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Der Schwammspinner, Dickkopf.

( Liparis dispar)
siehe Bildunterschrift

Weibchen, Eier legend. Raupe. Männchen.

Wer etwa um Johannnis des Jahres 1856 den anmuthigen Weg wandelte, welcher von Halle nach Giebichenstein unten an der Saale entlang führt, entsinnt sich vielleicht noch des traurigen Anblicks, den die damals dort in den Einsenkungen zwischen den Porphyrfelsen stehenden Pflaumenbäume darboten, – heutigen Tages sind sie verschwunden, denn die dortigen Verhältnisse haben sich wesentlich anders gestaltet und zu ihrem Vortheile verändert. Die erst erbsengroßen Früchte hingen frei und schutzlos da, so daß man sie mit Bequemlichkeit hätte zählen können; kein Blatt auf den Bäumen, nicht einmal eine Spur davon, daß solche dagewesen waren, unter ihnen aber im Grase wälzten und krümmten sich, verzweiflungsvoll aus Futtermangel, langhaarige, dickköpfige Raupen mit blauen und rothen Warzen längs ihres borstigen Rückens. Was aus ihnen geworden, kann ich nicht sagen, da ich die Stätte der Verwüstung erst lange nachher betrat, nachdem der Johannistrieb das den unglücklichen Bäumen geraubte Laub dürftig wieder ersetzt hatte. Die meisten von ihnen mögen verkommen und verdorben sein, denn schwerlich ist es einer gelungen auf langem Wege weitere Nahrung aufzufinden, die einerseits durch das Wasser, andererseits durch Felsblöcke getrennt war.

Uebrigens bedarf es nicht jener Stelle und des genannten Jahres, um die Bekanntschaft mit den gefräßigen Gesellen zu machen, die alljährlich und überall, das Lahnthal etwa ausgenommen, einmal in geringerer, das andere Mal in unerhörter Anzahl In dem Journal des Débats vom 14 Juli 1818 findet sich im Auszuge aus dem Journal d'Agen vom 8. Juli, ein Aufsatz, der wörtlich Folgendes berichtet: »Die schönen Korkeichen-Wälder, welche sich von Barbaste bis zur Stadt Podenas (südliches Frankreich) erstrecken, sind in einer verzweifelten Weise von einer Schmetterlingsraupe verwüstet, die sich Liparis dispar nennt. Nachdem sie nicht nur die Blätter der Korkbäume, sondern auch die Eicheln dieses und des folgenden Jahres verschlungen hatten (die Frucht dieses Baumes braucht ein Jahr, ehe sie reift), wurden unsere Mais- und Hirsenfelder, unsere Futterkräuter und unsere sämmtlichen Früchte ihnen zur Beute; etliche Schafheerden haben sich schon vergiftet auf ihren, von diesen Insekten angesteckten Weideplätzen. Die den Bäumen benachbarten Wohnungen sind von jenen angefüllt und können den unglücklichen Eigenthümern nicht mehr zum Aufenthalte dienen. Selbst die Weinstöcke, die hie und da auf unserm Sandboden zerstreut wachsen, sind nicht verschont geblieben. Unser Unglück, durch Ihr Journal veröffentlicht, wird zur Kenntniß ein oder des andern jener geschätzten Männer gelangen, die sich mit der Landes-Oekonomie beschäftigen, und die vielleicht ein Mittel ausfindig machen werden, uns von den Puppen zu befreien, die sich zu bilden anfangen und uns eine schreckliche Zukunft prophezeien. Wir fürchten, daß die Saftentziehung uns hindert, Kork zu ziehen, selbst wenn unsere Bäume nicht absterben.«
Im Jahre 1752 sind dieselben Raupen in Sachsen, namentlich in der Gegend von Altenburg, Zeitz, Naumburg, Frankenhausen in solch unerhörten Mengen aufgetreten, daß alle Bäume, ja ganze Wälder von ihnen entlaubt worden sind.
Diese Mittheilungen geben uns einen schlagenden Beweis, wenn wir desselben nach den mannigfachen Erfahrungen hier zu Lande noch bedürften, wie verkehrt die vor etwa 20 Jahren in öffentlichen Blättern mehrfach besprochene, von großer Unkenntniß der Sache zeugende Maßregel gewesen sein würde, dadurch dem Ueberhandnehmen dieser und verwandter schädlicher Raupen vorzubeugen, daß man ihnen die Pappeln unserer Landstraßen nehmen wollte. Als ob die Raupen dann wegbleiben würden, wenn man ihnen eine Art ihres Futters entzogen, wo sie eben in die Augen fallen und vielleicht zum ersten und einzigen Male von dem gesehen worden sind, der dann auf diesen klugen Einfall gekommen ist!
auftreten. Außer den Obst- und Blumengärten, wo sie besonders den Rosenstöcken zusprechen, sind es vorzugsweise die italienischen Pappeln unserer Landstraßen, Eichen, Rüstern und die meisten andern Laubhölzer, an denen man sie antrifft; ja es fehlt nicht an Beispielen, daß sie sogar an Nadelhölzer gegangen sind. Diese haben sonst in der sehr verwandten Nonne einen noch weit gefährlicheren Feind, als es der Schwammspinner je für die Laubbäume werden kann.

In der Regel findet man die Raupen des letzteren bei Tage träge an Baumstämmen oder an der Unterseite der Aeste lang ausgestreckt, ein anderer Theil sitzt an den Blättern und läßt es sich schmecken, so schmecken, daß man das Schroten deutlich hört, wenn man unter einer alten Eiche steht, die mit reichlicher Einquartirung besetzt ist. Das Schnurpsen und Schroten erinnert unwillkürlich an die Töne, welche fünf bis sechs Gespanne edler Rosse hervorbringen, indem sie den zum Mittagsmahle vorgeworfenen Hafer zermalmen. Dazwischen hört man es in den Blättern rauschen, als wenn einzelne Regentropfen fielen, das ist aber nicht möglich; denn am blauen Himmel zeigt sich nicht ein Wölkchen. Und doch fällt wieder etwas, wie ein Tropfen, auf die Erde, auf seinem Wege die Blätter unterer Schichten bewegend. Da liegt ein grünes, regelmäßig gefurchtes Klümpchen, ein zweites fällt eben von oben dazu; o, rings um den Baum liegen mehr – – wie ausgesäet! Das kann nichts anders sein, als der Koth der oben schmausenden Raupen, wozu noch andere als unsere Dickköpfe ihren Antheil liefern; denn bekanntlich ist das harte Laub der Eiche von derartigen Gästen gesuchter als das zum Theil viel zartere aller andern Waldbäume. Und stachelt es Dich auf einmal im Nacken, so erschrick nur weiter nicht, fasse ruhig nach der Stelle und hole das arme Thier hervor, das vielleicht fehltrat und jählings zwanzig und mehr Fuß herabstürzte, oder von einem neidischen Nachbar, dem es zu nahe kam, heruntergedrängt wurde. Hast Du empfindliche Haut, so fühlst Du wohl auch einige Zeit ein unangenehmes Brennen, das die abgebrochenen Haarspitzchen verursachen, ohne in der Regel sonst weitere nachtheilige Folgen zurückzulassen.

In der ersten Hälfte des Juli verschwinden die Raupen mehr und mehr, statt ihrer finden sich aber in den Rissen der Baumrinde hinter wenigen, die Durchsicht freilassenden Fäden oder zwischen ein paar Blättern dicke, matt schwarze Puppen, mit einzelnen gelben Haarbüscheln besetzt, mit ziemlich deutlichem Gesicht und auffallender Beweglichkeit, sobald sie berührt werden. Die einen sind größer und gedrungener, die andern beinahe um die Hälfte kleiner und schlanker. Woher der Unterschied kommt, erklärt das Nachfolgende. Schon Ende desselben Monats, noch zahlreicher im August erscheinen die Schmetterlinge, welche in ihren beiden Geschlechtern, was Färbung. Größe, Gestalt, ja sogar das Betragen anlangt, so verschieden sind, daß der Unkundige sie für zwei Arten halten möchte. In der Abenddämmerung geboren, sind diese Thiere auch nur während jener Zeit und der Nacht dazu berechtigt, den beiden Trieben zu folgen, von denen allein nur alle vollkommenen Insekten beseelt sind: sich zu nähren und sich fortzupflanzen. Kaum sind ihm seine breiten und stumpfen Schwingen getrocknet, so fliegt der Mann in wilder Hast umher und sucht sein zweites Ich. Wie ein Schatten gleitet er an uns vorüber und ist im Augenblicke wieder verschwunden, sein fledermausartiger Flug vergönnt uns nicht, ihm mit dem Auge zu folgen, zumal sich längst schon die Sonne am westlichen Himmel verabschiedet hat. Am andern Tage finden wir ihn wieder – oder seinen Bruder – ruhig an einer Wand sitzend und von seiner Schwärmerei ausruhend. Behutsam nahen wir, um ihn bei Tage genauer zu betrachten. Sein Gewand trägt die düstern Schatten, die der Lichtmangel hervorbringt, graubraun mit helleren und dunkleren Tinten, sein Leib ist schmächtig, vorn am Kopfe hat er aber ein Paar langer Ohren; es sind die breiten, kammzähnigen Fühler, welche jenen Vergleich zulassen. Jetzt spitzt er sie und vielleicht von unserm Hauche getroffen, fliegt er scheu auf und davon. Sei es die Furcht, sei es das glühende Verlangen nach einer Lebensgefährtin, welches ihn treibt und ihm auch bei Tage keine Ruhe läßt, man kann ihn mit seinem unsteten Fluge, als ob er etwas suche, von Zeit zu Zeit umher irren und sich dann wieder niedersetzen sehen, immer fertig, im nächsten Augenblicke abermals flüchtig zu werden und unserm Blicke zu entschwinden.

Ganz anders das Weib. Träge sitzt es an gleichen Stellen, mit den schmutzigen, unregelmäßig schwarz bezackten Flügeln seinen dicken, häßlichen Hinterleib zudeckend, und kann man durch einen Fußtritt den Baumstamm, an welchem es sich festhält, zur Genüge erschüttern, so fällt es herab mit nach vorn gekrümmter Hinterleibsspitze, kaum es der Mühe werth erachtend, durch Flattern dem erhaltenen Stoße entgegenzuwirken. Nur bei einbrechender Dunkelheit erhebt es mühsam seine Flügel und flattert plump und unbeholfen um die Bäume umher, ein fetter Bissen für die beutelüsternen Fledermäuse. So bringt es seine kurze Lebenszeit hin, des Tages in fauler Ruhe, des Nachts in flatternder Faulheit, und muß sich nur, wie auch das Männchen, vom Thau ernähren – an Blumen trifft man sie zu keiner Zeit an. – Trotzdem erfüllt es seine Pflicht.

Eines Tages sitzt es vor einem braunen, schwammartigen Filze, wie ihn unser Bild vorführt, von länglicher oder mehr runder, meist aber unregelmäßiger Gestalt: er ist sein Werk. Hat es dieses Werk beendet, so fällt es – – todt herunter. Wie aber bringt es dasselbe zu Stande? Bei näherer Betrachtung finden wir die Hintere Hälfte seines Hinterleibes mit so außerordentlich dichtem, braunem Wollhaare bekleidet, daß derselbe einen förmlichen Knopf an der Leibesspitze bildet. Mitten aus diesem Knopfe läßt sich die bewegliche, an ihrer Spitze erhärtete und messerartig zusammengedrückte Legröhre weit vorstrecken. Indem nun Ei an Ei durch die beim Ablegen klebrige Feuchtigkeit anhaftet und in bestimmter Richtung mit dem Haarknopfe über dieselben hingestrichen wird, so entsteht eine mit Haarfilz überzogene Lage, über welche eine zweite kommt, bis entweder alle Eier auf einen Haufen, oder ein Theil derselben noch an einer andern Stelle abgelegt sind. In dem Maße, als der »Schwamm« wächst, nimmt der Umfang des weiblichen Hinterleibes und dessen Endknopfes ab. Man findet bis einhundert Stück brauner harter Eierchen in einem großen Filze, wenn man sich der Mühe des Zählens unterziehen will.

An den Stämmen derselben Bäume, wo wir im Juni die roth- und blauwarzigen Raupen fanden, und zwar meist an der Mittagsseite, können wir nun derartige Schwämme zu beliebiger Auswahl antreffen. Fahren wir mit dein Finger von unten auf über einen hinweg, so sträubt sich das Pelzwerk, als wenn man einer Katze vom Schwänze nach dem Kopfe zu über den Rücken streicht. Sammtartig weich ist dagegen der Strich von oben nach unten. Dies hat seinen guten Grund. Ständen die Spitzen der Haare nach oben, so würde natürlich der vom Baume hernieder träufelnde Regen eindringen, die Nässe sich festsetzen und die Brut verderben. So aber, da die Haarspitzen des Pelzwerkes nach unten gerichtet sind, fließt der Regen, wie von einem Wetterdache, davon ab und schadet den Eiern nicht. Wer mag dies dem Thiere gelehrt haben? Es ist wahrhaftig kein Ungefähr, wie die kleinen und verachtetsten unter den Thieren, die Insekten, ihre Eier zu legen und für ihre Nachkommenschaft zu sorgen pflegen! Ueberall die deutlichsten Spuren der unendlichen Weisheit des Schöpfers, der ihnen den Trieb eingepflanzt hat, die Eier an den rechten Ort und zu rechter Zeit zu legen! Es ist einem Insektenweibchen, von welcher Ordnung es sei, nicht gleichgiltig, ob es seine Eier an den ersten besten Ort absetze. Anders legt sie das Land- anders das Wasserinsekt. Anders der Käfer und unter diesen wieder der Mistkäfer anders als der Blatt- und der Raubkäfer. Anders die kriechenden, anders die fliegenden Insekten. Anders die Bienen, die Fliegen, die Erd- und Wassermücken; anders die Tag-, Abend- und Nachtschmetterlinge. Anders die, deren Eier im Sommer auskommen, und wieder anders die, deren Brut im Eie überwintern soll. Letztere suchen ein Plätzchen, welches durch seine natürliche Lage geschützt ist gegen die Wetterseite. Sie wissen außerdem einen Ort auszusuchen, der mit ihrem Eierneste fast einerlei Farbe hat, ein Schutzmittel gegen die Spechte, Meisen, Baumläufer und sonstigen Feinde. Endlich muß die ausgekrochene Brut nicht in Verlegenheit wegen des Futters sein. Wie mancherlei aber auch die Absichten sein mögen, welche nur allein beim Eierlegen erfüllt sein wollen, diese Thierchen werden nicht eine verfehlen, sie werden unbewußt oft so gute Fürsorge tragen, wie der kluge Mensch in seinen Angelegenheiten nun und nimmer mehr.

Kehren wir jedoch zu unseren filzigen Häuflein zurück, denen weder Nässe noch die grimmigste Kälte etwas anhaben konnte. Es bedarf nur einiger sonniger und warmer Frühlingstage, und wir werden finden, wie aus der braunen, weichen Unterlage kleine schwarze Räupchen sich sonnen in fröhlichem Gewimmel. Bald indeß verabschieden sie sich von einander und jede sieht wo für sie der Tisch gedeckt, ohne zu ihrem Polster zurückzukehren.

Wer seine Bäume vor ihnen schützen will, dem braucht man wohl nicht erst zu rathen, daß er sie gar nicht aus dem Eie herauslasse, sondern diese einsammele und in kleinen Partieen verbrenne. Dieselben an Ort und Stelle zerdrücken zu wollen ist darum nicht rathsam, weil sie an sich hart und elastisch sind, in dem federnden Polster überdieß ein sehr kraftvoller Druck sie eher zum Wegschnellen als zum Bersten veranlassen möchte. In kleineren Mengen aber darf man sie nur dem Feuer übergeben, weil sie wie Schießpulver verpuffen.

Unsere Gebüsche und Hecken sind von noch zwei andern Raupenarten bewohnt, die ebenfalls aus in Filz eingebetteten Eiern hervorkommen. Die betreffenden Schmetterlinge haben weiße, atlasartig glänzende Flügel und eine, mehr weniger goldig behaarte Hinterleibsspitze, die beim Weibchen gleichfalls knopfartig endigt. Der Goldafter ( Porthesia chrysorrhoea) heißt der gemeinere mit dunklerer Hinterleibsspitze, Schwan ( P. auriflua) der mehr goldig beschwänzte. Die Eier werden an die Rückseite eines Blattes gelegt, schlüpfen noch in demselben Jahre aus, und die Raupen von der ersten Art überwintern gemeinschaftlich in Nestern, wie die des Baumweißlings, die von der zweiten einzeln in einem Gespinst in Rindenrissen, Bohrlöchern und an sonstigen geschützten Stellen.


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