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Vierunddreißigstes Kapitel.
Eine Theegesellschaft.

Den Vorhang laßt herab! Die Sopha's rückt heran,
Umringt die Urne hier. Mit siedendem Gezisch,
Seht, dampfend braust der Strom und füllt die bunten Becher,
Die uns erquicken, aber nicht berauschen können.
So laßt den friedevollen Abend uns begrüßen.

Cowper.

Die Annäherung der kalten, regnichten Jahreszeit hatte jetzt die Brunnengesellschaft hinreichend gelichtet, so daß Lady Penelope, um sich die erforderliche Fülle der Theegäste zu sichern, sich genöthigt sah, einige gnädige Blicke auch denen zu gönnen, welche sie sonst ihrer Gesellschaft nicht würdig zu achten schien. Selbst der Doctor und Mistreß Blower wurden mit huldreichem Lächeln empfangen – denn ihre Heirath war jetzt in Richtigkeit gebracht, und dies Ereigniß konnte höchst wahrscheinlich den Ruf des Heilquells bei wohlhabenden Wittwen und Männern, die mehr Schlauheit als Praxis besaßen, in ein vortheilhaftes Licht stellen. Sie traten also ein; der Doctor auf süßlich galante Weise alle Rechte eines beglückten, erhörten Anbeters zur Schau tragend, fast mit eben der Grazie, womit ein kalekutischer Truthahn seine Huldigung der Erkornen an den Tag legt. Auch der alte Touchwood war der Einladung Ihrer Herrlichkeit nachgekommen, hauptsächlich, wie man glauben mochte, aus seiner Neigung zu rastloser Unstätigkeit, die es ihn selten über sich gewinnen ließ, selbst von denen Orten entfernt zu bleiben, für welche er doch gemeinhin großen Widerwillen zeigte. Auch Mr. Winterblossom war gegenwärtig, der durch einen Schwarm galanter Schmeicheleien an Lady Penelope sich eine der erstern Tassen Thee zu sichern strebte. Auch Lady Binks mit der gewöhnlichen Verdrießlichkeit auf ihrem schönen Gesicht, über ihren Gatten wie immer empört, und gar nicht geneigt, Lord Etheringtons Abwesenheit zu billigen, wenn ihr daran lag, Sir Bingo's Eifersucht zu erregen. Dies war, wie sie entdeckt hatte, die nachdrücklichste Art, den Baronet zu martern, und sie ergötzte sich daran mit der wilden Freude eines Lohnkutschers, der eine wunde Stelle erspähte, wo sein armer Klepper den Peitschenhieb schärfer fühlt. Auch der übrige Theil der Gesellschaft war wie gewöhnlich versammelt. Selbst Mac Turk war gegenwärtig, obwohl er es eine ungemeine Verschwendung des heißen Wassers nannte, wenn man es zu irgend einer andern Mischung als zur Bereitung des Punsches gebrauchte. Er hatte sich in der letzten Zeit viel mit dem Reisenden unterhalten, nicht etwa weil in ihren Meinungen oder Handlungen die kleinste Uebereinstimmung obwaltete, sondern vielmehr, weil zwischen ihnen eben der Grad von Unterschied stattfand, der fortdauernden Stoff zum Streit und Wortgefecht gab. Auch währte es diesmal nicht lange, bevor sie auf eine ergiebige Quelle zum Disputiren stießen.

Seine Stimme fast über die Gränze des geziemenden Tones geselliger Unterhaltung erhebend, sagte Touchwood: »Sprechen Sie mir nie von all ihren points d'honneur! Lauter Firlefanz! – Nichts als Haarseilschlingen, um die Schnepfen darin zu fangen. – Kluge Leute wissen sie dennoch zu sprengen.«

»Auf mein Wort, Sir,« sagte der Hauptmann, »ich selbst erstaune Sie anzuhören, – denn, sehen Sie, Sir, die Ehre eines jeden Mannes ist der eigentliche Athem, den seine Nasenlöcher einhauchen. – Gott soll mich verdammen!«

»So laßt die Leute durch den Mund Athem holen, in's Teufels Namen!« entgegnete der Polemiker. »Ich sage Ihnen, Herr, daß außerdem, daß es das Gesetz und das Evangelium verbieten, auch an sich das Duelliren ein alberner, gänzlich unsinniger Gebrauch ist. Ein ehrlicher Wilder selbst hat zu viel gesunde Vernunft, um ihn auszuüben – er nimmt seinen Bogen oder seine Flinte, was es nun für ein Ding sein mag, und erlegt seinen Feind aus einem Hinterhalte. Und das ist eine sehr gute Art, denn so, sehen Sie wohl ein, kann es nur einen Toten geben.«

»Bei meiner Seele, Sir, wenn Sie solche Meinungen in der guten Gesellschaft verbreiten möchten, so sollte ich denken, Sie würden irgend Jemand an den Galgen befördern.«

»Dank Ihnen, Hauptmann; es geschähe von Herzen gern, aber ich rege keine Händel auf. – Ich überlasse den Krieg denjenigen, welche durch ihn leben. Ich sage nur, daß außer unsern alten dummen Vorfahren hier, ich keine Gegend in der Welt kenne, wo diese Sitte des Zweikampfs üblich wäre. Unter den Negern in Afrika ist sie unbekannt – in Amerika –«

»Sagen Sie mir nichts davon,« rief der Hauptmann. »Ein Amerikaner wird lieber mit der Muskete sich auf ein Gefecht einlassen, als eine Beleidigung so hinnehmen, denke ich.«

»Auch unter den tausend verschiedenen Stämmen in Indien ist der Zweikampf nicht Sitte.«

»Dann mag ich verdammt sein!« rief Hauptmann Mac Turk. »War ich nicht Gefangener bei Tipoo zu Bangalore? Und als der freudenvolle Tag unserer Befreiung erschien, feierten wir ihn nicht mit Ausfechtung von vierzehn kleinen Ehrenhändeln, zu welchen wir den Grund in dem Hause unserer Gefangenschaft gelegt hatten, wie die heilige Schrift sagt; und keinen Schritt weiter gingen wir, sie auszumachen, als auf das Glacis der Festung. Bei meiner Seele, Sie würden es für ein munteres Scharmützel angesehen haben, so nah' folgten sich die Schüsse; und focht ich, Hauptmann Mac Turk, nicht selbst drei davon aus, ohne nur einmal den Fuß von der Stelle zu bewegen, wohin ich mich gestellt hatte?«

»Nun, Sir, ich bitte, sagen Sie doch, was war die Folge dieser christlichen Weise, den Dank für ihre Befreiung auszudrücken?« fragte Touchwood.

»Einige kleine zufällige Ereignisse im Ganzen!« entgegnete der Hauptmann. »Einer blieb auf der Stelle – der Andere starb an seinen Wunden – zwei waren gefährlich, drei Andere leichter getroffen, und der kleine Duncan Macghail fehlte, wie man erzählte. – Nach einer so langen Einkerkerung waren wir etwas aus der Uebung gekommen. Da sehen Sie, wie wir in Indien unsere Angelegenheiten in Ordnung zu bringen verstanden, mein theurer Freund!«

»Sie müssen ja begreifen, daß ich nur von den heidnischen Eingebornen sprach,« sagte Touchwood, »die, solche Heiden wie sie auch sein mögen, von dem Lichte ihrer eigenen gesunden Vernunft erleuchtet leben, und unter welchen man bessere Beispiele moralischen Wandels findet, als unter Unsersgleichen. Obwohl Ihr Euch Christen nennt, habt Ihr nicht mehr von dem wahren Sinn und Geist unserer Religion Euch angeeignet, als wenn Ihr, wie man zu sagen pflegt, Eure Religion am Cap der guten Hoffnung zurückgelassen, und es vergessen hättet, sie bei der Rückkehr Euch wieder geben zu lassen.«

»Bei Gott, das kann ich Ihnen versichern, Sir,« rief der Hauptmann, seine Nase und Stimme trotzend erhebend und mit wild empörtem Gesicht mächtig schnaubend, »ich werde weder Ihnen, noch irgend Jemand gestatten, solch' eine Verleumdung meines Charakters sich zu unterstehen. – Ich danke Gott, daß ich gute Zeugen stellen kann, daß ich alle Tage ein so guter Christ bin, wie andere Leute, wenn auch dennoch ein armer Sünder, wie es auch der Beste unter uns ist; ich bin bereit, meine Religion mit meinem Schwerte zu beweisen. – Gott verdamme mich! – Mich mit solchem schwarzen Heidenpack zu vergleichen, die nie das Innere einer Kirche erblicken, so lange sie leben, sondern Stein und Holz anbeten, die dummen Bestien die!«

Ein empörtes Murren in seiner Kehle, welches gleichsam die Uebereinstimmung seines innern Menschen mit der Entrüstung aussprach, die seine äußern Organe an den Tag gelegt hatten, beschloß diese stolze Rede, welche indessen nicht den geringsten Eindruck auf Touchwood hervorgebracht hatte, der sich so wenig aus seinen zornigen Blicken und Worten, als sonst aus zierlichen Reden machte. Wahrscheinlich wäre also vielleicht gar ein ernstlicher Streit zwischen dem Verkündiger christlicher Moral und dem Friedensstifter zum Vergnügen der Gesellschaft entstanden, wäre nicht die Aufmerksamkeit von Beiden, insbesondere aber von Touchwood, von dem streitigen Punkte durch den Eintritt Lord Etheringtons und Mowbray's abgelenkt worden.

Ersterer war wie gewöhnlich lauter Huld, Liebenswürdigkeit und Anmuth. Doch seiner sonst üblichen Gewohnheit entgegen, welche ihn gemeinhin, nach einigen allgemeinen Complimenten, sich ausschließend der Unterhaltung Lady Binks' weihen ließ, vermied der Graf diesmal die Seite des Gemachs, wo dieser schöne, doch mürrische Abgott seinen Sitz aufgeschlagen hatte, und blieb wankellos zur Seite Lady Penelopens Penfeather, selbst ohne Zucken das wunderbar verworrene Geschwätz ertragend, welches dieser Dame eigenthümliche Redseligkeit und mühsam errungenes Wissen sie fähig machten, mit unvergleichlichem Uebermaaß hervorzuströmen.

Ein ehrlicher Heide, einer der Helden Plutarchs, wenn ich nicht irre, träumte einst, daß die Gestalt der Proserpina, welcher er lange seine Anbetung weihte, ihm mit finster drohendem Blicke im Schlummer erschiene und Rache gelobte, weil er, mit dem gewöhnlichen Wankelmuthe des Vielgöttereidienstes, ihrem Altar zu Gunsten einer modischeren Gottheit untreu geworden war. Selbst jene Herrscherin des unterirdischen Reiches konnte nicht stolzer und unmuthiger sich zeigen, als die Blicke sich aussprachen, die Lady Binks von Zeit zu Zeit auf Lord Etherington warf, als sollten sie ihn vor den Folgen warnen, welche diese Abweichung von der ihr bis jetzt gezollten Huldigung für den jungen Grafen haben könnte, die jetzt, sie wußte nicht, weßhalb, wenn es nicht in der Absicht geschah, sie öffentlich zu beleidigen, ganz auf ihre Nebenbuhlerin übertragen zu sein schien. So gefährlich diese Seitenblicke waren, so viel Drohendes sie enthielten, fühlte doch Lord Etherington in diesem Augenblicke nur zu sehr, daß es wichtiger sei, Lady Penelopens Schweigen über das Bekenntniß der Kranken am Morgen sich schmeichelnd zu sichern, als den Zorn Lady Binks' zu besänftigen. Das Erste war dringend nothwendig, – das Andere, wenn ihm überhaupt viel daran lag, glaubte er doch vielleicht ruhig der Zeit überlassen zu können. Wären die Damen noch gegenseitig in leidlichen Verhältnissen gewesen, so würde er versucht haben, Beide zu einigen. Aber die Bitterkeit der lange heimlich genährten Zwistigkeiten hatte sich beträchtlich vermehrt, eben jetzt, da das herannahende Ende der Brunnenzeit sie, wahrscheinlich auf immer, trennen sollte. Lady Penelope sah länger keine Ursache vorhanden, weßhalb sie Lady Binks ihren Schutz gönnen, und die Gemahlin Sir Bingos fand keinen Grund, warum sie diesen Schutz länger wünschen sollte. Der Reichthum und die Verschwendung der Einen konnte den Glanz der Umgebungen ihrer hochachtbaren Freundin nicht länger mehr vergrößern, und es war nicht wahrscheinlich, daß Lady Penelopens Gesellschaft sobald wieder für Lady Binks nützlich oder nothwendig sein würde. Deßhalb nicht mehr wünschend, die Zeichen des gegenseitigen Mißbehagens und der Verachtung zu unterdrücken, welche sie seit langer Zeit gegen einander hegten, war es natürlich, daß derjenige, welcher in diesem entscheidenden Zeitpunkte zu der Fahne der Einen schwor, wenig mehr von der Andern zu erwarten hatte. Welche fernere und geheimere Gründe Lady Binks zur Rache über den Abfall Lord Etheringtons hatte, ist uns nie mit Gewißheit bekannt geworden; aber man erzählte sich, die Sage, daß Lord Etheringtons Besuche in Shaw-Castle den Zweck hätten, sich dort eine Braut zu erwerben, habe gar gereizte Worte zwischen ihnen schon früher veranlaßt.

Schnell weiß ein weiblicher Sinn die Mittel zu erspähen, ein wahres oder eingebildetes Unrecht zu rächen. Unmuthig auf die schönen Lippen beißend und in ihrem Sinne die wirksamste Rache überlegend, warf ihr das Geschick den jungen St. Ronans in den Weg. Sie blickte ihn an, und bestrebte sich mit einem freundlichen Nicken und angenehmen Lächeln, welches ihn sonst sogleich an ihre Seite gezogen hatte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Da sie aber nur einen entfernten Bückling und zerstreuten Blick zur Erwiederung erhielt, beobachtete sie ihn schärfer, und ward durch seinen unstäten Blick, den Wechsel seiner Farbe und unruhigen Schritt zu dem Glauben verleitet, daß er zu viel getrunken habe. Dennoch verrieth der Ausdruck seines Auges weniger einen berauschten, als einen verstörten, verzweifelten Menschen, dessen Seelenkräfte durch finstere, quälende Betrachtungen befangen sind, die ihn die Gegenwart vergessen lassen.

»Haben Sie bemerkt, wie übel Mr. Mowbray aussieht?« fragte sie in einem sehr verständlichen Flüstern. »Ich hoffe, er hörte doch nicht, was Lady Penelope so eben von seiner Familie sagte?«

»Wenn er es nicht von Ihnen erfährt, Mylady,« entgegnete Touchwood, der bei Mowbray's Eintritt seine Unterredung mit Mac Turk abbrach, »dann, denke ich, ist wenig Aussicht, daß er es von Jemand Anders erfahre.«

»Wovon war die Rede?« fragte Mowbray mit scharfem Tone, diese Worte an Chatterley und Winterblossom richtend, doch der Eine bebte demüthig zurück, versichernd, er habe nicht genau auf die Unterhaltung der Damen geachtet, und Winterblossom entschlüpfte der Klemme mit ruhiger, vorsichtiger Höflichkeit erwiedernd: – »Ich gab in der That nicht genau auf das hier Vorgehende Acht – ich unterhandelte eben mit Mistreß Jones über eine kleine nachträgliche Zugabe von Zucker in meinen Kaffee. – Es war in der That ein so schwieriges diplomatisches Unternehmen,« setzte er mit gesenkter Stimme hinzu, »daß ich den Gedanken fasse, Ihro Herrlichkeit berechnen die westindischen Produkte nach Granen und eines Pfennigs Werth.«

Wenn diese Bemerkung die Absicht hatte, Mowbray ein Lächeln zu entlocken, so war sie weit davon entfernt, ihren Zweck zu erreichen. Mit mehr als gewöhnlicher Steifheit in seinem Wesen, das nie ganz frei von großem Eigendünkel war, schritt er vorwärts, und sagte zur Lady Binks: »Darf ich Ew. Herrlichkeit ersuchen, mir zu sagen, welche meine Familie betreffende Angelegenheit so glücklich war, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu erregen?«

»Ich war nur eine Zuhörerin, Mr. Mowbray,« entgegnete Lady Binks, mit sichtbarer Freude die steigende Wuth des Jünglings in seinen Zügen lesend. »Da ich nicht die Herrscherin dieses Abends bin, so fühle ich mich durchaus nicht geneigt, für den Gang der Unterhaltung verantwortlich zu sein.«

Mowbray, keineswegs in der Laune einen Scherz zu ertragen, aber doch fürchtend, sich in einer so öffentlichen Gesellschaft durch weitere Fragen bloß zu geben, warf einen grimmigen Blick auf Lady Penelope, die so eben in ein sehr emsiges Gespräch mit Lord Etherington verwickelt war – trat ihnen einige Schritte näher – dann aber, als fasse er einen andern Entschluß, drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Wenige Augenblicke später, während spöttische Winke und Blicke in der Gesellschaft gewechselt wurden, schob ein Aufwärter ein Stückchen Papier in Mistreß Jones' Hand, welche, nachdem sie schnell den Inhalt überflogen hatte, bereit schien, das Gemach zu verlassen.

»Jones! – Jones!« – rief Lady Penelope erstaunt und unmuthig aus.

»Ich hole nur den Schlüssel zum Theekasten, Ew. Herrlichkeit, ich werde augenblicklich zurückkehren.«

Wieder rief ihre Gebieterin; »Jones, Jones – hier ist –« Thee genug, wollte sie hinzusetzen, aber Lord Etherington war so sehr in ihrer Nähe, daß sie sich schämte, die Rede zu vollenden, und, nur noch allein auf die schnelle Fassungskraft der Jones rechnend, hoffte, sie würde es für unmöglich erklären, den ihr fehlenden Schlüssel zu finden.

Jones trippelte indessen eilig zu einer Art von Wirthschaftszimmer, dessen locum tenens (Besitzerin) sie für diesen Abend war, um schneller Alles herbeischaffen zu können, was an dem sogenannten Abend der Lady Penelope erforderlich sein konnte. Hier fand sie Mr. Mowbray, den sie augenblicklich mit einer Redefluth überschüttete: »Ja; nun Mr. Mowbray, ich sage es, Sie bringen mich noch um meinen Platz! Sie sind ein schöner Herr! – Ich schwöre es, Sie sind Schuld daran! – Was können Sie mir zu sagen haben, womit Sie nicht noch eine Stunde warten konnten?«

Wahrscheinlich in einem andern Tone, als den sie erwartete, erwiederte Mowbray: »Ich wünschte zu wissen, Jones, was Ihre Gebieterin eben über meine Familie sagte?«

»Pah, war das Alles? Was soll sie denn gesagt haben? Unsinn! – Wer kümmert sich um ihre Reden? – Ich gewiß nimmermehr um eine einzige!«

»Nein, dennoch meine theure Jones, ich dringe darauf es zu wissen. – Ich muß es wissen, und ich will es wissen.«

»Ei, Mr. Mowbray, warum sollte ich wohl Unglück anrichten? – So wahr ich lebe, ich höre Jemand kommen! Und findet man mich hier mit Ihnen redend – wahrhaftig – wahrlich, es kömmt Jemand!« –

»Mag der Teufel kommen, wenn er will!« rief Mowbray. »Wir aber, mein schönes Kind, trennen uns nicht, bis Sie mir sagen, was ich zu wissen wünsche!«

»Gerechter Himmel, Sir, Sie erschrecken mich! – Aber das ganze Zimmer hörte es ja so gut als ich. – Von Miß Mowbray war die Rede – daß Mylady nun wohl ihre Gesellschaft vermeiden müsse, denn sie wäre – sie wäre –«

»Weil meine Schwester was wäre?« – rief Mowbray wild, sie beim Arme ergreifend.

»Mein Himmel, Sir, Sie bringen mich zum Entsetzen!« schrie Jones weinend. »In jedem Falle, ich war es nicht, die es sagte – es war Lady Penelope.«

»Und was war es, das dieß alte natterzüngige, tolle Weib von Clara Mowbray zu sagen wagte? – Sprecht es sogleich offen und deutlich aus, oder beim Himmel, ich will Euch zum Sprechen bringen!«

»Halt, Sir – um Gotteswillen, Sir, Sie werden mir den Arm zerbrechen!« schrie die erschrockene Zofe. »Ich bin gewiß, ich weiß nichts Böses von Miß Mowbray; nur Mylady sprach so von ihr, als sei sie eben nichts besseres als – sie es sein müßte. – Himmel, Sir, da ist ein Horcher an der Thüre!« – Und mit schnellem Sprung sich seiner sie festhaltenden Faust entreißend, flog sie eilig in das Gesellschaftszimmer zurück.

An den Boden gewurzelt von dem, was er gehört hatte, stand Mowbray, eben so unwissend, welches der Grund einer so gräßlichen Verleumdung sein konnte, als schwankend, wie er am besten sie zu unterdrücken vermöge. Um seine Verwirrung noch zu vergrößern, entdeckte er, daß Mistreß Jones sich mit Recht belauscht geglaubt hatte, denn als er sich der Thüre des Zimmers nahte, trat ihm Mr. Touchwood entgegen.

Finster fragte Mowbray: »Was führt Sie hieher, Sir?«

»Nun, nur gemach!« entgegnete der Reisende. »Ei, weßhalb kommen Sie denn hieher, wenn einmal so gefragt werden soll, Squire? – Aber sehen Sie, Lady Penelope zittert für ihren Suchong-Thee, da ging ich denn hieher, um Ihrer Herrlichkeit die Mühe zu ersparen, in Person Mistreß Jones aufzusuchen, welches, dächte ich, noch eine schlimmere Störung als die meinige gewesen wäre, Mr. Mowbray.«

»Pah, Sir, Sie schwatzen Unsinn! – Das Theezimmer ist so höllisch heiß, daß ich hier einen Augenblick Luft schöpfen wollte, als das junge Frauenzimmer herein trat.«

»Und nun wollen Sie weglaufen, weil der alte Mann erscheint! – Hören Sie, Sir, ich bin mehr Ihr Freund, als Sie es sich einbilden!«

»Sir, Sie sind sehr aufdringlich – ich bedarf nichts, das Sie mir geben könnten!«

»Das ist vollkommen falsch – denn ich kann Sie mit demjenigen unterstützen, was die jungen Leute am nöthigsten haben – Geld und Weisheit.«

»Sie werden wohl thun, beide zu bewahren, bis man ihrer begehrt.«

»Ei, das werde ich schon thun, aber ich habe nun einmal so eine Art von Vorliebe für Ihre Familie gefaßt, und man will von ihr behaupten, daß ihr sowohl Geld als guter Rath schon seit zwei, wenn nicht drei Generationen mangelt.«

Aergerlich rief Mowbray: »Sie sind zu alt Sir, sowohl den Narren zu spielen als Narrenlohn zu empfangen.«

»Wahrscheinlich möchte dieser Lohn mit dem eines Gassenbuben übereinstimmen – mehr Püffe als halbe Pfennige. – Nun mindestens bin ich auch nicht jung genug, um mit Knaben über Unarten zu rechten. Ich will Sie überzeugen, Mr. Mowbray, daß ich etwas mehr von Ihren Angelegenheiten weiß, als Sie mir zutrauen mögen.«

»Es kann sein, doch Sie würden mich mehr verbinden, wenn Sie sich um die Ihrigen bekümmerten.«

»Sehr wahrscheinlich! Indessen Ihr Verlust gegen Lord Etherington an diesem Abend ist weder eine Kleinigkeit, noch ein Geheimniß für mich.«

»Mr. Touchwood, ich wünsche zu wissen, von wem Sie diese Nachricht erhielten?«

»Das ist von sehr geringer Bedeutung im Vergleich mit ihrer Wahrheit oder Falschheit, Mr. Mowbray.«

»Aber für mich ist es von der höchsten Wichtigkeit, Sir. Mit einem Worte, erhielten Sie diese Nachricht mittel- oder unmittelbar vom Lord Etherington? – Beantworten Sie mir diese einzige Frage, dann werde ich besser wissen, was ich davon zu denken habe.«

»Bei meiner Ehre,« sagte Touchwood: »weder von noch durch Lord Etherington erhielt ich diese Nachricht. Ich sagte Ihnen das Alles, um Ihnen Genüge zu thun, und erwarte dagegen, daß Sie mich geduldig anhören.«

»Erlauben Sie mir, Sir, nur noch eine Frage. Ich glaubte zu hören, es wurde irgend etwas Beschimpfendes für meine Schwester gesprochen, eben als ich das Theezimmer betrat?«

Zögernd entgegnete Touchwood: »Hm – hm – ja – es thut mir leid, daß Ihre Ohren Ihnen so gute Dienste leisteten – es wurde Etwas leicht ihrer erwähnt, Etwas, das sich sehr bald aufklären läßt, wage ich zu behaupten – und nun, Mr. Mowbray, lassen Sie mich ein ernstes Wort mit Ihnen sprechen!«

»Und nun, Mr. Touchwood, haben wir uns nichts weiter zu sagen. – Guten Abend!«

Stürmisch enteilte er dem alten Manne, der ihn umsonst zurück zu halten versuchte, und zu dem Stalle stürzend, forderte er sein Pferd. Es war schon gesattelt und man erwartete nur seine Befehle; aber selbst der kurze Zeitraum, ehe man es aus dem Stalle führte, brachte schon Mowbray's Ungeduld auf das Aeußerste. Nicht weniger reizte ihn die immer dringender ertönende Stimme Touchwood's, welcher bald klagend, bald ergrimmt ihm nachfolgend in seinen Ermahnungen und Vorstellungen fortfuhr.

»Mr. Mowbray, Sie werden es bereuen. – Eignet sich eine solche Nacht zum Reiten? – Potz Sternchen, Sir, wenn Sie nur fünf Minuten lang Geduld haben wollten!«

Nicht laute, aber kräftige Flüche, die er für sich murmelte, waren die einzigen Antworten Mowbray's, bis sein Pferd gebracht wurde, wo er, ohne ihm weiter Rede zu stehen, sich in den Sattel schwang. Das arme Roß mußte die Zögerung büßen, die es nicht veranlaßt hatte. Scharf gab ihm Mowbray die Sporen, sobald er im Sattel war – das edle Thier schnaubte und bäumte sich und flog mit Hirscheseile über Stock und Stein den nächsten Weg – und wir wissen, wie rauh er war – nach Shaw-Castle. – Es gibt einen gewissen Instinkt, welcher den Pferden die Stimmung ihrer Reiter errathen, und sie wild und ungestüm oder schläfrig und träge mit ihnen übereinstimmen läßt; so schien auch dießmal Mowbray's edles Roß, ohne daß es der Sporn noch einmal berührte, die innere Gährung seines Gebieters zu theilen. Der Stallknecht lauschte den immer mehr verhallenden Hufschlägen, bis sie ganz in dem fernen Walde verklangen. Er murmelte für sich:

»Wenn St. Ronans in dieser Nacht wirklich Shaw-Castle erreicht, ohne den Hals zu brechen, muß ihm der Teufel die Stange halten.«

»Gott sei uns barmherzig,« rief der Reisende, »er reitet ja wie ein Araber in der Wüste! Aber da treffen die Beduinen auch weder Bäume, noch Klippen, Bäche, Waldströme, noch Fahrwasser. Gut, ich muß mich nur selbst an die Arbeit machen, sonst wird eine üblere Geschichte daraus, übler, als selbst ich wieder in Ordnung bringen könnte. – Hört, Stallknecht, gebt mir sogleich Eure besten Pferde, nach Shaw-Castle zu fahren.«

Erstaunt fragte der Mann: »Nach Shaw-Castle, Sir?«

»Ja, Ihr wißt doch den Ort zu finden?«

»Das wohl, doch in der That sehr wenig Gesellschaft geht dahin, ausgenommen bei dem großen Balle, daß wir fast Zeit gehabt hätten, den Weg dahin zu vergessen. – Aber so eben war ja St. Ronans hier, Sir?«

»Ei, was hindert das? – Er reitet voran, um das Abendessen bereit halten zu lassen. – Also spannt ohne Zeitverlust an.«

»Wie Sie befehlen, Sir!« entgegnete der Bursche und eilte, den Postillon herbeizurufen.



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