Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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XVII.

Die so schnelle Rückkehr ihres Mannes war Eva unerwünscht; sie hatte im Stillen gehofft, daß er unbestimmt lange ausbleiben würde. Dagegen war ihr die Ankunft des Doktor Söller insofern willkommen, als sie voraussetzte, daß dadurch Ralph von seinen Grübeleien und seinen heftigen Gefühlen ein wenig abgelenkt werde. Das Grübeln war ja – in ihrer beider Lage – das Gräßlichste.

Nach einer herzlichen Begrüßung hatte der Hausherr, den Doktor sogleich zu sich in den Theaterflügel geführt – und wie viel würden die zwei Männer, die sich mehr als zwanzig Jahre lang nicht gesehen hatten, einander nun zu erzählen haben: Reiseerinnerungen, Jugenderinnerungen ... Unter den letzten freilich eine sehr peinliche: Roberts Geburt. Bei diesem Gedanken erröthete Eva. Wenn ihr jene Umstände einfielen, so fühlte sie sich immer gleichsam als Usurpatorin ihres Namens.

Und jetzt stand auch der Usurpator neben ihr.

Robert war nämlich, ohne um Erlaubniß zu fragen, seiner Frau in ihr Zimmer gefolgt, wohin sie, während Ralph den ankommenden Gast begrüßte, sich zurückgezogen hatte.

»Also da wäre ich wieder!«

»Ja.«

»Du, Eva, ich möchte Dich was fragen.«

»Das wäre?«

»Gefällt Dir die Existenz in Großstetten?«

»Ich weiß nicht, was Du meinst.«

»Ich meine,« er setzte sich, »daß ich's auf die Länge nicht aushalte. Die zwei Tage in Wien haben mir förmlich wohlgethan. Jetzt kommt die Jagdzeit – da wird's am Ende noch durch ein paar Wochen erträglich – aber nachher müßte man ja auswachsen. Ganz hier bleiben, wie der Vater wollte, und Landwirthschaft treiben, das bin ich nicht im Stande. Die ganze Kuh-, Holz- und Körnerwirthschaft ekelt mich an. Weizenfechsung, Schweinefutter, Jungviehzucht – hol's der Kuckuck!«

»Wo willst Du hinaus?«

»Von Großstetten will ich hinaus. Wenn es einmal mir gehört, werde ich es doch verpachten – die Plage mit dem Selbstverwalten ist zu groß. Daher ist es ganz überflüssig, daß ich hier bleib'. Ich möchte künftigen Winter nach Wien. Dazu braucht man Geld. Ich muß erreichen, daß uns der Vater ein genügendes Einkommen anweist.«

»Warum sprichst Du dann nicht mit ihm?«

»Weil ich glaube, daß der Weg durch Dich sicherer ist.«

»Durch mich?«

»Meinst Du, ich hätt' nichts gemerkt?«

Eva erblaßte und – bisher hatte sie gestanden – ließ sich auf einen Sessel fallen.

»Ich verstehe nicht!« ... murmelte sie.

»Geh', sei nicht fad. Da braucht ein Mensch kein Genie zu sein um zu durchblicken, wie Du den Vater herumgekriegt hast. Du wickelst ihn um den Finger. Bist hier zur Herrin des Hauses eingesetzt worden, hast Geld so viel Du willst – unter Anderem: ich könnte wieder ein Sümmchen brauchen –«

Eva sprach kein Wort. Ein unsäglicher Ekel schnürte ihr die Kehle zu.

»Die Dinge stehen also so,« fuhr Robert fort, »Du erklärst dem Papa, daß Du den Winter in Wien zubringen willst, und wir gehen mit einander hin. Es hindert ihn ja nichts, auch hinzukommen und die englischen Uebersetzungen mit Dir fortzusetzen, die ihm so viel Vergnügen machen – ich bin ja zu Tod froh, wenn Du ihm die Liuba aus dem Kopf geschlagen hast.«

Schurke! war das Wort, welches in Evas Innern kochte. Aber noch immer brachte sie keinen Laut hervor.

Robert stand auf:

»So, jetzt denk' ein bissel über die Angelegenheit nach – ich geh. Unter andern: die Dorina läßt Dich grüßen. Die ist jetzt auch in Wien. Ich habe sie aufgesucht; aber – der Wahrheit die Ehre: sie hat mich hinausgeworfen. Das hat mir Spaß gemacht. Immer wird sie wohl nicht so unliebenswürdig sein. Wenn sie einmal weiß, daß Du nicht eifersüchtig bist –«

Als er draußen war, vergrub Eva laut stöhnend ihr Gesicht in beide Hände. »So kann ich – so kann ich nicht fortleben.«

Wäre Doktor Söller nicht bei König, sie würde sofort zu ihm hinabgeeilt sein, um an seiner Brust sich auszuweinen, um ihn zu beschwören, sie von diesem Menschen zu befreien. Sollte der Elende wirklich einen Verdacht hegen – ihr, und demjenigen, den er für seinen Vater hielt, zumuthen daß sie Verbrecher seien – und dies gleichgiltig hinnehmen wollen in Anbetracht seiner eigenen pekuniären Interessen? Nein – solche Gemeinheit der Gesinnung war nicht denkbar! Und eigentlich – was berechtigte sie denn, ihm solche Gedanken unterzuschieben? Ja, er hatte bemerkt, daß sein Vater sie liebgewonnen; daß er gern mit ihr verkehrte, daß er ihr die Regierung des Hauses übergeben; jedoch die Idee, daß da ein strafbares Verhältniß bestehe, die war – in ihrer Widernatürlichkeit – Robert vielleicht nicht einmal in den Sinn gekommen. Aber gleichviel, wenn er auch so schlecht nicht war, wie sie einen Augenblick ihm zugemuthet, war er nicht abstoßend und täglich abstoßender? Und da muthete er ihr zu, mit ihr allein in Wien zu leben! Und welche cynische Rücksichtslosigkeit, ihr ins Gesicht zu sagen, daß er seine Beziehungen zu Dorina wieder anknüpfen wollte... Sie machte eine schmerzlich-händeringende Bewegung; dabei stießen ihre Finger auf den Trauring. O der grausame kleine Goldreif! Durch den war sie festgeschmiedet an lebenslanges Unglück, durch den war sie zu Leid und Entsagung, zu ewiger Herzenseinsamkeit verdammt. Und wenn sie an das hohe Glück dachte, welches so ein Ring – wenn mit dem Rechten getauscht – bedeuten kann, so erschien ihr das eigene und das Schicksal so vieler Tausende ihrer Schwestern doppelt fürchterlich. Wie wäre es zum Beispiel, wenn ein Ralph Siebeck ihr diesen gegeben? ... Sie malte sich das Bild aus und Thränen der Wehmuth füllten ihre Augen. »O, mein König, mein König,« seufzte sie halblaut, »wie sicher, wie selig wäre ich als die Deine, als Dein angetrautes, demüthiges, liebendes Weib – wie blickte ich zu Dir auf, Großer, Milder, Vornehmer – und wie gut und zärtlich und nachsichtig wärst Du mit mir... Dann dieses Leben – so reich an den erhebendsten Interessen: zusammen arbeiten, zusammen reisen und einander lieben, lieben dürfen – so warm, so leidenschaftlich, so süß ... Das Anrecht zu solcher Wonne könnte so ein goldener Reif verleihen, während dieser auf ihrem Finger – – Mit einer Bewegung des Abscheus streifte sie den Ring herab und ließ ihn in eine nahestehende Schmuckschale fallen.

Bei Tisch waren alle Hausgenossen versammelt. Von den inneren Kämpfen, welche einige unter ihnen in den letzten Tagen bestanden, war an der Oberfläche nichts zu sehen. Es wurde mit der scheinbar größten Ruhe eine bald lebhafte bald gleichgültige Unterhaltung geführt; – daß hier eine unglückliche Ehe und eine noch unglücklichere Liebe waltete, das hätte kein Unbetheiligter merken können.

Eva saß zwischen Ralph und Doktor Söller. Letzterer trug die größten Kosten der Unterhaltung: er erzählte allerlei Episoden aus seinem zwanzigjährigen Aufenthalt in Rußland; auch in Sibirien war er gewesen – nicht als politischer Verbrecher, wie Fräulein Ottilie erschrocken fragte – sondern als Leibarzt des Militär-Gouverneurs.

Nach Tisch setzte sich dieselbe scheinbar Unbefangenheit fort. Hartung und Eva spielten Klavier; Ralph und Doktor Söller machten eine Partie Schach – Robert und der Hofmeister im anstoßenden Billardsaal eine Partie Billard. Die Jünglinge zogen sich früh in ihr Studirzimmer zurück, da sie beide noch – die armen Schlucker – für morgen sechs Seiten Griechisch vorzubereiten hatten. Nach zehn Uhr ward aufgebrochen, um schlafen zu gehen.

»Auf ein Wort, Eva!« Ralph zog die junge Frau in eine Fensternische. »Du verschließest Deine Zimmerthür des Nachts?«

Eva blickte bestürzt auf.

»Ich frage wegen – Robert.«

»Er kommt nicht –«

»Thut nichts. Schiebe doch den Riegel vor. Er darf Dir nie mehr in die Nähe kommen, hörst Du – nie mehr.«

»Gewiß nicht. Meine Thür ist verschlossen.«

»Gut.« Er trat wieder in das Zimmer zurück; die Unterredung war aus.

Man wünschte sich gegenseitig »Gute Nacht« und ging auseinander.

Nachdem sie ihre Kammerjungfer entlassen, verschloß Eva selber die Thüre ihres Schlafzimmers, welche gegen ihren kleineren Salon führte; die zweite Thüre, hinter welcher das Ankleidekabinet lag, das seinerseits an das Jungfernzimmer stieß, brauchte nicht abgesperrt zu werden.

Eva legte sich zu Bett. In der vorigen Nacht hatte sie so wenig geschlafen, daß sie sich heute abgespannt und müde fühlte und von den kommenden Stunden sich Ruhe versprach. Sie schlief auch schnell ein. Aber plötzlich erwachte sie mit einem jähen Schreck.

Was war das? ... Ein Geräusch? ... Ihr Athem stockte.

Ja, ein leises Klopfen an der Salonthür.

Das Zimmer war von einer Nachtlampe nur schwach erhellt, aber genügend, um auf der nebenan liegenden Uhr die Zeiger sehen zu lassen. Ein Uhr ...

Das Klopfen dauerte fort; dazwischen auch ein Rütteln an der Schnalle. Vermuthlich Robert. Das Beste war, still bleiben – er würde schon wieder fortgehen.

Der Klopfende aber ging nicht. Immer lauter und ungeduldiger wurde das Pochen und das Rütteln.

Ein kalter Schauer lief über Evas Rücken. Wie, wenn die Thür etwa nachgäbe? Sie stieg aus dem Bette, schlüpfte in ihren Schlafrock und, die Hand an den Glockenzug legend, horchte sie weiter.

Der draußen fing an, mit den Fäusten loszuschlagen. Noch ein paar solche Schläge, und die Thür mußte nachgeben. Der Angstschweiß trat auf Evas Stirn. Diese Furcht – vor dem eigenen Gatten ... Nein – das konnte in Zukunft nicht so fortgehen ...

Jetzt erhoben sich andere Geräusche im Hause. Man hörte eine Thüre knarren und Schritte auf der Treppe. Vermutlich hatte das unbändige Klopfen noch einen anderen Hausgenossen aufgeweckt. Wie es schien, hatte aber auch der Klopfende die sich erhebende Unruhe vernommen und er hörte auf zu poltern.

»So mach' doch auf – sei nicht fad,« rief er mit lallender Stimme.

Richtig – Robert. Und richtig – wieder in betrunkenem Zustande. Eva blieb regungslos.

»Du, ich hab Dir was Wichtiges zu sagen.«

Sie antwortete nicht.

Da klirrte er noch ein paar Mal an der Thürschnalle, und dann ging er davon, mit schwankenden Schritten und gemurmelten Verwünschungen, die man nach und nach verhallen hörte.

»Gottlob!« athmete Eva auf. Sie klingelte ihrer Kammerjungfer.

»Ich bitte Dich, Netti, gieb Dein Bettzeug auf jenen Divan und schlafe hier – mir ist heute so bang allein.«

Das Mädchen that, wie ihr befohlen, und jetzt schlief Eva beruhigt ein.


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