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Teuerung.

Als der Magistratsoffizial Gustav Behm zum Feiertagsfrühschoppen im Gasthof »zum Lassingfall« eintraf, fand er dort die Herren Enzinger, Stahlkopf, Dimpfl und Surrm bereits in lebhafter Unterhaltung, und auch der Wirt stand bei ihnen. Wovon sprachen sie? Davon, was die Leute in Wien am meisten interessiert, mehr beinahe noch als die Flucht eines Defraudanten oder der frivole Lebenswandel einer Raubmörderin: Von den teueren Zeiten.

Eben nahm der Fleischhauer und Hausbesitzer Lorenz Surrm kauend das Wort:

»Es is schreckli, was die Leut' treib'n. Zum Teurerwer'n is ihner a jede Ausred' recht. Z'wenig g'regn't hat's in' Summer. Und der Herbst is eahner z'feucht. A andersmal is's wieder umkehrt.«

Er wischte sich den Mund mit der Serviette und schob seinen Teller beiseite.

»Sie haben ganz recht,« stimmte Herr Behm freudig zu; »vollkommen recht haben Sie.«

Herr Lorenz Surrm knipste die Spitze seiner Regalitas ab und ließ sich vom Kellner Feuer reichen.

»Zum Beispül siech' i gar net ein,« sprach er weiter, »weg'n was die Milli teurer word'n is. Aber freili, wer absalut an' Vorwand braucht, der find't 'n ah, das is a alte Haub'n.«

»Sie is scho' seit dreiß'g Jahr' oder wiaviel net mehr in d' Höh' 'gangen,« mischte sich jetzt Herr Dimpfl ein.

Der andere aber warf ihm einen vernichtenden Blick zu:

»No, und –? Is das alsdann a Grund, daß s' jetzten verteuert wird? Oder net eppa a Grund fürs Gegenteil? Ha? Wann s' dreiß'g Jahr lang auskommen san mit die gleichen Preis', die Millipantscher, so hätten s' es jetzt ah no a Weil' aushalten können und hätten die allgemeine wirtschäftliche Notlage net ausnutzen brauchen zu aner – wia ma sagt – zu aner Depression.«

»Pression, manst,« verbesserte Enzinger. »Aber wahr is's. Und daß g'rad' du a so red'st, das g'freut mi am allermeisten. Siegst, das is schön von dir.«

»Ja,« sagte gerührt der Dürrkräutler, »das is aller Ehren wert. Da hab' i d'r amal Unrecht 'tan, Surrm, und muaß di eigentli um Verzeihung bitten.«

Herr Surrm strich den buschigen Schnurrbart: »Glaubts, dös waß i net, daß ös mi allerweil schlecht machts? Das bin i scho lang g'wöhnt. Aber desweg'n hat unseraner do ah a Herz fürs Volk, wann ma 's ah net auf der Präsentiertazen tragt.«

»Und i hätt' g'schwur'n drauf,« sagte Stahlkopf, »daß du ah bei derer saubern G'sellschaft dabei bist, dö was 's Rindfleisch scho wieder teurer machen will.«

»Versteht si, bin i dabei,« antwortete Herr Lorenz Surrm selbstgefällig. »Unserans kann si do' net ausschliaßen.«

Minutenlanges Schweigen folgte dieser Eröffnung, und alle sahen einander verblüfft an. Endlich polterte Stahlkopf los:

»Na, erlaub' du mir, das is aber do stark! Und du traust di no über die Millipritschler z'reden?«

»I bin ganz paff,« sagte der ruhigere Enzinger.

»I ah,« piepste Dimpfl. Herr Behm schüttelte mißbilligend den Kopf. Und sogar der zurückhaltende Restaurateur konnte nicht umhin, seinem Beispiel zu folgen.

»So was is mir no gar net vorkommen,« tobte Stahlkopf. »Über die andern schimpfen und selber no schlechter sein! Niederträchtig! Glaubst vielleicht, weils ös Fleischhacker von jeher Gott und die Welt für an' Narr'n halts, so kannst du uns extra pflanzen?«

»Halt di z'ruck,« wies ihn Surrm würdevoll in die Schranken. »Schrei net aso, das vertrag' i net. Die Milli und 's Rindfleisch san erschtens zwarerlei. Was bei der an' a Gemeinheit is, braucht bei'n andern no lang kane z'sein. Und dann zweitens: Seids ös wirkli so patschert oder stellts euch nur aso? Alles wird teurer, die Kohlen, 's Petroleum, der Spiritus, 's Mehl, 's Brot – nur 's Fleisch soll's net wer'n? Ja, glaubts ös vielleicht, mir Fleischhacker, dö was eh ganz parterr' san, mir wer'n für euch die Kosten von derer allgemeinen Teuerung trag'n? Naa, naa, meine Liaben, das is a bißl z'viel verlangt!«

Diese Beweisführung machte sichtlichen Eindruck. Seinen Vorteil wahrnehmend, wendete sich der Sprecher an Enzinger:

»Wirst du am End' mit deine Bandeln und Schnürln net teurer wer'n, ha?«

»Wann's aso fortgeht, bleibt mir natürli nix anders übrig,« gab dieser zu.

»No alsdann. Und die Wirt', dö wer'n entweder die Portionen klaner machen – san eh schon klan gnua – oder um a paar Kreuzer höcher rechnen. Hm?«

Das verlegene Lächeln, das auf dem breiten Antlitz des Gastgebers erschien, widersprach der Prophezeiung Surrms keineswegs.

»Da schauts euchern an, den Hallodri! Freilich wird er's tuan. Was denn ah sunst? Es hilft si a jeder, wia er kann. Da därf ma an' kan' Vorwurf machen. Aber die Millipritschler, dö haben ang'fangt, dö san schuld.«

»In unsern Haus wohnt aner,« meldete sich Herr Dimpfl. »Von November an stagern mir 'n. Nimmt er mehr ein, so kann er ah mehr zahl'n, hat mein Herr Vatta g'sagt.«

Lorenz Surrm sah sich triumphierend in der Runde um. Da näherte sich ein Hausierer dem Stammtisch:

»Bartwichs, Zahnbürstel, Taschenmesser, Geldbörsel, Hosenträger – nichts gefällig, meine Herren?«

»An' Taschenspiagl können S' m'r geb'n,« rief Dimpfl. »Der meine is scho wieder hin. Kost't?«

»Nur dreißig Kreuzer, bitte sehr,« entgegnete der Handelsmann und zog ein zierliches Spiegelchen, um es ins rechte Licht zu setzen, halb aus seiner ledernen Hülle.

»Warum denn dreiß'g? 's letztemal hab'n S' ja nur fünfazwanz'g begehrt?«

»Bitte sehr, die Dürre … die Futternot …«

»Gengan S' weiter – was hat denn die Fuadernot mit Ihnere Spiageln z'tuan?«

»Mit'n Spiegel nix, bitte, aber mit'n Futteral …«

Ungeheures Gelächter erscholl. Die Herren wollten sich schier ausschütten über den frechen Kalauer, die frohe Stimmung war momentan wieder hergestellt, die Not der Zeit vergessen. Selbst der giftige Stahlkopf erhob keinen Einspruch, als nun Herr Surrm, wie immer aus der Höhe der Situation, vorschlug, um einen Liter Sooser oder zwei zu »pinnageln«.

Einzig der Magistratsoffizial Behm mochte, wie sehr auch die anderen in ihn drangen, nicht teilnehmen an dem Spiel. Er zahlte sein Viertel Gespritzten und sein Salzstangel und verließ, von geringschätzigen Blicken verfolgt, das Lokal.

Sehr nachdenklich war er geworden. Das Wirtshausgespräch hatte ihn tief und sonderbar berührt. Seine Frau fiel ihm ein und ihre fortwährenden Lamentationen. Wenn alles, alles teurer wurde, dann konnte die Arme freilich nicht mit ihrem knappen Wirtschaftsgeld auskommen. Und während sie daheim sorgte und rechnete und knauserte, praßte er bei Gespritztem und Salzstangeln! Das sollte jetzt anders werden. Diese dummen Frühschoppen mußten aufhören …

Gedankenbedrückt weiterschreitend, kam er ans Tor des bekannten großen Gasthauses »zum Mohrenkönig«. Dort klebten an der Wand mächtige, auffallende Plakate, und auf diesen stand mit spannlangen Lettern:

»Heute: Protestversammlung gegen die Lebensmittelwucherer! – Genossen! Die Lebensmittelgauner werden immer unverschämter! Sogar Erdäpfel und Kraut, die kümmerliche Nahrung der Allerärmsten, verteuern sie! Dagegen muß Protest erhoben werden! Gegen diese Schwindler, diese Räuber gibt es nur ein Mittel: Selbsthilfe! Zur Eigenhilfe muß die Arbeiterschaft greifen …!«

Während er noch las, wurde es drinnen laut und lebendig. Eben war die Versammlung, von der der Anschlag redete, zu Ende. Mit roten Gesichtern, roten Krawatten, roten Blusen und roten Blumensträußchen strömten die Teilnehmer, Männer und Frauen, Mädchen und Jünglinge, über den langen Hof durch das Tor auf die Gasse. Dicht an dem Magistratsoffizial gingen drei vorbei; die hatten sich unter den Armen gefaßt, und der mittlere, der Brillen trug, redete laut und zornig also:

»So kann's net weitergeh'n. Es muß was g'schehn. Habt's es jetzt g'hört: Mit der gleichen Rücksichtslosigkeit, mit der die besitzende Klasse ihre Produkte verteuert, mit derselben Rücksichtslosigkeit muß die organisierte Arbeiterschaft ihr Produkt, ihre Arbeitskraft, verteuern!«

Die beiden andern nickten verständnisvoll:

»Wer'n m'r scho machen!«

»An' höchern Lohn müassen m'r kriag'n!«

Herr Behm entwand sich dem Gewühle und setzte seinen Weg noch in tieferem Sinnen fort. Die wehrten sich also auch gegen die Teuerung, so gut sie konnten. Diese wie jene. Was sollte nun er tun? Zur organisierten Arbeiterschaft gehörte er nicht. Verkaufsprodukte erzeugte er nicht, und wenn er vom Magistratsdirektor eine höhere Bezahlung forderte, der hätte ihn schön ausgelacht. Aber daß etwas auch von seiner Seite geschehen mußte, das sah er ein … Wie er um die Ecke bog, stieß er mit einem sehr eiligen Herrn zusammen, das war der Schneidermeister Nechwatil.

»Patton! O, hab' die Ehre, Herr Offizial! Schon zu Haus, so zeitlich? Sind am End' die andern Herrn auch nicht mehr im Gasthaus?«

»O ja,« beruhigte er ihn. »Sie sitzen noch alle beisamm' und tun pinnageln.«

»So? Das is g'scheit. Da muß ich mich tummeln, 'b die Ehre!«

Doch der Offizial hielt den Atemlosen am Ärmel fest:

»Sie, Herr Nechwatil, den Winterrock, den ich vorige Wochen bei Ihnen b'stellt hab' …«

»Bitte sehr, bitte sehr, morgen in aller Früh schneid' ich ihn zu. So viel Arbeit – Gesellen krank – bin beim besten Willen noch nicht dazugekommen.«

»Das macht nichts. Da bin ich sogar recht froh darüber. Ich hab' nämlich sagen wollen, den Winterrock, den ich b'stellt hab', brauchen Sie nicht zu machen.«

»Aber Herr Offizial!« entsetzte sich der Bekleidungskünstler. »Wollen mir doch nicht mit der Kundschaft weitergehn?«

»Nein. Nur heuer lass' ich mir überhaupt nichts Neues mehr machen. Mein alter Winterrock ist noch ganz gut.«

»Aber, aber, Herr Offizial! Wie können S' denn so was sag'n! Den dritten Samtkrag'n hab'n m'r schon aufg'setzt, und zu eng is er Ihnen umundum, und g'wend't – richtig – g'wend't is er ja auch schon einmal! Nein, das geht net mehr.«

»Ich wer' Ihnen beweisen, daß es geht.«

»So? Na, mir kann's recht sein. Wenn der Herr Offizial glauben …!«

Und gekränkt schoß er davon.

Der Magistratsoffizial Gustav Behm jedoch schritt zufrieden, hocherhobenen Hauptes seinem Heim zu. Jetzt konnte ihn niemand beschuldigen, daß er allein der allgemeinen Teuerung mit verschränkten Armen entgegensehe. Wie die andern das Ihre, so hatte auch er das Seine getan.


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