Bertha von Suttner
Eva Siebeck
Bertha von Suttner

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IV.

Es vergingen vierzehn Tage.

Graf Siebeck hatte sich im Hause Borowetz nicht mehr blicken lassen. Auch gab es keine Blumensträuße und Gedichte mehr. Schon begann Eva zu fürchten, daß ihr schöner Glückstraum vernichtet sei, und das Gefühl der Kränkung, des Kummers schlich sich in ihr Herz.

Sie ward so auffallend traurig, daß Dorina sie ängstlich befragte, was ihr denn fehle, und daß sogar der Oberst eines Morgens nach dem Frühstück bemerkte:

»Sie sehen ja aus wie ein Häuflein Unglück, Baroneß Eva. Da ist ja der Uhu, dem ich neulich einen Flügel abgeschossen, und den wir in einen Käfig gesperrt haben, ein Ausbund von Lustigkeit gegen Sie. Ich muß aufrichtig sagen, daß ich so verdrießliche Gesichter nicht gern um mich sehe – die Leute werden noch sagen, Kreuz Million, daß ich meine Hausgenossen schinde. Die Dorina stößt auch seit einiger Zeit Seufzer aus, als ob ihr die Hühner das Korn gefressen hätten. So was kann ich nicht vertragen!« schloß er, indem ihm die Zornesröthe ins Gesicht stieg. Und – wie er das oft zu thun pflegte, wenn er sich zu ärgern begann – er verließ hastig das Zimmer, die Thüre hinter sich zuschlagend.

»Daß noch ganze Thüren im Hause sind, wundert mich,« sagte Donna. »Die Prügelwuth, die in seinen Händen zittert, läßt mein Herr und Gebieter an den unschuldigen Thüren aus – da kann er ausholen: Bumm – und das ist eine Erleichterung, als ob er einen todtgeschlagen hätte. Wahrlich, wenn ich nicht so gescheidt gewesen wäre, mir vom Leben andere Kompensationen zu verschaffen –« Sie hielt plötzlich inne.

»Was für Kompensationen?« fragte Eva.

»Nichts. Sage Du mir lieber, was Dich niederdrückt? Du langweilst Dich bei uns?« Eva schüttelte den Kopf. »Siehst Du, jetzt treten Dir wieder die Thränen in die Augen ...«

»Frag' mich nicht, Dorina... ich habe in der That einen Kummer ... später – bis ich ihn niedergekämpft habe – werde ich Dir vielleicht mein Herz ausschütten ... und wenn es bis dahin nicht – gebrochen ist...«

»Du närrisches Ding! Gebrochene Herzen kommen nur in den Büchern vor; in der Wirklichkeit stirbt Einer an andern Uebeln.«

»An der Schwindsucht z. B.?« sage Eva, indem sie unwillkürlich hüsteln mußte. »Und ist dieses nicht oft die Folge eines tiefen seelischen Schmerzes?«

Der Oberst kam wieder herein. Sein Zorn schien sich gelegt haben.

»Ich habe vorhin vergessen, Abschied zu nehmen;« sagte er. »Ich muß nämlich heute wieder nach Wiener-Neustadt fahren und komme erst morgen Abend zurück ... eine langweilige Geschichte ... Es ist schon angespannt... Adieu; Dorina, adieu, Baroneß Eva – daß ich Sie lustiger finde, wenn ich nach Haus komme!«

An diesem Nachmittag zog sich Dorina schon gegen sechs Uhr, auf ihr Zimmer zurück: »Ich habe schreckliches Kopfweh,« hatte sie sich gegen Eva entschuldigt, »es ist mir unmöglich, Dir Gesellschaft zu leisten, sei nicht böse ...«

Eva war gar nicht böse, allein bleiben und ihren Gedanken nachhängen zu können. Gegen neun Uhr – sie saß vor ihrem Schreibtisch und überlas zum so und sovielten Male die ihr gewidmeten Liebesgedichte – ward im Hause ein Geräusch von Schritten und Stimmen vernehmbar. Eva horchte auf: die Stimmen wurden immer lauter und zorniger. Es war ihr, als vernähme sie das Organ des Obersten. Sollte der unvermuthet zurückgekehrt sein?

Das Stubenmädchen trat herein.

»Baronesse sollen so gut sein, einen Augenblick zur Frau Oberstin zu kommen.«

Überrascht und einigermaßen erschrocken folgt Eva dieser Aufforderung. Doch ihre Ueberraschung ward noch größer, als sie Dorinas Zimmer betrat. Außer Herrn und Frau von Borowetz war noch eine dritte Person anwesend – die letzte, die sie hier zu finden erwartet hätte – Lieutenant Graf Siebeck.

Der Oberst ging der Eintretenden zur Thüre entgegen, nahm sie an der Hand und führte sie herein.

Der junge Offizier verneigte sich.

Dorina trat auf ihre Freundin zu:

»Meine liebe Eva,« sagte sie, »hier siehst Du einen in Dich rasend verliebten jungen Mann: Graf Siebeck hält um Deine Hand an.«

Dem jungen Mädchen drohten die Sinne zu schwinden. Ein solches Glück – und so plötzlich ... Das war wie ein Traum, wie ein Märchen ...

»So ist es, Baronin Holten – schöne Baroneß Eva, so ist es,« sagte der Lieutenant mit etwas gedehnter Stimme – »ich erlaube mir ... Ihnen anzutragen, Gräfin Siebeck zu werden.«

Der Oberst, der Eva noch immer an der Hand hielt, preßte diese mit einem so eisernen Griff, daß das junge Mädchen hätte aufschreien mögen, und indem er ihr fest ins Auge schaute:

»Sagen Sie mir nur Eines, Eva,« sprach er feierlichen Tones – »aber die Wahrheit – beim Andenken – bei der Grabesruhe Ihrer Eltern – die Wahrheit: hat Ihnen dieser junge Mann schon seit längerer Zeit den Hof gemacht?«

Dorina fiel rasch ein:

»Als ob das nothwendig wäre! Man kann ja auch –«

Der Oberst unterbrach sie mit einer Schweigen gebietenden Kopfbewegung.

»Antworten Sie, Eva. Seit wann wissen Sie, daß Graf Siebeck Sie liebt – beim Andenken von Vater und Mutter, seit wann?«

Eva senkte erröthend den Kopf:

»Seit ... seit ungefähr sechs Wochen,« murmelte sie.

Mit einem erleichterten Seufzer ließ der Oberst ihre Hand los.

Robert und Donna wechselten rasch einen erstaunten Blick.

»Nun denn,« sagte Herr von Borowetz, »so handelt es sich nunmehr um das Jawort. Geben Sie es?«

Donna antwortete statt der Befragten:

»Als ob man so ein entscheidendes Wort augenblicklich geben könnte ... Da bittet man sich doch wenigstens vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit aus.«

Das Gesicht des Obersten verfinsterte sich wieder, und mit etwas gezwungenem Lachen fügte Dorina schnell hinzu: »Nach den vierundzwanzig Stunden wird dann freilich Ja gesagt ... Das Mädchen ist ja mindestens ebenso verliebt wie der Jüngling, nicht wahr, Eva? .. Schon seit jenen Fensterparaden ist Dein Herz dem schmucken Reiter zugeflogen, wie? ... Auf, Graf Siebeck, seien Sie nicht schüchtern – holen Sie sich Ihren Bescheid, indem Sie das Bräutchen umarmen.«

Robert that, wie ihm befohlen. Er trat auf die bebend dastehende Eva zu, legte seinen Arm um ihre Schulter und küßte sie auf die Stirn.

Eva taumelte zurück und warf sich an Donnas Brust, in krampfhaftes Weinen ausbrechend.

»Das sind die Nerven,« sagte die junge Frau. »Es wird nichts sein ... sie muß nur ein wenig Ruhe haben. – Thun Sie mir den Gefallen, Graf Siebeck, gehen Sie jetzt fort und kommen Sie erst morgen wieder.«

»Ja,« stimmte der Oberst bei, »das wird das Beste sein – lassen wir die Weiber allein.«

Siebeck ließ sich das nicht zweimal sagen, und nach einem letzten einverständlichen Blick auf Dorina ging er mit seinem Obersten aus dem Zimmer hinaus.

Als Eva am nächsten Morgen erwachte, konnte sie ihre Lage nicht gleich fassen: Braut ... Würde dieses an ihrem Horizont wie eine Fata Morgana aufgestiegene Bild nicht auch wie eine solche wieder verschwinden? ...

Sie saß an ihrem Putztisch, ihr langes blondes Haar kämmend und dabei an die gestrigen bedeutungsvollen Auftritte denkend, als Dorina hereinkam.

Eva erschrak über den bittern, verbissenen Ausdruck, der in ihrer Freundin Gesicht lag, und den sie bisher nie an ihr gesehen. Gewiß kam sie mit einer bösen Nachricht: vielleicht, daß Robert abgereist sei ... daß er sein Wort zurücknehme – –

Indessen, diese Befürchtung erwies sich als unbegründet, denn Dorinas erste Worte waren:

»Fröhlichen guten Morgen, künftige Gräfin Siebeck!«

Sie warf sich in einen in der Nähe des Putztisches stehenden Lehnsessel, und ihr Gesicht in freundliche Falten legend hub sie an:

»Ich gratulire Dir nochmals. Du machst ein riesiges Glück. Siebeck ist einziger Sohn, und die Herrschaft Großstetten, die er von seinem Vater erben wird, ist eine halbe Million werth ... Auf so eine Partie hast Du eigentlich niemals rechnen können – so etwas Glänzendes wäre Dir kaum beschieden gewesen – auch wenn Dich Deine Tante Rosa in die Welt geführt hätte ... Du antwortest nicht?«

»Von dieser Seite hatte ich meine Schicksalswendung noch gar nicht betrachtet. Was mich erschüttert, was mich beglückt, ist das Bewußtsein seiner – meiner Liebe...«

»Nun, gar so sentimental mußt Du das Ding nicht auffassen, meine liebe Eva. Ich sagte Dir schon öfters: das Leben ist anders, als es in den Büchern steht. Du darfst Dir nicht vorstellen, daß der junge Herr gar so närrisch in Dich verliebt ist und Dir in schwärmerischer Weise vorzirpen wird. Graf Siebeck ist sogar ein recht trockener Mensch.«

»Er? Mit diesem dichterischen Sinn?«

»Was Du nur immer mit dem Dichten hast! Nein – die Sache ist sehr einfach: Du bist hübsch, von guter Familie, gefällst ihm; kurz es paßt Alles ganz vortrefflich. Ganz vortrefflich,« wiederholte sie zwischen den Zähnen.

»Was hast Du nur? Du scheinst mir böse?«

»Böse – ich? o nein – es geht ja alles nach meinem Wunsch. Ja, nach meinem Wunsch, Eva, merke Dir das: ich habe diese Heirath eigentlich zu Stande gebracht. Doch, was ich Dir eigentlich sagen wollte: Du mußt heute Deine Halbtrauer ablegen und zum Speisen eine hübsche Toilette vorbereiten, denn heute wird eine neue Verlobung gefeiert ... mein Mann besteht darauf ... er hat das halbe Offizierkorps eingeladen und ein Dutzend Champagnerflaschen bestellt.« Sie stand auf. »Jetzt gehe ich. Ich habe viel zu thun – muß Anstalten treffen, daß das Mittagessen des großartigen Anlasses würdig werde.«

»Bleibe doch noch! Ich habe Dich so viel zu fragen.«

»Kann nicht – keine Zeit.«

»Und nicht einmal einen Morgenkuß hast Du mir gegeben?«

»Bald wirst Du genug geküßt werden. Also sorge für Deine Toilette – Adieu!« Und fort war sie.

Eva verbrachte den Vormittag damit, ein weißes Seidenkleid, das sie schon zwei Jahre besaß, jedoch nur zwei oder drei Mal getragen hatte, durch gewisse Aenderungen der gegenwärtigen Mode anzupassen. Und während dieser Arbeit, die eine recht anregende und angenehme war, war sie fortwährend bemüht, die Sonderbarkeit und Erfreulichkeit ihrer neuen Lage zu begreifen, zu erfassen, nach allen Seiten hin zu beleuchten. Auch die zuletzt von Dorina gemachten Mittheilungen über die weltlichen Vortheile der bevorstehenden Heirath nahm sie mit in Betracht und mußte sich zugestehen, daß auch von dieser Seite das Leben ihr sehr heiter und verheißend winkte: – Gräfin Siebeck ... Es war ein schöner Name; und einst Herrin einer Besitzung, die fünfmalhunderttausend Gulden werth war – mit anderen Worten also: nie mehr Geldkummer und Entbehrungen leiden, wie solche ihre Jugendjahre so oft verbittert hatten, sondern, im Gegentheil, von Glanz und Komfort umgeben sein ... eine große Bücherei sich anschaffen können – einen Konzertflügel – Toiletten in Hülle und Fülle – da brauchte sie nicht mehr zwei Jahre alte Kleider, wie dieses hier, mühselig aufzufrischen; – in der Gesellschaft eine Rolle spielen – Reisen machen können – kurz eine reiche, angesehene große Dame sein: diese Zugabe war nicht übel. Denn dies Alles war ja nur Zugabe. Die Hauptsache, die Grundlage ihres Glückes war doch dies: »liebend und geliebt«.

Als sie gegen fünf Uhr – die anberaumte Speisestunde – in den Salon trat, reizend schön in ihrem herzförmig ausgeschnittenen weißen Kleide, waren die Gäste schon versammelt. Einige Stabsoffiziere mit ihren Frauen und ein halbes Dutzend Ober- und Unterlieutenants, darunter auch Robert Graf Siebeck. Derselbe stand neben der Hausfrau, scheinbar in angelegentliches Gespräch vertieft.

Dorina hatte sich gleichfalls schön gemacht. Sie trug eine granatrothe Toilette, welche ihre schwarzäugige, lebhaft südliche Physiognomie besonders vortheilhaft zur Geltung brachte.

»Ah, endlich da, Eva!« rief sie, die Eintretende erblickend. »Du hast auf Dich warten lassen. Es gab hier Jemand, der schon sehr ungeduldig war.«

Wenn unter diesem »Jemand« Graf Siebeck gemeint war, so sah man ihm diese Regung wahrlich nicht an. Er näherte sich dem jungen Mädchen mit ein paar langsamen Schritten und grüßte mit steifer Förmlichkeit.

Eva hatte ihre Hand hinstrecken wollen, doch ließ sie dieselbe auf halbem Wege wieder sinken und erwiderte verlegen Siebecks Gruß.

»Ich – hoffe, Sie sind – heute – ganz wohl?« sagte er gedehnt.

»Ganz wohl, ich danke. – Und Sie?«

»Ich auch.«

Längeres Schweigen.

»Ein fades Nest, das Krems, nicht wahr?« nahm er die Unterhaltung wieder auf.

»Ich finde nicht.«

Neues Schweigen.

Nach einer Weile macht er wieder einen Versuch:

»Können Sie Schlittschuh laufen?«

Hier ward das Gespräch der Liebenden unterbrochen, indem der Diener meldete, daß das Essen aufgetragen sei.

Da trat Oberst von Borowetz hervor und sprach:

»Meine Herrschaften, erlauben Sie mir, ehe wir zu Tische gehen, Ihnen eine Mitteilung zu machen.«

Allgemeine Stille.

»Ich habe Sie bei mir versammelt, um ein freudiges Ereigniß zu feiern, von welchem ich hiemit gebührende Anzeige erstatte – die Verlobung der Baronesse Eva von Holten, der besten Freundin meiner Frau, mit Robert Grafen Siebeck, dem jüngsten Lieutenant meines Regiments.«

Es erfolgte das übliche Glückwünschen, Händeschütteln und Komplimentiren. Eva fühlte sich von der Wichtigkeit und Feierlichkeit des Augenblicks eigenthümlich erschüttert und gehoben. Jetzt stand sie wirklich an der Schwelle einer neuen Zukunft, eines ganz veränderten Lebens... Ob der schüchterne Geliebte, der nun seinerseits die Glückwünsche seiner Kameraden entgegennahm, von gleichen Hochgefühlen erfüllt war? Daß er tief und poetisch zu empfinden vermochte, das bewiesen ja – trotz der scheinbaren Nüchternheit seines Wesens – die in ihren Händen befindlichen Gedichte.

Natürlich war es ihr Bräutigam, der Eva zur Tafel führte, und der daselbst zu ihrer Linken Platz nahm. Als ein besonders angenehmer und aufmerksamer Nachbar erwies er sich gerade nicht. Denn statt sich ausschließlich oder doch vorzüglich mit seiner Verlobten zu unterhalten, sprach er fast die ganze Zeit mit zwei gegenüber sitzenden Offizieren, welche verschiedene Jagderlebnisse zum Besten gaben, und denen er seinerseits Einzelheiten von den Großstettener Jagden erzählte. Dies interessirte Eva nur insofern, als der Name Großstetten ja der Name ihres künftigen Heims war.

Als der Champagner eingeschänkt wurde, ward selbstverständlich das Wohl des Brautpaares ausgebracht. Alle standen von ihren Sitzen auf und kamen zu Eva's Platze, um mit derselben anzustoßen. Auch Robert hob sein Glas und stieß es an das ihre; aber das warme Wort, das sie wenigstens jetzt zu hören erwartete, kam wieder nicht. Nun freilich, unter diesen vielen, sie von allen Seiten umdrängenden Leuten, da war ein Herzenserguß nicht leicht möglich. Das würde in den nächsten Tagen anders werden. Freudig bewegten Herzens dachte Eva an die in Bälde bevorstehende Stunde, wo ihr Bräutigam endlich Muth und Muße finden werde, mit ihr von dem holden Liebesroman zu sprechen, der sich seit sechs Wochen zwischen ihnen abgespielt und jetzt zu einem so glücklichen Abschluß gelangt war. Sie selber war ungeduldig, ihm zu erzählen, mit was für Gefühlen sie seine Huldigungen aufgenommen, welchen Eindruck sein Vorüberreiten und namentlich seine poetischen Blumenspenden auf sie gemacht, und mit welchem Kummer das Ausbleiben dieser Liebeszeichen sie erfüllt hatte. Würde sie ihm auch gestehen, daß sie schon halb entschlossen war, sich zu Tode zu kränken? Nein – das wollte sie erst nach der Heirath beichten. Er würde ihr dann wohl Vorwürfe machen, je an ihm gezweifelt zu haben; hatte er ihr es denn nicht schwarz auf weiß geben: »Ich harre aus?«

Beim Nachtisch mußte Eva jedoch erfahren, daß die nächste Zeit keine Gelegenheit zu vertraulichem Gefühls- und Gedankenaustausch mit dem Bräutigam bieten werde, denn am folgenden Tage mußte er fort von Krems, um in einem anderen Kronland die Übungen mitzumachen. Bei der Gelegenheit wurde es dem jungen Mädchen weh ums Herz hart.

Nachdem die Tafel aufgehoben, begab man sich in den Salon; Eva natürlich wieder von Siebeck geführt. Auf diesem kurzen Wege preßte er ihren Arm fest an sich und flüsterte ihr zu:

»Wie hübsch – aber wie hübsch Du bist, Eva!«

Diese Worte entsprachen zwar nicht dem, was sie zu hören gewünscht, dennoch war der ganze Eindruck ein eigentümlich betäubender: Die zum Kopf steigende Gluth des Champagnerweins, dieser zärtliche, besitznehmende Armdruck, das erste »Du«, die vor ihr liegende, so neuartige glanzvolle Zukunft: das Alles versetzte sie in eine bisher ungekannte Stimmung; ein zugleich physisch und seelisch verstärktes Lebensgefühl, ein Gehobenwerden auf warmen, schaukelnden Freudenwogen.

Im Laufe des Abends aber verlor sich diese Ekstase und machte einem gewissen Unbefriedigtsein Platz. Der Siebeck – der Vorbeireitende, der Blumensender, – für den sie die Zeit über geschwärmt – der konnte sich in dem leibhaftigen Verlobten so gar nicht recht wiederfinden lassen. Zwar hatte er sich, – während die Anderen um die Spieltische Platz nahmen – neben sie gesetzt und ein Gespräch begonnen, aber mit einer so gedehnten, beinahe gelangweilten Stimme von gleichgiltigen Dingen gesprochen, daß ihr dabei im Innern ganz kalt wurde. Uebrigens waren stets andere Leute in der Nähe, so daß es auch beim besten Willen nicht gut möglich gewesen wäre, von Liebe zu reden; – und war Niemand anders da, so kam Dorina zu ihnen und mischte sich in ihr Gespräch. Eva konnte sich nicht erwehren, dieses Gebahren ihrer Freundin etwas ungeschickt zu finden.

Gegen zehn Uhr stand Siebeck auf, um zu gehen. Eva versuchte nicht, ihn zurückzuhalten; sie fühlte sich so müde und abgespannt, daß sie sich nach Ruhe sehnte.

Der Oberst forderte den jungen Mann laut auf, er möge seine Braut zum Abschiede umarmen. Der Abmarsch finde ja morgen früh um sechs statt, also würde er sie vor der mehrwöchentlichen Trennung nicht mehr sehen.

Die kommandirte Umarmung fiel ziemlich kalt und steif aus.

Nachdem er allen Anwesenden gute Nacht gesagt, ging Siebeck in das anstoßende, offenstehende Speisezimmer, um sich von der Hausfrau – die dort an der Thee-Urne beschäftigt war – zu verabschieden. Er verneigte sich ehrerbietig, und sie schüttelte ihm mit höflicher Kopfneigung die Hand. Was sie dabei sprachen, konnte Niemand hören; es sah jedenfalls ganz förmlich aus, etwa als hätte er ihr gesagt: »Ich empfehle mich Ihnen, gnädige Frau und drücke meinen Dank aus für das Glück, das ich in Gestalt Evas in Ihrem Hause gefunden« – und als hätte sie erwidert: »Adieu, Graf Siebeck – gehaben Sie sich wohl und lassen Sie Ihre Braut nicht zu lange auf Nachricht warten.« Indessen war das Zwiegespräch ganz anders geartet.

»Leb wohl, Dorina. Deine Lebensrettung ist also vollständig gelungen, das Mittel war freilich etwas energisch – aber es gab wohl kein anderes.«

»Nein, es gab kein anderes – er hätte mich getödtet. Doch ich glaube, Du bist recht zufrieden mit dieser Wendung. Du verliebst Dich in diese junge Person –«

»Ich hab' mich mein Lebenlang in keinen Backfisch verliebt – nicht mein Genre – auf Wiedersehen!«


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