Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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III.

Das Regiment des Obersten von Borowetz lag in der Kreisstadt Krems an der Donau. Hier bewohnte er mit seiner Frau eine geräumige und ziemlich elegant eingerichtete, ärarische Wohnung. Der neuen Hausgenossin ward ein großes und behaglich möblirtes Zimmer angewiesen. Das Haus wurde auf verhältnißmäßig großem Fuß geführt: ausgezeichnete Tafel, mehrere Personen Dienerschaft, Equipage, häufig Gäste.

Dorina von Borowetz – eine geborene Südtirolerin – war zweiunddreißig Jahre alt, lebhaft, hübsch, stets nach der neuesten Mode gekleidet. Der Oberst, etwa zehn Jahre älter, hatte ein ziemlich finsteres Aussehen und barsches Wesen. Er schien in seine Frau noch immer verliebt – jedenfalls war er sehr eifersüchtig und ließ diese Leidenschaft öfters durchblicken.

Eva gegenüber zeigte er sich zuvorkommend und galant. – Zu wiederholten Malen dankte er ihr für die Freude und Ehre, die sie seinem Haus erwiesen, indem sie es als Heim erwählt, und sprach die Hoffnung aus, daß sie lange – daß sie immer da bleiben möge.

»Aber mein lieber Borowetz,« bemerkte darauf einmal Dorina, »wie kannst Du glauben, daß man uns so ein hübsches, reizendes Geschöpf auf lange lassen wird? Dein ganzes Offizierkorps wird sie heirathen wollen.«

»Es wäre schon recht, wenn sie sich Alle in sie verliebten,« murmelte der Oberst mit einem finstern Blick auf seine Frau.

»Aha – damit Keiner mir den Hof mache, nicht wahr?« sagte Dorina. »Du mußt wissen, Eva, daß der Mohr von Venedig nebst ein halb Dutzend Tigern aus der einen Waagschale hoch in die Luft flögen, wenn auf der andern mein Gemahl säße. Er würde es wirklich verdienen, betrogen zu werden.«

Der Oberst schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang von seinem Sessel auf.

»Solche Scherze sind sehr unpassend,« sagte er und ging geradewegs zur Thür hinaus, indem er sie lärmend hinter sich zuschlug.

Dorina schaute ihre Freundin fragend an, als wollte sie sagen: Nun, jetzt hast Du's gesehen – wie gefällt Dir das?

Eva schwieg verlegen. Der Auftritt hatte auf sie einen peinlichen Eindruck gemacht.

Die Andere seufzte tief auf:

»Ich glaube, er würde mich tödten, wenn –« Sie hielt inne.

»Da ist wohl keine Gefahr,« meinte Eva. »Du brauchst nur seine Eifersucht nicht zu reizen, und das hast Du – verzeih mir – vorhin mit der Phrase gethan: Er würde wirklich verdienen –«

»Er verdient es auch.«

»Dorina!«

»Schau nicht gar so tugendhaft entrüstet, als ob es in der Welt nicht mehr Ehemänner gäbe, die – doch genug ... Einen großen Gefallen würdest Du mir erweisen, wenn Du ein wenig mit meinem Manne kokettiren wolltest ...«

»Dorina!«

»Wie hübsch mein Name klingt in dem vorwurfsvollen Tone! Ich sehe schon, Du bist eine Anstandsboldin – es wird mich Mühe kosten, Dir von Deiner Steifheit etwas abzuschütteln. Lustig muß man sein – und nicht prüde darf man sein: leben und leben lassen. Dein Gesicht wird immer länger... Es ist ja nicht schlimm gemeint.

»Ich weiß, Du scherzest nur.«

»Aber, wie vorhin mein gestrenger Oberst treffend bemerkte, »solche Scherze sind sehr unpassend,« – wie? Du hast mich freilich, wenn ich bei Deinen Eltern auf Besuch war, nicht von meiner natürlichen Seite kennen gelernt. Diese Beiden – besonders Dein Vater – imponirten mir so gewaltig daß in ihrer Gegenwart meine Art unwillkürlich etwas Nonnenhaftes annahm. Aber mit Dir, Du junges Ding, werde ich mir doch keinen Zwang anthun sollen?«

»Mein Vater war durchaus nicht, wofür Du ihn gehalten zu haben scheinst. Er konnte sehr heiter sein und hatte durchaus nichts Strenges an sich. Daß er Tugend und Ehre und strenge Pflichterfüllung hoch hielt –«

Dorina hob die Arme zum Himmel.

»Da haben wir's! Der reinste Moralpredigtstil. Es fehlt nur noch der »sittliche Ernst« und dergleichen mehr. Ich glaube, darin war Dein Vater groß.«

»Mein Vater war ein braver, edler Mensch,« entgegnete Eva in gekränktem Tone und wie bittend.

»Das bezweifle ich nicht, ich habe ihn sehr gern gehabt, dabei aber ein wenig mich vor ihm gefürchtet ... Hoffentlich werde ich mich nicht auch vor Dir fürchten müssen, wenn Du etwa der zehn Jahre älteren Freundin gegenüber die Lehrmeisterin und Richterin herauskehren wolltest. Du kennst die Welt und die Menschen nicht, außer aus Büchern. Aus diesen hast Du Dir einen idealen Maßstab geholt, der auf das Leben, das wirkliche Leben, nicht paßt – merke Dir das.«

Fortan unterdrückte Eva jede Kritik, obschon Dorinas Benehmen und Aeußerungen ihr häufig zu einer solchen Anlaß geboten hätten. So oft sie etwas verletzte, rief sie sich jene Worte ins Gedächtniß: »Dein idealer Maßstab paßt nicht auf das Leben.« Sollte denn das Leben wirklich so ganz anders – um so Vieles schlechter, niedriger, würdeloser sein als die Vorstellung, die sie sich davon gemacht? ... Nein, nimmermehr! tröstete sie sich ... Es gibt nur verschiedene Menschen. Dorina war ein gutes, angenehmes Ding – nur ein wenig frivol; der Oberst ein heftiger, unliebenswürdiger Charakter; die Leute, die im Hause verkehrten, meist unbedeutende, schwunglose, enggeistige Geschöpfe – aber die Welt barg doch große Seelen und Herzen: dafür bürgten ihr ihr Schiller und ihr Shakespeare. Gewaltige Erlebnisse gab es, erhabene Ziele ... und vor Allem: Liebe ... ach, wann sollte für sie die Stunde schlagen, wo sie auf den Schwingen dieses herrlichen Gefühls zu den lichtesten Lebenshöhen gehoben würde?

Indessen verlief die tägliche Existenz ziemlich prosaisch und inhaltslos. Die Gewohnheitsgäste des Hauses Borowetz erschienen dem jungen Mädchen recht uninteressant. Die Frauen sprachen immer nur von häuslichen Dingen: Dienstbotenkreuz, Kindererziehung oder – wenn sie vornehm waren – von Toiletten: die Herren unterhielten sich mit Jagdgeschichten und – je nach ihrem Stande – von Regiments- oder Büreauangelegenheiten. Aber auch diese Gespräche gaben sie so bald als möglich auf, um sich an die Whisttische zu setzen.

Junge, elegante Offiziere, welche wohl gern das Haus besucht hätten, um der schönen Oberstin zu huldigen, wurden von dem grimmigen Obersten ferngehalten. Dennoch hieß es – selbst Eva, die es natürlich nicht glaubte, war das Gerücht zu Ohren gekommen – dennoch hieß es, daß die fesche Dorina mitunter Gelegenheit gefunden, Liebschaften anzuknüpfen. Selber konnte Eva nichts bemerken, was solchen Verdacht begründet hätte. Unter den Besuchern des Hauses war keiner, den Dorina mehr auszeichnete als die andern, und keiner, der einer solchen Auszeichnung werth erschien. Freilich war Eva nicht immer an Dorinas Seite. Diese besuchte Kasino-Bälle, machte Piknik-Ausflüge zu Wagen und zu Pferde mit, an welchen Vergnügungen Eva, so früh nach dem Tode der Mutter, unmöglich theilnehmen konnte, noch wollte. Im Ganzen war es ein ziemlich leeres und interesseloses Dasein.

Doch plötzlich, oder vielmehr nach und nach war dem jungen Mädchen das Leben dennoch interessant und inhaltsvoll erschienen. Es mochte wohl sechs Monate nach ihrer Ankunft in Krems sein. Seit einiger Zeit, regelmäßig um dieselbe Stunde, ritt an dem Hause ein junger Offizier vorbei, den sie einmal bei einem Abendempfang im Hause gesehen, und der ihr als Lieutenant Graf Siebeck vorgestellt worden war.

Anfänglich hatte sie auf dieses Vorüberreiten nicht geachtet; als aber eines Tages Dorina, welche neben ihr auf dem Balkon stand, bemerkte: »Ah, da höre ich den gewissen Trab – Dein Anbeter kommt,« da war sie aufmerksam geworden.

»Mein Anbeter? Was meinst Du?«

»Offenbar macht Dir der Siebeck Fensterparaden.«

Wie? sollte sich wirklich Jemand in sie verliebt haben? Unnatürlich wäre das eben nicht ... Der Gedanke machte ihr Freude, und von nun an horchte sie selber um die bestimmte Stunde auf, ob der Laut des Pferdetrabes noch nicht zu vernehmen sei, und wenn sie denselben erkannte, begann ihr Herz zu klopfen.

Das erste Herzklopfen ... Sie konnte es sich gar nicht erklären – warum dieses rasche Pochen? Aber wenn auch unerklärlich: angenehm war es sicher; und desto angenehmer, weil es unerklärlich war. Er grüßte herauf. Sie dankte und wurde roth dabei. Ja, offenbar Fensterparaden ... Denn er ritt nicht nur einmal vorüber, wie wenn sein Weg zufällig an dem Hause vorüberführte, sondern nach einer Weile kehrte er um und kam ein zweites Mal daher, an den folgenden Tagen sogar drei- und viermal. Und jedesmal stellte sich dasselbe Herzklopfen ein, so bang und süß, so geheimnißvoll ... Des Morgens, wenn sie erwacht, ist ihr erster Gedanke: Ob er heute wohl – – und Abends, ehe sie einschläft, trachtet sie sich jene Empfindung zurückzurufen, mit welcher sie durch das gewisse Herzklopfen bekannt geworden war. Die Folge davon ist, daß sie im Traum das Hufgeklapper hört, daß dabei dasselbe Bangen, welches in der Wirklichkeit sie erfaßt, nun in zehnfacher Stärke ihre Brust beengt.

Verliebt? War sie verliebt? ... Sie wollte diese Idee abschütteln, ging es doch wider ihren Mädchenstolz, daß ihr Herz gar so leicht sollte erobert worden sein – durch bloßes Vorüberreiten eines nicht einmal besonders hübschen jungen Menschen! Da ging es in den englischen Romanen doch ganz anders her: wie schwer ward es da dem Helden meist gemacht »to woe and to win« – zu, werben und zu gewinnen. Freilich andere ihrer literarischen Erfahrungen wiesen auf Leidenschaften hin, die vom Himmel herabgefahrenen, wie der Blitz; von lebenslänglich dauernder Liebe, die in einer Sekunde – durch den Tausch eines Blickes – geboren ward. Hatte Romeo etwa jahrelang um Julie geworben? ... Das Gefühl ist da – so viel war gewiß. Sie hatte es ja weder gerufen noch großzuziehen getrachtet; von außen war es über sie gekommen – die Offenbarung einer höheren Macht. Jetzt verstand sie erst den tiefen Sinn des mythologischen Amor mit seinen Pfeilen: ja, – von einem Gotte kam das Geschoß! Daß, dieser Gott Niemand anders als die Natur selber sei – das wußte sie nicht. Noch eine andere Erklärung legte sich Eva zurecht: vielleicht war es ihr Schicksal, das sich da zu verwirklichen begann – ihre »Bestimmung.« Daß die allnächtlichen Träume mithalfen, die neue Flamme anzufachen, dies schien ihr die Annahme zu bestätigen, es sei eine höhere, vorsätzlich wirkende Macht, welche über sie verfügte, denn Träume sind ja, der gewohnten naiven Auffassung gemäß, Kundgebungen, Eingebungen von Oben. Gegen das Gefühl ankämpfen? Nun, ein paar Male versuchte sie es wohl; aber genügende Kraft zum Kampfe hat man nur gegen das Unangenehme und Lästige; gegen das Süße und Freudenspendende läßt sich blos dann mit Erfolg kämpfen, wenn das Bewußtsein unabweislicher Pflicht dazu drängt. Aber welche Pflicht verletzte Eva, indem sie sich in einen jungen Mann verliebte, der ihr Fensterparaden machte? indem ihre Gedanken an dem Bilde Desjenigen hingen, dessen Gedanken sicherlich ebenso innig – und sehnsüchtiger noch – mit ihrem Bilde erfüllt waren?

Das einzige Beschämende war, daß sie sich sagen mußte: Du kennst ihn nicht, weißt nichts von den Eigenschaften seines Geistes und seines Gemüthes; weißt nicht, ob er auch so vornehm von Gesinnung ist, wie von Namen, ob sein Charakter so korrekt ist, wie sein Sitz im Sattel; kurz, ob er werth sei, von einem hingebenden, nach Idealen strebenden Mädchenherzen geliebt zu werden.

Doch auch diese Zweifel wurden aufgehoben. Eines Morgens erhielt Eva einen Blumenstrauß ins Haus geschickt. Von Siebeck ohne Zweifel. Die Blüthen dufteten ihr Dinge zu, die sie bisher noch nie vernommen. »Er liebt Dich! Er liebt Dich!« hauchten sie alle – besonders deutlich sagte das ein zwischen zwei Nelken verstecktes Kräutchen. Wenn sie das Gesicht in das Bouquet vergrub, was sie an diesem Tage wohl hundert Mal wiederholte, so suchte sie immer jene Stelle auf, wo das beredte Pflänzchen gar so eindringlich seine Liebesbotschaft ausströmte.

Zwei Tage darauf ein neuer Strauß und diesmal – es versetzte ihr einen süßerschütternden Schlag – schimmerte durch die Blätter ein Billetchen hervor. Mit erregungszitternden Händen entfaltete sie das Blatt: ein Liebesgedicht. Vier Strophen begeisterter Anbetung. Eva war in literarischen Dingen genug bewandert, um zu erkennen, daß das Gedicht ein echtes – das heißt aus keiner Sammlung herausgeschriebenes war, denn hier und da zeigten Reim und Rhythmus dilettantische Schwäche; doch die Gedanken waren voll zarter Poesie, die Gefühle voll edlen Feuers ... Er war also werth, er verdiente geliebt zu werden – ; da fiel von ihrem Herzen die letzte beengende Klammer herab, und es weitete sich in dem Gefühle vollbewußter, nunmehr willkommen geheißener – erster Liebe.

In kurzer Zeit folgte ein zweites Gedicht und nach gleichem Zwischenraum ein drittes. Indessen, die Fensterparaden hatten aufgehört. Das war für Eva ein Verlust, denn ihn zu sehen war ja nunmehr ihr höchstes Glück – ; freilich jetzt, wo er sich schriftlich erklärt, bedurfte es dieser reitenden Huldigung nicht mehr. Doch warum kam er nicht ins Haus?

Eva lag mit sich im Kampfe: sollte sie sich ihrer Cousine Dorina anvertrauen? Einestheils lechzte sie darnach, von dem zu reden, wessen ihr Herz so voll war; anderntheils empfand sie ihr Geheimniß als einen Schatz, als ein Heiligthum, das durch etwaige spöttische Worte oder dergleichen nicht verletzt werden durfte, und Frau von Borowetz hatte so eine Art, Alles von der leichten, scherzhaften Seite aufzufassen.

Die anonymen Blumensträuße hatte Dorina wohl kommen gesehen und dieselben neckend kommentirt. Eva verrieth jedoch nicht, von wem sie glaubte – nein wußte –, daß sie geschickt wurden. Uebrigens war die junge Frau seit einiger Zeit sehr viel außer Hause, und wenn sie da war, so schien sie eigenthümlich zerstreut, als ob ihre Gedanken an ganz anderen Orten weilten. Das war Eva ganz recht, denn auch ihre Gedanken waren mit etwas Anderem ausgefüllt, und es war ihr lieb, daß sie nicht durch gleichgiltige Gespräche davon abgelenkt wurden. Sie erklärte sich Dorinens augenblicklich verändertes Wesen dahin, daß ihr der Gatte vielleicht wieder ein paar unangenehme Auftritte gemacht, und des Obersten Benehmen schien diese Annahme zu bestätigen: noch nie hatte sie ihn so übellaunig, so bärbeißig gesehen, wie in der letzten Zeit. Die arme Dorina! ... Das war doch ein hartes Schicksal, so einen Mann zu haben. Warum hatte sie auch, ohne Liebe, nur um sich zu »versorgen«, diese unselige Wahl getroffen?

Was ihre eigene Zukunft ihr nun bringen sollte, darüber war sich Eva nicht recht klar. Würde Siebeck sich ihr nähern – um ihre Hand anhalten? Fast schien es, als legten sich Hindernisse in den Weg, denn warum hatte er sie in einem seiner Gedichte »die Unerreichbare« genannt? Doch sie wollte noch gar nicht viel an die Zukunft denken; die Gegenwart war voll so intensiven Lebensinteresses, daß dies genügte. Und Hindernisse? Nun, die sind ja eben dazu da, um überwunden zu werden. Robert Siebeck war noch sehr jung – vermuthlich durfte er vorläufig nicht ans Heirathen denken. Oder vielleicht trug er irgend eine Fessel – auch so etwas schienen seine Gedichte anzudeuten; doch die Worte: »Ich harre aus, das schwör' ich Dir« hatte eines der schwungvollen Lieder Refrain gebildet, und daraufhin leistete sich Eva denselben Schwur: auch sie würde »ausharren«.

Wenngleich die Fensterparaden aufgehört hatten, und obschon Siebeck seinen ersten Besuch im Hause Borowetz nicht wiederholte, so bekam ihn Eva doch öfters zu Gesichte. Beinahe jedesmal, wenn sie ausging – alle Nachmittage machte sie mit Dorina einen Spaziergang – begegnete ihr der Gegenstand ihrer Träume. Er grüßte ehrerbietig, sprach sie jedoch nicht an. Eva fühlte die Röthe der Verwirrung auf ihren Wangen glühen, und auch er – es war nicht zu verkennen – auch er erröthete, und in seinen Augen blitzte es auf, so oft er an den beiden Frauen vorbeikam.

Eines Tages kam Eva von einem kleinen Besorgungsgange – Bücherkauf beim Buchhändler des Orts –, den sie ausnahmsweise allein gemacht, nach Hause. Als sie die Treppe hinaufstieg, stieß sie mit dem eben eiligst herabkommenden Grafen Siebeck zusammen.

Eva sah deutlich, daß der junge Mann über und über roth geworden. Sie selber war so bewegt, daß sie, um einen Halt zu haben, sich an das Geländer stützte.

»O, Pardon, Baronin – ich hätte Sie beinah umgerannt.«

»Sie haben wohl große Eile, Graf Siebek?« – Woher nahm sie nur den Muth, zu sprechen? Sie bewunderte sich selber darob.

»Eile? Nein ... das heißt ... Ich wollte dem Herrn Obersten meine Aufwartung machen – er ist aber abwesend.«

»Ja, seit gestern, auf einer Inspektionstour. Das wußten Sie nicht?«

»Nicht wissen? ... Ich hätte es wissen sollen ... Bitte, wenn er kommt, sagen Sie ihm nicht, daß ich da war. Versprechen Sie mir das? ... Ehrenwort? ...«

Er hielt ihr die Hand hin.

Eva legte die ihre etwas zitternd hinein. Sie glaubte ihn zu durchschauen: er sprach so verwirrt und sinnlos, weil er durch diese Begegnung ebenso bewegt war wie sie; und dieses verlangte Ehrenwort – um eine so belanglose Sache – war nur ein Vorwand, um ihre Hand zu erfassen. Jetzt drückte er dieselbe kräftig:

»Wir sind einig,« sagte er und ließ sie wieder frei. Dann mit einem raschen grüßenden Griff an die Mütze eilte er weiter, die Treppe hinab.

Eva blieb betroffen stehen. »Wir sind einig« klang ihr in den Ohren nach. Das war wohl eine gesprochene Bestätigung des geschriebenen »Ich harre aus, das schwör' ich Dir.« Doch warum hatte er nicht länger mit ihr gesprochen? Schüchternheit vermuthlich.

Als sie in die Wohnung kam, suchte sie Dorina auf.

»Du hattest Besuch?«

»Ich Besuch? Wer denn?«

»Lieutenant Graf Siebeck. Ich bin ihm auf der Stiege begegnet.«

»Ja so ... Eva, liebes Herz, sei so gut – erzähle es meinem Manne nicht, daß Siebeck da war ... Du weißt ja – Du kennst seine klägliche Eifersucht. Wenn er wüßte, daß ich in seiner Abwesenheit den Besuch eines jungen Offiziers empfangen – er würde mir wieder einen jener Auftritte machen, die mir das Leben vergällen.«

»So hast Du ihn empfangen? Ich glaubte, es sei nur eine dienstliche Aufwartung bei seinem Obersten gewesen ... Und sag', Dorina, was hat er gesprochen?«

»Was soll er gesprochen haben? Von gleichgültigen Dingen – vom Wetter, von – ah, jetzt fällt mir ein! auch von Dir – Du gefällst ihm außerordentlich.«

Jetzt setzte sich Eva zu der Freundin hin und frug sie eifrig aus; jedes Wort wollte sie erfahren das er gesprochen. Nur zögernd, als ob sie das Gespräch vergessen, oder als ob sie es allmälig erst improvisierte, gab Dorina Antwort, doch in ihrem Frageeifer bemerkte das Eva nicht.

Von nun an, da das Eis gebrochen war, da sie es überhaupt über sich gebracht, mit Dorina von Graf Siebeck zu reden, brächte sie so oft als möglich die Unterhaltung auf diesen Gegenstand; sie wollte Alles hören, was der Anderen von seinen Verhältnissen bekannt war. Die ertheilte Auskunft fiel sehr knapp aus, denn Dorina gab sich ebenso viele Mühe, diesem Gesprächsstoff auszuweichen, als Eva bestrebt war, ihn herbeizuführen. Was aus den widerstrebend ertheilten Mittheilungen hervorging, war Folgendes: daß Robert ein einziger Sohn war; daß sein Vater die Herrschaft Großstetten in Mähren besaß; daß dieser noch kein alter Mann war und sehr viel auf Reisen lebte – gegenwärtig weile er in Indien –, daß Roberts Mutter, eine nicht Ebenbürtige, gestorben war, als sie ihm das Leben gab; daß er in Wien einmal bedeutende Schulden gemacht hatte, welche von seinem Vater übrigens bereitwilligst bezahlt wurden; daß er nicht mehr lange dienen werde, weil sein Vater wünsche, daß er sich der Landwirthschaft widme, um einst Großstetten übernehmen zu können.

»Und ist er nicht sehr schwärmerisch?« fragte Eva weiter. »Hat er nicht einen großen Hang zum – Dichten?«

Dorina lachte auf:

»Mein Gott,« sagte sie, »ich kenne ihn viel zu wenig, um zu wissen, was seine Neigungen seien; aber wahrlich: Gedichte machen wäre das letzte, was man ihm zumuthen könnte.«

Eva wußte das besser. Aber sie erhob keinen Widerspruch, um ihr Geheimniß nicht zu verrathen.


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