Heinrich Sohnrey
Friedesinchens Lebenslauf
Heinrich Sohnrey

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14.

Faßbinder Bännewitt.

Brrrr! – Es schüttelt mich allemal, wenn ich an dies giftige Mannsbild denke.

Laß dir erzählen vom Faßbindermeister Bännewitt; laß dir erzählen, wie ich mir den Mann zum Feinde gemacht habe.

Bännewitt war trotz seines Meistertitels ein Pfuscher in seinem Fache, wie ihrer die Welt nicht viele haben darf, soll sie nicht schief in den Angeln hängen. Kann man es den Hilgenthalern verdenken, wenn sie seiner schließlich ganz und gar überdrüssig wurden, heimlich einen fixen Faßbinder aus der Fremde ins Dorf zogen?

Der Faßbinder aus der Fremde hatte den Meistertitel noch nicht, lieferte dahingegen eine 116 meisterhafte Arbeit, so daß er bald zu hohem Ansehen stieg und mehr Kunden bekam, als er sich hatte träumen lassen.

Anfangs hatte Meister Bännewitt dem jähen Wechsel der Dinge unter hämischem Lachen zugesehen und schadenfroh gemeint, die ungetreuen Kunden würden ihm schon wieder kommen, wenn sie durch Schaden klug geworden seien; gegen ihn käme niemand auf, man möge doch nur 'mal im ganzen Lande herumgehen, einen suchen, der ihm auch nur das Wasser reiche.

Als aber Tag um Tag verstrich und Bännewitts Erwartung sich nicht erfüllte, ward er lauter Gift und Galle und schrie: »Tunnen und Tappen! Et schallder schien un mauter schien un ischer ak!«Tonnen und Zapfen! Es soll da sein und muß da sein und ist auch da!

Daß er das zierliche f wie ein breites sch sprach, hatte die kurze Thonpfeife schuld, die ihm stets im rechten Mundwinkel hing.

Da der arbeitslose Meister von seinen Rippen nicht zehren konnte, so läßt sich denken, daß er bald in große Not kam, zumal da er ein verschuldetes Haus und fast so viele Kinder wie Finger an den Händen hatte. In ihrer ganzen Widerwärtigkeit kam ihm die Not zum 117 Bewußtsein, als er die letzte Rippe seines ihm unentbehrlichen Knasters ausgeraucht hatte und nun keine mehr anzuschaffen vermochte.

Seine Kinder hungern zu sehen, das hätte Exmeister Bännewitt noch ertragen; selbst aber entbehren müssen, seinen süßen Knaster entbehren müssen, das brachte ihn zur Verzweiflung. Er raunte wie besessen umher, raufte sich die spärlichen Haare, klopfte sich mit der geballten Rechten in die linke Handfläche und schrie immerfort: »Et schallder schien un mauter schien un ischer ak!« –

Die Faßbinderfrau, die immer kaltes Blut hatte, tröstete den Eheherrn in ihrer Weise und sagte, sie hätte in der vergangenen Nacht Tritte auf dem Steinwege gehört, und gerade zwischen elf und zwölf sei die Schaufel auf der Diele umgefallen: Es müsse also wohl in kurzer Zeit einen Toten geben, dann wolle sie zu allererst dafür sorgen, daß er seine Pfeife wieder stopfen könne.

Die Faßbindersche war nämlich Totenfrau von Hilgenthal, sie hatte die Toten zu waschen und anzuziehen und bekam dafür außer dem Hemd und Laken des Toten einen halben Thaler bares Geld.

In der langjährigen Ausübung dieses Amtes 118 hatte sie oft genug erfahren, was für ein gewaltiger Herzensrührer der Tod ist, und diese Erfahrung wollte sie sich von jetzt an mit zu nutze machen.

Die Hoffnung erfüllte sich bald; schon nach etlichen Tagen starb des reichen Landhöfers einziges Kind.

Als nun Frau Bännewitt ihres Amtes waltete, sagte sie zu den ganz in Schmerz aufgelösten Eltern: »Ach ja, der Herrgott ist ein wunderlicher Mann; was er dem einen zuviel giebt, das giebt er dem andern zu wenig; wer viel hat, dem wird immer mehr gegeben, und wer wenig hat, dem wird bald auch das genommen, was er hat. Da habt ihr nur den einen lieben Wurm gehabt und habt ihn hingeben müssen, – euer Reichtum aber wird immer größer. Ich kann mir wohl vorstellen, was für ein Gefühl das sein muß; – aber nun denkt euch mal in meine und meines Bännewitts Lage hinein; denkt, ihr hättet mehr als ein halbes Dutzend Kinder und nichts zu leben für sie, weil niemand mehr bei euch machen ließe, – – könnte es da nicht kommen, daß ihr wünschtet, der Herrgott nähme euch die Kinder nur alle ab?«

Bauer und Bäuerin fühlten sich getroffen, und zwei neue Kücheneimer bestellten sie sofort beim Meister Bännewitt. 119

Kurz darauf starb die Bauermeistersche. Das war nun ein Todesfall – ganz wie gemacht dazu, um für die traurige Lage der Faßbinderleute die Teilnahme der Gemeinde zu gewinnen.

Zu dem verwitweten Bauermeister sagte sie: »Ach ja, es ist gewiß ein harter Schlag, sein Gegenpart so plötzlich verlieren zu müssen – und zumal für dich, Bauermeister, der sonst alles mehr als vollauf hat. Stell' dich nun aber mal in meine Stelle, Bauermeister, – und denke mal, du hättest dein Gegenpart noch, hättest aber nichts zu brechen und zu beißen – – weil es niemand der Mühe wert hält, eine Bestellung bei dir zu machen – – stell' dich in meine Stelle, sag' ich – und es könnte kommen, daß du wünschtest, der Herrgott nähme dir dein Gegenpart nur ab . . .«

Der Bauermeister erkannte, daß er übel gehandelt hatte an den Faßbinderleuten und bestellte bei der Totenfrau eine neue Büketonne.

Als kurze Zeit darauf der Landhöfer und der Bauermeister sich begegneten, kraueten sie sich unter krampfhaft verzerrten Mienen hinter den Ohren; der Bauermeister seufzte über die Büketonne und der Landhöfer über die Kücheneimer. Mag der Faßbinder verhungern, wir lassen ihn auch nicht einen Handschlag mehr für uns »thun!« 120

Bald nach jener Zeit mochte es sein, als ich von ungefähr am Feuerteiche vorüberkam und einem lang aufgeschossenen Mannsmenschen begegnete, in dem ich erst im zweiten Augenblicke den Meister Bännewitt erkannte, – so hatte sich in kurzer Zeit sein Aussehen verändert. Ich sehe in ein gelblichgrünes Gesicht, in dem eine kurze Thonpfeife baumelt, aus der aber nicht ein einziges Rauchringlein emporsteigt.

Ich bleibe stehen, um den leise vor sich hin zischelnden Mann an mir vorübergehen zu lassen. Ich fange an zu kichern, denn ich höre immerfort zischeln: »Tunnen un Tappen! Et schallder schien un mauter schien un ischer ak!«

So geht's um den Feuerteich herum; er voraus, ich hinterdrein; er zischelt, ich kichere.

Indem thut Meister Bännewitt einen Ruck, einen Satz – und – stürzt sich kopfüber in den Feuerteich.

Da ist's aus mit meinem Gekicher. »Leute he, Leute he!« schreie ich, »der Faßbinder liegt im Teiche – liegt im Teiche und kann nicht wieder 'raus!«

Bännewitt selbst schreit nun aber auch: »Hilfe! Hilfe! Hilfe! Ich geh' unter, ich ertrinke!«

Von den nächsten Höfen kamen die Leute 121 mit Stangen und Stielen herbeigelaufen und brachten den fürchterlich platschenden Faßbinder mit vieler Mühe wieder aufs Trockene. Er prustete und pustete, daß es ganz erschrecklich anzuhören war. »Warum habt ihr mich nicht liegen lassen im Teiche?« keuchte er dazwischen. Und dann fuhr er auf mich ein: »Was brauchst du verwünschter Weißkopf für andere Leute um Hilfe zu rufen? Hätt's nun schon überstanden!« Und er wollte sich abermals in den Teich stürzen.

Flugs schnitten ihrer zwei von den Weidenbäumen, die an der einen Seite des Teiches standen, ein paar schwanke Ruten ab, andere legten Meister Bännewitt unversehens lang auf die Gesichtsseite, und nun kriegte er eine Tracht aufs nasse Hinterteil, die nicht von schlechten Eltern war. Dabei riefen sie immerfort: »Will hei weer in 'n Feuerdiek springen? Will hei weer in 'n Feuerdiek springen?«

Mit Fluchen und Schimpfen schnellte der Faßbinder endlich in die Höhe und drohte mit geballten Fäusten umher. Am heftigsten aber drohte er mir.

Hastig watete er dann an der ›Beke‹ hinauf; doch kehrte er sich noch dreimal um und hob jedesmal die Faust gegen mich, wie ich meinte. 122

Die Leute wollten sich tot lachen; mir aber war ganz und gar nicht lacherig zu Mute. Ich hatte eine Erfahrung gemacht, die mir das Leben später noch gar oft bestätigte: Wenn du einen Ertrinkenden rettest, rechne damit, daß er dich bei erster Gelegenheit in dasselbe Wasser wirft, in dem er ohne dich hätte umkommen müssen.

Ich sah dem wütenden Faßbinder mit allerlei schlimmen Vorstellungen nach. Wie wird es dir ergehen, wenn er dich einmal allein erwischt? Es war ja nicht der erste böse Mensch, den ich kennen lernte: Da war vor allem noch der Pfänder von Hilgenthal, der ›rote Hannes‹, der uns beim Krauten immer auf den Hacken saß. O, ich wußte, wie schlimm so einer sein kann, wenn er einen auf dem Striche hat!

Was nur gleich thun, fragte ich mich im stillen, um den bösen Faßbinder wieder zu versöhnen?

Da sah ich die Pfeife auf dem Mauerrande des Teiches liegen, und es fiel mir ein, daß sie Bännewitts Liebstes war auf der Welt. Also hob ich sie auf und lief hinter dem Faßbinder her. Da ich ihn nicht mehr sah, schlug ich einen kürzeren Weg zu seiner Wohnung ein, die in den kleinen Häusern an der ›öwern Strote‹ lag, gerade da, wo sie in den ›Winkel‹ umbiegt.

Kurz vor dem Steinwege, der zu Bännewitts 123 Diele führt, begegnete mir die Frau des Gemeindepfänders, die immer sehr adrett einherging, heute aber ganz gebückt war. Sie hielt die Schürze vors Gesicht, schnäuzte sich und schluchzte ganz jämmerlich.

»Am Ende ist der Pfänder gestorben!« dachte ich und konnte nichts dazu, daß mir unwillkürlich das Herz hüpfte.

Da trat die Totenfrau vor die Thür, und gleichzeitig kam die alte ›Hümmelke‹ um die Hausecke, eine runzlige Frau, die beinah einen Schnurrbart hatte.

Es war richtig. Der ›rote Hannes‹ war hin. Nicht nur die Totenfrau wußte es, sondern die alte ›Hümmelke‹, die gewöhnlich wie eine summende Hummel im Dorfe herumschwirrte, wußte es auch schon. Am Morgen noch war sie ihm auf dem ›hohen Kampe‹ begegnet, und am Mittage hatten ihn die Hofknechte als Leiche mit ins Dorf gebracht. Man hatte ihn auf dem Bornberge hinter einem Schlehbusche gefunden; er hatte in der Hurke gesessen, den Kopf ganz im Nacken. Mausetot war er, als man ihn aufrütteln wollte. Die Bännewittsche sagte: »Das ist ja klar, dem hat der Teufel den Hals umgedreht.« – »Du nimmst mir das Wort vom Munde«, sagte die Hümmelke, indem sie sich hastig umsah. Sie zischelten noch 124 leise miteinander, so daß ich nichts mehr verstehen konnte. Ich stand noch immer unbeweglich am Zaune an der Straße, es dämmerte schon stark, und ein scheußliches Grauen kroch mir im Rücken hinauf, so froh ich auch war, daß der gefürchtete Pfänder nun nicht mehr lebte.

Da kam Bännewitt angepatscht, und die Hümmelke schwirrte davon. Ich wollte ihm die Pfeife geben, wagte mich aber nicht zu rühren. Gleich darauf hörte ich's in der Bännewittschen Stube losgehen. Die Bännewittsche hatte eine harte, grobe Stimme und sprach sehr laut.

»Na, der rote Hannes beißt keinen mehr,« sagte sie, »aber wahrhaftig, an den hätte ich nicht gedacht, als in der verflossenen Nacht wieder was auf unserem Steinwege ging und die Grabschute auf der Diele umfiel. Aber du hast natürlich geschlafen. Mein ganzer Gedanke war der Alte im Schloß. – Na, 's ist einerlei, der wird uns auch wohl nicht weglaufen; und wenn er all seine Rosse anspannte, der Tod ist doch 'n besserer Kutscher. – – Aber nein!« unterbrach sie sich, »wo haste denn eigentlich gesteckt, Bännewitt?«

»Brrr!« machte der, und ich hörte etwas klatschen. »Und wo haste denn deine Pfeife, Mannsmensch?« fuhr sie ihn an.

»Tunnen und Tappen! Et schallder schien 125 un mauter schien un ischer ak!« brach nunmehr der nasse Faßbinder los.

»Aber 't ischer man nich!« entgegnete die Frau, und es hörte sich zu, als hätte sie sich drohend vor ihm aufgereckt. Dann verstand ich wieder: »Bännewitt – du mußt Gemeindepfänder werden! Wahrhaftig, das mußt du, das ist ein Amt für dich, das könnte uns wieder auf die Beine bringen!«

Es war, als wenn mir die Totenfrau eine Ohrfeige gegeben hätte. Bännewitt Gemeindepfänder? O weh, da wären wir übel genug verflucht.

Zu meiner nicht geringen Freude lehnte der Meister das Ansinnen seiner Frau mit allem Nachdruck ab. Sie hätte wohl einen Vogel im Kopfe! Er, der Faßbindermeister von Hilgenthal, solle Pfänder werden? Nein, soweit werfe er sich denn doch nicht weg.

Jetzt aber die Frau! »So will ich doch auf der Stelle zum Bauermeister laufen,« kreischte sie, »und ihm sagen, daß Totenfrau sein solle, wer da wolle. Ich gäbe mit dem heutigen Tage das Amt auf, weil es unserer Ehre zu nahe sei.«

Sprach's, stürmte hinaus und eilte zornschnaubend an mir vorüber.

O weh! dachte ich und hörte nun, wie Bännewitt heftig auf den Boden trat und lauter, als 126 sonst seine Art war, hinter der Davoneilenden drein rief: »Fieke! Fieke! Tunnen un Tappen! Et schallder schien un mauter schien un ischer ak!«

Jetzt wird es gut sein, ihm die Pfeife hineinzubringen; gewiß wird er sich darüber sehr freuen und mir nicht mehr böse sein.

Er zog gerade unter heftigem Zähneklappern den klatschenden Kittel über den Kopf, weshalb er mich bei meinem Eintreten nicht sogleich wahrnahm. Die Stelle, auf der er stand, glich einem förmlichen Wassertümpel. Zuversichtlich hob ich an: »Meister, ich wollte Euch die Pfeife bringen, die Ihr im Feuerteiche habt liegen lassen.«

Als hätte ihn eine Wespe gestochen, so fuhr er herum und gleich auf mich los, worüber ich dermaßen erschrak, daß ich die zarte Pfeife auf den harten Gipsboden fallen ließ und schleunigst das Weite suchte. Ich hörte noch, wie die Pfeife in lauter Scherben zersplitterte und der Faßbinder darüber einen greulichen Aufschrei that. Als säßen tausend Teufel hinter mir, so rannte ich davon.

Am dritten Tage darauf ging der Bauermeister ins Faßbinderhaus und sagte zu Bännewitt, der in völliger Zerknirschung dasaß und 127 auf die Pfeifenscherben starrte: »Deine Frau, Bännewitt, will nicht mehr Totenfrau sein, wenn du nicht Gemeindepfänder würdest. Wohlan! Wir sind zusammen gekommen und schlüssig geworden, dir das Pfänderamt anzutragen. Für jeden Fall, den du zur Anzeige bringst, kriegst du zwei und 'n halben Groschen. Wenn du also gut aufpaßt, kannst du dir ein erkleckliches Einkommen verschaffen, – und das kannst du sozusagen mit dem Spazierstock in der Hand verdienen. Brauchst also dein schweres Faßbinderhandwerk nicht mehr zu treiben, dich somit auch nicht zu ärgern über die Leute, denen nichts recht zu machen ist.« –

– »Tunnen un Tappen! Et schallder schien un mauter schien und ischer ak – ja!« antwortete Bännewitt und warf einen giftigen Blick auf seine Ehehälfte, die ihn so klug zu bemeistern gewußt hatte.

Es hat sich zu aller Überraschung bald herausgestellt, daß man für das Pfänderamt keinen giftigeren und eifrigeren Mann hätte anstellen können; es war sozusagen kein Hund sicher vor ihm, und des freuten sich die großen Leute gar sehr.

Wer sich jedoch nicht freuen konnte, das waren die kleinen Leute, das war insbesondere ich. 128

Nach unserer ersten unverhofften Begegnung rief Bännewitt mir zu: »Teuf mant, döu Wittkopp! Barg und Dal meutet seck nech, ower dei Minschenkindere!«Warte nur, du Weißkopf! Berg und Thal begegnen sich nicht, aber die Menschenkinder. 129


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