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»Nie mehr!« rief die Rechnungsrevidentensgattin Anna Plaminger, die ihre Dienstboten nicht minder fix wechselte als ihre Wohnungen und eben einmal wieder ohne »Mädel« dastand, leidenschaftlich aus. »Nie mehr kommt mir so eine durchtriebene, mit allen Salben geschmierte Person ins Haus, die net weiß, was sie für hohe Ansprüch' machen soll! Ich nehm' mir jetzt ganz eine Junge, die erst vom Land gekommen ist und noch gar nicht in einem Wiener Dienst war – mit einem Wort, eine Frischg'fangte nehm' ich mir.«
»So?« sagte der Herr Revident, um doch auch etwas zu sagen.
»Ja. Können braucht s' nichts, nur willig muß sie sein. Abrichten werd' ich mir s' schon, darum is mir net bang. Hab' ich recht?«
»Aber freilich,« sagte der Herr Revident, küßte die teure Gattin aus die Stirn und ging in sein Amt.
Bei seiner Heimkehr am Nachmittag sah er klar, daß das Angekündigte bereits zum Ereignis geworden war. Dem jugendlichen, über seine Jahre robusten weiblichen Wesen, das die Suppe mit tief in die heiße Flüssigkeit getauchten Daumen auftrug, stand die ländliche Herkunft weithin lesbar auf dem dunkelroten Gesicht geschrieben.
»Stasi heißt s',« erläuterte Frau Plaminger. »Anastasia Sauerzopf. Siebzehn Jahr' is s' alt, bei Gföhl is s' z'Haus. Einen Posten hat s' zwar schon g'habt in Wien, aber nur drei Tag' lang. Die Leut' war'n soviel grob mit ihr. Mein Gott, man muß halt umzugehn wissen mit so ein' Mädel. Mir macht s' recht einen guten Eindruck. Dir net auch?«
»Hm … Vielleicht könntest ihr begreiflich machen, daß s' mich grüßen soll, wann ich z'Haus komm'.«
»Hat s' das net getan? Du mußt halt Geduld mit ihr haben, so wie ich sie hab'. Böse Absicht war g'wiß keine dabei. Ihr Unglück geht ihr halt net aus'n Kopf.«
»Unglück?«
»Ja. Sie hat mir gleich ihre häuslichen Verhältnisse erzählt, ganz offen und aufrichtig. Weißt, sie hätt's eigentlich gar net notwendig, daß sie sich als Dienstbot' ihr Brot verdient. Aber ihr Vater hat zum zweitenmal g'heirat', und die Stiefmutter hat net früher eine Ruh' geb'n, als bis das arme Kind draußen war.«
»Wirklich? Wie im Märchen!« bemerkte Herr Plaminger skeptisch.
Seine Gemahlin, empört über solche Gefühllosigkeit, wollte etwas sehr Spitzes erwidern, aber ein ohrenzerreißendes Geklirr und Gepolter von der Küche her schnitt ihr das Wort ab. Die arme, vertriebene Waise hatte, wie sich gleich herausstellte, in ihrem tiefen Kummer das Rindfleisch samt Gemüse zu Boden fallen lassen.
Dies verstimmte Herrn Plaminger sehr, weil er hungrig war. Aber seine Frau beschwichtigte ihn mit dem Hinweise, daß sie durch Güte mehr als durch Schelten auszurichten hoffe. So begnügte er sich denn wortlos mit der Mehlspeise und zog sich dann still zur Siesta zurück, des Abendblattes harrend, das ihm die neuesten Neuigkeiten aus aller Welt vermitteln sollte. Sonst kam es gewöhnlich bald nach drei Uhr, heute aber wurde es vier, ohne daß man es ihm brachte. Sollte es etwa konfisziert worden sein? Das war doch seinem Leibblatte seit zehn Jahren nicht geschehen. Endlich ging er in die Küche, um aus der Trafik ein anderes holen zu lassen. Da sah er mit staunendem Ingrimm, wie Anastasia Sauerzopf inmitten eines malerischen Haufens von ungewaschenem Geschirr am Herde lehnte und in die Lektüre seines geliebten Blattes vertieft war.
»Stasi!« schrie er zornig. »Werd'n S' die Zeitung hergeb'n?!«
»Glei', gnä' Herr,« erwiderte die Angerufene zerstreut, ohne den Blick zu erheben. »Nur dös oani G'satzl no' … So … Hör'n S', dös is aber schreckbar, was in derer Weanastadt all's possiert. Da hat wieder a so a Frauenzimmer, a nixwertig's …«
Der Herr Revident ließ sie den Bericht nicht endigen. Wütend riß er ihr das schon ziemlich verknüllte und fettige Papier aus der Hand und stürmte ins Nebenzimmer, seiner Frau, die an einem »Milieu« stickte, den Frevel zu melden. Sie hörte ihn gelassen an:
»In der Ordnung ist das freilich net. Aber warum du dich gar so aufregst, seh' ich auch net ein. Sie ist halt noch naiv und versteht 's net besser. Mit der Zeit werd' ich ihr schon alles beibringen. Gib jetzt mir das Abendblatt, ich les' nur g'schwind den Roman.«
Herr Plaminger gehorchte, ging aber ins Kaffeehaus. Als er wieder heimkam, empfing ihn Anastasia mit einem lauten »Grüaß' God«, was zweierlei bewies: Erstens, daß sie versöhnlicher Gemütsart war, zweitens, daß sie bereits höfliche Umgangsformen annahm.
Die Gemütlichkeit des Abendessens litt einigermaßen unter mangelhafter Beleuchtung. Die Hängelampe war nämlich von der »Frischg'fangten« bei der Füllung beschädigt worden.
»Ich hab' s' schon zur Reparatur g'schickt,« begütigte Frau Plaminger. »In längstens acht Tagen krieg'n wir s' wieder. Zwei bis zweieinhalb Gulden wird die G'schicht kosten. Die mußt du mir halt auf's Wirtschaftsgeld d'raufgeben.«
»Ich –?«
»Na natürlich du! Oder willst du vielleicht von dem armen Mädel verlangen, daß sie den Schaden ersetzt? Scham' dich!«
»Erlaub' du mir, unsere Frühere …«
»Unsere Frühere, die Marie, diese falsche, scheinheilige Tratschen, hat zahlen müssen, was sie gebrochen hat. Aber mit einer Frischg'fangten kann man net so streng sein. Die muß ich mir natürlich erst abrichten. Begreifst du das gar nicht?«
Jetzt schämte sich Herr Plaminger wirklich, aß schweigend seinen »Aufschnitt« und trank sein Bier. Nach einer Weile – seine Gattin hatte sich, offenbar ermüdet von dem anstrengenden »Abrichten«, zeitig zurückgezogen – bekam er Lust nach einem zweiten Glas und rief dem Mädchen. Vergebens. Nochmals und ein drittesmal ließ er ein zorniges »Stasi!« erschallen – doch in der Küche rührte sich nichts.
Ärgerlich ging er zur Tür, öffnete sie und – prallte erschreckt zurück. Die Küche war stockfinster und menschenleer.
Herrn Plaminger beschlich ein peinliches, Gewissensbissen nah verwandtes Gefühl. Am Ende war ihm in seinem Unmut über die »Frischg'fangte« ein allzu hartes Wort entschlüpft! Und nun war das bedauernswerte Wesen gekränkt in Nacht und Nebel hinausgelaufen, war den Gefahren und Versuchungen der lasterhaften Großstadt ausgesetzt, hatte sich etwa gar ein Leids getan! Mit zitternder Hand strich er ein Zündhölzchen an. Da sah er sofort, daß seine Besorgnis unbegründet gewesen war. Denn in ihrem »Tafelbette«, die Decke bis zur Stirn hinaufgezogen, wohlig zusammengekauert, lag Fräulein Anastasia und schlief und schnarchte wie ein Dachs.
Die Uhr in der Hand, die genau fünf Minuten vor halb neun zeigte, eilte Herr Plaminger zu seiner Frau und gab ihr eine hohngetränkte Schilderung des Geschauten. Frau Anna runzelte die Stirn:
»Das ist aber doch …«
»Zu stark« wollte sie sagen. Aber sogleich faßte sie sich und sprach voll Güte: »Das ist doch zu entschuldigen. Die Stasi kennt eben unsern Brauch noch nicht. »Früh mit den Hühnern zu Bette,« heißt's auf'm Land. Is mir übrigens viel lieber, sie geht zeitig schlafen, als wann sie bis um Mitternacht Liebsbrief' schreiben und mein Petroleum verbrennen möcht' wie die andre, die Marie.«
So viel Geduld und Nachsicht hätte der Herr Revident nach seinen bisherigen Erfahrungen seiner Gemahlin nimmermehr zugetraut. Kopfschüttelnd löschte er seinen Durst mit Wasser und tat dann das Beste, was er unter derartigen Umständen tun konnte: Er ging auch zu Bett …
»Auf mit dem Hahn um die Wette!« lautete, wie er sich aus seiner Schulzeit erinnerte, der Schluß des schönen Spruches, den seine Gattin zitiert hatte. Aber in der Umgebung von Gföhl schien nur der erste Teil zu gelten. Beinahe wäre er im Vertrauen darauf, daß ihn das Dienstmädchen mit dem Frühstück wecke, am anderen Tag zu spät ins Bureau gekommen. Denn die »Frischg'fangte« befand sich um acht Uhr früh noch genau in derselben Lage, die sie zwölf Stunden vorher eingenommen hatte, und es bedurfte aller Überredungskunst der Frau Revidentin, sie zum Aufstehen zu bewegen. Herr Plaminger aber ging nüchtern aus dem Hause, was bekanntlich weder angenehm noch gesund ist.
Eine Woche lang war Fräulein Anastasia Sauerzopf bereits in der Familie Plaminger bedienstet, und die »Abrichtung« machte keine wesentlichen Fortschritte. Das äußerte sich in hundert Dingen, »Kleinigkeiten«, wie ihre Lehrmeisterin sagte. So ging sie zum Beispiel unter keinen Umständen darauf ein, die Stiefel und Schuhe mit Wichse zu putzen, sondern schmierte sie mit Schmalz, daß sie troffen. So benützte sie, als sie einmal in die Heimat schrieb, ganz unbefangen ihres Herrn Briefpapier und Briefmarken. Übertrug man ihr eine Besorgung außer Hause, so kehrte sie frühestens in zwei bis drei Stunden zurück, weil sie sich entweder verirrte oder gerade zu irgendeinem Unfall zurechtkam, der im Großstadtverkehr nichts Außergewöhnliches ist, das wißbegierige Dorfkind aber aufs höchste fesselte.
Die Dauer der Nachtruhe zu regeln, hatte Frau Plaminger einen Nachtragskredit zur Anschaffung einer Küchenweckuhr in Anspruch genommen. Am ersten Tage überhörte Anastasia ihr wahrhaft höllisches Geschnarr, am zweiten hatte sie sie bereits beim Aufziehen ruiniert. Am Abend aber mußten alle erdenklichen Listen angewendet werden, um sie wenigstens bis gegen neun Uhr außer Bett zu erhalten.
So wenig wie ihrem Schlaf konnte der geheime Kummer, der in ihr nagte, ihrem Appetit etwas anhaben. Sie vertilgte unglaubliche Mengen alles Eßbaren, das in ihren Bereich kam. Als Herr Plaminger dies einmal sauer lächelnd besprechen wollte, erwiderte ihm seine Frau, sie habe bisher nicht gewußt, daß in der endlosen Liste seiner Charakterfehler Neid und Geiz obenan stünden.
So duldete er und schwieg. Schwieg auch, als die Stasi am Sonntag früh den Wunsch aussprach, einer heiligen Messe beizuwohnen, aber nicht nur das Hochamt, sondern auch die Predigt gewissenhaft bis zu Ende anhörte und knapp vor dem Mittagmahl nach Hause kam.
»Ich bin nicht bigott,« sagte Frau Plaminger. »Aber dem Mädel muß man den Trost der Religion lassen. Es ist eh' ihr einziger.«
Sie war förmlich vernarrt in die »Frischg'fangte« und das harte Amt, sie »abzurichten« – sie war einfach verblendet. Doch schon nahte der Tag, der ihr schrecklich die Augen öffnete.
Der Briefträger hatte der Stasi ein Schreiben aus der Heimat gebracht, dessen Lektüre die Sorgenfalten auf ihrer Stirn zauberhaft rasch glättete. Der Vater melde, erzählte sie ihrer Herrin, daß die Stiefmutter nicht mehr so übelgesinnt gegen die Stieftochter sei und sogar bisweilen recht liebevoll von ihr rede. Frau Anna war gerührt.
Aber als sie die Stasi »einkaufen« geschickt hatte, bemerkte sie, daß diese aus Herzensfreude und Vergeßlichkeit den Brief offen auf dem Küchentisch hatte liegen lassen. Frau Anna sagte sich rasch, es könne unmöglich eine Indiskretion sein, wenn sie schwarz auf weiß lese, was sie ohnehin bereits wisse. Wenige Minuten später war sie um eine schwere Enttäuschung reicher. »Inixtgelübte Stasi« war das Briefchen überschrieben und »dein ewiglübender Johan« unterfertigt. Von einer Stiefmutter war darin nicht die Rede, wohl aber von einer gewissen »Wettl«, deren nähere Bekanntschaft dem Schreiber, wie er hoch und heilig schwor, ganz ungerechterweise in die Schuhe geschoben werde. Zum Schluß beglückwünschte der Johann die Stasi, daß sie einen so gutmütigen »Latschen« von einer Frau gefunden habe und versicherte, er hätte nun ordentlich Lust bekommen, es auch einmal mit einem Wiener Dienstplatz zu versuchen: »Dan wärn mir wenixtens widerum beinander …«
Um dreiviertel drei Uhr kam der Herr Revident Plaminger aus dem Amte. Aber die Anastasia fand er nicht mehr vor.
»Mir ist die G'schicht' endlich zu dumm geworden mit dem Trampel,« sagte Frau Plaminger. »Ich hab' schon eine Neue ausgenommen, ein sehr geschicktes, erfahrenes, älteres Mädel mit einem Zeugnis über drei und einem über zwei Jahr'. Der Lohn is freilich ein bißl hoch, aber da liegt nichts dran. Nie wieder nehm' ich mir eine Frischg'fangte. Ich begreif' die Frauen nicht, die sich so ein Kreuz aufladen. Nie wieder! Hab' ich nicht recht?«
»Aber natürlich!« sagte Herr Plaminger.