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Dreißigstes Kapitel.
Aufdringlichkeit.

Bei meiner Treu, ich will mit dir die Straße gehen. –
Ich bin von Wespenart! – ich könnte stechen! –

Maaß für Maaß.

Der Herbst war schon weit vorgerückt. Stark ruhte der Thau auf dem langen Grase, wo der Sonnenstrahl ihn traf; wo aber Schatten obwaltete, da ward er zum Reif, der unter Jekyl's Fußtritten knirschte, als jener durch den Wald von St. Ronans schritt. Von selbst löseten sich die Blätter der Eschen ab und fielen, ohne vom Hauche des Windes bewegt zu werden, auf den Fußpfad nieder. Schwer hing immer noch der Nebel an den Höhen, und die Ruinen des alten Schlosses St. Ronans waren ganz in Dünste gehüllt, wenn nicht hin und wieder ein Sonnenstrahl mit den Nebeln kämpfend, tief genug sich Bahn brach, einen hervorspringenden Thurm an den Ecken der alten Festung sichtbar zu machen, welcher, lange Zeit ein Lieblingssitz der Raben, gemeinhin der Krähenthurm genannt ward. Sonst waren die näheren Umgebungen licht und heiter, und das Rothkehlchen bot alle seine Kräfte auf, die Abwesenheit der andern Sänger zu ersetzen. Das schöne herbstliche Laub, manches freundlich offene Plätzchen und jeden kleinen Abhang bedeckend, prangte mit all' den mannigfachen rothbraunen und goldgesprenkelten Tinten, in die häufig die hellrothen Eschblätter sich mischten, während hier und da eine hohe alte Tanne mit den dunkeln breiten Zweigen die andern Bäume überschattete, und sich, stolz auf die Dauer ihres finstern Gewandes, trotzend über die mehr in die Augen fallende, aber vergängliche Herrlichkeit ihrer Umgebungen zu erheben schien.

So ist der Anblick, der, so oft er prosaisch oder poetisch geschildert ward, dennoch selten seines Eindrucks auf Ohr oder Auge verfehlt, und der uns Wandernde stets mit Gedanken erfüllt, die mit dem hinschwindenden Schmucke des Jahres übereinstimmen. Wenige nur werden dieser Empfindung nicht fähig sein; und auch Jekyl, obwohl er in einer diesen Gefühlen wenig zusagenden Lebensart gebildet war, mäßigte seinen Schritt, die ungewöhnliche Schönheit der Landschaft zu bewundern.

Vielleicht empfand er auch eben nicht allzu große Eile, zu dem Grafen von Etherington zurück zu kehren, für welchen sein Diensteifer, seitdem er Tyrrel gesprochen hatte, merklich abgekühlt war. Es war ganz klar, der Graf hatte seinem Freunde nicht das volle verheißene Vertrauen geschenkt; er theilte ihm nichts von dem Dasein jener wichtigen Beweis-Dokumente mit, auf welchen jetzt der ganze Erfolg seiner Vermittelung zu beruhen schien, und in so fern hatte er ihn also hintergangen. Doch, als er jenen ausführlichen Brief Lord Etherington's aus seiner Tasche nahm und überlas, fühlte er deutlicher, als bei der ersten Ansicht, wie sehr der jetzige Besitzer jenes Titels die Ansprüche seines Bruders fürchtete, und er konnte einiges Mitleiden gegen die natürlichen Empfindungen nicht unterdrücken, welche ihn im ersten Augenblicke ein wenig scheu machten, selbst seinem vertrautesten Freunde die schlimmste Seite der Sache zu enthüllen. Endlich gedachte er noch, daß Lord Etherington bis zu einem sehr ungewöhnlichen Grade sein Wohlthäter gewesen war; daß er ihm thätigen Beistand zu weihen gelobte, ihn von den Schwierigkeiten zu befreien, welche jetzt ihn bedrängten; daß ihm als seinem Vertrauten die geheimsten Angelegenheiten seines Lebens offen vor Augen lägen, und daß in der That nur ein sehr erheblicher Grund es rechtfertigen könnte, wenn er eben jetzt sich von ihm trennen wollte. – Doch aber konnte er nicht umhin, zu wünschen, daß seine Verpflichtungen leichterer Art, seines Freundes Sache besser begründet, oder der Freund selbst des Beistandes würdiger sein möchte.

»Ein schöner Morgen, Sir, in solchem verdammten neblichten Klima, als das hier zu Lande herrschende!« sprach eine Stimme dicht an Jekyl's Ohr, ihn so aus seinen Betrachtungen aufschreckend. Als er sich halb umwendete, erblickte er dicht bei sich unsern ehrlichen Freund Touchwood, den Hals in sein großes indisches Tuch gehüllt, gewaltige Ueberzieh-Schuhe eines Podagristen an den Füßen, die Zopf-Perrücke sehr wohl gepudert, und seinen goldknöpfigen Stock, wie den eines Unteroffiziers, aufrecht in der Hand. Ein verächtlich messender Blick schien Jekyl nach seinen modischen Ansichten zu berechtigen, den alten Herrn in die Classe ehrwürdiger Spießbürger zu setzen, und sich so gegen ihn zu benehmen, wie ein Gardeoffizier Sr. Majestät sich befugt glaubt, jede der verschiedenen unmodischen Gattungen menschlicher Wesen zu behandeln. Eine oberflächliche Art von zurückziehender Verbeugung, und ein sehr kaltes: »Ihnen, Sir, gebührt der Vortheil, voran zu gehen,« welches, als geschähe es ohne sein Wissen, von seinen Lippen herab fiel, sollte des alten Herrn Zuvorkommenheit zurückweisen und seinen Ehrgeiz unterdrücken, sich mit Vornehmeren auf gleichen Fuß zu stellen. Aber Mr. Touchwood war taub für die beabsichtigte Abfertigung; er hatte zu lange weit und breit in der Welt sich umhergetrieben, und war viel zu überzeugt von seinen eigenen Verdiensten, als daß er leicht eine Abweisung ertragen, oder seine Bescheidenheit ihm gestatten mochte, einen einmal gefaßten Vorsatz abzuändern. Er entgegnete:

»Einen Vortheil vor Ihnen, Sir? Ich habe zu lange in der Welt gelebt, um nicht alle Vortheile, die mir gebühren, aufrecht zu halten, und mir deren, so viel es sich nur thun lassen will, zu erringen – auch erkenne ich es allerdings als einen Vortheil, Sie eingeholt zu haben, und werde mir das Vergnügen machen, Sie nach dem Gesundbrunnen zu begleiten.«

»Ich würde nur Ihre werthvolleren Betrachtungen unterbrechen,« entgegnete der Andere; »überdem bin ich ein bescheidener junger Mensch, der sich keiner bessern Gesellschaft, als seiner eigenen würdig findet – und was noch mehr ist, ich gehe langsam, sehr langsam. – Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, Mr. A – A – ich glaube, mein elendes Gedächtniß hat mich Ihren Namen vergessen lassen.«

»Meinen Namen? – Ei, da müßte Ihr Gedächtniß ja dem Spürhunde Pat Murtoughs gleichen, der den Hasen laufen läßt, ehe er ihn gefaßt hatte. Sie hörten meinen Namen in Ihrem ganzen Leben noch nicht. Touchwood heiße ich. Nun, wie gefällt er Ihnen, jetzt, da Sie ihn kennen?«

»Ich bin in der That kein Kenner von gewöhnlichen Namen,« entgegnete Jekyl, »und es ist mir vollkommen gleich, ob Sie Touchwood oder Touchstone heißen. Lassen Sie sich nicht durch mich in Ihrem Wege aufhalten. – Sie werden das Frühstück am Gesundbrunnen schon sehr vorgerückt finden, und doch hat Ihr Spaziergang wahrscheinlich Ihre Eßlust erweckt.«

»Was mir,« sagte Touchwood, »bei der Mahlzeit gute Dienste leisten soll, das verspreche ich Ihnen. – Meinen Kaffee trinke ich stets, sobald meine Füße in meinen Babuschen stecken – das ist im ganzen Morgenland so Sitte. Niemals verlasse ich mich, um zu frühstücken, auf ihre verbrühte Milch und Wasser da unten am Brunnen, das versichere ich Ihnen; und was das langsame Gehen anbetrifft – ich habe ohnehin eine kleine Ahnung vom Podagra empfunden.«

»Haben Sie wirklich?« fragte Jekyl: »ich bedauere sehr, denn wenn Sie keine Lust zum Frühstücken haben, so empfinde ich sie; – folglich, Mr. Touchstone, ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.«

Aber obwohl der junge Offizier im doppelten Geschwindschritt vorwärts eilte, so blieb sein beharrlicher Begleiter dicht an seiner Seite, eine Thätigkeit zeigend, die man seinem Aeußern und seinen Jahren nicht hätte zutrauen sollen, indem er fortdauernd dabei sprach, als wolle er beweisen, daß seine Lungen nicht im allermindesten von dieser ungewöhnlich schnellen Bewegung angestrengt würden.

»Nein, mein junger Herr, wenn Sie einen rüstigen, muntern Schritt vorziehen, ich bin auch dabei, und möge die Gicht zum Teufel fahren. – Sie sind ein glücklicher Bursche, der die Jugend für sich hat; aber dennoch, so weit als vom alten Ort nach dem Gesundbrunnen, glaube ich, werde ich trotz dem mit Ihnen Schritt halten – Hacken und Zeh gleich kräftig rühren – ja eine Meile weit will ich es selbst Barclay gleich thun.«

»Auf mein Wort, Sie sind ein lustiger alter Herr,« sagte Jekyl, seinen Schritt mäßigend, »und sollen wir denn einmal zusammen wandern, obwohl ich eben keine Nothwendigkeit davon einsehe, so muß ich wahrlich die Segel vor Ihnen einziehen.«

Damit, als ob ihm ein anderes Mittel, sich von ihm zu befreien, eingefallen wäre, zog er eine elfenbeinerne Büchse mit Cigarren hervor, zündete eine mit seinem Feuerzeuge an und sagte, während er vorwärts schreitend so viel er vermochte von dem Tabaksduft in seines Gefährten Gesicht blies, in gebrochenem Deutsch: »Vergeben Sie, mein Herr – ich bin erzogen in kaiserlicher Dienst – muß rauchen eine kleine wenig.«

»Rauchen Sie immer fort,« entgegnete Touchwood, ebenfalls Deutsch, und brachte einen ungeheuren Meerschaumkopf zum Vorschein, der, an einer Kette um seinen Nacken befestigt, in der Busentasche seines Rockes versteckt war; »habe auch mein Pfeifchen – sehen Sie den lieben Topf!« – Und damit erwiederte er den Rauch seines Gefährten, wenn nicht sein Feuer, im vollen Gehalt, ja mit reichlichen Zinsen.

»Der Teufel hole den Plauderer!« dachte Jekyl bei sich. »Er ist zu alt und fett, um nach der Art des Professor Jackson behandelt zu werden, und bei meinem Leben, ich weiß nicht, was man mit ihm machen soll. – Ich muß ihm die entschiedenste Kälte zeigen, sonst wird er mich ewig plagen.«

Diesem Vorsatz gemäß, schritt er, seine Cigarre dampfend, anscheinend eben so in sich versunken vorwärts wie Mr. Cargill selbst, ohne Touchwood die kleinste Aufmerksamkeit zu gönnen, der demungeachtet zu sprechen fortfuhr, als habe er es mit dem aufmerksamsten Zuhörer in Schottland zu thun, es sei nun der Lieblingsneffe eines alten querköpfigen, reichen Junggesellen, oder der Adjutant irgend eines betagten, verrosteten Haudegens von General, der Anekdoten aus dem amerikanischen Kriege erzählt. Er fuhr fort:

»Und so, Sir, kann ich es überall mit einem Jeden aufnehmen, denn ich habe mir das Reisen auf alle Art versucht, von der Karavane bis zu dem Wagen eines Frachtfuhrmanns herab, aber die gute Gesellschaft bleibt überall immer das Beste, und ich schätze mich sehr glücklich, daß ich einen Gentleman angetroffen habe, der mir so gut zusagt, als Sie. – Diese ernste ausdauernde Aufmerksamkeit erinnert mich an Elfi Bey – Sie mochten mit ihm englisch reden, oder irgend etwas, wovon er auch das Wenigste verstand – Sie hätten den Aristoteles dem Elfi vorlesen können, keine Muskel hätte er bewegt – geben Sie ihm nur seine Pfeife, so würde er auf seinem Kissen dasitzen, als begriffe er jedes Wort, was Sie sagten.«

Mit einer kleinen unmuthigen Bewegung warf jetzt Hauptmann Jekyl die Ueberbleibsel seiner Cigarre weg, und begann eine Opernarie zu pfeifen.

»Sehen Sie, und nun dies wieder! – Das ist ganz genau wie der Marquis, ein anderer meiner sehr werthen Freunde, der auch die ganze Zeit pfeift, wenn Sie mit ihm reden. – Er sagte, er habe es während der Schreckensherrschaft sich angewöhnt, wo ein Mann gern pfiff, um zu zeigen, daß seine Gurgel noch ganz blieb. – Und da wir einmal von vornehmen Leuten reden, was denken Sie wohl von der Geschichte zwischen Lord Etherington und seinem Bruder oder Vetter, wie einige Leute ihn nennen?«

Bei dieser Frage fuhr Jekyl augenscheinlich zusammen, ein Grad von Erschütterung, welcher, wenn seine modischen Freunde Zeugen davon gewesen wären, auf ewig alle seine Ansprüche, zu ihrer ersten Klasse zu gehören, vernichtet haben würde.

»Welch' eine Geschichte?« fragte er, sobald er der kleinsten Sammlung wieder mächtig war.

»Ei, Sie wissen die Neuigkeit gewiß schon. Francis Tyrrel, den neuerlich die ganze Gesellschaft für eine Memme erklärte, hat sich als ein so tapferer Bursche, als nur Einer von uns sein kann, ausgewiesen; denn statt fortgelaufen zu sein, um sich nicht die Gurgel von Sir Bingo abschneiden zu lassen, war er nur damals mit dem tapfern Versuch beschäftigt, seinen ältern oder gesetzmäßigeren Bruder, oder Vetter, oder sonst irgend einen nahen Verwandten, umzubringen.«

»Ich vermuthe, Sie sind im Irrthum, Sir!« antwortete Jekyl, so schnell er konnte seinen Geschwindschritt wieder beginnend.

»Man sagte mir,« fuhr Touchwood fort, »ein gewisser Jekyl wäre damals Sekundant beider Duellanten gewesen – ein dazu passender Patron, Sir; – einer von den schönen Herren, denen wir Sold zahlen, daß sie dem Pflaster in der Bondstraße den Staub abtreten und auf einen dickbesohlten Schuh und gewalkte Strümpfe so stolz herabsehen, als ob der damit Bekleidete nicht auch zu ihren Zahlmeistern gehörte. Demungeachtet glaube ich, daß der Oberbefehlshaber ihm wahrscheinlich den Laufpaß ertheilen möchte, wenn er diese Geschichte erfährt.«

»Sir!« rief Jekyl stolz auffahrend« – doch gedenkend, wie thöricht es sey, über ein Original, wie sein Begleiter, sich zu ärgern, fuhr er gelassener fort: »Sie sind im Irrthum – der Hauptmann Jekyl weiß nichts von der Angelegenheit, auf welche Sie sich beziehen – Sie sprechen von einem Ihnen völlig unbekannten Mann – Hauptmann Jekyl ist« – (er stockte hier, vielleicht schon durch den bloßen Gedanken gekränkt, sich vor einem solchen Menschen gegen einen solchen Vorwurf zu vertheidigen.)

»Ja, ja,« sagte der Reisende, die Lücke auf seine Art ausfüllend, »es ist freilich wahr, er ist nicht werth, daß wir von ihm reden – aber dennoch glaube ich, er weiß doch so viel von der Geschichte, als Sie und ich!«

»Sir, dieß ist entweder ein großes Mißverständniß, oder eine absichtliche Unverschämtheit. Wie albern und aufdringlich Sie mir auch erscheinen mögen, kann ich Ihnen doch nicht gestatten, nichtachtend des Namens des Hauptmanns Jekyl zu erwähnen. – Ich bin Hauptmann Jekyl, Sir!«

»Sehr möglich! – Sehr möglich!« – erwiederte Touchwood mit der empörendsten Gleichgültigkeit: »Ich habe schon vorher so Etwas davon geahnet!«

»Dann, Sir, mögen Sie auch leicht ahnen, was wahrscheinlich folgen kann, wenn ein Edelmann sich selbst ungerecht und ohne Beweise anklagen hört!« rief Hauptmann Jekyl, höchst erstaunt, die Ankündigung seines Namens und Ranges so oberflächlich aufgenommen zu sehen. – »Ich möchte Ihnen nicht rathen, Sir, zu kühn auf das Vorrecht zu pochen, das Ihnen Ihr Alter und Ihre Unwichtigkeit gibt.«

»Ich wage nie mehr, Hauptmann Jekyl, als es mir so eben gerade nothwendig scheint,« entgegnete Touchwood mit großer Fassung. »Wie Sie es richtig sagen, bin ich zu alt für solch' ein höchst albernes Treiben als ein solches Klingenspiel, welches keine Nation, so viel ich weiß, ausübt, als unsere einfältigen Europäer – also von Ihrem Spieße da, dessen Griff Sie mit so viel Würde berühren, von dem kann hier durchaus nicht die Rede sein. Sehen Sie, junger Herr, ich verlebte 45 Jahre meines Lebens unter Leuten, die ein Menschenleben nicht einmal in gleichem Werthe mit dem Knopfe ihres Rockkragens schätzen – in solchen Fällen muß man sich selbst zu schützen lernen, so gut es gehen will; wer mich daher zu berühren wagt, mag auch sich selbst die Folgen zuschreiben. Ich führe stets ein paar kleine Bullenbeißer mit mir, die Alter und Jugend in's Gleiche bringen.«

Damit zeigte er ein paar schöne, reich beschlagene Pistolen von der vollendetsten Arbeit.

»Versuchen Sie es, mich ohne meine Schutzwehr zu erhaschen;« fuhr er fort, den Rock über die Pistolen zuknöpfend, bedeutend die verborgene Seitentasche zeigend, welche mit Schlauheit, sie zu verhüllen, erfunden war. Dann setzte er freundlicher mit vertraulichem Ton hinzu: »Ich sehe, Sie wissen nicht, was Sie aus mir machen sollen; aber die Wahrheit zu gestehen, ein Jeder, der sich in diese St. Ronans'schen Händel mischt, geräth etwas aus dem gewohnten Gleise – wird zuweilen ein Bischen überspannt – kurz, die Wahrheit zu sagen, etwas toll oder doch ungefähr so. Nun, ich maße mir nicht an, klüger zu sein, als andere Leute.«

»Sir,« erwiederte Jekyl, »Ihr ganzes Benehmen, wie Ihre Worte dazu, sind so durchaus beispielloser Art, daß ich mir Ihre Meinung klar und unumwunden erbitten muß. – Haben Sie die Absicht, mich zu beleidigen, oder nicht?«

»Ich denke nicht an Beleidigung, junger Mann – hege nichts als offene, ehrliche Absichten. – Ich wünschte nur Ihnen mitzutheilen, was die Welt sagen würde, nichts, gar nichts weiter!«

Hastig rief jetzt Jekyl: »Sir, die Welt mag sich Lügen erzählen, welche sie will; ich war dennoch bei jenem Zusammentreffen Etheringtons und Mr. Tyrrels nicht gegenwärtig. – Ich war einige hundert Meilen davon entfernt.«

»Also doch,« sagte Touchwood, »fand wirklich ein solches Zusammentreffen statt – das war eben die Sache, die ich zu wissen wünschte.«

Zu spät jetzt bemerkend, daß er in dem Bestreben, sich selbst zu rechtfertigen, seinen Freund bloßgestellt habe, sagte Jekyl: »Sir, ich hoffe, Sie werden aus einem übereilten Ausdrucke, dessen ich mich zu meiner Rechtfertigung bediente, nichts folgern wollen. – Ich hatte blos die Absicht, zu sagen, daß wenn eine solche Begebenheit, wie die, von der sie reden, sich ereignet hätte, ich nichts davon wüßte.«

»Sorgen Sie nicht – sorgen Sie nicht – ich werde von dem, was ich erfahren habe, keinen schlechten Gebrauch machen. Ja, wenn Sie auch jetzt Ihre Worte noch mit den besten Fischbrühen (und das sind die Burgeß'schen Saucen) würzen wollten, es wäre überflüssig, ich habe schon durch Sie alle Nachrichten erhalten, die mir nöthig waren.«

»Sie sind unbeschreiblich hartnäckig, Sir!« erwiederte Jekyl.

»O ein Felsen, eine Art von Kieselstein, was das anbetrifft. Was ich weiß, das weiß ich nun, aber ich werde es nicht schlecht anwenden. – Hören Sie, Hauptmann – ich hege keine bösen Absichten gegen Ihren Freund – vielleicht gar das Gegentheil – aber er ist auf sehr schlechtem Wege; so pfiffig er sich dünkt, hat er die Rechnung doch ohne den Wirth gemacht; Ihnen sage ich das, weil ich Sie, (ohne Ihrer modischen Zierlichkeit zu nahe zu treten) wie Hamlet sagt, für ziemlich ehrlich halte; aber selbst, wären Sie es auch nicht, Noth kennt kein Gebot; man wird in einer Wüste auch einen Beduinen gern zum Führer wählen, wenn man ihm in angebauter Gegend auch nicht einen Spargel anvertraute. So denke ich wohl daran, Ihnen einiges Vertrauen zu schenken – doch wie viel eigentlich, darüber bin ich noch nicht mit mir einig.«

»Auf mein Wort, Sir, ich fühle mich sowohl durch Ihre Absicht, als durch Ihr Zögern sehr geschmeichelt,« entgegnete Jekyl. »Es gefiel Ihnen nur noch so eben zu sagen, daß ein Jeder, der mit dieser Angelegenheit zu schaffen habe, etwas wunderlich sein müsse!«

»Ja, ja; so etwas gestört – ein bischen toll, oder ungefähr so. – Das sagte ich, und will es beweisen!«

»Ich würde mich freuen, den Beweis davon zu hören! Doch hoffe ich, Sie nehmen sich selbst nicht aus?«

»O in keiner Art!« entgegnete Touchwood. »Ich bin einer der tollsten alten Bursche, welche dem Tollhause entrannen oder überhaupt frei umher laufen. Aber ich sehe schon, Hauptmann, auch Sie verstehen es, verfängliche Fragen vorzulegen. – Sie möchten gern wissen, wie viel oder wenig ich von all' den Geheimnissen erfahren habe. – Gut, das kann sich späterhin vielleicht ausweisen. – Hören Sie indessen meine Beweise. – Des alten Scroggie Mowbray Narrheit war, daß er den Klang des Namens Mowbray lieber hörte, als den von Scroggie; die Tollheit des Sohnes, daß er ihn nicht so gern mochte. Der alte Graf von Etherington war nicht bei vollen Sinnen, als er im Geheim eine Französin heirathete, und verteufelt toll, als er öffentlich mit einer Engländerin sich obenein vermählte. Was nun die hier versammelten Leute anbetrifft, da hat Mowbray von St. Ronans einen Sparren zu viel, wenn er seine Schwester Jemand geben will, ohne genau zu wissen, wem. – Sie ist eine Thörin, ihn nicht zu nehmen, weil sie eben weiß, wer er ist und was zwischen ihnen vorging, und Ihr Freund ist der tollste von Allen, daß er, schon so schwerer Strafe schuldig, sie noch immer verfolgt. Sie, Hauptmann, und ich, wir sind obenein toll bloß zum allgemeinen Besten, wenn wir uns in dieses Gemengsel von Narrheit und Wahnsinn einmischen.«

»In der That, Sir, Alles, was Sie mir da sagen, bleibt mir durchaus ein Räthsel!«

Kopfnickend sagte Touchwood: »O Räthsel kann man auflösen; haben Sie den Wunsch, das meinige zu verstehen, so bitte ich, bemerken Sie wohl, daß ich in dieser unserer ersten Unterredung mich bemühte, die frais de la conversation zu machen, wie der Franzose sagt. Wünschen Sie eine neue Unterhaltung, so können Sie in der Schenke zur Teufelsfalle an jedem Ihnen gefälligen Tage vor Sonnabend Punkt vier Uhr erscheinen, wo Sie keines Ihrer halb verhungerten, lang gestreckten Knochengerippe finden werden, die Sie an der table d'hôte Geflügel nennen, sondern zarte, junge Küchlein – ich schaffte der Mistreß Dods die Brut von dem alten Ben Vandewash, dem holländischen Mäkler – mit Reis und Pilzen ganz fein geschmort. – Können Sie ohne eine silberne Gabel essen, und bringen guten Appetit mit, sollen Sie herzlich willkommen sein – und damit ist's gut. – Jetzt wünsche ich Ihnen einen guten Morgen, mein guter Herr Offizier, denn bei alledem bleibt ein Gardehauptmann doch immer nur ein Offizier.«

Ehe Jekyl ein Wort erwiedern konnte, bog der alte Herr in einen Seitenpfad ein, der nach der Heilquelle führte, und sich hier von dem Wege nach dem Hotel trennte.

Ungewiß, mit wem er eine so befremdende Unterhaltung gepflogen hatte, blickte Jekyl ihm stumm nach, bis seine Aufmerksamkeit von einem kleinen Jungen erregt ward, der aus dem Gesträuch hervorbrach, die so eben abgeschnittene Gerte in Händen haltend; wahrscheinlich hatte er gegen die bestehenden Verbote gesündigt, denn er schien auf dem Sprunge zu stehen, sich sogleich wieder in das Gebüsch zu verstecken, wenn irgend Jemand in der Nähe wäre, der ihn zur Strafe ziehen möchte. Leicht konnte der Hauptmann ihn für einen jener hoffnungsvollen kleinen Taugenichtse erkennen, welche auf öffentlichen Plätzen sich einen unstäten Erwerb anzueignen suchen, und bald Schuhe putzend, bald Aufträge besorgend, der Stallknechte und Kutscher Arbeit im Stalle verrichtend, Thüren öffnend und so weiter, etwa den zehnten Theil ihrer Zeit anwenden, während sie den Rest spielend, in der Sonne schlafend zubringen, oder gar sich im Voraus üben, das Handwerk der Räuber und Taschendiebe sich anzueignen, um sich späterhin etwa ihm ganz zu widmen, oder es mit dem der Kellner, Stallknechte und Postillone freundschaftlichst zu vereinigen. Der kleine Ausgestoßene trug ein Paar leidlich erhaltene Hosen, ja fast noch mehr als eine halbe Jacke; denn unbefangen, wie Pentapolin mit dem bloßen Arme, trat er munter, die rechte Schulter ganz nackt einher. Der dritte Theil eines ehemaligen Hutes bedeckte sein Haar, welches die Sonne weiß gebleicht hatte, und sein Gesicht, rothbraun wie die dunkle Waldbeere, ward von einem Paar Augen belebt, die mit einem Falken um den Preis gerungen hätten, so bald es galt, Gefahr oder Vortheil zu erspähen.

»Hieher, du noch ungehangener Spitzbube!« rief Jekyl. »Sage mir, ob du den alten Herrn kennst, der eben dort den Weg einschlug. – Man kann ihn noch von hier sehen.«

»Es ist der Nabob,« erwiederte der Knabe. »Ich könnte darauf schwören, Ew. Gnaden, seinen Rücken von allen andern Rücken auf dem Gesundbrunnen zu unterscheiden.«

»Was nennst du, Taugenichts, einen Nabob?«

»Einen Nabob? – Was ich einen Nabob nenne?« erwiederte der kleine Spion. »Nun, ich denke, das ist so Einer, der aus der Fremde kommt, und mehr Geld hat, als seine Taschen bergen können, so daß er es in der Gegend umher verstreut. – Sie sind immer quittengelb, und müssen alle Dinge ganz auf ihre eigene Art eingerichtet haben.«

»Und wie heißt dieser sogenannte Nabob?«

»Er nennt sich Touchwood. Sie können ihn alle Morgen am Gesundbrunnen sehen.«

»An der Wirthstafel sah ich ihn nicht.«

»Nein, nein! Er ist ein wunderlicher alter Kauz; er hält keinen Umgang mit andern Leuten, sondern lebt ganz in der Teufelsfalle. – Er gab mir neuerlich eine halbe Krone, und verbot mir sie beim Schlag- und Stoßball zu verspielen.«

»Aber du warst ihm doch natürlich ungehorsam?«

»Nein, ich war nicht ungehorsam. – Ich verspielte sie beim höchsten Wurf im Kegelspiel.«

»Gut, da hast du sechs Pence; verspiele sie meinetwegen beim Teufel, wenn du es rathsam findest.«

Damit reichte er dem kleinen Straßenräuber seine Gabe, indem er ihm zugleich einen Schlag auf die Hand gab, welcher ihn von seiner Gegenwart befreite. Er selbst eilte, Lord Etherington's Zimmer zu erreichen, wo er ihn glücklicherweise allein fand.



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