Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.
Der Schrecken.

So wie am Baum das Laub erbebet,
Wenn Wirbelwind es jäh erregt,
Des Feldherrn Brust Entsetzen hebet,
Wenn feige Flucht das Heer bewegt –

Alle diejenigen, welche über diese Angelegenheit nachdachten, hielten es längst für ausgemacht, daß der unruhige, hitzköpfige Nabob sich bald mit seiner Wirthin, der alten Mistreß Dods, zanken und seines Aufenthaltes zu St. Ronans überdrüssig werden würde. Man setzte voraus, ein Mann, der gegen sich selbst so nachsichtig, und so sehr neugierig, die Angelegenheiten Anderer betreffend, sei, könne in dem alten Ort zu St. Ronans nur eine sehr beschränkte Sphäre haben, seinen Geschmack oder Forschungsgeist zu befriedigen; und schon seit geraumer Zeit hatten die Müßiggänger am Gesundbrunnen Tag und Stunde seiner Entfernung festgesetzt. Aber immer noch erschien, wenn das Wetter es gestattete, der alte Touchwood mit seinem nußbraunen Gesichte unter ihnen, den Hals sorglich in ein ungeheuer großes indisches Tuch gehüllt, und seinen Stock mit goldenem Knopfe über die Schulter geschwungen; seine kurzen aber stämmigen Beine zeigten es deutlich, daß er ihn vielmehr wie den Stab eines Großwürdenträgers, als zur Stütze benutzte. Da stand er, trocken und kurz alle ihm vorgelegten Fragen beantwortend, machte, ohne im mindesten darauf zu achten, ob man sich davon beleidigt fühlte, ganz laut seine Bemerkungen über die anwesende Gesellschaft, und sobald die alte Brunnen-Priesterin sein Glas mit dem heilsamen Wasser gefüllt hatte, drehte er mit einem kurzen »guten Morgen« sich schnell auf seinem Absatz herum, um zurück zum Pfarrhause und seinem alten Freunde, Mr. Cargill, zu eilen, oder aber irgend ein Steckenpferd munter zu reiten, das mit seinen Nachbaren im alten Orte in Verbindung stand.

Eigentlich hatte der gute Herr es eingesehen, daß, nachdem er seine Verbesserungen in seiner Residenz so weit steigerte, als Mistreß Dods es nur irgend gestatten wollte, es klug gehandelt sein würde, davon abzustehen, seine Neuerungen noch weiter zu verbreiten, da einmal nicht jeder Stein sich dazu eignet, die letzte Politur zu erhalten. Er ließ sich nun zunächst angelegen sein, Mr. Cargill's Haus in Ordnung zu bringen, und ohne die Erlaubniß dieses ehrenwerthen Herrn zu erhalten oder zu begehren, brachte er eine so wunderbare Veränderung im Pfarrhause hervor, wie ein wohlthätiger Geist es nur vermocht hätte. Die Fußboden wurden zuweilen gekehrt – die Teppiche ausgestäubt – die Teller und Schüsseln waren reinlicher – in dem Theekasten konnte man Thee und Zucker, ja in der Vorrathskammer mancherlei Speisen finden. Die älteste Magd trug ein tüchtig gewirktes Kleid – die jüngere flocht ihre Haare auf dem Scheitel zusammen, und nun wanderte ein so dralles und nettes Mädchen in dem Hause umher, daß Manche von ihr sagten, sie sei zu hübsch, einem unverheiratheten Geistlichen zu dienen, und Andere meinten, sie sähen gar nicht ein, was solch' ein alter Narr, wie der Nabob, sich um des Mädchens Kleidung und Fußwerk zu bekümmern habe. Aber wenig Sorge machten solche böse Gerüchte dem guten Mr. Touchwood, selbst wenn er sie hätte hören können, was indessen noch dahin stand. – Auch der Garten ward gesäubert und der Kirchenacker regelmäßig bestellt.

Der Talisman, der alle diese wünschenswerthen Verbesserungen bewirkte, bestand zum Theil in kleinen Geschenken und fortgesetzter Aufmerksamkeit. Die Freigebigkeit des sonderbaren alten Herrn gab ihm volles Recht, gehörig zu schelten, wenn er etwas Unrechtes sah; die Dienstboten, welche in die allergleichgiltigste Faulheit versunken waren, fingen an, sich bei Mr. Touchwood's, aus strenger Aufsicht und Belohnung gemischter, Methode wieder zu regen, und der Geistliche, nur halb der Ursache dieser Verbesserungen sich bewußt, erntete den Vortheil der Bemühungen seines thätigen Freundes. Zuweilen hob er zwar wohl den Kopf auf, wenn er das Klopfen und Hämmern der Arbeitsleute in der Nähe seines Studirzimmers hörte, und fragte, was der Lärm bedeute, der ihm hier so lästig falle; doch, erwiederte man ihm, es geschehe auf Befehl des Herrn Touchwood, so fuhr er, überzeugt, daß dann Alles gut sei, ruhig in seiner Arbeit fort.

Aber selbst die Augiatische Aufgabe, das Pfarrhaus in Ordnung zu bringen, genügte der riesenhaften Thätigkeit Mr. Touchwood's nicht. Er strebte nach der Alleinherrschaft im alten Orte St. Ronans, und wie viele Männer mit feurigem Geiste brachte er es allerdings dahin, sich einen großen Theil der Gewalt anzueignen, welche er zu erringen trachtete. Nun erklärte er allen jenen kleinlichen, doch immer dauernden nachtheiligen Dingen, welche eine schottische Ortschaft alter Art verpesten, offenen Krieg. – Der angeerbte Misthaufe, der seit achtzig Jahren sich vor den Fenstern der Hütte aufsammelte, ward hinter das Haus verlegt – der zerbrochene Schubkarren oder unbrauchbar gewordene Wagen aus dem Fußsteig geschafft – der alte Hut oder blaue Unterrock aus dem Fenster genommen, das man damit verstopft hatte, um »den eisigen Hauch des Winters« abzuhalten, und schönes durchsichtiges Glas trat an die Stelle. Die Mittel, wodurch auch diese Verbesserungen bewirkt wurden, waren dieselben, welche im Pfarrhause Wunder thaten – Geld und Ermahnungen. Wären diese letzteren allein ertheilt worden, so möchte man ihnen wenig Aufmerksamkeit gezollt haben – ja vielleicht hätten sie sogar zur Widersetzlichkeit gereizt – aber wenn ein kleines Geschenk die angerathene Verbesserung versüßte und unterstützte, drang der Rath in der Zuhörer Herz, und beseitigte gemeinhin alle ihre Einwendungen. Ueberdem herrschte eine große Meinung von dem Reichthum des Nabobs unter den Dorfbewohnern, und der Gedanke hatte allgemein die Oberhand gewonnen, daß, wenn er auch weder Domestiken noch Equipage hielte, er das halbe Land umher sich kaufen könnte, sobald er nur Lust dazu habe. Große Postzüge, Wagen und schöne Livreen erleichterten nur die Börsen, statt sie schwerer zu füllen, und diejenigen, welche alles hierauf sich beziehende genau zu wissen behaupteten, sagten, daß der alte Turnpenny und Mr. Bindloose obendrein auf Mr. Touchwood's bloßes Wort mehr Geld zahlen würden, als wenn alle die vornehmen Herrschaften am Gesundbrunnen da unten zusammen dafür gutsagten. Eine solche Meinung ebnete alles auf dem Wege eines Mannes, der nie zum Geben oder Verleihen abgeneigt war; ja, daß er bei solchen Verhandlungen keinesweges sorglos sein Interesse vernachlässigte, sondern deutlich zeigte, er wisse vollkommen wohl den Werth dessen, was er gab, zu schätzen, verringerte den Ruf seines Reichthums durchaus nicht. Wenige also mochten sich den Launen eines wunderlichen alten Mannes widersetzen, der sowohl den Willen als die Mittel besaß, diejenigen zu verbinden, welche geneigt waren, in seine Grillen einzugehen; und so brachte es dieser sonderbare Fremde im Laufe weniger Tage oder Wochen dahin, die Dorfbewohner seinem Willen ergebener zu machen, als sie je sich gegen irgend ein Individuum zeigten, seit ihre ehemaligen Gebieter den alten Ort verließen. Selbst die Macht des freiherrlichen Verwalters, obwohl der alte Micklewham dessen Amt bekleidete, war nur, im Vergleich mit der freiwilligen Huldigung, welche die Einwohner Mr. Touchwood zollten, als eine untergeordnete Gerichtsbarkeit zu betrachten.

Es gab indessen auch Widerspenstige, welche sich gegen die ihnen so aufgedrungene Autorität auflehnten, und mit der eigenthümlichen Hartnäckigkeit ihrer Landsleute sich weigerten, auf die Worte des Fremden zu hören, ob sie zum Guten oder Bösen rathen möchten. Dieser Leute Dunghaufen ward nicht hinweg geschafft, noch die hindernden Klötze aus dem Fußpfad vor ihrem Hause entfernt. Und es geschah, daß, indem Mr. Touchwood mit dem angestrengtesten Eifer alles Nachtheilbringende aus dem Dorfe zu verbannen strebte, er sehr nahe dabei war, das Schicksal vieler großen Reformatoren zu theilen – nämlich sein Leben durch eine jener Abscheulichkeiten zu verlieren, welche trotz aller seiner Bemühungen noch immer obwalteten.

Eines Nachmittags, wo dem Nabob nach vollendetem Mittagsmahl die Zeit etwas schwerfällig den Sinn befing, und der Mond hell den herbstlichen Abend erleuchtete, erwählte er sein gewöhnliches Mittel, die Langeweile durch einen Gang nach der Pfarre zu vertreiben, weil er sicher war, daß, wenn er es nicht dahin bringen konnte, den Geistlichen in irgend einen gelehrten Streit zu verwickeln, er mindestens in der Einrichtung des Hauswesens irgend etwas zu tadeln oder anzuordnen finden würde.

Dem zu Folge hatte er die Gelegenheit wahrgenommen, der jüngsten Dienerin des Pfarrers die Nothwendigkeit, Schuhe und Strümpfe zu tragen, auseinander zu setzen, und da sein Rath von sechs Paar baumwollnen Strümpfen und zwei Paar starken ledernen Schuhen begleitet ward, sah er ihn nicht nur mit Achtung, sondern sogar mit Dank empfangen, und die freundliche Berührung ihres Kinns, welche die Vorlesung beschloß, als sie das Außenthor für Se. Gnaden aufschloß, ward mit Kichern und Erröthen erwiedert. – Ja Girzy empfand Mr. Touchwood's Güte so sehr, daß sie, bemerkend, der Mond sei hinter die Wolken gegangen, sich sehr sorglich anbot, ihn mit einer Laterne bis zur Teufelsfalle zu begleiten, da ihm doch auf dem Wege irgend etwas Uebles zustoßen könnte. Aber des Reisenden ununterwürfiger Geist verachtete es, solche Warnungen zu beachten, und nachdem er ihr kurz versicherte, er hätte die Straßen von Paris und Madrid ganze Nächte ohne solche Beihülfe durchwandert, schlug er muthig den Rückweg nach seiner Wohnung ein.

Doch ein Zufall traf ihn, der, wenn man die Polizei-Anstalten zu Paris und Madrid nicht fälschlich verleumdet, in jenen beiden glänzenden Hauptstädten sich eben so leicht hätte ereignen können, als in dem elenden alten Ort von St. Ronans. – Vor der Thüre Saunder Jaups, eines der etwas bedeutenderen Dorfbewohner, »der seine Acker zinsfrei erhielt und sich den Henker um irgend Jemand bekümmerte,« breitete sich gähnend ein übelriechender, schmutzerfüllter Schlund, im schottischen die Wassergrube genannt, mit andern Worten eine Cloake aus. Mr. Touchwood kannte sehr wohl die örtliche Lage dieses Schmutzbehältnisses; denn eben Saunders Jaup stand an der Spitze aller derjenigen, welche immer noch den Gewohnheiten ihrer Voreltern anhingen, und jene alten unreinlichen Gebräuche fortsetzten, welche unser Reisender an so manchem Punkte zu besiegen vermochte. Durch sein Geruchsorgan geführt, machte er also einen weiten Umweg, der Gefahr und Unannehmlichkeit auszuweichen, womit die zu große Nähe dieser kothigen Pfütze ihn bedrohte, und fiel auf diese Art, indem er die Charybdis zu vermeiden dachte, der Scylla anheim. Ohne Metapher, er gerieth so nah an das Ufer des kleinen Flusses, der hier zwischen dem Fuß- und Fahrweg hinab strömte, daß er ausgleitete und etwa drei bis vier Fuß hoch in den Kanal des Flüßchens fiel. Man glaubte zwar, daß das Geräusch seines Falles, oder mindestens sein Hülferuf, in dem Hause Saunders Jaups hätte gehört werden müssen; aber der ehrliche Mann war, wie er späterhin versicherte, eben damals mit seinem Abendgottesdienst beschäftigt, eine Entschuldigung, welche für giltig angesehen zu werden pflegte, obwohl Saunders im Geheimen sich verlauten ließ, daß die Stadt vielleicht nur um so ruhiger gewesen sein würde, »wenn der alte, seine Nase in Alles mischende Bursche in dem Bach Ein- für Allemal zum Schweigen gebracht worden wäre.«

Aber gütiger sorgte das Geschick für den armen Touchwood, dessen Schwächen, da sie aus den vortrefflichsten Eigenschaften entsprangen, gar wenig ein so böses Verhängniß verdient hätten. Ein Vorübergehender, der ihn um Hülfe rufen hörte, nahte sich vorsichtig dem Ufer, von dem er herabgefallen war, und nachdem er sich so sorgfältig, als die Dunkelheit es erlaubte, mit der örtlichen Lage bekannt gemacht hatte, gelang es ihm endlich, obwohl nicht ohne Anstrengung, ihm aus dem tiefen Bette des Waldbaches aufzuhelfen.

»Sind Sie ernstlich beschädigt?« fragte dieser gute Samariter den Gegenstand seiner Sorgfalt.

»Nein, nein – verdammt – nicht sehr!« entgegnete Touchwood höchst ärgerlich über seinen Unfall und dessen Veranlassung; »denken Sie, daß ich, der ich auf dem Berge Athos war, dessen Abgrund tausend Fuß bis zur Meeresfläche beträgt, mir das Geringste aus einem Falle, wie dieser hier, mache?«

Doch wankte er sichtlich, indem er diese Worte sprach, und sein freundlicher Helfer ergriff vorsichtig seinen Arm, daß er nicht fallen möge, sagend:

»Ich fürchte, Sie haben sich mehr Schaden zugefügt, als Sie denken; erlauben Sie mir daher, Sie nach Ihrer Wohnung zu begleiten.«

»Von ganzem Herzen!« entgegnete Touchwood; »denn wenn es auch eigentlich unmöglich ist, daß ich bei einer so erbärmlichen Kleinigkeit des Beistandes bedürfen könnte, so bin ich Ihnen, mein Freund, darum nicht weniger verbunden; ist also die Schenke zur Teufelsfalle Ihnen nicht zu sehr aus dem Wege, will ich bis dahin mich Ihres Armes bedienen, und Ihnen noch dazu viel Dank dafür sagen.«

»Sehr gern steht er Ihnen zu Dienst, da ich in der That dort zur Nacht bleiben wollte,« erwiederte der Fremde.

»Das freut mich sehr,« rief Touchwood; »Sie sollen mein Gast sein, und ich will dafür sorgen, daß man Sie geziemend bediene. – Sie scheinen mir ein sehr höflicher junger Mensch, und Ihr Arm leistet mir wahrhaftig gute Dienste – es ist mein Rheuma, das mich so mühsam auftreten läßt – diese Pest, die alle Diejenigen befällt, welche, an heißeres Clima gewöhnt, sich unter diesen verdammten Nebeln ansiedeln.«

»Stützen Sie sich so fest, und gehen Sie so langsam, als Sie Lust haben,« sagte sein gutmeinender Führer – »dieß ist hier eine holprige Straße.«

»Ja, Sir; und weßhalb ist sie so holprig? Nur weil der alte eselköpfige Narr, Saunders Jaup, nicht zugeben will, daß man sie ebne. Da sitzt der Kerl, Sir, und verhindert alle vernünftigen Verbesserungen; und wenn man nicht in seinem höllischen stinkenden Cloak versinken und so sich selbst und andern zum Abscheu auf's ganze Leben werden will, so geräth man, wie ich an diesem Abende, in Gefahr, sich den Hals zu brechen.«

»Ich fürchte, Sir, Sie haben doch das schlimmste Theil getroffen; Sie erinnern sich wohl des Sprichworts Swifts: Je mehr Schmutz, je geringer die Gefahr!«

»Aber warum soll denn überhaupt an irgend einem wohlgeordneten Platze Gefahr oder Schmutz vorhanden sein? Warum soll man in einem Flecken, wie dieser hier, nicht im Stande sein, auch zur Nachtzeit seinen Geschäften nachzugehen, ohne der Nase oder dem Nacken Nachtheil zu bringen? – Unsere schottischen Magistratsbehörden sind gar nichts werth, Sir, gar nichts – ach wenn man jetzt einen türkischen Kadi zur Stelle hätte, den Schuft zu züchtigen – oder den Burgemeister von Calcutta, ihn vor sein Gericht zu ziehen – oder selbst auch nur einen englischen Friedensrichter, wie man sie neuerlich der Kommission einverleibte, sie würden alle seine nachtheiligen Mißbräuche abschaffen und ihn noch obendrein zur Strafe ziehen. – Aber da sind wir – dieß ist die Schenke zur Teufelsfalle. – Holla – Hilloa! – Jane Anderson – Hausmädchen Sussie! – Bootsjunge? – Mistreß Dods! – Seid ihr Alle eingeschlafen oder todt? – Ich bin fast ermordet worden, und ihr laßt mich hier schreiend am Thore stehen!«

Jane Anderson erschien mit einem Lichte, und auch das Hausmädchen Sussie that ein Gleiches – aber kaum fiel ihr Blick auf das Paar, welches in dem Portal unter dem hin und her schwankenden ungeheuern Schilde stand, als Sussie laut aufschrie, ihr Licht hinweg warf, obwohl es den vierten Theil eines Pfundes ausmachte und in einem neu lackirten Leuchter steckte, und schnell nach einer Seite entfloh, während Jane Anderson ihr Geschrei eben so laut wiederholend, das Licht, wie eine Bacchantin ihre Fackel, um den Kopf schwang, und in entgegengesetzter Richtung enteilte.

»Ach – ich muß einen furchtbar blutigen Anblick gewähren!« sagte Mr. Touchwood, indem er sich gewichtiger auf seines Gehülfen Schulter sinken ließ und sein Gesicht abwischte, von dem die Tropfen hernieder rannen. – »Ich glaubte nicht, daß ich so sehr beschädigt wäre; aber jetzt fühle ich erst meine Schwäche. – Ich muß viel Blut verloren haben.«

»Ich hoffe, Sie sind dennoch im Irrthum,« sagte der Fremde; »aber hier dieser Weg führt zur Küche, dort werden wir Licht finden, da es Niemand für gut hält, uns welches zu bringen.«

Er führte den alten Herrn in die Küche, wo eine Lampe und ein helles Feuer brannte, bei deren Scheine sie leicht entdecken konnten, daß jenes muthmaßliche Blut nur Wasser aus dem Flüßchen, und zwar freilich eben nicht das reinste war, obwohl der arme Leidende es etwas mehr abwärts noch viel schlimmer hätte treffen können, weil dort der Ueberfluß der mannhaft behaupteten Freiheitwehr Saunders Jaups sich in den Bach ergoß.

Durch seines Freundes Versicherungen, daß es sich so und nicht anders verhalte, neu belebt, ermunterte sich der alte Herr ein wenig, und sein Gefährte, gern bereit, ihm jeden Dienst zu leisten, nahte sich der Küchenthüre, ein Waschbecken und Wasser zu begehren. Eben als er diese öffnen wollte, hörte man Mistreß Dods' Stimme, indem sie die Treppe herabstieg, in einem zwar zürnenden, und so ihr keinesweges uneigenthümlichen Ton erschallen, doch mischten sich zugleich einige bebende Laute des Entsetzens deutlich genug darein.

»Müßige Faulenzerinnen – einfältige Schlampen – Ich stehe dafür, keine von euch wird etwas Schlimmeres erblicken, als euch selbst, ihr albernen Trinen! – Ein Geist, wahrhaftig? – Ich wette, es ist irgend solch' eine nichtsnutzige Art von Schuft vom Gesundbrunnen her, der mit keinem ehrlichen Gesuch hier bei euch sich einschleichen will. – Ein Geist, wahrhaftig! – Haltet das Licht in die Höhe, John Ostler! – Ich stehe dafür, der Geist hat zwei Hände, und die Thür blieb der Mauserei geöffnet! – Es ist Jemand in der Küche – geht mit der Laterne voran, John Ostler!«

In diesem kritischen Augenblicke eröffnete der Fremde die Thür der Küche, und erblickte Dame Dods, welche an der Spitze ihrer Haustruppen anrückte. Der Hausknecht und der bucklige Postillon, der eine die Stalllaterne und eine Heugabel tragend, der andere, ein Binsenlicht und einen Besen führend, bildeten die Vorhut; Mistreß Dods mit hoch geschwungener Feuerzange, laut redend, war das Centrum, während die beiden Mädchen, Truppen gleich, denen man nach ihrer kürzlich erlittenen Niederlage nicht recht traut, ihr als deckende Hinterwacht folgten. Aber trotz dieser bewundernswürdigen Einrichtung hatte der Fremde kaum sein Angesicht gezeigt, und »Mistreß Dods« ausgesprochen, als ein panischer Schrecken die ganze Schlachtordnung ergriff. Die Vorhut warf sich in der Verwirrung auf das Centrum zurück, und der Hausknecht lief Mistreß Dods ganz über den Haufen, während sie, entsetzt mit ihm ringend, sich an seinen Ohren und Haaren festzuhalten strebte, und Beide sich zu einem gellend brüllenden Chor vereinten. Die beiden Mädchen ergriffen auf's Neue die Flucht, und liefen davon, sich in ihre finstere Höhle, sonst auch ihre Schlafkammer genannt, zu verbergen, während der bucklige Postillon mit Windeseile in den Stall flog, und aus handwerksmäßigem Instinkt in seinem äußersten Schrecken ein Pferd zu satteln begann.

Der Gast, der all diesen Lärmen erregte, riß indeß den brüllenden Hausknecht von Mistreß Dods hinweg, und ihn mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter zur Seite stoßend, bemühte er sich, die an der Erde liegende Gastwirthin aufzuheben und ihr Muth einzusprechen, indem er zugleich fragte, »was in des Teufels Namen denn diese unsinnige Verwirrung veranlassen konnte?«

Die Matrone, mit fest zugekniffenen Augen, aber selbst in diesem furchtbaren Entsetzen noch immer zänkischer Laune, erwiederte: »Und was in des Himmels Namen ist denn wohl Euer Grund, daß Ihr hieher kommt, in einem anständigen Hause Schrecken zu verbreiten, wo Ihr nichts als die größte Höflichkeit genossen habt?«

»Und weßhalb erschrecken Sie vor mir, Mistreß Dods? oder mit einem Worte, was soll all' diese unsinnige Furcht bedeuten?«

Ein wenig die Augen eröffnend während er sprach, erwiederte Mistreß Dods: »Seid Ihr nicht der Geist Francis Tyrrels?«

»Ohne Frage bin ich Francis Tyrrel, meine alte Freundin.«

»Ich wußte es! ich erkannte ihn!« rief die ehrliche Frau, in ihr Entsetzen zurückfallend. »Doch ich sollte denken, Ihr müßtet Euch über Euch selbst schämen, daß Ihr als ein Geist nichts Besseres zu thun wißt, als eine arme Gastwirthin zu erschrecken.«

»Auf mein Wort, ich bin kein Geist; nein, ein wahrhaft lebender Mann.«

»So wurdet Ihr also nicht ermordet?« fragte Mistreß Dods noch immer mit ungewisser Stimme und nur halb die Augen öffnend, »seid Ihr wohl ganz gewiß, daß Ihr nicht ermordet wurdet?«

»Nicht daß ich jemals Etwas davon erfahren hätte, liebe Frau,« entgegnete Tyrrel.

»Aber ich werde jetzt ermordet werden,« rief der alte Touchwood aus der Küche, wo er bis jetzt einen stummen Zuhörer dieser sonderbaren Scene abgab. – »Ich werde ermordet werden, wenn Sie mir nicht sogleich etwas Wasser verschaffen.«

»Komme schon, Sir, komme schon!« erwiederte Dame Dods, welcher diese ihrer Handthierung eigenthümliche Redensart eben so geläufig war, als dem armen Franziskaner sein »Sogleich, sogleich, Sir!« Sich jetzt völlig erholend und einen festern Blick auf Tyrrel werfend, fuhr sie fort: »So wahr ich durch ehrliche Rechnungen mein Brod verdiene, ich glaube, Mr. Francis, Sie sind es dennoch selbst in Fleisch und Blut. – Nun sehe mir Einer, ob ich nicht Recht hatte, den beiden einfältigen Dirnen einen tüchtigen Wischer zu geben, die mir Sie da zum Kobold und mich selbst zur Närrin machen wollten. – Ein Geist! – Nun gewiß, ich will sie begeistern! – Richteten sie die Gedanken immer so emsig auf ihre Arbeit wie auf ihre Thorheiten, würden sie nicht solche boshafte Streiche ausführen! – Geister! wer hörte je Etwas von Geistern in einem anständigen Hause? – Wer ein reines Gewissen hat, braucht keinen Kobold zu scheuen! – Aber trotz alledem bin ich sehr glücklich, daß Mac Turk Sie nicht ermordet hat, Mr. Francie!«

»Hieher endlich, Mutter Dods, wenn ich kein Unglück anrichten soll!« rief Touchwood, eine Schüssel vom Ständer nehmend, als wolle er sie der Gastwirthin an den Kopf werfen, ihre Aufmerksamkeit zu erwecken.

»Um des Himmels willen, werft sie nicht entzwei!« rief die beunruhigte Wirthin, wohl wissend, daß Touchwood's Ungeduld sich zuweilen auf Kosten ihres Geschirres Bahn machte, obwohl er es nachher freigebig ersetzte. »Mein Gott, Sir, sind Sie nicht bei Sinnen? – Sie wissen ja, es würde ein ganzes Service zerstören! – Um des Himmels willen, setzen Sie das chinesische Porcellain weg, und versuchen Sie sich meinetwegen an dem Fayance! – es wird eben so gut klimpern und klappern! – Aber Gott behüte uns! jetzt, da ich Sie näher betrachte, was kann Ihnen nur geschehen sein, in welches Ungemach sind Sie denn gerathen? – Warten Sie nur, bis ich Wasser und ein Handtuch hole!«

Jetzt überstieg die Theilnahme, welche ihres Gastes jämmerliches Aussehen erregte, selbst die Neugierde Mistreß Dods, nach dem bisherigen Ergehen ihres frühern Bekannten zu forschen, und sie weihte alle ihre Aufmerksamkeit ausschließend dem Mr. Touchwood, während sie ihm unter mancherlei Ausrufungen bei seinen Abwaschungen und Reinigung der Kleider dienstfertig beistand. Die beiden flüchtigen Dienerinnen hatten sich nun auch wieder in der Küche eingefunden, und bestrebten sich durch eifrige Bemühungen um Mr. Touchwood ein heimliches Lachen zu unterdrücken, welches die Erinnerung an das Entsetzen ihrer Gebieterin oft wieder erregte. Endlich wurden durch Waschen und Abwischen die Spuren des Schmutzes glücklich verdrängt, und der Veteran räumte allmählig, doch immer noch etwas zögernd ein, daß es besser wäre, mehr erschreckt und beschmutzt, als wirklich beschädigt zu sein.

Tyrrel betrachtete ihn indessen mit großer Verwunderung, denn es schien ihm, als ob diese Züge, je mehr sie aus der verhüllenden Maske des Moders hervortraten, einem alten Freunde zugehörten. Nachdem die Operation beendet war, konnte er es sich nicht versagen, Mr. Touchwood zu fragen, ob er nicht das Vergnügen habe, einen Freund vor sich zu sehen, dem er in Smyrna für einige freundliche Dienste in Geldangelegenheiten verpflichtet worden sei?

»Nicht der Mühe werth davon zu sprechen, Sir – gar nicht der Mühe werth!« entgegnete Touchwood. »Aber ich freue mich Sie zu sehen – recht sehr freue ich mich. – Ja, hier bin ich nun auch, und Sie werden mich noch als eben den gutmüthigen Narren finden, der ich in Smyrna war – niemals darauf sehend, wie ich das Geld wieder bekomme – und dennoch stets es ausleihend. Es thut nichts. – Es war einmal meine Prädestination, wie die Türken sagen. – Ich gehe jetzt hinauf mich umzukleiden. – Sie speisen mit mir zu Abend, wenn ich wiederkehre. – Mistreß Dods wird uns Etwas zubereiten; geschmortes Federwildpret wird das Beste sein, mit Champignons, denke ich; und dann machen Sie uns eine Bowle Glühwein, um mir die Erinnerung an die verwünschte Cloake des alten Presbyterianers aus dem Sinne zu bringen.«

Mit diesen Worten begab sich der Reisende nach seinem Zimmer im obern Stockwerk, und Tyrrel, ein Licht ergreifend, wollte ein Gleiches thun. Er sagte:

»Vermuthlich bewohnt Mr. Touchwood das blaue Zimmer, Mistreß Dods; ich setze voraus, daß ich ja wohl das gelbe einnehmen kann?«

»Setzen Sie gar nichts darüber voraus, Mr. Francie Tirl, bis Sie mir klar und deutlich auseinander gesetzt haben, wo Sie diese ganze Zeit her gewesen sind, und ob Sie ermordet wurden oder nicht?«

»Ich dächte, über das Letzte könnte Ihnen kein Zweifel bleiben, Mistreß Dods?«

»Wohl wahr. Auch hege ich in einem Sinne wohl keinen, und doch erregt es mir Schauder, wenn ich Sie anblicke, da ich seit so vielen Tagen und Wochen glaubte, Sie moderten irgendwo im Staube! – Und nun sehe ich Sie da frisch und gesund vor mir stehen, und wie ein anderer Mensch nach einer Schlafstube verlangen.«

»Fast sollte man denken, meine gute Freundin,« sagte Tyrrel, »daß Sie mich ungern lebendig wiederkehren sehen.«

Mistreß Dods, die eine besondere Geschicklichkeit darin besaß, das, was sie ihre gerechten Beschwerden nannte, weitläufig auseinander zu setzen, erwiederte: »Davon ist hier nicht die Rede; aber ein wunderliches Ding bleibt es dennoch, daß ein anständiger Mann, wie Sie, Mr. Tyrrel, sein Quartier verläßt, ohne ein Wort davon zu erwähnen, und mich in all' die Plagen stürzt, Ihren todten Körper aufzusuchen, ja fast meine Geschäfte dem Herrn Bindloose wegzunehmen, blos weil er die Hexenstreiche von Ihres Gleichen besser als ich zu beurtheilen versteht. – Und dann haben sie da unten am Gesundbrunnen eine Bekanntmachung angeschlagen, die Sie, Mr. Francie, als einen der größten ungehangenen Schelme schildert; und wer glauben Sie denn, wird Sie in einem ehrlichen Hause aufnehmen, wenn Ihnen solch' ein Titel gebührt?«

»Ueberlassen Sie mir das nur ganz ruhig, Mistreß Dods. – Ich verspreche Ihnen, jene Geschichte soll ganz zu Ihrer Zufriedenheit ausgeglichen werden. Auch denke ich, wir kennen uns lange genug, daß Sie mein einfaches Wort zum Bürgen annehmen können, daß ich des Schutzes Ihres Daches auf eine einzige Nacht nicht unwerth sein kann; und ich begehre ihn nicht länger, bevor mein Ruf vollkommen gereinigt ist. Eben dieser Vorsatz führte mich hauptsächlich wieder hieher zurück.«

»Führte Sie wieder hieher zurück?« fragte Mistreß Dods. – »Ich gestehe es, Mr. Tyrrel, Sie setzen mich wieder in Furcht! Doch ich denke,« setzte sie, sich zum Scherz zwingend, hinzu, »wären Sie ein Geist, so würden Sie, da wir so alte Bekannte sind, es nicht wünschen, mir meinen Erwerb zu verderben, sondern Sie würden sich hübsch anständig da nach dem alten Schlosse oder meinetwegen auch nach der Kirche begeben. – Gar furchtbare Dinge sind ohnehin in jener Kirche und auf dem Kirchhofe geschehen. – Ich würde es nicht lieben, den Weg dahin zu wählen, Mr. Francis!«

»Ich stimme ganz mit Ihnen überein, Mistreß!« entgegnete Tyrrel mit einem Seufzer; »auch gleiche ich in der That den Geistern, von denen Sie sprechen; denn wie sie, und mit eben so geringem Nutzen, schreite ich über den Schauplatz meines vergangenen Glückes dahin. Doch ich spreche in Räthseln, Mistreß Dods – die eigentliche einfache Wahrheit ist, daß mir damals, als ich Ihr Haus verließ, ein böser Zufall begegnete, dessen Folgen mich in einiger Entfernung von St. Ronans bis auf den heutigen Tag festhielten.«

»Ei, Sir, und Sie ersparten sich die Mühe, mir ein kleines Zettelchen zu schreiben, oder eine kurze Botschaft zu senden? – Sie hätten es sich doch denken können, daß die Leute sich genug um Sie quälen würden, ohne noch einmal der unternommenen Reise zu gedenken, und des Geldes, die Leute zu miethen, Ihren Körper aufzusuchen.«

»Ich werde gern alle vernünftige Auslagen berichtigen, die mein Verschwinden verursacht haben kann,« entgegnete Tyrrel, »und ich betheure Ihnen Ein- für Allemal, daß mein ruhiges Verweilen zu Marchtown, theils aus Krankheit, theils aus dringend nothwendigen und besondern Geschäften herrührte.«

»Zu Marchtown?« rief Mistreß Dods aus. »Hat man je etwas Aehnliches gehört? – Und wo steckten Sie denn in Marchtown? wenn man so kühn sein darf, darnach zu fragen.«

»Im schwarzen Stier.«

»Ah, bei dem alten Tam Lawries – ein sehr anständiger Mann, der Tames. – Auch ein stilles Haus von gutem Rufe – keins von euern lumpigen Windmachereien – ich freue mich, Nachbar, daß Ihr solch' gutes Quartier erwähltet; denn nachgerade fange ich an zu denken, Ihr seid nur ein Bischen verdreht – Ihr seht zwar aus, als könntet Ihr kein Kind betrüben, doch bin ich gut dafür, Ihr steht Euerm Mann. Aber jetzt geht nur immerhin da in die Wohnstube, denn es scheint mir, mehr werde ich Euch doch nicht abpressen, und Ihr steht mir hier gerade im Wege, da ich das Abendbrod anrichten soll.«

Tyrrel, zufrieden, dem Examen zu entgehen, welchem die Neugierde der Gastwirthin ihn ohne Umstände unterworfen hatte, trat in die Wohnstube, wo sich so eben Mr. Touchwood neu gekleidet und bei sehr guter Laune einfand.

»Da kömmt unser Abendbrod!« rief der alte Herr aus. – »Setzen Sie sich, und lassen Sie uns sehen, was Mistreß Dods uns bereitet hat. – Ich erkläre, Mistreß, Ihr Glühwein ist ganz vortrefflich; aber er ist immer so, seit ich Sie lehrte, die Gewürze in dem rechten Verhältnisse hinein zu thun.«

»Ich freue mich, Sir, daß Ihnen der Glühwein schmeckt – aber ich denke, ich verstand ihn zu bereiten, noch ehe ich Ew. Gnaden sah. – Mr. Tyrrel kann das bezeugen, denn mehr als eine Bowle habe ich für ihn und den jungen Burschen, den Valentin Bulmer, ehemals angefertigt.«

Diese übel angebrachte Bemerkung entlockte Tyrrel einen tiefen Seufzer; aber der Reisende, seinen eignen Gedanken allein folgend, schien seine Bewegung nicht zu bemerken. Er fuhr fort:

»Sie sind eine sehr eingebildete alte Frau! Wie zum Teufel möchten Sie wohl die passende Mischung der Gewürze so gut kennen, als Jemand, der in dem Lande war, wo sie wachsen? Ich habe den Sonnenstrahl die Muskatennuß und Gewürznelke reifen sehen, und hier kann er kaum mit einer Erbsenschote fertig werden, beim Jupiter! Ach Tyrrel, welche lustige Nächte verlebten wir zu Smyrna! – Seht, ich denke, der Schinken und der gute Wein schmeckt stets da am Besten, wo die Leute sie als sündliche Genüsse betrachten. – Was gilt's, mancher Moslem ist wohl derselben Meinung – eben jenes Verbot ihres Propheten verleiht dem Schinken einen Wohlgeschmack und dem cyprischen Rebensaft süßen Duft. – Erinnern Sie sich des alten Cogia Hassein mit seinem grünen Turban? – Ich spielte ihm einmal den lustigen Streich, ein Nößel Branntwein in seinen Scherbet zu thun. Nun sehen Sie, der alte Bursche hütete sich sorgfältig, die kleinste Ahnung davon zu verrathen, bis er die Flasche gänzlich ausgeleert hatte, und dann streichelte er ernsthaft seinen langen weißen Bart und sagte: ›Allah Kerim!‹ das heißt nämlich, Mistreß Dods, ›der Himmel ist barmherzig!‹ Herr Tyrrel versteht den Sinn jenes Ausdrucks. – Allah Kerim! rief er, nachdem er vier Maaß Branntwein-Punsch getrunken hatte. – Allah Kerim! sagte der heuchlerische alte Spitzbube, als hätte er die rühmlichste That vollbracht.«

»Und weßhalb sollte er denn das nicht?« fragte Mistreß Dods. »Weßhalb sollte ein Mann nicht einen Segensspruch nach seinem starken Punsch aussprechen? Ich meine, das wäre viel besser, als wenn man lärmt, flucht und schwört, gerade als ob die Leute nicht dankbar für die körperlichen Stärkungen sein sollten.«

»Recht und gut gesagt, Mistreß Dods, das ist einer echten Gastwirthin sehr richtiger Grundsatz, und wäre der Mistreß Quickley in eigener Person würdig. Hier dies Glas auf Ihr Wohl! Ich bitte Sie, mir freundlich Bescheid zu thun, ehe Sie das Zimmer verlassen.«

»Nein, heute Abend will ich Niemand mehr Bescheid thun, Mr. Touchwood; denn von all' dem Schrecken und Entsetzen von vorher und dem kleinen Kostschlückchen, das ich von dem Glühwein versuchte, ist mir der Kopf schon hinreichend beschwert. – Mr. Tyrrel, die gelbe Stube steht für sie in Bereitschaft, wenn es Ihnen gefällig sein wird; aber meine Herren, da morgen Sonntag ist, kann ich die Trinen, die Mägde, nicht länger aus dem Bette lassen, auf Sie zu warten, denn sie würden es sonst zur Entschuldigung nehmen, um am Tage des Herrn bis acht Uhr liegen zu bleiben. Wenn also Ihr Glühwein aus ist, so werden Sie mich sehr verbinden, wenn Sie Ihre Nachtlichter anzünden, die gegossenen Kerzen auslöschen, und sich selbst in Ihre Schlafstuben leuchten wollen; denn anständige Leute, wie Sie Beide, müssen ein hübsch ordentliches Beispiel geben. – Damit wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.«

»Meiner Treu,« sagte Touchwood, als sie sich entfernt hatte, »unsere Dame wird so widerspenstig, als ein Pascha mit drei Roßschweifen. – Wir haben indessen ihre gnädige Erlaubniß erhalten, unsere Bowle zu leeren; also dies Glas wieder auf Ihre Gesundheit, Mr. Tyrrel, es soll Ihnen ein herzliches Willkommen im Vaterlande zurufen.«

»Ich danke, Mr. Touchwood, und weihe Ihnen gleiche Wünsche, die sich, wie ich aufrichtig hoffe, einer bei weitem größeren Wahrscheinlichkeit der Erfüllung schmeicheln können. – Sie unterstützten mich, Sir, als die Niederträchtigkeit eines Bevollmächtigten, gewiß auf Veranlassung eines eben so thätigen als wachsamen Feindes, mich auf einige Zeit in Geldverlegenheit setzte. – Um mich mindestens des zahlbaren Theils meiner Verpflichtungen zu entledigen, machte ich Rimessen an das Haus, womit Sie in Handelsverbindung standen. Aber man schickte die Papiere zurück, weil Sie, wie man angab, Smyrna verlassen hätten.«

»Sehr wahr – ganz richtig! – Smyrna habe ich verlassen und bin hier in Schottland. – Was die Wechsel anbetrifft, davon sprechen wir ein Andermal – bin Ihnen ja ohnehin Etwas schuldig, daß Sie mich aus dem Kanal herauszogen!«

»Deshalb werde ich Ihnen keinen Abzug machen,« entgegnete Tyrrel trüb lächelnd, »und ich bitte Sie, mich nicht falsch zu verstehen. Die Verlegenheiten, in welchen Sie mich zu Smyrna sahen, waren ganz vorübergehend. – Ich bin vollkommen willig und fähig meine Schuld abzutragen, und erlauben Sie mir hinzuzusetzen, daß ich es eben so sehr wünsche.«

»Zu einer andern Zeit – ein anderes Mal – wir haben noch Zeit genug dazu, Mr. Tyrrel – überdem zu Smyrna, da sprachen Sie von einem Prozeß – die Justiz verzehrt gern das Geld, Mr. Tyrrel – kein Advokat leidet, daß zu viel in der Börse bleibt.«

»Ich bin vollkommen zu den Kosten meines Prozesses eingerichtet.«

»Aber haben Sie tüchtigen Rath gefunden? – Haben Sie wirklich guten Rath erhalten? – Beantworten Sie mir die Frage nur.«

»Ich habe mich mit meinen Rechtsfreunden berathen,« entgegnete Tyrrel, innerlich unzufrieden, zu sehen, daß sein Freund die frühere Großmuth zum Vorwande benutzte, tiefer in seine Angelegenheiten zu dringen, als er es geziemend oder höflich fand.

»Mit Ihren rechtsgelehrten Advokaten, mein guter Junge? – Ei, Sie sollten sich viel lieber mit irgend einem gereiften Manne, der Welt und Menschen kennt, berathen; – so Einem, der zweimal so lange lebte, als Sie, und vielleicht sich sogar nach einem jungen Burschen umsieht, dem er ein wenig Gutes erzeigen kann – Einem, der bereit sein möchte, Ihnen weiter zu helfen, als ich es jetzt vorauszusehen vermag –; denn sehen Sie, von Ihren Rechtsgelehrten da erhalten Sie nur akkurat Ihres Geldes Werth zurück, nicht einmal so viel, wie der Bäcker in den Kauf gibt, dreizehn für's Dutzend.«

»Ich glaube, ich brauchte den Freund, welchen Sie eben schilderten, nicht sehr fern zu suchen,« entgegnete Tyrrel, der nicht den Schein annehmen konnte, als verstände er des alten Herrn Absicht nicht, »wenn ich mich in der Nähe Mr. Peregrine Touchwoods befinde; die Wahrheit ist aber, daß meine Angelegenheiten jetzt so eng mit denen anderer Personen verwebt sind, deren Geheimnisse zu enthüllen ich kein Recht habe, daß ich mich des Vortheils begeben muß, Sie oder irgend einen andern Freund zu Rathe zu ziehen. Sehr möglich ist's, daß ich mich bald gezwungen sehe, dieser Zurückhaltung zu entsagen, um mich vor der ganzen Welt zu rechtfertigen. Gewiß werde ich, wann dieser Zeitpunkt erscheint, nicht verfehlen, mich ganz zuerst vertraulich mit Ihnen zu berathen.«

»Das ist recht – vertraulich – das ist das wahre Wort – Niemand hat es je bereut, der mich zum Vertrauten erwählte. – Ueberlegen Sie nur, was der Pascha alles hätte bewirken können, wenn er meinem Rathe gefolgt, und durch die Landenge von Suez hervorgebrochen wäre! – Türken und Christen, Männer von allen Gegenden und Sprachen pflegten den Rath des alten Touchwood einzuholen, sei es über den Bau einer Moschee bis zu dem richtigen Stand der Agio hin. – Doch nun kommt; gute Nacht – gute Nacht!«

Damit zündete er sein Nachtlicht an, und eine der Kerzen, die auf dem Tische standen, auslöschend, winkte er Tyrrel zu, ebenfalls die ihm von Mistreß Dods übertragene Pflicht mit gleicher Pünktlichkeit zu erfüllen, worauf sich Beide mit sehr verschiedenen Meinungen von einander nach ihren Gemächern begaben.

»Ein lästiger, fragsüchtiger, alter Mann!« dachte Tyrrel. »Ich erinnere mich, daß er kaum der Bastonade zu Smyrna entging, weil er dem türkischen Kadi seinen Rath aufdringen wollte – und doch geben ihm die großen Verbindlichkeiten, die ich ihm schuldig bin, eine Art von Recht, mich zu langweilen. – Gut, ich muß seiner kecken Zudringlichkeit, so gut ich es vermag, ausweichen.«

»Ein scheuer Vogel, dieser Frank Tyrrel,« dachte der Reisende; – »ein echter Schlaukopf! – Aber es thut nichts – ich will ihn ausspüren, wollte er mir auch in die Kreuz und Quer springen, wie der listige Fuchs. – Ich bin entschlossen, seine Angelegenheiten zu den Meinigen zu machen, und wenn ich ihn nicht durchbringen kann, so weiß ich nicht, wem es gelingen sollte.«

Mit diesem menschenfreundlichen Entschlusse warf sich Mr. Touchwood in's Bette, welches glücklicherweise sich genau in dem rechten Verhältniß senkrecht neigte, und bereitete sich voll hoher Selbstzufriedenheit zum sanften Schlummer.



 << zurück weiter >>