Heinrich Sohnrey
Friedesinchens Lebenslauf
Heinrich Sohnrey

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Zum Geleit.

Da wären sie also nun wieder beisammen, die »Leute aus der Lindenhütte«. Und die alten Bekannten, guten Freunde und getreuen Nachbarn werden hoffentlich auch wieder da sein. Manches hat sich inzwischen geändert, manches Neue ist zu erzählen, manches Alte zu berichtigen, wenn man sich nach zwölf Jahren zum erstenmal wiedersieht.

Nach zwölf Jahren! Ja, so lange ist es her, als die Leute aus der Lindenhütte, einfältig und arglos, aus ihrem weltentlegenen Walddorfe sich hinaus wagten unter die Leute von heute, hinaus in die weite glanzvolle und glanztolle Welt.

Zwölf Jahre! Eine mühsame, eine harte, schwere Zeit für den, der die Welt noch nicht kennt und den die Welt nicht kennt. Wie viel Berge, Thäler, Schluchten! Wie weite, weite Strecken ohne Wege und Stege, ohne Rasthäuschen, ohne Licht und Schatten! Grüne, schimmernde Matten der Hoffnung, jähe finstere Abgründe der Enttäuschung! Ach, wie viel Mühe und Schweiß! 8 Wie mancher kostbare Lebenstropfen vergeblich vergossen! Herrliche Gefilde wohl auch an den Bergen, blühend, strahlend von Herzenslust, Liebe und Freundlichkeit wie Klee- und Mohnäcker am Junimorgen; – aber wie viel größer die Wüsten und Einöden voll Stumpfsinn und Gleichgültigkeit!

Der erste Fuhrmann, mit dem die Lindenleute vor zwölf Jahren hinausfuhren in die weite Welt, herzlich bewillkommt und gegrüßt, wo die Herzen für ein ursprüngliches, gesundes ländliches Volkstum schlugen, warf leider Gottes schon nach kurzer Zeit den Wagen um, ohne ihn wieder aufrichten zu können. Er hatte überschwengliche Hoffnungen an seine Deichsel gespannt, aber, um seine Rößlein bei Kräften zu erhalten, nicht Hafer genug im Sack. –

Mehrere Jahre wußte ich wahrhaftig nicht, wo auf der Gotteswelt meine lieben armen Leute aus der Lindenhütte geblieben waren, bis ich eines Tages durch Zufall erfuhr, daß sie in Hannover, also in der Residenz ihres eigenen Heimatlandes, ein Unterkommen gefunden hätten. Dort haben sie dann ein vieljähriges, stillbeschauliches Dasein geführt, und es hat sich eigentlich niemand viel um sie gekümmert. Sie waren aber doch still ihren Weg weiter gegangen, und vor mehr als einem Jahre schon – schon!? – erhielt ich die Nachricht: es wäre ihrer keins mehr da. 9

Na, jetzt war die Freude groß, konnte ich doch nun meine lieben, armen Lindenleute wieder um mich sammeln, sie aufs neue hegen und pflegen und sie für ihren neuen Weg viel, viel besser ausrüsten, als ich das erste Mal vermochte.

Mein lieber Freund und Landsmann Georg Heinrich Meyer aus Hildesheim, der die Schicksale der Lindenleute von Haus aus durch all die Jahre mit treuer Teilnahme verfolgt hatte, richtete ihnen seinen schönsten Wagen her, gewann mir auch einen feinsinnigen jungen Zeichner, der mir helfen sollte, die Lindenleute im Glanze ihrer Heimat und ihrer – Armut so darzustellen, daß die Leser sie nun auch ganz und gar »leiben und leben« sahen.

So bin ich denn im letzten Sommer wieder hingewandert an all die denkwürdigen Stätten, wo die Lindenhüttenleute gelebt, geliebt und gelitten haben, wo sie auch heute noch leben, lieben und leiden; habe unter dem Lindenhüttendach gerastet, mit den Lindenleuten am Tisch gesessen, von ihrem Brote gegessen und aus ihrem Kruge getrunken, wie ich es einst als Junge gethan. – Und ich habe natürlich auch mit ihnen unter dem merkwürdigen alten Lindenbaume gestanden – viele, viele Stunden lang. Am längsten aber habe ich mich bei der wunderbaren alten Friedesinchenpate aufgehalten, 10 deren Jugend wir in dem ersten Buche hier aufgeschlagen finden. Vieles Neue habe ich gehört, vieles anders, als ich es früher erzählte. Vieles sah und hörte ich ja auch mit ganz anderen Augen und Ohren als dazumal, wo die Lindenleute noch meine Erstlinge waren; was man noch mehr als in »Friedesinchens Lebenslaufe«, dem ersten Buche, in »Hütte und Schloß«, dem zweiten Buche, erkennen wird. – Im wesentlichen aber ist doch alles beim alten geblieben, und ich hoffe, die Züge des Jugendwerkes nicht verwischt zu haben.

Daß Friedesinchen, die in einem urechten plattdeutschen Lande wurzelt, nicht »platt«, sondern »hoch« erzählt, wolle man nicht ihr, sondern mir in die Schuhe schieben. Gerade die südhannoversche Dorfsprache ist von einer so breiten, knorrigen und barschen Art, daß meiner Erfahrung nach nur ein kleiner Kreis sie verstehen und Wohlgefallen daran finden würde – die Lindenleute soll man aber im ganzen lieben deutschen Vaterlande hören und verstehen können. Mußte also auf den Dialekt verzichtet werden, so ist doch, wie man bald erkennen wird, der eigentümliche Geist und frische Erdgeruch der Ursprache treu behütet und bewahrt.

Nun gehet hin und kommet wieder, Leute aus der Lindenhütte! Die Füße auf der Erde, die Sinne 11 gen Himmel! Grüßt die alten Freunde und findet tausend neue Freunde, gute und treue! Und wenn die Linden wieder blühen, so denkt an

Euern

»Verfasser«.

          Steglitz-Berlin,
fern der Lindenhüttenheimat
        im Sommer 1898.

Zur vierten bis sechsten Auflage.

Rascher als ich denken konnte – denn meine Stare kommen nicht in jedem Frühjahre zurück – ist eine neue Auflage notwendig geworden. Man freut sich natürlich, wenn das Feld so zu wachsen anfängt, und ist früh auf, um es noch immer besser in Stand zu setzen.

Der Erzähler hat etliches Gerank und Geröll, das den Fluß der Erzählung zu sehr hemmte, bei Seite geräumt und auch sonst noch einiges auszuwetzen gesucht. An die Stelle des ersten Künstlers, der sein ostpreußisches Auge an die Heimat der Lindenleute nicht recht gewöhnen konnte, ist eine ihr näher stehende Künstlerin getreten, die für die 12 Aufgabe, die Lindenleute im Glanze ihrer Heimat und ihrer Armut darstellen zu helfen, auf jeden Fall eine glücklichere Hand gehabt hat. Durch alles das in eine sehr gehobene Fuhrmannslaune versetzt, hat der Verleger jetzt gleich drei Wagen auf einmal angespannt: einen einspännigen Kleewagen, einen zweispännigen Ausfahrwagen, blau angestrichen, wie ihn die behäbigen Bauersleute am Sonntage zu benutzen pflegen, und eine prachtvolle Kutsche mit Silberbeschlag und vier feurigen Rappen davor. Es können somit die armen wie die reichen Leute, selbst Grafen und Barone und Minister und Prinzen, wenn sie wollen, mit den Lindenleuten fahren. Doch damit mir die Feder nicht noch ganz durchgeht, lege ich sie schnell aus der Hand und stehe mit der fröhlichen Zuversicht auf, daß der liebe Gott unser bescheidenes Bergfeld gewiß gern weiter wachsen und gedeihen läßt.

November 1900.

Der Lindenhüttenmann.


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