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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Ein Sterbebette.

Sie naht! – ja, marternd naht sie in der Abschiedsstunde
Die tief verborg'ne That – die wohlverhüllte Schuld!
Den heil'gen Priester ruft, daß dieß Gespenst er banne! –

Alte Komödie.

Die allgemeine Erwartung der Gesellschaft war durch die friedliche Beendigung des Zusammentreffens des Grafen von Etherington mit Tyrrel, dem man mit so ängstlicher Besorgniß entgegen sah, getäuscht worden. Man hatte einige furchtbare Auftritte vermuthet, statt welcher jetzt die Streitenden einer mürrischen Neutralität sich zu ergeben, und den Krieg allein der Führung ihrer Rechtsanwälte zu überlassen Willens schienen. – Man hatte allgemein angenommen, daß die Sache nun aus dem Forum Bellonens zu dem der Themis übergegangen sei, und wenn auch beide Parteien Bewohner der Gegend blieben, und sich zuweilen auf dem Spaziergange oder an der Wirthstafel trafen, trugen sie Sorge, auf eine ernste entfernte Verbeugung ihre ganze gegenseitige Beachtung ihrer Gegenwart einzuschränken.

In wenigen Tagen hörte auch die versammelte schöne Welt auf, Theil an einem so kalt geführten Zwiste zu nehmen; und wenn man überall noch daran dachte, so war es bloß, sich darüber zu wundern, daß die beiden Entzweiten dabei verharrten, auf dem Gesundbrunnen zu verweilen, und durch ihr ungeselliges Benehmen einen zum Vergnügen und zur Gesundheit versammelten Verein unangenehm zu stören.

Aber wie der Leser es leicht vermuthen kann, die beiden Brüder hatten die dringendsten Ursachen, einer in des andern Nähe zu bleiben. – Lord Etherington, seinen Plan, Miß Mowbray betreffend, durchzuführen, Tyrrel, eben diese Absicht wo möglich zu hintertreiben, und Beide, um die Antwort des Londoner Handlungshauses zu erwarten, bei welchem der letztverstorbene Graf die Papiere niedergelegt hatte.

Jekyl, welcher darnach strebte, seinem Freunde den ihm möglichsten Beistand zu leisten, stattete indessen einen Besuch im alten Orte an Touchwood ab, hoffend, ihn eben so mittheilend zu finden, als er sich damals bei Gelegenheit des Streites der beiden Brüder bewieß, und so vermittelst seiner gewandten Geschicklichkeit zu erforschen, woher der alte Herr die Nachrichten über die Angelegenheiten des edlen Hauses von Etherington gezogen habe. Aber das Vertrauen, welches er sich von dem alten Reisenden zu erwarten befugt glaubte, ward ihm nicht. Ferdinand Mendez Pinto, wie ihn der Graf spottend nannte, hatte entweder seine Meinung geändert, oder war eben nicht in mittheilender Laune. Der einzige der Erwähnung würdige Beweis seines Zutrauens war, daß er dem jungen Offizier ein vorzügliches Recept, Putzpulver zuzubereiten, mittheilte.

Jekyl ward also gezwungen zu glauben, daß Touchwood, der, wie es schien, sein Lebenlang sich gar viel um anderer Leute Angelegenheiten bekümmerte, die Nachrichten, welche er über Lord Etherington besaß, aus einer jener finstern verborgenen Quellen schöpfte, durch welche wichtige Geheimnisse so oft zum Erstaunen und unangenehmer Ueberraschung der darin Verwickelten sich in's Publikum verbreiten. Er überredete sich um so leichter davon, da Touchwood keinesweges zu zart in der Wahl seiner Gesellschaft war, sondern man ihn eben so gern sich mit dem Diener wie mit dem Herrn, mit der Zofe wie mit der Dame selbst unterhalten sah. Derjenige, welcher sich zu dieser Gesellschaft erniedrigen will, der ihre Plauderei liebt, und weder abgeneigt ist, für die Befriedigung seiner Neugierde einigermaßen erkenntlich zu sein, noch zu gewissenhaft die genaueste Wahrheit von dem Bericht zu heischen, wird stets eine Menge geheimer Anekdoten erfahren. Da nun Hauptmann Jekyl an sich selbst erfahren hatte, wie schlau Touchwood durch Kreuz- und Querfragen von ihm das Eingeständniß des feindlichen Zusammentreffens beider Brüder erpreßte, schloß er um so mehr, daß ähnliche Mittel Touchwood zum Mitwisser jener Geheimnisse machten. Diese Ansicht theilte er nach seinem Besuche bei dem Nabob dem Grafen mit, äußernd, er glaube, der Fremde sei nicht sehr zu fürchten, da er die, Gott weiß, wie? erlauschten Geheimnisse nur unzusammenhängend, verworren und unvollständig besitze, so daß er nicht einmal ganz bestimmt zu wissen scheine, ob die beiden Streitenden Brüder oder Vettern wären, ja mit den eigentlichen Gründen, worauf ihr Prozeß beruhe, vollkommen unbekannt sei.

Den Tag nach dieser erhaltenen Versicherung, Touchwood betreffend, trat Lord Etherington wie gewöhnlich in den Laden des Buchhändlers, empfing seine Briefschaften, und sah mit hoch klopfendem Herzen, als sein Auge den Sims des Kamins überflog, neben den noch stets vorhandenen Briefen nach dem alten Orte die zierliche Mistreß Pott mit höchst verächtlicher Miene ein bedeutend starkes Packet hinlegen, welches die Adresse trug: »An Mr. Mr. Francis Tyrrel, Esquire etc.« Er wandte die Augen ab, als fürchte er, daß selbst nur ein Blick auf dieß wichtige Packet irgend einen Argwohn seines Vorsatzes erwecken möchte, oder den großen Antheil verrathen könnte, welchen er an diesen, von Mistreß Pott so verächtlich behandelten Papieren nahm. In diesem Augenblicke öffnete sich die Ladenthür, und Lady Penelope mit ihrem ewigen Anhängsel, der kleinen Miß Diggs, trat ein.

»Haben sie Mr. Mowbray gesehen? – War Mr. Mowbray von St. Ronans diesen Morgen hier? – Haben Sie irgend etwas von Mr. Mowbray gehört, Mistreß Pott?« – Diese Fragen ließ die gelehrte Dame so schnell auf einander folgen, daß es kaum möglich war, die immer wiederholten Verneinungen einzuschieben.

»Mr. Mowbray sei nicht hier – würde diesen Morgen nicht erscheinen – so eben habe sein Bedienter Briefe und Zeitungen geholt und es gesagt.«

»Mein Gott, wie unglücklich sich das trifft!« rief Lady Penelope tief seufzend, in der Stellung völliger Verzweiflung auf ein Sopha niedersinkend, so daß sowohl Mr. Pott, als seine Gattin augenblicklich zu ihrem Beistand herbeieilten; der erste eine kleine Flasche mit Riechsalz entkorkend, denn er war so gut Apotheker, als Buchhändler und Postoffiziant, die andere ein Glas Wasser herbeiholend. Eine starke Versuchung ließ zuckend Lord Etheringtons Fingerspitzen erheben. – Nur zwei Schritte, so konnte er das unbewachte Packet erreichen, auf dessen Inhalt allein, nach aller Wahrscheinlichkeit, die Ansprüche seines Nebenbuhlers in Rang und Vermögen sich gründeten; und war es in der allgemeinen Verwirrung unmöglich, sich dessen unbemerkt zu bemächtigen? – Aber nein, nein, nein! – Zu große Gefahr drohte dem Unternehmen, um es zu wagen! – und schnell von einem Aeußersten zu dem andern übergehend, schien es ihm, als müsse er schon Verdacht erregen, wenn er Lady Penelope ihre studirte Betrübniß und Angst an den Tag legen sähe, ohne scheinbar jenen Antheil dabei zu zeigen, welchen ihr Rang mindestens zu erfordern schien. Von dieser Furcht gespornt, eilte er, so viel Besorgniß zu heucheln, so emsig sich zum Beistand Ihrer Herrlichkeit zu erbieten, daß er sich nun sogleich viel mehr, als es seine Absicht war, verwickelt fand. – Lady Penelope fühlte sich Sr. Herrlichkeit unendlich verbunden. In der That, ihre Seelenstärke pflegte sonst nicht so leicht einem äußeren Anlasse zu erliegen; aber es habe sich etwas so Sonderbares, so Seltsames, so höchst Melancholisches ereignet, daß sie gestehen müsse, es habe sie ganz übernommen – um so mehr, da sie immer besser ihre eigenen Leiden zu ertragen vermocht habe, als sie sich bei dem Anblick der Schmerzen Anderer aufrecht zu halten vermöge.

»Ob er von einigem Nutzen sein könnte?« fragte Lord Etherington. »Sie hätte Mr. Mowbray von St. Ronans zu sprechen begehrt; sein Diener stehe Ihrer Herrlichkeit zu Befehl, wenn sie ihn herbeiholen zu lassen wünsche.«

»O nein, nein, nein!« sagte Lady Penelope: »Ich darf behaupten, Mylord, Sie selbst werden noch viel besser, als Mr. Mowbray hier nützlich sein – vorausgesetzt nämlich, daß Sie auch ein Friedensrichter sind.«

Sehr erstaunt wiederholte Lord Etherington: »Ein Friedensrichter? – Ich gehöre ohne alle Frage zur Commission, aber nicht gerade für irgend eine der schottischen Grafschaften.«

»O das schadet nichts!« rief Lady Penelope: »Wollen Sie sich nur einen kleinen Weg mit mir hinweg bemühen, so will ich Ihnen erklären, wie Sie eben jetzt eines der barmherzigsten, gütigsten, großmüthigsten Werke der Welt vollführen können.«

Lord Etheringtons Freude an gütigen, großmüthigen, barmherzigen Werken war gar nicht so außerordentlich, daß er sich nicht auf irgend eine Art besonnen haben sollte, der Forderung Lady Penelopens auszuweichen, als er durch die Glasthür blickend in der Ferne seinen Kammerdiener Solmes bemerkte, der sich dem Postamt nahte.

Ich hörte einst von einem Schafdiebe erzählen, der seinen Hund so schlau abzurichten verstand, daß er ihn zuweilen selbst auf Raub aussandte, und es sogar dahin gebracht hatte, dem armen Thiere die Vorsicht eigen zu machen, daß er bei solchem Geschäft den eignen Herrn nicht zu kennen schien, wenn sie sich zufällig trafen. Wahrscheinlich hegte Lord Etherington gleiche Grundsätze, denn kaum hatte er seinen Beauftragten wahrgenommen, als er die Nothwendigkeit einzusehen schien, das Feld für dessen Ränke frei zu lassen.

»Mein Diener,« sagte er so gleichgiltig, als er vermochte, »wird meine Briefe holen. – Ich muß jetzt Lady Penelope begleiten.« Und sogleich seine Dienste als Friedensrichter, oder in welcher Art sie solche begehren könnte, anbietend, reichte er schnell der Dame seinen Arm, und kaum Ihrer Herrlichkeit Zeit gönnend, sich von ihrer Erschöpfung zu erholen, führte er sie rasch aus dem Laden; ja ihr mageres, runzliches Gesicht emsig flüsternd zu seinem Ohre gebeugt, ihre gelben und scharlachrothen Federn sich über seiner Nase kreuzend, ihr hochachtbarer Arm in den seinigen geklammert, trotzte er dem Kichern und Spott aller jüngeren Frauen, welchen sie auf der Parade begegneten. Nur ein bedeutender Blick ward zwischen ihm und Solmes gewechselt, als sie in einiger Entfernung an einander vorüber gingen; dann verließ der Graf mit Lady Penelope den öffentlichen Spaziergang, seine Füße willig ihrer Leitung folgend, während ihr Bestreben, ihm das seiner harrende Geschäft zu erklären, ihm allerdings die Ohren betäubte, doch sein Geist so ganz abwesend war, daß er, durchaus unwissend und gleichgiltig wohin, vorwärts schritt, ausschließend nur mit dem Gedanken an Mistreß Potts aufgesammelte Briefe und ihrem wahrscheinlichen Geschicke beschäftigt.

Endlich rief Lord Etherington es sich mit ernster Anstrengung zurück, daß seine Zerstreuung höchst seltsam, ja, wie sein Gewissen ihm sagte, Argwohn erregend in den Augen seiner Begleiterin erscheinen müsse; sich also dem nothwendig gewordenen Zwange unterwerfend, legte er jetzt zuerst einige Neugierde an den Tag, wohin ihr Weg sie eigentlich führe. Es fügte sich aber, daß von allen Fragen er eben gerade diese hier nicht hätte machen müssen, wenn er den wortreichen Mittheilungen Ihrer Herrlichkeit die kleinste Aufmerksamkeit geweiht hätte, die alle diesen Gegenstand betroffen hatten.

»Jetzt,« entgegnete Lady Penelope, »jetzt, mein theurer Lord, muß ich in der That glauben, Ihr Herren der Schöpfung haltet uns arme einfältige Frauen für die eitelsten der erschaffenen Wesen. Ich sagte Ihnen, wie schwer es mir wird, von meinen kleinen Wohlthaten zu sprechen, und nun wollen Sie, ich soll die ganze Geschichte noch einmal wiederholen. Aber ich hoffe dennoch, Ew. Herrlichkeit erstaunen nicht über die Handlungsweise, die ich in dieser traurigen Geschichte für eine Pflicht erachtete – vielleicht habe ich der Sprache meines Herzens, das sich leicht hintergehen läßt, ein zu williges Ohr geliehen!«

Achtsam lauernd, irgend ein erklärendes Wort zu erlauschen, doch zugleich fürchtend, durch eine zu bestimmte Frage zu verrathen, daß die pathetische vorherige Erzählung gänzlich seinem unaufmerksamen Ohre verloren ging, konnte der Lord jetzt nur erwiedern, Lady Penelope vermöge nie zu irren, wenn sie den Geboten ihres Herzens und ihrem eigenen Urtheile folge.

Aber das Compliment war für den verwöhnten Gaumen Lady Penelopens nicht stark genug gewürzt, und so ein wahrer unersättlicher Vielfraß im Lobe, suchte sie selbst mit dem großen Suppenlöffel nachzuhelfen: »Mein Urtheil? – Wie kommt es, daß die Männer uns so wenig kennen, um zu glauben, wir könnten es über uns gewinnen, das Recht da abzuwägen, wo das Gefühl im Spiel ist! – Das heißt fast zu viel von uns armen Opfern unserer Empfindungen verlangen. So müssen Sie mich wirklich entschuldigen, wenn ich die Irrthümer dieses strafbaren, aber unglücklichen Wesens bei dem Anblick ihres Elendes vergesse. – Nicht daß ich wünschte, hier meine kleine Freundin Miß Diggs oder Ihre Herrlichkeit möchten glauben, ich verringerte die Abscheulichkeit ihres Vergehens, indem ich die arme, elende Sünderin bedaure. – O nein; Walpole drückt es so herrlich aus, was man bei solchen Gelegenheiten empfinden muß.

Noch nie war ihre holde Brust
Empfindungslos für bittres Leid,
Sich still der eig'nen Kraft bewußt,
Dem fremden Schmerz sie Thränen weiht!«

»Verdammtester aller kostbarthuenden Zieraffen!« dachte Se. Herrlichkeit, »wann wirst du in all' diesem Geschwätz nur eine Sylbe äußern, die Sinn oder Bedeutung verräth!«

Aber Lady Penelope fuhr fort: – »Wenn Sie wüßten, Mylord, wir sehr ich bei dieser Gelegenheit meine beschränkten Mittel beklage! Aber eine Kleinigkeit brachte ich zusammen von den guten Leuten am Gesundbrunnen. Ich forderte den selbstsüchtigen Menschen, den Winterblossom, auf, mit mir hinzugehen, ihren Jammer zu betrachten, und das herzlose Geschöpf erwiederte, er fürchte die Ansteckung! – Ansteckung von einem Kind – Kindbetterinnenfieber! – Ich sollte vielleicht das Wort nicht aussprechen: aber die Wissenschaft gehört keinem Geschlecht an – überdem habe ich mich mit Essig à quatre voleurs versehen, und gehe immer nur bis an die Thürschwelle.«

Welche Fehler auch Etherington besaß, so mangelte ihm mindestens die Barmherzigkeit nicht, welche im Almosengeben besteht. Er sagte also, seine Börse ziehend:

»Ich bedauere, daß Ew. Herrlichkeit sich nicht an mich wandte.«

»Verzeihen Sie, Mylord, wir erbitten nur die Beiträge unserer Freunde, und Ew. Herrlichkeit sind so fortdauernd um Lady Binks beschäftigt, daß wir nur sehr selten die Freude haben, Sie in meinem sogenannten kleinen Zirkel zu sehen.«

Ohne weiter etwas zu erwiedern, bot der Graf einige Guineen dar und setzte hinzu, »es müsse vor Allem das arme Weib ärztlichen Beistand haben.«

»Das sagte ich eben auch!« entgegnete Lady Penelope, »ich forderte den rohen Menschen, den Quackleben, dazu auf, der mir doch wahrlich einige Dankbarkeit schuldig ist; aber das geldgeizige Ungeheuer antwortete, ›wer ihn bezahlen würde?‹ – Er wird täglich unerträglicher, da er jetzt ziemlich sicher zu sein glaubt, jene fette, pausbackige Wittwe zu heirathen. – Er konnte doch wahrhaftig nicht verlangen, daß ich – noch über meinen Antheil – und überdem, Mylord, gibt es nicht ein Gesetz, daß jedes Kirchspiel, oder die Grafschaft, oder eine solche Behörde den ärztlichen Besuch der armen Kranken bezahlen muß?«

»Wir wollen schon Mittel finden, ihr des Doctors Beistand zu verschaffen,« sagte Lord Etherington, »und ich glaube, ich thäte am besten, nach dem Brunnen zurück zu kehren und den Doctor hieher zu der Kranken zu senden. Ich fürchte, ich werde gar wenig der Armen bei einem Wochenbettfieber nützen.«

»Kindbetterinnenfieber, Mylord!« verbesserte Lady Penelope.

»Wohl denn also, Kindbetterinnenfieber! Was kann ich ihr dabei helfen?«

»O Mylord, Sie haben vergessen, daß diese Anna Heggie, von welcher ich Ihnen erzählte, hieher kam, ein Kind auf dem Arme – ein anderes – kurz im Begriff, zum zweiten Mal Mutter zu werden – und sich in der elenden Hütte ansiedelte, von der ich Ihnen sagte. – Es meinten allerdings einige Leute, der Prediger hätte sie nach ihrem eigenen Kirchspiel senden sollen; aber er ist ein seltsamer, sehr geduldiger, schläfriger Mann, der in seinen kirchlichen Pflichten eben nicht allzuthätig ist. Kurz, sie ließ sich hier nieder, auch hatte sie so ein eigenes Benehmen, das sie über die ganz gewöhnlichen Armen etwas zu erheben schien, Mylord; – gar nicht solch' ein widriges Geschöpf, dem Sie sechs Pence reichen, den Kopf gern dabei anderwärts wendend – nein, es schien, als habe sie einst bessere Tage gesehen – ein Wesen, das, wie Shakspeare sagt, Bedeutendes uns mittheilen könnte – obwohl ich in der That nie ganz ihre Geschichte kennen lernte – nur daß ich heute, als ich nach ihrem Befinden fragte, und mein Mädchen hineinsandte, ihr eine Kleinigkeit zu bringen, die kaum der Erwähnung werth ist, entdeckte, daß Etwas ihre Seele drücke, welches mit der Familie Mowbray von St. Ronans zusammenhängt. – Auch sagte meine Kammerfrau, das arme Weib läge im Sterben und fordere ungestüm Mowbray, oder irgend eine Magistratsperson zu sehen, die ihr Bekenntniß empfangen möge, deshalb habe ich Sie bemüht, mich zu begleiten, damit wir, wo möglich, von dem armen Geschöpfe erfahren mögen, was sie zu sagen haben mag. – Ich hoffe, es ist von keinem Mord die Rede. – Ich hoffe, es ist nicht, obwohl der junge St. Ronans immer ein sonderbarer, wilder, kecker, leichtsinniger Mensch war – sgherro insigne Sgherro insigne, ausgezeichneter Wüstling., wie der Italiener sagt. – Aber hier ist die Hütte – ich bitte, Mylord, treten Sie ein.«

Die Erwähnung der St. Ronan'schen Familie und eines sie betreffenden Geheimnisses, verscheuchte den Vorsatz, den Lord Etherington zu fassen begann, Lady Penelope der Ausübung ihrer barmherzigen Werke ohne seinen Beistand zu überlassen. Er betrat jetzt mit gleich neugierigem Antheil, wie die Lady, die elende Hütte, wo die Unglückliche wohnte. Nicht sehr ward ihr trauriger Zustand durch die prahlend zur Schau getragene Güte Lady Penelopens gemindert; vor und nach ihrer Entbindung hatte sie sich hier aufgehalten, nur von einer alten Frau gepflegt, deren jämmerliches Einkommen der Prediger Etwas vermehrt hatte, damit sie einigermaßen im Stande sei, der Kranken beizustehen.

Lady Penelope hob den Drücker auf und trat ein, nachdem sie einen Augenblick zwischen der Furcht der Ansteckung und ihrer Neugierde schwankte, irgend etwas zu erfahren, das, wußte sie auch noch nicht, in welcher Art, vielleicht die Ehre oder das Vermögen der Mowbray's bedrohen könnte. Bald aber siegte der letzte Wunsch, sie trat ein, Lord Etherington folgte. Wie so manche andere Trostertheilende in den Hütten der Armen begann die Lady jetzt, die murrende Alte über Mangel an Reinlichkeit und Ordnung zu schelten – tadelte die für die Kranke bereitete Nahrung und forschte besonders nach dem Weine, welchen sie zu Kraftsuppen gesendet habe. Die Alte war aber keineswegs so von Lady Penelopens Hoheit oder Güte verblendet, daß sie ihre Vorwürfe geduldig ertragen hätte. »Die, welche sich ihr Brod mit einem Arme erwerben müssen,« sagte sie, denn ihr hing der eine gelähmt herab, »hätten mehr zu thun, als die Stuben auszufegen; wenn Ihre Herrlichkeit ihr eigenes müßig gehendes Mädchen mit dem Besen herschicken wollte, so könne sie sich das Haus so rein fegen lassen, als es ihr beliebte, und dasselbe würde sich sehr gut bei der Bewegung befinden, und doch am Schluß der Woche mindestens Etwas gethan haben.«

»Hören Sie, was das alte Weib sagt, Mylord?« fragte Lady Penelope. »Wahrhaftig die Armen sind recht undankbare Geschöpfe. – Aber der Wein, Frau – der Wein?«

»Der Wein! – Es war kaum ein halbes Nößel voll, schlechtes, dünnes, unkräftiges Zeug zu Suppen. – Sie können darauf schwören, der Wein ward ausgetrunken – wir warfen ihn nicht weg – aber soll er uns jemals Gutes thun, so muß man ihn klar genießen, ohne Ihren Zucker und das andere Geschmiere einzumischen – ich wollte wahrhaftig, ich hätte den schlechten Geschmack nie gekostet. – Wenn der Büttel mir nicht einen Tropfen Gewürzbranntwein gegeben hätte, konnte ich am Ende an dem Getränk Ew. Herrlichkeit sterben, denn –«

Lord Etherington unterbrach die murrende Alte, indem er ihr einiges Silbergeld in die Hand steckte, sie zugleich ersuchend, still zu schweigen. Die alte Hexe wiegte die Silberkronen in der Hand und murmelte für sich, während sie nach dem Kamin zurück kroch – »Das ist doch noch etwas – ist doch was – nicht so wie andere Leute, die im Hause aus- und einlaufen, Befehle ertheilen, als ob sie die Herrschaft und noch darüber wären, und dann nichts weiter, als einen armseligen Schilling alle Sonnabend geben.«

Damit setzte sie sich an ihr Spinnrad nieder, ergriff ihre pechschwarze geschnitzte Pfeife, aus welcher sie solche Wolken Dampf des gemeinsten stinkendsten Tabaks blies, daß sie gewiß das Haus von Lady Penelope befreit hätte, wäre deren Vorsatz, das Bekenntniß der Kranken zu vernehmen, nicht unerschütterlich gewesen. Miß Diggs hustete, räusperte sich und lief endlich aus der Hütte, erklärend, sie vermöge in solchem Rauche nicht zu athmen, gelte es auch die Bekenntnisse von zwanzig Frauen mit anzuhören; überdem sei sie ja sicher, Alles von Lady Penelope zu erfahren, wenn es der Mühe lohne, es zu wiederholen.

Lord Etherington stand jetzt neben dem elenden Lager, auf welchem die arme Kranke ruhte, die in ihren wahrscheinlich letzten Augenblicken von dem jämmerlichen Geschrei ihres ältern Kindes gestört ward, was sie nur durch leises Jammern beantwortete, so gut sie es vermochte, ihre Blicke von dem endlos Weinenden auf das unglückliche Würmchen wendend, das sie zuletzt geboren. Es lag auf der andern Seite ihres elenden Lagers, seine fröstelnden Glieder kaum mit einem Hemdchen bedeckt, während die kleinen Züge schon geschwollen und aufgedunsen waren, und seine kaum noch geöffneten Augen verkündeten, daß es schon anscheinend unempfindlich für die Leiden sei, denen es wahrscheinlich bald entrückt werden sollte.

»Ihr seid sehr krank, arme Frau,« sagte Lord Etherington. »Man sagte mir, Ihr wünschtet eine Gerichtsperson zu sprechen.«

»Herrn Mowbray von St. Ronans wünschte ich zu sehen. – John Mowbray von St. Ronans – die Lady versprach ihn mir zu senden.«

»Ich bin nicht Mowbray von St. Ronans,« entgegnete Lord Etherington; »aber ich bin ein Friedensrichter und ein Mitglied der Gesetzgebung. – Ich bin überdem ein genauer Freund Mr. Mowbray's; kann ich Euch in einer dieser Eigenschaften nützlich sein?«

Lange schwieg die Arme, und begann endlich mit unsicherer Stimme, sich anstrengend, ihre verfinsterten Augen zu öffnen: »Ist Mylady Penelope Penfeather hier?«

»Ihro Herrlichkeit sind gegenwärtig, und können Eure Worte verstehen,« sagte Lord Etherington.

»Meine Lage ist um so schlimmer,« erwiederte die, wie es schien, sterbende Frau, »wenn ich mein Geheimniß einem Manne anvertrauen muß, von dem ich nichts weiß, und einer Frau, von der ich nur weiß, daß sie keine Schonung kennt.«

»Wer, ich – ich keine Schonung kennen!« rief Lady Penelope; doch auf ein Zeichen Lord Etherington's strebte sie sich zurückzuhalten. Auch die Kranke, deren Geist sehr befangen war, schien die Unterbrechung wenig zu achten. Trotz ihres Zustandes aber sprach sie mit deutlicher, nachdrücklicher Stimme weiter; alle ihre Bewegungen verriethen das Fieber, welches sie durchglühte, und Ton und Sprache waren weit über ihre elenden Umgebungen erhaben. Sie sagte:

»Ich bin nicht das gemeine Geschöpf, welches ich zu sein scheine, mindestens ward ich als solches nicht geboren. Ich wollte, ich wäre solch' eine niedrige Creatur! – Ich wollte, ich gehörte zu den armen Elenden der gemeinsten Klasse – eine verhungerte Landläuferin – eine Mutter ohne Gatten! – Unwissenheit und Fühllosigkeit würden mein Loos mich tragen lehren, wie das ausgestoßene Thier, welches geduldig auf der Gemeinweide stirbt, wo es halb verhungert sein Leben dürftig fristete. Aber ich – ich – zu einer bessern Bestimmung geboren und erzogen, – dies Andenken ist mir nicht erloschen. – Jene Erinnerungen eben machen meine jetzige Lage – meine Schande – meine Armuth – meine elende Herabwürdigung – den Anblick meiner sterbenden Kinder – die Gewißheit meines schnell herannahenden Todes – sie machen Alles dies mir zum Vorgefühl der Hölle!«

Selbst Lady Penelopens Selbstzufriedenheit und Ziererei wurden durch diesen furchtbaren Eingang überwältigt. Sie schluchzte, schauderte und empfand mindestens einmal in ihrem Leben wirklich die Nothwendigkeit, nicht blos zur Schau das Schnupftuch zum trocknen ihrer Augen zu gebrauchen. Auch Lord Etherington war bewegt. Er sagte:

»Meine gute Frau, was die Milderung Eures persönlichen Mangels zur Erleichterung Eures Kummers beitragen kann, das soll gewiß geschehen; und auch für Eure armen Kinder will ich Sorge tragen lassen.«

»Möge Gott Sie segnen!« rief die arme Frau mit einem Blicke auf die elenden Geschöpfe an ihrer Seite; »und mögen Sie,« fuhr sie nach einer augenblicklichen Pause fort, »den Segen des Himmels verdienen, denn umsonst wird er denen verliehen, die seiner unwürdig sind.«

Vielleicht empfand Lord Etherington einen Gewissensbiß, denn er sagte ziemlich schnell: »Ich bitte Euch, gute Frau, wenn Ihr mir als einer Gerichtsperson wirklich Etwas anzuvertrauen habt, so fahrt fort – es ist hohe Zeit, daß Eure Lage einigermaßen verbessert werde, und ich will sogleich dafür Sorge tragen.«

»Wartet noch einen Augenblick,« entgegnete sie. »Laßt mich mein Gewissen entlasten, bevor ich hinübergehe; denn kein irdischer Beistand vermag es, mein Dasein hienieden noch zu verlängern. Ich war von gutem Stande, um so tiefer meine jetzige Erniedrigung; – gut erzogen, um so größer meine Schuld. – Arm war ich freilich, aber ich fühlte die Leiden der Armuth nicht. Ich erinnerte mich nur daran, wenn meine Eitelkeit unnütze und kostbare Befriedigungen begehrte, denn wirklichen Mangel kannte ich nicht. Ich war die Gefährtin einer jungen Dame von höherm Range, obwohl sie mir verwandt war; des liebenswürdigsten, gütigsten Wesens, die mich als Schwester behandelte, und Alles, was sie nur besaß, mit mir theilen wollte! – Kaum glaube ich, daß ich es vermag, mit meiner Erzählung fortzufahren. – Es raubt mir den Athem, wenn ich bedenke, wie ich ihrer schwesterlichen Liebe lohnte! – Ich war älter als Clara. – Ich hätte ihre Lektüre leiten, ihr Urtheil befestigen sollen; aber meine eigne Neigung zog mich zu Werken, die, wenn auch in komisches Gewand gehüllt, dennoch die Einbildungskraft verrätherisch erwecken. Wir lasen diese thörichten Schriften zusammen, bis wir uns selbst mit einer Romanenwelt umgaben, und unsern Sinn zu Abenteuern aller Art geeignet hatten. Rein wie die der Engel war Clara's Einbildungskraft! – Die meinige – doch es ist unnütz, darüber Etwas zu sagen. Der stets wachsame höllische Feind führte im gefährlichsten Augenblicke den Versucher herbei!«

Sie hielt ein, als würde es ihr zu schwer, sich weiter zu erklären, und Lord Etherington, sich scheinbar mit großem Antheil zur Lady Penelope wendend, fragte: »Ob es wohl Ihrer Herrlichkeit ganz angenehm sein würde, noch länger eine Ohrenzeugin des Bekenntnisses der Unglücklichen zu sein? – es schiene fast, als würde es Dinge berühren – Dinge, welche vielleicht eben nicht ganz gern von Ihrer Herrlichkeit vernommen werden möchten.«

»Ich faßte so eben diese Ansicht, Mylord, und wollte, die Wahrheit zu gestehen, Ew. Herrlichkeit vorschlagen, sich zu entfernen und mich mit der armen Frau allein zu lassen. Mein Geschlecht wird sie zum offenem Bekenntniß nach Ew. Herrlichkeit Entfernung bewegen.«

»Wohl wahr, Madam; aber ich ward hier als Gerichtsperson begehrt!«

»Still!« rief Lady Penelope, »sie spricht.«

»Man sagt, jede gefallene Frau wird die Sklavin ihres Verführers; aber ich hatte meine Freiheit keinem Manne, nein, einem Teufel hatte ich sie verkauft. – Er vermochte mich, seine rasenden Plane gegen meine Freundin, meine Beschützerin zu unterstützen – und ach, er fand in mir ein nur zu williges Werkzeug, aus schändlichem Neide allein die Tugend zu zerstören, welcher ich entsagt hatte. – Hören Sie nicht mehr auf mich. – Gehen Sie, überlassen Sie mich meinem Geschicke; ich bin das verabscheuungswürdigste Geschöpf auf dieser Erde – mir selbst am meisten verabscheuungswürdig, da selbst jetzt in meiner bereuenden Qual das Gewissen mir heimlich zuflüstert, daß, wäre ich wieder, was ich einst war, noch einmal würde ich gewiß die Lasterbahn durcheilen, ja wohl noch schlechter handeln. O Himmel, steh' mir bei, den abscheulichen Gedanken zu vernichten!«

Sie schloß die Augen, faltete die abgezehrten Hände und hielt sie aufwärts in der Stellung einer inbrünstig Betenden, aber bald trennten sich die erstarrenden Hände, und sanken kraftlos auf das ärmliche Lager zurück; auch die Augen blieben geschlossen, und keine Spur des Lebens zeigte sich in ihren Zügen. Schwach schrie Lady Penelope auf, verhüllte ihre Augen, und eilte von dem Bette hinweg, während Lord Etherington, den Blick von mannigfach verworrenen Gefühlen verfinstert, noch immer auf das arme Weib starrte, als wolle er begierig spähen, ob wirklich der Lebensfunke ganz in ihr erloschen sei. Ihre mürrische alte Pflegerin eilte nach dem Lager, in einer zerbrochenen Flasche etwas stärkenden Spiritus herbei bringend. Mit trotzigem Grimme rief sie:

»Habt Ihr noch nicht vollkommen den Werth Eures Almosens entrichtet erhalten? Ihr wollt wahrhaftig, selbst mit unserm Leben sollen wir Euch für Eure Schillinge und Sechs-Pence, Eure Groschen und Zweipfennigstücke bezahlen. – Daran denkt Ihr nicht, daß Ihr das arme Weib schwatzen laßt, bis ihr die Sinne vergehen, und nun stehen sie da, als hätten sie nie vorher eine Ohnmächtige gesehen! – Laßt sie mich hier nur mit dem Trank erlaben – viel Reden macht durstig, wißt Ihr ja. – Gehen Sie nur aus meinem Hause, Mylady, wenn Sie wirklich eine Lady sind; Ihres Gleichen können ohnhin da wenig nützen, wo der Tod mit im Spiele ist.«

Halb empört, doch noch vielmehr durch das Benehmen der alten Hexe in Furcht gesetzt, nahm jetzt Lady Penelope gern Lord Etherington's erneutes Anerbieten, sie aus der Hütte zu führen, an. Er entfernte sich aber nicht, ohne eine neue Gabe der Alten zu ertheilen, welche sie mit weinendem, segnendem Danke empfing.

»Der Allmächtige leite Ihren Weg durch die Unruhen der lasterhaften Welt – und der Teufel blase um so mehr Wind in Eure Segel,« setzte sie hinzu in ihrem natürlichen Tone, als die Gäste sich von ihrer elenden Schwelle entfernten. »Das ist so ein Schlag leichtsinniger, aufgeblasener Narren, die nicht einmal ein armes Weib in Ruhe wollen sterben lassen.«

»Das Geständniß dieses armen Geschöpfes,« sagte Lord Etherington zur Lady Penelope, »scheint sich auf Dinge zu beziehen, mit denen die Gesetze nichts zu schaffen haben, und in welche wir, da sie den Frieden einer achtbaren Familie, den Ruf einer jungen Dame betreffen können, wohl nicht tiefer eindringen sollten.«

»Darin bin ich anderer Meinung, ganz anderer Meinung, als Ew. Herrlichkeit. – Ich vermuthe, Sie ahnen, von wem hier die Rede ist?«

»In der That, Ew. Herrlichkeit trauen meinem Scharfsinn zu viel zu.«

»Nannte sie nicht einen Taufnamen? Ew. Herrlichkeit sind heute außerordentlich befangen.«

»Einen Taufnamen? Nicht, daß ich es hörte. – Und doch, ja, sie sprach Etwas von einer Catharine, glaube ich.«

»Catharine? – nein, Mylord, sie sagte Clara; – ein ziemlich seltener Name in dieser Gegend, der, wie ich glaube, einer jungen Dame gehört, von welcher Ew. Herrlichkeit Etwas wissen sollten, wenn nicht etwa Ihre süßen Abendunterhaltungen mit Lady Binks die Morgen-Besuche zu Shaw-Castle aus Ihrer Erinnerung verwischen. Sie sind ein kühner Herr, Mylord. Ich würde Ihnen rathen, Mistreß Blower auch noch zu einem Gegenstand Ihrer Aufmerksamkeit zu machen, dann werden Sie ein Fräulein, eine Frau und eine Wittwe auf Ihrer Liste haben.«

»Bei meiner Ehre, Ew. Herrlichkeit sind zu strenge. Sie umringen sich jeden Abend mit Allem, was unter den hier versammelten Leuten munter und vollkommen ist, und dann verspotten Sie ein armes, ausgeschlossenes Ungethüm, welches sich Ihrem Zauberkreise nicht zu nahen wagt, und sich also anderweitig einige Unterhaltung sucht.«

»Ah, Mylord, ich sehe Sie vollkommen durch! – Es wäre schlimm, wenn Ew. Herrlichkeit nicht die Gewalt hätten, sich jedem Kreise, dem sie sich zu nahen wünschten, höchst willkommen zu machen.«

»Darf ich dieß so deuten, daß mir Verzeihung werden wird, wenn ich mich diesen Abend in Ew. Herrlichkeit Kreis eindränge?«

»Es gibt keine Gesellschaft, die Lord Etherington zu besuchen wünschte, wo er nicht hochwillkommen sein würde.«

»So will ich mir denn am heutigen Abend sowohl dieß Vorrecht als meine Verzeihung erbitten. Doch nun,« fuhr er fort, als sei es ihm jetzt gelungen, auf vertraulicheren Fuß mit Ihrer Herrlichkeit zu kommen, »was denken Sie wohl in der That von dieser unklaren Geschichte?«

»O ich muß durchaus glauben, daß sie Miß Mowbray betrifft. – Sie war immer ein ganz wunderliches Geschöpf! – Es lag Etwas in ihrem Wesen, das ich nie dulden mochte – eine Art von Unverschämtheit – das ist vielleicht ein sehr vorlautes Wort, aber es ward im Vertrauen gesprochen, – so daß ich, obwohl ich eine Art Umgang mit ihr pflog, da sie die verwaisete Tochter eines guten Hauses war, und ich wirklich nichts bestimmt Schlechtes von ihr wußte, mich doch zuweilen ganz empört über sie fühlte.«

»Ew. Herrlichkeit werden es aber doch vielleicht nicht passend finden, diese Geschichte öffentlich bekannt werden zu lassen, mindestens bis Ihnen die genaue Wahrheit derselben gewiß ist?« fragte der Graf mit einschmeichelndem, gewinnendem Tone.

»Verlassen Sie sich darauf, das wäre ja das Allerschlimmste! – Ganz und gar wäre sie verloren. – Sie hörten, das Weib sagte, sie habe Clara in's Verderben gestürzt – und Sie wissen, sie mußte von Clara Mowbray reden, weil sie so ängstlich sich sehnte, ihr Bekenntniß dem Bruder Clara's, St. Ronan, selbst abzulegen.«

»Sehr wahr. – Ich dachte daran nicht!« entgegnete der Lord, »doch wäre es immer sehr hart für das arme Mädchen, wenn diese Sache bekannt werden sollte.«

»O nie soll ein Wort davon aus meinem Munde verlauten!« rief Lady Penelope. »Nicht einmal dem Winde möchte ich die kleinste Sylbe davon anvertrauen. – Aber umgehen kann ich mit Miß Mowbray nicht so wie sonst – ich habe einen gewissen Platz in der Gesellschaft zu behaupten – ich sehe mich unausweichbar gezwungen, nur einen gewählten Kreis um mich zu versammeln, – es ist eine Pflicht, die ich der öffentlichen Meinung schuldig bin, selbst wenn meine eigene Neigung mich nicht schon dazu bestimmte.«

»Ganz gewiß, Mylady,« erwiederte Lord Etherington, »doch bedenken Sie, daß an einem Orte, wo Aller Augen nothwendiger Weise Ew. Herrlichkeit Benehmen beobachten, die kleinste Vernachlässigung von Ihrer Seite gegen Miß Mowbray – und wir haben eigentlich noch bis jetzt durchaus keine Gewißheit, daß irgend etwas wirklich Tadelnswerthes vorfiel – sie in den Augen der hiesigen Gesellschaft und in dem allgemeinen Urtheil der Welt gänzlich zu Grunde richten würde.«

»Mylord,« entgegnete Lady Penelope, »was die Wahrheit dieser Geschichte anbetrifft, da habe ich einige geheime Gründe, die befremdende Erzählung gläubig als wahr anzuerkennen; denn mir gab ein sehr würdiger, aber sehr sonderbarer Mann, nämlich der Prediger des Kirchspiels hier, (Ew. Herrlichkeit wissen, wie ich Originalität anbete) schon einen geheimnißvollen Wink davon, der mich ahnen ließ, daß Miß Clara sich Etwas vorzuwerfen habe – Etwas, das – Ew. Herrlichkeit müssen mich entschuldigen, wenn ich nicht ganz offen darüber sprechen kann – O nein! – Ich fürchte, ich fürchte, es ist Alles nur zu wahr. – Sie kennen Mr. Cargill, wie ich vermuthe, Mylord?«

»Ja, nein! – Ich glaube, ich habe ihn gesehen. – Wie aber wäre die Dame dazu gekommen, den Prediger zu ihrem Beichtvater zu machen? – man hat ja in dieser Kirche keine Ohrenbeichte? – Ich vermuthe, es muß hier der Plan einer Heirath Statt gefunden haben – lassen Sie uns hoffen, daß sie wirklich vollzogen ward – vielleicht war es in der That der Fall. – Sagte er – Cargill – den Prediger meine ich – sagte er irgend Etwas davon?«

»Kein Wort – kein einziges Wort! – O ich sehe Ihre Absicht ein, Mylord; Sie möchten gern dem Dinge einen guten Anstrich geben:

Und Heirath wird's genannt! Durch dieses Namens Glanz
Verschleiert man die Schuld, und heiligt selbst die Schande!

So weit die Königin Dido. – Wie dem Geistlichen dies Geheimniß kund ward, kann ich nicht sagen – er ist ein sehr verschlossener Mann. – Aber ich weiß gewiß, er will es nicht zugeben, daß Miß Mowbray mit irgend Jemand sich verheirathe, ohne alle Frage, weil es ihm bekannt ist, daß sie eben dadurch einer rechtlichen Familie auf gewisse Art Schande bringen würde – und in der That, Mylord, ich theile diese Meinung sehr.«

»Vielleicht weiß Herr Cargill, daß das Fräulein schon im Geheim verheirathet ist,« sagte der Graf. »Mir scheint dies der natürlichste Schluß, wenn Ew. Herrlichkeit mir erlauben wollen, von Ihrer Meinung abzuweichen.«

Aber Lady Penelope schien entschlossen, diese Ansicht der Sache nicht aufzufassen. Sie entgegnete:

»Nein, nein; ich sage Ihnen, sie kann nicht verheirathet sein; denn wäre sie es, wie könnte die arme Elende von ihr sagen, sie sei in's Verderben gestürzt? – Sie wissen, es ist doch ein Unterschied zwischen einer Heirath und dem Verderben!«

»Man sagt, daß einige Leute beide Worte von gleicher Bedeutung gefunden haben, Lady Penelope,« entgegnete der Graf.

»Ah, Mylord, Sie lassen Ihren Witz spielen! Aber dennoch, wenn man in dem gewöhnlichen Sinne des Verderbens einer Frau erwähnt, so meint man gerade das Gegentheil einer Heirath – es ist mir unmöglich, Mylord, über einen solchen Gegenstand mich weitläufiger auszusprechen.«

»Ich unterwerfe mich dem richtigen Urtheil Eurer Herrlichkeit,« sagte Lord Etherington. »Nur bitte ich Sie, einige Vorsicht bei dieser Angelegenheit zu beobachten. – Ich will die genauesten Erkundigungen über jene Frau einziehen, und Sie mit dem Erfolg bekannt machen; ich hoffe daher, Ew. Herrlichkeit werden aus Rücksicht für das achtungswerthe Haus von St. Ronans sich nicht zu sehr beeilen, irgend etwas Nachtheiliges für Miß Mowbray errathen zu lassen.«

Sich anspruchsvoll in die Brust werfend, sagte die Lady: »Ich, Mylord, bin wohl schwerlich gewohnt, bösen Leumund zu verbreiten, obwohl ich zugleich bekennen muß, daß die Mowbray's wenig Recht haben, meinen Schutz in Anspruch zu nehmen. Gewiß, ich war die Erste, welche diesen Heilquell hier in Ruf brachte, der ein Gegenstand von so großer Bedeutung für ihre Besitzung geworden ist; und dennoch erhebt sich Mr. Mowbray stets gegen mich, Mylord; arbeitet mir auf jede mögliche Art entgegen, und muntert die schlechterzogenen Leute, die ihm anhängen, zu einem höchst sonderbaren Benehmen gegen mich auf. – Damals, bei der Erbauung des Belvedere, wollte er es nicht zugeben, daß es aus der allgemeinen Brunnenkasse bezahlt würde, weil ich den Arbeitsleuten den Plan und die Befehle ertheilt hatte – dann wieder die Einrichtung des Theezimmers – die Stunde, wo der Tanz beginnen sollte – die Subscription auf Mr. Rymours neue Erzählungen aus der Ritterzeit – kurz, ich fühle mich zu keiner Rücksicht gegen Mr. Mowbray von St. Ronans verpflichtet.«

»Aber die arme junge Dame?« fragte Lord Etherington.

»O, die arme junge Dame. – Ich bin Ihnen gut dafür, die arme junge Dame kann eben so anmaßend sein, als eine reiche junge Dame! – In einer Geschichte, Lord Etherington, hat sie mich empörend behandelt. – Es betraf nur eine Kleinigkeit, einen Shawl. – Niemand kann weniger an Putz denken, als ich, Mylord! – Gott sei Dank, auf ganz andere Dinge richten sich meine Gedanken. – Aber in solchen Kleinigkeiten eben kann man Nichtachtung und Unfreundlichkeit beweisen; und von Beiden ward mir ein reiches Maaß durch Fräulein Clara, ohne der außerordentlichen Unverschämtheit des Bruders bei eben diesem Gegenstande zu gedenken.«

»Jetzt bleibt mir nur ein Mittel übrig,« dachte der Graf, als man sich dem Brunnenhause nahete, »nämlich die Furcht dieser verdammten, rachsüchtigen, zieräffigen, wilden Katze aufzuregen!« – Und laut fuhr er fort: »Ew. Herrlichkeit wissen, welche große Nachtheile in ganz kürzlich erlebten Fällen entstanden, wo man den Ruf einiger bedeutenden Damen zu verunglimpfen suchte – die Vorrechte der Theetische wurden unzulänglich befunden, die schönen Tadlerinnen gegen die Folgen einer zu freimüthigen Mißbilligung des Charakters ihrer Freundin zu schützen. – Also bitte ich Sie, vergessen Sie nicht, daß wir noch sehr wenig von diesem Gegenstande wissen.«

Lady Penelope liebte das Geld, und fürchtete die Prozesse; dieser Wink also, dem die ihr wohlbekannte Zärtlichkeit Mowbray's für seine Schwester Nachdruck gab, da sie sein reizbares, rachsüchtiges Gemüth kannte, brachte sie in einem Augenblicke der Stimmung sehr nahe, in welche Lord Etherington sie zu versetzen wünschte. – Sie betheuerte, Niemand könne zarter den Ruf der Unglücklichen zu schonen wünschen, als eben sie, selbst wenn ihre Schuld ganz klar bewiesen wäre – versprach die höchste Vorsicht wegen des Bekenntnisses der Armen, und hoffte, Se. Herrlichkeit würden sich recht früh an ihrem Theetische einfinden, da sie sehr wünsche, ihn mit einigen ihrer Schützlinge bekannt zu machen, welche, wie sie es überzeugt sei, Se. Herrlichkeit seines Raths und der Unterstützung würdig finden würde. Und jetzt an der Thür ihres Gemaches angelangt, entließ Ihro Herrlichkeit den Grafen mit dem allerhuldreichsten Lächeln.



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