmung nicht möglich, doch lässt ihre Form und Stellung, vereint mit der weissen Blüthenfarbe, E. cochleatum L. vermuthen. Auf einem anderen dieser Riesenbaume sass eine Aechmea setigera Siehe weiter oben S. 129. mit hohem Blüthenschaft. Endlos lange Ficeenwurzeln hingen wie Schnüre aus dem dichten Laubdach auf uns herab. Die klimmenden Aeste eines Balsamgewächses, des Connarus punctatus Planch. In mein Herbar gesammelt., strebten in die Höhe. Philodendren mit kleinen, eiförmig zugespitzten Blättern und das Philodendron eximium Schott In mein Herbar gesammelt. rangen sich empor nach Luft und Licht. Ein kletterndes Machaerium Der mitgebrachten Stammprobe nach steht dieses Machaerium, wenn man von der einzeiligen Flügelung absieht, nicht nur dem Machaerium aculeatum Raddi sehr nahe, sondern könnte sogar identisch mit ihm sein. Noch in Betracht käme allenfalls M. longifolium Benth., welches vom Standort weit besser stimmen würde, als M. aculeatum R. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass das von mir mitgebrachte Stammstück einer neuen Species zugehört. mit einseitig geflügeltem, bandförmigem Stamm von 15 cm Breite und 4-6 cm Dicke, die mächtigste Liane, welche wir bisher gesehen, wand sich vor unserem staunenden Auge durch das Pflanzengewirr senkrecht nach oben. Auch eine grosse Jabutí-mutá-mutá, eine jener Bauhinien mit eigenthümlich flachem, welligem Stamme, verlor sich, treppengleich ansteigend, in der übrigen Lianenwelt. Breite Heliconienblätter schmückten das Dickicht. An Stelle terrestrischer Bromeliaceen bedeckten hier den Urwaldboden Aroideen mit länglichen und lanzettförmigen Blättern, sicher irgendwelche Anthurien. Dazwischen streckten Pteris deflexa L. In mein Herbar gesammelt., auf Amerika beschränkte tropische Saumfarne, ihre steifen Wedel heraus, und nickten die blauen Blüthen der Abolboda grandis var. minor Gris. In mein Herbar gesammelt., einer wenig verbreiteten Xyridee. Von Tatú (Dasypus) und Paca gegrabene Löcher durchzogen das unebene Terrain. Verschiedene Vogelstimmen schmetterten Morgenlieder durch die grünen Hallen. Eine Waldtaube girrte in der Ferne. Welche der vier, speziell bei Manáos beobachteten Taubenarten es gewesen, lässt sich nicht sicher entscheiden. Die Columba speciosa Gm. und die Geotrygon montana L. hört man im Ganzen wenig; über die Stimme der Chamaepelia passerina L. konnte ich überhaupt keinen Aufschluss finden; den Ruf der Columba rufina Temm. beschreibt Wied in seinen Beiträgen zur Naturgeschichte Brasiliens (IV, 458) als sanft und angenehm modulirt. Ein anderer Vogel, in dem wir einen Sabiá Sabiá werden sowohl Turdus wie Mimus genannt. An Turdus käme hier, der geographischen Verbreitung nach, der Turdus phaeopygus Cab. vor Allem in Frage, an Mimus vermuthlich keiner. Ich wäre jetzt, nach reiflicher Ueberlegung, jedoch eher geneigt zu glauben, dass das was wir damals einen Sabiá zu sein vermutheten gar keiner gewesen, sondern der bei Manáos vorkommende Cyphorinus musicus Bodd., der beste Sänger der brasilianischen Tropen. Wundervoll nachtigallartig soll auch der Icterus chrysocephalus L. singen, der sich einsam in den Wäldern des Rio Negro aufhält. (Siehe Pelzeln: Zur Ornithologie Brasiliens 47. 93 ff. 194. – Catalogue of the Birds in the British Museum V, VI, IX. – Wied, Beiträge etc. III, 653 ff. Burmeister: Systematische Uebersicht der Thiere Brasiliens III, 127, 133, 270. – Bates: The Naturalist etc. 377. – Sclater: Exotic Ornithology 149. – Schomburgk; Reisen in Britisch Guiana III, 673 und Andere. vermutheten, flötete in wundervoll gezogenen Tönen ganz wie unsere Nachtigall. Wir standen wie festgebannt stille, dem ergreifenden Gesang zu lauschen. Auf einem Baume sass hoch oben im Laub versteckt eine Urochroma purpurata Gm., ein reizender kleiner, grüner Kurzschwanzpapagei mit blauem Unterrücken und theilweise purpurrothen Steuerfedern. Ein tödtlicher Schuss streckte ihn nieder und der Balg wanderte in unsere Sammlung.

Auf einer Picada drangen wir vorwärts. Die Waldwände zu beiden Seiten unseres Pfades waren so dicht, dass wir nur mit Hülfe des Terçado hätten eindringen und den noch unentweihten Boden hätten betreten können. Einzelne umgestürzte Bäume, über welche wir klettern mussten, und ein paar sumpfige Stellen hemmten unsere Schritte. Es öffneten sich einzelne Blicke in das Dickicht hinein auf tiefer gelegene Gründe, welche zwischen den übrigen Pflanzen malerisch vertheilte Palmen zierten. Ueber einen winzigen Igarapé führte ein geländerloser Strohsteg, im Hintergrund erhob sich eine mauritienuntermischte Pflanzengruppe – es war ein künstlerisch vollendetes Bild. Noch mussten wir durch eine Capoeira, in welcher Miconien (Miconia Guianensis var. ß ovalis Cogn.), In mein Herbar gesammelt. baumförmige, grossblätterige Melastomaceen, wuchsen. Dann endlich war das Ziel unserer heutigen Wanderung erreicht, die Cachoeira Cachoeira = Wasserfall. de Tarumá, an welche sich eine indianische Loreleysage knüpft. Schleiergleich wallte der Wasserfall von bedeutender Höhe über eine Sandsteinkante senkrecht in die Tiefe. Unten, da wo die zerstäubenden Wasser aufschlugen, war ein Chaos grosser, dichtüberwachsener Felsblöcke entstanden, ringsum von der reichsten Vegetation, von schweigendem, dunkel ernstem Urwald umschlossen. Gerade gegenüber den stürzenden Fluthen ragte majestätisch ein prachtvoller Riesenbaum empor. Den Fuss des mächtigen, weit hinauf astfreien Stammes schmückte ein Kranz langblättriger Anthurien, die Mitte ein Gürtel von Philodendren mit herzförmigen Blättern; erst hoch oben entwickelte sich die imposante Laubkrone. Links von diesem strebte ein anderer Baumriese in die Höhe mit schirmartig gebreitetem Laube; ihm fehlte zwar der reiche Araceenschmuck, doch war er über und über mit senkrechten Lianengewinden und Luftwurzeln, wie mit dem Tauwerk eines Schiffes, behangen. Wir lagen oben am Rande des Abgrundes neben dem Wasser, welches ruhig seinem jähen Falle zufloss, blickten hinunter auf dieses Stein- und Pflanzenchaos und konnten uns nicht satt sehen an dieser wunderbaren, einzig schönen Tropennatur.

Fahrt durch überschwemmten Urwald. (Nach Biard.)

Nach glücklicher Rückkehr auf die Lancha, dampften wir wieder in den Rio Tarumá-assú hinein und noch eine Strecke flußaufwärts. Die enganeinandergerückten Ufer waren hier grösstentheils hoch überschwemmt, unser »São Pedro« fuhr zwischen den Wipfeln der tief im Wasser stehenden Bäume hindurch. Wir bestiegen das Boot, eine Fahrt durch den Igapó zu unternehmen. Es war ganz entzückend zu Kahn in den Wald einzudringen, durch ein wahres Pflanzengewirr sich vorwärts zu arbeiten und mit dem Terçado sich durchhauen zu müssen. Aeste legten sich uns in den Weg, Schlingpflanzen hinderten die freie Bewegung der Ruder. Zahllose Palmen waren über dem Igapó zerstreut, manche ganz unter dem Flussspiegel begraben. Insektennester hingen an den Bäumen, drohend ihre angriffslustigen Insassen auf uns herab zu schütten. Reizend war das Schauen durch den Wald mit seinem dunklen Wassergrunde, das Hindurchblicken zwischen den unzähligen Stämmen, welche säulenartig das dichte Blätterdach trugen und das Hinaufsehen nach den grünen Laubmassen, durch die sich die Sonnenstrahlen mühsam hindurchstahlen, um tausendfach gebrochen auf den braunen Fluthen weiter zu flimmern.

Wir sammelten hier einen Zweig des Blastemanthus gemmiflorus Mart. et Zucc., eines auf das Guyanagebiet beschränkten Baumes mit lederartigem, glänzendem Laube, auch das sattgrüne Blatt der Myrsine Rapeana Roem. et Schult., forma communis, Beide in mein Herbar gesammelt. eines von Guyana bis Rio de Janeiro verbreiteten Strauches, und endlich ein Blattexemplar der Varietät a. vulgaris Cogn. der Miconia Guianensis, von welcher wir die andere Varietät in der Capoeira angetroffen hatten. Mit Anstrengung drangen wir bis zur Terra firme vor. Hier erhob sich hoher Mato virgem, dessen Boden Bromeliaceen weithin überdeckten. Einzelne Vögel stimmten einen matten Gesang an. Mittagsschwüle brütete über dem Urwald und die feuchten Gründe dampften.

Der Tropen heisser Mittag ist gekommen,
Die Zeit der Gluth liegt auf dem weiten Land,
Und tiefen Schatten sucht der Mensch beklommen.

Die gold'ne Sonne triumphirend zieht
Hoch über ries'ge Laub- und Palmenkronen,
In ihrem azurblauen Lichtzenith
Als Herrscherin der Tropenwelt zu thronen.

Die Blumen senden ihren Liebesduft
In die von Sonnengold durchwirkten Räume, Aus »Mittag im Urwald« (Kaiser Maximilian von Mexico; Aus meinem Leben, Band VII. S. 318).

Wieder erkletterten wir unsere Lancha, welche jeglicher Fallreepstreppe oder auch nur Jakobsleiter entbehrte, und dampften flussabwärts nach dem Sitio der Velha Ignacia. Daselbst war eine primitive Zuckerfabrikation ohne Dampfbetrieb zu sehen. Mirití- Mauritia flexuosa L., Assaï- Euterpe oleracea Mart. und Popunhapalmen Guilielma speciosa Mart. beschatteten die verschiedenen Hütten. Auf einem Baume wuchs eine Acacallis cyanea Lindl. In mein Herbar gesammelt., eine schöne, bläulichblühende, seltene Orchidee, welche von ihrem hohen Standorte herabgeholt und mitgenommen wurde.

Assaïpalmen am Tarumá-assú. (Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.)

Eine erneute kurze Fahrt brachte uns nach der Hütte eines weisshaarigen Indianers, dessen Alter über 100 Jahre geschätzt wurde; ich sage geschätzt, da die Leute selbst meistens nicht wissen, wie viele der Sonnenwenden über sie hinweggegangen sind. Jedenfalls sollen die Indianer sehr alt werden und ihre Haare selten, und wenn, dann sehr spät, den Farbstoff verlieren Souza: Valle do Amazonas 85. – Mello Morães: Revista da Exposição Anthropologica 54. – Martius (Beiträge etc. I. p. 684 u. ff.) will die Langlebigkeit auf die halbcivilisirten und civilisirten Indianer beschränkt wissen.. Namentlich die Tarumá, welche einstens an dem Flüsschen gleichen Namens sassen Silva Araujo: Diccionario do Alto Amazonas 233., nun aber daselbst verschwunden sind, haben sehr viel bejahrte Leute in ihren Reihen gezählt.

In der Hütte unseres Tapuiogreises am Tarumá-assú hauste ein gelbbrauner Affe mit schwärzlichem, haarlosem Gesicht, wie mir schien,

eine Callithrix caligata Natterer. Es war ein ungemein lebhaftes Thier, das ununterbrochen herumkletterte, wie eine Katze spielte, so viel als möglich stahl und sich niemals in aufrechter Haltung, sondern immer nur auf seinen vier Händen fortbewegte. Die Indianer hier kamen uns, gleich allen anderen, die wir gesehen, sehr zurückhaltend, ernst, fast mürrisch vor. Es ist wie ein Druck, der auf dem Gemüthe dieses Volkes lastet, wo man letzteres auch sehen mag, sei es im hohen Norden auf canadischen Gefilden oder tief unten im Süden in Brasiliens Urwäldern. Immer haben die Leute etwas Stolzes, Unnahbares in ihrem Wesen, etwas Unbewegliches in ihren Gesichtszügen, und doch muthen sie gerade durch ihre Ruhe und vornehme Abgeschlossenheit sehr sympathisch an.

Unser João in einer Montaria. (Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.)

Wie in anderen Indianerhütten, so mussten wir auch hier alle unsere Ueberredungskünste aufbieten, um, natürlich gegen klingende Münze, irgendeinen charakteristischen Gegenstand zu erhalten. Hier handelte es sich um einen Bogen, den wir uns durch Beharrlichkeit eroberten. Ueberlegt man die Sachlage, so erscheint der Widerwillen der Indianer, sich von ihren Habseligkeiten zu trennen, vollkommen gerechtfertigt. Die Dinge, welche für den Ethnographen Werth haben, sind keine, die der Indianer käuflich erworben, sondern solche, die er zu seinem eigenen Gebrauch oft mühsam gefertigt hat. Entäussert er sich derselben, so entbehrt er sie in seinem kleinen Haushalt, bis nach Tagen oder Wochen ein Ersatz dafür geschaffen ist. Und erst, wenn man ihm zumuthet, sich von seinen Jagdgeräthen, wie Bogen, Pfeil oder Blaserohr, zu trennen, die ihm den täglichen Unterhalt verschaffen, dann wird die Frage des Ersatzes eine noch brennendere, die Schwierigkeit des Hergebens eine noch grössere. Dass der Indianer, wenn es ihm irgend möglich ist zu schenken, gerne schenkt, wurde uns fast in jeder Hütte bewiesen. Wir betraten selten eine, ohne sie meist mit irgendeiner lebendigen Gabe wieder zu verlassen, und so wurde uns auch hier ein lebendes Huhn in das Boot nachgetragen.

Nun fuhren wir in den Rio Negro zurück, um bald abermals an das Land zu gehen. Es geschah dies auf dem waldigen linken Ufer. Wildwachsende ächte Ananas (Ananas sativus Schult.) bedeckten den Boden. Eine der Macairea albiflora Cogn. sehr nahe stehende, bisher unbekannte Species von Melastomacee Diese in mein Herbarium gesammelte Pflanze wurde später von Cogniaux als Macairea Theresiae Cogn. sp. nov. beschrieben. Siehe Botanisches Centralblatt LXVI p. 369. – Auf der anbei befindlichen Abbildung ist das unterste Blatt rechts ergänzt. prangte in hübschem lila Blüthenschmuck. Cajúbäume (Anacardium occidentale L.) Da es verschiedene Species von Anacardien am Rio Negro giebt, könnten diese Cajúbäume allenfalls auch eine andere Species als A. occidentale gewesen sein. Sie müssten es sogar sein, wenn A. occidentale bei Manáos nicht wildwachsend vorkommen sollte und sie, wie zu vermuthen, wildwachsend waren. mit ihren seltsam geformten Früchten erregten unsere Aufmerksamkeit. Auf einer Capoeira fanden wir eine neotropische Varietät unserer Renthierflechte, die Cladonia rangiferina var. pycnoclada Pers. In mein Herbarium gesammelt. Wir drangen noch bis zu einem palmenbeschatteten Bache vor, welcher sich durch die üppige Waldvegetation malerisch hindurchschlängelte, dann kehrten wir auf unsere Lancha zurück und waren Abends wieder in Manáos.

Manáos. Donnerstag, den 19. Juli.

Bei Sonnenaufgang, 6 Uhr früh, wanderten wir über einen hübschen, von Palmen und Bäumen begleiteten Igarapé und hinauf nach der Höhe hinter der Stadt. Auf den Feldern wuchsen halbstrauchförmige Malvaceen mit schwefelgelben Blumenblättern, welche an der Basis einen dunkelrothen Flecken trugen; es waren die reizenden Pavonia cancellata var. deltoidea St. Hilaire. In mein Herbar gesammelt. Indianische Strohhütten zogen sich von der Stadt fast bis da herauf. Neben der mangelhaftesten Einrichtung war in denselben das Vorfinden einer Nähmaschine nicht ausgeschlossen, wie wir solches an den hiesigen Flüssen, zu unserem Befremden, oft in den ärmsten Indianerbehausungen angetroffen hatten.

Von der Höhe wollten wir einen letzten Blick auf Stadt und Gegend werfen, die wir heute endgiltig verlassen sollten und die uns lieb geworden war. Es bot sich von diesem Punkte aus eine hübsche Uebersicht über die waldige, leichtgewellte Ebene, welche Manáos umgiebt. Weit vor uns, im Süden, wälzte der Rio Negro seine trägen dunklen Fluthen vorbei, tief in das unabsehbare Waldland einschneidend. Hinter uns, im Nordosten, wand sich der Igarapé da Cachoeirinha. Der Eindruck, welchen die vor uns ausgebreitete Landschaft hervorrief, war der äusserster Ueppigkeit. Indessen im europäischen Süden und in Nordafrika bis auf einzelne Stellen Alles ausgebrannt erscheint, war hier Alles wie mit einem riesigen, zusammenhängenden, grünen Teppich üppigster Vegetation bedeckt, zwischen welchem nur an wenigen kleinen Punkten die nackte Erde zum Vorschein kam. Und trotz dieser grünen Farbe, welche meist einen kälteren, nördlicheren Ton in den Landschaftsbildern erzeugt, sah hier die Natur so ungemein heiss und tropisch südlich aus, dass man sie sich nicht heisser und tropischer vorstellen konnte.

Macairea Theresiae nov. spec. (½ nat. Grösse.)

Wir empfanden diesen Eindruck der Hitze auch physisch. So lange wir in Manáos und Umgegend weilten, waren wir Tag und Nacht ununterbrochen in Schweiss gebadet. Abgesehen von ein paar Regenschauern in den ersten zwei Tagen unseres Aufenthaltes war das Wetter immer schön, der Himmel immer blau. Zu Mittag zeigte das Thermometer durchschnittlich 30° C., doch wirkte nicht so sehr die Höhe der Temperatur als die unbeschreibliche Feuchtigkeit der Luft angreifend auf uns. Dank der gewissenhaften Beobachtung der uns angegebenen Vorsichtsmassregeln blieben wir jedoch Alle frisch und gesund. Nicht so leider stand es um die Deutschen, namentlich die blonden Norddeutschen, welche hier wie in Pará schon weit länger als wir dem gefürchteten Aequatorialklima ausgesetzt waren. Ihre Widerstandsfähigkeit hatte sich nach und nach verringert. Siehe hierüber auch Stokvis: Ueber vergleichende Rassenpathologie und die Widerstandsfähigkeit des Europäers in den Tropen, S. 21. Manche unter ihnen litten mehr oder minder an der sogenannten tropischen Anämie, einer fieberlosen Malariakrankheit, Siehe Schellong (Die Malariakrankheiten, S, 33, 34, 146) und Andere. und ihre wachsgelbe Gesichtsfarbe war wirklich jammervoll anzusehen. –

Wenn wir auf das Ergebniss unseres Aufenthaltes in Manáos und der von hier unternommenen Ausflüge zurückblicken, können wir im Ganzen zufrieden sein. Zwar gelang es uns nicht, dank der Malaria und dem Ausspringen des unentbehrlichen Führers Roberto, bis zu den noch wilden Indianern vorzudringen, doch sahen wir einzelne Individuen aus nur halbcivilisirten und ebenso einzelne aus menschenfressenden Stämmen, und ist namentlich die Ausbeute in ethnographischer, zoologischer und botanischer Beziehung keine allzu geringe. Noch heute brachte uns der Wirthssohn ein lebendes Weibchen aus der auf Brasilien beschränkten Bis 1871, soweit meine Quellen gehen, war diese Species nur in Brasilien gefunden worden. und nicht sonderlich individuenreichen Species Stagmatoptera praedicatoria Sauss. Es ist dies eine jener merkwürdigen Fangheuschrecken (Mantidae) mit blattähnlichen Flügeldecken und in kniender Stellung gehaltenen Vorderbeinen. Wir sammelten auch verschiedene für diese Gegenden charakteristische Früchte und Samen. Ich nenne die eierbecherförmige Frucht der Couratari dictyocarpa Mart., einer bisher nur im Amazonasgebiet gefundenen baumförmigen Myrtacee; eine Nuss des Castanheiro (Bertholetia excelsa Humb.), jenes vielleicht edelsten Baumes der Amazonasregion, welcher sich auf die Terras altas beschränkt und dessen schwere, aus 25-30 m Höhe herabfallende Früchte mitunter Leute erschlagen; die, Cumarú genannten Samen der Dipterix tetraphylla Spruce, eines in den Wäldern um Manáos wachsenden Baumriesen; etliche der merkwürdig dreiflächig-geformten Samen der uns schon von Pará her bekannten Andiróba (Carapa guianensis Aubl.) und einige der gelbbraunen, mandelartigen Samenkerne des Cacaobaumes, welcher den grössten landwirthschaftlichen Reichthum des unteren Amazonas repräsentirt. Endlich an Pflanzen, von denen die genaue Angabe des Standortes zu notiren übersehen wurde, legten wir in unser Herbarium: Caladium bicolor Vent., eine Aracee, deren grüne Blätter viele kleine chlorophylllose Stellen haben, und Clitoria amazonum Mart., eine grossblüthige, kletternde Papilionacee, welche am Solimões und Rio Negro häufig vorkommt.

Im Gasthaus selbst hatten wir unerwünschte Gelegenheit zu Studien über Insektenleben und wurden an den Ausspruch des Naturforschers Spruce erinnert, dass, mehr als die Menschen, die Ameisen als Herren des Amazonasthales zu betrachten seien. Journal of the Linnean Society Zoology V. p. 355. Musste Jemand irgendwo im Hause eine Zuckerdose öffnen, so wimmelte es darin buchstäblich schon im nächsten Augenblick von sehr kleinen, hellen Ameisen, Welche Formicidenart es war, ob Prenolepis fulva Mayer oder eine andere der kleinen, hellen, häuserbesuchenden Ameisen ist schwer zu sagen, ohne ein Individuum zur Bestimmung vor sich zu haben. (S. weiter oben S. 51 Anm. 2.) deren man sich nicht mehr zu erwehren vermochte. Winzige gelbe Formiciden Monomorium pharaonis (L.) Mayer (??) drangen auch belästigend in unsere Zimmer und bis in einen unserer Koffer, in welchem ihnen ein Filzhut zum Opfer fiel. Es gelang uns jedoch, wenigstens unsere Insektensammlung vor ihnen zu retten, da wir, eingedenk dessen, dass die Ameisen die verderblichsten Feinde solcher Sammlungen sind, letztere ganz besonders sorgfältig hüteten.


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