Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel

Weihnachten war herangekommen; die Straßen, die Läden und Menschen trugen das Gepräge der Festzeit. Die Tannenbäume, die noch vor wenigen Tagen in langen Reihen in den breiten Straßen und auf den Plätzen gestanden hatten, waren stark gelichtet, und die Händler waren in den Stunden des Heiligabends mit jedem Preis zufrieden, um nur möglichst mit ihren Vorräten zu räumen. Eilende, mit Paketen beladene Menschen gaben dem Straßenbild noch immer etwas Unruhiges; aber die Hochflut des Geschäftsverkehrs war vorüber, und je mehr in den Häusern der Riesenstadt die Kerzen des grünen Baumes mit ihrem milden Lichte aufstrahlten, um so mehr verebbte der Verkehr in den Läden und in dem Gewirr der Straßen. Dr. Bruchs war zu seiner Schwester nach Leipzig gefahren und hatte den Freund dringend eingeladen mitzukommen. Aber Hunter hatte sich nicht dazu bewegen lassen, und einsam hockte er zu Beginn des Abends in seiner Wohnung.

Er suchte sich mit seinem Bauplan zu beschäftigen – änderte, maß, rechnete – und konnte seine Gedanken doch nicht sammeln. Mißmutig schob er die Papiere an ihren Platz, suchte Unterhaltung durch Lektüre und warf das zur Hand genommene Buch alsbald wieder fort. Er nahm einige Pakete unter den Arm, suchte Fantig auf und beschenkte ihn und die junge Frau reichlich.

Die kleinen Gegengeschenke – ein silbernes Zigarrenetui und eine Bernsteinspitze – schob er dankend in die Taschen seines Pelzes; aber die Einladung zum Bleiben schlug er aus.

Ein paar Restaurants, in denen er Zerstreuung zu finden hoffte, waren gähnend leer. Stumm trank er, stumm ging er. Am dunkelblauen Himmel flimmernder Lichtschmuck wie an den grünen Christbäumen; das Mondgesicht freundlich lächelnd verzogen. Lichtschein, milde Klänge, Gesang aus den hohen Mietskasernen, Orgelklänge aus einer Kirche, ein Tripptrapp von Pferdehufen, ein Surren der elektrischen Bahnen mitten in der Feierstimmung. »Hampelmann, schöner Hampelmann – zehn Pfennig ...«, ein dünnes Stimmchen, eine frierende, kleine Mädchengestalt ...

Hunter gab ein Talerstück und sah ein Paar große Augen. Er griff noch einmal in die Tasche, faßte ein Goldstück, drückte es in die kleine, kalte Hand und ging rasch weiter. Die Leipziger Straße still, wie Hunter sie noch nicht gesehen hatte, selbst die Friedrichstraße wenig belebt. In ein Cafe bogen ein paar Frauengestalten ein, und der Australier folgte ihnen. Neben dem Büfett ein Tannenbaum mit buntem, elektrischem Licht; auf den roten Plüschsofas dekolletierte, geschminkte, verlebte Frauen, stumpfsinnig und gelangweilt. An einem Ecktisch ein paar Schachspieler mit finsteren Mienen, hinter dem Büfett eine schläfrig blinzelnde Mamsell; in einem Käfig ein Papagei, der allein munter schien.

Hunter trank einen Kognak und kehrte um. Die Umgebung, die dumpfe Luft beengten ihn.

Er schlenderte heimwärts.

Das Haus Nr. 100 stach wunderlich von den lichterhellten Mietskasernen ab. Gedrückt, häßlich und dunkel lag es da. Nur das Boudoir der Hausfrau schien erleuchtet zu sein; ein schwacher Schimmer fiel durch die geschlossenen Vorhänge.

Der Heimkehrende hatte kaum die Verandatreppe betreten, als er ausglitt und nur noch eben rechtzeitig an dem krachenden Geländer einen Halt fand. Die Stufen schimmerten im Mondlicht glasig auf – sie waren mit einer feinen Eiskruste überzogen, die nur durch absichtliches Begießen hervorgebracht sein konnte. Hunter zweifelte nicht, daß die Bosheit ihm allein galt, fluchend tastete er sich nach oben, entzündete in der Veranda ein Wachskerzchen, glitt dicht vor seiner Tür nochmals aus und schlug hart gegen die Wand. Mit einem Goddam! stampfte er auf, fühlte das Schuhwerk am Boden kleben und leuchtete mit der Kerze vor sich nieder. Dunkel glänzten die Fliesen bis an die Türschwelle, aber nicht eisüberzogen – eine grüne, schlammige, schlüpfrige Masse, unregelmäßig auf dem Weißgrau der Steinplatten verschmiert. Hunter hielt sich an der Wand, erreichte die Tür, schloß auf und wollte ins Innere des Zimmers leuchten. Aber die Kerze verlosch im Luftzuge, und tiefe Stille, schwarzes Dunkel umfing ihn. Er setzte eine neue Kerze in Brand, suchte die Schuhsohlen durch Reiben an der Holzschwelle oberflächlich zu reinigen und trat ein. Mit einem Puff flammte das Gaslicht auf, und blendend hell war das Zimmer. Die Rahmen der Bilder glänzten, weiß schimmerten die Stores an den Fenstern, Behagen weckend glühte das Rot des Teppichs. Hunter forschte in den Ecken und hinter den Möbeln, riß die Tür zum Nebenzimmer auf, horchte hinein, trat vor und entzündete das Gaslicht auch dort. Tiefes Schweigen im grellen Lichte, scharfe Schattenrisse der Möbel an den Wänden, ein Blenden des Toilettenspiegels – aber nichts Fremdes, nichts Störendes, nichts Feindliches ... Der Australier atmete auf, entledigte sich der Überkleidung und des Schuhwerkes und untersuchte die Sohlen. Der Geruch belehrte ihn. Seife! Die schlechte, grüne Hausseife ...

Die Weihnachtsstimmung war verflogen, die alte Bitterkeit schnürte ihm die Kehle zu.

Ein weißes Viereck auf dem Schreibtisch fiel ihm in die Augen. Ein Briefumschlag. Er faßte danach. Der Umschlag war geschlossen, eine Aufschrift fehlte. Aber er war nicht leer, Umfang und Gewicht sprachen dagegen.

Der Australier riß einen Seitenrand in Fetzen auf. Ein weißer Bogen fiel ihm in die Hand.

Er stutzte.

»Herrn Wilhelm Mumm«, las er.

Er wandte den Bogen und sah nach der Unterschrift: »H. W.«

H. W. – Hedwig Wutschow. Die Handschrift bestätigte ihm, von wem der Brief war, wenn die Chiffre ihn noch hätte zweifeln lassen ... Die derben Schriftzüge seiner ehemaligen Gattin.

Ein Brief der Feindin am Weihnachtsabend! Der versprach etwas!

»Mir ist die Gewißheit geworden«, entzifferte er, »daß Deine Faust zum zweiten Mal in mein Leben eingegriffen hat. Es gibt keine Gerechtigkeit mehr, denn sonst hätte die rächende Vergeltung den, der Frau und Kinder elend verließ, zerschmettern müssen, statt ihm Schätze auf Schätze häufen und ihn weiter Menschenleben vergiften zu lassen. Aber diesmal hast Du zu gewagt gespielt! Ich fordere Dich auf, meine Tochter zu sofortiger Rückkehr zu bewegen, andernfalls werde ich dem Staatsanwalt das Pseudonym des Herrn Hunter lüften und ihn zu amtlichem Einschreiten veranlassen. Wahrscheinlich ergibt sich dabei, daß Dein Schuldkonto noch mehr belastet ist, als ich zu beweisen vermag. An Andeutungen hast Du selbst es nicht fehlen lassen, und wenn ich gezwungen werde, davon Gebrauch zu machen, hast Du es nur Dir zuzuschreiben. Ich gebe meiner Tochter drei Tage Zeit; ist sie während dieser Frist nicht heimgekehrt, verfahre ich schonungslos.

Das ist mein Weihnachtsgeschenk für Dich und sie.

H. W.«

»Du triffst nicht ganz ins Falsche«, murmelte er zwischen den Zähnen. »Aber deine Hiebe sind Hiebe auf einen Panzer, der undurchdringlich ist. Ich werde dir in die Ohren schreien, was ich auf dem Kerbholz habe!«

Die Nacht wurde ihm qualvoll lang; mit heißem Kopfe wachte er dem Tag entgegen. Nicht die Furcht erregte ihn. Die Weihnachtsluft beengte ihn, die tödliche Einsamkeit, der brennende Wunsch, mit zu feiern, mit zu lieben, und das Erkennen, daß sein Empfinden zu spät kam, daß keine Menschenseele sein Sehnen teilte, daß er allein stand in der weiten Welt und selbst auf dem Boden der Heimat nichts sein Herz füllte. Ein Schimmer von Freundschaft und Liebe bei wenigen – und die Unlauterkeit und Niedertracht in seiner nächsten Umgebung, die ihn in seinen fiebernden Wünschen doppelt grausam traf ...

Er beschenkte die erstaunte, fast erschreckte Aufwartefrau fürstlich und hatte keine Spur von Freude daran; er lud Fantig zu einer Spazierfahrt durch den Tiergarten ein und fand kein Auge für die schöne Winterlandschaft; er frühstückte mit ihm und konnte nur mit Überwindung ein paar Bissen hinunterwürgen.

Nach der Rückkehr in die Wohnung entnahm er einem Fach seines Schreibtisches ein Reclam-Heft, steckte es zu sich und begab sich in den ersten Stock. Er traf Frau Wutschow in ihrem Boudoir, fixierte sie sekundenlang ohne ein Wort. Ein paar tiefe Falten auf ihrer Stirn fielen ihm zum ersten Mal auf; die Augen lagen tief, und um ihren leichtgeöffneten Mund ging ein Zucken. Aber auch sie brach das Schweigen nicht und erwiderte seinen Blick kalt und feindselig.

Der Australier stand aufgereckt und steif, äußerlich ein Bild eisiger Ruhe; aber schon bei den ersten Worten grollte aus seiner Stimme die innere Erregung.

»Du hast mich mit einem Weihnachtsgeschenk beehrt«, begann er, »das dir ähnlich sieht. Ich will mich nach meiner Weise revanchieren. Das einzige Mal in meinem Leben, daß ich feige gewesen bin, war damals, als ich vor dir die Flucht ergriff, statt dich mit eisernem Willen zu ducken. Ein zweites Mal fliehe ich nicht, vor deinen Drohungen erst gar nicht. Ich will dir aber Gelegenheit geben, deine Drohungen wahr zu machen, wenn deine Selbstlosigkeit so weit geht, dir auch einmal ins eigene Fleisch zu schneiden, oder deine Verblendung noch über die Dummheit hinaus, die selbst ich dir zutraue. Deine Tochter – um das vorwegzunehmen – hast du selbst von dir getrieben, ich hole sie dir nicht wieder. Ich lehne es ebenfalls rundweg ab, auch nur zum Zeugen deines ›aufrichtigen‹ Schmerzes gemacht zu werden, und ich verbitte mir, daß du mich ferner mit Spionen umgibst!«

»Dein Hohn hat bestätigt, daß du vorbereitet warst«, unterbrach sie.

»Du hattest ein falsches Werkzeug gewählt, und einem plumpen Frager antwortet am besten ein plumper Witz. Ich hoffe, dem Herrn ist nach der einen Probe die Lust vergangen, sich noch weiter an mir zu versuchen – und ich will es ihm geraten haben. Und dir nicht minder. Wenn du aber den Staatsanwalt bemühen willst – ich bitte, du würdest meinen Wünschen durchaus entgegenkommen. Besonders mein Pseudonym sähe auch ich gern gelüftet. Du hast mir von deiner alten Liebe so viel bewahrt, daß ich von deiner Güte ganz gerührt war und mich nicht imstande fühlte, dich durch schnöden Undank zu kränken. Willst du aber das Maß deiner Freundlichkeit voll machen, so verhilf mir zu meinem alten Namen und zu meinem alten Rechte. Erinnerst du dich, daß ich schon einmal auf mein Recht, das Recht an diesem Hause, hinwies? Und verstehst du – oder geht es über deinen Horizont hinaus –, daß du wohl meine Person, nicht aber zugleich mein gutes Recht für tot erklären lassen konntest? Legitimiere mich! Ich habe den alten Namen abgelegt – meine Papiere auf den neuen werden dir und dem Staatsanwalt genügen. Aber legitimiere mich für den Zivilprozeß! Meine Militärpapiere sind im australischen Busch verloren und vermodert – durch deine Anerkennung werden sie ersetzt. Und dich an deiner verwundbarsten Stelle, in deiner Habsucht, zu treffen, soll mir ein Vergnügen sein. So groß wie deines, wenn ich dir den Gefallen erwiesen hätte, auf künstlicher Eisbahn mir den Hals zu brechen. Weißt du übrigens noch nicht, daß Seife nicht gefriert – wenigstens nicht bei einer Haustemperatur über Null? Oder hast du das Spukhaus für einen Eiskeller gehalten?«

»Das ist mir unverständlich ...«

»Die Tücke vervollständigt dein Charakterbild. Laß dich auch von der Denunziation nicht abhalten. Ich habe dir Andeutungen gemacht; ich will dir – Tatsachen in die Hand geben...« Er machte mitten in den Sätzen sekundenlange Pausen. »Kannst du dir eine Vorstellung vom australischen Busch machen? Ich hatte, noch in der Heimat, viel davon gelesen; ich habe die Wirklichkeit kennengelernt, und keine Phantasie reicht an sie heran. Schlechte Menschen, Betrüger, Diebe, Räuber, Mörder, gibt es überall. Keine Religion, keine Bildung schützt davor. Die Verbrecher sind die räudigen Schafe in der großen Herde – die Ausnahmen. Im Busch – anders, im Busch – die Regel. Ich war Schafhirt, und kein guter. Ich sollte sogar ein Hehler sein, was ich nicht war. Ich war faul, vielleicht auch das nicht mal. Aber ich wurde entlassen und sank noch tiefer. Wilde Gesellen lebten im Busch, die Schrecken der Hirten und Ansiedler, Sträflinge, die aus den Kolonien entflohen waren, Buschranger, verwegene, vor keinem Verbrechen zurückschreckende Goldgräber, Diebe und Säufer aus den Silberminen... Zu ihnen gesellte ich mich, mit ihnen lebte ich – vom Raube. Und sie machten mich zum – Mörder... Eine Post war geplündert worden – fabelhafte Goldschätze sollten den Räubern in die Hände gefallen sein. Der Kutscher und die bewaffnete Bedeckung waren niedergemacht, die Räuber in die Berge geflohen. Wir erfuhren ihren Aufenthalt... Wir suchten sie auf. Bei einem Überfall waren uns die Pferde unter dem Leibe erschossen worden, wir hatten nur mit Not das nackte Leben retten können. Wochen hindurch hungerten wir in Verstecken, bis uns die Kunde von den anderen kam. Sie sollten mit uns teilen, sollten uns wenigstens zu neuen Pferden und Waffen verhelfen. Wir trafen sie in einer Berghütte. Aber sie lachten uns aus – und im Mondlicht starrten uns ihre Gewehrläufe entgegen. Wir gingen zurück. Erst im Dunkel der Nacht schlichen wir uns wieder in Schußnähe, nahmen Deckung und warteten auf den Morgen. Es wurde Tag. Die Hütte lag wie ausgestorben. Wir glaubten uns überlistet, das Nest leer – Flüche kamen über zehn Lippen. Einer schlich vorwärts, schlug Feuer und setzte das Dach der Hütte in Brand. Bald schlugen helle Flammen empor, und ein halbes Dutzend Männer stürzte aus dem brennenden Hause – alle die Büchse in der Hand. Jeder von uns hatte noch eine einzige Kugel – aber sie trafen. Als letzte kam ein Mädchen aus den Flammen, das junge, schöne Antlitz weiß wie Kalk. Ich hatte noch nicht geschossen, und ich zögerte. Meine Gefährten stürzten vor, ich legte an – und streckte das letzte Opfer nieder. Es war besser so.«

»Besser? Willst du die Bluttat beschönigen?«

»Nein ... Das brauchst du nicht zu verstehen. Wir begruben sie alle. Und wir teilten die Beute. Sie war reich. Das Gold nahm ich, aber dann floh ich vor den anderen – vielleicht vor mir selbst. In einer Schenke erstand ich neue Kleidung, auf einer Farm ein Pferd. Und dann ritt ich Tage und Wochen. Auf einer felsigen Anhöhe entdeckte ich in dem Gestein Mengen von Silbererz ... Das gehört nicht dazu, aber du kannst es erfahren. Ich steckte Proben zu mir, ritt an die Eisenbahn und fuhr nach Melbourne. Das Gestein wurde untersucht, Geldgeber fanden sich. Ein Drittel des Ertrages für sie, zwei für mich.

In wenigen Monaten war ich wohlhabend, in einem Jahr mehr als reich... Ein Mensch gilt im Busche nichts, ein Räuber wird verscharrt wie ein Hund. Nach dem Mord kräht kein Hahn: Keine Behörde hat sich je damit befaßt, es ist auch nicht einmal etwas davon laut geworden. Ich habe den Mund gehalten ...«

»Das Blutgold brachte dir Glück!« hörte er sich unterbrochen.

»Ja«, antwortete er halb abwesend. »Glück!« Sein Gesicht verzerrte sich. »Ich hoffte, ich würde es noch finden ... Ich sorgte für die Miner, und die rohen Gesellen waren mir zugetan. Ich erbaute Wohnungen, Schulhäuser, eine Kirche ... Ich wollte sühnen. Die Miner lachten mich aus, die Gesellschafter nannten mich verrückt, ich glaube, ich war es auch oder nahe daran. Das Bild des Mädchens verfolgte mich, ich sah, wachend und träumend, die weiße Stirn und den roten Blutstrom ... Die Jahre gingen, die Jahrzehnte – Ich ließ mir ein Buch kommen – ein deutsches Buch ...« Er holte ein Reclam-Heft hervor. »Nicht dieses, das habe ich in London gekauft, ein ähnliches ...« Er hielt es sinnend in der Hand. »Ich blätterte, suchte darin, und es beruhigte mich. Nach Reichtum hatte ich kein Verlangen mehr, ich hatte genug; aber nach der Heimat zog es mich, zu meinen Kindern – vielleicht auch zu dir. Und in der Heimat traf mich die Vergeltung. Meine Kinder – tot, mein Weib – seelisch tot ... Dir ist keine weibliche Natur mitgegeben worden, aber du hast dich verhärtet zum Stein, daß Gott erbarm! Nach meinem Geld verlangst du – dein Gelddurst läßt dich mich, läßt dich dein eigenes Kind vernichten. Schlage zu, Weib, denunziere – wo alle Niedertracht vereint ist, darf die letzte nicht fehlen. Aber meinst du wirklich, dein Gift könnte mich töten? – Meinst du?« Er lachte voll Hohn. »Nein, ich bin dir gewachsen! Ich habe dir meine Schuld bekannt, um den begehrlichen Wunsch in dir zu wecken, mich zu fällen mit einem Blitz, ich weide mich daran, deinen Gelüsten die Enttäuschung auf dem Fuße folgen zu lassen! Dein Staatsanwalt soll sich schlafen legen, mich erreicht sein Arm nicht mehr. Ich habe gebüßt durch lange Marter. Aber dem Staatsanwalt halte ich das Recht entgegen, das zu schützen auch er da ist. Ich bin kein Jurist, aber was das Gesetz mit klaren, dürren Worten ausspricht, das verstehe ich auch. Kennst du dies Buch? ›Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich‹ ist sein Titel. – Und unter den einigen hundert Paragraphen ist einer, der siebenundsechzigste«, er schlug das Heft auf, »der da sagt: ›Die Strafverfolgung von Verbrechern verjährt, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht sind, in zwanzig Jahren‹ ... Zweiundzwanzig sind vergangen – du kannst der Nemesis nicht mehr zu Hilfe kommen. Aber verfahre ›schonungslos‹, wie du gedroht hast – ich will dem Staatsanwalt willig mein Geständnis wiederholen.«

»Du wirst dich vorsehen!«

»Schreibe alles auf – mit meiner Unterschrift will ich es dir bekräftigen. Zu dem großen Schlage hole aus, aber die kleine Niedertracht, die laß!«

Frau Wutschow erhob sich blaß. Ein Schauer überlief sie. »Wo – wo – ist Hedwig?«

Es klang plötzlich doch etwas Echtes aus dem Aufschrei, und es fiel in Hunters Ohr und Verständnis, vermochte aber seinen Fuß nicht mehr zu hemmen.


 << zurück weiter >>