Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der kleine Pappel-Blattkäfer und ein übelberüchtigter Vetter von ihm.

( Lina tremulae)
siehe Bildunterschrift

a. Zwei Larven verschiedenen Alters. b. Gestürzte Puppe von der Rückenseite. c. von der Vorderansicht und aufgerichtet. d. Käfer. – e. Colorado-Kartoffelkäfer ( Leptinotarsa decemlineata). (Außer c alle in natürlicher Größe).

An Stellen, wo im Frühjahre längere Zeit Stau- und Ueberschwemmungswasser gestanden hat, finden sich nicht selten unter den verschiedenartigen Rückständen auch skeletirte Blätter, welche, vom anhängenden Schlamme gereinigt, einen artigen Anblick gewähren. Das zarte Blattfleisch ist verwest und nach und nach herausgewaschen, nur die Blattrippen mit ihren äußerst feinen Aesten und Aestchen bis in das dritte und vierte Glied haben der Zerstörung widerstanden und sind zurückgeblieben. An lichten Plätzen in unsern Wäldern, ganz besonders auf Schlägen, wo stellenweise junge Aspenschößlinge üppig wuchern, vielen Raupen und anderem Geziefer äußerst willkommene Punkte, kann man im Sommer die Blätter derselben stückweise oder vollständig skeletirt sehen, ganz ebenso, wie es das Wasser thut, nur sitzen sie noch fest an den schlanken Ruthen, untermischt mit völlig gesunden. Treten wir näher heran, so finden wir leicht den Grund dieser Erscheinung.

Ganze Familien ovaler Käfer mit rothen, ziemlich gewölbten Flügeldecken kriechen herum oder sitzen fest. Zwischen ihnen, oder auf einem Nachbarbusche bewegen sich schlanke Thiere verschiedener Größe mit mehreren schwarzen Punktreihen auf dem kaum gewölbten Rücken, unverkennbare Käferlarven. Sie sind, wie auch unsere Fig. a. an jungen Larven zeigt, die Siebmacher. Hie und da endlich hängt unbeweglich mit seinem dünnen Ende an einer Blattfläche ein keulenförmiges Klümpchen, mit einer Art von Gesicht auf dem Rücken. Seiner ganzen Färbung und besonders den schwarzen Punktreihen nach möchte man schließen, daß es als Puppe zu jenen gehören dürfte. Trifft man es glücklich, so kann man sich mit eigenen Augen überzeugen, daß entschieden jene Käfer mit diesen Puppen im engsten Zusammenhange stehen. Die eine wird beweglicher, durchsichtiger, an den Rändern war sie es schon, plötzlich reißt sie der Länge nach auf dem Rücken entzwei, und ein Käfer mit ungemein weichen und lappig herabhängenden Flügeln kriecht mühsam und mit Aufgebot aller seiner Kräfte hervor, setzt sich zurecht, seine Flügel wachsen und trocknen, über ihnen wölben sich die jetzt weißen, allmählich sich ausfärbenden Decken wie eine halbe Nußschale, und wir erkennen an Umriß und Farbenanlage deutlich genug, daß mit ihm, dem allerdings längere Zeit noch zarten und für jeden Eindruck empfänglichen, die große Familie um ein Glied vermehrt worden ist. Das ist ein »Blattkäfer« im wahren Sinne des Wortes: als Ei, Larve, Puppe und Käfer bewohnt er die Blätter der niedrigen Zitterpappeln – auf Bäumen bemerkte ich ihn noch nicht – der Wurzelausschläge anderer Pappelarten, allenfalls auch der Weiden. Schließlich wenn dieselben abfallen, läßt er sich noch von ihnen begraben, um unter ihrem Schutze den Winter zu verschlafen. Ich habe mir eben (Mitte Februar) eine Partie hervorgeholt unter der kümmerlichen Laubdecke, wo sie friedlich ruhten neben einer Zahl anderer Blattkäfer, wie Erdflöhe, Schildkäfer, untermischt mit Marienkäferchen, Blattwanzen verschiedener Gestalten und Größe und Gewürm mancherlei Art. Betrachten wir sie uns etwas genauer.

Die Füße bestehen, wie bei allen Blattkäfern, aus vier Gliedern, deren drei erste breit und auf der Unterseite mit bürstenartiger, schwammiger Sohle versehen sind; das dritte ist am breitesten, tief ausgerandet und dadurch verkehrt herzförmig. Der ganze Käfer hat eine dunkel stahlblaue oder ins Grüne ziehende Farbe, und nur die Flügeldecken führen ein schmutziges Ziegelroth. Der geneigte Kopf ragt etwas hervor, trägt ovale Augen und nahe dabei, aber zwischen ihnen die elfgliedrigen, allmählich schwach verdickten Fühler. Das Halsschild ist mindestens um die Hälfte breiter als lang, vorn verengt, beiderseits mit einem tiefen, grob punktirten Eindrucke versehen und an seinen geraden Seiten stark wulstig aufgeworfen. Die unregelmäßig schwach punktirten Flügeldecken, an ihrer Wurzel bedeutend breiter als jenes, an jeder Schulter mit einer Beule versehen, erweitern sich etwas nach ihrer Spitze hin. Die Schienen der Beine haben auf ihrem Rücken eine, bis beinahe zur einfachen Spitze reichende Rinne. Es war nöthig, bei der Beschreibung etwas in das Einzelne einzugehen, um die Art von einer zweiten, ihr sehr ähnlichen und in ihrer Gesellschaft häufig vorkommenden, genau ebenso lebenden zu unterscheiden, dem großen Pappel-Blattkäfer ( Lina populi), welche etwas größer ist, ein an den Seiten sanft gewölbtes und weniger wulstiges Halsschild hat und eine schwarze Spitze der Flügeldecken. Die meisten andern Arten sind ohne Rinne an den Schienen, haben weniger keulenförmige Fühler und ein noch breiteres Halsschild; sie bilden die Gattung » Chrysomela«. Viele glänzen in herrlichen, metallischen Farben, eine und die andere findet man seltener an Blättern als unter Steinen.

Wenn die Futterpflanze im Frühjahre so weit vorgerückt ist, daß sie einige Nahrung darbietet, kommen die Käfer träge von unten in die Höhe gekrochen, fressen an den jungen Blättern und paaren sich. Jetzt sind sie einzelner und darum weniger in die Augen fallend. Alsbald legt das Weibchen röthliche Eier wie Kegel neben einander auf die untere Blattfläche, ungefähr zehn auf ein Blatt, kann aber etwa fünfzehn Blätter damit beschenken. Sie bekommen je nach der günstigen Witterung in acht bis zwölf Tagen Leben, so daß vom Mai an die Larve vorhanden sein kann, welche unter mehrmaligen Häutungen schnell zu voller Größe heranwächst. Sie besteht aus zwölf Gliedern, trägt am Kopfe ein Paar kurze Fühler, hinter diesen vier größere, in ein Viereck gestellte kugelige Aeugelchen und überdies noch zwei sehr kleine außerhalb derselben. Schmutzigweiß mit schwarzem Anfluge in der Grundfarbe, sind die beiden Seitenhöcker des zweiten und dritten Körpergliedes schneeweiß, der Kopf dagegen nebst dem Brustschilde, die Beine und mehrere Punktreihen dahinter, sowie stark behaarte Warzen längs der Körperseiten glänzend schwarz. Uebrigens sieht sie den Larven vieler anderer Arten so ähnlich, daß sie schwer und nur durch ein geübtes Auge von ihnen unterschieden werden kann. Sie zeichnet sich noch durch die Eigenthümlichkeit ans, daß sie aus den je neun behaarten Seitenwarzen ein Tröpfchen milchweißen Saftes hervortreten läßt, besonders wenn man sie berührt, der sich aber auch wieder zurückziehen kann, wenn er nicht an äußern Gegenständen, wie den betastenden Fingerspitzen hängen bleibt, wo er einen lange dauernden, häßlichen Geruch zurückläßt; gewiß ein Schutzmittel gegen feindliche Angriffe für diese sonst wehrlosen Thierchen!

Ist ihre Zeit gekommen, so heftet sich die Larve mit ihrer Hinterleibsspitze an ein Blatt und verwandelt sich innerhalb dreier Tage in eine Puppe. Dieselbe ist bräunlich gelb, durch die schwarzen Flecken bunt gefärbt und zeigt an der Bauchseite alle Theile des künftigen Käfers deutlich entwickelt, die Hinterbeine theilweise durch die Spitzen der Flügel verdeckt. Unsere Figur b stellt sie von der Rückseite dar, wo ein Stück des Larvenbalges, an welchem sie hängt, sichtbar ist; die ganze Spitze nämlich bis dahin, wo der untere Rand des abgenagten Blattes abschneidet, gehört nicht mehr zu ihr, sondern ist die durchsichtige Larvenhaut, durch deren zusammengeschrumpften Rand sie festgehalten wird. Schon etwa nach sechs Tagen, es können auch zehn daraus werden, kommt der Käfer hervor, wie oben angegeben wurde. Er frißt nicht mehr, wie die Larve, Löcher in die Blätter, sondern nagt sie von den Rändern her ab.

Die Umstände, daß die Larve vom Mai bis in den August hinein beobachtet wird, man im Sommer Larven, Puppen und vollkommene Kerfe zugleich antrifft, und die Entwicklung der einzelnen Stände ziemlich rasch von Statten, geht – man beobachtete von am zweiten August gelegten Eiern den dreizehnten September die Käfer – scheinen dafür zu sprechen, daß sich in einem Jahre mindestens zwei Bruten entwickeln.

Es darf an dieser Stelle ein anderer Blattkäfer aus der nächsten Verwandtschaft nicht unerwähnt bleiben, welcher unter dem Namen Colorado-Kartoffelkäfer ( Leptinotarsa decemlineata) auch kürzer, Coloradokäfer (Fig. e) in jüngster Zeit viel von sich reden gemacht hat. Der etwas gedrungenere, kräftigere Käfer ist auf schmutzig gelbem Untergrunde in der Weise schwarz gefärbt, wie unsere Abbildung es zeigt, und zwar werden die fünf schwarzen Striemen auf jeder Flügeldecke von je 2 unregelmäßigen Reihen dichter und tiefer Punkteindrücke eingefaßt. Die Larve ist vom Baue der hier abgebildeten, nur etwas geschwollener, so daß sich der Kopf sammt den nächsten nicht aufgetriebenen Körpergliedern gegen die dickern merklich abschnürt. Sie hat an den Körperseiten je zwei Reihen schwarzer Warzen und annähernd die Grundfarbe des Käfers und kann ebenfalls einen Saft austreten lassen, welchem giftige, blasenziehende Wirkungen zugeschrieben werden. Nach erlangter Reife heftet sie sich zur Verpuppung nicht an ein Blatt ihrer Futterpflanze, sondern geht einige Zoll unter die Erdoberfläche; auch wird behauptet, daß drei Bruten im Jahre zu Stande kommen.

Der Colorado-Kartoffelkäfer lebte früher, ungekannt, weit im Westen von Nordamerika von den Blättern der Solaneen (Nachtschatten), welche im Felsengebirge wild wachsen. Die immer weiter dorthin vorschreitende Kultur brachte ihm das Solanum tuberosum näher und näher. Er hielt die sich weit ausgebreiteten Kartoffelfelder jedenfalls für einen ihm gedeckten und reichlich besetzten Tisch, an welchem sich alles Volk weit und breit aus der Nachbarschaft sammeln und sättigen konnte. Wahrscheinlich machte man es dort so, wie häufig bei uns, man achtete nicht auf diesen Mitesser, der möglicherweise durch günstige Verhältnisse der Witterung sich außerordentlich stark vermehrt hatte, kurz mit einem Male überfluthete er alle Kartoffeläcker, drang weiter und weiter nach den immer wohnlicheren Gegenden im Osten und Nordosten vor und entlockte den von ihm Heimgesuchten Nothschreie und Hilferufe. Im Jahre 1859 war er noch hundert Meilen westlich von Omahe und Nebraska entfernt, 1865 überschritt er den Mississippi und brach in Illinois ein, 1870 hatte er sich bereits in Indiana, Ohio, Pensylvanien, Massachusetts und im Staate New-York eingenistet, 1871 bedeckten Schwärme desselben den Detroit-River in Michigan, überschifften den Erie-See auf schwimmenden Blättern, Spänen, Schindeln und andern Holzstückchen und begannen ihr Zerstörungswerk in den Landstrichen zwischen den Flüssen St. Clair und Niagara. Die amerikanischen Berichte mögen theilweise eben – amerikanischer Natur gewesen sein und in schwärzesten Farben gemalt haben, immerhin sind Vermehrung, Ausbreitung und Verwüstungen der Art gewesen, daß man ihnen nicht mit Gleichmuth zusehen konnte. Die abgefressenen Kartoffeläcker versagen natürlich die Ernte, und abermalige Bestellung mit derselben Pflanze hat keinen günstigeren Erfolg, weil immer wieder neue Bruten dieser unersättlichen Fresser entstehen, so daß also in jenen Gegenden der Kartoffelbau in Frage gestellt wurde. Man mahnte Europa zur Vorsicht und meinte, daß dieser neue Kartoffelfeind, wenn auch nicht herüberfliegen, so doch mit eingeschifften Kartoffeln zu uns verschleppt werden könne. Die Folge davon war das Einfuhrverbot von Kartoffeln aus Nordamerika. Die Zeitungen, welche es ja nicht unterlassen können, dann und wann eine Schreckensnachricht zu verbreiten und gewissen Leuten die Köpfe zu verdrehen, wollten auch schon wissen, daß der Coloradokäfer in einigen Stücken lebend von der Bremer Polizei angehalten worden sei, ein anderes Mal sollte er bereits in Schweden aufgetreten sein. Nachher ist alles wieder ruhig geworden. Da mit einem Male erscholl die Nachricht, daß in der Nähe von Mühlheim am Rhein (Ende Juni 1877) ein Kartoffelacker von diesem neuen Feinde befallen sei. Die Sache hatte ihre Richtigkeit. Der Coloradokäfer hat seinen Einzug in Europa, nach Deutschland, gehalten, auf welche Weise hat man noch nicht ermitteln können. In den ersten Tagen des August (1877) hat er sich an einer zweiten Oertlichkeit und zwar in der preußischen Provinz Sachsen, bei Schildau und Reichenbach an drei verschiedenen Stellen gezeigt. Die Preußische Regierung bietet alles auf, um weiteren Gefahren vorzubeugen. Jetzt heißt es also: die Augen offen haben!

Bei dem Vernichtungskampfe dieses neuen Feindes sind einige Eigenthümlichkeiten des Kerfes beobachtet worden, deren amerikanische Berichte nicht gedenken und die es wohl verdienen, in der Kürze hier noch nachgetragen zu werden. Die überwinterten Käfer fressen sechs bis acht Tage lang, nachdem sie aus der Erde hervorgekrochen sind, und paaren sich dann. Das Weibchen legt seine glänzend gelben Eier packetchenweise an die Blattunterseite, bis 90 Stück auf eine Stelle. Hierbei kann es ebenso gut benachbarte Pflanzen bedenken wie nach weiteren Entfernungen wegfliegen, also seine Nachkommen auf größere Flächen ausbreiten. Nach drei bis vier Tagen kriechen die an den Spitzen der Blätter angeklebten, der Sonne mehr zugänglichen Eier aus, etwas später die mehr beschatteten. Bis vierzehn Tage fressen die Larven ehe sie zur Verpuppung reif sind. Dieselben sitzen nicht fortwährend an der Futterpflanze, sondern hauptsächlich zwischen Morgens zehn bis Nachmittags fünf Uhr, dann verlassen sie dieselbe und kriechen in Erdrisse und besonders auch in die rings um den Stengel der Kartoffelpflanzen klaffenden Stellen des Bodens. Man sieht sie öfter auf der Erde hinkriechen und sehr häufig mag ein und dieselbe Larve nach und nach auf so und so viele Pflanzen gelangen. Beim Fressen arbeiten sie keine Löcher in die Blätter, wie so viele unserer Käferlarven und Käfer, sondern verzehren das Blattfleisch von den Rändern her; auch können sie einige Zeit hungern. Denn es fanden sich Larven auf solchen Feldern, deren Kraut man abgeschnitten und verbrannt hatte, und waren dort so lange ohne Nahrung gewesen, bis die Stoppeln unvollkommen wieder ausgeschlagen hatten. Ferner sprechen die Entwickelungszeiten und die Monate, in welchen das Ungeziefer bei uns auftrat, vollkommen für die Annahme dreier Bruten, zu denen man es jedoch nicht kommen ließ, sondern vor Beendung der dritten das Zerstörungswerk zu Ende gebracht hatte, von dem man hofft, daß es ein durchgreifendes gewesen sein möge!


 << zurück weiter >>