Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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XII.

»... Stoß' an, Eva – ich trinke auf Dein Wohl!«

»Und ich auf Dein Glück, König!«

»Nein, nein – das kann sich nicht erfüllen. Wenn Du mir schon etwas wünschen willst, so sei es Kraft zu einem gewissen Kampfe, so sei es in diesem Kampfe der Sieg.«

»Aber soll Dich dieser Sieg nicht glücklich machen?«

»Immer wieder sprichst Du von Glück – das ist ein viel zu anspruchsvolles Wort. Was der Sieg, den ich meine, erreichen soll, ist nur Verhütung großen Unglücks – wie Du siehst, ein ganz negativer Gewinn.«

»Und Positives soll sich nichts gewinnen lassen?«

»Doch: Augenblicke der Freude, Stunden des Genusses, der Vergessenheit.«

Nachdenklich nickte Eva mit dem Kopfe, und sie machte einen Schluck aus ihrer Champagnerschale. Diese – die gegenwärtige – war so eine Stunde, in welcher sie genießende Freude empfand, in welcher sie alle vergangenen Sorgen, alle bevorstehenden Kümmernisse vergessen hatte. Und die ganze Atmosphäre ringsum war mit Lebenslust gefüllt. Mehrere heitere Gesellschaften von vornehmen, jungen Männern und Frauen saßen an den übrigen Tischen, und ihr Gläserklirren und Gelächter drang zu dem Laubzelte herüber, unter welchem Ralph und Eva ihr auserlesenes kleines Mahl einnahmen. Von den Prateralleen herauf drang das Rollen von Wagenrädern und die Akkorde eines Militärorchesters. Das Stückchen Himmel, welches zwischen dem Gezweige sichtbar war, glühte in Gold- und Purpurfarben, deren Widerschimmer in den auf dem Tisch stehenden Gläsern, Flaschen und Fruchtschalen spielte. Ein physisches Wohlgefühl, wie es einem reichlichen, mit feurigen, Weinen gewürzten Mahle zu folgen pflegt, gemengt mit der seelischen Gehobenheit, welche nach einem lebhaften, geistanregenden Gedankenaustausch eintritt, durchströmte Evas Adern, beschleunigte ihren Pulsschlag, zündete Flammen in ihren Augen an. Es war kein Spiegel da, welcher ihr hätte zeigen können, wie hübsch sie eben aussah; aber indem sie ihre Wangen glühen, ihre Auge leuchten fühlte, war sie sich des erhöhten Reizes der eigenen Schönheit bewußt, und auch in den Blicken der Leute, die durch den Garten gingen und sich nach ihr umsahen, konnte sie es bestätigt finden, was Ralph ihr soeben gesagt:

»Du siehst blendend aus, Evinka, blendend schön.«

Sie nahm das väterliche Lob mit glücklichem Lächeln hin – vielleicht wissend, daß die durch dieses weißschimmernde Lächeln entstehenden Grübchen das erhaltene Lob noch begründeter machten.

»Siehst Du,« fügte er hinzu, »das ist auch so ein Stück Lebensfreude für Euch Frauen, dieses sieghafte Sichschönwissen, besonders, wenn mit dem nicht minder genußreichen Sichjungfühlen verbunden. Doch leider, wie die Welt – ich meine die gesellschaftliche – schon einmal eingerichtet ist, findet dieses von der Natur eingesetzte Freudenanrecht nicht immer seine Verwirklichung; im Gegentheil: statt Glück zu sichern, kann weibliche Schönheit für deren Trägerin oft sehr verhängnißvoll werden. Kennst Du den Roman » Trop jolie?« Ich fürchte, auch Du wirst »zu hübsch« sein. Wenn einmal die Leute durchschauen, daß Du nicht glücklich verheirathet bist, dann werden sich Dir die sogenannten Schmetterlinge nahen, welche die Flamme der Frauenschönheit zu umflattern pflegen ... Aber das verbrauchte Bild ist falsch: nicht harmlose Schmetterlinge sind es, sondern mitunter recht giftige Vampyre – Verliebte ohne Liebe: hüte Dich vor der Gattung, Eva.«

»Fürchte nicht, König; ich werde an den Namen, den ich trage – Deinen Namen – nimmer einen Makel kommen lassen.«

»Das ist ein stolzes, braves Wort. – Hätte ich Dich früher gekannt ...«

Eva blickte zu dem Sprecher auf. Wie ein Blitz war ihr das Verständniß der letzten Worte durch den Geist gezuckt ... ja, hätten sie einander früher gekannt – –

Der Kellner brachte die vorhin verlangte Rechnung. Ralph zahlte. »Jetzt laß uns aufbrechen, Eva, es ist acht Uhr, wir haben ohnehin schon einen Akt der Oper versäumt. Er bot ihr den Arm und führte sie den Hügel hinab. Der Wagen wartete in einer kleinen Entfernung.

Fünfzehn Minuten später, nach schweigender Fahrt, kamen sie beim Opernhause an und traten in eine Parterreloge. Die Vorstellung – man gab den Trompeter von Säckingen – war im Zuge, die süßen Stimmen Lola Beeths und Reichmanns durchflutheten das Haus. Zu all den betäubenden, in schmachtende Verwirrung setzenden Einflüssen, welche in den letzten Stunden auf Eva gewirkt, kam nun auch noch der Zauber des Gesanges.

Sie saß vorn an der Brüstung. Ralph hinter ihr. Aber sie wandte sich nicht zu ihm um, auch nach der Bühne schaute sie nicht. Gesenkten Blickes, in sich selbst verloren, ließ sie sich von den Wogen der Musik schaukeln und lauschte gleichzeitig dem eigenen, wonnig und schmerzlich beklommenen Herzschlag. Wonnig – denn sie fühlte sich in eine Art Traumwelt entrückt; schmerzlich – denn sie wußte, daß ein bitteres Erwachen bevorstand.

Als Werner sein Abschiedslied anhob, beugte sich Ralph zu ihr:

»Höre zu, Eva!«

Sie schaute ihm ins Gesicht, und es war ihr, als spräche der Sänger Dasjenige aus, was in Ralphs liebevollen, traurigen Blicken stand: »In Deinen Augen hab' ich einst gelesen – – Es blitzte d'rin von Lieb' und Glück ein Schein.« Ein zärtliches Weh schnitt ihr ins Herz, und bei dem Schlußwort »Es hat nicht sollen sein« flossen ihr langsam die Thränen von den Wangen herab.

Ralph faßte ihre Hand.

Sie suchte nicht ihr Weinen zu verbergen. Im Gegentheil: sagen durfte und konnte sie ja nicht, was sie empfand, und es war ihr lieb, daß die stummen Thränen Antwort – vollgültige Antwort gaben auf das, was ihr der stumme Händedruck des Andern sagte.

Werner sang die zweite und dritte Strophe – und immer noch blickten sich die Beiden unverwandt an, Hand in Hand; immer noch fielen die Thränen aus ihren Augen – zuckte es schmerzlich um seine Lippen.

Nach dem letzten »Es hat nicht sollen sein«, während das Haus in donnernden Applaus ausbrach, sprang Eva von ihrem Sitze auf.

»Ich will fortgehen,« sagte sie.

Ralph verstand sie. Das, was die Oper noch ferner bringen sollte – das Wiederfinden, die Vereinigung der Liebenden – das stimmte ja nicht...

Er folgte ihr in den Logensalon und legte die Hülle um ihre Schultern. Sie hielt jetzt das Taschentuch an die Augen gedrückt und weinte heftig. Er umschlang sie sanft und drückte einen Kuß auf ihre Stirn. Dann öffnete er die Logenthür, legte ihren Arm in den seinen und geleitete sie hinaus. Sie mußte immer noch das Taschentuch an die Augen führen.

Unter dem Ausgang winkte Ralph einen Fiaker herbei. Er half Eva einsteigen, dann an der Wagenthür stehen bleibend, drückte er fest ihre Hand:

»Behüt Dich Gott«, sagte er, ließ den Schlag zufallen, rief dem Kutscher den Namen des Hotels zu und trat zurück.

Aufschluchzend lehnte sich Eva in die Wagenecke. Sie hatte verstanden, daß dies der endgültige Abschied gewesen.

Dennoch hatte sie falsch verstanden.

Zehn Minuten später als sie kam Ralph in das Hotel zurück. Er klopfte an ihre Thüre. Sie dachte, es sei der Kellner, dem sie geklingelt, um sich einen Trunk Orangenblüthenwassers bringen zu lassen, und sagte: »Herein!«

Sie konnte einen Schrei – halb Schreck, halb Freude – nicht unterdrücken, als sie Denjenigen, dem sie in Gedanken eben erst ein letztes Lebewohl zugerufen, nun vor sich erblickte.

»Hier bin ich wieder, Eva.«

Sie blieb regungslos. Er trat näher:

»Meine Absicht war es, als ich an der Wagenthür Dich verließ, Dich nicht wiederzusehen ... Aber auf dem Wege hierher habe ich mich eines Andern besonnen. Ich muß noch mit Dir sprechen. Ich will klarstellen, was in den letzten Stunden – unausgesprochen aber nicht unverstanden – zwischen uns Beiden gedacht und empfunden worden ist.«

Zitternd und geängstigt – aber süß geängstigt – ließ sich Eva auf das Kanapee hinter dem Tische nieder und zeigte mit der Hand nach einem gegenüberstehenden Sessel.

»Sprich, König, ich höre.«

Das Zimmer war nur spärlich durch zwei Kerzen beleuchtet. Eva legte den Kopf an die Kanapeelehne zurück – man konnte ihren Gesichtsausdruck nicht sehen.

Jetzt kam der Kellner mit dem Bestellten. Er setzte das Brett sammt Wasser und Glas auf den Tischteppich zwischen die zwei Leuchter.

»Befehlen die Herrschaften sonst etwas?«

»Nichts,« sagte Eva.

»Für mich morgen um sechs Uhr die Rechnung. Ich fahre mit dem Frühzug der Südbahn.«

»Sehr wohl, Herr Graf.« Und der Kellner entfernte sich.

»Also reisest Du doch?«

»So habe ich beschlossen. Doch wie oft habe ich in den letzten Tagen Beschlüsse gefaßt, geändert, wieder aufgenommen und wieder fallen gelassen! Laß mich wenigstens jetzt ausführen, was ich auf dem Wege von der Oper hierher mir vorgenommen habe – nämlich, Dir zu sagen ... Alles zu sagen ... Alles aufzuklären... Ich will nicht, daß ein schrecklicher Gedanke Dich quäle. So höre mich an. Um zu beginnen: ich liebe Dich.«

Eva nickte still mit dem Kopfe. Das wußte sie.

»Den Brief, den Du in meiner Mappe gefunden – der war an Dich gerichtet. Doch habe ich ihn nicht abgesendet, weil – siehst Du, wieder ein abgeänderter Entschluß – weil ich hinterher einsah, daß Du von der Ursache meiner Flucht nichts erfahren dürfest. Jetzt aber, nachdem Du mir hierher gefolgt, ist Dir mein Geheimniß verrathen. »In Deinem Aug' hab ichs gelesen«, daß Du Alles weißt. Jenes Lied, es sang unsern Abschied. Dich meiden, das stand ja fest, auch wenn Du niemals eine Ahnung gehabt hättest von dem, was mich bewegte – jetzt war es doppelt nöthig. – Was sein muß, sei rasch, sei kopfüber ausgeführt – darum wollte ich schon, dort am Wagenschlag, das letzte »Behüt' Dich Gott« gesprochen haben. Wäre ich mit Dir eingestiegen, so hätte ich nicht anders können, als Dich in meine Arme schließen als Dir die Thränen von den Augen küssen – mit Küssen, welche Du – für verbrecherisch gehalten hättest... Da fiel mir ein, nachdem der Wagen davongerollt war, daß nicht nur Küsse – daß auch Gefühle verbrecherisch sein können und daß das Bewußtsein, solche Gefühle eingeflößt – vielleicht ein paar Sekunden lang sogar getheilt – zu haben, Dich mit Gewissensqualm erfüllen könnte – und da beschloß ich, Dich noch einmal, Dich heute noch aufzusuchen ... Du solltest nicht die Nacht unter dem Schreckenseindruck zubringen, daß in Leidenschaft zu Dir entbrannt sei – der Vater Deines Mannes.«

Er hielt einen Augenblick inne. Eva verstand nicht. Dann fuhr er fort:

»Nimmermehr – es ist gegen alle Natur, gegen alle durch Jahrhunderte lang fortgeerbten Begriffe von Ehre und Pflicht, die sich mit der Natur verwachsen haben – nimmermehr hätte ich mich in das Weib meines Sohnes verlieben können; nimmermehr hätte ein solches Gefühl jene Wärme ausstrahlen können, welche in Deinem Aug' »von Glück und Liebe einen Schein« entzündet hat. Du sollst nicht glauben, daß ich – daß Du, sei's auch nur ein paar Augenblicke – im Bann einer blutschänderischen Regung gestanden – Du sollst wissen, wie die Dinge liegen: Robert ist nicht mein Sohn.«

»Nicht Dein Sohn!« schrie Eva auf.

»Nein. Du weißt, welchen Jugendstreich ich begangen? Die Mutter Deines Mannes war die Tochter unseres Dorfwirths –«

»Das Alles weiß ich.«

»Sein Vater – Roberts Vater – war der Wirthshausknecht –«

»Oh!«

»Ein roher Wicht, ein Säufer, der wegen einer mit Todtschlag ausgehenden Rauferei im Zuchthaus geendet hat.«

»O mein Gott! Aber wie kommt es? – –«

»Robert ist ein Siebenmonatkind. Wenigstens als solches in den Registern eingetragen – in Wirklichkeit ganz normal geboren. Im Wochenbett, welches zugleich ihr Todtenbett war, hat mir die Unglückliche gestanden, daß, als ich sie heirathete – ich närrischer Knabe, glaubend, eine makellose Unschuld heimzuführen –, daß sie schon längst die Geliebte des bei ihnen bediensteten Fuhrmann-Schani gewesen. – Du könntest vielleicht glauben, Eva, ich erfinde – der Zeuge jener Geständnisse, der Arzt, lebt noch. Ein Arzt muß schweigen wie ein Beichtvater. Doktor Söller hat mir das Geheimniß bewahrt. – Warum ich das Kind dennoch für das meine ausgegeben! Ja warum! Aus falschem Stolz, aus Scham. Mußte ich doch schon genug Demüthigung von Seiten meiner Familie wegen der Heirath mit einem Bauernmädchen über mich ergehen lassen – sollte ich nun auch dazu noch bekennen, daß ich betrogen – von einer Dirne betrogen worden? Meine Eltern, die mich verstoßen hatten – als sie erfuhren, daß ich am selben Tage Wittwer und Vater eines Erben geworden, verkündeten mir, daß sie bereit seien, zu verzeihen – hätte ich ihnen gestehen sollen, daß sie gar keinen Enkel hatten und daß das Mädchen, welches ich Allen zum Trotze zur Gräfin Siebeck gemacht, nicht nur von Standes wegen – sondern auch von Menschen wegen eine Unwürdige gewesen? Ich hab's nicht gethan. Ich hätte es thun können, denn meine Frau hat ihre Beichte nicht nur in Gegenwart des Doktors und noch eines Zeugen abgelegt, sondern dieselbe sogar diktirt und mit ihrer Unterschrift versehen. Ich verlangte das, um eine Scheidung zu erwirken – weder sie, noch den Sohn des Fuhrmann-Schani wollte ich im Hause behalten ... Aber dann starb sie ... Wozu da noch die nachträgliche Schande? ... Wozu den posthumen Skandalprozeß? Doktor Söller, der gern mir und den Eltern Gram erspart sehen wollte, redete mir selber davon ab – und so ermächtigte ich ihn, das Dokument, welches er in Verwahrung genommen hatte, zu vernichten. Das Kind war in gesetzmäßiger Ehe geboren – vor aller Welt das meine – und ich schwieg. Aber vom Tage seiner Geburt an habe ich das Geschöpf verabscheut und mir es stets fern gehalten. Es hafteten zu viel Lügen daran: die Lüge der Mutter, welche es schon unter dem Herzen trug, als sie in mein Heim einzog – meine Lüge, der ich es zugab, daß der Name meiner Väter auf den Sohn eines betrunkenen Hausknechts überging ... Jede böse That führt ihre Strafe nach sich – es rächt sich alle Schuld. Daß ich das Weib jenes falschen Sohnes – daß ich Diejenige leidenschaftlich lieben und begehren muß, die vor aller Welt meine Schwiegertochter ist – das ist meine Strafe.«

Ralph hatte ausgeredet.

Eva gab keine Antwort. Das Gehörte hatte sie zu heftig erschüttert. Nur mit einem tiefgeholten zitternden Seufzer machte sie ihrer Bewegung Luft. Tiefgeholt wie ein Aufathmen der Erlösung, gezittert wie ein Stöhnen der Angst. Und in der That: die gemachte Eröffnung hatte dieses Doppelgefühl in ihr erweckt; erlöst war sie von dem grauenvollen Gedanken, daß der Schwiegervater sie liebte; geängstigt war sie durch das erwachende Bewußtsein, daß ihr dieser Mann – dem sie durch kein Band des Blutes mehr verbunden war – zehnfach gefährlicher geworden.

»Eva,« sagte Ralph nach einer Weile, »Du sprichst kein Wort? Habe ich Unrecht gethan, Dir diese dunkle Geschichte zu enthüllen?«

Sie machte eine abwehrende Handbewegung.

»Ich konnte doch nicht,« fuhr er fort, »Dich unter dem Eindruck verlassen, daß ich für Dich eine verbrecherische Leidenschaft – –«

»Ach König,« unterbrach Eva. »wenigstens schützte dieser Eindruck mich gegen ein Gefühl, das –« Sie hielt inne.

Ralph sprang auf und ergriff ihre beiden Hände.

»Verstehe ich recht?... Eva, Eva!«

Er glitt an ihrer Seite auf die Knie. Sie wandte den Kopf ab, doch entzog sie ihm ihre Hände nicht.

»Hör' mich an, holdes Kind ... wenn Du mich liebst, so laß ich Dich nicht... komm mit mir. Ich reise fort – wie schon so oft – in irgend einen fernen, fernen Welttheil... Komm mit mir! Niemand wird uns vermissen, und was sie sagen, ist einerlei – man wird uns nicht finden, weiß ich doch selbst nicht, wo wir unser Glück verbergen werden – ob in Brasilien, ob auf der Insel Korfu, ob in einem nordischen Fjord... Komm mit mir! Mein sei – mein! Ich will Dich auf Händen tragen, ich will – Eva, so antworte doch!«

Sie riß ihre Hände aus den seinen los und entfernte sich einige Schritte.

»Das habe ich nicht verdient,« sprach sie.

Ralph blickte ihr erstaunt nach, er schüttelte den Kopf, als risse er sich aus einem Traum empor und erhob sich von seiner knieenden Stellung.

»Was ich eben hören mußte.« sprach Eva weiter, »klang wie Wahnsinn. Ralph Siebeck, bedenke wohl: den Namen Siebeck trage auch ich, und daß ich diesen Namen nie beflecken werde, habe ich geschworen und schwöre es wieder. Wenngleich es durch Trug und Verrath, durch Leichtsinn und Schuld dazu gekommen, daß mein Gatte diesen Namen erhalten und mir gegeben – ich habe ihn jetzt und in meiner Hut soll dessen Ehre sicher sein. Nicht nur des Namens willen – der der Deine ist, König – sondern weil meine Ehre, unter allen Umständen, mir theuer ist – und ob ich den Titel Gräfin rechtmäßig trage oder nicht, gleichviel: den Titel »brave Frau« will ich mir bewahren. Weil Ralph Siebeck mein Schwiegervater nicht ist, soll ich darum, ich, eines Andern Gattin, Ralph Siebecks Maitresse werden können? Die Zumuthung beleidigt mich – kränkt mich bitter.«

Nochmals schüttelte Ralph hastig sein Haupt, dann, ohne ein Wort zu sagen, schritt er zur Thür. Dort, mit der Hand auf der Klinke, blieb er eine Weile stehen und sah sich nach Eva um:

»Gräfin Eva Siebeck hat nichts mehr hinzuzufügen?« fragte er.

Eine wilde Sehnsucht erfaßte sie, auf ihn zuzustürzen und mit dem Herzensschrei »O mein König!« ihn zurückzuhalten. Aber sie bleibt wie angewurzelt stehen, und ihre Lippen murmeln:

»Nichts!«

Er verneigte sich und ging zur Thür hinaus.

Eva horchte seinem verhallenden Schritte nach, dann ließ sie sich in einen Sessel fallen:

»Vorbei, vorbei« – stöhnte sie halblaut. »Auf ewig vorbei – wir sehen uns niemals wieder!«

Aber trotz des Wehs, sie war mit sich zufrieden: sie hatte ihre Pflicht gethan. Dieser wilde Fluchtvorschlag! Hätte sie ihn angenommen, so wäre ihre Selbstachtung – und wohl auch seine Achtung – unwiderbringlich verwirkt gewesen. Der beleidigte Groll, den sie hervorgekehrt, war im Grunde nur ein Werkzeug ihrer Pflichterfüllung. Wirklich beleidigt fühlt sich selten eine Frau durch ihr geweihte Leidenschaft so kühn, so wahnsinnig dieselbe sich auch geberde; dafür hat sie – zumal wenn ihr der Kühne theuer – Schätze von Nachsicht bereit. Aber wie denn anders, als in das Gewand des Grolles, der gekränkten Würde, kann sie, um es wirksam zu machen, das Neinwort kleiden, welches auszusprechen die Tugend ihr gebietet?

Nein – beleidigt hatte sie Ralphs Vorschlag nicht, wohl aber erschreckt, und mit aufrichtigem Entsetzen hatte sie ihn zurückgestoßen. Ralph lieben, von ganzer Seele lieben: dazu fühlte sie sich mächtig hingezogen; ihn zum Geliebten haben: unmöglicher Gedanke! Das töchterliche, ehrerbietig reine Gefühl, welches ihrer Liebe zu dem gewähnten Schwiegervater innewohnte, das konnte durch die so unvermittelte Mittheilung: »Ich bin Roberts Vater nicht« nicht so plötzlich vertilgt werden. Die Vorstellung eines anderen als ungetrübt platonischen Verhältnisses zwischen Ralph und ihr hatte für sie noch immer etwas Widernatürliches, Ungeheuerliches. Ihr schauderte. Beinah wäre ihr nun nachträglich wirklicher Zorn erwacht – wie konnte er es nur wagen? ... Doch schnell fand sie Entschuldigung für ihn: er hatte ja vom ersten Augenblick an gewußt, daß sie nicht seine Schwiegertochter war ... Aber gleichviel – sie war die Frau eines Andern, und als solche durfte sie sich nicht mehr verschenken; sie hatte recht gethan, ihn so schroff und entschieden abzuweisen. Wenn ihr Vater lebte, er würde ihr Gebühren gut heißen, und Ralph selber – aus der Ferne – würde ihr nur desto tiefere, weil mit Achtung verbundene Neigung weihen. Aus der Ferne würde auch sie ihn lieben dürfen und in diesem Gefühle Trost und Erholung finden. Die Prosa, die Widerwärtigkeit ihres Lebens an Roberts Seite konnte sie nunmehr erträglich machen durch die erhebende, die makellose, die begeisterte Liebe zu dem Entfernten!


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