Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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XX.

Etwas mehr als drei Monate waren vergangen.

Eva hatte verstanden: es war Alles vorbei!

Die ganzen drei Monate keine Nachricht, kein Lebenszeichen – allmälig war ihr die Vermuthung. und jetzt schon die Sicherheit gekommen: was Ralph bezweckt und erreicht hatte, war – Losreißung.

So wie damals, als er ohne Abschied davongefahren, um weit fort zu fliehen – von den Gefahren einer verderbendrohenden Liebe weg – so hatte er auch jetzt dasselbe Mittel angewendet: Entfernung, Trennung. Zugleich, indem er sie in die Hut der Tante gegeben, hatte er sie von der verhaßten Nähe Roberts befreit und von seiner eigenen geliebten Nähe bewahrt. Und damit diese Verfügung ihr nicht zu weh thue, damit sie nicht etwa in thörichter Leidenschaft sich widersetze, hatte er vermieden, ihr einen plötzlichen Abschiedsschmerz zu bereiten, und Alles so geheimnißvoll eingeleitet ... Sollte sie ihm einmal den Vorwurf machen, daß er sie mit den Worten »Geduld und Vertrauen« fälschlich vertröstet, so konnte er sich dahin rechtfertigen, daß er ihres Vertrauens nicht besser sich würdig zeigen konnte, als indem er ihre Frauenehre vor der Klippe bewahrte, welche ihre beiderseitige Liebe ja war... Wie war das Alles so zart, so charakterfest, so – grausam!

Mit letzterem Worte schloß Eva diese Kette von Muthmaßungen ab. Grausam – denn sie litt unsäglich. Diese langsam ersterbende, diese jetzt erstorbene Hoffnung, den Einziggeliebten wiederzusehen – die zerriß ihr das Herz. Von Tag zu Tag war sie stiller, teilnahmsloser, trauriger geworden. Ihre Wangen verloren die blühende Frische, ihr Blick wurde trüber, ihr Gang müde und schleppend; ein nervöses Hüsteln befiel sie; alle Eßlust war verschwunden, die Nächte brachten nur unruhigen und ungenügenden Schlaf. In der Einsamkeit ihres Zimmers gab sie sich oft der Genugthuung hin, zu weinen – bitterlich und lang zu weinen. Wenn sie mit ihrer Tante oder unter fremden Leuten war, so verbarg sie ihren Kummer; dieser war das Einzige, was sie noch mit dem Gegenstände ihrer Liebe verband, und war ihr ein Heiligthum, das sie eifersüchtig vor jedem profanirenden Mitwisser hütete. Dennoch konnte der Gräfin Koloman die gedrückte Stimmung und die abnehmende Gesundheit ihrer Nichte nicht entgehen. Da sie jedoch eine ziemlich kalte und selbstsüchtige Natur war, so nahm sie sich Evas Zustand nicht weiter zu Herzen; sie gab sich keine Mühe, die Ursache dieser Melancholie zu ergründen und vermied es auch, dem Grafen Siebeck darüber zu schreiben; denn ihr war die Existenz an der Riviera unter den gegebenen Verhältnissen eine sehr angenehme, und es wäre ihr im höchsten Grad unlieb gewesen, dieselbe abgebrochen zu sehen. Die von Eva beigesteuerten Beträge genügten reichlich, um die sämmtlichen Kosten des Aufenthalts zu decken und diesen auf das Bequemste zu gestalten.

Zwei oder dreimal wöchentlich ward ein Wagen genommen, mit welchem Gräfin Koloman mit oder ohne Eva nach Monte Carlo fuhr, wo sie nach einem selbst erfundenen »System« an der Roulette spielte, was ihr ein ungeheures Vergnügen und nebenbei die Hoffnung gewährte, nach Verlauf von weiteren drei Monaten ein kleines Vermögen gewonnen zu haben. Bis jetzt waren die Gewinnsthoffnungen freilich immer gescheitert; aber da war das »System« noch nicht so ausgebildet gewesen, es hatte da und dort noch Lücken aufgewiesen, jetzt aber war es zu unfehlbarer Vollkommenheit gediehen.

Die beiden Frauen hatten nur wenig Bekanntschaften gemacht. Eva war so gar nicht gesellig aufgelegt und auch Gräfin Koloman – so gern sie in ihrer Heimath in die Welt ging – war gegen die in Nizza und Monaco weilenden Fremden mißtrauisch, und die Vergnügungen der Theater, der Promenaden und namentlich des Spielsaales, genügten ihr so ausreichend, daß sie nach Anderem kein Verlangen mehr trug. Mit Ausnahme einiger englischer Familien verkehrten die Beiden mit Niemand.

Jetzt – zu Anfang Jänner – war die Saison auf ihrer Höhe. Aus aller Herren Länder kamen die Wintergäste herbei. Auch zwei oder drei Oesterreicher, welche die Gräfin Koloman kannten, befanden sich darunter, doch wurde auch mit diesen kein lebhafter Verkehr angeknüpft. Gern hätte Eva einmal von dem einen oder dem andern vernommen, was die beiden Grafen Siebeck machten, aber darüber wußte zufällig keiner Bescheid. Daß Ralph gar nichts hatte von sich hören lassen, das war ihr begreiflich. Diese Verstummung, dieses Verschwinden aus ihrem Gesichtskreise lag ja – wie sie zu durchschauen glaubte – in seinem vorgefaßten Verhaltungsplan. Daß aber Robert so gänzlich verschollen war, daß er nicht schrieb, nicht trachtete, sie aufzufinden, um sie – wenn nichts Anderes – seinen Groll fühlen zu lassen, das wunderte sie. Wie gern hätte sie an Ottilie geschrieben, um Nachricht einzuholen, – aber König hatte ihr verboten, nach Hause zu schreiben, und sich seinem Gebote blind zu fügen, gewährte ihr Genugthuung. Sie empfand diesen Gehorsam als etwas, wodurch sie mit dem Entfernten noch gleichsam verbunden war, wodurch auch ihm noch ihr gegenüber Pflichten erwuchsen. Würde sie entgegenhandeln, so könnte dadurch das letzte Band zerrissen sein. Daß auch ihr Niemand aus der Heimath schrieb – weder Ottilie, noch Irene, noch Härtung, noch die Knaben – das geschah wohl gleichfalls auf Ralphs Geheiß, oder es war ihnen Allen ihr Aufenthaltsort verborgen geblieben.

»Kommst Du mit? Heute fahre ich wieder nach Monte Carlo,« sagte eines Vormittags Gräfin Koloman.

»Nein, Tante, ich danke ... Mir ist gar nicht wohl – ich bleibe lieber zu Hause.«

»Wie Du willst. Aber Du solltest wirklich einen Doktor fragen – Du bist so blaß und einsilbig. Ich denke, der Arzt würde Dir Zerstreuung verordnen, und da wäre die Fahrt nach Monte Carlo nur zu empfehlen. Dort sieht man so viel, was fesselt und was amüsirt: die vielen Leute, das Spiel, der herrliche Park... Abends könnten wir in die Oper gehen – die Devries singt im Rigoletto – geh, komm mit!«

Eva schüttelte langsam den Kopf.

»Nein –!« sagte sie gedehnt und müde.

»Dann sage ich Dir Adieu. Aber bleib' ja nicht den ganzen Tag allein zu Hause. Geh' aus die promenade des Anglais zur Musik und besuche Lady Folkton, bei der ist heute große Lawn-tennis-Partie

Doch von diesen Verordnungen wollte Eva keine befolgen. An diesem Tage war sie weniger denn je zur Geselligkeit aufgelegt. In der vergangenen Nacht hatte sie sich wieder einmal in den Schlaf geweint, und am Morgen, als sie abermals einen Hustenanfall gehabt, erlebte sie einen großen Schreck: das zu den Lippen geführte Taschentuch hatte sich roth gefärbt.

Blutspucken! ... In den Augen der meisten Leute gilt diese Erscheinung als Todesurtheil. Und so faßte Eva es auch auf. Erst vor Kurzem war im selben Hotel ein junger Russe von 21 Jahren – auch ein Bluthustender – gestorben. Sie hatte ihn oft in seinem Rollwägelchen auf der Promenade gesehen; und als sie neulich unter der Hoteleinfahrt seinem Leichenzug begegnete, war sie demselben nach dem Friedhof gefolgt. Dort las sie die Inschriften der Grabsteine. Es war entsetzlich, wie viel junge Menschen von 15 bis 25 Jahren da ihren ewigen Schlaf schliefen. Wohl lauter Brustkranke – gewiß hatten sie alle gehustet und Blut gespuckt ... Sollte es auch ihr Loos sein, auf dem fremden Erdwinkel so jung hinzusterben, unbetrauert – ohne daß eine liebende Hand ihr die Augen zugedrückt? ...

Das waren ungefähr die Gedanken, welche Evas Sinn erfüllten, als die zur Fahrt gerüstete Tante ihr auftrug, zu einer Partie Lawn-Tennis zu eilen. Uebrigens war es Eva lieb, daß die alte Dame sich den ganzen Tag entfernte, denn nach Ruhe, nach Einsamkeit hatte sie besondere Sehnsucht. Sie fühlte, daß sie über Vieles nachdenken müsse, daß sie einen Entschluß fassen werde. Welchen? – das wußte sie nicht, aber etwas mußte sie ausführen. Das empfangene Todesurtheil gab ihr – wie jedem Verurtheilten – das Anrecht auf irgend etwas Außergewöhnliches, auf etwas dem sogenannten »Henkermahle« Gleichkommendes.

Nachdem die Gräfin Koloman davongefahren, zog sich Eva auf ihr Zimmer zurück. Sie warf sich in einen Lehnsessel, und regungslos, mit geschlossenen Augen, den Kopf zurückgelegt, blieb sie lange, lange in Gedanken vertieft. Ihre ganze Vergangenheit ließ sie an sich vorüberziehen, und auch in die Zukunft wandte sie den inneren Blick. Was sie da sah, das war – auf dem Friedhof von Nizza – in der Nähe des kürzlich begrabenen Russen – von Palmen beschattet – ein Kreuz mit der Inschrift:

Eva Siebeck,
geb. 1863, gest. 1887,

Und über das Kreuz gebeugt, die hohe, die edle Gestalt Desjenigen, den die da unten Ruhende so sehr geliebt, so sehr, daß sie daran gestorben war.

Mit einem tiefgeholten Seufzer fuhr die junge Frau aus diesen düsteren Träumereien empor, und ihr Entschluß war gefaßt: ohne Abschied werde sie nicht von hinnen gehen. Sie holte ihr Reiseschreibzeug herbei, legte es auf dem Sophatisch zurecht, setzte sich hin und ohne Zaudern, mit fliegender Feder, warf sie folgende Zeilen auf das Briefblatt:

»Mein König – komm! Ich muß Dich noch einmal sehen – noch einmal Deine Stimme hören, eh' sie mich begraben. Nimmermehr hatte ich Dir geschrieben, denn Dein Geheiß lautete: »Schreibe, nicht«; nimmermehr hätte ich Dich gerufen, da Du unsere Trennung gewollt ... aber der Tod hebt Alles auf – den Gehorsam, den Stolz, Alles – nur die Liebe nicht. »Geduld« befahlst Du mir – dabei hattest Du die Zeit im Sinn. Wenn noch lange Monate, Jahre vergingen, vielleicht, würde ich – wie Du es zu meinem Wohl geplant – zu voller Ruhe gelangen; aber ich habe keine Zeit vor mir. Daher kündige ich Dir die Geduld. Das »Vertrauen« aber – das habe ich Dir redlich entgegengebracht; keinen Augenblick hat mich die Gewißheit verlassen, daß das von Dir Gewollte das Beste und Weiseste war, daß Du es im Hinblick auf meinen Gewissensfrieden, auf meine Ehre, auf meine Zukunft gewollt. Doch da glaubtest Du eben irrthümlich, daß ich eine Zukunft habe. So fest und stark lebt dieses Vertrauen auch jetzt in mir, daß ich keinen Augenblick zweifle, dieser mein Ruf werde genügen, um Dich, ohne Verlust eines Tages, an meine Seite zu bringen. Noch bin ich nicht auf dem Todtenbett – aber ich bin von einer unheilbaren Krankheit – einer Brustkrankheit – erfaßt. Vielleicht liegen noch Wochen, vielleicht noch ein Vierteljahr des Lebens vor mir – desto besser: dann werde ich in Deiner Nähe noch einen Himmel gekostet haben, der tausend Erdenleben aufwiegt. Mein König, komm!«

Sie faltete das Blatt, schloß und überschrieb den Umschlag. Dann nahm sie Hut und Jacke und trug den Brief selber zu einem in der Nebenstraße befindlichen Postkasten.

Es war geschehen ... der kleine Lärm des hinabgleitenden Papieres und zufallenden Spaltdeckels durchzuckte Eva mit einem eigenthümlichen Schreck – »es war geschehen« – nicht mehr rückgängig zu machen – die Folgen dieser That würden ihren Lauf nehmen ... in vier bis fünf Tagen konnte Ralph angekommen sein. Der Gedanke hatte etwas so überwältigend Beglückendes, daß sie momentan ihr ganzes Elendsein vergaß. Ihr war so aufgeregt, so gehoben zu Muthe, daß sie wahrlich beinahe Lust hatte, zur Lady Folkton lawn-tennis spielen oder auf die »Promenade des Anglais« zur Musik zu gehen. Sie wollte jetzt nicht weiter nachdenken über das, was sie gethan; den gemengten Empfindungen von Freude und von Gewissensbiß, die sie bestürmten, wollte sie nicht Audienz geben. Besonders an das Sterben wollte sie nicht denken ... und der Umstand, daß sie zum Sterben verurtheilt war, bildete ja die einzige Rechtfertigung des Schrittes, den sie gewagt. Im Straßenkostüm war sie, zur Engländer-Esplanade lagen nur hundert Meter Weges: »Gehen wir,« sagte sie mit beinahe lauter Stimme – und zwei Minuten später saß sie auf einer Bank des mit unzähligen Spaziergängern belebten Strandes. Auch Rollwägelchen waren da wieder zu sehen, mit zu Tode verurtheilten Schwindsüchtigen; der Anblick reizte Eva zum Husten, aber sonderbar: sie konnte sich jetzt nicht krank fühlen, ein eigenthümliches Gefühl von Daseinskraft hatte sie überkommen.

Das Orchester spielte das Schifferlied aus der Stummen von Portici. Das erinnerte sie an jenen Abend, wo sie mit Doktor Hartung – nach der Kahnfahrt – Barcarolen, »nichts als Barcarolen« gespielt ... O, wie schön wäre es doch, zu leben und zu lieben – leben zu können, lieben zu dürfen.

Plötzlich, aus einer Gruppe von Damen und Herren, stürzte eine in Peluche gehüllte Frauengestalt auf die Bank zu:

»Ach – chère

»Ah – Liuba!«

Wie ein Blitzschlag, so unerwartet und auch so erschütternd, war für Eva diese Begegnung. Dornegg – und damit Großstetten nahe gebracht – was würde sie nun Alles erfahren! Das Herz schlug ihr in raschen Schlägen und, als wäre sie von Schwindel erfaßt, so tanzte vor ihren Augen die Umgebung. Sie konnte sich nicht länger auf den Füßen erhalten und ließ sich auf ihren Sitz zurücksinken, von welchem sie bei Liubas Heraneilen aufgesprungen war.

»Ach, wie ich froh! Erlaube, ich setze mich zur Seite von Dir ... Aber wie Du blaß! Bist Du krank? – Bist Du in Nizza wirklich, um Dich zu behandeln?«

Diese Auffassung war Eva willkommen und stimmte zu ihrem Seelenzustand.

»Ja,« antwortete sie – »ich huste sehr stark – und da ist das hiesige Klima –«

»O, wie denn – vortrefflich!«

»Und Du? Was bringt Dich hierher? Gedenkst Du längere Zeit zu bleiben?«

»Nein, nein, nur de passage ... Ich werde den Winter zubringen in Petersburg (sie sprach »Ptesbur«) und komme von Paris. Achch, wie man sich amüsirt in Paris! In Ptesbur ist das Leben großartiger – wie denn – aber Paris ist die ville unique. Achch, wenn Du wüßtest, ich hatte einen so großen Kummer: mein Pedigro ist gestorben. Reden wir nicht davon ...«

»Wie geht es Deinem Kleinen?«

»O, danke. Sergei Gugowitsch geht gut, er ist in Wien bei seinen Großeltern. Die gehen auch gut...«

Eva wagte nicht, um die Großstettner Neuigkeiten zu fragen; doch lauschte sie gierig Allem, was die Andere erzählte, hoffend, darin eine Anspielung auf jene Dinge und Personen zu vernehmen, von welchen sie so gern etwas erfahren hätte. Aber Liuba hielt eine zehn Minuten lange, beistrichlose Rede, in welcher sie von Paris nach Ptesbur flog – von den Dornegger Jagden zu der neuesten Rolle Coquelins, von dem aufgehenden Sterne Boulangers zu einem leichten Unwohlsein ihres Hündchens Darling; sie berichtete den Inhalt eines neuen Romans »Coeur amoureux«; sie versicherte, daß sie wegen der großen Unvorsichtigkeit, an einem Montag eine Reise angetreten zu haben, beinahe verunglückt wäre, von ihrem Schutzheiligen, ihrem lieben, goldenen Alexander Newsky jedoch wunderbar gerettet worden sei; sie bestätigte, daß der Schneider Worth von Felix und Laferrière weit überflügelt worden, und man sich eigentlich bei niemand Anderem anziehen könne als bei den zwei Letztgenannten (für Reitkleider und englische Kostümes jedoch bei Redfern); sie klagte, daß sie durch drei Monate verbrecherisch faul gewesen: keinen Pinsel und Meisel angerührt – in Ptesbur aber, wo sie in ihrem Palais ein bequemes Atelier habe, da würde wieder rastlos gearbeitet werden ...

Und so weiter, und so weiter. Doch von dem, was Eva hören wollte – keine Silbe. Es mußte also doch eine Frage gewagt werden: »Und Großstetten? – Bist Du noch einmal dort gewesen seit meiner Abreise? Und mein Schwieg –«

»Ob ich in Großstetten war? Wie denn nicht? Zwei Tage, nachdem Du fort – – Niemand da ... auch Dein Mann fort und Dein beau-père – Beide in Wien. Und mein Schwager Adolf – der hat einen Kopf gemacht. Er war ja ganz närrisch von Dir ...«

Aus Liubas weiterem Geschnatter ging hervor, daß Evas Verschwinden in der Gegend große Verwunderung verursacht; denn obgleich Ottilie Otternfeld die Auskunft ertheilt, daß die junge Frau mit ihrer Tante Koloman gesundheitshalber nach dem Süden (es hieß nach Sizilien) gereist sei, so gab man sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden, sondern setzte Familienzwistigkeiten voraus, um so mehr, als sich Gerüchte verbreitet hatten von nachherigen heftigen Auftritten zwischen Vater und Sohn Siebeck. Wo diese Beiden sich gegenwärtig aufhielten, davon hatte Liuba keine Idee. Sie war nur kurze Zeit nach Evas Abreise selber von Oesterreich fort. Die Abwesenheit Ralphs, in den sie damals noch verliebt war, denn sie »kannte den Marquis de Forensac noch nicht, doch das vertraue ich Dir ein andermal« – diese Abwesenheit hatte ihr den Aufenthalt in Dornegg verleidet, und sie war, um sich zu zerstreuen, nach Paris gereist. Dort habe sie von den Siebecks weiter nichts mehr erfahren; denn auch Adolf, von welchem sie sonst Wiener Nachrichten hätte erhalten können, war seit längerer Zeit auf einer Orientreise begriffen – vermuthlich gleichfalls zur Zerstreuung unternommen –, um sich »die schöne Verschwundene« aus dem Kopf zu schlagen.

Und so wußte Eva eigentlich ebenso wenig wie zuvor. Statt Auskunft zu geben, machte sich Liuba nunmehr selber daran, Fragen zu stellen. Sie wollte erfahren, was die Ursache von Evas plötzlichem Verschwinden gewesen, und ob es wahr sei, daß ihr Mann sie geschlagen habe, und daß er an Säuferwahnsinns-Anfällen litt – und dergleichen mehr. Darauf antwortete Eva ausweichend, daß von alledem nichts der Wahrheit entspreche, und daß sie über die näheren Umstände ihrer gegenwärtigen Lage vorläufig schweigen müsse. Liuba beharrte nicht. Sie redete viel lieber selber, als sie Andere reden hörte, und das Schicksal Evas ging ihr auch weiter nicht zu Herzen. Sie glaubte zu durchschauen, daß es sich um eine beabsichtigte Scheidung handle, und da war es jedenfalls taktvoller, um die näheren Einzelheiten nicht zu forschen.


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