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Die gemeine Sichelwespe nebst einem andern Familiengenossen.

( Ophion luteus)
siehe Bildunterschrift

Anomalon circumflexum. Ophion luteus (Beide in natürlicher Größe.)

Vor längerer Zeit trug ich alljährlich im September die grüne, stellenweise rosenrothe und weiße Raupe des sogenannten Silbermönchs ( Cucullia argentea) vom Feldbeifuße zu Hunderten ein, um den überaus zarten Schmetterling mit lauchgrünen, silberfleckigen Vorderflügeln zu erziehen. Die Raupe sitzt einzeln an ihrer Futterpflanze, und nur der Umstand, daß diese sich waldartig an vielen Stellen des Eisenbahndammes hinzog, ermöglichte mir in verhältnißmäßig kurzer Zeit die Raupen in solchen Mengen zusammenzubringen. Faßt man eine an, so schlägt sie wild um sich, und die sonst träge Raupe hat auch allen Grund dazu, sich gegen feindliche Angriffe zu vertheidigen; denn der kleine Beifußwald ist ungemein belebt von geflügeltem Gesindel aller Art. Bei Sonnenschein schwärmen und schwirren große und kleine Schlupfwespen geschäftig umher und suchen die geeigneten Thierleiber für ihre Eier. Kühn greifen sie den passenden an, lassen sich wohl einmal durch den Schlag der so gefährdeten Raupe verjagen, allein sie geben darum ihr Vorhaben nicht auf, bis es gelingt, wenn nicht gerade bei dieser, so bei einer andern. Ihre Zudringlichkeit beobachtete ich öfter, doch gelang es mir nicht, eine bei dieser Gelegenheit ihr Ei absetzen zu sehen. Ich war froh, wenn ich eine Raupe erspähete, und schachtelte sie ein; denn eine mehr bot ja natürlich die Möglichkeit, auch einen Schmetterling mehr zu erziehen. In ihren Zwingern wurden sie nun mit Futter reichlich versorgt, manche verkamen und trockneten ein, wovon ich den Grund nicht recht ermitteln konnte, andere gediehen nach Wunsch und verschwanden zuletzt unter dem Sande, mit welchem der Boden der Behälter ausreichend versehen war.

Wenn längst alles Leben im Zwinger aufgehört hatte, und ich hoffen durfte, die Verpuppung sei vollendet, so wurde aufgeräumt; nach Abzug so und so viel verdorbener Raupen, die auf der Oberfläche des Sandes umherlagen, zum Theil vielleicht schon früher entfernt worden waren, durfte ich immer noch auf eine recht erkleckliche Summe von Puppen rechnen, die meist unten auf dem Holzboden des Zwingers zu suchen waren, wo sie in Klumpen zusammen lagen, aber nicht frei, sondern in filzigen, von Sand durchwebten Gehäusen, welche diese Raupe, wie alle ihre Verwandten, zu spinnen pflegt. Ihre Zahl genügte, nur fragte es sich, ob alle auch gesunde Puppen enthielten. Wer sich mit Raupenzucht beschäftigt hat, der weiß, daß er dergleichen Hoffnungen, wenigstens bei frei auf Pflanzen lebenden, nackten Raupen nicht hegen darf. Also jene Frage legte ich mir auch nicht vor, vielmehr wünschte ich bestimmt zu wissen, wie viel Schmetterlingspuppen die gehabte Mühe mir eingebracht hätte. Vorsichtig wurde deshalb jedes Gehäuse an einem Ende geöffnet, die untersten vom Boden waren meist an der daselbst aufsitzenden Seite so durchsichtig, daß ich ihren Inhalt schon beim Abnehmen erkannt hatte. Wenn von der ganzen Anzahl der dritte Theil brauchbar war, konnte ich zufrieden sein, das lehrten mich mehrjährige Erfahrungen. Einige fanden sich immer darunter, in denen die Raupe vertrocknet oder verschimmelt war, oder als halbfertige Puppe ihren frühen Tod gefunden hatte, aber die Mehrzahl schloß ein gestrecktes, schwarzes Tönnchen eng ein, das Cocon einer Schlupfwespe, wie ich recht wohl wußte. Die Raupenhaut lag eben so daneben, wie bei den gesunden, bleichgrünen Schmetterlingspuppen.

Größeren Betrug als hier kann es eigentlich in der Welt nicht geben. Die Raupe nährt sich und wächst, sie folgt ihrem Naturtriebe, geht in die Erde, spinnt ein Gehäuse um ihre Person, alles eben für sich: denn sie fühlt, daß ihre Zeit zu Ende geht und daß sie nach dem Laufe der natürlichen Dinge zu ihrer Puppenruhe berufen ist. Die Haut berstet, aber nicht von ihrem rechtmäßigen Inhaber gesprengt, sondern von einem fremdartigen Wesen, einer weißen Made, die schon längst unter der Maske einer Raupe durch Saugen gelebt hat und es nun überdrüssig ist, eine fremde Maske ferner zu tragen. Sie versteht das Spinnen ebenfalls, bereitete sich ein Cocon nach ihrer Weise, pergamentartig und fest, glänzend schwarz, als wenn sie trauerte um die, deren Tod ihr das Leben gab. Fürwahr wunderbar, und doch – der natürliche Verlauf! Oeffnet man während des Winters ein solches Tönnchen, so findet man diesen Missethäter als weißen, runzligen, nach beiden Enden etwas zugespitzten, wie welken Wurm. Zum Frühjahre wird eine Puppe von derselben Farbe aus ihm und bis auf die unentwickelten Flügel der Wespe ganz gleich, aber von der zartesten Haut umkleidet.

Um die Zeit etwa, oder etwas später, wenn aus den gesunden Puppen die Schmetterlinge kommen, in der warmen Stube immer früher als im Freien, nagt sich die Wespe oben durch ihr Tönnchen, kommt heraus, streicht sich ihre Fühler und noch feuchten Flügel mit den schlanken Beinen, damit sie sich gehörig breiten, und geberdet sich wie eine, die nicht nur das Recht, sondern auch Lust hat, sich ihres Lebens zu erfreuen. Wenn ich sie vorurtheilsfrei und bar jeglichen Grolls betrachte, muß ich sie für ein zierliches, schlankes Wesen erklären. Die fadenförmigen, sehr vielgliedrigen Fühler geben an Länge dem ganzen Körper nicht viel nach, der fast kreisförmige, breitgedrückte Kopf trägt auf dem Scheitel drei glashelle, große Nebenaugen, in ein Dreieck gestellt, und zur Seite ovale, hervorquellende, grüne Augen. Das platte Bruststück, vorn gewölbt und wie zu einem kurzen Halse verengt, fällt nach hinten sanft ab. Eigenthümlich gestaltet sich der Hinterleib, welcher doppelt so lang wie der Vorderkörper ist. Sein erstes, ziemlich rundes, nach hinten etwas verdicktes Glied bildet einen dünnen Stiel und zugleich den vierten Theil der ganzen Länge, die folgenden sind sämmtlich stark von den Seiten her zusammengedrückt und werden nach hinten zu immer breiter, so daß der ganze Hinterleib sichelförmig, am Ende schräg nach unten abgeschnitten erscheint. Beim Weibchen ragt der Legbohrer, mit welchem es empfindlich stechen kann, nicht aus dem Leibe hervor. Die glashellen Flügel betrachte man genauer an der Abbildung und wird da finden, daß die erste Unterrandzelle von der ersten Scheibenzelle nicht getrennt, sondern mit ihr vereinigt ist, was als Eigenthümlichkeit im Vorderflügel aller ächten Schlupfwespen beobachtet werden kann. Die fehlgeschlagene, beide Zellen sonst trennende Ader erscheint als ein kleines Aestchen, welches in unserem Bilde etwas zu lang gerathen ist. Die zweite Unterrandzelle ist hier, wie bei allen Ophion-Arten gleichfalls mit jener »großen« Zelle verschmolzen, welche daher als charakteristisches Merkmal auch die zweite rücklaufende Ader aufnimmt, die bei dem nebenstehenden Anomalon in die vorhandene Unterrandzelle mündet. Die Hinterflügel sind, wie bei allen Schlupfwespen, an ihrem Vorderrande vor der Mitte desselben mit einigen äußerst feinen Häkchen besetzt, so daß sie sich an die vordern einhaken können, was beim Fliegen auch wirklich geschieht. Die schlanken Beine sitzen an kräftigen Hüften, zwischen ihnen und den Schenkeln sind zwei kurze Glieder, die sogenannten »Schenkelringe«, eingeschoben; das erste der fünf Fußglieder erreicht beinahe die Länge aller folgenden zusammen. Die Klauen sehen genau wie ein Kämmchen aus, wenn man sie mit bewaffnetem Auge betrachtet, und in diesem Falle sieht man auch an den Beinen ihrer ganzen Länge nach ringsum kurze, dicke Härchen, ebenso an der Außenseite der Flügel und ihrer Adern; ohne Vergrößerung bemerkt man nirgends etwas von diesen Härchen. Bis auf die schon erwähnten Augen, die braungraue Hinterleibsspitze und die glashellen Flügel ist das ganze Thier schmutzig gelbroth, nur zwei Längsstreifen vorn über den Rücken und das Ende desselben etwas mehr gelb gefärbt. Man darf nicht meinen, daß die gemeine Sichelwespe die einzige ihrer Gattung sei, vielmehr giebt es noch eine große Menge ebenso gefärbter und au sehr feinen Kennzeichen unterscheidbarer Arten. Auch eine andere Gattung ( Panicus) mit mehrern über und über ziegelrothen Arten, kann auf einen oberflächlichen Blick leicht mit unserer verwechselt werden; sie unterscheidet sich nur durch den Aderverlauf der Vorderflügel, hauptsächlich durch eine dreieckige kleine »Spiegelzelle«, welche sich zwischen die erste und zweite Unterrandszelle einschiebt, es kommen mithin hier drei Unterrandzellen vor. Die sichelförmige Bildung des Hinterleibes haben beide Gattungen noch mit einer Reihe sehr artenreicher gemein.

Diese Art war es denn auch, welche sich an jenem Eisenbahndamme bemerklich machte. Es sind träge, schwerfällige Thiere mit kräftigem Flügelschlage; denn man hört sie auf einige Schritte schwirren. Haben sie sich niedergelassen auf dem gedrängt stehenden Beifuße, oder in einer Hecke, wo sie sich ebenfalls gern aufhalten, so klettern sie unbeholfen umher, wissen aber doch mit List dieser oder jener Raupe ein Ei beizubringen und sie so um ihre Puppe zu betrügen. Merkwürdig bleibt dabei immer, daß nur ein Ei in die Raupe gelegt wird; eine zweite besorgte Schlupfwespenmutter, welche zu einer angestochenen Raupe kommt, muß sie demnach doch wohl als solche erkennen? So hat es die Natur hier eingerichtet; die kleinern Zehrwespen fragen darnach nicht, sonst würden nicht öfter mehrere Arten zugleich, ohne daß eine in der andern schmarotzt, aus einem und demselben Wohnthiere herauskommen.

Wenn sich die gemeine Sichelwespe allerwärts umhertreibt, wo Schmetterlingsraupen schmausen können, so findet sich eine etwas buntere Familiengenossin hauptsächlich an Bäumen oder Buschwerk im gemischten Walde, weil sie vorherrschend in der Raupe des Kiefernspinners schmarotzt; wir wollen sie daher, und weil der Forstmann diesen Schmetterling schlechtweg den »Spinner« zu nennen pflegt, als Spinner-Sichelwespe ( Anomalon circumflexum) bezeichnen. Wie suchend schwebt mit großer Anmuth diese schlanke Schlupfwespe von Form der vorigen, aber gelb und schwarz gefärbt, zwischen den Blättern eines Busches oder den Nadeln einer Kiefer. Zierlich streckt sie ihre langen Hinterbeine aus, hält die Fühler in die Höhe und den langen Hinterleib sanft geschwungen nach unten. Sie läßt sich zu Zeiten auf ein Blatt nieder, um den Honigsaft, den eine Blattlaus hinterließ, aufzusaugen oder von einem noch übrig gebliebenen Regentröpfchen zu naschen, und erhebt sich darauf wieder zu neuem Spiele, aber stets mit einer gewissen Ruhe und Würde, als wenn ihr jede Bewegung von einem Tanzmeister schulgerecht beigebracht worden wäre und sie sich befleißige, pedantisch alle Regeln des Anstandes zu befolgen.

Ein Merkmal hat sie, oder vielmehr ihre artenreiche ganze Gattung vor nächsten Verwandten voraus, welches sie leicht kenntlich macht. Die Fußglieder der hintersten Beine sind nämlich auffallend stärker als die der übrigen, außerdem ist der schlanke Hinterleib seitlich so stark zusammengedrückt, daß er am Rücken und Bauche eine scharfe Kante bildet, die sonstigen Formen und die Flügelbildung zeigt die Abbildung. Rücksichtlich der Färbung sei noch erwähnt, daß der etwas unebene Rumpf mit Ausschluß des erhabenen Theils nach hinten, Schildchen genannt und in unserer Figur von den Flügelwurzeln verdeckt, der Kopf oben und hinten nebst den Augen, die Spitzen der Hinterschienen und des Hinterleibes schwarz aussehen. Alles übrige, das Schildchen eingerechnet, zeigt mehr oder weniger lebhaft gelbe Färbung, das Gesicht und die Fühler zum Theil schwarz untermischt; auch an den Seiten des Rumpfes finden sich zuweilen einige gelbe Fleckchen. Die verhältnißmäßig kurzen Flügel sind etwas angeräuchert, ihr Randmal und Geäder ebenfalls gelb oder bräunlich, und der Aderverlauf an den vorderen insofern von Ophion verschieden als jede der beiden Unterrandzellen eine rücklaufende Ader aufnimmt, während diese dort nur von der ersten aufgenommen werden. Die Größe ändert von 19,5 bis zu 30,5 mm. Die Wespe schlüpft aus verschiedenen Schmetterlingspuppen, außer der bereits genannten auch noch aus der Kieferneule, steht daher ganz besonders im Dienste der Forstschutzbeamten und dürfte wie keine zweite in der Entwicklung ihrer Larve erforscht worden sein. Es möge daher hier der Hauptsache nach mitgetheilt werden, was uns Ratzeburg über diesen interessanten Gegenstand berichtet. Er unterscheidet vier Entwicklungsstufen der Larve.

In 13-17,5 mm. langen Kiefernraupen fand er das Lärvchen von kaum 2,25 mm. Länge und nicht viel dicker als ein Pferdehaar frei in der Raupe, ein verhältnißmäßig langer Schwanz und ein horniger brauner Kopf mit starken, aber nur den obern Kiefern, zeichnet es aus. Auf der zweiten Stufe bleibt die Grundform noch dieselbe, nur hat der Schwanz bedeutend abgenommen und ist der Hauptstrang der Athemröhren mit den beginnenden Verzweigungen sichtbar geworden. Wesentlich verändert zeigt sich die dritte Entwicklungsstufe. Die jetzt 8,75 mm. bis 11 mm. lange Larve erscheint nicht mehr frei in ihrem Wohnthiere, sondern in einen weiten Sack eingeschlossen. An ihr sehen wir die vollständig verzweigten Luftröhren, noch aber waren keine Luftlöcher in der Körperhaut zu entdecken, außerdem nun auch Unterkiefer, Lippe, gegliederte Taster und Fühler; die Mundtheile erscheinen hier sogar entwickelter und kräftiger als auf der folgenden Stufe. Der Schwanz ist jetzt abermals kleiner und sichelförmig gekrümmt, sollte er die Stelle der noch fehlenden Luftlöcher vertreten? Was hat es aber mit dem zarten, vollständig öffnungslosen Sack für eine Bewandtniß? Mit Sicherheit läßt sich darüber nichts sagen, vielleicht ist es eine abgestreifte und aufgeblähte Haut des Thieres, welche durch sein Fortwachsen zuletzt gesprengt wird. Auf der vierten Stufe endlich erhält die Larve erst die Beschaffenheit, in der man andere Schmarotzerlarven kennt. Der Kopf ist verhältnißmäßig kleiner geworden, mehr wie zum Saugen eingerichtet, der Schwanz verschwunden. Das Thier scheint weniger mit der Aufnahme von Nahrung beschäftigt, als mit dem Behaupten seines Platzes in dem mehr und mehr verderbenden Wohnungsthiere.

Dies die Hauptmomente in der Entwicklung der Larve, die natürlich ganz allmählich fortschreitet, bis zuletzt in einer feinen Haut die Puppe entsteht. Während aller eben beschriebenen Vorgänge im Innern der Kiefernspinnerraupe wächst diese, häutet sich, hält ihren Winterschlaf, häutet sich weiter, spinnt ein Gehäuse und wird zu einer Puppe; denn erst in dieser geht die Verpuppung der Wespe vor sich, und aus ihr frißt sie sich am Kopfende heraus. Im September und Oktober wurde der Berechnung nach die Raupe gestochen, und im Mai oder Juni schlüpft die Wespe aus. Ratzeburg vermuthet, daß sie zwei Bruten habe; sie finde, wenn die Kiefernraupe sehr gemein sei, zu jener Zeit Raupen genug, in die sie ihre Eier absetzen könne, und im September könnten diese wieder entwickelte Wespen liefern. Wie nun aber, wenn es nicht viel Raupen giebt und zu dieser Zeit dann keine vorhanden sind? Ich habe aus der Puppe der Kiefern eule eine Sichelwespe gezogen, welche füglich keine andere, als die unserige sein kann, in dieser Schmetterlingsraupe scheint mir eine doppelte Brut nicht gut möglich, weil die Raupe im August zur Verpuppung in die Erde geht. Dem mag nun sein wie ihm wolle, die Zeit soll uns hier Nebensache, bleiben, begnügen wir uns mit den höchst interessanten Beobachtungen über den Entwicklungsgang selbst, der gewiß nicht bei diesem Thiere unter den größeren Schlupfwespen vereinzelt dasteht und schon oben beim Mikrogaster angedeutet wurde. Das Schmarotzerleben der Thiere, dem man in neuerer Zeit ganz besondere Aufmerksamkeit schenkt, hat nach anderen Seiten hin, welche außer dem Gesichtsfelde dieser Bilder liegen, die wunderbarsten Verwandlungen entdecken lassen, die unter dem Namen »Generationswechsel« viel Aufsehen in der gelehrten Welt verursacht haben.


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