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Viertes Kapitel

Der Australier legte am nächsten Tage den Weg vom Hotel nach dem Wutschowschen Heim zu Fuß zurück. Er fühlte sich nicht frei und war unangenehm überrascht, als auf dem Potsdamer Platz der Agent sich zu ihm gesellte und ihn ansprach.

Er zeigte sich recht zurückhaltend, und der Agent merkte es bald.

»Es scheint, ich bin unerwünscht«, bemerkte Fantig etwas pikiert.

Hunter beruhigte ihn widerstrebend.

»Warum unerwünscht?« fragte er. »Zu zweit geht es sich – mitunter – sogar besser.«

»Aufdrängen möchte ich mich nicht«, versetzte Fantig, nur halb überzeugt. »Ich habe übrigens gehört, daß Sie wirklich bei dem Alten gewesen sind ... und ihm eine Summe geboten haben, die viel zu hoch ist.«

»Meinen Sie? Und von wem haben Sie die Neuigkeit?«

»Wutschow selbst hat nicht dichtgehalten. Sie sollen ja fabelhaft reich sein?«

»Ah – haben Sie das auch aus derselben Quelle?«

»Freilich, Wutschow hat sich nach Ihnen erkundigt, auf der Deutschen Bank, und Andeutungen gemacht ...«

»Zu wem?«

»Nebensächlich, Herr Hunter. Zu mir nicht, aber ich habe es wie er erfahren. Das Nest haben Sie so gut wie sicher – Wutschow hat selbst fallenlassen, daß er nun wohl in eines der neuen Häuser übersiedeln müsse.«

Hunter wurde etwas freundlicher. »Das höre ich gern, Mr. Fantig.«

»Ich diene Ihnen gern. Aber«, der Agent schlug einen vertraulichen Ton an, »ein guter Rat könnte Ihnen doch nützlich sein: Seien Sie auf der Hut – Wutschow ist ein Fuchs, und wie ich ihn kenne, wird er mindestens den Versuch machen, noch mehr herauszuschlagen. Wenn Sie da nicht energisch abwehren, kommen Sie nicht mit einem blauen Auge davon. Muß es überhaupt – gerade das alte Nest sein? Sie können sich ja an anderer Stelle zehnmal vorteilhafter ankaufen.«

»Hm ...«

»Ich weiß zum Beispiel ein Grundstück, das einem ehemaligen Lokomotivführer gehört, kaum hundert Schritt weiter nach Schöneberg, auch in der Potsdamer Straße, vortrefflicher Baugrund, die Fläche bedeutend größer – und bei all den Vorzügen doch noch ein gut Teil billiger.«

Der Australier lächelte. »Sehr verbunden«, versicherte er. »Man kann ja auch nicht wissen; wie sich's noch machen wird, und wir können, wird aus dem einen nichts, immer noch auf das zweite zurückkommen. Wer dabei verdient, soll mir gleich sein – Wutschow, Sie ...«

»Auch ich? Ich würde mit einem bescheidenen Gewinn – so einer kleinen Vermittlungsgebühr – zufrieden sein.«

»Geschäft ist Geschäft, Mister Fantig.«

»Gewiß, ich leugne ja auch gar nicht, daß ich einen kleinen Vorteil suche, aber auch nur einen kleinen; die Halsabschneiderei überlasse ich anderen.«

»Also er wird mehr fordern, meinen Sie?«

»Im Vertrauen«, der Agent wurde noch eindringlicher, »er holt sich von einem Schlächter in der Nachbarschaft zuweilen Schinkenknochen – der Geizhals, was? –, und eben da hat er so mancherlei durchblicken lassen ...«

»Was auf erneute Ansprüche schließen läßt?«

»Sie werden das kennen: der Appetit kommt beim Essen ... Bei meinem Vorschlag ist alles fest und reell.«

»Warten wir's ab, Mister Fantig.«

»Das Warten ist mitunter von Übel. Möchten Sie sich nicht einmal die paar Schritte mit mir weiterbemühen, ehe Sie wieder mit Wutschow ...«

»Das geht nicht an. Ich habe ihm mein Gebot schriftlich gegeben.«

»Ah, also doch! Ziehen Sie's zurück, sowie er Schwierigkeiten macht! Fordert er mehr, so gibt er selbst den Vorteil des Schriftlichen aus der Hand, und Sie haben wieder Ihre freie Entscheidung!«

»Das mag zutreffen.«

»Sie sparen mehrere Hunderttausend«, suchte Fantig zu überreden.

»Das lohnt ...«

»Nicht wahr? Leider, man hat nicht immer seine Gedanken zusammen, sonst hätte ich Sie auf mein Angebot schon früher aufmerksam machen müssen.«

»Was macht Ihr Freund Jeremias?« fragte Hunter unvermittelt.

»Jeremias? Danke ... Mein Freund ist er nicht gerade, ein Bekannter – nebenbei bemerkt ... Wollen Sie mir einen Gefallen tun? Sprechen Sie mit ihm nicht über meinen Vorschlag. Ich will ihm nichts Schlechtes nachsagen; aber wenn der auch noch seine Finger hineinstecken würde – zu Ihrem Vorteil wäre das nicht.«

»Wissen Sie, woher Wutschows Reichtum stammt?«

»Man munkelt ... Genaues ist schwer zu sagen. Ein großer Teil soll Erbschaft sein, das andere – das heißt, ich will nichts behauptet haben ...« Er fuhr sich mit dem Zeigefinger der Rechten über den Hals. »Nicht direkt, bewahre, durch Strohmänner – Jeremias, vielleicht noch andere ... Machen Sie keinen Gebrauch davon, denn wie gesagt, Genaues ...«

»Seien Sie ohne Sorge. Soll ich blasen, was mich nicht brennt?«

»Was nicht ist, könnte kommen. Sie – könnten sich doch verbrennen, sich dann an meine Worte erinnern und indiskret darauf verweisen. Ich bin aber vorsichtig, und darum beuge ich vor. – Werden Sie bald einmal wieder unsern Stammtisch beehren? Ich habe noch in der Lützowstraße zu tun und muß rechts abbiegen. Eingeladen wollte ich Sie haben ...«

Hunter streckte ihm die Hand hin.

»Meinen Dank, Mister Fantig. Wenn ich kommen darf – auf Wiedersehen.«

»Wird uns ein Vergnügen sein. Heute abend?«

»Heute, morgen – ich muß sehen, wie ich mich einrichte ...«

Fantig zog den Hut, während der Australier den seinen nur flüchtig mit dem Finger berührte.

Hunter verfolgte seinen Weg weiter, überdachte mit einiger Belustigung, wie einer dem anderen die Beute abzujagen trachtete, und kam auf den Gedanken, daß vielleicht noch beide ihre Rechnung machen könnten, Wutschow reichlich, der andere nach nüchterner, geschäftlicher Wägung. Vielleicht ...

Es überraschte ihn, daß er in der Nähe des Spukhauses auch noch auf Jeremias Kluckhohn stieß und dieser bei seinem Anblick im Gegensatz zu seinem vorherigen trägen Schlendern ziemlich beschleunigt auf ihn zukam.

»Kennen Sie mich noch?« fragte Jeremias.

»Ich denke. Warten Sie auf mich?«

»Ja. Ich komme von Wutschow.«

»Mit einem Auftrag?«

Jeremias nickte und deutete auf eine nahe Bierhalle.

»Ich muß Sie sprechen. Können wir dahinein?«

»Bitte.«

Jeremias drängte sich in dem nach der Straße gelegenen Hauptraum des Restaurants vor seinen Begleiter, schob sich bis an ein geräumiges Hinterzimmer, das durch eine Papptafel als »Billardsalon« bezeichnet war, und nötigte auch den ihm folgenden Australier, dort einzutreten.

Beide ließen sich an einem Fenstertisch nieder und konnten sich, nachdem der Kellner die bestellten Getränke gebracht hatte, ohne lästige Mithörer aussprechen.

Jeremias strich nach seiner Angewohnheit den Bart, schielte zum Fenster hinaus und begann in rauhem, belegtem Tonfall: »Wutschow will sich noch bedenken ...«

»Er hat drei Tage Zeit«, erklärte der Australier.

»Ich soll Ihnen, sagen, Sie – möchten das auch tun.«

»Ich überlege zuerst und handle dann.«

»Er will sich – von dem alten Haus nicht trennen. Ein neues ist ja auch bequemer für Sie. Ich soll Ihnen die anderen Häuser, wenn Sie wollen, zeigen.«

»Danke, unnötig. Ich wünsche selbst zu bauen, nach meinem eigenen Geschmack.«

»Dann...«

Jeremias kniff sekundenlang die Augen zu und öffnete sie blinzelnd wie ein Nachtvogel im Tageslicht.

»Dann empfiehlt Ihnen Wutschow ein anderes Grundstück, Sie sind mit den Verhältnissen nicht vertraut – als Fremder. Wutschow will vermitteln – für Sie kaufen, wenn Sie einverstanden sind.«

Der Australier ließ nur ein kurzes Räuspern vernehmen.

»Wutschow weiß Bescheid«, bekräftigte Jeremias empfehlend. »Sie sollten sich nicht bedenken, das Grundstück liegt in der gleichen Gegend, knapp hundert Schritt weiter die Potsdamer hinunter.«

»Aha!«

»Guter Baugrund...«

»Kostenpunkt –?«

»Nicht höher als Nummer einhundert.«

»Hm – woher ...«

Hunter mokierte sich, daß die zwei ehrlichen Makler ihre Vermittlung für das gleiche Objekt anboten und daß Wutschow mit abermaliger skrupelloser Überforderung einen Hauptzug zu tun gedachte.

»Ich verzichte«, erklärte er kurz.

»Haben – schon gesehen?« forschte Jeremias lauernd.

»Ich will Nummer einhundert – oder keines. Das werde ich auch Wutschow selbst sagen. Ist er daheim?«

»Ich weiß nicht.«

»Ich werde nachsehen.«

Hunter erhob sich, und Jeremias suchte ihn zurückzuhalten.

»Er will nicht – er hat es mir gesagt...«

»Dann soll er mir das Schriftstück zurückgeben.«

»Warten Sie bis morgen – übermorgen...«

»Das soll er mir selbst sagen.«

»Er ist nicht zu Hause.«

»Davon werde ich mich überzeugen.«

»Da sind – Umstände, Schwierigkeiten...« »So soll er selbst mit der Sprache herausrücken. Noch eine Weiße gefällig? Kellner – eine große. Adieu...«

Er beglich die geringe Zeche, ließ Wutschows nervösen Boten sitzen und suchte den Hausbesitzer selbst auf.

Wahrscheinlich, überlegte er auf dem kurzen Weg, war auch das Zusammentreffen mit Fantig nicht zufällig gewesen. Er vergaß, was ihn am Tage vorher und noch am Morgen beengt hatte, und fühlte an den unvermutet aufgetürmten Hindernissen seine Energie erstarken. Wutschow in seiner angestachelten Habgier suchte auf jeden Fall Gewinn, das schien ihm klar zu sein; aber leicht sollte das Spiel dem Geizhals nicht gemacht werden.

Er hielt sich dicht unter der Veranda, nahm die Treppe mit einigen Sätzen und überraschte Wutschow auf dessen gewohntem Platz.

Der Hausherr war von seinem plötzlichen Auftauchen unangenehm berührt, das stand ihm auf dem langen Gesicht geschrieben.

Hunter grüßte kühl.

»Ich komme selbst«, begann er mit Betonung. »Wollen Sie oder wollen Sie nicht? Entweder – oder!«

Wutschow schnitt eine Grimasse.

»Sind die drei Tage schon um?« stieß er hervor.

»Sie selbst haben mich auf heute herbestellt.«

»Hat Ihnen Jeremias nicht...«

»Jeremias soll sich zum Kuckuck scheren! Mit Ihnen habe ich zu tun.«

»Wollen Sie nicht das neue...«

»Ich will das Grundstück, auf das ich geboten habe, nicht irgendeines, das Sie – oder andere – für mich auszuwählen belieben.«

»Ich – habe mich besonnen...«

»Das ist Ihr Recht. Der Grund?«

»Ich will nicht.«

»Ist Ihnen der Preis noch nicht hoch genug?«

»Der Preis? Sie können noch mehr bieten – ich will nicht.«

»Gut. So geben Sie mir meinen Schein zurück.«

Wutschow lachte verlegen.

»Den Schein? Den – hat meine Frau.«

»Dann werde ich mich an sie wenden!«

Der Hausherr griente.

»Sie will auch mit Ihnen reden ...«, erklärte er geduckt.

»Sind Sie ein Pantoffelheld?« fragte der Australier verächtlich.

Wutschow paffte dicke Wolken.

»Eine Treppe...« Er wies nach oben. »Hedwig«, knarrte er. Das Mädchen mochte schon auf den Besuch aufmerksam geworden sein und sich in der Nähe gehalten haben. Sie trat auf den Treppenabsatz.

»Papa –?«

»Melde den Herrn...«

Sie kam bald zurück und verharrte an der Treppe.

»Wenn's gefällig ist...« Wutschow kicherte boshaft.

Der Australier stieg die Treppe hinan, grüßte die junge Dame, warf den Pelz über den Tisch, den Hut auf einen Stuhl und zeigte durch eine Handbewegung an, daß er bereit sei.

Das Zimmer, wo er auf Bitte des Mädchens warten sollte, war ein Raum von nur etwa fünf oder sechs Metern im Geviert, aber von einem Luxus in der Ausstattung, der den Besucher nach all dem Verfall und der Nüchternheit, die er bis dahin beobachtet hatte, lebhaft überraschte.

Den Boden bedeckte ein schwerer Perserteppich, von dessen warmer Kupferfarbe sich die vergoldeten Stühle und Sessel mit ihren leuchtend roten Seidenbezügen harmonisch abhoben. Die Tapete war von zart hellbrauner, golddurchwirkter Seide, die da, wo das volle Tageslicht auf sie traf, warm aufglänzte, ohne deshalb das von reichen Silbermustern unterbrochene Purpurrot der Portieren an Türen und Fenstern oder die gleichfarbigen Möbelbezüge in der Wirkung zu beeinträchtigen. Kostbar gerahmte Ölgemälde trugen Namen, die auch dem Australier bekannt waren, und ein Seestück von Achenbach fesselte ihn derart, daß er eine Bronzebüste unmittelbar unter dem Bilde erst gewahr wurde, als er fast dagegenstieß. »Teufelin«, las er auf dem Sockel und wiederholte den Namen unwillkürlich halblaut, als sein Auge auf den schönen, dämonisch feindseligen Zügen des weiblichen Kopfes ruhte, dessen Haar über der Stirn symbolisch von zwei Hörnern durchbrochen wurde. »Teufelin!« Ein seltsamer Schmuck für ein Frauengemach ...

Die Onyxsäule, auf der die Büste stand, störte ihn. Sie war zu lebhaft für den braungoldenen Bronzeton des Bildwerkes und den teuflischen Ernst in den Gesichtszügen.

Aber die Bewohnerin des Gemaches schien für das geäderte grüne Gestein eine Vorliebe zu besitzen, und ihr Reichtum mochte ihr gestatten, auch ihre exzentrischen Launen zu befriedigen. Ein Tischchen auf einem der Fenster trug auf einer Onyxplatte eine hohe Stehlampe mit Seidenschirm, deren schwerer Fuß ebenfalls aus dem wertvollen Stein hergestellt war, und das gleiche Edelmaterial wiederholte sich bei den verschiedensten kleineren Gegenständen: Schalen, Vasen, einer Standuhr, einigen Bilderrahmen, einem Schreibzeug und einer Art Briefbeschwerer.

Alle Gegenstände waren von moderner Arbeit, modern auch die Möbel und die Stores aus goldfarbigem Tüll vor den Fenstern. Nirgends etwas von einem Stil oder auch nur, von dem Vorherrschen des Onyx abgesehen, von einer mehr als oberflächlichen Individualität – sauber, neu, kostbar das Einzelne und das Ganze, aber von der Kostbarkeit und Neuheit der großen Ausstellungsbasare.

Der Australier bog den eckigen Kopf in den Nacken, betrachtete die Decke und lachte auf. Bis an die schmutzige Fläche über ihm war die Kunst des Dekorateurs nicht gekommen; die war geblieben, wie sie gewesen war und wie sie zu dem Hause paßte, und die aus graublauen Wolken niederschwebenden Amoretten schienen blöde im Flug zu verhalten und sich mit ihren verstaubten Girlanden nicht niederzutrauen in den blitzneuen Staat da unten und in den Bereich der Teufelin.

»Teufelin!«

Hunter stieß es unvorsichtig aus und drehte sich etwas betreten um, als er gleich darauf aus einem Rauschen und Knistern wie von einem Seidenkleide schloß, daß die Frau des Hauses unbemerkt eingetreten sein und seinen Ruf vernommen haben könnte.

Er hatte sich nicht getäuscht; die Hausherrin stand vor ihm – hochaufgerichtet, den Blick starr, die Lippen zuckend.

William Hunter tastete nach der goldenen Lehne eines Phantasiesessels an seiner Seite und schien plötzlich wie am Boden festgewachsen. Seine Züge zeugten von ungeheurer Erregung. Er öffnete den Mund zum Sprechen und brachte doch kein Wort hervor, er suchte sich aus dem lähmenden Bann aufzurichten und fühlte nur seine Ohnmacht. Er war gekommen, um mit der Frau rauh und energisch zu verhandeln, und der Atem stockte ihm bei ihrem Anblick.

Frau Wutschow trat mechanisch einen Schritt vor, und ihr Blick bohrte sich haßerfüllt in den seinen.

Sie war groß, üppig, ohne auffällige Stärke, herrisch in ihrem Auftreten, das nicht mehr junge Gesicht von ebenmäßiger, harter Schönheit, die auch durch den zarten Teint und das sich weich um den Kopf legende Blondhaar nicht gemildert, durch die Erregung des Augenblicks aber verschärft wurde. »Schuft!« schleuderte sie ihm in halbersticktem Zischton entgegen.

Der Australier stand betäubt.

»Du wagst es –?« fuhr sie keuchend fort und wiederholte, indem die Stimme sich überschlug: »Du – wagst es?«

William Hunter gewann langsam eine festere Haltung zurück und suchte seine Erschütterung zu meistern.

»Ein – freudiges – Wiedersehen«, brachte er kurzatmig hervor.

»William Hunter – Herr Wilhelm Mumm! – Wozu die Maskerade?« fragte sie.

Er zog mit einiger Anstrengung die Schultern hoch.

»Ich habe mich auf ein Terrain zurückgetraut, das mir – nicht sicher erschien. Und dann – Mumm, Mumm –, ich bin lange tot; ich bin Hunter, seit ich – nicht mehr – das Glück hatte, dich mein Weib zu nennen.«

»Willst du die Erniedrigung, die du mir zugefügt hast, noch durch den Spott erhöhen?« fiel sie ihm drohend ins Wort.

Er beruhigte sich ganz allmählich. »Hast du die Erniedrigung empfunden?« fragte er.

»Empfunden?«

»Du hast dich doch bald darüber hinweggesetzt?«

»Ja, Gottlob!« gab sie zornig zu. »Was drängst du dich mir wieder in den Weg?«

»Dränge ich –?« Er verneinte durch Kopfschütteln.

»Nimmst du an, ich habe dich gesucht?«

»Nein?«

»Nein«, bestätigte er mit gekünstelter Schroffheit. »Dich? Nein! Das Haus – vielleicht noch anderes. Vielleicht Unbestimmtes. Dich nicht...«

»So wirst du gehen auf Nimmerwiedersehen?«

»Für einen scheint mir nur Platz zu sein – für dich oder mich ...«

»Ich sollte dir weichen? Du verlangst das Ungeheuerliche, und du traust mir zu, ich könnte dir gehorchen...«

»Wir könnten uns auseinandersetzen ...«

»Mit meiner Zustimmung niemals! Du hast dich an meinen Mann gewandt, du hast mir das Haus über dem Kopfe fortkaufen wollen – du führst dich so würdig wieder ein, wie du dich empfohlen hast.«

»Ich hatte von deinem Aufenthalt keine Ahnung.«

»Nachfragen konntest du auch nicht?«

»Ich habe – so in einem dunklen Drange – herumgehorcht, nach mir, nach dir, ich traf auf taube Ohren...«

»Schade, denn sonst wäre mir wohl das Vergnügen der Wiederbegegnung erspart geblieben!«

»Vielleicht...«

»Vielleicht! Du bist auf dem gesetzlichen Wege für tot erklärt worden. Unsere Ehe ist null und nichtig, ich habe nichts mehr mit dir zu schaffen!«

Er hatte den Schreck der ersten Überrumpelung nach und nach überwunden und fand mit der Beruhigung auch seine Willenskraft wieder.

»Das ist mir angenehm«, versicherte er, und ein Wetterleuchten der Kampflust blitzte in seinen Augen auf.

Frau Wutschow eilte in ein Nebengemach, kam mit einem Papier in der Hand zurück, zerriß es und warf ihm die Fetzen vor die Füße.

»Das Haus gehört mir und wird meins bleiben. Betrittst du es noch einmal – ich lasse dich mit Hunden hinaushetzen!«

»Damit scheinst du leicht bei der Hand zu sein«, entgegnete er kühl.

»Die Anspielung soll...?«

»Die Welt ist klein. Selbst bis in den Busch dringt die Kunde von mancherlei, was das Tageslicht zu scheuen hat. Ein deutsches Blatt war einmal hinübergeweht. Ein halbes Menschenleben ist vergangen seitdem. Die Ortsbezeichnung in der Titelzeile – Berlin – fiel mir auf. Ich blätterte, ich las. Und ich las von dem Haus, das ich als mein ehemaliges erkannte, und von meinen Nachfolgern, einem Ehepaar Wutschow – wie ich mich jetzt erinnere, obgleich ich den Namen selbst vergessen hatte. Ich witterte dich nicht dahinter. Aber ich bin nicht jenes arme Dienstmädchen, das unter deinen Augen zerrissen wurde. Ihr mußtet flüchten, unstet wie ich – bis die Gnade vom Königsthron euch die Heimkehr gestattete?«

»Das ist begraben und vergessen«, unterbrach sie heftig.

»Oder auch nicht«, fuhr er fort. »Die Laune hat dich beherrscht, solange ich dich kenne – der brutalen Laune, deinem Wahnwitz, ist die Arme zum Opfer gefallen, und ihnen bin ich gewichen. Aber ich wiederhole: Ich bin kein wehrloses Weib, ich bin auch nicht mehr der Knecht, der ich dir einmal war – ich habe mit anderen Feinden zu kämpfen gehabt als mit ein paar armseligen Kötern – und ich lache über deine Drohung!«

»Du willst der Ankläger sein – mir gegenüber? Du siehst den Splitter in meinem Auge, aber nicht den Balken in deinem eigenen! Was du da gelesen hast – ja, es ist wahr. Sie hatte Befehl, in der Küche zu bleiben – was spionierte sie im Hause herum? Sie wurde bestraft, und wenn zu hart – du hast nicht zu richten! Du nicht, du hast Schlimmeres auf deinem Gewissen: du hast Weib und Kinder verraten! Hast du noch ein Gewissen? Ist es dir nicht verlorengegangen wie dein Gedächtnis? Den Treueschwur hast du gebrochen, ein Meineidiger bist du – und ein Dieb und Betrüger, der mit dem Hab und Gut seines Weibes in die weite Welt ging!«

»Ereifere dich nicht. Was habe ich dir genommen? Nicht mehr, als ich bedurfte, um das Joch deiner Launen von mir abzuschütteln – nicht mehr, nein, kaum soviel, als zur Überfahrt in den fremden Erdteil notwendig war, in dem ich frei sein, in dem ich mich aufrichten wollte. Der Preis für deine Freiheit war zu niedrig gewesen – viel zu niedrig –, ich erkannte es zu spät, als ich als verkommener Cowboy gut genug war, die Rinderherden zu hüten, und als ich in den Bergwerken und Goldminen nicht mehr zu verdienen mochte, als zum dürftigsten Unterhalt – ach was, als zum Fortschleppen einer halb schon verbrecherischen Existenz erforderlich war. In jenen Zeiten habe ich an dich gedacht das kann ich dir schwören – nicht in liebender Erinnerung, mit geballten Fäusten, mit Verwünschungen auf den Lippen... Du lachst dazu? Well, ich mag nicht ohne Fehl gewesen sein. Als dumm hatte ich mich aber auch erwiesen. Es ist vorüber, es kann ruhen bleiben...«

»Das möchte dir so passen!« unterbrach sie höhnisch.

Er ließ sich nicht stören. »Die mageren Jahre nahmen für mich ein Ende, die fetten kamen. Was bin ich dir schuldig? Ich will es dir mit Zinsen erstatten!«

»Kannst du auch die Schande mit dem Mammon auslöschen?«

»Dessen bedarf es nicht. Das hat ein anderer für mich besorgt, als er den verrufenen Namen des ersten Mannes von dir nahm und dir den – guten! – zweiten gab...«

Er stellte eine nüchterne Rechnung an.

»Ich ging mit tausend Talern. Sie gehörten dir. Wir wollen sie verzinsen mit – hundert Prozent; ich bin nicht geizig wie andere. Das gibt...«

Er überschlug flüchtig und nannte die Summe. »Sie steht zu deiner Verfügung. Du erlaubst...«

Er ließ sich an einem Tisch nieder, entnahm seinem Portefeuille ein Scheckformular und wollte es ausfüllen.

Sie entriß es ihm heftig.

»Laß die Komödie!«

»Well!«

Er erhob sich wieder.

»Du hast – drei Töchter?« fragte er unvermittelt.

»Ich hatte!« antwortete sie nicht ohne eine gewisse Genugtuung.

»Du – hattest. So. Wie viele leben noch?«

»Eine!«

»Vom zweiten Mann?«

»Vom zweiten!«

»Und meine Töchter?«

Es packte ihn doch, und er biß die Zähne aufeinander, sobald er die Frage gestellt hatte.

»Deine?«

Sie lachte hart.

»Deine?« wiederholte sie.

Keine Falte trübte die hohe, weiße Stirn.

»Erinnerst du dich noch?«

»Antworte mir!« fuhr er zornig auf.

»Ja...«

Sie weidete sich an seiner Pein.

»Hast du Sehnsucht nach ihnen? Wirklich?«

»Wo sind meine Kinder?« drängte er erregt

»Tot.«

Seine Lippen bebten. »Alle beide?« fragte er entsetzt.

»Willst du sie sehen?« stellte sie die rätselhafte Gegenfrage.

Er schien zu schwanken, ob er recht gehört habe.

»Sehen?« wiederholte er zögernd.

»Sie sind da, alle beide«, sagte sie geheimnisvoll. »Dein Vaterherz soll befriedigt werden...«

Er hörte ihr Kleid rauschen und sah sie in dasselbe Gemach verschwinden, aus dem sie gekommen war.

Ihm war schwül, und er ahnte eine Bosheit.

Unwillkürlich drehte er sich nach dem Bildwerk um. Das braune Gesicht schien ihm noch härter als vorher.

Er stieß gegen den Sessel, daß er umfiel, und folgte der Frau in den Nebenraum. Ihr Schlafgemach. Reich, überladen wie das Boudoir.

Eine Tür wurde aufgestoßen.

»Deine Ungeduld – ehrt dich«, höhnte die Frau. »Willst du dich weiterbemühen?«

Sie machte ihm in der Tür, in der sie gestanden hatte, Platz und wies über die Schulter.

Dann rauschte sie davon und überließ ihn sich selbst.

Hunter war nicht furchtsam, aber die Schläfen hämmerten ihm, als er in den großen, fast saalartigen Raum blickte, der so weit in Dunkel gehüllt lag, daß er sich im ersten Moment schwer zurechtzufinden vermochte.

Erst allmählich gewöhnte sich das Auge an den Wechsel und durchdrang die Finsternis.

Mit Befremden erkannte Hunter, daß der Raum, der einst als Speisezimmer gedient hatte, sich in einem Zustand äußerster Vernachlässigung befand und fast leer war. Die Fenster waren durch verstaubte, von langem Gebrauch gelb gewordene Vorhänge dicht geschlossen, das Parkett des Fußbodens war kreuz und quer mit Brettern belegt. Das Haus war alt und morsch – er erriet sofort, daß der Raum der Einsturzgefahr wegen nicht mehr bewohnbar war, daß die Bretter, wenn doch jemand sich hineinwagen mußte, zur Verteilung der Last dienen sollten.

Vorsichtig trat er auf eine der Bohlen.

Zwei Spiegel zwischen den Fenstern schienen völlig erblindet, die braune Ledertapete hatte sich an einigen Stellen von der Wand gelöst und hing in Fetzen herab, der Stuck der Decke war zum Teil abgefallen und bedeckte den Boden, ein paar zerbrochene Stühle lehnten schief in einer Ecke. Von menschlichen Wesen war nichts zu sehen.

Eine Tür am entgegengesetzten Ende des Saales fiel ihm auf. Die war früher nicht gewesen. Vorsichtig näherte er sich ihr, fand die Scheiben sauber, mit weißen Vorhängen, öffnete und blickte in eine Art Kammer, die so niedrig war, daß knapp ein Mensch darin aufrecht stehen konnte. Ein Bett, eine billige Waschtoilette, eine Kommode, ein Stuhl, ein primitiver Wandspiegel bildeten die dürftige Ausstattung, die aber durch anheimelnde Sauberkeit gewann. Vor dem Fenster starrte das Gitterwerk, das ihm bereits aufgefallen war – es gab ihm die Gewißheit, daß er sich in dem kleinen Anbau befand, und eine Fotografie auf der Kommode, das Bildnis des Dr. Bruchs, überzeugte ihn, wer die Bewohnerin des käfigartigen Gelasses war.

Er zog sich zurück und bemerkte einige Bohlen, die sich von der Tür nach dem Ausgang zogen. Sie dienten offenbar dem Mädchen für ihre Wege durch den öden Verfall.

Mitleid stieg in ihm auf. Wie hauste das Kind und wie die Mutter! Eine Bettlerin die eine, eine Fürstin in ihrem blendenden Prunk die andere – und doch die Freundlichkeit in der ärmlichen Kammer und die Kälte in der seelenlosen Pracht.

Er näherte sich einem der Fenster, hob den Vorhang, um Licht hereinzulassen. Er starrte entsetzt auf eine Büste in der Ecke neben dem Fenster, die förmlich zu atmen schien. Sie war aus Wachs, Sockel und Brustansatz mit verschossener blauer Seide bekleidet. Das Gesicht war oberflächlich – vielleicht eben erst durch die Frau des Hauses – von der Staubschicht gereinigt, die den Scheitel noch entstellend bedeckte.

Eine Ähnlichkeit fiel dem Beobachter auf, die ihm das Blut in den Adern stocken ließ.

In seiner Vorstellung lebte ein jüngeres Bild, das Bild eines achtjährigen Mädchens. Das Bildwerk stellte ein Mädchen dar, zwar auch noch ganz jung, aber den Kinderschuhen schon entwachsen.

Es war ein Werk, das nur eine Meisterhand geschaffen haben konnte, ein Kunstwerk voll eigenen, individuellen Lebens, wie es vor seiner Erinnerung stand, der Erinnerung an das jüngste seiner Kinder, das er in der letzten Stunde vor seiner Flucht zärtlich auf dem Schoß gehalten und das wie das ältere sich liebevoll in seine Arme geschmiegt hatte!

Blutenden Herzens hatte er sich von beiden getrennt – niedergeschmettert sah er die eine wieder!

Die eine!

»Sie sind da, alle beide« – waren das nicht die Worte gewesen, die er gehört hatte, die er jetzt erst zu deuten wußte?

Sein Blick wanderte abermals umher und blieb auf einer weiteren Büste haften, die in der Ecke neben dem dritten Fenster in gleicher Weise aufgestellt war wie die erste ... Er stürzte hinüber.

Ein schwarzes Postament, verblichen blau die seidene Bluse – das Antlitz des älteren Mädchens fester, herber als bei der Jüngsten und doch das erkennbare, nein, das treue Ebenbild des Kindes von ehedem.

Sein Auge blieb tränenlos, aber mit der Erschütterung, die tief aus dem Innern hervorquoll, kam ihm die betäubende Erkenntnis, daß er um eine große, geheime Hoffnung betrogen, daß die friedlose Wanderfahrt durch die Fremde nun auch daheim ohne Ende war... Er hatte es sich nicht eingestanden, daß die Hoffnung ihn mit tausend Fäden umsponnen, daß er mitten in der Jagd nach dem Glück das Gefallen an dem Glanz des überreich zusammengescharrten gelben Metalls verloren, daß eine unausgesprochene und doch übermächtig treibende Sehnsucht ihn überwältigte und daß er alle seine Rechte auf einen lange nicht erschöpften Reichtum nach einer oberflächlichen, fast leichtsinnigen Bemessung ihres Wertes aufzugeben sich entschlossen hatte... Er hatte vor sich selbst verborgen, daß der Ekel vor dem Milieu von Habsucht und Verbrechen ihm bis an den Hals gestiegen war, daß er das Verlangen gefühlt hatte, mit der Fremde zugleich das kalte, sinnlose Jagen nach dem Golde gegen ein bescheidenes, stilles Glück in der alten, trauten Heimat einzutauschen... Er hatte gutmachen wollen an den beiden, an den Kindern – ihnen Reichtum, wenn möglich die Freude bringen wollen – und vielleicht der einst verlassenen Frau, die in dem langen Vierteljahrhundert gewandelt sein mochte... Er hatte wollen ...

Und jetzt!

Die Hoffnung, die er abgewehrt und zugleich gepflegt hatte – sie hatte gelogen, getrogen...

Die Bilder, die er in einem kargen Versteck neben dem kalten Verstände heraufbeschworen hatte – sie waren nichts gewesen als trügerische Spiegelbilder in der Wüste eines verfahrenen, verpfuschten Lebens ...

Die einzige Saite in seinem Gemüt, die noch eines warmen Klanges fähig gewesen war, war gesprungen mit schrillem, schneidendem Mißton.

Eine maßlose Erbitterung beherrschte ihn.

»Weib!« keuchte er, wanderte zwischen den Büsten hin und her und erwog, was die Frau veranlaßt haben konnte, die Unglücklichen auch über das Grab hinaus wenigstens in ihren Ebenbildern gegenwärtig zu halten. Schlummerte auch in ihrem Herzen ein Funke von Liebe, hatte ein Schimmer von Reue sie erfaßt – waren die beiden Werke von Künstlerhand unvermutete Zeichen einer wenn auch wunderlichen Pietät?

Pietät!

Er verwarf den Gedanken mit Hohnlachen.

Pietät! Was dem Herzen wert ist, wird aufbewahrt und mit Sorge umgeben und gepflegt, nicht hinausgestoßen in eine Rumpelkammer, nicht dem Verfall geweiht in Staub und Nacht.

Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

Liebe – Reue – Pietät – nein, alles andere als das war die Triebfeder für ihr Handeln gewesen: die Bosheit, die Eingebungen des Augenblicks, die Laune ...

Die Laune! Ihre Launen hatten ihn schon erschreckt, als sie noch seine Braut war, ihm das Leben zur Hölle gemacht, als sie seine Frau geworden war. Sie hatten ihr grausames Spiel selbst im Angesicht des Todes skrupellos getrieben ...

Der Haß würgte ihn, und mit harten Anschuldigungen auf den Lippen verließ er den Saal, trat er in das Prunkgemach.

Er beherrschte sich, als er nur die Tochter am Fenster stehen und sich nach ihm umwenden sah, die Frau des Hauses aber nicht vorfand.

»Mama läßt um Entschuldigung bitten«, klang es weich an sein Ohr.

Er blickte düster an dem Mädchen vorbei und überlegte sekundenlang.

»Auch gut«, brachte er dann rauh hervor und fügte drohend hinzu: »Ich werde wiederkommen – bestellen Sie das!«

Er ging mit verbissenem Schweigen, raffte seine Sachen an sich und polterte die Treppe hinab.

Auch Wutschows Platz war leer.

»Feigling!« knirschte der Australier, riß die Verandatür auf, warf im Hofe den Pelz über und stolperte auf die Straße.


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