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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Geheime Nachrichten.

– – Erbrich den Brief!
Ich will den Kämpfer stellen,
Der dir den Inhalt fest verbürgt.

König Lear.

Das Billet, welches Mowbray in Gegenwart seiner Schwester erhielt und las, enthielt folgende Worte:

 

Sir!

»Clara Mowbray besitzt wenig Freunde – vielleicht keinen, als Sie selbst durch die Bande des Blutes, und den Schreiber dieser Zeilen, durch die Bande der zärtlichsten, aufrichtigsten und uneigennützigsten Anhänglichkeit, die je eine männliche Brust einer Frau weihte. Ich spreche mein innerstes Empfinden Ihnen so offen aus, weil, obwohl es unwahrscheinlich ist, daß ich jemals Ihre Schwester wieder sehen und sprechen werde, ich dringend wünsche, daß der Grund der innigen Theilnahme, welche mich bis zum letzten Athemzuge für Miß Mowbray erfüllen wird, klar und deutlich vor Ihren Augen liege.

Der Mann, welcher sich Lord Etherington nennt, hält sich, wie ich voraussehe, in der Nachbarschaft von Shaw-Castle in der Absicht auf, sich um Miß Mowbray's Hand zu bewerben, und leicht kann ich vermuthen, daß er seine Vorschläge in ein solches Licht stellen wird, welches nach der gewöhnlichen Ansicht der Menschen sie höchst wünschenswerth erscheinen lassen muß. Doch bevor Sie diesem Manne die Aufmunterung gönnen, welche seine Bewerbung zu verdienen scheint, haben Sie die Güte, sich zu erkundigen, ob sein Vermögen ihm gewiß ist, sein Rang ihm unbestreitbar gebührt, und lassen Sie sich nicht zu leicht über diesen Punkt beruhigen. Es kann ein Mann sich mit einem Titel und Besitzthum brüsten, an welche er kein weiteres Recht hat, als das ihm seine eigene Raubgier und unverschämte Anmaßung verschaffte, und wenn Mr. Mowbray, wie er es muß, sorglich für die Ehre seiner Familie wacht, so kann eine Verbindung mit einem solchen Menschen ihm nichts, als Herabwürdigung verheißen. Der Schreiber dieser Zeilen ist bereit, für die Wahrheit ihres Inhaltes sich als Bürgen zu stellen.«

 

Bei dem ersten Durchlesen dieses höchst befremdenden Schreibens glaubte Mowbray, es der Bosheit irgend eines der Brunnengäste zurechnen zu müssen, da anonyme Briefe keine ungewöhnliche Zuflucht für Leute von unbedeutendem Geiste sind, welche zu solchen abgebrauchten Hülfsmitteln greifen, die einen Betrug so geheim als leicht durchführen lassen, und gar wohl geeignet sind, Unglück und Verwirrung zu erregen. Aber bei genauerer Ueberlegung schien ihm diese Ansicht doch keinesweges genügend, und plötzlich aus seinem Sinnen aufschreckend, fragte er nach dem Boten, der den Brief überbracht habe. Der Bediente glaubte, er würde in dem untern Vorsaal sein, und schnell eilte Mowbray dahin. Doch nein – der Bote war nicht mehr da, aber Mowbray sah ihn noch von hinten, wie er die Allee hinab ging. Er rief – keine Antwort erfolgte – er lief dem Burschen nach, der ein Bauer zu sein schien. Sich verfolgt sehend, beschleunigte der Mann seine Schritte, und verschwand, sobald er die Allee hinab war, in einen der zahllosen Fußpfade, welche Wanderer dort hervorgebracht hatten, theils um Nüsse zu suchen, theils sich Bewegung zu machen, die in tausend verschiedenen Richtungen das waldige Gebüsch durchkreuzten, welches das Schloß umgab, und ihm wahrscheinlich den Beinamen Shaw ertheilt hatte, der im Schottischen eine solche Gattung von Wald bedeutet.

Durch des Mannes sichtliche Anstrengung, ihm auszuweichen, angereizt, von je an hartnäckig seine Entschlüsse durchsetzend, verfolgte ihn Mowbray eine tüchtige Strecke weit, bis er endlich fast ganz außer Athem kam; und da der Flüchtling ihm nun völlig aus den Augen war, so besann er sich endlich, daß seine eingegangenen Verpflichtungen gegen den Grafen von Etherington ihn zur Rückkehr nach dem Schlosse nöthigten.

Der junge Lord war in der That so kurze Zeit nachdem Mowbray sich entfernte, in Shaw-Castle erschienen, daß es höchst sonderbar war, daß sie sich nicht in der Allee trafen. Der Bediente, welcher ihn empfing, die augenblickliche Rückkehr seines Gebieters, der ohne Hut fortgeeilt war, erwartend, führte den Grafen ohne weitere Umstände in das Frühstückzimmer, wo Clara am Fenster sich so tief in ein Buch, oder vielmehr, während sie es in der Hand hielt, so ganz in ihre Gedanken verloren hatte, daß sie kaum ihr Haupt erhob, bis der Graf von Etherington näher tretend sagte: »Miß Mowbray.« Ein jähes Erheben und ein lauter Schrei verkündeten ihren tödtlichen Schreck, und stärker noch wiederholte sich dieser Ausbruch des Entsetzens, als er einen Schritt näher tretend, mit festerem Tone hinzufügte, »Clara!«

»Nicht näher – nicht näher,« rief sie, »wenn ich Sie sehen und nicht vergehen soll!« Lord Etherington blieb unschlüssig stehen, als sei er ungewiß, ob er sich ihr nähern oder zurücktreten solle, während sie mit unglaublicher Schnelligkeit die dringendsten Bitten hervorströmte, er möge sich entfernen, bald ihn als einen wirklichen Gegenstand anredend, bald, und zwar am häufigsten, ihn nur für ein täuschendes Phantom, ein Geschöpf ihrer eigenen Einbildungskraft haltend. »Ich wußte es,« flüsterte sie, »ich wußte, was davon entstehen würde, wenn meine Gedanken auf diesen furchtbaren Punkt hingezwungen wurden. – Mein Bruder, sag' es mir – sprich zu mir, während meine Sinne mich noch nicht ganz verlassen haben – sage, beweise mir, daß jenes dort, was vor mir steht, nur ein leeres Schattenbild ist! – Aber nein, nein, es ist kein Schatten – es verharrt mit allen Zügen wahrhaft menschlicher Form dort vor meinen Augen!«

Mit fester, doch sanfter Stimme sagte der Graf: »Clara, sammeln und beruhigen Sie sich. Ich bin wirklich kein Schatten; ich bin ein schwer beleidigter Mann, der hier erscheint, Rechte zurück zu fordern, welche ihm ungerechter Weise vorenthalten worden sind. Jetzt steht mir die Macht sowohl, wie die Gerechtigkeit zu Gebot, und meine Ansprüche sollen sich Gehör verschaffen.«

»Nie, niemals!« entgegnete Clara Mowbray. »Da ich auf das Aeußerste gebracht bin, so soll dieß Aeußerste meinen Muth erwecken. – Sie haben keine Rechte – keine – ich kenne Sie nicht, und ich biete Ihnen Trotz!«

»Reizen Sie mich nicht, Clara Mowbray!« entgegnete der Graf in einem Tone, mit einem Wesen – wie ganz verschieden von denen, welche die Gesellschaft zu entzücken pflegten. Jetzt war sein Ausdruck feierlich, tragisch, fast finster, wie der eines Richters, der ein Urtheil über einen Verbrecher fällt. »Wagen Sie nicht, mir zu trotzen!« wiederholte er, »ich bin die Stimme Ihres Geschicks, und in Ihrer Hand liegt es, seinen Spruch streng oder gütig zu lenken.«

Mit zornsprühenden Augen, während namenlose Furcht ihre Lippen fieberisch erbeben ließ, rief Clara: »Wagen Sie es so zu sprechen bei dem Bewußtsein, daß eben der Himmel sich über uns wölbt, bei dem Sie heilig gelobten, daß Sie mich nie ohne meine Einwilligung wieder sehen wollten?«

»Dieß Gelübde ward bedingungsweise geleistet. – Francis Tyrrel, wie er sich selbst nennt, schwor ein Gleiches – hat er Sie nicht gesehen?« – Mit durchdringendem Blicke betrachtete er sie. »Er hat! – Sie wagen nicht, es zu verläugnen! – Und soll ein Schwur, der für ihn nur ein Spinnengewebe ist, für mich eine eiserne Kette sein?«

Mit sinkendem Muthe und gebeugtem Haupte entgegnete Clara: »Ach, ich sah ihn nur einen Augenblick!«

»Und war es nur der zwanzigste Theil eines Augenblickes – das kleinste Maaß der flüchtigen Zeit! – genug, Sie trafen sich – er sah Sie – Sie sprachen zu ihm – so müssen Sie auch mich sehen, auch mich hören! – Wo nicht, so will ich im Angesicht der Welt zuerst meine Rechte geltend machen, und wenn mir dieß gelungen ist, den elenden Nebenbuhler, der sie mir streitig zu machen wagt, aufsuchen und vernichten.«

»So Etwas vermögen Sie auszusprechen?« rief Clara –. »Können Sie so die Bande des Blutes verhöhnen? – Besitzen Sie kein Herz?«

»Ich besitze es! Und wie das geschmeidigste Wachs soll es sich all' Ihren Wünschen fügen, wenn Sie einwilligen, mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; aber der härteste Stein, den die Natur je schuf, wird nicht unerweichbarer sein, wenn Sie einen nutzlosen Widerstand fortsetzen! – Clara Mowbray, ich bin Ihr Schicksal!«

»Nicht also, stolzer Mann!« sagte Clara, sich erhebend. »Gott ertheilte keinem irdischen Geschöpf die Gewalt, ein ihm gleiches Wesen zu zerstören, es sei denn, daß seine heilige Allmacht es eben so wollte. – Mein Geschick ruht in dem Willen des Himmels, ohne welchen kein Sperling zu Boden sinkt. – Entfernen Sie sich! Ich bin stark im Glauben an den göttlichen Schutz!«

»Sprechen Sie dieß mit voller Aufrichtigkeit?« fragte der Graf. »Ueberlegen Sie zuvor, welche Aussicht sich Ihnen darbietet. – In keinen zweifelhaften unsichern Verhältnissen stelle ich mich Ihnen dar. – Nicht bloß den Namen einer Gattin – kein demüthig unbekanntes, sorgenvolles Loos, mit Furcht der Vergangenheit, mit bangem Zweifel der Zukunft gedenkend, biete ich Ihnen dar; und doch war eine Zeit, wo Sie einer solchen Bewerbung kein ungünstiges Ohr liehen! – Hochgestellt unter den Großen meines Landes, fordere ich Sie als meine Braut auf, den Glanz und den Reichthum zu theilen, welche mir zu Theil geworden sind. – Ihr Bruder ist mein Freund und begünstigt meine Bewerbung. – Aus dem Staube will ich Ihr edles Haus erheben, und seinen Stamm mit dem alten Glanze schmücken – Ihren Wünschen, ja selbst Ihren Launen sollen Sie in jeder Hinsicht folgen können. – Ja, ich will meine Selbstverläugnung so weit treiben, daß Sie, wenn Sie auf einer so strengen Bedingung bestehen sollten, Ihren eigenen Wohnort, Ihre eigene Einrichtung, ganz ohne die kleinste Zudringlichkeit von mir zu befürchten, besitzen sollen, bis die innigst ergebene Liebe, die unendlichsten Aufmerksamkeiten endlich vielleicht Ihr unerbittliches Herz erweichen. – Dieß Alles will ich für die Zukunft verbürgen – alles Vergangene fällt der Verschwiegenheit auf ewig anheim. – Aber mein, Clara Mowbray, mein müssen Sie sein!«

»Niemals, niemals!« rief sie mit steigender Heftigkeit. »Ich vermag nichts, als dieß Wort zu wiederholen, doch soll ihm alle Kraft eines Schwurs inwohnen! – Ihr Rang hat für mich keinen Werth – Ihr Vermögen verachte ich –! Weder die Gesetze Schottlands, noch die der Natur können meinem Bruder ein Recht ertheilen, meiner Neigung Zwang anzulegen. – Ich verabscheue Ihre Verrätherei, und verachte die Vortheile, welche Sie dadurch zu erlangen trachteten. – Wenn das Gesetz Ihnen meine Hand zuspricht, verleiht das Urtheil Ihnen nur die Hand einer Leiche!«

»Ach Clara!« entgegnete der Graf, »Sie sträuben sich nur unnütz flatternd in dem Netze; doch jetzt will ich Sie nicht weiter drängen! – Eine andere Zusammenkunft muß ich noch aufsuchen!« –

Er wandte sich zur Thür, als Clara vorwärts stürzend ihn beim Arme ergriff, und mit leisem eindringlichen Tone das Gebot aussprach: »Du sollst nicht tödten!«

Seine Stimme sanfter mildernd, strebte er ihre Hand zu fassen und erwiederte: »Fürchten Sie nichts Gewaltsames, als was Ihrer eigenen Strenge entspringen könnte. – Francis hat nichts von mir zu fürchten, wenn Sie nicht durchaus unbillig sind. – Gestehen Sie mir nur zu, was Sie keinem Freunde Ihres Bruders verweigern können, die Erlaubniß, Sie von Zeit zu Zeit zu sehen – hemmen Sie mindestens den ungestümen Ausbruch Ihres Widerwillens gegen mich, so will ich meinerseits den Lauf meiner gerechten und sonst nicht zu zügelnden Rache mäßigen.«

Ihre Hand losmachend und sich zurückziehend, entgegnete sie: »Es gibt einen Himmel über uns, und dort sollen unsere gegenseitigen Handlungen gerichtet werden! Sie mißbrauchen eine durch den schändlichsten Verrath errungene Macht – Sie brechen ein Herz, das Ihnen nie ein Unrecht zufügte – Sie streben nach der Verbindung mit einer Unglücklichen, die nur mit ihrer Gruft verbunden zu sein wünscht. – Ich kann es nicht hindern, wenn mein Bruder Sie hierher bringt – wird dadurch blutige unnatürliche Gewaltthat vermieden, so hat es mindestens eine gute Folge –. Aber mit meiner Bewilligung kommen Sie nicht; und hätte ich die Wahl, so wünschte ich lieber, meine Augen erblindeten für mein ganzes Leben, als daß sie sich je wieder öffnen sollten, um Sie zu erblicken – meine Ohren füllten sich mit der kalten Erde der Gruft, ehe sie wieder den Klang Ihrer Stimme vernehmen möchten!«

Stolz lächelnd entgegnete der Graf: »Selbst dieß, Madam, vermag ich ohne Groll zu hören. So sorglich und ängstlich Sie auch streben, Ihre Gefälligkeit von jeder Anmuth und jeder Freundlichkeit zu entkleiden, erhalte ich doch, wenn ich Ihre Worte recht auslege, die Erlaubniß, Ihnen aufzuwarten?«

»Nicht richtig deuten Sie so diese Worte,« erwiederte sie; »ich unterwerfe mich Ihrer Gegenwart nur als einem unvermeidlichen Uebel. Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich, geschähe es nicht, um größeres entsetzlicheres Unglück zu vermeiden, gewiß selbst nicht darin nachgeben würde!«

»So mag denn Nachgiebigkeit das rechte Wort hier sein!« sagte der Graf; »und selbst für diese bloße Fügsamkeit will ich Ihnen so verbunden und dankbar sein, daß Alles, was Sie, wie ich vermuthe, nicht gern laut werden lassen möchten, das tiefste Geheimniß bleiben soll; eben so, wenn ich nicht schlechterdings zur Selbstvertheidigung gezwungen bin, können Sie darauf rechnen, daß ich in keiner Art etwas Gewaltsames unternehmen werde. – Ich erlöse sie von meiner Gegenwart!« Mit diesen Worten verließ er das Gemach.



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