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Ausflügler.

Nur der Großstädter kann so ganz verstehen, was das heißt: Der erste echte, rechte Frühlingssonntag. Denn draußen in der Ebene, im Hügelland, im Hochgebirg ist der Winter ein ungeschlachter Bärenkerl, mit dem man, tüchtig gewappnet, täglich zu neuem Ringen antritt, der unter rauher Hülle auch seine angenehmen Seiten hat und sogar hie und da ein tolles Späßchen gutmütig zuläßt. Im riesigen Häuserhaufen der Stadt jedoch zeigt er sich als ein mürrischer, unsauberer, heimtückischer Gesell, der keine Niedertracht, am wenigsten den Meuchelmord scheut und vor dem es keine Rettung gibt als Flüchten, Verkriechen, Verstecken.

Der erste schöne Sonntag! Wiederum war es uns vergönnt, ihn dankbar zu erleben. Durch Vorhänge, Rouleaux und Läden in die dumpfen Schlafstuben blitzend, entzündete er in hunderttausend bedrückten Herzen helle Freude, wandelte er hunderttausendfach mit zaubrischer Schnelligkeit verdrossenes Gähnen in munterste Laune. Die staubigen Fenster abscheulicher Zinskasernen ließ er aufglänzen wie jubelnde Kinderaugen, die morschen Dächer der alten Vorstadthäuschen überschüttete er mit lauterem Gold, den Spatzen wärmte er das zausige Gefieder, daß sie noch frecher lärmten als gewöhnlich; die schwarzen Öfen der Maronibrater fegte er im Nu hinweg, die Kaffeehäuser leerte und die öffentlichen Gärten füllte er.

»Heut' is aber einmal ein Prachtwetter!« lautete die stehende Begrüßung, wenn sich Zwei auf der Straße begegneten, und »Wann's nur auch aushalt'!« die unabänderliche Antwort.

Und siehe, es »hält aus«. Dem prächtigen Morgen folgt ein herrlicher Mittag. Und da beginnt die große, allgemeine Wanderung ins Freie.

»Führst mich heut' aus?« fragt beim Feiertagsbraten die kleine, rundliche Privatbeamtensgattin Amalia Haas schelmisch den Gebieter. Der ist eigentlich »Platzvertreter«, ganz unzweideutig gesagt: Agent eines Schreibwarengeschäftes, aber er nennt sich einen Privatbeamten, weil das nicht um einen Kreuzer mehr kostet und doch um ein paar hundert Gulden besser klingt. »Führst mich heut' aus, Karl?«

»Gar keine Spur!« erwidert Herr Haas in einem Tone, der seine Worte Lügen straft und in ihr gerades Gegenteil verkehrt. Frau Amalia faßt sie auch ganz richtig auf, indem sie seelenruhig weiter fragt:

»Also wohin denn?«

»Na, so rat' einmal!« ist jetzt die Antwort.

»Nach Schönbrunn?«

»O nein. Höher hinauf!«

»Aufs Tivoli?«

»Noch höher!«

»Am End' gar in'n Prater zu ein' Konzert?«

»Ich seh' schon, du errat'st es net. Alsdann mußt halt warten, was geschieht. Zieh' dich nur bald an, daß wir weiterkommen.«

Sie machen sich beide fein, Frau Haas mit einer selbstverfertigten Bluse und einem Strohhut, der schon vier wechselnde Frühjahrsmoden siegreich überdauert hat, Herr Haas mit Gehrock und Zylinder, zwei unverwüstlichen Staatsstücken, die ihr Geld wert waren. So geputzt gehen sie stolz und glücklich die Treppen hinunter.

Vor dem Haustor schnaubt ein nobles Zweigespann, der Kutscher hält ehrerbietig den Hut in der Hand, der Hausmeister steht diensteifrig daneben. Eine dicke Dame in einem auffallenden, kostbaren Seidenkleid und mit wehenden Straußenfedern auf dem Haupte sitzt bereits steif und wichtig im Wagen, ein stattlicher Herr, dessen wurstförmige Finger viel zu kurz scheinen für die Unmenge von Ringen, die er daran aufgereiht hat, steigt nach ihr ein, daß die stählernen Federn schwanken und ächzen.

»Der Hausherr und die Hausfrau!« flüstert Frau Haas ihrem Gatten zu und beide verneigen sich tief.

»Wohin fahr'n m'r denn, gnä' Herr?« fragt der Mann auf dem Kutschbock höflich in den Wagen hinein.

»I man' halt, vorläufi' nach Liesing«, versetzt der Hausherr mit einem Blick auf seine bessere Hälfte und so laut, daß man es bis in die offenen Fenster des dritten Stockes hinaufhört. »Das Weitere werd'n m'r dann schon sehg'n. Net?«

»Von mir aus«, erwidert die Hausfrau. Die Pferde legen sich in die Stränge und fort rollt das Gefährt.

Herr und Frau Haas sehen ihm bewundernd nach, bis es um die Ecke verschwunden ist.

»So wär' 's freilich kommod.«

»No ja, die Leut' können sich's leisten.«

Dann gehen sie zur Straßenbahn-Haltstelle. Dort ist alles schwarz von aufgeregten Menschen, als ob sich eine Revolution vorbereite. Fünf volle Wagen müssen sie vorüberfahren lassen, bis sie mit Müh' und Not auf der vorderen Plattform des sechsten zwei sehr beschränkte Stehplätze erobern. Beim Schottenring steigen sie um in einen »Sieveringer.« Nun weiß endlich Frau Mali, wohin sie der Gemahl heute führen will: Auf den Kahlenberg! Dankbar drückt sie seinen Arm. Denn Jahre hindurch lag dort das Ziel ihrer vergeblichen Sehnsucht.

Gequetscht und durchrüttelt langen sie in der Endstation an. Bald danach wandeln sie den Wiesenhang hinan und trinken mit durstigen Zügen den köstlichen Sonnenschein, die herbe, nach Ackerkrumen duftende Luft. Den weiten grünen Plan überfluten Scharen von Spaziergängern. Primeln und Schneeglöckchen und Leberblümchen sterben massenhaft unter ihren rauhen Griffen und täppischen Tritten. Singen, Pfeifen und Jodeln hallt durch das Gehölz, eine Ziehharmonika spielt das »verlor'ne Glück«, ein Waldhorn den »Thurlhofer«. Nachsichtig lächelt die Sonne vom hellblauen Firmament auf all das tolle Treiben herunter. Selig schmiegt sich Frau Haas an des Gatten Seite. Sie schreiten beide tapfer, mit fliegenden Pulsen aus, der Höhe zu. Schon zeigen sich oben am fernen Rande die scharfen, imponierenden Linien des Kahlenberghotels und der bescheidenere Bau des Leopoldschlößchens …

Es ist später Abend. Von den Bahnhöfen her, durch die dunst- und stauberfüllten Straßen wälzt sich die Prozession der heimkehrenden Ausflügler, ununterbrochen, schier endlos. Männer, vom Wein gerötet, schleppen auf den Armen schlummernde kleine Kinder, Frauen mit gerafften Kleidern und großen Sträußen aus Blumen, Gras und Blütenzweigen ziehen die größeren widerwillig hinter sich her. Müd und abgespannt strebt jeder nach Haus und hat nicht Zeit noch Rücksicht, der andern zu achten. Schwankende, klappernde Omnibusse, quietschende, sausende Straßenbahnwagen, Fiaker und Einspänner füllen die ganze Breite der Fahrbahn, vollführen einen Höllenlärm und zerren an den armen Nerven, die sich eben erst notdürftig erholt haben. Ein Zweispänner fährt in rasendem Lauf gerade auf einen unbeholfenen Stellwagen los. Im letzten Augenblick gelingt es den Kutschern, ihre Gäule auf die Seite zu reißen und den Zusammenstoß zu verhindern. Flüche und Schimpfworte fliegen hin und her. Der Fiaker setzt seinen Weg fort, aber doch bedeutend langsamer als zuvor. Der Hausherr und die Hausfrau sitzen in seinem Fond.

»Marandanna«, jammert diese, »jetzt hab' i aber scho' g'mant, 's Malheur is firti'. So was giengert' m'r g'rad' no' ab auf dö verpatzte Landpartie auffi.«

»G'schiecht d'r scho' recht«, brummt sie der Hausherr an. »Ganz recht g'schiecht d'r. An an' Sunntag, wo alles G'sindel auf's Land aussipofelt, da bleibt a g'scheidter Mensch z'haus. Das is a alte Haub'n. Aber naa, furt hast müassen, an' Ausflug hast machen müassen. I bin net schuld dran.«

»Natürli' net«, höhnt die Dame. »Wann's auf di' ankommen wär', du wär'st halt wieder in dei Kaffeehaus 'gangen«.

»No, und wär' das epper net vernünftiger g'wesen, als daß m'r uns da draußten drängen und drucken und stoßen hab'n lassn und uns 'gift't und g'ärgert hab'n um unser teuers Geld?«

Eine Weile schweigt die Hausfrau, dann sagt sie verdrießlich:

»Wer hat denn das wissen können, daß 's heut', am ersten schön' Sunntag, schon a so zuageht! Aber freili', du suachst halt ah immer 's G'scheidteste aus.«

»Lächerli', heunt' war's überall bummvoll.«

Nach einer Pause beginnt der Hausherr von neuem:

»Denen gib' i bald wieder a Wurzen ab. Der Vierasechz'ger war die reine Schwefelsäure.«

»No, das hab' i wieder net bemerkt, daß er dir gar so schlecht g'schmeckt hätt'«, versetzt seine Ehefrau bissig. »Aber das – Fressen, i muaß mi' scho' so ottinär ausdrucken! Der Schunken in Kalksburg roch und versalzen, und das Hendl auf'm Roten Stadel zach als wia a Leder. Und nirgends a urd'ntlich's Platzl zum Niedersetzen … I hab' an' Bärenhunger.«

»I eh' ah. Wo fahr'n m'r denn nachtmahl'n hin?«

»No, zum Elefanten halt.«

»Guat is's. Kutscher, zum Elefanten! … Hoffentli' kriagt ma' dort was G'niaßbar's. A so a Tour! I dank' schön. No, an an' Sunntag bringst mi so bald nimmer auf's Land aussi, da kannst Gift drauf nehmen.«

»Mi scho' gar net. Das is alles ehender als wia a Vergnüg'n.«

Zur selben Zeit steigen Herr und Frau Haas die Treppen zu ihrer Wohnung empor. Schweigend wird aufgesperrt, schweigend die Lampe entzündet. Dann fragt Herr Haas:

»No, wie hat's dir denn g'fallen, Mali?«

»Ach Gott, guat, ausgezeichnet guat. Du weißt's ja eh'. Schad' nur, daß man so was net öfter haben kann. Aber die G'schicht' kommt halt doch a bißl z'teuer. Hast g'wiß über ein' Gulden ausgeb'n?«

»Beilei', so viel net,« lacht Herr Haas. »Die Tramway vierzig Kreuzer, zwei Kaffee mit Semmeln und Trinkgeld macht fünfundvierzig, zwei Portoriko – da schau her, is do' beinah' ein Gulden. Aber mir is net leid drum.«

»Von Leidsein is gar keine Red'. So ein Sonntag wie der heutige is überhaupt unbezahlbar … Na, wir müssen halt recht spar'n, daß wir uns wieder einmal eine Landpartie vergönnen können. Was willst denn zum Nachtmahl, Karl?«

»Du g'fallst mir. Zuerst red'st vom Spar'n und gleich drauf vom Essen. Nein, nein, Spaß beiseit', i brauch' heut' nix mehr, i bin ganz satt. Herrgott, war das ein schöner Nachmittag!«

»Ja, wunderschön …«

Sie treten zusammen ans Fenster. Die Gassen sind jetzt leer, ein leichter Wind hat sich erhoben, der die Gasflammen zucken macht. Ein dunkler, feuchter Wolkenfetzen segelt über die Dächer. Der erste schöne Sonntag ist vorbei. Wann kommt ein zweiter, der ihm gleicht?


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