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Von den Schild- oder Scharlachläusen, namentlich der ächten Cochenille.

( Coccus cacti)

Die Myrte, das sinnige Erkennungszeichen der Braut, und der einst dem Bacchus geweihte Epheu stehen noch immer bei der Pflanzen erziehenden Damenwelt in großem Ansehn, werden aber mancher Pflegerin zur Quelle kleiner Sorgen und Bekümmernisse durch ihr – krankhaftes Aussehen. Bei näherer Besichtigung zeigen sich nämlich an den Stengeln und Blattrippen pockenartige Erhöhungen von größerer oder kleinerer Ausdehnung, immer aber von elliptischen Umrissen. Viele von ihnen lassen sich in Pulver zerreiben, andere hinterlassen beim Zerdrücken einen zähen Saft. An den alten Reben des Weinstockes bemerkt man, besonders im Juni, braune Sattelförmige Erhebungen beinahe von der Größe einer halben Erbse, welche auf weißfilzigem Polster ruhen. Letzteres ist so zähe und anhänglich, daß man es bei der leisesten Berührung mit den Fingerspitzen in lange Fäden ausziehen kann wie die Spinne ihre Erzeugnisse. Aehnliche, mehr kugelige, dunkelfleckige Körperchen, jedoch ohne filzige Unterlage, sind das ganze Jahr hindurch an den Stämmen älterer Eichen anzutreffen, und der Gärtner, Obstzüchter und Forstmann kennt entsprechende Erscheinungen an den Nadelhölzern, Pfirsich- und sonstigen Obstbäumen, an dem Oleander, den Rosen und noch so manchen andern Gewächshauspflanzen. Sie alle wissen, daß sie es mit kleinen Thierchen, den von ihrer Körperform sogenannten Schildläusen zu thun haben, welche sich an die Pflanzen ansaugen und ihnen ihre besten Säfte entziehen. Gleich den frühern besprochenen Pflanzenläusen haben sie einen dreigliedrigen Schnabel und sechs kurze Beinchen, welche man bei Vergrößerung an der Bauchseite erkennen kann, brauchen letztere aber nur in den ersten Tagen ihres Lebens; denn bald setzen sie sich an einer Stelle unbeweglich fest, bis sie sterben.

Nach dem Tode beschützt die Mutter mit ihrer trocknenden, aber nicht einschrumpfenden Haut die zarten Eier, als wenn sie darüber brüte, bettete sie bisweilen auch vorher in Seide, wie die eben erwähnte Rebenschildlaus ( Lecaniumm vitis). Die Jungen verweilen einige Zeit unter diesem Schirme, häuten sich wohl auch unter demselben, kommen dann hervorgekrochen und saugen sich fest, während jener lange noch sein früheres Ansehen behalten kann. Man meint zwar, daß geflügelte Männchen zu diesen schildförmigen ungeflügelten Weibchen gehörten, doch kennt man sie noch nicht zu allen Arten und beobachtet sie nur selten, weil sie eine ungemein kurze Lebensdauer besitzen.

Seit ungefähr 1526 bildet die Cochenille einen bedeutenden Ausfuhrartikel für Mexiko; denn man hatte sie als Stoff zur Gewinnung einer herrlichen Scharlachfarbe kennen gelernt. Im rohen Zustande bildet sie rundliche, rothbraune, etwas weiß beschlagene, harte Körner, deren ungefähr 4100 eine Unze wiegen. Wiewohl schon Acosta (um 1530) ihren thierischen Ursprung nachgewiesen und andere Forscher denselben bestätigt hatten, blieb doch die Ansicht von ihrer pflanzlichen Natur lange die herrschende, so daß selbst noch im Jahre 1725 der Holländer Melchior van Ruyscher, welcher letztere vertrat, sich deshalb in eine Wette einließ, die ihm sein ganzes Vermögen gekostet haben würde, wenn nicht der großmüthige Gegner ihn seines Wortes entbunden hätte. Zu diesem Streite wurden die Gerichte herbeigezogen, Züchter in Mexiko gerichtlich über die Natur dieser Geschöpfe vernommen und ihnen somit die Rechte auf ihre Thierheit durch Richter zuerkannt.

Sie gehören ebenfalls den Schildläusen an, denen man deshalb, weil es mehrere Farbstoff haltende Arten giebt, auch den Namen »Scharlachläuse« beigelegt hat. Die ächte Cochenille ( Coccus cacti), ursprünglich in Mexiko zu Hause und zwar aus der breiten Fackeldistel ( Opuntia coccinellifera), dort Nopal genannt, ist später auf einzelne westindische Inseln, nach Spanien, Malaga, Java, Algier und seit einigen dreißig Jahren nach Teneriffa verpflanzt worden. Auf letzterer Insel ging es mit ihrer Einführung wie mit so manchen Neuerungen. Ein eingeborner Gutsbesitzer verschaffte sich das Insekt mit seiner Futterpflanze aus Honduras. Seine Freunde hielten ihn für einen Dummkopf, und das Landvolk zerstörte bei Nacht seine Pflanzungen, weil sie eine Neuerung seien, welche man in einem Traubenlande nicht dulden dürfe. Da die Regierung dem Manne des Fortschrittes ihre Unterstützung angedeihen ließ, so erhielten sich einige Cochenillen und Cactus in den abgelegenen Theilen der Insel. Mit der Zeit brach die Rebenkrankheit über das Land herein; die Frucht verwelkte, die Pflanzen starben ab, Hungersnoth starrte jedem aus dem Gesicht. Orotava, sonst so häufig von Amerikanern besucht, um Bretter und Zimmerholz gegen Wein einzutauschen, ward von diesem materiellen Volke bald ganz verlassen. Jetzt kam der Versuch, ob Cochenille in den verödeten Weinbergen gediehe. Er gelang zum Erstaunen. Eine wahre Wuth erfaßte in kurzem das Volk für Cochenille und hat sich lange Zeit nicht gelegt. Alles verfügbare Land, Gärten, Felder wurden in Cactuspflanzungen umgewandelt. Innerhalb 6 Monaten nach Einsetzen der Blätter kann das Ernten beginnen. So nutzbar hatte man nie vorher das Land verwendet. Man fand, daß ein Acker des trockensten Landes, mit Cactus bepflanzt, 300-500 Pfund Produkte zu einem Werths von 75 Pfd. Sterling für den Pflanzer liefern. Kein Wunder also, daß die Begeisterung unbegrenzt war. Die Männer legten Pflanzungen in großem Maßstabe auf den Feldern an, während die Weiber in jedem Winkel am Hause Nadelgeld sammelten. Sodann durchforschten Abenteurer die Schluchten und Gebirgshalden; wo immer sie eine Cactuspflanze fanden, da hefteten sie mit deren eigenen Dornen das Zeichen dieses kleinen Cochenillethieres an, d. h. die Lumpen, in welchen sich die Brut befand. Im Süden Teneriffa's ernten die Pflanzer jährlich zwei Mal, im Norden, wo zur Zeit des Weinbaues ein größerer Reichthum herrschte als dort, nur ein Mal. So haben in jenem Lande Traubenkrankheit und Einführung der Cochenille die Verhältnisse geändert.

Die ächte Scharlachlaus, welche seit 1863 auch in Palermo im Freien gezogen wird und bei uns in Treibhäusern gedeiht, unterscheidet sich von den hier heimischen Schildlausarten durch die beständige Beweglichkeit der im übrigen ihnen gleichgebauten Weibchen. Ihre geflügelten 1½ mm. großen hinfälligen Männchen kennt man ebenfalls, und zwar als gabelschwänzige Fliegen, indem sie zwei Flügel, am deutlich abgeschiedenen Kopfe jederseits ein einfaches Auge und zehngliedrige fast perlschnurförmige Fühler, so wie am gestreckten Hinterleibe zwei, ihre ganze Körperlänge wesentlich übertreffende Borsten tragen. Diese eigenthümlichen Thierchen sind scharlachroth gefärbt. Das ovale, dickleibige, reichlich 2 mm. messende Weibchen besteht außer dem Kopfe aus 12 ziemlich gleichen Gliedern, ist mit einem weißen Pelze bedeckt, welchen es aus den weicheren Gelenkhäuten ausschwitzt; die Fühler werden von nur sehr kurzen Gliedern gebildet. Die Grundfarbe ist der des Männchens gleich, erscheint aber durch die weiße Bestäubung mehr grau. Bei beiden Geschlechtern erkennt man je zwei Klauen an den Füßen. Mit Ausschluß der Regenzeit, welche unsern Winter in jenen Gegenden vertritt, finden sich die Thiere in ihren verschiedenen Altersstufen auf der Mutterpflanze, welche sie stellenweise mit ihren weißen Ausscheidungen ganz überziehen. Das Weibchen bettet seine Eier in dieselbe ein und läßt sie, so geschützt, frei auf den Stengeln liegen, da es sich eben nicht wie unsere heimischen Arten festsetzt. Nach acht Tagen schlüpfen die Jungen aus, welche den Müttern ähnlich sehen, aber mit steifen Borstenhaaren bewachsen sind; innerhalb 14 Tagen entwickeln sie sich und häuten sich dabei mehrere Male. Die männlichen Larven spinnen sich eine offne Hülse aus eben jenem weißen Stoffe und ruhen noch 8 Tage in derselben. Nach ihrer letzten Häutung zur vollkommenen Entwickelung gelangt, leben die Pärchen ungefähr noch zwei Wochen, während welcher die Paarung und das Eierlegen erfolgt. Da mithin die Ausbildung bis zu dem geschlechtsreifen Thiere etwa einen Zeitraum von vier Wochen ausfüllt, so leuchtete ein, daß ungefähr vier Bruten in einem Jahre zu Stande kommen. Am Ende einer jeden sammeln die Indianer Cochenille ein und tödten sie auf heißen Blechen, wodurch der weiße Ueberzug mehr oder weniger verloren geht. Kurz vor Eintritt der Regenzeit sammelt man die Thiere ein und bringt sie in den Häusern in Sicherheit, um sie später wieder auszusetzen. So wenigstens verfahren die Besitzer von Cochenill-Plantagen und die Indianer, welche die Nopal um ihre Wohnungen pflanzen. Von wild wachsenden Fackeldisteln sammelt man ebenfalls Cochenille, welche jedoch etwas geringer im Werthe sein soll.

Schon lange vor Einführung der amerikanischen Cochenille kannte man in Europa als Färbestoff das Johannisblut ( Porphyrophora polonica) ebenfalls eine Schildlaus, welche um Johanni eingesammelt wurde und roth aussieht, daher ihr Name. Sie lebt an den Wurzeln einiger allgemein verbreiteten, Sandboden liebenden Pflänzchen, besonders des Knäuels ( Scleranthus perennis), des Bruchkrautes ( Herniaria glabra) Glaskrautes ( Parietaria) u. a. m., und hat sich bei Dresden, in der Mark Brandenburg, in Mecklenburg, Pommern, Schweden, Preußen, Polen, Rußland, Ungarn und noch anderwärts gefunden. Ehe man die bedeutend bessere und dabei billiger zu beschaffende mexikanische Cochenille kannte, bildeten die polnischen Scharlachkörner, welche von den Weibern und Kindern der Leibeigenen in den slavischen Ländern gesammelt werden mußten, einen nicht unbedeutenden Handelsartikel und sollen einem ungarischen Könige 6000 Gulden an Zoll eingetragen haben; aus Podolien allein seien jährlich 1000 Pfund, jedes zu einem Werthe von 8-10 polnischen Gulden, ausgeführt worden.

In der Umgegend des Berges Sinai lebt auf den Tamarinthen ( Tamarix mannifera) eine andere Art von Scharlachlaus ( Coccus manniparus), welche durch ihren Stich das Ausfließen und Herabtröpfeln eines dicken Zuckersaftes veranlaßt und das Manna liefert, das noch verschiedene andere Insekten zu Urhebern hat. Der bekannte Schelllack ist das Produkt eines solchen Thieres ( Coccus lacca), welches in Ostindien auf Feigenarten ( Ficus religiosa und indica) und einigen anderen Gewächsen lebt und selbst als Färbestoff verwendet wird.

Heutigen Tages haben die Anilin- und andere Mineralfarben die früheren Verhältnisse wesentlich verändert und jedenfalls auch zu verminderter Nachfrage nach Cochenill beigetragen.


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