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Einunddreißigstes Kapitel.
Erörterung.

Den plumpen Bauer will ich nicht vermeiden,
Den unehrerbiet'gen Thor! – Die hass' ich nur,
Die mit des Argwohn's Augen mich betrachten! –

Richard III.

»Wie nun, Jekyl?« rief begierig der Graf von Etherington, »was bringst du für Neuigkeiten von dem Feinde? – Hast du ihn gesehen?« –

»Ich sah ihn!« entgegnete Jekyl.

»Und in welcher Laune fandest du ihn? – Wahrscheinlich in keiner sehr günstigen, das will ich behaupten, denn dein Blick ist so mißmuthig und niedergeschlagen, daß er leicht auf ein verlorenes Spiel deuten läßt. – Ich habe dich schon oft gewarnt, wie dein bestürzt gesenkter Blick dich verräth, wenn du auch prahlen willst. – Und dann wieder, wenn du den gesunknen Muth gern wieder auffrischen, zum bösen Spiel ein freundliches Gesicht machen möchtest, erinnern mich deine kühn sein sollenden Blicke immer an eine Fahne, welche nur bis auf die halbe Höhe des Mastes aufgewunden ward, und Trübsinn und Niedergeschlagenheit statt Sieg und trotzender Kühnheit verkündet.«

»Ich halte jetzt bloß das Spiel Ew. Herrlichkeit in Händen,« erwiederte Jekyl, »und ich will nur herzlich wünschen, daß Niemand mir in die Karten zu sehen vermöge!«

»Was willst du damit sagen?«

»Nichts weiter, als daß ich bei meiner Rückkehr durch den Wald von einem alten Plagegeist, einem sogenannten Nabob überfallen ward, der sich Touchwood nennt.«

»Ich habe einen solchen Menschenschlag hier gesehen!« sagte Lord Etherington. »Was gibt's mit ihm?«

»Nichts weiter, als daß er bei weitem mehr von Ihren Angelegenheiten zu wissen scheint, als Sie wünschen oder vermuthen möchten. Er witterte den wahren Verlauf Ihres Zusammentreffens mit Tyrrel, und was das Schlimmste ist – ich muß durchaus die Wahrheit eingestehen – er brachte es richtig so weit, mich dahin zu verleiten, seinen Argwohn einigermaßen zu bestätigen.«

Erbleichend rief Lord Etherington: »Ha! warst du toll? Das ist gerade der Rechte um die Geschichte zur Fabel des ganzen Landes zu machen! Hall, du stürzest mich in's Verderben!«

»Das hoffe ich nicht!« sagte Jekyl. »Zum Himmel hoffe ich, ich that es nicht! – Was er weiß, ist nur oberflächlich – nur daß es Händel zwischen Euch gab. – Sieh' deßhalb nicht so bestürzt aus, sonst will ich zurückeilen, dem Kerl den Hals abzuschneiden, uns seine Verschwiegenheit zu sichern.«

»Verdammte Plauderei!« rief der Graf. »Wie konntest du dich überhaupt nur mit ihm einlassen?«

»Ich kann es selbst nicht erklären,« sagte Jekyl. »Er hat eine Art sich allmählich einzudrängen, die zehnfach die der zähesten Doctoren übertrifft – sitzt fest, wie das Erz im Felsen – durchaus eine neue Auflage von dem Alten Mann vom Meere, der nach der Sage der unermüdlichste Späher gewesen sein soll.«

»Konntest du ihm nicht, wie einer Taube, den Hals umdrehen, und ihn dort liegen lassen?« fragte Lord Etherington.

»Dann hätte ich zum Lohne meiner Mühe ein Loth Blei in meinem Körper davon getragen. – Nein, nein, wir haben ohnehin Straßenräuberei-Werk genug bei dieser Geschichte. – Ich gebe dir mein Wort, der alte Kerl war so bewaffnet, als sei er sehr wohl gesonnen, die Leute in den Sand zu strecken.«

»Gut, gut! – Aber Martigny oder Tyrrel, wie du ihn nennst – was sagte er?«

»Nun, dieser Tyrrel oder Martigny, wie Ew. Herrlichkeit ihn nennen, will in keiner Art den Vorschlägen Ew. Herrlichkeit Gehör geben. Er will nicht zugeben, daß die Glückseligkeit Miß Mowbray's in die Gewalt Ew. Herrlichkeit gegeben sei; ja, seine Zustimmung ward auch selbst dadurch nicht im mindesten mehr gewonnen, als ich der augenblicklichen Trennung erwähnte, welche sogleich der Bekanntmachung oder Wiederholung der kirchlichen Ceremonie folgen könnte.«

»Und aus welchen Gründen schlägt er ein so angemessenes Uebereinkommen aus? Denkt er noch immer selbst daran, das Mädchen zu heirathen?«

»Ich glaube, er denkt, der vorliegende Fall mache dieß ganz unmöglich!« entgegnete sein Vertrauter.

»Was? will er den Hund beim Troge spielen? – Weder selbst essen, noch essen lassen? – Er soll sich sehr getäuscht finden. Sie hat mich, seit ich dich gesehen habe, Jekyl, wie einen Hund behandelt; also beim Jupiter, Sie soll mein sein, daß ich ihren Stolz brechen kann, und ihn in's innerste Leben durch den tödtlichen Schmerz, Zeuge davon zu sein, verwunde.«

»Halt, halt noch zuvor!« rief Jekyl, »vielleicht habe ich Etwas von ihm zu berichten, welches eine bessere Uebereinkunft veranlassen könnte, als Alles, was durch die feinste Quälerei zu erlangen sein möchte. Er ist bereit, das, was er Miß Mowbrays Frieden nennt, für den Preis der Entsagung seiner Ansprüche auf Ihres Vaters Rang und Vermögen zu erkaufen; und er überraschte mich sehr, Mylord, indem er mir ein Verzeichniß der Dokumente zeigte, welche, wie ich fürchte, ihm das Gelingen seines Prozesses mehr als wahrscheinlich machen, wenn solche Beweise wirklich vorhanden sind!« Lord Etherington nahm das dargebotene Papier, und schien es sehr aufmerksam zu überlesen, während Jekyl fortfuhr: »Er wird an den Bewahrer dieser Dokumente schreiben, ihre Uebersendung hieher zu fordern.«

»Wir wollen ihren Gehalt prüfen, wenn sie anlangen,« erwiederte Lord Etherington. »Sie kommen mit der Post, wie ich vermuthe?«

»Ja, und man kann sie sogar sehr bald erwarten!« erwiederte Jekyl.

»Gut – er bleibt immer, mindestens von einer Seite, mein Bruder!« sagte der Graf. »Ich würde es daher gar nicht wünschen, ihn der Strafe untergeschobener Dokumente anheim fallen zu sehen, welches, wie ich vermuthe, das Ende seiner so prahlend ausgepriesenen Beweise sein wird. – Wohl möchte ich diese berühmten Papiere sehen!« –

»Aber Mylord, Tyrrel behauptet, daß Sie dieselben gesehen haben; daß mindestens Abschriften davon entnommen wurden, welche sich sogar in Ihrem Gewahrsam befinden. – So lautet seine Versicherung.«

Lord Etherington entgegnete: »Er lügt, wenn er behauptet, daß mir das Dasein dieser Papiere bekannt ist. Die ganze Geschichte betrachte ich als bloße Windbeutelei. – Trug – eitel leerer Schaum – oder Etwas, was noch gehaltloser ist, – so wird sie sich ausweisen, wenn die Papiere erscheinen, wenn sie noch überhaupt zu Tage kommen. Das Ganze ist von Anfang bis zu Ende nichts als eine Beutelschneiderei, und ich wundere mich über dich, Jekyl, daß du nach dem Sillabub so durstig warest, daß du solche zu Schaum geschlagene Sahne, als er dir da auftischte, herunter schlucken mochtest. – Nein – nein – zu gut kenne ich die Vortheile, die ich besitze, und werde sie so zu benutzen wissen, daß ihr Herzblut fließen soll. Was die Papiere anbetrifft, da entsinne ich mich wohl, daß mein Bevollmächtigter davon sprach, man habe ihm die Abschriften einiger Manuscripte eingereicht, aber noch waren die Originale nicht erschienen; und ich wette, was man will, daß sie sich niemals zeigen werden. – Nichts als Erdichtungen. – Wüßte ich es anders, würde ich es dir nicht mittheilen?«

»Gewiß, ich hoffe, Mylord würden nicht anstehen,« erwiederte Jekyl; »denn ich sehe keine Möglichkeit sonst, in dieser Sache nützlich zu sein, wenn mir nicht die Ehre wird, das Vertrauen Mylord's ganz zu besitzen.«

»Wohl besitzest du es ganz, ganz, mein Freund!« rief Etherington, ihm die Hand schüttelnd. »Da ich nun aber deine jetzige Vermittelung als einen fehlgeschlagenen Versuch betrachten muß, so bleibt mir nichts übrig, als irgend eine andere Art zu ersinnen, diesen überlästigen Burschen zur Ruhe zu bringen.«

Noch einmal und mit größerm Nachdrucke sagte Jekyl: »Keine Gewaltthat, Mylord!«

»Keine, durchaus keine! beim Himmel! – Wie, du argwöhnischer Mensch, verlangst du einen Eid, deine Gewissenszweifel zu dämpfen? – Nein, im Gegentheil, meine Schuld soll es gewiß nicht sein, wenn wir nicht in anständige Verhältnisse kommen.«

»Es würde für Euren beiderseitigen Ruf bei weitem das Bessere sein, wenn sich das bewerkstelligen ließe,« entgegnete Jekyl, »und ist es dir Ernst mit dem Wunsche, so will ich Tyrrel darauf vorzubereiten suchen. Er kommt heute nach dem Gesundbrunnen oder in's Hotel, und es würde höchst lächerlich sein, dort eine Scene zu machen!«

»Wahr, ganz wahr, mein theurer Jekyl, geh', such' ihn auf, und mache es ihm begreiflich, wie thöricht es sein würde, unsere Familien-Zwistigkeiten zum Vergnügen der Andern zum Besten zu geben. – Sie sollen sehen, daß zwei Bären einander begegnen können, ohne sich anzufallen. Geh, geh voran – ich werde dir sogleich folgen – geh, und vergiß nicht, daß du mein volles, alleiniges Zutrauen besitzest. – Geh, du halb kluger, zagender Narr!« fuhr er fort, so wie Jekyl das Zimmer verlassen hatte, »der du eben Verstand genug besitzest, dich gewiß in's Verderben zu stürzen, indem du Hals über Kopf Dinge unternimmst, denen du nicht gewachsen bist. – Aber er hat einen guten Ruf in der Welt – ist tapfer – und gehört zu denen, deren ehrende Theilnahme eine zweifelhafte Sache im günstigen Lichte erscheinen läßt. Ueberdem ist er mein Geschöpf. – Ich habe für ihn gut gesagt und bezahlt, und es wäre thörichter Uebermuth, ihn nicht zu meinem Zwecke zu benutzen. – Was aber das Vertrauen anbetrifft – davon, mein ehrlicher Hall, ist nicht weiter die Rede – als was ganz unausweichbar nöthig ist. Bedarf ich eines Vertrauten, hier kommt Einer, der um die Hälfte brauchbarer ist. – Gewissenszweifel kennt Solmes nicht – er wird mir stets geldwerthen Eifer und Verschwiegenheit für Geld gewähren!«

Der Kammerdiener Sr. Herrlichkeit betrat so eben das Zimmer; ein ernster Mann von höflichem, bescheidenem Aeußern, schon über das Mittelalter weg, von blasser Gesichtsfarbe, mit einem finstern, tiefsinnigen Auge, leise auftretend, und wenig Worte machend, aber mit der ausschließendsten Aufmerksamkeit allen Pflichten seines Amtes nachkommend.

»Solmes!« begann der Graf, und brach dann kurz ab.

»Mylord!« – Eine Pause erfolgte; noch einmal sagte der Lord »Solmes!« sein Diener erwiederte: »Ew. Herrlichkeit!« und wieder schwiegen Beide, bis endlich der Graf, als falle ihm jetzt erst das Rechte ein, fortfuhr: »Ach, ich erinnere mich, was ich Euch fragen wollte – es betraf die Einrichtung des hiesigen Postcourses. Ich vermuthe, er ist eben nicht sehr regelmäßig?«

»Regelmäßig genug, Mylord; nämlich den hiesigen Ort anbetreffend. – Die Leute im alten Ort aber bekommen ihre Briefe nicht so ordentlich.«

»Weßhalb nicht, Solmes?«

»Das alte Weib, welches dort die kleine Schenke hat, ist in gar üblem Einverständniß mit der hiesigen Postmeisterin. – Die Eine will die Briefe nicht holen lassen, die Andere sie nicht hinauf senden; so werden sie denn oft verloren, verworfen, oder nach dem Generalpostamt zurück gesandt.«

»Ich wünschte wohl, dieß möchte bei einem Paket, welches ich in wenigen Tagen erwarte, sich nicht ereignen. – Es sollte eigentlich schon hier sein, oder kann mindestens Anfangs der Woche eintreffen. – Es kömmt von dem umständlichen Esel, dem Quäker Trueman, der mir immer unter meinem Tauf- und Familiennamen, Francis Tyrrel, schreibt. Es ist sehr möglich, daß er auch die Gasthäuser verwechselt, und es würde mir sehr unangenehm sein, wenn es in Mr. Martigny's Hände fiele. – Ich vermuthe, Ihr wißt, daß er hier in der Nachbarschaft ist, Solmes? – Achtet auf die Sicherheit des Pakets, Solmes. – Ohne Aufsehen – Ihr versteht mich. Es möchten die Leute sich sonst die wunderliche Grille machen, als forsche ich nach Briefen, die nicht mein wären.«

»Ich habe Alles vollkommen wohl verstanden, Mylord,« sagte Solmes, der, obwohl er ganz genau die eigentliche Meinung des ihm gewordenen Auftrags verstand, nicht den kleinsten Wechsel in seinen bleichen Zügen zeigte.

»Hier diese Banknote mag das Porto berichtigen,« sagte der Graf, einen Bankzettel von beträchtlichem Werthe dem Diener darreichend. »Ihr mögt das Uebrige für gelegentliche Auslagen behalten.«

Auch dieß ward ganz wohl verstanden, und Solmes, zu fein und vorsichtig, auch nur den Blick eines Vertrauten anzunehmen oder Dank zu äußern, machte bloß eine bejahende Verbeugung, legte die Banknote in sein Taschenbuch, und versicherte Se. Herrlichkeit, daß seine Befehle pünktlich befolgt werden sollten.

»Das ist der wahre Anwalt, den mir mein Geld verbürgt, und dessen eben mein Plan bedarf,« – rief frohlockend Lord Etherington. »Er will mir kein Vertrauen abpressen, fordert keine weitläufige Erklärungen, zieht nicht rauh die Hülle hinweg, mit welcher eine feine Kriegslist zart überschleiert wird – jede Ausflucht wird für baares Geld angenommen, vorausgesetzt nur, daß der triftigste Entschuldigungsgrund, das baare Geld selbst, nicht fehlt. – Aber ich will dennoch keinem mich ganz vertrauen, und wie es einem weisen General ziemt, eile ich selbst hinaus, in Person die Recognoscirung zu übernehmen.«

Mit diesem Entschlusse ergriff Lord Etherington seinen Ueberrock und Mütze, und sein Gemach verlassend, schlug er den Weg nach dem Laden des Buchhändlers ein, der zugleich als Lesebibliothek und Postamt diente; da er recht in der Mitte der Parade-Allee lag, wie man den breiten grünen Rasenweg nannte, der vom Hotel nach der Quelle führte, so war er so recht eigentlich zum Sammelplatz aller Neuigkeits-Jäger und Müssiggänger jeder Klasse geeignet.

Wie gewöhnlich erregte des Grafen Erscheinung eine gewisse Bewegung auf der öffentlichen Promenade; aber veranlaßte es nun die Einflüsterung des eigenen bangen Gewissens, oder gab es in der That einen Grund dazu, er konnte den Gedanken nicht unterdrücken, daß man ihn kälter aufnehme, als sonst. Sein feiner Anstand und seine schöne Gestalt verfehlten zwar allerdings ihres sonst gewohnten Eindruckes nicht, und Alle, die er anredete, empfingen seine Aufmerksamkeit als eine ihnen ertheilte Ehre; aber Niemand erbot sich, wie es sonst der Fall war, sich an ihn zu schließen, oder forderte ihn auf, Theil an dem eigenen Kreise zu nehmen. Er schien mehr wie ein Gegenstand der Beobachtung und Aufmerksamkeit, als wie ein Mitglied der Gesellschaft selbst, betrachtet zu werden; diesem fast Verlegenheit erregenden verstohlenen Anstarren sich zu entziehen, begab er sich in die kleine Niederlage der Neuigkeiten literarischen und andern Inhalts.

Unbemerkt war er eingetreten, eben als Lady Penelope die Vorlesung einiger Verse beendete, und sie mit aller Lebendigkeit einer femme savante auslegte, welche sich im Besitz einer Sache weiß, die Niemand je von andern wiederholen hören wird.

»Eine Abschrift – nein, gewiß nicht!« Diese Brocken drangen von der Gruppe, deren Mittelpunkt die Lady bildete, zum Ohre Lord Etherington's. – »Es ist ein Ehrenpunkt – ich muß den armen Mr. Chatterley nicht verrathen; – überdem, Se. Herrlichkeit ist mein Freund, und wie Sie wissen, eine hohe Standesperson – da kann man doch unmöglich! – Sie haben also das Buch nicht, Mr. Pott? – Sie haben Statius nicht erhalten? Niemals haben Sie doch Etwas, das man zu sehen wünschte.«

»Ich bedauere sehr, Mylady – mir sind jetzt alle Exemplare davon ausgegangen – doch erwarte ich einige in meiner nächsten monatlichen Zusendung.«

»Gütiger Himmel, Mr. Pott, das ist Ihre nie ausbleibende Antwort;« rief Lady Penelope. »Ich glaube, fragte ich Sie nach der neuesten Ausgabe des Koran, Sie würden erwiedern, die nächste monatliche Sendung müsse Sie Ihnen bringen!«

»Ich kann es in der That nicht behaupten, Mylady,« erwiederte Mr. Pott; »ich habe das Werk noch nicht angezeigt gesehen, aber ich zweifle nicht, wenn es dem Publikum gefallen kann, so werden Exemplare davon in der nächsten monatlichen Sendung vorhanden sein.«

»Mr. Pott's Ergänzungen lachen uns immer erst in der zukünftigen Zeit!« rief Mr. Chatterley, der so eben in die Thür trat.

»Ah, Mr. Chatterley, sind Sie da!« rief Lady Penelope. »Ich klage Sie als Schuld meines Todes an. – Ich kann schlechterdings diese Thebaide nicht auffinden, wo Polynices und sein Bruder – –«

»Still, Mylady! – Still um des Himmels willen!« rief der dichterische Geistliche, auf Lord Etherington blickend. Lady Penelope verstand den Wink und schwieg; aber sie hatte genug gesagt, um des Reisenden Touchwood Aufmerksamkeit zu wecken, der sein Haupt von den Zeitungen, die er so eben las, erhebend, ohne an irgend Jemand insbesondere seine Worte zu richten, gleichsam die Geographie Lady Penelopens verhöhnend ausrief:

»Polynices? – Eine Wortverdrehung –! Solch' einen Ort gibt es gar nicht in der Thebais! – die Thebais liegt in Aegypten – die Mumien kommen daher. – Ich war in den Katakomben – wahrlich höchst sonderbare Höhlen – die Eingebornen wollten uns steinigen – recht nachdrücklich bedachten sie uns mit Kieseln, ich gebe Ihnen mein Wort darauf –; meine Janitscharen zerstörten zur Wiedervergeltung ein ganzes Dorf.«

Während er so fortfuhr, beschäftigte sich Lord Etherington, als achte er auf das Alles nicht, die Briefe, welche auf dem Kamine aufgestellt waren, durchzusehen, und dabei eine ziemlich schläfrige Unterhaltung mit Mistreß Pott zu führen, deren Person und Benehmen sich gar nicht uneben zu ihrer Bestimmung paßte, denn sie sah recht gut aus und war ungemein artig und geziert.

»Hier sind eine große Menge Briefe, Mistreß, welche keinen Besitzer zu finden scheinen?« fragte Se. Herrlichkeit.

»Eine bedeutende Anzahl davon, Mylord; gewiß es ist eine arge Plackerei, denn wir sind gezwungen, sie dem Postamte zurück zu senden, und uns wird das Postgeld abgezogen, wenn einer verloren geht; und wie kann man sie wohl alle stets im Auge behalten!«

»Gibt es keine Liebesbriefe darunter, Mistreß Pott?« fragte Se. Herrlichkeit, die Stimme senkend.

»O nicht doch, Mylord, wie sollte ich das wissen?« antwortete Mistreß Pott, ebenfalls mit leiserem Tone.

»O Jedermann kann einen Liebesbrief erkennen,« fuhr Se. Herrlichkeit fort, »wer nur je einen empfangen hat – man erräth sie, ohne sie zu öffnen – sie sind immer nur übereilt zusammen gefaltet, aber sehr sorglich gesiegelt – die Adresse zeigt eine Art von zitternder Bewegung, welche den Zustand des Schreibers verräth – dieser hier –« indem er mit der Spitze seiner Reitgerte einen Brief auf dem Kamin berührte – »das muß ein Liebesbrief sein.«

»Ha ha ha,« kicherte Mistreß Pott. »Ich bitte um Verzeihung, Mylord, daß ich lache – aber – ha ha ha – das ist ein Brief von einem gewissen Bindloose, dem Bankofficianten, an das alte Weib, die Luckie Dods, wie man sie nennt, in der Schenke im alten Orte.«

»Seien Sie überzeugt, daß Ihre Nachbarin diesen Herrn Bindloose zu ihrem Geliebten angenommen hat – wenn nicht etwa dem Bankier ein Schlagfluß die Hand unsicher machte. Warum befördern Sie aber den Brief nicht zu ihr? Sie sind recht grausam, ihn hier zurück zu halten.«

»Ich sollte ihn befördern?« antwortete Mistreß Pott; »die tückische alte keifende Aleschenkerin mag lange warten, ehe ich ihn zu ihr befördere. – Sie will die Briefe nicht einlösen, welche ihr durch die königliche Post zukommen, und weiß sich immer einen Verkehr mit dem alten Frachtfuhrmanne zu machen, als ob es kein Postamt in der Nachbarschaft gäbe. Aber der Prokurator wird ihr nächstens auf den Leib fahren!«

»O, Sie sind zu grausam – Sie sollten ihr wirklich den Liebesbrief senden; bedenken Sie, je älter die arme Seele ist, je weniger Zeit hat sie zu verlieren.«

Aber auf diesem Punkte verstand Mistreß Pott keinen Scherz. Sehr wohl war ihr der eingewurzelte Haß der Matrone gegen sie bekannt, und sie betrachtete ihn wie ein in Dienst stehender Geschäftsmann die entgegenwirkenden Anstrengungen eines Radikalen. Sie antwortete daher etwas mürrisch: »Diejenigen, welche Briefe auslöseten, sollten sie erhalten; und nie würde Luckie Dods, noch einer ihrer Gäste, das kleinste Federgekritzel aus dem Postamt von St. Ronans bekommen, wenn sie nicht hier erschienen, es abzuholen und zu bezahlen.«

Möglich, daß diese Erklärung die eigentliche Quintessenz von dem enthielt, was Lord Etherington durch sein vorübergehendes Plaudern mit Mistreß Pott zu erfahren beabsichtigte; denn als sie, diesen unangenehmen Gegenstand fallen lassend, ihn in einem süßlich zierlichen Tone aufforderte, seine Kunst noch einmal durch Auswahl eines andern Liebesbriefes zu bewähren, erwiederte er nur leichthin; »dazu müsse er ihr erst einen schreiben;« und seine vertrauliche Stellung bei ihrem kleinen Throne verlassend, schlenderte er die enge Bude hindurch, beugte sich leicht vor Lady Penelope, als er vorbei ging, und trat wieder auf die Parade, wo ihm ein Anblick ward, der wohl einen sich minder streng beherrschenden Mann zum Erbleichen gezwungen haben würde.

Kaum hatte er den Laden verlassen, als die kleine Miß Diggs fast athemlos in der lebhaftesten Aufregung der ungeduldigsten Neugierde hereinstürzte.

»Um's Himmels willen, Mylady, weßhalb verweilen Sie hier? – So eben ist Mr. Tyrrel an dem andern Ende der Parade erschienen, und Lord Etherington geht von hier hinab. – Sie müssen sich einander begegnen. O Himmel, kommen Sie, kommen Sie doch und sehen Sie dieß Zusammentreffen. – Ob sie mit einander reden werden, darauf bin ich neugierig. – Ich hoffe, fechten werden sie doch nicht! – O bitte, kommen Sie, Mylady!«

»Ich sehe schon, ich muß mit Ihnen gehen,« sagte Lady Penelope; »es ist ganz sonderbar, mein liebes Kind, wie neugierig Sie über Alles sind, was andere Leute betrifft. – Ich wundere mich, was Ihre Mama dazu sagen wird!«

»O, um Mama, darum kümmern Sie sich nicht – Niemand kümmert sich um sie – Papa nicht und Niemand sonst. – Kommen Sie, theuerste Lady Pen, sonst laufe ich allein weg. – Mr. Chatterley, machen Sie, daß sie kommt.«

»Ich muß schon kommen, scheint es mir,« sagte Lady Penelope, »sonst werde ich eine schöne Rechenschaft vor Ihnen abzulegen haben.«

Aber trotz der ertheilten Weisung, ja sogar vergessend, daß vornehme Leute nie in zu großer Hast erscheinen sollen, trippelte Lady Penelope mit all' ihren Satelliten, welche sie so schnell um sich zu versammeln vermochte, mit ungewöhnlicher Eile die Parade hinunter, wahrscheinlich aus Theilnahme an Miß Diggs' Neugierde, da Ihre Herrlichkeit erklärte, daß sie selbst keine empfände.

Unser Freund, der Reisende, hatte ebenfalls Miß Diggs' Nachrichten vernommen; und kurz eine Beschreibung der großen Pyramide abbrechend, zu welcher die Erwähnung der Thebais ihn natürlich leitete, eilte er ebenfalls auf die Parade, und der schönen Unheil-Verkündigerin Worte wiederholend: »Hoffe, sie werden doch nicht fechten!« stürmte er so rasch vorwärts, als seine rüstigen Füße ihn zu tragen vermochten. Wenn nun selbst der Ernst des Reisenden und die Zierlichkeit Lady Penelopens zur ungewohnten Eile, durch die Begierde das Zusammentreffen Tyrrels und Lord Etheringtons zu sehen, vermocht wurden, kann man leicht voraussetzen, daß der übrige Theil der Gesellschaft noch weniger seine Neugierde zu zähmen verstand, und daß folglich Alles zu jenem Schauspiele sich drängte mit der regen Lebendigkeit modischer Leute, die zu einer berühmten Auktion eilen.

Obwohl nun in der That dieß Zusammentreffen all' denjenigen, welche furchtbare Folgen erwarteten, wenig Vergnügen gewährte, so blieb es dennoch höchst anziehend für die Zuschauer, welche es gewohnt sind, die Sprache der unterdrückten Leidenschaften in eben der Anstrengung zu lesen, womit man sie oft verräth, wenn man sie am meisten zu verbergen wünschte.

Sobald Tyrrel in die Allee trat, folgten ihm verschiedene Müssiggänger nach, deren Zahl sich bald so sehr vergrößerte, daß er sich mit Unmuth und Mißvergnügen in dem Mittelpunkte eines Gewühles sah, welches alle seine Bewegungen bewachte. Sir Bingo und Hauptmann Mac Turk waren die ersten, welche sich durchdrängten und ihn mit aller Höflichkeit, die ihnen nur zu Gebote stand, anredeten.

Seine rechte Hand zur kameradschaftlichen Versöhnung ohne Handschuh ihm bietend, murmelte Sir Bingo: »Ihr Diener, Sir, – Diener. – Bedauere, daß irgend etwas sich zwischen uns ereignete. – Bedauere recht sehr, auf mein Wort!«

»Es bedarf keines weitern Wortes, Sir!« entgegnete Tyrrel. »Alles ist vergessen!«

»Sehr schön also – ganz und durchaus höflich – hoffe oft mit Ihnen zusammen zu treffen, Sir!« – Und damit schwieg der Ritter.

Indessen fuhr der wortreichere Hauptmann fort: »Ja, bei Gott, es war ein entsetzliches Mißverständniß. Ich könnte mir gleich das Federmesser durch die Finger ziehen, daß sie ein solches Wort niederschrieben. – Bei meiner Seele, ich habe so lange daran ausgekratzt, bis ich ein Loch in das Papier kratzte. – O daß ich es erleben muß, so unhöflich gegen einen Mann verfahren zu sein, der in einer Ehrensache verwundet ward. Aber mein Lieber, Sie hätten schreiben sollen; denn wie zum Teufel konnten wir wohl ahnen, daß Sie so reichlich mit Händeln versehen waren, daß Sie zwei an einem Tage auszugleichen hatten?«

»Ich ward auf eine unerwartete – zufällige Art verwundet, Hauptmann Mac Turk. Ich schrieb nicht, weil einige Umstände dieser Angelegenheit Geheimhaltung erforderten; aber ich war fest entschlossen, sobald ich mich nur erholt hätte, meinen Ruf in Ihrer guten Meinung wieder herzustellen.«

»Ah, das haben Sie ganz vollkommen gethan!« erwiederte der Hauptmann mit schlauem Winke; »denn Hauptmann Jekyl, der ein gar artiger junger Mensch ist, hat uns Ihr ehrenvolles Benehmen vollkommen klar gemacht. Es sind recht nette Jungen, diese Garde-Offiziere, obwohl sie zuweilen gar zu sehr die zierlichen Leute spielen und sich mehr dünken, als sie so eigentlich im Vergleich mit uns in der Linie Dienenden nöthig haben möchten. – Aber er machte uns mit allem Erforderlichen bekannt – und wenn er auch mit keinem Worte eines gewissen vornehmen Lords, seines Straßenräubers, seiner Verwundung und was sonst noch erwähnte, so ward es uns Allen doch sehr leicht, Alles in gehöriges Einverständniß zu bringen. – Ja wenn das Gesetz nicht Ihnen Recht ertheilen will, und böse Reden zwischen Ihnen sich ereigneten, warum sollten zwei Edelleute sich nicht selbst Recht schaffen? Was Ihre Verwandtschaft anbetrifft, warum sollten Verwandte sich unter einander nicht wie Männer von Ehre betragen? – – Nun freilich, sagen Einige, Sie wären Eines Vaters Söhne, und das ist doch ein bischen zu nahe Verwandtschaft! – Ich dachte selbst einmal daran, meinen Onkel Dougal zu fordern, denn es steht nirgends die eigentliche Scheidelinie fest. – Aber ich überlegte dann doch, es müßte im Ganzen eben so wenig ein Zweikampf, als eine Heirath im verbotenen Grade stattfinden. Cousins germains – Pah – da ist Alles in Ordnung – schieß nur zu, Flanigan! – Doch da schreitet eben Mylord gerade auf uns zu, stolz wie ein Hirsch erster Größe, und die ganze Heerde folgt ihm nach.«

Tyrrel trat einige Schritte vor seinen zudringlichen Begleitern voraus. Ein jäher Farbenwechsel zeigte sich auf seinem Gesichte, als ob Jemand sich zwinge, irgend einem Wurme oder Thiere zu nahen, gegen welches er jenen tiefen Ekel und Abscheu empfindet, den man ehemals einer körperlichen Antipathie zuzuschreiben pflegte. Dieser sichtliche Zwang, die wechselnden Farben, welche er hervorbrachte, eigneten sich sehr dazu, die Meinung der Zuschauer für ihn ungünstiger zu stimmen, wenn man dagegen die feste, stolze und zugleich vollkommen ungezwungene Haltung des Grafen von Etherington betrachtete, den Niemand in ganz England in der Kunst überbot, einer bösen Sache einen guten Anstrich zu ertheilen. Eben so kalt als unbefangen trat er Tyrrel entgegen und sagte, indem er ihn förmlich in einiger Entfernung grüßte, laut: »Ich vermuthe, Mr. Tyrrel von Martigny, daß, da Sie nicht für gut fanden, diesem unbequemen Zusammentreffen auszuweichen, Sie geneigt sein werden, unsere Familienverbindung in so fern zu erneuen, daß wir es vermeiden, zur Belustigung der Gesellschaft hier zu dienen.«

»Sie haben von meiner Leidenschaftlichkeit nichts zu befürchten, Mr. Bulmer,« entgegnete Tyrrel, »wenn Sie nur vor Ihrer eignen gesichert sind.«

Mit immer gleicher Fassung, doch die Stimme so senkend, daß nur Tyrrel ihn verstehen konnte, sagte der Graf: »Das ist mir lieb; da wir aber nicht leicht wieder im Vorübergehen uns Etwas mitzutheilen haben möchten, so nehme ich mir die Freiheit Sie zu erinnern, daß ich Ihnen durch meinen Freund, den Hauptmann Jekyl, Vorschläge zu einer Uebereinkunft machte.«

»Sie waren unzulässig – durchaus unzulässig!« entgegnete Tyrrel. – »Sowohl aus Gründen, welche Sie errathen können, als aus andern Gründen, die auseinander zu setzen überflüssig wäre. – Ich aber that Ihnen einen Vorschlag – überlegen Sie ihn wohl!« –

»Ich will es,« erwiederte Lord Etherington, »wenn ich ihn von jenen vorgegebenen Beweisen unterstützt sehe, deren Dasein ich noch ganz bezweifle.«

»Ihr Gewissen führt eine andere Sprache, als Ihre Zunge; aber ich verachte Vorwürfe, und will Streit vermeiden. Ich werde es dem Hauptmann Jekyl wissen lassen, wenn ich die Papiere empfange, welche, wie Sie sagen, nothwendig sind, Ihren Entschluß, meinen Vorschlag betreffend, zu bestimmen. – Glauben Sie indessen nicht, mich zu hintergehen. Ich bin ganz eigentlich in der Absicht hier, Sie zu beobachten, und Ihre Ränke zu vernichten; so lange ich lebe, sein Sie dessen sicher, sollen sie Ihnen nie gelingen. – Und damit, Sir – oder Mylord – denn Sie haben die Wahl des Titels – leben Sie wohl!«

»Halt, noch einen Augenblick!« sagte Lord Etherington. »Da wir verdammt sind, gegenseitig uns durch unsern Anblick zu peinigen, ziemt es sich, daß die gute Gesellschaft hier wisse, was sie von uns denken soll; – Sie sind ein Philosoph, der das Urtheil der Welt nicht achtet – ein armes Weltkind, wie ich, wünscht aber gut bei ihr angeschrieben zu sein. – Meine Herren,« fuhr er, die Stimme erhebend, fort: »Mr. Winterblossom, Hauptmann Mac Turk, Mr. – wie heißt doch der Herr, Jekyl? – ach ja, Micklewham! – Sie haben, wie ich glaube, Alle es einigermaaßen erfahren, daß dieser Herr, mein naher Verwandter, und ich einige noch unentschiedene Ansprüche haben, welche unsere gegenseitige Eintracht stören. – Wir haben indessen nicht die Absicht, Sie mit unsern Familienzwistigkeiten zu beunruhigen. Ich mindestens, so lange dieser Mr. Tyrrel, oder wie es ihm sonst gefällt sich zu nennen, ein Mitglied dieser Gesellschaft bleibt, werde mich gegen ihn wie gegen jeden Andern, der dieses Vortheils genießt, zu benehmen wissen. Guten Morgen, Sir – guten Morgen, meine Herren. – Zu Mittag treffen wir uns wohl wie gewöhnlich. – Kommen Sie, Jekyl, kommen Sie.«

Mit diesen Worten ergriff er Jekyls Arm, und sich gewandt dem Gedränge entziehend, entfernte er sich, den größten Theil der Gesellschaft durch die Unbefangenheit und scheinbare Billigkeit seines Benehmens sehr für sich eingenommen zurück lassend. Zwar drangen wohl einige geringschätzende, schmähende, halb unverständliche Laute aus der Halsbinde Sir Bingo's, aber man achtete nicht sehr darauf; denn es war der Aufmerksamkeit der schlaublickenden vornehmen Welt auf dem Gesundbrunnen keineswegs entgangen, daß die Gefühle des Baronets gerade das Gegenspiel derjenigen waren, welche Lady Binks an den Tag legte, und daß, wenn er auch vielleicht sich schämte, irgend eine beunruhigende Empfindung der Eifersucht zu verrathen, oder vielleicht gar unfähig war, sie zu fühlen, seine Laune seit einiger Zeit höchst erbittert war; ein Umstand, welchen indessen seine schöne Hälfte sehr wenig zu berücksichtigen schien.

Im vollen Triumphe über seine wohlgelungene List schritt der Lord Etherington mit seinem Vertrauten vorwärts. Er sagte:

»Du siehst, Jekyl, daß ich mit jedem Manne in England umzuspringen weiß! – Es war eine tüchtige Uebereilung von dir, daß du den Menschen aus dem Dunkel ziehen mußtest, womit ihn der Zufall so glücklich umgeben hatte. – Du hättest eben so gut damals gleich die Geschichte unsers Zweikampfes erzählen können, denn Jedermann kann sie errathen, wenn er Umstände, Zeit und Ort vergleicht. Aber zermartere dein Gehirn nicht, dich zu rechtfertigen. Du hast es gesehen, wie ich mein natürliches Uebergewicht über ihn zu behaupten wußte – in dem vollen gebührenden Stolze der Legitimität prangte – ihn zum Verstummen brachte Angesichts der versammelten Menge. Durch seinen Agenten erfährt Mowbray dies Alles, und es macht ihn nur noch begieriger auf unsere Verbindung. – Ich weiß, er ist eifersüchtig über meine Liebeleien mit einer gewissen Dame – der arme Verdrängte! – nichts macht die Leute aufmerksamer auf den Werth eines guten Glückes, als die Aussicht, es sich entrissen zu sehen.«

»Ich wünsche von Herzen, Sie wollten alle Gedanken an Miß Mowbray aufgeben, und Tyrrels Anerbieten annehmen, wenn er die Mittel besitzt, es giltig zu machen,« sagte Jekyl.

»Ja, wenn – wenn. – Aber fast bin ich sicher, daß er die Rechte nicht besitzt, die er zu haben vorgibt, und daß seine Papiere nur eitel Trug sind. – Warum richtest du dein Auge so fest auf mich, als wolltest du irgend ein wunderbares Geheimniß ergründen?«

»Ich wünschte mich im Klaren über Ihr wahrhaftiges bona fide in Hinsicht dieser Dokumente zu finden.«

»Aber du argwöhnischer Thor,« rief Etherington, »was Teufel willst du, daß ich dir bekennen soll? – Kann ich, wie die Rechtsgelehrten sagen, das Gegentheil beweisen? Und ist es nicht sehr möglich, daß solche Dinge wirklich existiren, obwohl ich nie etwas davon hörte, noch sah? – Das weiß ich nur, daß von allen Menschen am meisten mein Vortheil es erfordert, das Dasein dieser Dokumente abzuläugnen, und ich will sie auch deßhalb gewiß nicht anerkennen, ehe ich durch den Augenschein dazu gezwungen werde; und auch selbst dann nicht, bis ich mich von ihrer vollkommenen Glaubwürdigkeit selbst überzeugte.«

»Ich kann Sie nicht tadeln, Mylord, in diesem Punkte nicht leichtgläubig zu sein, aber ich bleibe immer dabei, daß wenn Sie Ihre Grafenkrone und Ihr schönes Erbe retten können, so würde ich in Ihrer Stelle Nettlewood zum Teufel fahren lassen.«

»Ja, wie du dein väterliches Erbe zum Teufel fahren ließest, Jekyl; aber du trugst Sorge, es mindestens selbst zu verschleudern. – Was würdest du für eine solche Gelegenheit, dein Glück durch eine Heirath glänzend herzustellen, wohl geben? – Bekenne die Wahrheit.«

»In meiner jetzigen Lage könnte sie mich vielleicht reizen; aber wäre sie noch, was sie einst war, so würde ich ein Vermögen verachten, welches durch eine Weiberschürze erworben werden müßte, besonders wenn die Besitzerin des Rittersitzes ein kränklich grillenhaftes Mädchen wäre, die mich so haßte, wie diese Miß Mowbray den schlechten Geschmack hat, Sie zu hassen!«

»Hm – kränklich? – Nein, nein, sie ist nicht kränklich. – Ihr Körper ist so gesund, als irgend einer – und auf mein Wort, ich finde, ihre Blässe macht sie noch anziehender. Als ich sie zuletzt sah, schien es mir, sie könne mit der schönsten Statue Canova's um den Preis ringen.«

»Ja, wenn auch, sie ist Ihnen doch gleichgültig – Sie lieben sie nicht!« sagte Jekyl.

»Sie ist weit entfernt, mir gleichgültig zu sein,« erwiederte der Graf. »Täglich gewinnt sie mehr Anziehendes für mich – denn ihre Abneigung eben reizt mich an. Ueberdem hat sie die Keckheit, mir öffentlich vor ihrem Bruder und vor aller Welt Trotz und Verachtung zu zeigen. – Ich empfinde eine Art von liebendem Haß – eine gewisse hassende Liebe für sie; kurz, über sie nachdenken, das ist eben so viel, als ein Räthsel auflösen wollen; es verleitet uns zu eben solchen Mißgriffen und sinnlosem Geschwätz. Habe ich je die Gelegenheit dazu, soll sie mir schwer all das grillenhafte, alberne Wesen bezahlen.«

»Welches grillenhafte Wesen?« fragte Jekyl.

»Ja, der Teufel mag es schildern, ich nicht! – Aber zum Beispiel – da ihr Bruder darauf besteht, daß sie, wenn ich nach Shaw-Castle komme, mich annimmt, oder vielmehr, daß sie erscheint, sollte ich sagen, möchte man behaupten, sie martere ihre Einbildungskraft, immer neue Arten zu erfinden, ihre Nichtachtung und ihren Widerwillen gegen mich an den Tag zu legen. Statt sich so zu kleiden, wie eine jede Dame es in einer solchen Lage thun sollte, wählt sie irgend eine fantastische, altmodische oder nachlässige Art des Anzuges, welcher sie, wenn nicht lächerlich, doch mindestens höchst sonderbar erscheinen läßt – solche dreifach gewundene Florstreifen von verschiedener Farbe auf dem Kopfe – Stücke von alter Tapisserie-Arbeit, glaube ich, statt eines Shawls – ganz dick besohlte Schuhe – grob gegerbte lederne Handschuh – Gott sei uns gnädig, Hall, der bloße Anblick ihres Aufzuges würde ein ganzes Zimmer voll Putzmacherinnen rein toll machen. – Dann geberdet sie sich so seltsam – verbeugt sich so linkisch, setzt die Füße so einwärts – hält die Arme so eckig – könnten die Grazien auf sie herabsehen, es würde sie zur ewigen Flucht bewegen.«

»Und Sie könnten wünschen, diese linkische, geschmacklose, ungebildete Person zur Gräfin Etherington zu erheben; Sie, dessen scharfen Blick die Toiletten der halben Stadt mühsam zu befriedigen streben?« fragte Jekyl.

»Es ist Alles eine bloße List, Hall; ein angenommener Charakter, mich los zu werden, mich abzuschrecken, mich zu täuschen. – Aber mit mir wird man so leicht nicht fertig. – Der Bruder geräth ganz in Verzweiflung – er kaut an den Nägeln, winkt, lacht, und macht Zeichen, die sie stets absichtlich falsch versteht. – Ich hoffe, wenn ich fort bin, schlägt er sie; es wäre doch eine Art von Trost für mich, könnte ich dessen nur gewiß sein.«

»Ein recht großmüthiger Wunsch, wahrhaftig, welcher in der That der Dame einen kleinen Vorschmack von dem geben könnte, was ihrer nach der Hochzeit harren möchte!« rief Jekyl. »Aber,« setzte er hinzu, »können Sie, der Sie so gewandt jedes weibliche Wesen zu behandeln verstehen, nicht irgend einen Weg finden, sie zu einer Unterhaltung zu bringen?«

»Unterhaltung?« rief der Graf. »O seit sie die Erschütterung meines ersten Anblicks überstanden hat, scheint sie mein Dasein einer gänzlichen Nichtachtung zu weihen; und um mich ganz in den Grund zu vernichten, hat sie sich gerade einen Strickstrumpf zur Beschäftigung erwählt. – Von welcher verwünschten vor der Sündfluth lebenden alten Schachtel, die zur Zeit der Erfindung der Spinn- und Webemaschinen längst todt war, sie diese Kunst erlernte, mag der Himmel allein wissen. Aber da sitzt sie, die Arbeit fest auf ihr Knie gebannt – nicht jenes zierliche, längliche, seidene Gespinnst, mit welchem Jeannette zu Amiens kokettirte, während Tristram Shandy ihre Fortschritte beobachtete, nein, ein ungeheurer Sack von wollenem Garn für irgend einen plattfüßigen alten Armen bestimmt, der Hacken wie ein Elephant hat. – Aber doch sitzt sie da, die Maschen emsig zählend, und weigert sich zu reden, zu hören, ja selbst nur aufzublicken, unter dem Vorwande, daß es ihre Berechnungen störe.«

»In der That eine zierliche Beschäftigung, und ich bewundere, daß es ihr nicht gelingt, den edlen Bewerber vollkommen von seiner Thorheit zu heilen,« sagte Jekyl.

»Verderben über sie! – nein – sie soll nicht mit mir spielen! Oft bricht plötzlich aus der angenommenen Hülle dieser plumpen Dummheit ein Strahl so höhnischen Frohlockens, wenn sie recht gewiß zu sein glaubt, daß es ihr gelang, ihren Bruder zu täuschen und mich zu peinigen, daß ich meiner Treu, Hall, nicht sagen könnte, ob ich, wenn es in meine Macht gegeben wäre, sie küssen oder mit Fäusten schlagen möchte!«

»So bist du entschlossen, diese seltsame Geschichte noch weiter durchzuführen?« fragte Jekyl.

»Kühn und keck durchzuführen, mein Jungchen! – Clara und Nettlewood ist das Losungswort! Ueberdem reizt und ärgert mich auch da dieser ihr Herr Bruder – er thut nicht halb das für mich, was er könnte – was er eigentlich zu thun schuldig wäre. Er will in Ehrenpunkten höchst kitzlich thun; fürwahr, dieser zu Grunde gerichtete Pferderenner, der meine zweitausend Pfund hinunterschluckte, wie ein Wachtelhund ein Stück Butter. – Ich sehe es deutlich, er möchte sich noch nicht bestimmt die Hände binden, hegt so einigen Argwohn wie du, Hall, ob es mit meinem Rechte auf meines Vaters Würden und Güter seine volle Richtigkeit habe, als ob mit dem Besitze von Nettlewood allein ich nicht eine viel zu gute Partie für seine Bettelfamilie wäre! – Er denkt meiner Treu, er will diesen halb gahr gebacknen schottischen Kuchen nach seiner Art modeln – er müsse unstät, schwankend, vorsichtig den Erfolg abwarten, und meine Verschlossenheit auszuforschen suchen, er, dieser hafermehlfressende Lump! – Ich habe große Lust, während dem Laufe dieser meiner Begebenheiten hier ein Beispiel an ihm zu statuiren.«

»Ei, auch die Rache wäre hart und grausam,« sagte Jekyl. »Doch gebe ich dir den Bruder preis; er ist ein hinterlistiger Narr, der allerdings eine Weisung verdient. Nur für die Schwester möchte ich gern vorbitten.«

»Wir wollen sehen!« entgegnete der Graf, plötzlich hinzusetzend: »Ich gestehe dir ein, Hall, ihr grillenhafter Eigensinn ist so unterhaltend, daß ich zuweilen aus bloßem Widerspruchsgeiste glaube, daß ich sie beinahe liebe; mindestens wollte sie nur die alten Rechnungen ruhen lassen, und mir den einen unglücklichen Streich vergessen, sollte es wahrhaftig ihre eigne Schuld sein, wenn ich sie nicht zu einer glücklichen Frau machte.«



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