Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenunddreißigstes Kapitel.
Der Wanderer.

Gar böse ist die Nacht, um drin zu schwimmen.

König Lear.

Als Mowbray am andern Morgen nach dieser merkwürdigen Zusammenkunft von einem fieberischen Schlummer erwachte, herrschte in allen seinen Gedanken eine unruhige Unbestimmtheit, ob seine Schwester, die er so innig liebte, wie er nur irgend fähig war, etwas zu lieben, wirklich seinen und ihren Namen entehrt habe, und die grausame Rückerinnerung ihrer letzten Unterredung war der erste deutliche Gedanke, der seine erwachende Einbildungskraft schaudernd erfüllte. – Dann gedachte er der sie entsündigenden Erzählung Touchwoods, und er beredete sich selbst, oder versuchte es wenigstens, daß Clara alle seine Vorwürfe auf ihre Neigung zu Tyrrel und deren Folgen hätte beziehen müssen. Dann aber zweifelte er wieder, ob wirklich sich Alles so verhalten könnte – immer fürchtend, es läge hinter ihrer Abneigung, Bulmers Betrug zu gestehen, noch etwas Gewichtigeres verborgen; und dann wieder suchte er sich in der erstern ihm angenehmern Meinung zu befestigen, indem er sich erinnerte, daß bei ihrem Widerwillen, den ihr bestimmten Mann zu heirathen, sie es als das Siegel ihres Verderbens betrachten mußte, wenn er, Mowbray, die heimliche Heirath erfuhr.

»Ja, ja,« sagte er zu sich selbst, »sie mußte denken, daß diese Geschichte mich noch weit eifriger für das Interesse dieses Elenden aufregen würde, als den einzigen Weg, eine so nachtheilige Begebenheit glimpflich zu beenden. – In der That, sie hätte recht geurtheilt, denn wäre er jetzt noch wirklich Lord, so sähe ich nicht, was sie Besseres thun könnten; aber nun, da er kein Lord Etherington ist, und ein ausgelernter Betrüger obenein – will ich damit zufrieden sein, ihn zu Tode zu prügeln, sobald ich nur der Wachsamkeit dieses alten, eigensinnigen, einmischenden, eigenwilligen, beschwerlichen Menschen entrinnen kann. – Allein, was ist mit Clara zu thun? Diese Afterheirath war nichts als ein Unding, und beide Theile mußten nutzlos von dem Wagstück abziehen. Sie liebt den ernsten Herrn, der jetzt als das ächte Reis des Stammes sich ausweiset. Demunerachtet liebe ich ihn nicht, obgleich er etwas Vornehmes in seinem Wesen hat. Ich war gleich überzeugt, ein bloßer herumziehender Maler würde sich so nicht betragen haben. Doch sie mag ihn heirathen, vorausgesetzt, daß die Gesetze nichts dagegen haben – dann bekommt sie die Grafschaft Oakland und Nettlewood, Alles zusammen. Gottlob, wir werden endlich dennoch die Gewinner sein; überdem wage ich zu behaupten, dieser alte Touchwood ist reich wie ein Jude – wenigstens an die Hunderttausend werth – er ist zu kurz angebunden, um nur sechs Pence weniger zu besitzen – und er spricht ja davon, meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen – ich muß nicht zucken, sondern mich ruhig ein Bischen peinigen lassen. – Nur wünschte ich, die Gesetze möchten es Clara erlauben, den andern Grafen zu heirathen. – Eine Frau kann sich nicht mit zwei Brüdern vermählen, das ist gewiß – allein wenn sie dem Einen nicht gesetzmäßig vollkommen angetraut ist, so, meine ich, kann das kein Hinderniß zu einer Heirath mit dem Andern sein. – Ich denke, die Rechtsgelehrten werden keinen Unsinn darin treiben. – Clara, hoffe ich, wird nicht thörichte Skrupel haben. – Allein auf mein Wort, das, was ich am sehnlichsten hoffe, ist, daß die Sache sich wirklich so verhält, denn die Nachricht kommt doch eigentlich aus einer verdächtigen Quelle. Augenblicklich will ich zu Clara gehen – die Wahrheit will ich von ihr erpressen, und dann überlegen, was dabei zu thun ist.«

Während der junge Laird von St. Ronans dies halb dachte, halb sprach, kleidete er sich eilig an, um bald Licht in das Chaos der Begebenheiten zu schaffen, welche seine Phantasie so befremdend aufregten.

Als er nach dem Wohnzimmer kam, wo er Clara am vergangenen Abend sah, und das Frühstück jetzt bereitet war, sandte er nach dem Mädchen, welches zur unmittelbaren Bedienung seiner Schwester gehörte, und fragte, »ob Miß Mowbray schon auf sei?«

Das Mädchen antwortete: »Sie hat noch nicht die Glocke gezogen.«

»Ihre gewohnte Stunde ist vorüber,« sagte Mowbray, »allein sie ward die Nacht gestört – geh, Martha, sogleich zu ihr – sage, ich hätte herrliche Neuigkeiten für sie; oder hat sie Kopfweh, will ich hinkommen, sie ihr mittheilen, ehe sie aufsteht. – Eile mit Blitzesschnelle!«

Martha ging und kehrte nach wenigen Minuten zurück. »Meine Gebieterin hört mich nicht, so laut ich auch klopfe; ich wünsche,« setzte sie mit der Begierde, Böses zu verkünden, hinzu, die Leuten niedern Standes so sehr eigen ist, »daß Miß Clara wohl sein mag, denn nie, so viel ich weiß, war ihr Schlaf so fest.«

Mowbray sprang von dem Stuhle auf, in welchen er sich geworfen hatte, rannte die Gallerie hinab, und klopfte heftig an seiner Schwester Thür; keine Antwort – »Clara, theure Clara, – antworte mir ein einziges Wort – sage mir, daß du wohl bist – ich erschreckte dich gestern Abends – ich hatte zu viel Wein getrunken – ich war heftig – vergib mir – komm, sei nicht eigenwillig – sprich ein einziges Wort – sage, du bist gesund.«

Er machte zwischen jeder Anrede lange Pausen – klopfte stärker und lauter – horchte ängstlich auf Antwort – endlich versuchte er die Thür zu öffnen, fand sie aber verschlossen, oder auf andere Weise befestigt. – »Schließt Miß Mowbray immer ihre Thür zu?« fragte er das Mädchen.

»Früher hat sie es niemals gethan, Sir, sie ließ sie auf, damit ich sie rufen und die Fensterladen öffnen konnte.«

»Sie hatte vorige Nacht ihre guten Gründe zur Vorsicht,« dachte ihr Bruder, und erinnerte sich nun, wie er selbst von ihr die Thür verriegeln hörte.

»Komm, Clara,« fuhr er in großer Bewegung fort; »sei nicht so wunderlich! – Willst du nicht öffnen, so sehe ich mich gezwungen, die Thür zu sprengen, das ist dann die Folge. – Denn wie kann ich wissen, ob du nicht krank und zur Antwort unfähig bist? – Bist du nur verdrießlich, so sag' es mir. – Sie gibt keine Antwort!« rief er, sich zu den Bedienten wendend, zu denen Touchwood sich jetzt gesellt hatte. Aber so groß war Mowbray's Besorgniß, daß sie ihn ganz abhielt, die kleinste Notiz von seinem Gaste zu nehmen und ohne auf seine Gegenwart zu achten, fuhr er fort: »Was ist zu thun? – Sie kann krank – sie kann eingeschlafen – vielleicht gar ohnmächtig sein! – Sprenge ich die Thür, so kann ich sie in dem jetzt so reizbaren und schwachen Zustande ihrer Nerven tödtlich erschrecken. – Clara, theure Clara! sprich nur ein einziges Wort und du sollst, so lange es dir gefällt, in deinem Gemache verweilen.«

Aber keine Antwort erfolgte. Miß Mowbray's Mädchen, zu sehr voll Angst und Schrecken, um viel Gegenwart des Geistes zu haben, entsann sich jetzt endlich einer Hintertreppe, durch welche das Gemach ihrer Gebieterin mit dem Garten in Verbindung stand, und äußerte, sie möge vielleicht durch jenen Weg ausgegangen sein.

»Ausgegangen?« fragte Mowbray mit steigender Angst und betrachtete den schweren drückenden Nebel oder vielmehr Sprühregen, der den November-Morgen verfinsterte. »Ausgegangen in solchem Wetter! – Doch wir können durch die Hinterthür vielleicht in ihr Zimmer kommen.«

Damit, es seinem Gaste überlassend, ob er ihm folgen wolle oder nicht, flog er viel mehr als er ging, durch den Garten und fand die geheime Thür, welche zu der oben erwähnten Hintertreppe führte, weit geöffnet. Voll unbestimmter, doch schreckender Ahnungen stürzte er die Treppe hinauf zu der Thüre von dem Zimmer seiner Schwester, die sich auf dem kleinen Vorflur der Treppe befand. Auch hier klaffte ihm die offene Thür entgegen und die Zwischenpforte, welche aus ihrem Ankleidezimmer nach dem Schlafgemach führte, stand halb offen. »Clara, Clara!« rief Mowbray, mehr in tödtlicher, verzweifelnder Angst ihren Namen herausstoßend, als daß er noch die Hoffnung einer Erwiederung hegte – und sein Entsetzen bewies sich nur zu wohl begründet.

Miß Mowbray war nicht in ihrem Zimmer und der Zustand desselben zeigte deutlich, daß sie in der vergangenen Nacht sich weder entkleidet hatte, noch zu Bette gegangen war. Von Gewissensbissen und Furcht außer sich selbst, schlug Mowbray sich entsetzt vor die Stirn, rufend: »Ich habe sie zur Todesangst getrieben, sie ist in die Wälder geflohen und dort umgekommen.«

Von dieser furchtbaren Ahnung ergriffen, warf Mowbray nur noch einen schnellen Blick durch das Gemach, gleichsam um sich fest zu überzeugen, daß Clara wirklich nicht gegenwärtig war, und dann in das Ankleidezimmer zurückstürmend, lief er fast den Reisenden über den Haufen, der aus Höflichkeit nicht das innere Gemach zu betreten wagte. Dieser rief aus: »Sie sind von Sinnen, wie ein Hamako. Lassen Sie uns zusammen überlegen und ich bin gewiß, ein Mittel zu erfinden –«

»O zum Teufel alle Ihre Erfindungen!« rief Mowbray, der in seinem natürlichen Ungestüm, den jetzt seine Angst so unendlich steigerte, alle sich vorgesetzten Rücksichten vergaß: »Hätten Sie den geraden Weg wie ein Mensch von gesunder Vernunft eingeschlagen, so würde dieß sich nicht ereignet haben!«

»Gott vergebe Ihnen, junger Mann, wenn Ihre Bemerkung mir Unrecht thut,« sagte der Reisende, Mowbray's Kleid, bei welchem er ihn hielt, loslassend: »und Gott vergebe mir, wenn ich Uebles bewirkte, indem ich das Beste zu thun trachtete. Aber könnte Miß Mowbray nicht nach dem Gesundbrunnen gegangen sein? – Ich will sogleich anspannen lassen und dahin fahren.«

»Thun Sie es, ja ja!« rief Mowbray, ohne viel darauf zu achten. »Ich danke, danke Ihnen!« Und schnell den Garten durcheilend, als strebe er zugleich, seinem Gaste und seinen Gedanken zu entrinnen, schlug er den kürzesten Weg zu einer kleinen Hinterpforte ein, welche zu einer weiten Strecke dichten Buschwerks führte, durch welches Clara einen Weg hauen ließ, der zu einem kleinen Sommerhause leitete, welches von rauhen Schindeln aufgerichtet, mit rankendem Strauchwerk überdacht war.

Als Mowbray durch den Garten eilte, begegnete ihm der alte Bearbeiter desselben, ein Eingeborner des Landes und alter Diener seines Hauses. Mit der Angst des Entsetzens seine Worte herausstoßend, fragte Mowbray: »Habt Ihr meine Schwester gesehen?«

»Was befehlen Sie, St. Ronans?« fragte der Alte dagegen, der eben so schwer von Begriffen als harthörig war.

»Habt Ihr Miß Clara gesehen?« fuhr ungestümer St. Ronans auf, leiser murmelnd einige Flüche über die Dummheit des Gärtners hinzufügend.

»Wohl habe ich das,« entgegnete nachdenklich der Gärtner, »was liegt denn daran, ob ich Miß Clara gesehen habe, St. Ronans?«

»Wann und wo?« heischte begierig der Fragende.

»O, es war gestern, gleich nach der Theezeit – noch ehe Sie so schnellreitend zu Hause kamen,« erwiederte der Gärtner.

»Ich bin eben so dumm als er selbst, daß ich meine Zeit verbringe mit solch' einem alten Kohlstrunk zu schwatzen,« rief Mowbray und eilte aus der Hinterthüre, den sogenannten Weg Miß Clara's einzuschlagen. Zwei oder drei der Domestiken, deren Züge Furcht, Kummer und bange Ahnung aussprachen, folgten mit einander flüsternd ihrem Gebieter, ihre Dienste gebraucht zu sehen wünschend und doch zugleich zu furchtsam, sie dem jungen heftigen Manne anzutragen.

An der kleinen Hinterthüre fand er einige Spur der Vermißten. Clara's Hauptschlüssel stak im Schlosse. Es war also klar, daß sie den Weg eingeschlagen hatte, aber Mowbray wagte sich keine Muthmaßung zu erlauben, zu welcher Stunde oder in welcher Absicht es geschehen sei. Nachdem der Pfad sich über eine halbe Viertelmeile durch ein Gebüsch von Eichen und Maulbeerbäumen wand, erreichte er das Ufer des breiten Waldbaches, und ward nun felsig und steil, schwierig für den Kranken, gefährlich für den Nervenschwachen. Oft nahte er sich dicht dem steilen Abhang des Felsens, der sich über den Waldbach neigte, welcher bald brausend und schäumend eilend dahin tobte, bald wieder in tiefen kreisenden Wirbeln zu schlummern schien. Gleich dem Verderben bringenden Hauche des Samums sank auf Mowbray's Geist das Bild der Versuchungen lastend nieder, welche diese gefährlichen Umgebungen einem verzweifelnden, überreizten Gemüth darbieten mußte, und er sah sich gezwungen, einen Augenblick stehen zu bleiben, Athem zu schöpfen, um einigermaßen Herr dieser gräßlichen Ahnungen zu werden, bevor er im Stande war, weiter zu eilen. Patrick und die Mädchen aber flüsterten einander zu: »Das arme Kind! – Das arme Kind! – O gebe doch Gott, daß sie sich nicht ganz selbst überlassen war. – Möge Gott ihr doch seinen Beistand gesendet haben.«

In diesem Augenblick hörte man den alten Gärtner hinter ihnen rufen: »Gnädiger Herr – St. Ronans – Gnädiger Herr – ich habe gefunden – ich habe gefunden –«

Fast athemlos vor Angst rief Mowbray: »Habt Ihr meine Schwester gefunden?«

Der Alte antwortete nicht, bis er oben war, und dann entgegnete er auf die dringend wiederholten Fragen seines Gebieters, mit gewohnter Umständlichkeit: »Nein, Miß Clara habe ich nicht gefunden, aber ich fand etwas, das Sie sehr ungern verlieren würden – Ihr schönes Jagdmesser.«

Er reichte das Werkzeug seinem Gebieter, der, nur zu wohl sich der Umstände erinnernd, in welchen er es am vergangenen Tage von sich schleuderte, und jetzt die so wahrscheinlich gräßlichen Folgen jenes Augenblicks ahnend, es mit einem furchtbaren Fluch in die Fluthen schleuderte. Scheu sich einander anblickend, zweifelten die Diener fast nicht mehr, da sie die Vorliebe ihres Herrn für dieß Lieblingsgeräth kannten, und er höchst eigen bei solchen Dingen zu sein pflegte, daß die Angst um Clara seinen Geist mindestens vorübergehend verwirrt habe. Er bemerkte ihre unruhigen forschenden Blicke, und sich sammelnd, soviel er es vermochte, gebot er der Martha und ihrer Gefährtin, die Spaziergänge auf der andern Seite des Schlosses zu durchsuchen, und Patrick die Schloßglocke zu läuten, »welches wahrscheinlich,« wie er äußerte, eine weit größere Ruhe zeigend, als ihn innerlich erfüllte, »Miß Mowbray von irgend einem weit entfernten Spaziergange nach Hause rufen würde.« Dann befahl er, der Reitknecht mit den Pferden solle ihn an der Sturz-Brücke erwarten, ein Ort, der von einem gewaltig brausenden Wasserfall, über dem sich eine schmale Planken-Brücke befand, diesen Namen hatte. Nachdem er sich so seiner Begleiter entledigt sah, durcheilte er mit aller erdenklichen Hast den Pfad, auf welchem er sich befand, den Clara vielleicht aus bloßer Gewohnheit als einen ihrer Lieblingsgänge eingeschlagen haben konnte, wenn sie, wie er zagend zu fürchten so viel Ursache hatte, sich in solcher Gemüthsverfassung befand, daß überhaupt von Wahl nicht mehr die Rede war.

Bald war das Sommerhäuschen erreicht, das eigentlich nur ein von oben und den Seiten bedeckter Sitz war, den man nach vorn geöffnet und mit Kiesgrund reinlich gepflastert hatte. Gleich einem Habichtsnest hing das kleine Laubhüttchen fast auf der äußersten Spitze eines vorspringenden Felsens, welcher den höchsten Gipfel dieser ganzen Felsenkette hier bildete und von der armen Clara, der weithinschauenden Aussicht wegen, gewählt worden war. Einer ihrer Handschuhe lag auf dem kleinen ländlichen Tische im Sommerhäuschen. Begierig ergriff ihn Mowbray. Er war feucht, – der vorige Tag aber war trocken gewesen, so daß wenn sie ihn am Morgen oder im Lauf des Tages hier vergessen hätte, er in diesem Zustande nicht sein konnte. Gewiß also war sie hier in der Nacht, wo es stark regnete.

Ueberzeugt, daß Clara an diesem Orte sich befand, während ihre Leidenschaften und ihre Furcht so allgemein aufgeregt waren, als sie bei ihrer Flucht aus dem väterlichen Hause sein mußten, warf Mowbray einen eiligen entsetzten Blick in den Abgrund des tiefen wirbelnden Stromes. Es schien ihm, als tönten aus dem finstern Brausen der Fluth seiner Schwester letzte Seufzer zu ihm – entsetzt hafteten seine Augen an dem Schaum der Woge, ihn für einen Theil ihres Gewandes haltend. Aber auch die ängstlichste Nachforschung zeigte keine Spur eines so schrecklichen Ausganges. Als er von der andern Seite des Laubhüttchens hinabstieg, bemerkte er in dem feuchten Lehmboden einen Fußtritt, dessen Kleinheit und zierliche Form ihn überzeugte, er müsse ihm die Spur der Verlornen andeuten. So rasch die rege Sorge, gleiche Zeugen aufzufinden, es ihm nur gestattete, eilte er also vorwärts. Auch schienen sie wirklich hin und wieder sich zu zeigen, wenn gleich weniger deutlich als das erste Mal, da der dicht herabströmende Regen sie ziemlich verlöscht hatte – ein Umstand, der zu beweisen schien, daß, seitdem Clara hier vorübereilte, schon viele Stunden entflohen waren.

Endlich führten die weit umherschweifenden Windungen des romantischen Pfades Mowbray, ohne daß ihm genügende Kunde ward, an den Waldbach, den man den St. Ronans-Bach nannte, gerade an die Stelle, wo die Fußgänger ihn vermittelst der Sturz-Brücke, die Reiter durch eine wenig entfernte Furt, überschritten. Von diesem Punkte aus konnte die arme Fliehende ihre Wanderungen durch die väterlichen Waldungen auf einem Fußpfade fortsetzen, der, nachdem er eine Meile weit sich umherzog, nach Shaw-Castle zurückkehrte, oder sie konnte über die Brücke gehen und einen holprigen Fahrweg einschlagen, der als Landstraße nach dem alten Ort St. Ronans diente.

Nach einer augenblicklichen Ueberlegung schloß Mowbray, daß sie wahrscheinlich den letzteren erwählt habe. Er bestieg sein Pferd, das seinem Befehle gemäß ihn hier erwartete, und dem Diener gebietend, durch jenen Fußpfad, den er selbst nicht untersuchen konnte, zurückzukehren, ritt er nach der Furt hinab. Der Bach war in der Nacht mächtig angeschwollen; der Diener konnte nicht umhin, seinen Herrn sorgend zu warnen, es drohe große Gefahr bei dem Versuche durchzureiten. Aber zu hoch gespannt waren alle Saiten von Mowbray's Geist und Gefühl, um dieser Warnung im mindesten zu achten. Er spornte das bäumende, zagende Thier in den Strom, obwohl die hochaufwallende Fluth weit über dem Sattelknopfe und dem Kreuze des Pferdes zusammenschlug. Nur durch die äußerste Anstrengung seiner Kraft und Geschicklichkeit vermochte das edle Thier den richtigen Pfad der Fuhrt zu behaupten. Hätte die Gewalt des Stromes ihn von demselben zwischen die Klippen hinabgezwungen, welche diese seichtere Stelle des Flußbettes umgaben, so möchten die Folgen höchst nachtheilig gewesen sein. Aber zur Freude und Bewunderung seines Dieners, der ihm angstvoll mit seinen Blicken folgte, erreichte Mowbray glücklich und sicher das jenseitige Ufer. Er ritt jetzt schnell nach dem alten Orte, entschlossen, wenn er in diesem Dorfe keine Kunde von seiner Schwester bekäme, überall Lärm zu machen und Nachsuchungen anstellen zu lassen, weil in diesem Falle ihre Flucht aus Shaw-Castle nicht länger zu verbergen war. Wir müssen ihn indessen in seiner jetzigen Unwissenheit verlassen, um den Leser mit der Wirklichkeit jener unglücklichen Ereignisse bekannt zu machen, welche sein vorahnender Geist und sein aufgeschrecktes Gewissen bis jetzt nur bange weissagend befürchten konnte.



 << zurück weiter >>