Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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VI.

Noch immer am Tage der Ankunft des jungen Paares in Großstetten.

Die Kammerjungfer trat ungerufen in Evas Sitzzimmer.

»Frau Gräfin, es wäre Zeit zum Toilettenmachen – in einer halben Stunde wird gespeist.«

Eva fuhr aus ihren Träumereien empor. Sie hatte die ganze Zeit beim offenen Fenster gesessen, die Blicke nach dem Park gerichtet, die Gedanken mit allerlei Vergangenheits- und Zukunftsbildern beschäftigt. Alle die vorhin erzählten Begebenheiten hatte sie in ihrem Gedächtniß vorbeiziehen lassen und sich die Frage daran geknüpft: »Was nun – was nun?« Denn jetzt erst stand sie eigentlich an der Schwelle ihres verheiratheten Lebens: sie war zu Hause. Die Hochzeitsreise war doch nur ein Interim gewesen, so zu sagen eine Vorrede – noch dazu eine ziemlich undeutlich abgefaßte Vorrede – zu dem Buche ihrer Zukunft. Im Grunde genommen konnte sie die nächste Zeit auch noch als eine Art von Interim betrachten, denn noch sollte sie ja nicht ihrem eigenen Haushalt vorstehen, sondern hier, sammt ihrem Mann – als Gast bleiben, bis Robert genug von der Wirtschaft erlernt hätte, um die selbstständige Verwaltung eines der Herrschaft Großstetten einverleibten Gutes zu übernehmen. Dieses Gut – Roßdorf mit Namen – sollte ihm dann als Eigenthum überlassen werden und dem jungen Paar als Aufenthalt dienen. Das darauf befindliche – seit Langem verwahrloste – Schlößchen mußte übrigens erst ganz her- und eingerichtet werden; eine Arbeit, deren Inangriffnahme für das kommende Frühjahr bestimmt worden war. Aber einerlei: wenn sie hier auch nicht des Hauses Herrin war, so war sie darum nicht minder daheim. Sie befand sich nunmehr im Kreise ihrer neuen Familie, und es lag ihr die Aufgabe ob, die Glieder dieser Familie liebzugewinnen und sich bei ihnen beliebt zu machen. Ersteres würde ihr nicht schwer fallen – ein paar liebenswürdigere Menschen als die alte Gräfin Siebeck und deren Sohn konnte man sich kaum vorstellen – wäre Robert nur halb so!

Bei diesen Gedanken war sie angekommen, als die Mahnung der Kammerjungfer sie herausriß. Sie stand auf:

»Schon, so spät?«

Jetzt steckte auch Irene den Kopf zur Thüre herein:

»Eva, mache Dich recht schön!« rief sie. »Wir haben Besuch bekommen, die Dürenbergs aus Dornegg ... Natürlich bleiben sie zum Speisen, und da muß man Staat machen... Beeile Dich, ich muß, wieder fort, der Großmama helfen, mit den Gästen liebenswürdig zu sein.«

Nachdem Eva ihre Toilette beendet, ging sie zur Thüre von Roberts Zimmer. Sie wollte nicht allein hinaufgehen.

Sie klopfte. »Robert, bist Du da, und bist Du fertig?«

Als Antwort ertönte ein mächtiges Aahh, wie ein Gähnen im Löwenkäfig.

Da öffnete Eva die Thür. Robert erhob sich eben von seinem Sopha, hie Arme, streckend:

»Aahh«– gähnte er noch einmal, »die Landluft macht müde ... ich hab' famos geschlafen... Wie spät ist's denn?«

»Gleich sechs –Du mußt dich anziehen.«

»Ah, warum nicht gar! Wozu wird man denn en famille solche Geschichten machen? Du hast, Dich auch viel zu sehr aufgedonnert... aber steht Dir gut, das weiße Spitzenkleid und die gelben Rosen... Bist doch ein hübsches Weiberl. Komm – laß Dir ein Bussel geben.«

»Keine Zeit – Du mußt Dich schnell anziehen. Dürenbergs sind da.«

»Was? Hol' sie der Kukuk! Gar zu dumm – am ersten Tag, wenn man nach Haus kommt, gleich solcher Ueberfall ... Wer ist denn alles da – die Alten oder die Jungen?«

»Ich weiß nicht – ich habe niemand gesehen. Irene sagte mir nur: Dürenbergs aus Dornegg seien da – da heißt es Staat machen!«

»Natürlich – die größten Thiere aus der Gegend – nochmals: Hol sie der Kukuk! Geh voraus – sie läuten schon – ich komme in ein paar Minuten nach.«

»Ich werde warten; ich möchte lieber mit Dir zugleich–«

»Ach was, wir werden doch nicht Arm in Arm aufziehen sollen. Du weißt, ich kann solche Sachen nicht leiden. Geh nur.«

Den erbetenen Kuß hatte er wieder vergessen.

Eva gehorchte und begab sich, obwohl ihr dies einigermaßen peinlich war, allein in den Salon.

Hier fand sie – außer den Hausgenossen – drei fremde Personen, mit welchen sie jedoch gleich bekannt gemacht wurde:

Fürst Dürenberg – ein äußerst vornehm aussehender Herr von etwa 66 Jahren; die Fürstin, seine Frau, um acht Jahre jünger, mit Spuren großer Schönheit; Gräfin Liuba Dürenberg, geborene Gräfin Barenkow 28 Jahre, unregelmäßiges, aber pikantes Gesicht, schlanke, anmuthige Gestalt deren verwittwete Schwiegertochter.

Nachdem die Vorstellung vorüber, und einige Phrasen über die stattgehabte Italienreise, über die hiesige Gegend und dergleichen getauscht worden waren, fand Ralph Siebeck Gelegenheit, indem er mit seiner Schwiegertochter auf den Balkon hinaustrat, ihr über die Familie Dürenberg nähere Auskunft zu geben.

»Der alte Herr war ein Freund meines Vaters,« berichtete er. »Mich hat er als kleinen Buben gekannt und flößte mir damals große Furcht ein. Noch immer habe ich eine gewisse Scheu vor ihm, und nur selten nehme ich mir heraus, ihm zu widersprechen, obwohl alle seine Ansichten so grundverschieden von den meinen sind und er jede Gelegenheit wahrnimmt, dieselben herauszukehren. Er hält sich für unfehlbar. Natürlich ward er in dieser Meinung durch den Respekt bestärkt, der ihm allseitig gezeigt wird. Er ist ein gar großer Herr – weiß es, daß er es ist, und ist stolz darauf. Seine Besitzthümer erstrecken sich über viele Quadratmeilen und übertreffen an Größe so manches souveräne Fürstenthum. Erbliches Mitglied des Herrenhauses – also Mitlenker der österreichischen Geschicke; einstiger Minister – daher in politischen Dingen noch immer einflußreich; gern gesehen bei Hofe: Geheimer Rath, Devotionsritter des Malteser-Ordens, Oberst-Erblandmarschall in Krain und der Windischen Mark, Ritter des Ordens vom goldenen Vließ – mit regierenden Häusern verschwägert – was willst Du noch mehr? In seiner, Gesinnung von feudalster, klerikalster Richtung – aber das verstehst Du nicht ... von Politik hast Du keine Ahnung, nicht wahr, Du Glückliche? Mir ist, als ob ich die Hände aufs Haupt Dir legen sollte und beten, daß Gott, Dich erhalte u. s. w. denn Politik ist schon das Allerlebensverbitterndste und Seelenverkleinerndste, was es giebt ... Und, die Fürstin? Die war eine große Schönheit. Ganz Wien lag auf den Knien vor ihr. Führte großes Haus – Tonangeberin der Mode – hat sich ziemlich viel den Hof machen lassen. Du mußt wissen, wenn man einer unauffallenden, in bescheidenen Verhältnissen lebenden Frau einen Liebhaber nachweisen kann, so giebt das der Gesellschaft willkommenen Anlaß, ihre strengen Tugendgrundssätze zu betätigen und die Schuldige herauszuwerfen; sind aber die Liebschaften einer hochstehenden, »in der Mode seienden« Frau so mannigfaltig, daß sie sich gar nicht mehr aufzählen lassen, dann wird mit verständnißvoll-nachsichtigem Lächeln die Phrase in Umlauf gebracht, »die So und So läßt sich viel den Hof machen« – und das hat weiter nichts Ehrenrühriges an sich. Auch der Gatte erscheint in keinem schiefen Lichte. Einen beglückten Nebenbuhler müßte er allerdings umbringen – das forderte die »Welt« – aber Hekatomben? Dazu hat er nicht Zeit, zumal wenn er Minister und Reichsrath und Parteiführer und Besitzer großer Ländereien ist. Er vertritt die höchsten Staatsinteressen – sie amüsirt sich, es ist alles in der Ordnung. Nun – jetzt ist das vorbei; Fürstin Dürenberg hat weiße Haare, das Hofmachenlassen gehört der Vergangenheit an, und wer davon erzählt hat nicht das Bewußtsein »böse Zunge« zu sein – ich auch nicht in diesem Augenblick, sondern bekundet nur zeitgeschichtlichen Sinn. Und nun die Schwiegertochter – die interessante Liuba? Eine Russin. Dürenbergs ältester Sohn, Graf Hugo, welcher der Botschaft in Petersburg zugetheilt war, vermählte sich dort mit einem Ehrenfräulein der Zarin – der hier anwesenden Liuba Mikaelowna. Vor sechs Jahren ist Graf Hugo gestorben, und die junge Wittwe bringt alljährlich ein paar Monate bei ihren Schwiegereltern zu. Die übrige Zeit fliegt sie – in Begleitung einer alten russischen Verwandten – in Paris und Petersburg, Nizza und Livadia herum. Vergnügungssüchtig und romanhaft ist sie, höchst launenhaft; bald von schwarzer Melancholie, bald von ausgelassener Lustigkeit. Ein gutes Ding, im Grunde genommen; große Thierfreundin; besitzt unzählige Hunde und Pferde, mit welchen allen sie auf freundschaftlichem Fuße verkehrt; Menschenfreundin ist sie dabei auch – leidenschaftliche Krankenpflegerin; wo es etwas zu warten, zu mediziniren, zu verbinden giebt, da ist sie gleich zur Hand. Für jedes Elend hat sie Herz und Beutel offen. Sie ist auch Künstlerin in manchen, Stunden – nicht ausdauernd. Wenn sie der Raptus erfaßt, so macht sie sich ein oder zwei Wochen lang fieberhaft an die Arbeit und malt und meißelt ohne Rast – jedoch nur Thierstücke, Hunde und Pferde in allen erdenklichen Stellungen. Wenn Du nach Dornegg, kommst, wird sie Dich ihre Studien wohl sehen lassen. Sie ist nicht ohne Talent; nur haben alle ihre Hunde einen Gesichtsausdruck, so weise und nachdenklich, wie Minervas Eule, während ihre Pferde sämmtlich schalkhaft zu lächeln scheinen. Sie liest viel, aber ohne Auswahl – am liebsten französische Romane gewagten Inhalts, und wenn man ihr ein Buch empfiehlt, so fragt sie: »Ist Liebe drin?« Abergläubisch ist sie wie eine Steppenbäuerin; den heiligen Alexander Newsky betrachtet sie als ihren untrüglichen Schutzpatron; das hinderte aber nicht, daß sie in Paris den Umgang des Ketzers Renan aufsuchte und ganz entzückt ist von diesem »reizenden« Akademiker. Nicht viel Folge in den Ideen, mit einem Wort, aber sehr empfänglichen, lebhaften – nur zu lebhaften Geistes. Kein so ruhiges, klares, gleichgewichtiges Wesen, wie das Deine mir zu sein scheint, Evinka.«

Eva blickte dankend zu dem Sprecher auf, aber mit einem leisen verneinenden Kopfschütteln, – sie fühlte sich durchaus nicht so ruhig, so ins Gleichgewicht gebracht, wie Ralph ihr dies zutraute.

Dieser fuhr fort:

»Gräfin Liuba besitzt auch ein Kind – aber ihr Muttersinn ist nicht stark entwickelt. Ihr Knabe, der Dürenbergsche Majoratserbe, wurde von den Großeltern völlig in Beschlag genommen. Er ist das ganze Jahr bei ihnen. Für die reiseliebende Liuba ist diese Einrichtung viel bequemer. Uebrigens ist der kleine Sergei – er zählt jetzt neun Jahre – das schlimmste Kind, das man sich denken kann. Und häßlich und skrophulös, glaube ich – kurz, man kann sogar eine Mutter entschuldigen, ein solches Geschöpf nicht besonders lieb zu haben.«

»Mangel an Schönheit und Gesundheit würde mir ein Kind nur desto rührender und darum vielleicht um so theurer machen,« widersprach Eva, »und was das Schlimmsein anbelangt, so trägt vielleicht die Vernachlässigung von Seiten der Mutter die Schuld daran.«

»Du kannst Recht haben. Die Großeltern verderben den Kleinen. Sein Rang als künftiges Haupt des erlauchten Hauses flößt ihnen solchen Respekt ein, daß sie alle seine Unarten angehen lassen. Ach – überhaupt ... wie wenig Leute haben von Erziehung einen Begriff! ... Höchstens, daß sie ihre Kinder großziehen, aber erziehen? ...«

Ein Gedanke flog Eva durch den Sinn: Hast Du Ro–« begann sie, aber bei dieser Silbe brach sie mit einem Hüsteln ab. Ralph hatte jedoch verstanden.

»Ob ich Deinen Mann erzogen? – Nein. Einfür allemal: nein. Doch auf Dürenberg zurückzukommen ... Liubas Gatte war nicht der einzige Sohn. Es ist ein zweiter da. Du wirst ihn auch kennen lernen. Gegenwärtig ist er in Prag – doch im Herbst zur Jagdzeit, kommt er gewöhnlich auf ein paar Wochen nach Dornegg. Ein liebenswürdiger, verführerischer Mensch – ungeheures Glück bei Frauen ...«

Die Flügelthüren zum Speisesaal wurden geöffnet, und die alte Gräfin Siebeck nahm des Fürsten Arm. Ralph mußte seine Schwiegertochter stehen lassen und sein Geleite der Fürstin anbieten, während die Ehre, Gräfin Liuba zu führen, dem mittlerweile hinzugekommenen Robert zufiel.

Irene schob Evas Arm unter den ihren.

»Komm' Du mit mir, Eva – wir wollen auch mit einander beim untern Tischende sitzen, nicht? Dort oben, wo die pompöse alte ministerielle Durchlaucht haust, geht es gar so steif und öde zu ... da spricht man nur von innerer und äußerer Politik.«

Aber dieses Vorhaben ward vereitelt. Eva, als die eben erst heute in ihr neues Heim eingezogene Schwiegertochter, war noch ein viel zu gefeierter Gast, um an dem unteren Ende des Tisches Platz nehmen zu dürfen. Die Sitze waren schon zum Voraus bestimmt, und Eva wurde an die Seite des Fürsten gewiesen. Ralph, zwischen den beiden fremden Damen, saß Eva schräg gegenüber; an der anderen Seite Liubas befand sich Robert. Die junge Gräfin unterhielt sich viel angelegentlicher mit dem Vater als mit dem Sohne Siebeck. Einen Augenblick fuhr es durch Evas Sinn: »Wer weiß, ob diese Russin nicht deine Schwiegermutter werden wollte – werden wird? ...« Aber, nein – die Art und Weise, wie Ralph von ihr gesprochen, deutete auf eine solche Möglichkeit nicht hin.

Das große Wort während der ganzen Mahlzeit führte Fürst Dürenberg; und wie Irene richtig vorhergesagt, zumeist über Politik. Anfänglich hatte er sich zwar Mühe gegeben, mit der Jungvermählten, an deren Seite er saß, eine Unterhaltung anzuknüpfen, und sie um Einzelheiten ihrer Italienreise ausgefragt; aber nachdem aus diesem Anlaß die Person des Papstes erwähnt worden, war der Uebergang zu dem Lieblingsthema geboten, und Fürst Dürenberg ließ diese Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne seine Ansicht kundzugeben, daß die Wiederherstellung der weltlichen Macht des heiligen Stuhles ein dringendes Erforderniß der Zeit sei. Darauf hatte Ralph Siebeck einen leisen Widerspruch erhoben, und damit war das politische Gespräch in das schönste Fahrwasser gebracht.

Der alte Herr war päpstlicher als der Papst, kaiserlicher als der Kaiser. Er hätte dem Einen gern sein Territorium und dem Anderen seine absolute Macht zurückgegeben. Das Wort »zurück« bildete überhaupt den Schlüssel zu allen seinen politischen Idealen. Das Jahr 48 aus der österreichischen Geschichte streichen können, die Vorrechte des Adels, die Robote, die Zünfte, die militärische Prügelstrafe und dergleichen wieder hergestellt zu sehen, das hätte seinen Wünschen entsprochen. Er erinnerte sich noch der Zeit, da die Bewohner seiner zahlreichen Herrschaften seine »Unterthanen« waren, und den Verlust jenes »verherrlichen, sozusagen königlichen Bewußtseins beklagte er noch immer. Was die ganze Richtung seiner politischen Meinungen und Bestrebungen abgab, war ein intensives Standesgefühl – esprit de corps –, und von diesem Standpunkt aus war seine Verherrlichung der Vergangenheit, sein Trachten, wenigstens das zu erhalten und vor weiterer Zerstörung zu schützen, was aus der Vergangenheit noch vorhanden ist, – mit einem Wort, war sein reaktionärer Konservatismus ein berechtigter. Was aber der Berechtigung mangelte, das war die Annahme, daß in unseren Tagen die Politik noch das Feld sei, wo Jeder die Interessen seiner Kaste zu vertreten verpflichtet ist; wo jede Frage – ob religiös, ob wirthschaftlich, ob national – nur in Hinblick auf den größeren Ruhm und Glanz der eigenen Standesgenossen betrachtet und gelöst werden soll. Selbstverständlich vermied es Dürenberg, diese wahre Grundlage seiner Parteistellung Anderen – und vielleicht auch sich selber – einzugestehen; er gab vor, oder er glaubte sogar, indem er die alte Weltordnung vertheidigte, daß er die Interessen der Civilisation, das Allgemeinwohl, die sogenannten »höchsten Güter der Menschheit« vertrete. Die Leute waren ja alle viel zufriedener und wohlhabender ehedem; wie blühte das Handwerk zur Zeit der Innungen; wie anspruchslos und glücklich lebte der zehentzahlende Bauer auf seiner Scholle; wie viel andächtiger und züchtiger war die ganze Bürgerschaft und wie viel mächtiger und glänzender die Säulen der Gesellschaft: Adel, Kirche und Thron. Kurz, wenn man Dürenberg sprechen hörte, so war es, als sei er – im Gegensatz zu den Liberalen, die es nur auf Umsturz, Untergrabung und Aufwühlung abgesehen haben – zum Hüter des Weltwohls bestellt, als wäre sein ganzes Streben nur auf Abwehr der im Gegenlager entfesselten Vernichtungswuth gerichtet.

Die Widersprüche, welche Ralph erhob, waren mehr in leichtem und spöttischem Tone gehalten; er deklamirte nicht, er gebrauchte keine der üblichen Schlagworte. Zu seinen Aeußerungen hätte nicht – wie zu Dürenbergs Rhetorik – das Geberdenspiel von segnend ausgestreckten Händen oder drohend geballten Fäusten, sondern einfach ein leises Achselzucken gepaßt.

Eva gab sich keine Mühe, dem Gespräche – sobald es auf das politische Gebiet gelenkt worden war – weiter zu folgen; nur einzelne Worte schlugen ihr ans Ohr, und da mußte sie zugeben, daß Dürenberg. sehr vornehme und edle Dinge zu vertheidigen schien: Glauben, Pflichttreue, Achtung vor dem Gesetz, Genügsamkeit, Loyalität – kurz ein Haufen Tugenden. Doch wenn Ralph mit seinem seinen Lächeln ein paar kurze Gegenbemerkungen machte, dann schien es ihr wieder, als wäre der ganze Tugendgehalt aus dem hohlen Phrasengelüste weggeblasen.

Die Damen nahmen an der Diskussion nicht theil;, nur Fräulein Ottilie von Otterfeld – die ältliche Verwandte – schaltete hin und wieder zustimmende oder abweichende Phrasen ein, aber so wenig zu dem Vorhergesagten stimmend, so sinnentbehrend, daß Eva sie immer ganz überrascht ansah, sie habe falsch verstanden. Die Andern nahmen von Fräulein Ottiliens Aeußerungen keinerlei Notiz.

Einmal gab auch Robert seine Meinung ab. Da horchte Eva gespannt auf; das ging ihr doch zu nahe – zu hören, was ihr Mann über ernste Dinge dachte.

»Wenn ich Regierung wäre,« sagte er mit noch schleppenderem Ton als gewöhnlich, »ich ließe alle Raisonnirer krumm schließen und alle Zeitungen verbieten; das Gewäsch, welches von dem Oppositionsgesindel geredet und von den liberalen Preßjuden gedruckt wird, ist doch nur an der ganzen Schlamastik schuld ... Disziplin muß sein – das hab' ich beim Regiment gelernt ... Das wäre eine saubere Wirthschaft, wenn da über jeden Rockknopf und über jeden Pferdestriegel erst in den Kasernen parlamentirt würd' ... herunterreißen die Plauschbude am Schottenring, das war das Allerbeste. Wenn die Radikalen –«

»Ach bitte, bitte, wechseln wir von Konversation,« unterbrach Liuba in ihrem eigenthümlichen, theils aus dem Russischen, theils dem Französischen übersetzten Deutsch – »wie langweilig! Ich liebe besser zu reden von schönem Wetter und von Regen, als von Parlamenten und Minister.«

»Sie haben Recht, liebe Gräfin,« stimmte die Hausfrau bei. »Politik sollen die Männer reden, wenn sie unter sich sind. Ich begreife es ganz gut, daß diese höchsten und wichtigsten Angelegenheiten für die Herren den beliebtesten Gesprächsstoff abgeben ... aber, da Frauen nichts davon verstehen – sollte man füglich aus Rücksicht ... und dann: das Politisiren artet fast immer in Streit aus ... es giebt gar so verschiedene Ansichten, und Keiner überführt den Andern ... Jede Meinung ist ja respektabel – im Grunde wollen doch alle nur das Beste ... aber in unserer unvollkommenen Welt läßt sich das nicht erreichen.«

»Man muß daher trachten,« entgegnete Dürenberg, »die Welt vollkommener zu machen; und das kann nur durch Rückkehr zu den gesunden Prinzipien geschehen, durch Festigung der Religion, durch staatsgrundsätzlich gewährleistete –«

»Wahrhaftig,« sagte die Fürstin zu ihrem Mann. »Du könntest Deine parlamentarische Beredsamkeit für die nächste Sitzung sparen. Und um nun wirklich von etwas Anderem zu reden: Hören Sie, Robert ich muß Ihnen nochmals gratuliren. Die ganze Zeit schaue ich mir Ihre junge Frau an, die ist ja einfach ein kleines Prachtstück ... O, Sie müssen nicht so erröthen, Emma – oder, wie heißen Sie – Eva? ... und nehmen Sie mir nicht übel, daß ich Sie gleich bei Ihrem Taufnamen anrede, aber ich habe ja Ihren Mann gekannt, wie er ein Wickelkind und ein kleiner Bub war, ein recht schlimmer Bub. Und als alte Frau, die einmal selber schön gewesen – Sie sehen mir's vielleicht nicht an? – betrachte ich alle Schönheiten sofort als meine Adoptivtöchter; hoffentlich kommen Sie uns bald besuchen in Dornegg?«

Eva konnte nur sich lächelnd verneigen und danken.

Nach aufgehobener Tafel begab sich die Gesellschaft in den Garten. Von dem Plätzchen aus, wo man sich niederließ, um den schwarzen Kaffee zu trinken – ein von Blumenbeeten umgebenes offenes Zelt – sah man vor sich das Schloß und seitwärts, etwas entfernter, den Teich, aus dessen Mitte ein hoher Springbrunnen aufstieg. Auf der andern Seite, hinter dem eisernen Parkgitter, stand, schon zur Heimfahrt bereit, der Dürenbergsche Wagen. Der Widerschein der untergehenden Sonne brannte in den Spiegelfenstern der Schloß-Fassade, warf wechselnde Lichter auf den sprühenden Wasserstrahl und fing sich in beweglichen Funken auf den vergoldeten Spitzen der Gitterstäbe und dem Geschirr der dahinter sichtbaren Wagenpferde. Auf den glattgeschorenen Rasenflächen war so tiefes und so leuchtendes Grün ausgebreitet, daß Dr. Hartung, welcher Landschaftsmalerei betrieb, ausrief:

»Bitte, meine Herrschaften, sehen Sie diese Beleuchtung an ... unmöglich, so etwas auf einem Bilde wiederzugeben, jeder Beschauer würde sagen: »Das ist zu stark aufgetragen.«

»Malen ist eine große Kunst,« bemerkte Fräulein Ottilie darauf, »ja, eine sehr große Kunst, Herr Doktor, da haben Sie ganz recht. Ich habe einen Onkel gehabt, der hat auch ein spinatgrünes Bild in seinem Zimmer hängen gehabt, aber malen kann nicht jeder Mensch.«

Ralph und Liuba lustwandelten neben einander in einiger Entfernung von dem Zelte. Eva hatte ihnen die ganze Zeit nachgeschaut. Jetzt kamen sie an den Rand des Teiches. Er bückte sich, um ein Boot von der Kette loszumachen. Dann reichte er Liuba die Hand und half ihr einsteigen. Auch das gab – da schon von Bildern die Rede gewesen – auch das gab ein hübsches Bild. Der hochgewachsene schlanke Mann, die zarte, von lichtem Sommerkleide umflossene Figur der Frau, die auf dem vorgestreckten Arm des Andern gestützt, vorsichtig den Fuß auf den Boden des Bootes setzt – beide sich abhebend von dem Grün einer großen, ihre Zweige in das Wasser tauchenden Trauerweide.

»Liuba, Liuba,« rief die Fürstin, indem sie aufstand. – »Es ist angespannt – komm.«

Aber die dort hörten nicht, oder wollten nicht hören. Liuba war schon in der Barke und setzte sich zurecht; Ralph stieß ab und begann zu rudern. Jetzt ging die ganze übrige Gesellschaft zu dem Teiche hin. Am Ufer angelangt, wiederholte die Fürstin ihren Mahnruf zum Aufbruch. Das Boot befand sich am andern Ende des Teiches; Ralph lenkte um, und nach ein paar Minuten ward an der Stelle gelandet, wo die Gesellschaft stand.

»Ach wie schön, wie schön,« sagte Liuba, indem sie ausstieg, wobei in einem Gewirre von Spitzen ein hübsches Füßchen in Goldlackschuhen zum Vorschein kam. »Ach wie schön, aber zu kurz ... Ein ander Mal, Graf Siebeck, müssen wir eine Stunde auf dem Wasser promeniren.

»Es ist schon angespannt,« wiederholte die Fürstin zum dritten Male. »Wir müssen fort, wenn wir noch vor der Dunkelheit in Dornegg ankommen wollen.«

Den Gästen wurde das Geleite bis zum Wagen gegeben. Allgemeines Verneigen, Empfehlen, Händeschütteln und Aufforderungen, sich recht bald in Dornegg sehen zu lassen.

Die Zurückbleibenden winkten den Davonfahrenden nach, so lange diese noch in Sicht waren. Und nachdem die Dürenbergsche Equipage um die Straßenecke gebogen:

»Was geschieht jetzt?« fragte die Großmama. »Es ist so schön – wäre es nicht schade, schon in die Zimmer zu gehen? Du solltest mit Deiner Frau noch einen Spaziergang machen, Robert – zeige ihr ein wenig unsere Gegend.«

»Ich bin heute Vormittag genug herumgestiegen,« antwortete der junge Mann in müdem Tone. Dann fügte er etwas lebhafter hinzu: »Sie sieht gut aus, die Liuba – ist seit zwei Jahren hübscher geworben ... dagegen ist die Alte ganz zusammengeknickt, und er, der Dürenberg, ist immer derselbe Plauscher ... Im Ganzen eine fade Geschichte, dieser Besuch, noch dazu am ersten Tag ...«

Eva näherte sich ihrem Manne:

»Wenn Du zu müde bist, spazieren zu gehen, möchtest Du nicht eine kleine Kahnfahrt mit mir machen? ... ich bin vorhin der Gräfin Dürenberg neidig geworden ... Komm, rudere mich ein wenig herum, ich bitte schön, Robert.«

»Warum nicht gar – rudern. Das ist ja noch anstrengender als gehen und fad obendrein. Doktor, kommen Sie, wir wollen mit einander eine Partie Billard machen, das wird uns erfrischen.« Und indem er sich in Doktor Hartung einhängte, zog ihn Robert mit sich fort.

Eva blieb auf dem Platze stehen, und um ihren Mund zuckte es schmerzlich. Wahrlich – sie brauchte ihrem Manne gegenüber nur einen Wunsch zu äußern, damit demselben nicht entsprochen werde.

Ralph Siebeck trat neben sie hin.

»Laß mich Dein Ruderer sein, Evinka,« sagte er. »Dieser Besuch hat mir ohnehin die Möglichkeit geraubt, mich Dir zu widmen, wie ich gewollt, an diesem ersten Tage. Deines Daheimseins. Wir haben heute nach dem Frühstück so gemütlich zu plaudern begonnen – das hoffte ich bei Tisch fortsetzen zu können; statt dessen mußte ich mit dem grimmigen Reaktionär politische Lanzen brechen und die launenhafte Russin auf den Fluthen schaukeln. Und da Du sie um letzteres Vergnügen beneidet hast, so will ich es Dir jetzt auch angedeihen lassen.«

»Es war doch nicht nur ihr, sondern auch Dir zum Vergnügen, mein verehrter König. Ich bemerkte, daß –«

»Was bemerktest Du und warum hältst Du inne?«

»Weil ich eigentlich nichts bemerkt habe, und weil es recht unbescheiden und recht keck von mir wäre, mir meinem Herrn Schwiegervater gegenüber Bemerkungen und Beobachtungen zu erlauben,«

»Ja,« lachte Ralph, »Du mußt vor mir immer sehr respektvoll und demüthig und ängstlich sein, ich bin ein gar gestrenger alter Herr. Dagegen würde ich Dir rathen, Dich Deinem Mann etwas energischer zu zeigen. Du hättest ihn um die Ruderpartie nicht bitten sollen, sondern einfach dieselbe anbefehlen. Und ihm hätte es eine Gnade sein sollen. Du wirst ihn ein wenig erziehen müssen, Eva.«

»Wenn Du mir helfen wolltest ... doch Du sagtest mir ganz ausdrücklich, daß Du Robert nicht erzogen hast –«

»Der Einfluß einer geliebten Frau wiegt zehn Väter und ebensoviele Hofmeister auf. –«

»Geliebt?« hätte Eva gern in zweifelndem Tone gefragt – war sie denn geliebt? Doch sie unterdrückte diese Regung. Es hätte ihr, der Jungvermählten, doch schlecht angestanden, am Tage ihres Einzuges in des Gatten Vaterhaus sich für ungeliebt auszugeben. Es gab ja keine andere Berechtigung für ihre eroberte Stellung in diesem Hause als die von dessen Sohn ihr zugewendete Liebe.

Sie lenkte das Gespräch ab, indem sie Fragen stellte über die sonstige Nachbarschaft von Großstetten. Ralph gab Auskunft: außer mit Dornegg wurde eigentlich gar kein nachbarlicher Verkehr gepflegt. Die Dürenbergschen Besitzungen dehnten sich so weit aus, daß kein anderes bewohntes herrschaftliches Schloß im Umkreise war. Und darüber war er eigentlich nicht böse – was er in Großstetten suchte und liebte, war einsame Ruhe. Wenn er von seinen weiten Reisen und von seinen Aufenthalten in belebten Städten zurückkehrte, so war es ihm angenehm, eine Zeit lang im Kreise seiner Familie und in Gesellschaft seiner Bücher recht ungestört zu bleiben.

So waren sie plaudernd bis an den Rand des Teiches gelangt. Die Anderen hatten sich theils hinaus, gegen den Wald, theils in das Schloß verloren.

Die Beleuchtung war jetzt eine andere geworden. Die Sonne war ganz untergegangen, und über dem Wasser wie auf dem umgebenden Grün lag ein viel sanfteres, milderes Licht als vorher. Schon wehte der sommerliche Abendduft von den Blumenbeeten, von den Jasmingebüschen und den blühenden Akazienbäumen; statt des Amselschlages hörte man nur noch leises Grillenzirpen, vermischt mit dem Plätschern des Wassers und dem eintönigen Rufe der Frösche und Unken.

Ralph kettete die Barke los und half seiner Schwiegertochter schweigend hinein. Und während der ganzen Fahrt blieb das Schweigen ungebrochen. Von ferne her – wie vom Takt der Ruderschläge begleitet – klang das Ave-Maria-Läuten. Tiefdunkel, an manchen Stellen schwarz, spiegelten sich die Ufer in den Fluthen. Ein leiser Windhauch, mit feuchtem Duft beladen, schaukelte die herabhängenden Aeste der Weiden und wehte, als die Barke an dem Springbrunnen vorbeiglitt, ein Wölkchen Wasserstaub den Fahrenden ins Gesicht. Siebeck ruderte zu einer Stelle hin, wo sich der Teich in eine schmale Bucht verlor, welche von den Baumkronen der beiderseitigen Ufer beinahe überwölbt war. Hier war es schier Nacht – aber keine schwarze, sondern eine dunkelgrüne Nacht. Ralph ließ die Ruder ruhen und pflückte ein paar weißschimmernde Wasserblüthen, an welche die Barke streifte. Eva athmete tief auf. Wie schön, wie schön! dachte sie, doch nur im Stillen. Sie wollte das Schweigen nicht brechen, es schien mit zu dem ganzen Zauber der Scenerie zu gehören. Was war es nur – sie wußte es selber nicht –, was in diesem Augenblick, in dieser Umgebung sie erfüllte? Friede oder – Sehnsucht? Wieder mußte sie seufzen. Es war doch Sehnsucht. Ein Verlangen – wonach? Warum hatte nicht ihr junger Gatte sie hierher gerudert – warum war er es nicht, der ihr jetzt die weißen Wasserrosen reichte? Wie hätte sie an seine Brust sich lehnen mögen und Liebesworte flüstern hören. Doch nein, Robert und Liebesworte flüstern, das sah ihm nicht gleich – und gar so sehnsuchtsstillend wäre es nicht, an seiner Brust zu ruhen – nein, auch das wäre noch nicht das Glück, von dem dieses geheimnißvolle dunkle Plätzchen, von dem die träumerischen Nachtstimmen künden. Was für Gedanken und Träume müssen wohl durch den Sinn des Anderen ziehen, daß er auch so regungslos und still da sitzt, daß auch er jetzt schwer und zitternd aufathmet?

Mit diesem Seufzer schien er sich aber aus seinem Sinnen herausgerissen zu haben, denn jetzt setzte er die Ruder wieder an. Die Barke fuhr aus der Bucht heraus, und nach wenigen Minuten stieß sie ans Ufer. Ralph sprang heraus:

»Nimm meine Hand, gieb Acht, nicht auszugleiten...«

»Es war prachtvoll, ich danke Dir, König«, sagte Eva, nachdem sie noch eine Zeit lang schweigend neben ihm gegangen. Sie schritten dem Schlosse zu. Mehrere Fenster waren schon erleuchtet und von der offenen Balkonthür drangen Klavierakkorde heraus.

»Du geh' jetzt noch in den Saal, Eva. Meine Mutter und die Anderen sind da allabendlich versammelt. Gegen zehn Uhr wird der Thee genommen. Ich werde mich hier von Dir verabschieden.« Sie waren unter der Einfahrt angelangt. »Gute Nacht, schlaf wohl, mein Kind.« Er küßte ihre Stirn. »Schlaf wohl und friedlich in dieser ersten Nacht daheim.«

Er verließ sie vor der großen Treppe und begab sich durch den Hof nach dem von ihm bewohnten Flügel. Eva that, wie ihr befohlen, sie ging in den Saal.

Derselbe war durch drei oder vier Lampen erleuchtet. Auf einem Ecksopha hinter einem runden Tisch saßen die alte Gräfin Siebeck und Fräulein von Otterstein, Beide mit Handarbeiten beschäftigt. Irene spielte Klavier. Um einen anderen mit Bücher und Zeitungen beladenen Tisch saßen die beiden Jünglinge – Heinrich und Georg – und ihr Hofmeister, in Lesen vertieft. Robert, nach welchem Eva suchend umherblickte, war nicht da.

Irene sprang vom Klavier auf.

»Ah, Da bist Du! Ich habe Dich in Deinem Zimmer gesucht, wo warst Du denn hingerathen?«

»Ist Robert unten?« fragte Eva zurück.

»Nein. Der wird wohl noch mit Dr. Hartung im Billardzimmer sein.«

»Bringt Dein Onkel König nicht die Abende gewöhnlich hier zu?«

»Sehr selten. Er zieht es vor, in seinem Studirzimmer zu bleiben. Und er hat Recht – ich finde unsere Großstettener Abende von einer unbändigen Langweiligkeit. Ach, wenn ich denke... wären wir in einem Badeort, jetzt wäre die Stunde, Toilette zu machen, um in irgend ein Konzert oder eine dansante zu gehen, dort träfe man Diejenigen, die für Einen schwärmen ... Das ist ja gar kein Leben, wie es hier geführt wird. Erst zur Jagdzeit wird es erträglich.

»Eva, komm hierher zu uns, und Du, Irene, spiele weiter,« rief die Großmama.

Eva verfügte sich an den Tisch, wo die beiden Damen saßen, und nahm bei ihnen Platz.

»Du hättest auch Deine Arbeit mitbringen sollen,« sagte die Gräfin.

»Ich habe keine vorbereitet. Auf der Reise –«

»Ja, das ist wahr – das habe ich nicht bedacht – auf der Hochzeitsfahrt giebt man sich nicht mit Häkeln und Sticken ab.«

»Man kann ja auch stricken oder nähen,« bemerkte Fräulein von Otterfeld, »aber im Ganzen genommen muß es in Italien doch schön sein, nicht? Ich habe in meiner Jugend italienisch zu lernen angefangen – mein Lehrer war ein heruntergekommener marchese. Sind nicht die meisten Italiener mehr oder minder heruntergekommen? Vielleicht von der Hitze, denn wenn die Orangen im Freien reif werden –«

Jetzt ging die Thür auf, und Robert, gefolgt von Doktor Hartung, trat herein.

»Noch nicht zum Thee?« fragte er, sich umsehend. Doktor Hartung näherte sich Eva.

»Ihr Herr Gemahl hat mich schön geschlagen. Der scheint ja beim Regiment und auf seinen Reisen nichts Anderes gethan zu haben, als sich im edlen Billard zu vervollkommnen.«

»Komm, Robert, setz' Dich her zu uns,« sagte die alte Gräfin. »Eva hat schon Sehnsucht nach Dir – und Du gewiß nach ihr!«

Robert aber hörte nicht; er verfügte sich zu dem Tisch, um welchen seine jungen Vettern saßen:

»He, Buben, was treibt Ihr da? Steckt Ihr nicht den ganzen Tag genug in Euren Büchern?«

»Leider Gottes ja!« antwortete Heinrich, der Aeltere, indem er seine Lektüre bei Seite schob. »Ich wollte, ich wäre schon Offizier wie Du – das muß eine Passion sein –«

»Ich bin's nicht mehr – hab' ja quittirt.«

»Wie kann man das? Ich diene bis zum Feldmarschall ... Du weißt, im Herbst komme ich in die Kavallerie-Kadettenschule nach Weißkirchen.«

»So? Gratulire. Und Du, Georg, was ist's mit Dir? Willst Du auch Soldat werden?«

Robert setzte sich zu den jungen Leuten und plauderte mit ihnen weiter. Auch Doktor Hartung und Irene gesellte sich ihnen zu. Eva blieb bei den alten Damen. Eine peinliche Röthe war ihr ins Gesicht gestiegen, als ihr Mann auf den Ruf der Großmutter so gar nicht geachtet hatte und für sie, Eva, nicht ein Wort, nicht einen Blick gehabt ... Und die alte Gräfin glaubte, er hätte Sehnsucht nach seiner Frau ... Schöne Sehnsucht! Und was mußte Großmama denken? Gewiß, daß Robert in seiner Wahl enttäuscht worden, daß die Gattin nicht so liebenswerth, nicht so anziehend sei, wie sie sein sollte ...

Der Abend verging langsam und anregungslos. Eva fühlte sich von den vielen an diesem Tage empfangenen Eindrücken abgespannt; nur mit halber Aufmerksamkeit konnte sie den Mittheilungen lauschen, welche die alte Gräfin ihr machte: Erinnerungen aus dem Leben und Sterben ihrer Tochter, der Mutter Irenens und beider Knaben; die Erziehungsgeschichte der letzteren, und schließlich Anekdoten aus Roberts Kindheit. »Er war ein schlimmer Bub' ... hat noch seine Fehler ... Du wirst ihn erziehen müssen.«

Das war nun heute schon zum zweiten Mal, daß die Zumuthung an sie gestellt wurde, ihren Mann zu erziehen. Noch dazu von Seiten seines eigenen Vaters, seiner eigenen Großmutter. Wäre das nicht eher ihres Amtes gewesen, dieser Beiden?

Etwas vor zehn Uhr ward der Thee hereingebracht. »Wo bleibt denn Ralph?« fragte die Gräfin.

Eva gab Bescheid, daß ihr Schwiegervater sich zurückgezogen habe.

»Wahrscheinlich, um ungestört an Liuba Dürenberg denken zu können,« bemerkte die Gräfin halblaut zu Fräulein Ottilie.

Eva hatte doch gehört – und es berührte sie unangenehm.

Sehr bald nach dem Thee brach man auf. Die Großmama gab das Zeichen:

»Die Reisenden sind wahrscheinlich müde,« sagte sie. »Ralph ist nicht da – musizirt wird auch nicht mehr – also gehen wir schlafen.«

Nachdem man sich getrennt hatte und das junge Paar in seinen Zimmern angelangt war, sagte Robert:

»Leg' Dich nieder, wenn Du Lust hast, ich kann um diese Hühnerstunde noch nicht in's Bett gehen. Vielleicht mach' ich mit dem Doktor noch eine Partie Billard und trink' eine Flasche Wein. Der Großmama ihr Thee ist ein gar zu mattes Geschlader ... Leg' Dich nur nieder.«

Er ging zur Thür.

»Robert!«

»Was denn?« fragte er, die Hand an der Klinke. »Bleibst Du nicht lieber hier? Wir könnten so Vieles plaudern – ich wollte Dir meine heutigen Eindrücke mittheilen und um so Manches Dich ausfragen–«

»Das hat morgen auch Zeit.« Und er ging.

Eva war sehr müde; sie klingelte ihrer Kammerjungfer und begab sich zur Ruhe. Als zwei oder drei Stunden später Robert zurückkam, schlief sie schon fest.


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