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Urlaub in Wien.

Aus einem Tagebuch.

Das Pflaster glüht, die dicke Luft dampft und die Kanäle stinken. Wer nur ein klein wenig auf sich hält, der ist entweder schon fort aus Wien oder macht doch, wo er geht und steht, prahlerische Urlaubs- und Reisepläne. Sogar meine Hausmeisterin gedenkt, wie sie der dankbaren Zuhörerschaft von Dienstmädchen immer wieder von neuem erzählt, in der nächsten Woche auf einige Tage zu ihrer Schwiegertochter nach Amstetten zu fahren. Nur ich allein muß heuer zu Hause bleiben. Gerade ich, dem die paar Wochen auf Reisen stets das Liebste und Teuerste vom ganzen Jahr waren. Denn ich gehöre nicht zu denen, die den Kahlenberg der Schmittenhöh' und den Volksgarten der Ramsau vorzuziehen erklären. Guter Kaffee, resche Kipfel und ein eisgekühltes Glas Pilsner Urquell sind zwar auch mir sehr angenehm. Aber wer eher auf alle Naturschönheit verzichten will als auf jene schmackhaften Wiener Spezialitäten, den versteh' ich einfach nicht.

Und nun kann ich nicht fort von Wien und – hab' doch Urlaub! Das ist eben das Furchtbarste. Wenn mein schamloser Ausbeuter keine Stunde meiner Arbeit zu entbehren vermöchte, wenn ich mich den ganzen Sommer hindurch vom Morgen bis zum Abend am Schreibtisch rackern müßte, ich glaub', das wäre leichter zu ertragen. Aber den Urlaub bereitwilligst zugestanden erhalten und ihn aus völlig unerwarteten, nebensächlichen privaten Gründen nicht ausnützen können, das ist für mich geradezu eine Katastrophe. Himmelherrgottkreuzdonnerwetter noch einmal! Ich wollt', ich wüßt' was Ärgeres, daß ich's fluchen könnt'.

* * *

Gar oft im Jahr, wenn mich die Berufsgeschäfte in Anspruch nehmen, möchte ich gern dieses oder jenes Buch lesen, das eben Aufsehen erregt oder auf das mich ein Freund verwiesen hat, und komm' doch nicht dazu. Jetzt hätt' ich Zeit genug, aber – jetzt mag ich nicht. Meine ausschließliche Lektüre sind der Bädeker und das Eisenbahnkursbuch. Hundertmal im Tage rechne ich aus, wann ich mit dem nächsten Zug in Salzburg sein könnte, hundertmal studiere ich die Dampfschiffahrt auf dem Bodensee …

Wenn ein Wiener Geschäftsmann ganz ausnahmsweise einmal pünktlich ist, dann ist er es gewiß zur ungelegenen Zeit. Im vorigen Jahr haben mich Schneider und Schuster mit dringenden Reparaturen solidarisch aufsitzen lassen, so daß ich meine Abreise im letzten Augenblick verschieben mußte. Heuer haben sie beide die bedungene Lieferfrist auf die Minute eingehalten. Und nun grinsen mich Bergschuhe und englischer Touristenanzug in ihrer blanken Neuheit höhnisch an. Toll vor Urlaubsfreude, habe ich sie sogar bar bezahlt!

* * *

Man glaubt gar nicht, wie genügsam der Mensch unter Umständen wird. Ein Spaziergang in Schönbrunn um 7 Uhr früh und dann ein ausgiebiges Frühstück auf dem Tivoli sind an und für sich gar nicht zu verachten. Da geht die Luft noch kühl und frisch, die Bäume und die Wiesen glänzen, und die Vögel zwitschern, daß es eine wahre Freude ist. Ordentlich poetisch könnte man werden, wenn man nicht eine ungestillte Sehnsucht, eine verpatzte Hoffnung im Herzen trüge …

Daß es keine guten Wirtshäuser mehr in Wien gibt, ist, mit Verlaub zu sagen, eine blödsinnige Raunzerei. Man muß sie nur zu finden wissen. Ich habe heute so vorzüglich gespeist wie schon lange nicht, und dabei verhältnismäßig sehr billig. So ein Essen, so einen Trunk krieg' ich weder in Reichenau, noch in Gmunden, noch auf dem Brenner um das doppelte Geld. Alles was recht ist. Und geschlafen hab' ich drauf! Einfach herrlich. Die Rouleaux heruntergelassen, eine Gianaclis ins Gesicht gesteckt – wenn ich schon in Wien bleiben muß, so werde ich mir doch wenigstens eine bessere Zigarette leisten dürfen – und mit der Zeitung auf das Sofa hingehaut. Um 5 Uhr bin ich erst aufgewacht, die Jause hab' ich ganz verschlafen. Jetzt wird mich wieder die Reiselust packen, ich kenn' das, bei der Nacht fahre ich am liebsten. Da heißt's eine Ablenkung suchen. Wohin gehe ich also? Nach »Venedig«? Zum Weigl? In den Zirkus? Zirkus ist eigentlich eine Idee. Dort war ich seit meiner Firmung nicht mehr.

* * *

»Wien hat keinen Fremdenverkehr.« Welcher professionelle Nörgler hat denn das Schlagwort aufgebracht! Wenn man den größten und schönsten Teil des Tages im Bureau verbringt, sieht man freilich keine Fremden. Aber wenn man um 10 Uhr vormittags über die Ringstraße spaziert, fallen sie einem häufig genug auf. Lauter Lords, Petroleumkönige und Mitglieder der Akademie sind es allerdings nicht, dafür viele Kremser, Preßburger und Reichenberger. Aber es gibt schon auch solche darunter, die von weiter herkommen. So hab' ich zum Beispiel ein ungemein nettes Ehepaar aus Breslau kennen gelernt, das sich gar nicht ausgekannt und den Hochstrahlbrunnen für die Parlamentsrampe angeschaut hat. Hilfst ihnen aus dem Traum, hab' ich mir gedacht, und zeigst ihnen geschwind ein paar Sehenswürdigkeiten. Zuerst waren wir beim »Kamel« gabelfrühstücken – »so 'n vornehmes und dabei doch gemietliches Lokal haben wir in Breslau freilich nich«, hat die gnädige Frau offen erklärt – dann sind wir ins Naturhistorische Museum gegangen, wo ich, im Vertrauen gesagt, drei Tage nach der Eröffnung und seitdem nicht mehr gewesen bin. Na, meine guten Breslauer haben Augen und Ohren aufgerissen! Ja, ja, unsere Stadt braucht sich vor keinem Ausländer zu schämen. Wir Wiener wissen nur leider selber nicht, was wir an und in ihr besitzen.

* * *

War jeder Wiener wenigstens einmal in seinem Leben auf dem Stephansturm? Jeder? Hahaha! Nicht der Zehnte, was sag' ich, nicht einmal der Hundertste! Und so was ist, dafür gibt es keinen anderen Ausdruck, einfach ein Skandal. In der Fremde entgeht uns auch nicht die kleinste Merkwürdigkeit, zu Hause aber mißachten und vernachlässigen wir die bedeutendsten.

Ich war gestern auf dem Stephansturm; ich war nachmittags in der Liechtenstein-Galerie; ich schau' mir heute den alten Judenfriedhof in der Roßau an. Aber wie viele machen mir's denn nach? Das ist eine andere Frage. Da bildet man sich ein, Wien zu kennen, und ist eigentlich überall gründlicher zu Hause als zu Hause. Im Winter hat man natürlich keine Zeit, und im Sommer, wenn man Zeit hätte, dann drängt man wie närrisch »aufs Land«.

»Unsere Ruprechtskirche,« sag' ich abends in meinem Stammgasthaus, »ist wirklich schon in einem elenden Zustand. Ich hab' mich selber überzeugt. Für dieses allerälteste Baudenkmal Wiens muß bald etwas geschehen.«

»Ruprechtskirchen?« sagt einer drauf, ein vierstöckiger Hausherr und sogenannter Urwiener. »Wo is die g'schwind – beim Salzgries, mir scheint. Aber g'sehg'n hab' i s', aufrichti g'standen, mein Lebtag net.«

Ich bitte! Aber nach Maria-Taferl geht er alle Jahr', der Sumper.

* * *

Das Barometer ist damisch gefallen, wir kriegen wahrscheinlich nächstens einen Regen. Von mir aus. Wird's ein bißl kühler in Wien. Auch die Landwirtschaft braucht schon einen Regen, und auf die geehrten Sommerfrischler allein kann halt unser Herrgott auch nicht Rücksicht nehmen. Ich muß mir sieben Begleiter auftreiben, die mit mir die Katakomben anschau'n, weniger als acht Personen dürfen nicht hinein. Drei hab' ich schon …

Diese »moderne Galerie« im Belvederegarten ist aber tatsächlich was Prachtvolles. Die zwei großen Klinger! Einzig …

Im Kaffeehaus hab' ich den Rechnungsrat Wimhölzel getroffen, der heuer seinen Urlaub schon im Juni angetreten hat, damit er's nicht versäumt.

»Schon zurück?« sag' ich. »Heuer wieder eine längere Reise gemacht?«

»Ja,« sagt er mit saurem Gesicht. »Aber jedenfalls zum letztenmal.«

»Hören S' auf!« sag' ich. »Warum denn?«

»Warum?« sagt er und wird ordentlich bös. »Weil so eine Hetzerei einfach ein Unsinn ist. Weil man die ganze Zeit nichts anderes zu tun hat als Fahrpläne studieren, Währungen umrechnen, Koffer aus- und einpacken, unverläßlichen Hausdienern nachlaufen und mit unverschämten Kellnern streiten.«

Bravo! Hab' ich mir gedacht. Es muß ein jeder durch eigenen Schaden klug werden.

»Das soll eine Erholung sein?« sagt der Rechnungsrat weiter. »Ja, Schnecken, eine Plag' ist's, eine Schinderei. Und dabei überall diese entsetzliche, wahnsinnige Hitze! Hundertmal gescheiter, man bleibt gleich in Wien.«

»Sag' ich auch,« sag' ich.

* * *

Morgen ist eine Woche von meinem Urlaub zu Ende. Wie die Zeit vergeht! Jetzt hab' ich noch zwei. Na, die werden auch im Handumdreh'n vorüber sein. Das Barometer steht wieder hoch, kaum ein paar Spritzer haben wir gehabt. Etwas kühler ist's schon im Gebirge, das läßt sich nicht bestreiten.

* * *

Das wird doch ein verdammtes, unerhörtes Pech sein! So was kann nur mir passieren. Jetzt, wo glücklich ein Drittel meiner freien Zeit beim Teufel ist, jetzt haben sich auf einmal meine Familienverhältnisse geändert, und jetzt könnt' ich hinreisen, wohin ich will. Aber nein, jetzt mag ich überhaupt nicht mehr. Justament nicht! Und dann … ich hätt' auch gar nicht mehr Geld genug, um meinen ursprünglichen Reiseplan auszuführen. Wenn man so arbeitslos auf dem teuren Wiener Pflaster herumbummelt, fliegen die Kronen und Gulden. Nicht glauben sollt' man's, wieviel da aufgeht. Hm, kann man nicht ändern.

* * *

Hurra, hurra, hurra! Ich hab's gewagt! Und es ist gelungen! Mein Chef, der Goldmensch, der würdige Greis von echtem Schrot und Korn, hat mir faktisch einen Gehaltsvorschuß gegeben. Hoch soll er leben! Und jetzt nur geschwind den Rucksack vollgestopft und fort, fort! Wohin zuerst? Nach München? Nach Innsbruck? Ach was, egal. Nur hinaus, je eher, je lieber! Zu dumm, Schnellzug geht keiner mehr bis auf die Nacht … Fahr' ich halt mit dem beschleunigten Personenzug voraus. Wenn ich mir einen Einspänner nehm', komm' ich grad' noch zurecht. Hurra! Leb' wohl auf vierzehn Tage, du staubiges, stinkendes, langweiliges, unausstehliches Krähwinkel Wien!


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