Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundzwanzigstes Kapitel.
Vermittlung.

Und nun von hinnen!
Erwied'rung soll uns jetzt nicht stören.
Wir bieten viel – Drum überlegt es wohl!

Heinrich IV.

Tyrrel hatte den Vorsatz gefaßt, früh aufzustehen und zu frühstücken, um Mr. Touchwood zu vermeiden, da er eine Angelegenheit abzumachen hatte, bei welcher die Einmischung dieses dienstfertigen Mannes leicht etwas lästig sein konnte. Er wußte, daß sein Ruf auf dem Gesundbrunnen auf das Alleröffentlichste angegriffen worden war, und eben so öffentliche Genugthuung war er entschlossen zu fordern, vollkommen überzeugt, daß, welche wichtige Angelegenheit ihn auch nach Schottland führen mochte, sie doch nothwendig der Rechtfertigung seiner Ehre nachstehen müsse.

Er war demnach entschlossen, nach dem Gesundbrunnen herab zu gehen, wenn die Gesellschaft zum Frühstück versammelt sei, und ergriff so eben seinen Hut, als Mistreß Dods eintrat, und meldend, »daß ein Herr nach ihm forsche,« einen sehr modischen jungen Mann einführte, der einen militärischen Ueberrock, reich mit seidenen Schnüren und Pelzwerk besetzt, und eine Reisemütze trug; eine Kleidung, die jetzt zu allgemein ist, um ausgezeichnet zu sein, doch damals nur von den Genies erster Klasse getragen wurde. Der Fremde hatte weder eine schöne, noch unschöne Physiognomie, aber sein Aeußeres zeigte große Anmaßung und jene kaltblütige leichte Art von Ueberlegenheit, welche die feine Lebensart ertheilt. Er schien Tyrrel einen Augenblick prüfend zu messen, und da sein Aeußeres vielleicht dem sehr unähnlich war, welches er nach dem Lokal der Schenke zur Teufelsfalle erwartete, so stimmte er die hohe Miene ein wenig herab, mit welcher er in das Zimmer trat, und kündigte sich mit Höflichkeit (indem er Tyrrel seine Karte darreichte) als Hauptmann Jekyl von der Garde an, hinzusetzend, »er vermuthe, daß er mit Mr. Martigny spreche?«

Sich ernst aufrichtend, erwiederte Tyrrel: »Mit Mr. Francis Tyrrel, Sir. Meiner Mutter Familienname war Martigny – ich habe ihn niemals geführt.«

»Ich bin hier nicht erschienen, über diesen Punkt zu streiten, Mr. Tyrrel, obwohl ich nicht berechtigt bin, etwas einzuräumen, welches die Nachrichten, die mein Freund eingezogen hat, ihn bezweifeln lassen.«

»Ihr Freund ist, wie ich vermuthe, Sir Bingo Binks. Ich habe den unangenehmen Handel zwischen uns keineswegs vergessen.«

»Ich habe nicht die Ehre, mit Sir Bingo Binks in Verbindung zu stehen. Ich komme als Abgesandter des Grafen von Etherington.«

Tyrrel schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Ich begreife nicht, was der Mann, der sich selbst Graf von Etherington nennt, mir durch eine Mittelsperson, wie Sie, Hauptmann Jekyl, zu sagen hat. – Ich sollte glauben, daß in Hinsicht unserer unglücklichen Verwandtschaft in den Verhältnissen, in welchen wir uns gegenseitig befinden, die Rechtsgelehrten schicklichere Vermittler zwischen uns wären.«

»Sir, Sie mißverstehen meinen Auftrag. Ich bin nicht der Ueberbringer einer feindseligen Botschaft Lord Etherington's. – Ich kenne das zwischen Ihnen bestehende Verhältniß, welches eine solche Absicht in den stärksten Widerspruch gegen die gesunde Vernunft und die Grundgesetze der Natur stellt, und ich gebe Ihnen mein Wort, lieber wollte ich das Leben verlieren, als in einen so widernatürlichen Handel verwickelt sein. Ich möchte, wo möglich, Vermittler zwischen Ihnen Beiden werden.«

Bis dahin waren die Herren stehen geblieben; jetzt bot Mr. Tyrrel seinem Gaste einen Sitz an, und nachdem er selbst sich ebenfalls niedergesetzt, brach er das herrschende drückende Stillschweigen, indem er sagte:

»Ich würde mich glücklich schätzen, nachdem ich so unendliche Verfolgungen und so bitteres Unrecht von Ihrem Freunde erfahren mußte, selbst noch jetzt, so spät es auch ist, irgend Etwas zu vernehmen, Hauptmann Jekyl, welches mir eine bessere Meinung von ihm und seinen Absichten gegen mich oder andere einzuflößen vermöchte.«

»Mr. Tyrrel, Sie müssen mir erlauben, offen mit Ihnen zu sprechen. – Ein zu großer Satz steht zwischen Ihnen und Ihrem Bruder auf dem Spiele, als daß Sie Freunde sein könnten; aber ich sehe nicht ein, daß es nöthig ist, daß sie darum tödtliche Feinde bleiben.«

»Ich bin nicht meines Bruders Feind, Hauptmann Jekyl, nie war ich es! – Sein Freund kann ich nicht sein, und nur zu wohl kennt er das unübersteigliche Hinderniß, welches sein eigenes Betragen zwischen uns schuf.«

Langsam und nachdrücklich sagte der Hauptmann: »Mir sind, im Allgemeinen wenigstens, diese unglücklich trennenden Verhältnisse wohl bekannt.«

Erröthend entgegnete Tyrrel: »Wenn das der Fall ist, so müssen Sie ebenfalls einsehen, wie höchst unangenehm es mir sein muß, einen solchen Gegenstand gegen einen mir ganz fremden Mann zu berühren – einen Fremden der dabei noch der Freund und Vertraute eines Menschen ist, der – doch ich will Ihre Gefühle nicht verwunden, und lieber suchen, die meinigen zu unterdrücken. – Mit einem Worte also, ich bitte, daß Sie mir gütigst Ihren Auftrag mittheilen, da ich genöthigt bin, mich sogleich nach dem Gesundbrunnen zu verfügen, einige mich sehr nahe angehende Dinge dort gebührend in Ordnung zu bringen.«

»Wenn Sie darunter Ihr Außenbleiben bei dem Zusammentreffen mit Sir Bingo Binks verstehen, diese Angelegenheit ist schon völlig aufgeklärt worden. Mit meiner eigenen Hand riß ich die beleidigenden Anschlagszettel herab, und bot mich selbst zum Bürgen Ihrer Ehre gegen Jeden an, der noch ferner daran zu zweifeln wage.«

Höchst erstaunt sagte Tyrrel: »Sir, ich bin Ihnen für Ihre Absicht um so mehr verbunden, da ich durchaus nicht weiß, womit ich Ihre Vertretung verdient habe. Demungeachtet ist sie mir nicht ganz angenehm, Sir, da ich gewohnt bin, selbst der Beschützer meiner Ehre zu sein.«

»In allen Fällen eine sehr leichte Aufgabe, wie ich vermuthe, Mr. Tyrrel, doch besonders in diesem, wo Sie Niemand finden werden, der einen Angriff darauf wagt. – Mein Dazwischentreten wäre freilich eine höchst unbescheidene Dienstfertigkeit gewesen, wenn ich nicht eben im Begriff stand, eine vertrauliche Verbindung mit Ihnen anzuknüpfen. Um meinen eignen Ruf zu sichern, mußte ich den Ihrigen wieder herstellen. Ich kenne den wahren Verlauf der ganzen Begebenheit durch meinen Freund, den Grafen von Etherington, der sein ganzes Leben hindurch dem Himmel danken sollte, der ihn damals vor einem furchtbaren Verbrechen bewahrte.«

»Ihrem Freund lag im Laufe seines Lebens ob, dem Himmel für Vieles zu danken, doch für noch Mehreres seine Verzeihung zu erflehen.«

Mit Geist entgegnete der Hauptmann: »Ich bin zwar kein Geistlicher, Sir, aber man sagte mir immer, auf die meisten lebenden Leute könnte dies Wort gut passen.«

»Ich mindestens will es nicht bestreiten!« sagte Tyrrel; »aber jetzt weiter, wenn ich bitten darf! Stand es ganz frei in Ihrer Macht, dem Publikum den ganzen Verlauf eines so sonderbaren Zusammentreffens, als das, welches zwischen Ihrem Freunde und mir stattfand, mitzutheilen?«

»Das freilich that ich nicht – ich hielt die Sache für ein Geheimniß von zu zarter Art, welches ein Jeder von Ihnen gleich gern zu verbergen wünschen würde.«

»Darf ich Sie denn bitten, mir zu sagen, wie es möglich war, mein Außenbleiben bei der Zusammenkunft mit Sir Bingo Binks auf andere Art zu rechtfertigen?«

»Es war nichts weiter erforderlich, Sir, als auf mein Wort als Edelmann und Mann von Ehre, als welchen die ganze Welt mich kennt, zu versichern, daß Sie eben damals in einem Duell mit einem meiner Freunde verwundet wurden, wenn auch die Vorsicht mir gebiete, die dabei obwaltenden Umstände der Vergessenheit zu übergeben. Ich denke, kein Mensch wird es sich einfallen lassen, mein Wort zu bezweifeln, oder sich nicht mit meiner einfachen Versicherung zu begnügen. – Sollte demungeachtet irgend Jemand schwerer zu befriedigen scheinen, so werde ich Gelegenheit finden, ihn zufrieden zu stellen. Indessen ist Ihre Achtserklärung auf die ehrenvollste Weise zurückgenommen worden; und Sir Bingo, in Hinsicht, daß er die erste Veranlassung jener ehrenrührigen Gerüchte ist, wünscht sehr die weitern Folgen ihres damaligen Streites zu vermeiden, und hofft, Alles wird von allen Seiten nun vergeben und vergessen werden.«

»Auf mein Wort, Hauptmann Jekyl, Sie zwingen mich, es anzuerkennen, daß ich Ihnen wirklich verpflichtet bin. Sie haben einen Knoten durchgehauen, der mir aufzulösen schwer genug gefallen wäre; denn ich bekenne aufrichtig, daß, obwohl ich entschlossen war, nicht den mir aufgebürdeten Schimpf zu dulden, es mir äußerst schwer gefallen sein würde, mich selbst zu rechtfertigen, ohne Umstände zu erwähnen, die, wäre es auch aus Achtung für das Andenken unsers Vaters, in ewiger Vergessenheit begraben sein sollten. Ich hoffe, Ihr Freund empfindet keine dauernden bösen Folgen von seiner Wunde?«

»Se. Herrlichkeit ist fast ganz wieder hergestellt.«

»Auch erwarte ich, er ließ mir die Gerechtigkeit widerfahren, einzugestehen, daß mindestens mein Wille durchaus schuldlos an seiner Verwundung war.«

»Sowohl hierin, als in jeder andern Sache, läßt er Ihnen volle Gerechtigkeit widerfahren, bereut den eigenen Ungestüm, und ist sehr entschlossen, in Zukunft dagegen auf der Hut zu sein.«

»So weit ist also Alles ganz gut!« sagte Tyrrel; »darf ich nun noch einmal fragen, was Sie mir im Namen Ihres Freundes mitzutheilen haben? – Käme die Botschaft von irgend einem Andern, als von ihm, den ich so durchgängig falsch und hinterlistig fand, so würde Ihre Billigkeit und Offenheit mich zu der Hoffnung verleiten, daß dieser unnatürliche Streit einigermaßen durch Ihre Vermittlung beigelegt werden könnte.«

»So beginne ich denn unter günstigeren Aussichten, als ich zu hoffen wagte, mich meines Auftrags zu entledigen. – Sie sind, wenn der Ruf Ihnen nicht Unrecht thut, im Begriff, Mr. Tyrrel, einen Prozeß anzufangen, dessen Zweck ist, Ihren Bruder seines Vermögens und seines Ranges zu berauben.«

»So ist die Sache nicht richtig dargestellt, Hauptmann Jekyl. Wenn ich einen Prozeß gewinne, so geschieht es, um meine eigenen Rechte wahrzunehmen.«

»Dennoch bezweckt er indessen dasselbe!« sagte der Vermittler. »Ich bin nicht dazu berufen, über die Richtigkeit Ihrer Ansprüche zu entscheiden, aber Sie werden mindestens zugeben, daß sie erst neuerlich aufgestellt worden sind. Die letzte Gräfin von Etherington starb in dem Besitz – in dem offenen unangefochtenen Besitz ihres Ranges und Titels.«

»Wenn sie keine gerechte Ansprüche darauf hatte, Sir,« entgegnete Tyrrel, »so ward ihr, die so lange jener Würden genoß, mehr, als ihr gebührte; und jene gekränkte Dame, deren Rechte hintangesetzt wurden, sah sich um so mehr bevortheilt. – Aber diesen Punkt können wir Beide nicht ausmachen – das muß an einem andern Orte versucht werden.«

»Sir, die unwiderleglichsten Beweise werden erforderlich sein, Rechte zu verdrängen, welche in der allgemeinen Meinung so fest stehen, als die des jetzigen Besitzers der Würden des Grafen von Etherington.«

Ein Papier aus seinem Taschenbuche nehmend und es dem Hauptmann überreichend, sagte Tyrrel: »Ich habe nicht die Absicht, Sie aufzufordern, der Sache Ihres Freundes untreu zu werden, aber ich glaube, diese Liste der Dokumente, die ich besitze, kann Ihren Glauben an die Rechtmäßigkeit derselben etwas erschüttern.«

Vor sich murmelnd las Hauptmann Jekyl: » Ein Zeugniß Sr. Ehrwürden Zadock Kemps, Kaplan der brittischen Gesandtschaft in Paris, über das durch ihn vollzogene Ehebündniß zwischen Marie de Belleroche, Gräfin von Martigny, und dem hochzuverehrenden John, Lord von Oakendale –. Briefe zwischen John Graf von Etherington und seiner Gemahlin, unter dem Titel Frau von Martigny. – Taufschein – Erklärung des Grafen von Etherington auf seinem Sterbebette. – Das ist Alles sehr gut – aber darf ich Sie fragen, Mr. Tyrrel, ob Sie gesonnen sind, es mit ihrem Bruder auf das Aeußerste kommen zu lassen?«

»Er vergaß, daß er ein Bruder ist! – Er hob die Hand, mein Leben zu rauben.«

»Auch Sie vergossen sein Blut – vergossen es zweimal. Die Welt wird nicht fragen, welcher Bruder die Beleidigung begann, sondern welcher die schwerste Wunde gab oder empfing.«

»Die Wunde, die mir Ihr Freund ertheilte, wird bluten, so lange die Kraft der Erinnerung mir bleibt.«

»Ich verstehe Sie, Sir; Sie zielen auf die Geschichte mit Miß Mowbray.«

»Ueber diesen Gegenstand verschonen Sie mich, Sir,« sagte Tyrrel. »Bis hieher habe ich meine heiligsten Rechte – Rechte, welche meinen Rang in der Gesellschaft, mein Vermögen, die Ehre meiner Mutter in sich schließen, mit einer Art von Fassung vertheidigt; doch jene Saite berühren Sie nicht weiter, wenn Sie nicht einen Wahnsinnigen vor sich sehen wollen. – War es Ihnen möglich, Sir, nur den flüchtigsten Umriß jener gräßlichen Unthat gehört zu haben, und sich einzubilden, daß ich je über die kaltblütige, unmenschliche List, welche dieser Ihr Freund sich gegen zwei Unglückliche erlaubte, nachdenken kann, ohne –« Er sprang auf und ging ungestüm auf und nieder. »Seit der böse Feind selbst der heiligen Unschuld Glück zerstörte, gab es nie ähnlichen Verrath! – Nie wurden solche Träume des Glücks zertrümmert – nie so unausweichbares Elend zwei Unglücklichen bereitet, welche den Wahnsinn hatten, einem Buben volles Vertrauen zu schenken! – Wäre Leidenschaft im Spiele gewesen, so konnte ein Mensch die That verüben – aber dies war das würdige Thun eines besonnenen, kalten, berechnenden Teufels, der von den niedrigsten und habsüchtigsten Bewegungsgründen geleitet ward, zu denen sich, wie ich fest glaube, der frühzeitig eingewurzelte Haß gegen den gesellte, dessen Ansprüche den seinigen entgegentreten könnten.«

»Ich bedauere, Sie so heftig aufgeregt zu sehen,« entgegnete Hauptmann Jekyl mit Gelassenheit. – »Ich glaube gewiß, Lord Etherington handelte aus ganz andern Bewegungsgründen, als die Sie ihm zuschreiben; und wollen Sie mir nur Ihr Ohr leihen, so läßt sich vielleicht noch Etwas auffinden, welches diese unglücklichen Streitigkeiten beseitigen könnte.«

»Sir,« entgegnete Tyrrel, seinen Platz wieder nehmend, »ich will Ihnen mit eben der Fassung zuhören, die ich beweisen würde, wenn die Sonde des Arztes die eiternde Wunde untersucht. Aber wenn Sie das innere Leben berühren, den eigentlichen Nerv erbeben lassen, so können Sie nicht erwarten, daß ich es ohne Zucken dulde!«

Hauptmann Jekyl, der während der ganzen Unterredung den Vortheil der bewundernswürdigsten Fassung zu bewahren wußte, entgegnete: »Ich will mich bestreben, die Operation so schleunig als möglich zu beenden. Ich muß also den Schluß folgern, daß Miß Mowbray's Ehre und Frieden Ihnen theuer sind?«

»Wer wagt es, ihre Ehre anzuklagen?« rief Tyrrel mit Feuer. Doch sich mäßigend, fügte er ruhiger und mit tiefem Gefühl hinzu: »Sie ist mir so theuer, Sir, wie meiner Augen Licht.«

»Eben so hohen Werth legt mein Freund darauf, und hat deßhalb den Entschluß gefaßt, ihr die allervollkommenste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«

»Er kann ihr auf keine andere Art Gerechtigkeit widerfahren lassen, als wenn er sich aus ihrer Nachbarschaft entfernt, und aufhört an sie zu denken, von ihr zu reden, ja selbst zu träumen!«

»Lord Etherington ist anderer Meinung. Er glaubt, daß wenn Miß Mowbray irgend eine Beleidigung von ihm empfangen hat, welches zuzugeben ich mich natürlich nicht berechtigt fühle, so wird sie am besten durch sein Anerbieten, seinen Rang, Titel und Vermögen mit ihr zu theilen, ausgeglichen werden.«

»Sein Titel, Rang und Vermögen sind eben so lügenhaft, als er selbst!« rief Tyrrel heftig. – »Clara Mowbray heirathen? – Niemals, nie! –«

»Sie werden sich erinnern, daß das Vermögen meines Freundes nicht blos allein von dem Prozeß abhängt, womit Sie, Mr. Tyrrel, ihn jetzt bedrohen. – Rauben Sie ihm, wenn Sie es vermögen, die Oakendalischen Besitzungen, so bleibt ihm immer noch ein reiches Erbe von mütterlicher Seite; und was seine Heirath mit Clara Mowbray anbetrifft, so weiß er ja, daß wenn die junge Dame nicht etwa wünschen sollte, daß die Ceremonie wiederholt würde, worin er aber gern bereit wäre, seine Meinung der ihrigen zu unterwerfen, weiter nichts nöthig ist, als daß sie gegenseitig nur das, was zwischen ihnen vorgegangen ist, öffentlich zu erklären brauchen.«

»Ein Betrug war es, Sir; ein schändlicher, niederträchtiger Betrug! dessen sich der allergemeinste Elende in Newgate schämen würde. – Schändlicher Verrath eines an meiner Stelle sich einschleichenden Buben!«

»Davon, Mr. Tyrrel, ist mir durchaus noch kein Beweis aufgestoßen. Des Predigers Trauschein ist deutlich und klar – Francis Tyrrel ward durch den heiligen Segen der Kirche mit Clara Mowbray verbunden. – So lautet sein Inhalt – hier ist eine Abschrift davon; – nein, hören Sie mich noch einen Augenblick, Sir, wenn Sie die Güte haben wollen. – Sie sagen, eine Täuschung fand hier statt – ich zweifle nicht, Sie sprechen nur das aus, was Sie selbst glauben und Miß Mowbray Ihnen sagte. – Sie ward überrascht – einigermaaßen mit Gewalt von dem ihr eben angetrauten Gatten getrennt – beschämt, mit ihrem frühern Geliebten zusammen zu treffen, dem sie ohne Zweifel so manchen Schwur der Liebe weihte, ohne daß vielleicht einer davon ächter Art war – ist es da wohl ein Wunder, daß sie keine andere Sprache wagte, als sie sich des Beistandes ihres Bräutigams beraubt sah, und viel lieber jedes Unrecht, wozu die eigne Unbeständigkeit sie verleitete, dem abwesenden Liebhaber aufbürdete? – In einer so bedenklichen Klemme wird eine Frau lieber die unwahrscheinlichste Entschuldigung erwählen, ehe sie sich selbst strafbar bekennt.«

Erbleichend rief Tyrrel mit leidenschaftlich bebender Stimme: »Kein Scherz in dieser Sache, wenn ich bitten darf!«

»Ich bin durchaus ernsthaft, Sir! Es gibt in England keinen Gerichtshof, welcher der Dame eignes Zeugniß – Alles, was sie zu bieten hat, und zwar noch dazu in ihrer eignen Sache – gelten ließe wider eine Folgereihe deutlicher, umständlicher Beweise, die es klar vor Augen legen, daß sie aus eigner, freier Willkühr sich mit dem Edelmanne verband, der jetzt ihre Hand in Anspruch nimmt. – Verzeihen Sie, Sir – ich sehe, Sie sind heftig bewegt – ich habe nicht die Absicht, Ihnen das Recht abzustreiten, das Ihnen am glaubwürdigsten Erscheinende für Wahrheit zu halten – ich nehme mir nur die Freiheit, Ihnen den Eindruck zu schildern, welchen die Thatsachen wahrscheinlich auf gleichgiltige Personen hervorbringen könnten.«

Scheinbar eine Fassung zeigend, die er indessen zu empfinden weit entfernt war, sagte Tyrrel: »Ihr Freund denkt vielleicht durch solche Scheingründe seine Niederträchtigkeit zu verbergen; aber es kann ihm nichts helfen – dem Himmel ist die Wahrheit bekannt – ich kenne sie – und außerdem gibt es noch einen unparteiischen Zeugen hienieden, der es klar beweisen kann, daß Miß Mowbray der allerschändlichsten Täuschung zur Beute ward.«

»Sie meinen ihre Cousine – ich glaube, sie heißt Hannah Irwin. – Sie sehen, ich bin vollkommen von der ganzen Lage der Sache unterrichtet! – Wo wird man aber Hannah Irwin auffinden?«

»Sie wird ohne Zweifel zur rechten Zeit erscheinen, den zu Boden zu schmettern, welcher sich einbildet, die einzige Zeugin seines Verraths – die einzige, welche die Wahrheit dieses verworrenen Geheimnisses zu enthüllen vermöchte – lebe entweder nicht mehr, oder könne ihm mindestens zum Verderben seiner Pläne nicht entgegen gestellt werden. – Sir, diese Ihre kleine oberflächliche Bemerkung hat mir nur zu deutlich erklärt, weßhalb Ihr Freund, oder um ihn mit seinem rechten Namen zu bezeichnen, Mr. Valentin Bulmer, nicht früher seine hinterlistigen Ränke in Bewegung setzte, und sie gerade eben jetzt beginnt. Er glaubt sicher zu sein, daß Hannah Irwin nicht in Britannien, oder im Stande ist, vor Gericht gebracht zu werden – er könnte sich sehr im Irrthum finden.«

»Mein Freund scheint des Erfolgs seiner Sache sehr gewiß zu sein,« entgegnete Jekyl; »aber der Lady wegen will er nur sehr ungern einen Prozeß anhängig machen, wobei so mancher Umstand eine peinliche, gefahrbringende Bloßstellung erfordert.«

»Gefahrbringende, wirklich! – Dank sei es dem Verräther, der eine so furchtbare Mine anlegte, und sich nun anstellt, als fürchte er sie zu entzünden! O wie sehr werde ich gezwungen, die verwandtschaftlichen Bande zu verfluchen, die meine Hand in Fesseln legen! Ich wollte den niedrigsten, elendesten Platz in der Gesellschaft einnehmen, würde mir dafür eine Stunde zur Rache an diesem beispiellosen Heuchler! – Nur Eins ist gewiß, Sir – kein lebendes Opfer wird Ihrem Freunde werden. Seine Verfolgungen werden Clara Mowbray tödten, und das Maaß seiner Verbrechen füllt der Mord einer der süßesten – ich würde zum Weibe werden, wenn ich diesen Gegenstand weiter berührte!«

»Mein Freund, da Sie diesen Namen ihm am liebsten zu ertheilen scheinen, wünscht eben so sehr als Sie selbst, der Lady Gefühle zu schonen, und hat in dieser Absicht, ohne des Vergangenen zu erwähnen, ihrem Bruder den Vorschlag einer Verbindung gethan, der ganz den Beifall Mr. Mowbray's hat.«

Aufschreckend rief Tyrrel: »Ha! Und die Lady?«

»Die Lady hat sich in so fern günstig bewiesen, einzuwilligen, daß Lord Etherington Shaw-Castle besuchen soll.«

»Erzwungen muß ihre Einwilligung sein!« rief Tyrrel aus.

»So viel ich hörte,« sagte Jekyl, »ward sie freiwillig ertheilt; wenn nicht vielleicht der Wunsch, jene so unangenehmen Begebenheiten zu verhehlen, wie es mir ziemlich natürlich erscheinen will, sie veranlassen mag, sie in ewiges Stillschweigen durch die Annahme der Hand Lord Etheringtons zu versenken. – Ich sehe, mein Herr, daß ich Ihnen Kummer mache, und bedauere es innig. – Ich habe freilich kein Recht, Sie zu einer großmüthigen Aufopferung aufzufordern; aber sollte Miß Mowbray diese Gesinnungen hegen, wäre es wohl zu viel von Ihnen erwartet, daß Sie die Ehre dieser Dame schonen, nicht Ihre frühern Ansprüche geltend machen, und längst vergangener herabwürdigender Dinge erwähnen werden?«

Feierlich entgegnete Tyrrel: »Hauptmann Jekyl, ich habe keine Ansprüche. So viel ich jemals deren haben mochte, jene verrätherische Handlung, durch welche Ihr Freund leider nur zu gelingend mich zu verdrängen suchte, hat sie alle vernichtet. Spräche das Gesetz Clara Mowbray auch mit seiner ganzen Kraft von jener vorgeblichen Heirath frei, immer würde mit mir – mindestens von allen Sterblichen mit mir – jenes Hinderniß ewig stattfinden, daß der eheliche Segen über sie und den Menschen ausgesprochen ward, den ich meinen Bruder nennen muß.« – Er stockte bei dem Worte Bruder, als ob er nur mit tödtlichem Schmerz es hervorzubringen vermöchte, und fuhr dann fort: »Nein, Sir, keine persönlichen Rücksichten leiten mich in dieser Angelegenheit. – Schon lange entsagte ich ihnen. – Aber ich will nicht zugeben, daß Clara Mowbray die Gattin eines Buben werde – ich will für sie wachen mit so fleckenlosen Absichten wie ihr Schutzengel. Ich war die Ursache aller ihrer Leiden – meine Ueberredungen verleiteten sie zuerst von dem Pfade der Pflicht – unter allen lebenden Menschen bin eben ich verbunden, sie vor dem höchsten Elend zu bewahren – vor dem Hauche der Schuld, welcher als Gattin jenes Menschen auch sie beflecken wird. – Nie werde ich glauben, daß sie es wünschen könnte – daß bei gesunder Vernunft und ruhiger Besonnenheit sie dahin zu bringen wäre, einem so strafbaren Vorschlage das Ohr zu leihen. – Aber ach – ihr Geist besitzt nicht mehr die feste Stärke, deren er sich einst rühmen konnte; und nur zu wohl versteht es Ihr Freund, die Triebfedern jeder Leidenschaft in Bewegung zu setzen, welche sie beunruhigen und erschüttern kann. Drohungen, sie dem öffentlichen Hohne bloßzustellen, könnten vielleicht ihre Einwilligung zu dieser so unpassenden Verbindung erpressen, wenn sie nicht etwa gar zu einem Selbstmorde getrieben wird, welches nach meiner Meinung das wahrscheinlichste Ende sein möchte. Kräftig will ich daher eintreten, wo sie zu schwach ist. – Ihr Freund, Sir, soll mindestens seine Vorschläge ihres schön vergoldeten Rahmens entkleiden. Ich werde Herrn Mowbray von St. Ronans die Falschheit seiner Ansprüche auf Rang und Vermögen darthun: und ich glaube, er wird seine Schwester gegen die Verfolgungen eines ruinirten Verschwenders zu schützen wissen, wenn ihn auch die Aussicht, mit einem Pair in Verbindung zu treten, verblenden möchte.«

»Noch ist Ihr Prozeß nicht gewonnen, Sir,« entgegnete Jekyl, »und sollte dieser Fall eintreten, bleibt Ihrem Bruder noch immer hinreichendes Vermögen, eine vortheilhaftere Heirath einzugehen, als, außer den Nettlewood'schen Besitzungen, auf welche diese Verbindung ihm ein Recht gibt, Miß Mowbray sein würde. Doch ich kehre zu dem Wunsche, wo möglich einen Vergleich zwischen Ihnen zu vermitteln, zurück. – Sie erklären sich also bereit, Mr. Tyrrel, jeder persönlichen Rücksicht in dieser Angelegenheit zu entsagen, und nur für Miß Mowbray's Glück und Sicherheit zu wachen?«

»Dies ist, bei meiner Ehre! der einzige Grund meines Dazwischentretens. – Alles, was ich mein nennen könnte, wollte ich freudig dahingeben, ihr eine Stunde des Friedens zu verschaffen – denn Glück kann ihr nie wieder werden.«

»Sie gründen Ihre Besorgnisse der drohenden Leiden Miß Mowbray's auf den Charakter meines Freundes. Sie geben ihm lockere, leichtsinnige Grundsätze Schuld, und weil er Sie in einer jugendlichen Intrigue täuschte, so schließen Sie, daß jetzt im vernünftigeren, gesetzteren Alter das Glück jener Dame, welches Ihnen so sehr werth ist, ihm nicht anvertraut werden dürfte?«

»Es mag dazu wohl noch andere Gründe geben!« sagte Tyrrel schnell. »Doch Sie mögen immerhin diejenigen, welche Sie nannten, als hinreichend annehmen, Ihnen mein Dazwischentreten zu verbürgen.«

»Wie denn also, wenn ich eben hier die Mittel zu einer Uebereinkunft fände? Lord Etherington verlangt nicht hier als ein leidenschaftlicher Liebhaber aufzutreten. Er liebt das Leben in der großen Welt und hegt keinen Wunsch ihm zu entsagen. Miß Mowbray's Gesundheit ist sehr zart – ihre Gemüthsstimmung sehr veränderlich und reizbar – so würde sie höchst wahrscheinlich stets die Zurückgezogenheit für sich erwählen. – Setzen Sie den Fall – ich will ihn bloß einmal als möglich darstellen – daß durch den gegenseitigen Vortheil für zwei Personen in solcher Lage eine Heirath nöthig würde – dem einen Theil eine reiche Besitzung zu sichern – den andern gegen alle Unannehmlichkeiten einer öffentlichen Bloßstellung zu beschirmen – so möchten doch beide Zwecke ganz allein durch die bloße Förmlichkeit der kirchlichen Einsegnung zu erreichen sein. Man könnte im Voraus eine Scheidungsakte aufsetzen, welche der Lady nicht nur ein geziemendes Einkommen sicherte, sondern eine förmliche Entsagung ihres Gemahles aller weitern Ansprüche auf sie enthielte. Solche Dinge geschehen zu jeder Jahrszeit, und wenn auch nicht gerade am Hochzeittage, doch ehe der Honigmonat vorüber ist. So würde der Lady Reichthum und volle Freiheit werden, und gesetzt, Ihre Ansprüche sind gültig, so können Sie selbst den Rang ja bestimmen, der ihr bleiben soll.«

Eine lange Pause erfolgte, während welcher ein wechselnder Ausdruck Tyrrels Gesichtszüge belebte, den Jekyl sorglich beobachtete, ohne ihn zur Antwort zu drängen. Endlich entgegnete er:

»In Ihrem Vorschlage, Hauptmann Jekyl, liegt so Manches, worin einzugehen ich mich versucht fühlen könnte, da er einen schicklichen Ausweg, jenen gordischen Knoten zu lösen, darzubieten scheint, und zugleich einen Vertrag enthält, durch welchen Miß Mowbray's künftige Ruhe einigermaaßen gesichert wäre. Aber ich würde eher einer eingefangenen Natter trauen, als Ihrem Freunde, wenn ich ihn nicht mit den stärksten Banden des eignen Interesses gefesselt sähe. Ueberdem bin ich gewiß, jene unglückliche Lady würde es nie überleben, mit ihm in dieser Art von Verbindung zu stehen, wäre es auch nur den Augenblick lang, der sie zusammen vor dem Altare vereinte. Ueberdem gibt es noch andere Einwürfe –«

Sich selbst unterbrechend, schwieg er einen Augenblick, und fuhr in einem ruhigen Tone mit Selbstbeherrschung fort: »Sie glauben vielleicht selbst jetzt noch, daß eigensüchtige Absichten mich in dieser Angelegenheit leiten; wahrscheinlich auch halten Sie sich berechtigt, denselben Argwohn gegen mich zu nähren, mit welchem ich, wie ich es offen bekenne, jeden Vorschlag Ihres Freundes aufnehme. – Ich kann es nicht ändern. – Ich kann blos diese nachtheiligen Empfindungen mit einer durchaus rechtlichen und offnen Handlungsweise vereinen; und in ihrem Geiste also eröffne ich Ihnen meinen Vorschlag. – Ihr Freund hängt am Range, Vermögen und weltlicher Größe mindestens eben so sehr, als sie das Streben eines jeden Weltmannes sind. – Sie werden dies zugeben, denn ich will Sie nicht beleidigen, indem ich stärkere Farben auftrage.«

»Ich kenne wenig Leute,« erwiederte Hauptmann Jekyl, »welchen diese Vorzüge nicht wünschenswerth erscheinen, und ich bekenne frei, daß mein Freund darin keinen besondern Grad philosophischer Gleichgiltigkeit zur Schau trägt.«

»So mag es denn so sein!« sagte Tyrrel. »Auch beweiset in der That schon Ihr eben ausgesprochener Vorschlag, daß seine vorgeblichen Ansprüche auf die Hand der jungen Dame ganz oder fast ganz auf geldgeizigen Gründen beruhen, da Sie der Meinung sind, daß er einwilligen würde, sich schon an dem Hochzeittage wieder von ihr zu trennen, wenn ihm nur die Nettlewood'sche Besitzung gesichert sei.«

»Mein Vorschlag geschah ohne Zustimmung meines Freundes,« entgegnete Jekyl; »aber es wäre nutzlos, es zu läugnen, daß ihr bloßer Inhalt meine Meinung allerdings ausspricht, daß Lord Etherington keine leidenschaftliche Liebe empfindet.«

»Nun denn, Sir,« fuhr Tyrrel fort, »so bedenken Sie wohl, und lassen Sie es auch Ihren Freund in Erwägung ziehen, daß sein Vermögen und Rang jetzt ganz von meiner Willkühr und Gefallen abhängt – daß wenn ich die Ansprüche geltend mache, welche jene Schriften Ihnen darlegten, er von dem Range eines Grafen zu dem eines geringen Bürgers herabsinkt, der auch in Hinsicht des Vermögens gar Vielen weichen muß – ein Schade, den nicht einmal der Besitz von Nettlewood zu ersetzen vermöchte, selbst wenn er dazu gelangen könnte, welches doch nur durch einen Prozeß zu erreichen sein möchte, dessen Erfolg eben so unsicher, als seine Veranlassung an sich entehrend ist.«

»Gut, Sir, Ihre Schlußfolge ist mir vollkommen deutlich« – erwiederte Jekyl. »Welches ist nun Ihr Vorschlag?«

»Daß ich alle meine Ansprüche an jene Würden und Güter aufgeben will – daß ich Valentin Bulmer in dem Besitze seines unrechtmäßig sich angeeigneten Titels und ihm schlecht gebührenden Reichthums lassen will – daß ich mich bei der größten Strafe verpflichten will, ihn nie in dem Besitz der Grafenwürde von Etherington und den dazu gehörigen Gütern zu stören – unter der Bedingung, daß er der Frau, deren Seelenfrieden er für immer zerstörte, gestattet, ihr trauriges Dasein in stiller Einsamkeit zu tragen, ohne von seinen Bewerbungen, oder irgend einem Anspruche, der sich auf sein unsäglich hinterlistiges Betragen gründet, gestört zu werden – kurz, daß er aufhöre, fernerhin Clara Mowbray zu martern, sei es nun durch seine Gegenwart, Gespräche, Briefe oder durch Einmischung eines Dritten, und folglich hinfort vollkommen todt für sie sei.«

»Dies ist ein sehr sonderbares Anerbieten. Darf ich fragen, ob ich es als Ernst annehmen soll?«

»Ihre Frage erstaunt und beleidigt mich nicht. Ich empfinde andern Menschen gleich, und will mir nicht den Schein geben, das, was alle Menschen wünschen – ein gewisses Ansehen und die Achtung der Welt – gering zu schätzen. Ich bin kein romanhafter Thor, der den Werth des Opfers, welches ich darbringe, herabwürdigt. Ich gebe einen Rang auf, welcher um so höher stehen sollte und muß, weil die Ehre einer hochgeliebten Mutter (er erröthete bei diesen Worten) damit eng verbunden ist, – weil, indem ich meinen Rechten entsage, ich den Befehlen eines sterbenden Vaters ungehorsam bin, welcher wünschte, daß ich eben dadurch der Welt die Reue kund thun möchte, die ihn vielleicht um so schneller in's Grab stürzte, – ja, deren Bekanntmachung er als eine Art Buße seiner Fehltritte ansah. Von einem ehrenvollen Platze in der Gesellschaft steige ich freiwillig herab, um ein namenloser Verbannter zu werden; denn bin ich ganz sicher, daß Clara Mowbray's Frieden gesichert ist, vermag Britannien mich nicht länger zu halten. – Ich unternehme dies Alles also nicht in einem schnellen Ausbruch leidenschaftlicher Empfindungen, sondern mit vollem Bewußtsein, Kenntniß und hoher Werthschätzung alles dessen, was ich aufgebe; – aber ich bringe dies Opfer, bringe es willig dar, ehe ich die Ursache des fernern Unglücks eines Wesens bin, auf welches ich ohnehin des Elends so viel – zu viel häufte.«

Trotz seiner Anstrengungen versagte ihm bei diesen Worten die Stimme fast ganz, und ein schwerer Tropfen, der ihm heiß in's Auge trat, zwang ihn einen Augenblick lang an das Fenster zu treten. Doch sogleich sich zum Hauptmann wieder wendend, sagte er:

»Ich schäme mich dieses kindischen Benehmens nicht, Sir; erregt es auch Ihren Spott, so lassen Sie es mindestens für meine Aufrichtigkeit bürgen!«

Ehrerbietig entgegnete Jekyl – denn trotz einer langen in modischen Thorheiten verbrachten Zeit war sein Herz nicht durchaus verhärtet – »Ich bin sehr weit entfernt, dem Spotte Raum zu geben; gewiß sehr weit entfernt davon. Auf einen so sonderbaren Vorschlag, als den Ihrigen, können Sie von mir keine Antwort erwarten – das ausgenommen – daß, wie ich glaube, die eigentliche Würde der Pairschaft unablöslich ist, und nicht nach Willkühr abgelegt und angenommen werden kann. Sind Sie wirklich Graf von Etherington, so sehe ich nicht ein, in wie fern Ihre Entsagung jenes Titels meinem Freunde nützlich sein kann?«

»Ihnen, Sir, möchte es nicht nützlich sein,« entgegnete Tyrrel ernst, »weil Sie es vielleicht verachten würden, sich ein Recht oder einen Titel anzumaßen, der Ihnen nicht gesetzlich gebührte. Aber Ihr Freund wird von solchen Gewissenszweifeln nicht heimgesucht werden. Wenn er nur den Grafen vor der Welt spielen kann, so hat er es schon bewiesen, daß seine Ehre und Gewissen vollkommen beruhigt sind.«

»Dürfte ich eine Abschrift der Liste jener Dokumente mir erbitten, um sie dem, der mich sandte, vorzulegen?«

»Das Papier steht zu Ihren Diensten; es ist selbst nur eine Abschrift. – Aber fast will es mir scheinen,« fügte Tyrrel mit leichtem Spott im Ausdruck hinzu, »Hauptmann Jekyl ist nicht ganz genau in das Geheimniß seines Freundes eingeweiht. – Er kann aber sich davon überzeugt halten, daß sein Freund den Inhalt jenes Blattes sehr wohl kennt, und genaue Abschrift von allen Dokumenten besitzt, auf welche es sich bezieht.«

Aergerlich sagte Jekyl: »Ich halte es kaum für möglich!«

»Nicht nur möglich, sondern gewiß!« entgegnete Tyrrel. »Kurz vor seinem Tode sandte mir mein Vater mit einem tief erschütternden Bekenntniß seines Unrechts diese Liste jener Papiere, und benachrichtigte mich, daß er meinem Bruder ein gleiches Bekenntniß abgelegt habe. Ich zweifle keinen Augenblick an der Wahrheit dieser Versicherung, obwohl Mr. Bulmer es für gut gehalten haben mag, dieses Umstandes gegen Sie nicht zu erwähnen. Noch eine Sache unter vielen bewährt überdem zugleich den Gehalt seines Charakters, und den Widerwillen, mit welchem ihn meine Rückkehr nach England erfüllte. Durch einen schurkischen Bevollmächtigten, der mir bei Lebzeiten meines Vaters die gewöhnlichen Rimessen zahlte, ließ er mir das zur Rückkehr aus der Levante nöthige Geld vorenthalten, und ich sahe mich genöthigt, es dort von einem Freunde zu borgen.«

»In der That, es ist das erste Mal, daß ich etwas von diesen Papieren höre. Darf ich fragen, wo und in wessen Gewahrsam sich die Originale befinden?«

»Ich war in der Levante während der letzten Krankheit meines Vaters; deßhalb wurden diese Papiere bei einem achtbaren Handlungshause niedergelegt, mit welchem er in Verbindung stand. Ein Couvert unter meiner Adresse schließt sie ein, und dies liegt in einer zweiten Umhüllung, welche die Firma des Handelshauses trägt.«

»Sie werden es selbst einsehen,« entgegnete Hauptmann Jekyl, »daß ich kaum irgend einen Entschluß über den außerordentlichen Vorschlag, den Sie mir gemacht haben, zu fassen vermag, bis ich die Dokumente selbst zu untersuchen Gelegenheit hatte, auf welche die Rechte, denen zu entsagen Sie sich erbieten, sich gründen sollen.«

»Diese Gelegenheit soll Ihnen werden; ich will sie mir durch die Post senden lassen. Es ist nur ein kleines Packet.«

»So ist für den Augenblick weiter nichts zu erörtern,« sagte der Hauptmann: »Gesetzt der Fall, diese Beweise wären ganz unwiderleglicher Gattung, so würde ich unbedingt meinem Freunde Etherington rathen, so wichtige Ansprüche, als die Ihrigen, selbst mit Aufopferung seiner Heiraths-Pläne, zum Schweigen zu bringen – wenn Sie nämlich die Absicht haben, Ihrem Vorschlage treu zu bleiben?« –

»Ich pflege nicht so leicht meinen Sinn zu ändern – und noch viel weniger mein Wort zurück zu nehmen,« entgegnete Tyrrel mit einigem Stolz.

Aufstehend und sich beurlaubend, sagte Jekyl: »Wir trennen uns als Freunde, wie ich hoffe?«

»Als Feinde gewiß nicht, Hauptmann Jekyl. Ich bekenne gern, daß ich Ihnen Dank schuldig bin, meine alberne Geschichte dort auf dem Gesundbrunnen entwirrt zu haben. – Nichts würde mir eben jetzt unangenehmer sein, als einen so unbedeutenden Streit auf das Aeußerste treiben zu müssen.«

»So werden Sie dort unten unter uns erscheinen?« fragte Jekyl.

»Gewiß werde ich nicht den Anschein anzunehmen wünschen, als wollte ich mich verbergen; leicht könnte dieser Umstand wider mich genützt werden. Mein Gegner wird sich jedes Vortheils zu bedienen wissen. – Mir bleibt nur ein Pfad, Hauptmann Jekyl, der, den Wahrheit und Ehre mir zeigen.«

Hauptmann Jekyl verneigte sich und verließ das Zimmer. Sobald er entfernt war, schloß Tyrrel die Thür ab, und ein Bild aus seinem Busen ziehend, betrachtete er es mit einem gemischten Gefühl der Zärtlichkeit und Betrübniß, bis Thränen seinen Augen entfielen.

Es war das Gemälde Clara Mowbray's, so wie er sie in den Tagen ihrer Jugendliebe kannte, und es selbst verfertigte, da seine Neigung zur Malerei sich frühzeitig entwickelt hatte. Noch jetzt konnte man in dem schönen Gesicht des mehr gereiften Originals die reizenden Züge des blühenden Mädchens wieder finden. Doch was war aus der Rosengluth geworden, welche ihre Wangen färbte? – was aus dem schlauen, doch unterdrückten Muthwillen, der in den Augen lauschte? – was aus der fröhlichen Heiterkeit, welche jedem Zuge den Ausdruck einer Euphrosyne ertheilte? – Ach schon lange waren sie entflohen! – Die schwere Hand des Grames sank auf sie herab – der Rosenstrahl der Jugend erlosch – der Blick des einst von unschuldiger Freude glänzenden Auges ward jetzt bald von schlecht verhehltem Kummer getrübt, bald von einem unruhigen Spottgeist stechend aufgeregt.

»Welch' eine Zerstörung! welch' eine Zerstörung!« rief Tyrrel; »und das Alles das Werk eines Elenden. – Kann ich die letzte Hand an das Entsetzliche legen, und ihr wirklicher Mörder werden? Ich kann es nicht! – Ich vermag es nicht! – Ich will den einmal gefaßten Entschluß kräftig durchführen. – Alles will ich opfern – Rang – Stand – Vermögen – meinen Ruf! – Ja selbst die Rache – die Rache selbst, das letzte Gut, das mir geblieben war – die Rache selbst will ich aufopfern, ihr den Frieden zu sichern, welcher ihr jetzt noch werden kann.«

Mit diesem Entschlusse setzte er sich nieder, von dem Handelshause, wo jene Dokumente und andere Papiere von Wichtigkeit für ihn aufbewahrt wurden, ihre Uebersendung durch die Post zu begehren.

Ehrgeiz und all' jenes lebendige Gefühl des Werthes persönlicher Vorzüge in der Gesellschaft, welche einem tiefen Gemüth und feurigen Geiste eigen zu sein pflegen, waren auch Tyrrel eigenthümlich. Mit zitternder Hand und feuchtem Auge, doch mit fest entschlossenem Herzen siegelte er den Brief; ein Schritt zu der Entsagung seines Ranges und Vermögens zu Gunsten seines Todfeindes, welches Alles, obwohl es ihm durch das Recht der Erbfolge gebührte, so lange zweifelhaft zwischen ihnen schwebte.



 << zurück weiter >>