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Freund August empfing mich mit stummem Händedruck an der Vorzimmertür, half mir aus dem Rock und geleitete mich in seinen sogenannten »Salon«.
»Na also«, sagte ich, indem ich mich setzte. Denn ich liebe es, Gespräche geistreich einzuleiten. »Na also! Jetzt ist der Sommer auch nicht mehr weit.«
»Ja,« antwortete er mit sehr leiser Stimme. »Wer weiß, was er uns bringen wird?«
»Niemand,« lachte ich. »Aber du brauchst dich doch wahrlich nicht davor zu fürchten.«
»Meinst du?« Jetzt fiel mir aber der verschleierte, dumpfe Klang seiner Worte schon ordentlich auf. Er trat langsam an's Fenster, ich sah ihm nach. Ein scharfer Lichtreflex blendete mein Auge. Er ging von einem glänzenden, metallenen Gerät aus, das auf einem Ecktischchen stand. Ich trat hinzu: Ein weitbauchiger Messingtopf mit Füßen und Henkeln, einem Hahn und einem hohen, schornsteinartigen Aufsatz.
»Was ist denn das?« fragte ich.
»Ein Samowar,« kam es dumpf von Augusts Lippen.
»Richtig, ein Samowar!«
»Ja. Und zwar ein ganz neuer von verbesserter Konstruktion.«
»Du, der ist aber sehr schön.«
»Wunderbar … ganz reizend.« Das sagte er in so bitterem, schneidendem Tone, daß es mir eiskalt über den Rücken lief. Mein Erschrecken merkend, setzte er wesentlich heiterer bei: »Hast übrigens schon 's Neueste gehört? Wir werden uns jedenfalls scheiden lassen, ich und meine Frau.«
»Ja freilich! Mach doch keine schlechten Witze! Warum denn?«
»Warum? Na, eben wegen dem hübschen, lieben, reizenden Ding da, wegen dem Samowar.« Er ging zur Tür, sah hinaus, zog dann einen Stuhl dicht an meine Seite und sprach halblaut: »Meine Frau ist nicht zu Haus. Ich möcht' nicht gern, daß uns das Dienstmädel zuhört. Sie müßt' zwar auf den Kopf gefallen sein, die Anna, wann sie nicht schon längst heraußen hätt', wie es mit uns steht, aber ich möcht' halt doch den Schein aufrechterhalten.«
Er stützte den Kopf in die Hände und sah bekümmert zu Boden. Ich rüttelte ihn:
»Jetzt sei aber so freundlich und red' schon einmal deutsch!«
»Gut,« sagte er, sich aufrichtend. »Das wird mich erleichtern. Alsdann, vor acht Tagen war meiner Frau ihr Geburtstag. Ihr Onkel, der alte Junggesell' und pensionierte Oberrechnungsrat, war am Abend bei uns eingeladen. Und bei dieser Gelegenheit hat er uns den Samowar zum Geschenk gemacht. Meine Frau und ich – heut' muß ich sagen: leider auch ich – waren ganz entzückt davon. ›Da kochen wir uns gleich nach dem Essen einen Tee darin,‹ sagt meine Frau; ›der Onkel zeigt uns, wie die G'schichte geht.‹ ›Ich?‹ sagt der Alte und tut ganz erstaunt, ›ja, kannst du denn das nicht selber?‹ ›Nein,‹ sagt meine Frau, ›in einem Samowar hab' ich noch nie Tee g'macht. Aber du hast ja den Verkäufer jedenfalls um eine Gebrauchsanweisung ersucht?‹ ›Natürlich … g'fragt hab' ich ihn, natürlich … Uebrigens ist ja gar nichts dabei … In den Kessel kommt das Wasser hinein und der Tee, selbstverständlich, und in die Röhr'n oben, sehr einfach, die Holzkohle.‹ ›Was? Holzkohle?‹ ›Ja. Viel praktischer und reinlicher als wie Spiritus. Habts ihr vielleicht keine Holzkohlen im Haus?‹ Nein, wir haben keine gehabt, denn wir haben, solang wir verheiratet sind, noch keine gebraucht. Aber meine Frau ruft sofort das Mädel, sie soll zum Kohlenhändler laufen und, wenn er vielleicht schon gesperrt hat, »von hinten« hineingeh'n. Solche Schliche, einen ehrlichen Geschäftsmann um seine Abendruhe zu bringen, sind mir verhaßt. Aber meine Frau hat mir ganz pikiert vorgeworfen, daß ich immer nur um fremde Leute besorgt bin.«
Er zupfte nervös an seinem Bart und fuhr fort:
»Alsdann die Anna hat richtig eine Schürze voll Holzkohlen gebracht, und wie wir mit dem Essen fertig waren, ist die Geschichte losgegangen. Wir haben die Röhre mit Kohlenstückchen vollgepfropft und dann ein Streichholz druntergehalten, zuerst meine Frau, dann der Onkel, dann das Dienstmädel und dann ich, immer der Reihe nach. Den Holzkohlen ist es natürlich nicht im Traum eingefallen, Feuer zu fangen. Ich hab' mich wahnsinnig geärgert, der Onkel hat gelacht. Wie wir das unterhaltliche Gesellschaftsspiel beiläufig hundertmal gespielt und vier Schachteln Schwedische aufgebraucht haben, meint auf einmal das Mädel: ›Ma' müaßt' halt an' Spiritus draufschütten.‹ ›Nicht unterstehn!‹ schrei' ich; ›Holzkohlen und Spiritus – daß ihr mir das Haus anzündets!‹ Der Onkel lacht, daß er blau im Gesicht wird, meine Frau tut, als ob ich gar nicht auf der Welt wär'. Also der Spiritus wird in den Apparat geschüttet, die Flammen schlagen bis zum Plafond hinauf, sinken wieder zusammen – und Holzkohlen, Kessel und Wasser sind nicht um einen Zehntelgrad Celsius wärmer als vorher. Meiner Frau sind die Tränen gekommen, dem Onkel auch, aber vor Heiterkeit. Da macht die Anna einen neuen Vorschlag: die Holzkohlen zuerst im Herdfeuer glühend werden lassen, dann erst in den Samowar. So geschieht's. Die Anna bringt die Glut auf der Schaufel herein, läßt die Hälfte auf den Teppich fallen, ich bück' mich geschwind und verbrenn' mir die Hand. Schau her, da siehst du noch die Wunde.«
Ich sah sie wirklich, trotz der Finsternis, denn sie war ziemlich groß. Mein Freund erzählte weiter:
»Ein Erzengel, glaub ich, wär' da fuchtig geworden. Nur ich hätt' natürlich ruhig und vergnügt bleiben sollen … Also endlich ist die Höllenmaschine ein bißl warm worden, dafür aber hat sie zu rauchen und zu stinken angefangen wie – na, damit ich nicht übertreib' – wie eine Stadtbahnlokomotiv'. ›Vielleicht könnten wir ein Fenster aufmachen,‹ sag' ich in aller Demut; ›es raucht nämlich herinnen.‹ ›Lächerlich!‹ fährt mich meine Frau an, ›das sind Fadessen von dir. Nicht wahr, Onkel?‹ ›Ich bemerk' nichts,‹ sagt der grauhaarige Sünder, ›Holzkohlen können ja gar nicht rauchen.‹ Meine Frau triumphiert, ich schweige, der Kessel dampft und stinkt immer stärker. Erst als meine liebe Frau einen Erstickungsanfall bekommen hat, sind die Fenster aufgerissen worden. Es war ziemlich kalt an dem Abend, und seither steckt eine Mordsstrauchen in mir, die sich nur noch nicht vollständig entwickelt hat.«
Das Dienstmädchen brachte die Lampe herein, warf einen mitleidigen Seitenblick auf meinen unglücklichen Freund und entfernte sich wieder. Der Samowar blinkte und glitzerte aus seiner Ecke herüber wie ein tückischer Kobold. August seufzte und begann von neuem:
»Es war eine äußerst angenehme, abwechslungsreiche Geburtstagsfeier. Aber ich will's kurz machen. Wie wir also schon alle Hoffnung aufgegeben haben, kocht das Wasser plötzlich und der Tee ist fertig.«
»Gott sei Dank!« sagte ich.
»Frohlocke nicht zu früh!« sprach mein Freund düster. »Tee war jetzt im Kessel drin – herausgegangen ist er aber nicht. Der Abfluß war verstopft! Wir haben also die ganze Maschinerie auseinandergeschraubt, wobei sich auch die Anna ihre Hände verbrannt hat, und dann den Kübel umgeleert. Ein Drittel des dunkelbraunen Saftes ist auf's Tischtuch geronnen, das zweite auf meine Hose und das dritte war ungenießbar. Weil ich das wahrheitsgemäß konstatierte, hat mich meine Frau ein herzloses, boshaftes Subjekt geheißen.« Er schwieg. Ich klopfte ihm auf die Schulter:
»Armer Kerl, das ist ja freilich alles recht zuwider; aber es ist doch, erlaub', noch lange kein …«
»Kein Scheidungsgrund?« unterbrach er mich heftig. »Halt ja nicht! Aber wann sich dieselbe Geschichte mit ganz kleinen Aenderungen alle Tag' und alle Tag' wiederholt, dann, lieber Freund, wird sie einem zu dumm. Meine Frau bildet sich nämlich ein, sie muß das Untier von einem Samowar bändigen. Und weil es ihr absolut nicht gelingt, so hat sie einen Haß auf mich geworfen. Als ob ich etwas dafür könnt'!«
»Habt ihr euch denn noch nicht erkundigt, wie man mit einem solchen Teekessel umgeht?«
»O ja, aber dieses System kennt niemand.«
»Aber zum Teufel, der Onkel Oberrechnungsrat muß ihn doch irgendwo gekauft haben.«
»Freilich hat er das – und zwar im Dorotheum bei einer Lizitation.«
»Ah so,« sagte ich. »Da ist's freilich schwer. Also da bleibt euch nichts übrig, als daß ihr euch einen Maschinisten aufnehmt. Wenn man ihn für sein Automobil engagiert – warum nicht auch für seinen Samowar? Das wäre doch originell und schick.«
August ballte die Fäuste.
»Ich verbiete mir …« schrie er, fügte jedoch nicht hinzu, was, sondern wurde augenblicklich mäuschenstill. Denn im Vorzimmer hatte es geklingelt. Gleich darauf rauschte die Hausfrau herein und wendete sich, ihren Mann als Luft behandelnd, unmittelbar an mich:
»Das ist schön, daß Sie sich wieder einmal anschaun lassen. Sie bleiben doch zum Abendessen?«
»Im Gegenteil,« erwiderte ich verbindlich. »Ich muß gleich fort.«
»O, das ist aber schad'! Ich hätte Ihnen gern meinen Tee kosten lassen, echten russischen, wie Sie ihn noch gar nicht getrunken haben.«
»Eben deshalb,« wollte ich sagen, biß mich aber rasch auf die Lippen. Doch sie mußte meine Gedanken erraten, denn mit der Hand verachtungsvoll nach jener Richtung deutend, wo ihr Gemahl stand, sprach sie:
»Lassen Sie sich nichts weismachen! Der Samowar funktioniert bereits vorzüglich, beinahe tadellos. Aller Anfang ist natürlich schwer, aber ich komm' schon noch hinter das Geheimnis.«
Ich versicherte eifrig, daß ich daran nicht im geringsten zweifle und empfahl mich aufs schleunigste.
Wenn jener Onkel, dachte ich, als ich wieder auf der Straße stand, wenn jener alte hagestolze Onkel, der mit seinem Geschenk den Frieden einer Familie vernichtet hat, nur eine Spur von Gewissen besitzt – wie muß es ihn drücken! Und wie froh bin ich, daß ich nicht so bin wie er! Denn ich mache verheirateten Frauen grundsätzlich keine Geschenke; das zehntemal ist es ja ihren Männern nicht recht.