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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Aufklärung.

– – Mit deiner Erlaubniß, zarter Spiegel!

Shakspeare.

In der Vorhalle zu Shaw-Castle traf der Graf von Etherington mit Mowbray zusammen, der von seiner fruchtlosen Jagd nach dem Ueberbringer des anonymen Briefes zurückkehrte, und nun so eben erfuhr, daß der Graf sich bei seiner Schwester befand. Eine Art von Verwirrung erfüllte Beide, als sie sich sahen, denn Mowbray hatte den Inhalt jenes Briefes im frischen Andenken, und trotz aller Kälte, die er zu behaupten gewußt, hatte der Graf nicht ohne einige Erschütterung die Scene mit Clara überstanden. Mowbray fragte den Grafen, ob er seine Schwester gesehen habe, und lud ihn zugleich ein, mit ihm nach dem Wohnzimmer zurückzukehren; aber Se. Herrlichkeit erwiederten so gleichgiltig, als er es nur vermochte, daß er die Ehre gehabt habe, Miß Mowbray mehrere Minuten zu sprechen, und nicht noch weiter ihre Geduld mißbrauchen wollte.

»Ich hoffe, Sie haben einen Empfang gefunden, wie Sie ihn sich wünschten?« sagte Mowbray; »und Clara hat, wie es sich gebührt, während meiner Abwesenheit hier die Wirthin gemacht?«

»Miß Mowbray schien ein wenig erschreckt über meine plötzliche Erscheinung; der Bediente führte mich fast jäh zu ihr ein, und bei einem ersten Zusammensein in einer Lage, wie die unsrige, gibt es immer so manche Verlegenheiten, wenn kein Dritter dabei ist, einigermaßen die Pflicht eines Ceremonienmeisters auszuüben. – Nach den Blicken des Fräuleins zu urtheilen, vermuthe ich, daß Sie mein Geheimniß nicht ganz bewahrt haben. Auch ich fühlte mich etwas befangen, indem ich mich Miß Mowbray nahte – aber nun ist es vorüber; und da das Eis glücklich gebrochen ist, so hoffe ich mehr und mehr die Vortheile, welche mir die eben gemachte Bekanntschaft Ihrer Schwester gewährt, günstig zu benutzen.«

»So möge es sein,« sagte Mowbray, »doch da Sie die Absicht haben, das Schloß sogleich zu verlassen, so muß ich noch zuvor ein kleines Wörtchen mit Ew. Herrlichkeit sprechen, wozu dieser Ort eben nicht vorzüglich geeignet ist.«

»Dagegen kann ich unmöglich eine Einwendung haben,« entgegnete der Graf, und folgte ihm, von einem Schauder des bösen Bewußtseins durchbebt, etwa wie eine Kreuzspinne, wenn sie ihr trügerisches Netz bedroht sieht, in dem Mittelpunkt lauernd sitzt, jeden angreifbaren Ort ängstlich bewachend, ungewiß, welcher zuerst einer Vertheidigung bedürfen könnte. Dies ist ein Theil, und zwar nicht der unbedeutendste der heimlichen Qualen, die stets an dem Innern derjenigen nagen, welche, den rechtlichen Weg verlassend, ihre Pläne durch Betrug und Ränke auszuführen streben.

»Mylord,« sagte Mowbray, als sie in ein kleines Zimmer traten, wo er seine Flinten, Fischergeräth und andere zu jeder Art von Jagd dienenden Dinge aufbewahrte, »Sie haben offen und rechtlich gegen mich Ihr Spiel durchgeführt, ja was noch mehr ist – ich bin sogar verpflichtet, es einzuräumen, daß Sie mir große Vortheile zugestanden haben. Ich bin deßhalb gebunden, keine Verunglimpfung des Charakters Ew. Herrlichkeit zu dulden, ohne sie Ihnen unmittelbar mitzutheilen. Hier diesen anonymen Brief empfing ich so eben. Vielleicht kennen Ew. Herrlichkeit die Hand, und sind so im Stande, den Schreiber zu entdecken.«

Sobald der Graf das Blatt betrachtete, welches ihm Mowbray reichte, entgegnete er: »Wohl kenne ich diese Hand, und erlauben Sie mir hinzuzusetzen, es ist die einzige, welche es je hätte wagen mögen, mich zu verleumden. Ich hoffe, Mr. Mowbray, es ist durchaus unmöglich, daß Sie dieser schändlichen Beschuldigung einen Augenblick Glauben schenken können?«

»Daß ich dies Blatt Ew. Herrlichkeit übergab, ist der beste Beweis, wie ich es achte, Mylord, um so mehr, da ich zugleich nicht zweifle, es stehe ganz in Ew. Herrlichkeit Macht, diese Verleumdung durch die klarsten Gegenbeweise gänzlich zu vernichten.«

»Ohne Frage vermag ich es, Mr. Mowbray,« sagte der Graf; »denn außerdem, daß ich im vollen Besitz der Güter und des Titels meines Vaters, des letzten Grafen von Etherington bin, kann ich meines Vaters Ehekontrakt, meinen Taufschein und das Zeugniß der ganzen Umgegend aufbieten, meine Rechte zu beweisen. Alles dies soll im kürzesten Zeitraum hieher geschafft werden. Sie finden es hoffentlich nicht besonders, daß man solche Dokumente nicht in einer Postchaise mit sich auf Reisen nimmt?«

»Gewiß nicht, Mylord. Es reicht hin, daß man sie herbeischaffen kann, wenn man ihrer bedarf. – Aber Mylord, darf ich fragen, wer der Schreiber dieser Zeilen ist, und welche sonderbare Grille oder welcher persönliche Unmuth ihn zu einer so unverschämten Behauptung, die so leicht zu widerlegen ist, veranlassen kann?«

Der Graf entgegnete: »Er ist oder hat mindestens den Ruf, ich bedaure es sagen zu müssen, ein Verwandter – ein sehr naher Verwandter von mir zu sein – und ist in der That mein Stiefbruder väterlicher Seite, jedoch außer der Ehe gezeugt. – Mein Vater liebte ihn zärtlich – auch mir war er sehr werth, denn er hat ungewöhnlich große Fähigkeiten, und wird als höchst vollkommen gebildet anerkannt. Aber sein Geist ist nicht immer vollkommen klar und geordnet, eine gewisse Wunderlichkeit, Seltsamkeit – kurz eine Art von Wahnsinn, der auf ungewöhnliche Weise ausbricht, machen den armen jungen Menschen zur Beute thörichter Einbildungen von seiner Würde und Hoheit, wie es so oft die Wirkung einer Gemüthskrankheit ist, und flößten ihm zugleich den heftigsten Widerwillen gegen alle seine Verwandten, insbesondere gegen mich ein. In der Unterhaltung sowohl als im Betragen hat er ein höchst gewinnendes Benehmen, sodaß Viele die Unregelmäßigkeiten seines Wandels vielmehr seiner Bösartigkeit, als dem Wahnsinn zuschreiben; aber ich glaube, Verzeihung gebührt mir, wenn ich ein milderes Urtheil über Jemand fälle, den man für meines Vaters Sohn hält. Wirklich, ich kann nicht umhin, den armen Frank innig zu bedauern, der in der Welt eine höchst ausgezeichnete Rolle hätte spielen können.«

»Darf ich mir den Namen des jungen Mannes ausbitten, Mylord?« fragte Mowbray.

»Meines Vaters nachsichtsvolle Liebe ertheilte ihm unsern Familien-Namen Tyrrel, und seinen eignen Tauf-Namen Francis; aber sein eigentlicher Name, zu welchem er allein ein Recht hat, ist Martigny.«

»Francis Tyrrel!« rief Mowbray aus. »Ei, das ist ja der Name eben jenes Menschen, der einige Unruhe auf dem Gesundbrunnen veranlaßt hatte, kurz zuvor, ehe Sie dort eintrafen. – Sie haben vielleicht eine Anzeige gelesen, eine Art von Bekanntmachung –«

»Das habe ich, Mr. Mowbray. Verschonen Sie mich, was diesen Punkt anbetrifft. – Eben darin liegt der Hauptgrund, daß ich nicht schon meiner Verhältnisse mit dem Unglücklichen erwähnte; aber es ist eben nichts Ungewöhnliches für Leute, deren Einbildungskraft überreizt ist, daß sie sich unbesonnen in Händel stürzen, und sich ihnen nachher auf unwürdige Art zu entziehen trachten.«

»Oder er kann vielleicht auch bei alle dem abgehalten worden sein, den zum Zweikampf festgesetzten Ort zu erreichen. – War es nicht derselbe Tag, an welchem Ew. Herrlichkeit verwundet wurden? – Und wenn ich damals recht verstanden habe, auch Sie trafen den Mann, der Ihnen jene Kugel sandte?«

»Mowbray,« sagte der Graf, die Stimme senkend und ihn beim Arm ergreifend, »wahr ist's, ich that es – und bin jetzt wahrlich sehr froh zu erfahren, daß, was auch damals die Folgen jenes Ereignisses waren, sie doch nicht zu ernst sein können. – Späterhin ergriff mich der Gedanke, daß der Mann, der mich so höchst seltsam überfiel, einige Aehnlichkeit mit dem unglücklichen Tyrrel hatte – aber seit mehrern Jahren sah ich ihn nicht. – In jedem Falle kann er nicht schwer verwundet worden sein, da er nun schon fähig ist, wieder neue Ränke zu meinem Nachtheil zu ersinnen.«

»Ew. Herrlichkeit behaupten einen sehr festen Blick bei den sonderbarsten Ereignissen!« sagte Mowbray. »Mehr kaltblütige Festigkeit, als nach meiner Meinung den meisten Menschen bei dem Gedanken einer so höchst widerwärtigen und gefährlichen Möglichkeit eigen sein möchte.«

»Ei nun, ich bin erstlich nicht einmal ganz unwiderleglich überzeugt, daß diese Gefahr in der That Statt fand,« erwiederte der Graf; »denn wie ich Ihnen schon oft sagte, ich konnte den Straßenräuber nur sehr flüchtig in's Auge fassen; und zweitens, ich bin sicher, daß keine bösen Folgen daraus entstanden sind. Ich bin ein zu erfahrener Jäger, um mich über einen Sprung zu entsetzen, nachdem er gelungen ist, wie man von dem Burschen erzählt, der am Morgen in Ohnmacht sank, als er den Abgrund betrachtete, über welchen er am Abend zuvor trunkenen Muthes wegsetzte. Der Mann, welcher diesen Brief schrieb,« ihn mit dem Finger berührend, »lebt und vermag mir zu drohen. Ist ihm von meiner Hand ein Leid widerfahren, so war es, als er selbst nach meinem Leben strebte, eine That, von welcher ich das Zeichen mit in's Grab nehmen werde.«

»Ich bin weit entfernt, Ew. Herrlichkeit Selbstvertheidigung zu tadeln; aber es hätte sich Alles doch höchst unangenehm gestalten können. – Darf ich fragen, was Sie mit dem unglücklichen jungen Manne, der doch höchst wahrscheinlich in der Nachbarschaft ist, zu thun gedenken?«

»Zuerst muß ich seinen Zufluchtsort entdecken, und dann sehen, was sich am besten sowohl für des Armen Wohl, als für das meinige eignet. Es ist überdem auch möglich, daß er Betrügern in die Hände fällt, die ihn seines Vermögens zu berauben suchen, welches, wie ich Ihnen versichern kann, bedeutend genug ist, diese Gattung Menschen anzulocken, die, indem sie ihm in Allem willfahren, seinen Untergang bezwecken. – Darf ich Sie bitten, ebenfalls recht achtsam zu sein, und es mich wissen zu lassen, wenn Sie etwas Mehreres von ihm hören oder sehen?«

»Das soll ganz bestimmt geschehen, Mylord,« entgegnete Mowbray; »doch der einzige Aufenthaltsort, den ich kenne, ist die alte Schenke zur Teufelsfalle, die er sich zum Wohnorte erwählt hatte. Jetzt ist er zwar dort nicht mehr zu finden, aber vielleicht mag das alte widerwärtige Geschöpf von Gastwirthin Etwas von ihm wissen.«

»Ich werde nicht unterlassen, mich dort zu erkundigen,« sagte Lord Etherington, und freundlich nach diesen Worten Abschied nehmend, bestieg er sein Pferd und sprengte die Allee hinab.

»Ein kaltblütiger Bursche!« sagte Mowbray, indem er ihm nachsah. »Ein verflucht kaltblütiger Bursche, dieser mein künftiger Herr Schwager! – Brennt auf seines Vaters Sohn mit so wenig Gewissensbissen die Pistole ab, als wäre es ein schwarzer Hahn – was würde er nicht gegen mich wagen, wenn wir in Händel geriethen? – Gut, gut, auch ich verstehe es, das As in der Karte zu treffen, und das Licht mit der Pistole zu putzen; so also, wenn das Ding eine schlechte Wendung nähme, er hat es nicht mit einem Jack Raw Raw = unreif., sondern mit Jack Mowbray zu thun.«

Während dieser Zeit kehrte der Graf von Etherington in möglichster Eile nach seinem Zimmer auf dem Gesundbrunnen zurück; hier begann er, eben nicht ganz vollkommen wohl mit den Ereignissen des Tags zufrieden, folgenden Brief an seinen Correspondenten, Agenten und Vertrauten, Hauptmann Jekyl, den wir glücklicherweise im Stande sind unsern Lesern vorzulegen.

 

»Freund Heinrich!

»Man sagt, am leichtesten kann man den drohenden Einsturz eines Hauses daran erkennen, wenn es die Ratzen verlassen – den Fall eines Staates, wenn ihn seine Verbündeten aufgeben – den Untergang eines Mannes, wenn seine Freunde ihm untreu werden. – Ist dies Wahrzeichen richtig, so könnte dein letzter Brief als eine böse Vorbedeutung meines nahen Falles angesehen werden. Ich dächte, du hättest dich tief genug mit mir eingelassen, und Antheil genug an meinem Thun gehabt, um einiges Vertrauen in mein Savoir faire – und so einen kleinen Glauben sowohl an meine Macht, als an die Art, wie ich sie zu gebrauchen verstehe, setzen zu können. Welch' ein verkehrter, böser Geist hat dir plötzlich all' das Zeug eingeflößt, welches du mir wahrscheinlich für Gewissenszweifel und Vorsichtsmaßregeln ausgeben willst, ich aber nur als Zeichen der Furcht und erlöschenden Freundschaft erkenne? ›Du könntest dir keine Vorstellung von der Möglichkeit eines Duells zwischen so nahen Verwandten machen – die Geschichte schiene überhaupt sehr verwickelter, wunderlicher Art – niemals wäre überdem diese Angelegenheit dir ganz deutlich geworden – und endlich – wenn man von dir erwarte, daß du einen thätigen Antheil an der ganzen Sache nehmen solltest, müßtest du zuvor mit einem willkommnen, unbeschränkten Vertrauen beehrt werden, wie könntest du sonst den Nutzen gewähren, den ich von dir erwarte?‹ So lauten deine zierlichen Reden. – Was nun deine Gewissensscrupel über die Händel mit nahen Verwandten anbetrifft, so ist der Punkt ohne vielen Nachtheil schon vorüber gegangen, und es ist gewiß nicht wahrscheinlich, daß sich etwas Aehnliches sobald wieder ereignen sollte – überdem, hast du sonst noch niemals von einem Streite zwischen Verwandten gehört? – Steht es ihnen nicht frei, wenn ein Fall eintritt, der solche Maßregeln erfordert, ebenfalls die Vorrechte eines Edelmanns in Anspruch zu nehmen? Woher weiß ich es denn so gewiß, daß der verwünschte Bursche wirklich mein Verwandter ist? – Man sagt, es muß ein gar kluges Kind sein, welches seinen eignen Vater kennt, und Niemand kann erwarten, daß ich klug genug sein soll, mit Gewißheit meines Vaters Sohn als solchen zu erkennen! – Das genüge dir in Hinsicht der verwandtschaftlichen Bande! – Nun also zu dem vollkommenen, unbeschränkten Vertrauen – Ei, Heinrich, das ist gerade so, als ersuchte ich dich nach der Uhr zu sehen, um mir zu sagen, was die Glocke sei, und du wolltest mir erwiedern, daß du mich nicht ganz zuversichtlich davon benachrichtigen könntest, weil du die Springfedern, die Räder, das Gegengewicht, kurz das ganze Triebwerk des kleinen Zeitmessers nicht untersucht hättest. – Wenn man aber dies Alles im gehörigen Lichte betrachtet, so heißt es: Heinrich Jekyl, der so schlau ist, wie nur irgend ein Anderer sein kann, denkt, sein Freund Lord Etherington sei jetzt ohne Rettung in seine Hand gegeben, und des edlen Lords Geschichte sei ihm mindestens so weit bekannt, daß er Se. Herrlichkeit zwingen könne, ihm das Ganze mitzutheilen. Vielleicht schließt er auch eben nicht unvorsichtigerweise, daß der Besitz eines ganzen Geheimnisses ihm ruhmvoller und wahrscheinlich einträglicher sein möchte, als eines halben, und kurz – er ist entschlossen, das Spiel in seiner Hand so vortheilhaft als möglich für sich zu wenden. Sieh nun, mein ehrlicher Heinrich, ein Anderer würde sich die Mühe geben, dir vergangene Zeiten und Ereignisse zurückzurufen, und die ergebene Bemerkung hinzufügen, daß wenn Heinrich Jekyl jetzt aufgefordert würde, dem oben erwähnten edlen Lord einige Dienste zu leisten, eben dieser Heinrich den Lohn schon im Voraus in seine Tasche steckte. – Aber solche Folgerungen ziehe ich nicht, weil ich lieber mit einem Freunde verbunden sein mag, der mir in der Aussicht auf künftige Vortheile beisteht, als in Vergeltung derer, die er schon durch mich erhalten hatte. Der erste gleicht der Witterung des Fuchses, die, wenn er auf das Aeußerste gebracht wird, sich immer mehr verstärkt; der andere ist eine Art falscher Spur, die, je länger man sie verfolgt, immer kälter wird, bis es endlich unmöglich ist, sie überhaupt noch zu entwirren. Ich will mich also in die Umstände fügen, und dir die ganze, obwohl etwas langweilige Geschichte mittheilen, hoffend, daß ich dich am Schlusse auf einen Standpunkt führen werde, wo alle deine zarten Sorgen verschwinden und du wieder aus freier Brust Athem schöpfen kannst.

»Folgendermaßen also hängt es zusammen: – Francis, der fünfte Graf von Etherington, mein sehr hochgeehrter Vater, war, was man einen sehr ungewöhnlichen, etwas überspannten Mann zu nennen pflegt – nämlich er war weder ein ganzer Weiser, noch ein ganzer Narr – besaß zu viel Verstand, sich in einen Brunnen zu stürzen, und doch habe ich ihn in einigen wilden Ausbrüchen der Wuth, die ihn zuweilen heimzusuchen kamen, ziemlich bereit gesehen, alle Andere hinein zu schleudern. – Die Leute sagten, ein versteckter Wahnsinn sei mit im Spiele, – doch das ist ein unheimlich Ding, und ich mag nicht länger dabei verweilen. – Dieser etwas gestörte Pair war aber in anderer Hinsicht ein vollendet schöner Mann, mit einem zwar stolzen, aber ausgezeichnet einnehmenden Wesen, wenn er dies anzunehmen für gut fand – kurz ein Mann, der viel Glück bei dem schönen Geschlechte machte.

»Lord Etherington, wie ich ihn dir hier geschildert habe, schloß auf seinen Reisen in Frankreich ein Herzensbündniß – ja einige haben sogar behauptet, auch die Hände wären zusammengefügt worden – mit einer schönen Waise, Marie von Martigny. Dieser Vereinigung entsprang, so sagt man (denn ich bin entschlossen, nie die Gewißheit dieses Punktes anzuerkennen) die so höchst unbequeme Person, Francis Tyrrel, wie er sich selbst nennt, Francis Martigny, wie ich ihn viel lieber heißen möchte, da der letzte Name meinen Ansichten eben so entspricht, wie der erste mit seinen Prätentionen übereinstimmt. Denn ich bin ein viel zu guter Sohn, die Rechtmäßigkeit jener von meinem sehr ehrenwerthen und höchst vortrefflichen Vater geschloßnen Ehe anzuerkennen, weil eben dieser besagte ehrenwerthe und vortreffliche Herr, bei seiner Rückkehr nach England, im Angesicht der Kirche mit meiner sehr geliebten und reich ausgestatteten Mutter, Anne Bulmer von Bulmer-Hall, sich vermählte; aus welcher glücklichen Verbindung ich entsprang, Valentin Bulmer, der eben so gesetzmäßige Erbe der vereinten Besitzungen meiner Eltern, als der stolze Aufrechthalter ihrer alten Titel und Würden. Aber das edle und reiche Ehepaar, obwohl es durch ein solches Liebespfand, als meine vortreffliche Person, gesegnet ward, lebte gewaltig unglücklich zusammen, und noch mehr wuchs ihre Uneinigkeit, als mein Vater, nach jenem unglücklichen ältern Francis Tyrrel sendend, trotz der Schicklichkeit darauf bestand, daß er in seinem Hause wohnen und in jeder Hinsicht die Vortheile einer Erziehung theilen solle, durch welche der wahrhafte Sohn in so ungewöhnlichem Grade ausgebildet worden sei.

»Häufige, mannigfache Ehezwiste entsprangen zwischen dem verehrten Pair und seiner Gattin aus dieser unziemlichen Vereinigung des Aechten und Unächten; und wir, die Gegenstände des Streites, waren zuweilen eben so passend als anständig Zeugen derselben. Bei einer solchen Gelegenheit fand meine höchst zu verehrende Mutter, die eine gar freimüthige Dame war, die Ausdrücke ihres Standes unzulänglich, ihr kräftiges Empfinden auszusprechen, und von der gemeinern Volkssprache zwei nachdrückliche Worte entlehnend, wandte sie dieselben auf Marie von Martigny und ihren Sohn, Francis Tyrrel, an. Nie gerieth ein mit der Grafenkrone geschmücktes Haupt in eine größere, ungezähmtere Wuth, als mein höchst zu verehrender Herr Vater, und in der feurigen Gluth seiner Gegenrede eignete er sich die ausdrucksvollen Wortfügungen meiner Mutter ebenfalls an, sie zu benachrichtigen, daß wenn es eine Metze und einen Bastard in seinem Hause gäbe, ihr selbst und ihrer Brut diese Benennung gebühre.

»Selbst damals war ich schon schlau genug, um über alle Begriffe von diesem Ausspruche, der in einem Augenblicke ungezügelter Erbitterung meinem Vater entwischte, erschüttert zu werden. Zwar suchte er ihn sogleich wieder zu entkräften, sich wahrscheinlich an das übellautende Wort Bigamie erinnernd, wie meine Mutter ihres Theils die Unannehmlichkeit überlegte, statt Gräfin von Etherington so ein Ding von Mistreß Bulmer, die nicht Gattin, nicht Mädchen ist, zu werden. So fand zwischen Beiden eine Art von Versöhnung statt, die einige Zeit vorhielt. Aber tief blieb jene Rede meinem Gedächtniß eingeprägt; um so mehr, als, da ich einst über meinen Freund Francis Tyrrel die Rechte eines rechtmäßigen Sohnes und Lords von Oakendale in Kraft setzen wollte, der alte Cecil, meines Vaters vertrauter Diener, darüber so empört ward, daß er nicht umhin konnte, anzudeuten, wir möchten vielleicht einst unser Verhältniß gegenseitig umtauschen. Diese beiden zufälligen Mittheilungen schienen mir der Schlüssel zu gewissen langen Vorlesungen zu sein, mit welchen mein Vater uns Beide, und mich insbesondere zu ergötzen pflegte – über die große Wandelbarkeit der menschlichen Dinge – die Täuschung der bestgegründetsten Hoffnungen und Erwartungen – die Nothwendigkeit, sich jede Art von Kenntnissen anzueignen, die, wenn ein solcher Fall einträte, Rang und Vermögen ersetzen könnten; – als ob irgend eine Kunst oder Wissenschaft für den Verlust einer Grafenkrone und zwölftausend Pfund jährlich Ersatz zu bieten vermöchte. Alle diese Redensarten schienen meinem besorgten Geiste die Absicht zu haben, mich zu irgend einem unglücklichen Wechsel vorzubereiten; und als ich alt genug war, alle Nachforschungen anzustellen, die in meiner Macht lagen, ward ich immer mehr überzeugt, daß mein höchst zu verehrender Vater einige Gedanken hegte, Marie von Martigny zu einer rechtmäßigen Gemahlin, und Francis zu einem ehelichen Erstgebornen bei seinem Tode, wenn nicht gar schon bei seinem Leben zu erheben. Noch mehr ward mir diese Meinung gewiß, als eine kleine Geschichte, in welche ich mich mit der Tochter meines Lehrers einließ, meines Vaters Wuth unbegränzter Weise auf mich herabrief, und meine Verbannung mit meinem Bruder nach Schottland mit einem höchst geringen Einkommen veranlaßte, ohne weitere Empfehlungen an irgend Jemand, als an einen alten trocknen Professor, mit dem strengen Verbot, mich des Namens Lord Oakendale zu bedienen, sondern mich mit dem Titel meines mütterlichen Großvaters, Valentin Bulmer, zu begnügen, da die Bennung Francis Tyrrel schon einem Andern ertheilt sei.

Bei dieser Gelegenheit unterstand ich mich, trotz der Furcht, die ich vor meinem Vater hatte, zu erwiedern, da ich meinem Titel entsagen sollte, so glaubte ich ein Recht zu haben, den Familien-Namen zu führen, und mein Bruder möge den seiner Mutter annehmen. Ich wünschte, du hättest den wüthenden Blick gesehen, mit welchem mein Vater mich betrachtete, als ich ihm diesen geistvollen Wink gab. »Du bist –« sagte er, und hielt inne, als suche er den bittersten Ausdruck, die Lücke zu füllen. – »Du bist deiner Mutter Kind, und ihr getreues Ebenbild.« – (Dies schien ihm der stärkste Vorwurf, den er ertheilen konnte). »Trage also ihren Namen, und trage ihn mit Verschwiegenheit und Geduld; oder, hierauf gebe ich dir mein Wort, nie, in deinem ganzen Leben nie, sollst du einen andern führen!« – Dies versiegelte mir kräftiglich den Mund. In Beziehung auf meine Liebeleien ließ er sich weitläufig über die Thorheit und Strafbarkeit heimlicher Heirathen aus, und warnte mich, daß in dem Lande, wohin er uns sende, die Schlinge des ehelichen Bandes sich schlau unter Blumen verberge, und man oft, wenn man es am wenigsten erwarte, sich mit diesem Halsschmuck geziert fände. Er versicherte mir, er habe ganz besondere Absichten mit mir und Francis, unsere künftigen Lebensverhältnisse betreffend, und würde es demjenigen von uns nie verzeihen, der durch solche übereilte Verbindung seine Pläne zerstören könnte.

»Diese letzte Ermahnung war die leidlichste, da mein Nebenbuhler sie mit mir theilte. So wurden wir denn nach Schottland gesendet, wie zwei in einem Hundekarren zusammengekoppelte Wachtelhunde, und – ich kann mindestens für den Einen gut sagen – mit fast gleich unfreundlichen Gesinnungen gegen einander. Oft zwar habe ich wirklich Francis mit einem sonderbaren Ausdruck von Mitleiden und Sorge mich betrachten sehen; auch schien er einige Male im Begriff, über unsere gegenseitige Lage eine offene Erklärung veranlassen zu wollen; aber ich empfand nicht die geringste Lust, sein Vertrauen aufzumuntern. Da wir indessen durch die vorsichtige Maßregel unsers Vaters nicht Brüder, sondern Vettern genannt wurden, so vereinten endlich die Bande der Gewohnheit uns als Gefährten, aber kaum als Freunde. Was Francis empfand, weiß ich nicht; ich meines Theils lauerte auf eine Gelegenheit, mein Verhältniß mit meinem Vater zu verbessern, sei es auch auf Kosten meines Nebenbuhlers. Und als Fortuna mir ein solches Mittel endlich darzubieten schien, verwickelte sie uns Beide in das sonderbarste und verworrenste Labyrinth, das diese launenhafte Göttin je erschuf, dem ich eben jetzt mich zu entreißen, sei es durch List oder Gewalt, mit aller Anstrengung strebe. Selbst noch heute erstaune ich über das höchst wunderliche Zusammentreffen, welches eine so verwickelte und verworrene Begebenheit veranlaßte.

»Mein Vater war ein großer Jäger, und Francis so wie ich selbst hingen ebenfalls dieser Neigung nur noch ausschweifender und eifriger nach. Edinburg, welches im Frühjahre und Winter ein recht lieblicher Ort ist, wird im Sommer unangenehm, im Herbst der unerträglichste Aufenthalt, zu welchem arme Sterbliche je verdammt wurden. – Kein allgemeiner Vergnügungsort wird geöffnet; kein irgend bedeutender Bewohner bleibt in der Stadt; die, welche an die Stadt gebunden sind, verstecken sich in unzugängliche Winkel, als schämten sie sich, auf der Straße gesehen zu werden – die Edelleute eilen auf ihre Güter – die Bürger nach den Seebädern – die Rechtsgelehrten nach dem Kreise ihrer Gerichtspflege – die Advokaten zu ihren Clienten – und alle Welt auf die Moorhaiden, Haselhühner zu schießen. Wir, die wir ebenfalls die tiefste Scham empfanden, während dieser verödeten Jahreszeit in der Stadt zu bleiben, erhielten endlich mit einiger Schwierigkeit die Erlaubniß des Grafen, uns in irgend einem unbekannten Winkel zu verstecken, um Vogelwildpret zu schießen, wenn wir unter unserer allgemeinen Firma als englische Studenten von der Universität zu Edinburg, ohne sonst etwas von unsern Verhältnissen zu verrathen, die Erlaubniß dazu erhalten könnten.

»Im ersten Jahre unserer Verbannung zogen wir in die Nachbarschaft des Hochlandes; doch da dort Hegereuter und ihres Gleichen unsere Jagdlust störten, siedelten wir uns im zweiten Jahre in dem kleinen Dörfchen St. Ronans an, wo es damals weder Gesundbrunnen, noch vornehme Leute, weder Karten-Tische noch Plapperschwestern gab, die alte Plapperliese von Gastwirthin ausgenommen, bei welcher wir wohnten. Der Ort sagte uns ganz vorzüglich zu; die alte Dame hatte Einfluß auf irgend eine Art von Anwalt eines abwesenden Edelmanns, der uns die Erlaubniß gab, die Jagd auf dessen Moorhaiden zu benutzen, welches ich mit größestem Eifer, Francis aber gemäßigter betrieb. Er war immer ernsterer, nachdenkender Gemüthsart, und zog oft einsame Spaziergänge in der wilden schönen Umgegend den Freuden der Jagd vor. Ueberdem trieb er die Fischerei mit großem Eifer, diese schwerfälligste aller menschlichen Vergnügungen, und so waren wir viel und oft getrennt. Mir war dies eher lieb, als leid – nicht daß ich damals Francis gehaßt hätte; nicht daß mir seine Gesellschaft sehr mißfallen konnte; blos weil es mir zuwider war, stets mit Jemand zusammen zu sein, dessen Ansprüche einst den Meinigen feindlich entgegen treten konnten. Auch war mir die Gleichgiltigkeit verächtlich, die ihn immer mehr gegen die Freuden der Jagd zu erfüllen schien; aber der junge Herr hatte einen viel besseren Geschmack, als ich erwartete. – Wenn er den Haselhühnern auf den Bergen nicht auflauerte, so hatte er einen Fasan in den Wäldern erwischt.

»Clara Mowbray, die Tochter des Herrn des mehr romantischen als einträglichen Besitzthums von St. Ronans, war damals kaum sechszehn Jahre alt und die schönste, wildeste Nymphe des Waldes, welche die Einbildungskraft sich erschaffen kann – das einfachste Kind in allen Dingen, welche Bezug auf das Treiben dieses Lebens hatten, doch scharfsinnig wie die feinste Nadelspitze in jedes Wissen eingedrungen, welches sie sich anzueignen vermochte – Böses von Niemandem erwartend – und so lebendig heiteren Gemüths, daß sie Lust und Freude überall mit sich brachte, wo sie nur erschien. Kein Zwang engte sie ein, und nur ihren eigenen Neigungen war sie überlassen; denn ihren Vater, einen mürrischen, grämlichen alten Mann, fesselte das Podagra an seinen Armstuhl. Ihre Begleiterin, ein Mädchen von etwas geringerer Herkunft, die zu der größten Nachgiebigkeit gegen Miß Mowbray's Grillen von jeher erzogen war, diente ihr freilich zur Gesellschaft auf ihren wilden Streifereien durch die Gegend zu Pferde und zu Fuß, doch ließ sie es sich nie einfallen, ihrem Willen oder Vergnügen entgegen zu handeln.

»Die außerordentliche Einsamkeit dieser Umgebungen (zur damaligen Zeit nämlich) und die einfachen Sitten ihrer Bewohner schienen diesen Streifzügen vollkommene Sicherheit zu versprechen. Francis, der glückliche Hund, ward der Begleiter der Mädchen durch folgenden Vorfall. In der Absicht, die Familie eines ihrer vornehmsten Pächter zu überraschen, hatte Miß Mowbray sich mit ihrer Gefährtin als Bauermädchen gekleidet. Sie hatten ihren Plan ganz zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt, und kehrten nach Sonnenuntergang nach Hause zurück, als ihnen ein Bauernbursche begegnete – in seiner Art eine Gattung Heinrich Jekyls – der von einigen Gläsern Whisky angefeuert, in ihrer Verkleidung den edleren Ursprung der Mädchen nicht erkannte, und die Tochter von hundert ritterlichen Ahnen so begrüßte, wie er etwa eine Melkerin der Schäflein behandelt haben würde. – Miß Mowbray machte Vorstellungen – ihre Gefährtin schrie ängstlich auf – und siehe, Vetter Francis mit seiner Vogelflinte auf der Schulter erschien, und brachte bald den ländlichen Anbeter zur Flucht.

»Dies war der Anfang einer Bekanntschaft, die gewaltige Fortschritte gemacht hatte, ehe ich sie entdeckte. – Es scheint, die schöne Clara fand es sicherer, in Gesellschaft den Wald zu durchziehen, als ganz einsam, und mein gefühlvoller gelehrter Verwandter ward ihr steter Begleiter. Wahrscheinlich ist es, daß in ihrem Alter manche Zeit verging, ehe ihre gegenseitigen Gefühle sich klar wurden; aber die innigste Vertraulichkeit hatte schon Beide verbunden, ehe ich Kunde von ihrer Liebschaft erhielt.

»Und jetzt, Heinrich, muß ich aufhören, und dir den Schluß in einem neuen Briefe senden. Das Merkzeichen, welches ich neuerlich über dem Ellbogen erhielt, zwickt mich noch immer in den Fingerspitzen, und du mußt mein Manuscript nicht zu scharf recensiren.«



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