Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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IX.

In ihren Zimmern fand Eva nur die Kammerjungfer, welche ihrer harrte; Robert war nicht da.

»Der Herr Graf ist schon vor einer Viertelstunde angekommen,« antwortete die Jungfer auf Evas diesbezügliche Frage. »Er ist noch einmal hinausgegangen – ins Dorf.«

Eva konnte ein ärgerliches Achselzucken nicht zurückhalten. Also wieder ins Wirthshaus – war das doch eine abscheuliche Gewohnheit... Sie entließ ihr Mädchen.

»Ich werde mich noch nicht niederlegen – der Graf wird wohl gleich kommen – geh' nur, ich kann mich allein auskleiden.«

Sie wollte Robert erwarten. Sie nahm sich vor, mit ihm eine lange Plauderei über die Erlebnisse des Tages in Gang zu bringen, die beiderseitigen Eindrücke auszutauschen über das Dürenbergsche Haus und dessen Einwohner, über die politischen Reden des Fürsten, über die Charaktereigenthümlichkeiten Liubas ... sie mußte wahrlich sich daran machen, zwischen Robert und sich einen mitteilsameren Ton einzuführen, und ein paar Vorwürfe – ganz leise Vorwürfe – wollte sie ihm auch machen über diese Manie, Abends immer noch Wein zu trinken und noch dazu in der Schänke – war das gesund? – schickte sich das? Vielleicht konnte doch versucht werden, was ihr von verschiedenen Seiten aufgetragen worden: die Erziehung Roberts. Solche Dinge kommen vor; sie hatte von ähnlichen Verhältnissen gehört und gelesen, wo es dem Einfluß einer Frau gelungen, dem Gatten seine Fehler abzugewöhnen, ihm Sinn für edlere Bestrebungen zu wecken und in seinem Herzen Begeisterung für höhere Ideale zu entfachen. Um dies zu erreichen, muß freilich die Frau vor Allem eine gewisse Gewalt über den zu leitenden Mann gewinnen – eine Gewalt, die nur auf der Liebe beruhen kann, welche sie ihm einflößt. So nahm sich Eva vor, ihr Möglichstes zu versuchen – sich gegen Robert recht zutraulich, recht zärtlich zu zeigen, um auch seine Zärtlichkeit, sein Zutrauen zu erlangen; dann würde ihres Gatten Charakter vielleicht allmählich ein anderer werden und – wer weiß – wenn das Erziehungswerk gelänge, vielleicht würden sie noch ein innig beglücktes Paar ... Ja, sie mußte aus sich heraustreten, ihm entgegenkommen – er war keine mittheilsame Natur, im Gegentheil sehr schüchtern und verschlossen. Nun hatte auch sie sich zurückhaltend gezeigt, seiner Kälte eine noch größere Kälte entgegengehalten, und dadurch war dieses Fremdgefühl entstanden, das wie eine Mauer zwischen ihren beiden Seelen sich erhob. Diese Mauer durfte man nicht noch höher werden lassen, im Gegentheile: dieselbe energisch niederreißen. Heute noch wollte sie damit beginnen... Nun hub sie an, sich im Geiste vorzuspielen, wie sie in der nächsten Viertelstunde – er mußte ja jeden Augenblick kommen – den heimkehrenden Gatten empfangen, welche Worte sie an ihn richten würde. »Mein lieber Robert,« wollte sie sagen und dabei ihren Arm um seinen Hals schlingen, »mein geliebter Robert« – dann führte sie die Scene weiter aus. Wenn er auch – nach seiner Gewohnheit – eben weil er so schüchtern und undemonstrativ ist, wenn er sie etwa wieder fortstieße: »Geh' sei nicht sentimental!« so würde sie diesmal nicht, wie sie es sonst gethan, sich gleich zurückziehen und dann stunden- und tagelang kalt bleiben – nein: sie würde mit sanfter Beharrlichkeit sich ihm von Neuem nahen: »Nicht sentimental bin ich, mein theurer Mann – ich habe Dich nur herzlich lieb, und das sollst Du, wissen – in diesem Wissen, daß wir uns gegenseitig gut sind, ist ja unser beiderseitiges Glück begründet, nicht wahr, mein Robert?«

So träumte und plante sie lange fort; führte ganze Gespräche durch; lieh ihrem Gatten zuerst kalte, dann immer wärmere Antworten; sie zeigte ihm eigentlich viel mehr Liebe, als sie empfand, denn, wahrlich, in letzterer Zeit hat sie sich oft bei Anfällen heftiger Abneigung ertappt – doch die hervorgekehrte Zärtlichkeit gehörte zu der anzuwendenden Methode; einen ganzen Erziehungsplan baute sie für die Zukunft, – ganz allmälig nur wollte sie vorgehen.

Auf diese Weise verging eine Stunde. Eva erschrak, als sie, aus ihrem Sinnen erwachend, auf die Uhr blickte und gewahr wurde, daß Robert schon eine volle Stunde ausgeblieben. Sie ging an das Fenster, öffnete es und horchte hinaus, ob seine nahenden Schritte nicht schon zu hören seien – nichts. Unausstehlich! Wie konnte er nur so lange draußenbleiben an dem Dorfwirthshaustisch ... waren denn die Gespräche des Försters und seines Gehilfen gar so fesselnd? Sie begann sich zu ärgern, und der Vorsatz, den Heimkehrenden zärtlich zu empfangen, kam ins Schwanken – verdiente er nicht eher Vorwürfe als ein freundliches Willkomm? Doch nein, zur »Gardinenpredigerin« werde sie sich niemals erniedrigen... Gerade, weil er fühlen mochte, daß er Vorwürfe verdiente, würde er desto freudiger berührt sein, einen freundlichen Empfang zu finden.

Sie machte das Fenster wieder zu und setzte sich auf ihren vorigen Platz. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, versuchte sie, ihre Gedanken von vorhin wieder aufzunehmen: »Mein lieber Robert – nicht sentimental bin ich, sondern –« sie hatte den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen – ein leiser Schlummer befiel sie, in welchem sie ihr Bewußtsein jedoch nicht gänzlich verließ; sie wußte ganz gut, daß sie da saß, die Ankunft Roberts erwartend, mit ihm eingebildete Gespräche führend, aber die Kraft, diese Gespräche willkürlich zu leiten, hatte sie verloren; sie konnte die Gedanken nicht mehr festhalten, und auch das Bild ihres Gesprächspartners fing an, in Nebel zu verschwimmen, um mit veränderten Umrissen wieder aufzutauchen: ... »König, mein lieber König ...« Wieder legte sie die Arme um seinen Hals, »nicht sentimental bin ich, theurer Gatte, sondern –« Er stieß sie nicht fort... und wie war das doch? Erziehen sollte sie ihn – ihn langsam zu ihrer Höhe heraufleiten? O nein, im Gegentheil: er, der sie so schützend umschlang, der so innig ihr zuflüsterte: »ich verstehe Dich, Kind, mein armes Kind –« er war ja weit erhaben über sie; um ihn zu erreichen, mußte sie die Emporgeleitete sein.

Ein Lärm schreckte sie auf. Verwirrt blickte sie um sich, aber zwei Sekunden genügten, um ihr Bewußtsein wieder herzustellen: ja, sie erwartete Robert, ihren Mann, und der Lärm war das Rütteln der Thürklinke unter seiner Hand. Aber warum rüttelte er so, warum trat er nicht einfach ein? Hatte sie in der Zerstreuung etwa zugesperrt?

Sie stand auf, um an die Thür zu gehen, dabei fiel ihr Blick auf die Standuhr. Wie – zwei Uhr? So lange hatte sie in Schlaf gelegen, und so spät, so spät kam Robert nach Hause?

Doch jetzt, noch ehe sie bis zur Thür gelangte, that sich dieselbe auf, und Robert trat – nein, – taumelte herein.

Er stieß an einem Lehnstuhl an und ließ sich hineinfallen. Eva eilte auf ihn zu:

»Robert – was ist Dir? Was ist geschehen?... Ein Unglück?«

Ja, es war ein Unglücksfall. Einer der bittersten, der eine junge Frau treffen kann: im eigenen Mann einen – Trunkenbold zu erkennen. Die Stunde, welche nun folgte, war die fürchterlichste, welche Eva noch erlebt hatte. Denn der Rausch, den Robert mitgebracht, glich mehr einem Rasereianfall als einem Rausche. Zuerst ein Lallen, dann ein Fluchen, zuletzt ein Toben. Er wollte mit dem Kopf an die Mauer rennen, er wollte die Stühle zerbrechen, er wollte mit dem Arm ausholen, um Eva zu schlagen – doch zum Glück war er so schwach, daß sie ihn jedesmal bändigen konnte, daß er beim geringsten Stoß ihrer Hand wieder auf seinen Sitz zurücktaumelte. Was sie jedoch nicht bändigen konnte, das war seine Rede, das waren die gemeinen Schimpf- und Lästerworte, die von seinen Lippen flossen, die cynischen Scherze, und daneben die bösartigsten Drohungen – Mord- und Mordbrennerpläne: Den Vater, den alten Lumpen, der noch einmal heirathen will und ihn um sein Erbe verkürzen, den soll man todtschlagen ... und dem russischen Weibsbild soll man das Dach über dem Kopf anzünden ...» »und Dir, dumme Bestie ... warum giebst Du mir keinen Wein? ... Dir soll man den Hals umdrehen ... einen Wein her! oder ich hau' Dir den Schädel ein ...«

Seine Stimme wurde immer lauter, die Sprache immer undeutlicher; endlich war es nur noch ein Stöhnen und Brüllen. Die Kammerjungfer, welche unweit schlief, war durch den Lärm geweckt worden und kam hereingestürzt.

Auch sie rief, wie vorhin die Herrin:

»Was ist geschehen? ... Ein Unglück?«

Doch sie erkannte schnell den Sachverhalt.

»Ah so,« sagte sie – »der Herr Graf hat Einen –«

Eva hätte vor Scham in den Boden versinken mögen.

»Es ist das erste Mal –« begann sie.

Die Jungfer schüttelte den Kopf:

»O nein, Frau Gräfin – ich hab' gehört, daß der junge Herr, so oft er in Großstetten war, immer ein paar Mal ... aber das thut ja nix,« fügte sie hinzu und erzählte hierauf eine Anzahl Erfahrungen aus früheren Dienstplätzen, in welchen betrunkene Herren eine Rolle spielten. Da war der Baron So und So der alle Nacht eine Flasche Cognac leerte und mit vierzig Jahren am Säuferwahnsinn gestorben; da waren drei junge Brüder ihrer früheren Komteß, die allwöchentlich zwei Saufgelage veranstalteten, wo einer den anderen unter den Tisch trank. Da war noch dieser und jener; – »nein, nein, wirklich, Frau Gräfin« schloß sie, »das dürfen's Ihnen nicht zu Herzen nehmen – auch wenn der Herr Gemahl ein bissel wild wird... das is schon so: Der Eine wird traurig und weint wie ein Kind, wenn er ein' Rausch hat; der Andere wird lustig und fidel, und ein Dritter wird rabbiat – Der Herr Graf Robert is halt so Einer.«

Während sie so sprach, hatte sie ihren Herrn am Arm gefaßt und schleppte ihn zum Bett. Jetzt stieß er keine wüthenden Laute mehr aus, sondern jammernde, da er von Ueblichkeiten befallen war.

Von unsäglichem Ekel erfaßt, floh Eva aus dem Schlafzimmer in das Nebengemach. Hier warf sie sich auf das Ruhebett und weinte bitterlich.

Nach einiger Zeit kam die Kammerjungfer herein:

»So, Frau Gräfin – jetzt ist alles in Ordnung – der Herr schläft und wird sicher vor acht Stunden nicht wach. Frau Gräfin können jetzt auch zu Bette gehen ... soll ich auskleiden helfen?«

»Nein, geh nur ... danke.«

Das Mädchen entfernte sich, und Eva blieb da, wo sie war – die ganze Nacht. Sie hätte es nicht über sich gebracht, neben dem Rauschausschlafenden sich zur Ruhe zu legen. Derselbe flößte ihr Ekel und – Furcht ein. »O ich Unglückliche – Unglückliche! ... Das ist mein Mann – mein Lebensgenosse – mein Gebieter. – Und solche Auftritte können sich wiederholen ... es kann nächstens wieder geschehen, daß er als Wahnsinniger, als wildes Thier sich geberdet...«

Es stiegen ihr Gedanken auf an Scheidung, an Flucht... Aber welchen Scheidungsgrund anführen? Weil der Gatte einen Rausch gehabt? Das löst keine Ehe auf. Und wohin fliehen? Sie war ohne Familie, ganz mittellos, was beginnen?

Vor Allem: ihr Leid mußte sie Jemandem klagen, allein konnte sie es nicht tragen. Aber wem? Es gab nur Einen, dem sie ihr Herz hätte ausschütten mögen, und gerade diesem Einen konnte sie doch nicht sagen: »Dein Sohn ist mir ein Greuel.«

Sie verbrachte ein paar qualvolle Stunden. Aus dem Nebenzimmer drang das Schnarchen des Schlafenden. Die eben stattgehabten Auftritte spielten sich immer wieder in ihrer Phantasie ab; sie konnte die Gefühle nicht los werden, und im Ohre gellten ihr unaufhörlich die vernommenen Stimmenlaute nach – schreiende, drohende, grunzende, bellende Töne, wilde, böse, gemeine, sinnlose Worte.

Unmöglich zu schlafen! Die Lampe auf dem Pfeilertisch erlosch, das Oel war ausgebrannt, und Eva blieb im Finstern. In das Nebenzimmer gehen, vom Nachttische die Zündhölzchen holen? Nein – um keinen Preis ... wenn ihre Schritte den Schläfer weckten, so konnte er sie packen und drosseln ...

Uebrigens dauerte es nicht mehr lange und durch die Fensterscheiben fiel gelbes Dämmerlicht: Die kurze Sommernacht war zu Ende. Eva ging an das Fenster, Öffnete es und badete ihr Gesicht im Wehen der kühlen Morgenluft. So blieb sie eine Zeit lang hinausgelehnt. Die Schreckensgedanken begannen sich zu verflüchtigen; der feuchte Morgenwind, das blasse Dämmerlicht das Vogelgezwitscher, von dem der eintönige Ruf der Hähne sich abhob, das Alles wirkte so gewiß einlullend; eine große Ruhesehnsucht überfiel sie – die Sehnsucht, durch mehrstündigen Schlaf sich aus dem Bewußtsein zu flüchten. Sie ging an das Ruhebett zurück und legte sich hin; ein paar Minuten später war sie eingeschlafen.

Erst nach mehreren Stunden wachte sie auf. Robert, ganz angekleidet, stand neben ihr.

»Was machst Du hier?« fragte er erstaunt. »Ich hab' geglaubt, Du seist schon draußen – auf einem Morgenspaziergang – und jetzt finde ich Dich hier schlafend. Warum bist Du so früh aufgestanden, wenn Du noch schläfrig warst?«

»Ich bin nicht früh – ich bin gar nicht aufgestanden. Ich hatte mich nämlich gar nicht niedergelegt...«

Er blickte sie fragend an: »Ich habe mich zu sehr vor Dir gefürchtet – denn Du warst fürchterlich, fürchterlich!«

»Ah – so ist die Geschichte wahr? Hab's also nicht – geträumt, bin mit einem kleinen Tampus nach Haus gekommen?«

Sie zuckte verächtlich mit den Achseln und wandte den Kopf ab.

»Ach, bitt' Dich – thu' nicht gar so zimperlich! Was ist da weiter dran, wenn ein Mensch einmal einen Schwips hat? Geschieht mir ohnehin selten, denn ich vertrag' viel. Viel Wein nämlich vertrag' ich, aber Grimassen und Faxen von einer Frau vertrag' ich nicht – hörst Du? So von oben herab laß ich mich nicht anschauen, und alle Zierereien und Uebertreibungen sind mir verhaßt.«

Sie stand auf, legte ihre Hand auf seinen Arm und schaute ihm ins Gesicht:

»Robert – fragst Du denn nicht auch darnach, was mir verhaßt sein könnte? Was mir Grauen einflößen muß? Du weißt wohl gar nicht mehr, daß Du Dich wie ein Rasender geberdet hast – brutal – mordlustig ...«

Er lachte.

»So schlimm war's? Also hatte ich einen Tüchtigen. Davon weiß ich gar nichts mehr. Aber Du wirst doch nicht so dumm sein, Einen für das verantwortlich zu machen, was er im Rausch treibt und redet? Das thut nicht einmal das Gericht.«

»Jedenfalls kann ich Dich dafür verantwortlich machen, daß Du Dich in einen solchen Zustand versetztest. Wenn Du Dich achtest – und wenn Du mich nur ein wenig lieb hast, Robert, so sei in Zukunft–«

»Hübsch solid und brav, was? Nur Wasser trinken, fleißig arbeiten, vielleicht auch Rosenkranz beten? Geh, laß mich aus – Du wirst mich nicht erziehen.«

»Du willst Dir also mir zu lieb gar keinen Zwang anthun? Warum frage ich nur: Du hast mich ja gar nicht mehr lieb ... Ich begreife nicht, wodurch ich Deine Zuneigung verloren habe – denn ich besaß sie doch? Du warst doch verliebt in mich, Robert? ... Warum hättest Du mich sonst zur Frau gewählt – ich verstehe nicht, begreife nicht –«

»Zerbrich Dir nicht den Kopf und sei nicht fad.«

Damit kehrte er ihr den Rücken und ging zur Thür hinaus.


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