Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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XVIII.

Am folgenden Vormittag saß Eva in ihrem Zimmer mit Haushaltsrechnungen beschäftigt, als schon wieder Robert an ihre Thür klopfte.

Diesmal ließ sie ihn ein.

»Du hast einen festen Schlaf – ich gratulire.« sagte er, sich in einen Sessel werfend. »Ich habe gestern an Deiner Thür gepoltert und Du warst nicht zum Aufwecken.«

»Ich habe Dich ganz gut gehört – aber Du weißt, ich will des Nachts allein bleiben. Das war doch zwischen uns abgemacht – stillschweigend zwar, aber bestimmt.«

»Da weiß ich nichts davon ... von meiner Seite ist nichts abgemacht worden. Schließlich bin ich doch Dein Mann.«

»Nicht in meinen Augen. Sieh her« – sie zeigte ihm die linke Hand – »sogar den Ring habe ich abgestreift.«

»So fad! – Und weißt Du, was das Dümmste an der Sache ist? Ich fange jetzt an, mich in Dich zu verlieben. Wirklich. Da hilft kein Achselzucken ... Du bist kannibalisch hübsch. Erst vorgestern, als ich die Dorina besuchte, habe ich Vergleiche angestellt – und die sind sehr zum Nachtheil der Frau Oberstenwittwe ausgefallen. Das wäre so eine Geschichte, wenn ich eine Leidenschaft für Dich fassen möchte, was? Denn dann würde ich eifersüchtig werden. Und, hörst Du ich bin nicht ganz ohne Verdacht, daß ich Grund zu Eifersucht hätte.«

»Ah?«

»Ja, spiele nur die Gleichgültige. Du bist doch feuerroth geworden ... Ich werde Dich von nun ab etwas scharf beobachten. Wie ich höre, ist der Adolf Dürenberg wieder in der Gegend ... Nimm Dich in Acht, der ist ein Haupt-Don Juan – und in dieser Hinsicht werde ich keinen Spaß verstehen. Merk Dir das. Du bist nun einmal meine Frau – da hilft alles nichts.«

»Da hilft alles nichts,« wiederholte Eva halblaut für sich.

Die Glocke zum Gabelfrühstück ertönte. Robert stand auf:

»Kommst Du?«

»Etwas später – ich muß mich erst noch ankleiden ...«

An der Thüre drehte er sich noch einmal um:

»Du! daß Du heute Abend nicht wieder zusperrst – das ist zu dumm!«

Bei der Mahlzeit fehlte Ralph und sein Gast Doktor Söller. Die Herren seien in die Umgebung gefahren, hieß es, und kämen erst zum Diner nach Hause.

Die schreckliche Leere und Bangigkeit, welche Eva empfand, wenn sie Ralphs Nähe missen mußte, zeigte ihr immer am deutlichsten, wie theuer, wie schutz- und sicherheitsgewährend ihr diese Nähe war. Zum Glück verschonte sie auch Robert mit seiner Anwesenheit; gleich nach dem Gabelfrühstück – während dessen Verlauf er sich ausschließlich mit seinen jungen Vettern unterhalten hatte – ging er hinaus, »ein paar Hasen zu schießen.«

Im Laufe des Nachmittags stattete Adolf Dürenberg seinen angesagten Besuch ab. Eva saß auf ihrem Lieblingsplätzchen im Garten – von wo aus man den Teich sah – mit einem Buch in der Hand, mehr träumend als lesend, als ein Diener ihr meldete, daß Graf Dürenberg gekommen sei. Der Gemeldete selber ward am Ende des Weges sichtbar. Da gab es kein Entrinnen. Eva stand auf und ging dem Grafen entgegen.

Er küßte ihr die Hand.

»Mit Hintansetzung der heiligsten Hausherrnpflichten habe ich mich von Dornegg davongemacht, um meine gestrige Drohung auszuführen, meine hochverehrte Gräfin. Der Diener sagte, Sie seien im Garten.«

»Ja. es ist so schön da, im warmen Sonnenschein ... Wollen wir gleich hier bleiben?« Sie trat unter ein rundes, offenes Zelt, an dem sie eben vorbeikamen. »Hier – setzen wir uns ... Im Schlosse ist ohnehin Niemand. Mein Schwieg – Ihr Freund Ralph ist mit einem Besucher in die Umgebung gefahren, und mein Mann ging jagen.«

»So ist Robert von Wien zurückgekommen?« fragte Dürenberg mit auffallend verfinsterter Miene.

»Ja, seit gestern. Und Ihre erste Serie ist nunmehr in Dornegg eingetroffen? ... Und wie geht es Liuba?«

Dürenberg gab Auskunft, nannte die Namen der angekommenen und der noch erwarteten Gäste, und durch länger als eine Viertelstunde drehte sich die Unterhaltung in diesem Geleise fort. Plötzlich aber schlug der Graf einen andern Ton an:

»Glauben Sie an love at first sight?« fragte er ganz unvermittelt.

»Liebe auf den ersten Blick? Es mag wohl vorkommen – auch außerhalb Englands.«

»Ich habe es bisher für eine Fabel gehalten ... Seien Sie ruhig, Gräfin, das ist keine Einleitung zu einer Liebeserklärung.«

»Das habe ich auch gar nicht befürchtet.«

»Liebe soll man nicht erklären. Man liebt – voilà tout. Das erklärt sich von selbst. Es muß aus den Blicken leuchten, es muß aus jedem gesprochenen Wort – was immer dessen Sinn sei – hervor tönen, nicht aber in die betreffenden Ausdrücke gekleidet werden. »Ich liebe Sie, ich liebe Sie«: das ist leicht gesagt und schwer zu glauben; es heißt gar nichts – die Thatsache spricht. Sie werden viele Liebeserklärungen hören in Ihrem Leben, Gräfin – verschließen Sie Ihr Gehör dagegen. Je überraschender Ihnen eine solche kommt, desto weniger dürfen Sie daran glauben. Lange, lange, ehe es Einer zu gestehen wagt, müssen Sie sein Geheimniß errathen haben.«

»Warum den Lehrkursus, lieber Graf? Glauben Sie, daß die Erklärungen auf meinem Wege nur so aufspringen werden, wie unter den Schritten eines Spaziergängers auf sommerlichen Wiesen die kleinen Heuschrecken?«

»Vielmehr wie die Tiger in den Djungeln, Gräfin Eva. Das sind mitunter zerreißungsgierige Raubthiere, diese deklamatorischen Salon-Anbeter.«

»Danke für die Warnung – aber ich hoffe daß sie sich als überflüssig erweisen wird.«

»Nicht überflüssig. Dem Schicksal, von aufrichtigen und bisweilen auch unaufrichtigen Liebesbewerbungen belagert zu werden, können Sie nicht entgehen. Als Vorübung – für die aufrichtige Sorte – möge Ihnen gleich dienen, was ich nicht umhin kann, Ihnen hiermit zu gestehen: nämlich, an Liebe auf den ersten Blick glaube ich seit vorgestern.«

»An einen hohen Grad von Unverfrorenheit glaube ich seit heute, Graf Dürenberg.«

»So ist's recht. Das ist der Ton der Abwehr.«

»Ihr freundlicher Beifall ermuntert mich.«

»Und mich reizt Ihr kühler Spott. Je eisiger Sie sich zeigen, desto wahnsinniger wird mein Wunsch entbrennen, Sie einstens erglühen zu sehen. Aber ich gehe zu weit – für ein erstes Mal viel zu weit. Alle Strategik verläßt mich.«

»Verläßt Sie nicht auch der mir schuldige Respekt? Ich habe mich noch wenig – eigentlich gar nicht – in der großen Welt bewegt und weiß daher nicht zu beurtheilen, in welchem Maße Sie sich von dem in Ihren Kreisen üblichen Umgangston entfernen ... aber daß Sie eine Grenze überschritten haben, sagt mir mein Gefühl.«

»Dieses Gefühl täuscht Sie. Es giebt keine fest umgrenzte Umgangsform bei uns. Dieselbe ist in der Regel ganz und gar nichtssagend banal oder – mit einem kühnen Sprunge – von ungezwungenster Verwegenheit.«

»Dann lassen Sie uns gefälligst nichtssagend sein.«

»Dazu ist doch die erste Bedingung, daß man wirklich nichts zu sagen habe. Es giebt aber Berge von Dingen, die ich Ihnen mittheilen muß –«

»In der »ungezwungen verwegenen« Art? Dagegen protestire ich.«

»Sie fragten mich vorhin um unsere üblichen Unterhaltungsformen; da war ich Ihnen doch die gewünschte Auskunft schuldig: wir sind nun einmal entweder maßlos langweilig oder maßlos frech. Entweder amtlicher Wiener Zeitungsbericht oder Volkssänger-Kouplet. Die sogenannte goldene Mittelstraße ist uns abhanden gekommen. Wir kennen keine Zwischenstationen. In der Liebe schon gar: da giebt es nichts Unmoderneres als das langsame Abwickeln aller Sentimentalitäts-, Schüchternheits- und Tugendkampf-Phasen; entweder zwei Leute sind einander gleichgiltig – nun, dann tauschen sie Meinungen über das Wetter, oder –«

»Erlassen Sie mir die zweite Alternative und sagen Sie offen: Ist das nicht ein wundervoller September heuer?«

»Das ist boshaft. Sie haben mich nicht ausreden lassen. Ich wollte sagen, daß diese beiden Extreme die Regel seien, daß ich aber zu allen Ausnahmen bereit bin, welche mir ein Ausnahmegeschöpf auferlegen wollte. Befehlen Sie – und ich unterziehe mich – ehe ich um ein lohnendes Lächeln zu werben wage – allen Phasen mittelalterlichen Ritterdienstes oder kleinstädtisch-bürgerlicher Schwärmerei –«

»Solche bestellte Interimsbescheidenheit wäre wenig geeignet, Vertrauen zu wecken.«

Das Scharmützel wurde hier durch Fräulein von Otterfeld unterbrochen, welche lustwandelnd vorbeikam und nun, Eva und ihren Besucher erblickend, in das Zelt eilte und sich da niederließ.

»Das wird mein Vetter Ralph aber bedauern ...« und – »Wie geht es dem Fürsten Dürenberg?« »Wie der durchlauchtigen Mama?« und »was macht Liuba, was der kleine Sergei?« und »wie lange bleiben, und wer sind Ihre Gäste?« und schließlich »haben wir heuer nicht einen wunderschönen September?«

Damit war das Maß voll. Adolf erhob sich.

»Meine Damen, ich muß meinen Besuch leider – das leider gilt mir – schon abbrechen, werde mir aber erlauben, denselben öfters zu wiederholen. Das nächste Mal hoffe ich Ralph zu finden. Meine Schwägerin Liuba beabsichtigt gleichfalls, trotz der Anwesenheit unserer Gäste, die Gräfin Eva, in welche sie sich förmlich verliebt hat (kein Wunder!), nächstens zu überfallen.«

Weder Ottilie noch Eva versuchten, den Grafen zurückzuhalten, und so empfahl er sich. Er verneigte sich vor dem alten Fräulein und, indem er Evas Hand küßte:

»Es wird doch nicht immer ein wunderbarer September bleiben« sagte er etwas leiser.

»Ach, daß die Irene nicht da ist!« seufzte Fräulein Otterfeld, nachdem der Graf sich entfernt hatte. »Das wäre doch die herrlichste Partie –«

»Partie! – ich hasse das Wort«, entgegnete Eva.

Sie stand auf.

»Bleibst Du noch da? Ich will ein wenig spazieren gehen.«

In Wahrheit wollte sie allein sein, um den Eindruck des eben erhaltenen Besuches ein wenig zu überdenken. Ueberdies war ihr das Geschwätz Ottiliens jederzeit lästig und sie nahm jede Gelegenheit wahr, sich demselben zu entziehen. Sie ging an das Plätzchen zurück, von welchem sie vorhin aufgestört worden.

Der Anblick des Teiches rief ihr gleich wieder die Erinnerung an jene abendliche Kahnfahrt wach, wo sie an Ralphs Seite so ein Gefühl gestillten Sehnens genossen; wo sie nur noch, zur Besieglung dieses Herzensfriedens, seinen Kuß erwartet. Er aber hatte sie nicht geküßt ... oh, sie wußte wohl, warum. Sie las ja in seiner Seele, wie in einem offenen, mit leuchtenden Buchstaben geschriebenen Buche: er liebte sie – innig, feurig, furchtsam, ehrerbietig, zartsinnig ... Nicht Kälte, nein – Leidenschaft, mit Heldenkraft zurückgehaltene Leidenschaft lag in dem bisher ungeküßten Kusse. »Bisher« – Eva wiederholte dieses Wort ohne zu wagen, das, was darin enthalten war, auch auszudenken ... Und jener Andere, der sie eben verlassen – so glänzend, so verführerisch er auch sein mochte – was war der ihr neben König? Eine Null. Wie frech er ihr den Hof gemacht ... Das also wäre ihr Los, wenn sie in der großen Welt lebte, solche Angriffe stets pariren zu sollen, oder gar – des Krieges müde – ihnen erliegen? Und nach einer Ehe ohne Liebe auch noch diese Niedrigkeit über sich ergehen lassen: Liebschaften ohne Liebe? ... Nein – aus diesem ganzen Chaos, das sie umgab, mußte Eines doch unversehrt hervorgehen, Eines mußte aus diesem Kampfe gerettet werden: ihre Frauentugend, ihre Selbstachtung. »Und Deine Achtung, König!« beschloß sie ihren Gedankengang, indem sie die gewisse Goldkapsel, die sie jetzt an einem dünnen Kettchen um den Hals trug, an die Lippen führte.

Ein jämmerliches Heulen und Winseln riß sie aus ihren Träumereien. Sie schaute auf und erblickte hinter dem jenseitigen Rand des Teiches Robert, welcher auf den Teich zuging, einen Hund nachschleifend, auf den er ab und zu mit weit ausgeholten Stockhieben dreinhaute.

Jetzt war er am Ufer angelangt. Eva sah, daß er nicht mehr mit dem Stocke, sondern mit den Stiefelabsätzen auf sein Opfer stieß, das nunmehr zu heulen aufgehört. Sie war aufgesprungen und lief zur Stelle, um dem gequälten Thiere zu Hilfe zu kommen; als sie athemlos anlangte, sah sie, wie Robert eben mit einem letzten Fußtritt den Hund in das Wasser schleuderte.

»Wart! du elendes Biest, ich werd' dir lehren, nicht gehorchen.«

Eva stieß einen Schrei aus. Am liebsten wäre sie dem armen Geschöpfe nachgesprungen – aber sie sah, daß es wieder an das Ufer geschwommen kam und zwar dorthin, wo sein Herr stand.

»Robert, Robert, was hat der arme Nero gethan?«

»Jetzt kommt das Mistvieh wieder hervor, ich habe doch geglaubt, daß ich's lahm geschlagen, na wart!«

Eva sprang herbei, doch ehe sie es hindern konnte, stieß er mit einem Tritte das zu seinen Füßen sich krümmende Thier von Neuem ins Wasser.

Ein zweites Mal, mit großer Anstrengung, kam der Hund herangeschwommen, da warf Robert mit Steinen gegen ihn.

»Bösewicht!« schrie Eva. Dann lief sie zur Stelle, wo der Hund wieder hervorgewatet kam und nahm das große, triefende Ding in ihre Arme.

»Komm mir nicht nahe!« rief sie Robert zu, der mit wüthender Geberde auf sie los ging.

»Was das für Dummheiten sind! Laß das Vieh los – ich häng' ihm einen Stein an den Hals, und dann kann er nicht mehr heraus.«

Aber Eva schleuderte nur noch einen Blick auf ihren Mann, einen Blick des tiefsten Abscheus und, das gerettete Thier im Arm, lief sie dem Schlosse zu.

Robert zuckte ärgerlich die Achseln und versuchte nicht, die Fliehende einzuholen.

Nach einer halben Stunde lag Nero wohlgebettet in Eva's Ankleidekabinet. Einer der Diener des Hauses, der gelernter Thierarzt war, hatte den Hund untersucht und gefunden, daß er keine lebensgefährliche Verletzung davongetragen und in wenigen Tagen wieder gesund sein könne. Er mochte Schmerzen leiden, da er öfters leise stöhnte, aber unter der streichelnden Hand und dem freundlichen Zuspruch seiner Retterin schauten seine guten Hundeaugen in froher Dankbarkeit auf.

Eva hatte ihr naßgewordenes Kleid gegen ein anderes ausgetauscht.

»Herr Jesus, Frau Gräfin!« rief die Kammerjungfer, während sie bei dem Kleidwechsel behilflich war, »Frau Gräfin müssen sich verkühlt haben, zittern ja wie Espenlaub, dabei so brennende Wangen und der stiere Blick ... Frau Gräfin sollten sich niederlegen.«

Nach einer Weile – Eva hatte sich in einen Lehnstuhl geworfen und ihre Nervenerschütterung löste sich in Thränen – trat Robert in das Zimmer.

»Du, Eva –«

Sie machte eine Bewegung mit der Hand, welche bedeuten mochte: »Geh fort.«

Er aber setzte sich.

»Du, weißt Du, ich war grad ein Bissel heftig mit dem Nero. – Aber Du mußt wissen, er hat mir einen Hasen durchaus nicht apportiren wollen – da hat er mich in Wuth gebracht – und Strafe muß sein.«

»Genug – rechtfertige Dich nicht. Du warst von der herzlosesten Grausamkeit –«

»Ja, weißt Du, wenn ich in Wuth komme, da kenne ich mich nicht. Aber nachher ist's bald wieder gut ... Jetzt hab' ich dem Nero schon verziehen. Und überhaupt – wegen einem Thier wird man doch nicht so viel Aufhebens machen ... Sei nicht fad. –«

Sie machte nochmals die nach der Thür weisende Handbewegung, die einer Entlassung gleich kam.

Robert kehrte sich aber nicht daran.

»Du,« fuhr er in ganz natürlichem Tone fort, »ich hab' g'hört, daß der Dürenberg hier war. Schad', daß ich ihn versäumt hab' ... Er war ein ziemlich fader, steifer Geck – aber schließlich, er gehört doch zu den Ersten in der Gesellschaft. War er lang da? Nun – kannst Du nicht antworten? – Ob der Dürenberg lang da war? – Du, das verbitt ich mir, die Trotzerei hörst Du? Also wie lange war er da? – Ach so, die Manier willst Du einführen? Das ist recht ungezogen und dumm.« Er stand auf und ging zu ihrem Sessel. »Willst Du mir antworten?« fragte er mit erhobener Stimme und sie am Arme schüttelnd.

Sie preßte die Lippen noch fester auf einander. Wenn er sie nur schlüge! Von seiner Brutalität konnte man auch das erwarten, aber es wäre ihr willkommen gewesen – wenigstens ein triftiger Grund, sich gänzlich von ihm loszusagen – Scheidung, Scheidung! war dasjenige, nach welchem ihr Sinn jetzt lechzte, wie der Gefangene nach dem Aufspringen seiner Kerkerthür lechzt.

Aber er schlug sie nicht. Im Gegentheil:

»Du bleibst also stumm?« sagte er, »Du Trotzkopf, Du – hübscher –« und mit einer raschen Bewegung riß er sie an sich und drückte seine Lippen auf die ihren.

Mit einer verzweifelten Anstrengung machte sie sich von seiner Umarmung los und lief zum Glockenzug.

»Nur einen Schritt in meine Richtung und ich läute Sturm – ich schreie um Hilfe.«

»Und machst uns Beide lächerlich – kleine Närrin. So will ich einen günstigeren Augenblick abwarten, Dich zu versöhnen. Denn jetzt hab ich mir's erst recht in den Kopf gesetzt ... ich weiß schon, was ich sagen will. Auf Wiedersehen.«

Und er ging aus dem Zimmer hinaus.

Eva klingelte.

»Ist Graf Ralph nach Hause gekommen«, fragte sie die eintretende Netti.

»Ich weiß nicht, Frau Gräfin. Soll ich nachschauen gehen?«

»Ja – und wenn er da ist – ich lasse ihn zu mir bitten – gleich –«

»Zu dienen.«

Eva ließ sich in einen Sessel fallen. Sie fühlte sich erschöpft, ein Zittern ging durch ihre Glieder. O, diese Sehnsucht, die sie nun verzehrte, bei dem Geliebten Schutz zu suchen vor dem Gehaßten. Denn wahrlich, was sie jetzt gegen Robert empfand, es war schon Haß. Die Rohheit, die namenlose Grausamkeit, die – Infamie, die darin lag, ein armes, sich dem Ertrinkenstod mühsam entringendes Geschöpf, das sich bittend ihm zu Füßen wand, wieder in den Tod zurückzustoßen – so etwas konnte sie nie wieder verwinden, so etwas stempelte jenen Menschen in ihren Augen zu dem, was sie ihm im ersten Augenblick ins Gesicht geschleudert, zum »Bösewicht.« Ein solcher Wütherich war jeder Missethat fähig ... Schrecklich wäre es, seinem Zorn ausgesetzt zu sein – schrecklicher noch seiner Zärtlichkeit. Und wie dem entgehen? Da half auch das allabendliche Zuschließen nichts – sie mußte fort, fort... Und dazu konnte ihr nur Einer mit Rath und That beistehen.

»Der Herr Graf ist noch nicht zurück«, kam jetzt Netti melden. »Ich habe dem Kammerdiener die Post zurückgelassen, daß, sobald der Herr käme, Frau Gräfin ihn bitten ließen.«

»Es ist gut.«

Eine bange Stunde verging. Eine Stunde der wachsenden Sehnsucht, des heftigsten Verlangens. Fortwährend horchte Eva hinaus, ob vor den Fenstern kein heranrollender Wagen, ob im Nebenzimmer keine nahenden Schritte zu vernehmen waren. Gegen einen neuen Ueberfall Roberts hatte sie sich durch Umdrehung des Schlüssels geschützt. Ab und zu ging sie in das anstoßende Kabinet, dem kranken Nero freundliche Worte sagend. Sie wollte ihm für die erlittene Unbill Vergütung bieten und dies gelang ihr auch: er wedelte vergnügt, sobald sie an sein Lager trat. Der Anblick des Opfers bestärkte sie in ihrem Abscheu gegen den Henker. Ralph war mit Thieren so gut. Das hatte sie öfters zu beobachten Gelegenheit gehabt. O, wenn sie ihm erzählen würde, welcher Rohheit sie heute Zeugin gewesen, und erzählen, daß dieser ihr jetzt so abschreckend gewordene Mensch – der ihr Mann, aber Gott sei Dank, sein Sohn nicht war – es sich nun in den Kopf gesetzt hatte, sie wieder in seine Arme zu reißen, wie würde da ihr König sie zu schützen, zu retten bereit sein – dessen war sie sicher. Wo er nur so lange blieb, ihr Hort, ihr Ritter, ihr Alles ... Wie, wenn er gar nicht mehr käme? Daß ihr diese Angst doch immer wieder aufstieg – war das etwa eine Ahnung? Wäre dieser Fall nicht der Gipfelpunkt des Unglücks – was Anderes blieb ihr dann übrig als – sterben?

Ein Klopfen an der Thüre:

»Eva – Klein-Eva!«

Seine Stimme! Sie fliegt zur Thüre und öffnet sie. Mit einem Jubelruf schlingt sie dem Eintretenden die Arme um den Hals, gleitet aber an seiner Seite schluchzend zu Boden.

Er bückte sich und hob sie auf.

»Was ist Dir, was hast Du?« fragte er erschrocken.

Sie aber konnte nicht reden. Ihre Brust wogte, ihr Athem flog und ein krampfhaftes Weinen verschlug ihr die Stimme.

Ralph stützte ihre bebende Gestalt mit seinen Armen, sprach tröstend und liebkosend auf sie ein, immer wieder fragend:

»Was hast Du? Was ist Dir für ein Leid geschehen?«

Eva weinte jedoch nicht aus Leid und Kummer. Was sie – nach all der in den letzten Stunden durchgemachten Seelenerregung – so heftig erschütterte, das war die Freude, ihn da zu haben, den sie liebte, an seiner Seite sicher zu sein vor den drohenden Schrecken und Gefahren. Und so war das Erste, als sie wieder sprechen konnte, das Erste und Einzige, was sie ihm sagte:

»Mein König, mein König! ... Ich liebe Dich – mein Theurer – o, wie ich Dich liebe!«

Was konnte er nun Anderes thun, als sie in seine Arme schließen, sie fest an sein Herz drücken und auf ihre widerstandslosen Lippen den von Beiden so lang ersehnten Kuß pressen?

Jetzt weinte sie nicht mehr; aber sprechen konnte sie noch immer nicht; auch er hatte aufgehört, Fragen an sie zu stellen Alles, was dieser erste Kuß sagte und fragte, das konnte nur durch einen zweiten erläutert und beantwortet werden. So blieben sie, die Arme verschlungen, Mund an Mund, ein paar selige Minuten, die Welt herum in nichts versunken, als eine Stimme sie aus ihrem Himmel riß:

»Also so stehen die Dinge?« Es war Robert, der vor einigen Augenblicken eingetreten, ohne von den Beiden gehört worden zu sein.

Ralph und Eva fuhren auseinander. Als Letztere aber sah, wer Zeuge dieser Liebesszene gewesen, floh sie wieder, Schutz suchend, an Ralphs Seite zurück. Er legte den Arm um ihre Schulter.

Robert kreuzte die Arme:

»Also so stehen die Dinge?« wiederholte er. »Mein Vater und meine Frau –«

»Ich bin Dein Vater nicht – und diese ist Deine rechtmäßige Frau nicht.«

Eva schmiegte sich noch fester an ihn. Robert trat einen Schritt vor.

»Ein Vater bist Du mir nie gewesen – das ist wahr ... Immer schroff und kalt ... ich habe zeitlebens nur Furcht vor Dir gehabt – mich vor Dir immer klein gefühlt ... Aber jetzt, gottlob, ist's mit dem Respekt vorbei – Du stehst vor mir – der gemeinste Verbrecher.«

»Schweig!«

»Nein – ich rede. Und Du, infames Geschöpf, das in fader Ziererei dem Gatten die Thür verschließt, um den blutschänderischen Buhlen einzulassen, – glaubst Du, daß Du Deiner Strafe entgehen wirst. Du niederträchtige ...« Er faßte sie am Arme.

Aber Ralph stieß ihn mit aller Kraft zurück. Dann, mit Blitzesschnelle riß er die Thür auf, in deren Nähe sie standen, schob Eva mit einem Ruck hinaus und drehte hinter ihr den Schlüssel im Schlosse um. Sie fiel draußen auf den Teppich nieder. Jetzt waren die beiden Männer – Todfeinde – allein hinter jener Thür ... es war ihr, als vernähme sie ein Ringen. – Sie wollte hinhorchen, aber ihr Bewußtsein schwand.


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