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Zwanzigstes Kapitel.

Arthur war allein gelassen worden, und vielleicht voll Verlangen, den Rückzug des Grafen Albert zu decken, ritt er dem herannahenden Häuflein Burgunder entgegen, das dem Fähnlein de Contays nachzog. »Willkommen, willkommen!« sagte dieser Edelmann, indem er hastig auf den jungen Ritter zukam. »Der Herzog ist eine Viertelstunde Weges mit einem Reiterhaufen hinter uns, den Aufklärern zu Hilfe zu kommen. Es ist noch keine halbe Stunde her, da kam Euer Vater zu uns zurück und meldete, Ihr wärt durch die Verräterei der Venezianer in einen Hinterhalt gelockt und zum Gefangenen gemacht worden. Er hat den Campobasso des Verrats bezichtigt und ihn zum Zweikampf herausgefordert. Beide wurden unter der Obhut des Obermarschalls in das Lager geführt, da sie sonst auf der Stelle aneinander geraten wären, obwohl mich dünkt, als zeigte der Welsche wenig Lust, es zu Hieben kommen zu lassen. Der Herzog hält ihre Schwerter in der Scheide und hat den Kampf auf den Dreikönigstag festgesetzt.«

Arthur ritt mit Contay zurück und stieß auf eine größere Reiterschar unter dem glänzenden Banner des Herzogs. Sofort wurde er vor Karl geführt. Dieser hörte mit anscheinender Besorgnis Arthur die Klage seines Vaters gegen den Italiener bestätigen, dem der Herzog so sehr gewogen war. Als Arthur versicherte, daß die Venezianer sich mit dem feindlichen Führer kurz vorher besprochen hätten, ehe der Graf Campobasso Arthur aufforderte, weiter zu reiten, und daß er dadurch in einen Hinterhalt geraten sei, schüttelte der Herzog den Kopf, senkte die dichten Augenbrauen und murmelte vor sich hin: »Bloß Haß gegen Oxford wahrscheinlich – diese Welschen sind rachsüchtig.« – Dann richtete er das Haupt auf und befahl unserm Arthur, fortzufahren.

Mit einer Art von Verzückung vernahm er die Erzählung vom Tode des Donnersberg, riß eine goldene Kette vom Hals und warf sie über Arthurs Nacken. »Traun, Du hast uns allen Ruhm vorweggenommen, junger Arthur,« fügte er, »das war der plumpste Bär von allen; die übrigen sind gegen ihn junge säugende Brut. Mich dünkt, ich habe einen jugendlichen David gefunden, der mir ihren dickköpfigen Goliath erschlug. Aber der Tölpel! daß er wähnte, seine Bauernfaust könnte eine Ritterlanze schwingen. Brav, mein wackerer Knabe, – und was mehr? Wie kamst Du davon? Durch irgend eine schlaue Kriegslist, möcht ich wetten!« – »Vergebt, hoher Herr,« antwortete Arthur, »ich wurde von dem feindlichen Führer Ferrand in Schutz genommen, der mein Zusammentreffen mit dem von Donnersberg als mannhaften Zweikampf betrachtete. Er entließ mich in allen Ehren, mit Roß und Waffen.« – »Hm!« sagte Karl, dessen üble Laune wiederkehrte, »Prinz Abenteuer muß den Großmütigen spielen – hm! – Es gehört dergleichen zu seiner Rolle; doch soll mich das keine Linie breit von meinem Verfahren ablenken. Setzt Eure Erzählung fort, Arthur de Vere.« – Als Arthur ferner mitteilte, was Graf Albert von Geierstein zu ihm über den Herzog gesagt hatte, heftete dieser einen brennenden Blick auf ihn und zitterte vor Ungeduld, indem er den Jüngling mit der hastigen Frage unterbrach: »Und Ihr – Ihr traft ihn mit Eurem Dolche unter der fünften Rippe? Tatet Ihr es nicht?« – »Ich tat es nicht, Herr Herzog, – wir waren einander durch gegenseitige Zusage verpflichtet.« – »Doch wußtet Ihr, daß er mein Todfeind ist,« sprach der Herzog, »geht junger Mann! Deine laue Gleichgültigkeit hat Dein Verdienst geschmälert. Daß Du Albert von Geierstein entrinnen ließest, macht den Tod Rudolfs von Donnersberg quitt.« – »Sei dem so, hoher Herr,« sagte Arthur kühn. »Ich mache weder Anspruch auf Euer Lob, noch verdiene ich Euren Tadel. In beiden Fällen hatte ich Gründe zu achten, die mich persönlich betrafen. Donnersberg war mein Feind, und dem Grafen Albert von Geierstein bin ich verpflichtet.« – Die umherstehenden burgundischen Edlen erschraken über diese kühne Rede. Allein es war nie vorauszusehen, wie Karl dergleichen aufnehmen würde. Diesmal blickte er mit einem Lachen umher und sagte: »Hört Ihr diesen englischen jungen Hahn, Ihr Herren? wie wird der eines Tages den Ton hochstimmen, da er jetzt schon in eines Fürsten Gegenwart so wacker kräht!«

Etliche Reiter trafen nun von verschiedenen Gegenden ein und meldeten, daß Herzog Ferrand und die Seinigen sich in ihr Lager zurückgezogen hätten, und daß das Land von Feinden frei wäre. »So laßt auch uns zurückgehen,« sagte Karl, »da sich keine Gelegenheit zum Lanzenbrechen bietet. Und Du, Arthur de Vere, halte Dich dicht in meiner Nähe.«

Im Zelte des Herzogs angelangt, mußte Arthur eine Untersuchung bestehen, in welcher er jedoch nichts von Anna von Geierstein, noch von den Absichten ihres Vaters inbetreff seiner selbst äußerte, weil er glaubte, daß Karl damit nichts zu schaffen hätte; allein offen teilte er dem Herzog die persönlichen Drohungen mit, die der Graf Albert gegen diesen ausgestoßen hatte. Der Herzog hörte ihm jetzt gelassener zu, und als Arthur geendet hatte, nahm Karl von seiner Brust ein goldenes Kreuz und küßte es mit vieler Andacht. »Auf dieses Kreuz,« sprach er, »will ich mein Vertrauen setzen. Fehle ich in dieser Welt, so mag ich Gnade finden in jenem Leben. – He, Herr Marschall!« rief er dann hinaus, »laßt Eure Gefangenen vor uns kommen.«

Der Marschall von Burgund trat mit dem Grafen von Oxford ein und erklärte, daß sein zweiter Gefangener, der Campobasso höchst ernsthaft gebeten hätte, man möchte ihm Urlaub geben, damit er an dem seiner Hut anvertrauten Teile des Feldlagers seine Schildwachen aufstelle, ein Gesuch, das der Marschall nicht hatte abschlagen wollen. »Gut,« sagte Burgund ohne weitere Bemerkung, »dann zu Euch, Lord Oxford, ich wollte Euch Euren Sohn vorstellen, aber Ihr habt ihn bereits in Eure Arme geschlossen. Er hat sich Ehre und Preis erworben und mir wackere Dienste geleistet. Wir sind an einem Zeitpunkt des Jahres, wo wackere Leute ihren Feinden vergeben. Ich weiß nicht, wie es kommt – aber ich fühle ein unbezwingliches Verlangen, dem nahen Zweikampfe zwischen Euch und dem Grafen Campobasso Einhalt zu tun. Willigt um meinetwegen darein, Freunde zu sein, nehmt Eure Herausforderung zurück – und laßt mich dieses Jahr – vielleicht das letzte, das ich erlebe, mit einer Tat des Friedens beschließen.«

»Hoher Herr,« sagte Oxford, »es ist ein Geringes, was Ihr von mir verlangt. Ich war aufgebracht über den Verlust meines Sohnes. Dem Himmel und Eurer Hoheit verdanke ich es, daß ich den Jüngling wieder habe, Campobassos Freund zu sein, ist mir unmöglich. Treue und Verrat, Wahrheit und Falschheit könnten sich dann ebenfalls die Hand reichen und sich umarmt halten. Allein der Welsche soll mir ebenso gleichgiltig sein, wie er es mir vor unserm Zwist war. Ich lege meine Ehre in Euer Hoheit Hand; nimmt Campobasso sein Wort zum Zweikampfe zurück, so tue ich es ebenfalls. John de Vere hat nicht zu befürchten, daß die Welt ihn im Verdacht habe, er fürchte sich vor einem Campobasso.«

Der Herzog erwiderte mit aufrichtigen Dankesworten und behielt seine Edlen den Abend bei sich im Zelte. Sein Benehmen erschien dem jungen Arthur friedliebender, als er es je zuvor an ihm wahrgenommen hatte. Der Herzog ordnete an, daß Lebensmittel und Wein unter seine Soldaten verteilt würden. »Wäre es nicht um unseres Schwures willen,« sagte er leise zu etlichen seiner Räte, »so wollten wir diese Fehde bis zum Frühling verschieben, wo unsere Mannen unter geringeren Strapazen ins Feld rücken könnten.« – Sonst war nichts Bemerkenswertes am Benehmen des Herzogs, außer daß er oft nach dem Grafen Campobasso fragte. Dieser ließ endlich melden, er sei unpaß und der Arzt habe ihm Ruhe befohlen; deswegen hätte er sich zurückgezogen, damit er mit dem Frührot zur Hand sein möchte, weil die Sicherheit des Feldlagers hauptsächlich von seiner Wachsamkeit abhinge. – Der Herzog verlor weiter kein Wort darüber, und eine Stunde vor Mitternacht wurden die Gäste aus dem Zelte des Herzogs entlassen.

Als Oxford mit seinem Sohne im eigenen Zelte angekommen war, versank der ältere Graf in tiefes Nachdenken, das fast zehn Minuten währte. »Mein Sohn,« sprach er dann, indem er plötzlich auffuhr, »gib dem Thibault und Deinen Jägern Befehl, unsere Rosse vor Tagesanbruch bereitzuhalten; auch könnte es nichts schaden, unsern Nachbar Colvin mitzunehmen. Ich habe Lust, um die Zeit des Frührots die Vorposten zu untersuchen. Wäre die Nacht mondhell, so würde ich sogleich die Runde machen.« – »Weshalb, mein Herr und Vater, erregt diese Nacht so besonders Euren Argwohn?«

»Sohn Arthur, Du wirst vielleicht Deinen Vater für leichtgläubig halten,« sagte der Graf. »Allein meine Amme Martha Nixon war ein Weib aus dem Norden und steckte voll Aberglaubens. Besonders pflegte sie zu sagen, jede plötzliche, grundlose Veränderung in eines Menschen Natur – wie etwa der Uebergang von Schwelgerei zu Mäßigkeit, von Heftigkeit zu Gelassenheit, von Geiz zu Freigebigkeit – deute stets darauf hin, daß eine große Umwälzung der Dinge, sei es zum Guten oder zum Bösen, für ihn vorgehen werde – und in diesem Falle mag es sich wohl zum Bösen wenden, da wir in einer argen Welt leben. Diese Vorstellung der alten Frau hat meine Seele so ergriffen, daß ich entschlossen bin, ehe noch der Tag anbricht, mit meinen eigenen Augen zu prüfen, ob unsere Wachen um das Lager her auf dem Posten sind,« – Arthur ließ Colvin und Thibault das Nötige wissen, und man begab sich zur Ruhe.

*

Es war noch vor Anbruch des ersten Januars 1477 (ein Zeitpunkt, der wegen des Ereignisses, das an diesem Tage stattfand, denkwürdig bleiben wird), da begannen der Graf von Oxford, Colvin und Arthur, begleitet von Thibault und zwei anderen Dienern, ihre Runde durch des Herzogs Lager. Auf dem größeren Teil des Weges fanden sie Schildwachen und Posten sämtlich in guter Ordnung. Es war ein schneidend kalter Morgen. Die Fläche war zum Teil mit Schnee bedeckt – Tauwetter hatte diesen Schnee etwas geschmolzen, aber strenger Frost, der danach eingetreten war, hatte eine Eisrinde gebildet, die sich jetzt immer mehr verdickte.

Allein wie groß war das Erstaunen und die Unruhe des Grafen und seiner Gefährten, als sie zu demjenigen Teil des Lagers gelangten, der am Tage vorher von Campobasso und dessen fast 2000 Mann zählenden Welschen besetzt worden war. Kein Zuruf erfolgte, kein Roß wieherte, kein Hengst stampfte, keine Wache war aufgestellt. Sie untersuchten die Zelte – alles war leer. – »Laßt uns zurückreiten und Lärm im Lager schlagen!« rief der Graf. »Hier liegt Verrat vor!«

»Ei, Lord,« versetzte Colvin, »laßt uns keine mangelhafte Kunde heimbringen. Hundert Schritt von mir stehen meine Schießmörser und decken den Zugang zu diesem Hohlwege; laßt uns sehen, ob meine deutschen Kanoniere an ihrem Posten sind. Mich dünkt, ich kann's beschwören, daß wir sie rüstig auf ihren Plätzen finden. Das Geschütz mündet auf einen Engpaß, durch den allein man in das Lager gelangen kann.« – »Vorwärts denn, in Gottesnamen!« sagte der Graf von Oxford,

Ueber Eis und durch Pfützen jagten sie weiter, sie kamen zu den Mörsern. Der blasse Wintermond, der sich in das Frühlicht mischte, beleuchtete die wohlgerichteten Kanonen, allein keine Schildwache war zu sehen,

»Die Schufte können nicht entwischt sein,« sagte der erstaunte Colvin. »Doch seht, da ist Licht in den Zelten. – O! des unseligen Weines! Der Trunk hat sie sicherlich übermannt. Ich will sie bald aus ihren Träumen aufschrecken!« – Er sprang von seinem Gaule und stürzte in das Zelt, in welchem das Licht schimmerte. Die Kanoniere oder doch die Mehrzahl derselben waren noch da, aber sie lagen hingestreckt auf dem Boden, die Trinkbecher neben ihnen; und alle miteinander waren so betrunken, daß Colvin nur zwei oder drei von ihnen durch Drohungen und Befehle erwecken konnte. Die Aufgescheuchten tappten in die Höhe und gehorchten ihm mehr aus Instinkt als mit Bewußtsein ihrer selbst, indem sie hintaumelten, das Geschütz zu bemannen.

In dem Augenblicke ließ sich von der andern Seite des Engpasses her ein Getöse wie von einherschreitenden Gewappneten vernehmen. – »Es ist das Geheul einer fernen Lawine,« sagte Arthur. – »Es ist eine Lawine von Schweizern, nicht von Schnee,« entgegnete Colvin. »O, der besessenen Knechte! Die Mörser sind schwer geladen und wohlgerichtet – diese Salve sollte sie zurückwerfen, wenn es Feinde wären, und das Gekrach würde früher, als wir es können, das Lager lebendig machen. Doch wehe, daß die Schufte betrunken sind!« – »Sorgt deshalb nicht!« sagte der Graf, »mein Sohn und ich wir wollen jeder einen Zündstock nehmen und gute Kanoniere abgeben.« – Sie saßen ab und befahlen Thibault und den beiden Dienern auf die Rosse acht zu geben, dann nahmen sie den hilflosen Trunkenbolden die Lunten weg. Drei der Soldaten waren indessen noch nüchtern genug, um an ihre Mörser zu treten.

»Bravo!« rief der alte Geschützhauptmann, »noch nimmer ward ein Geschoß so edel bedient. Jetzt, mein Bursche, vergebt, Mylords, aber es ist nicht Zeit, Umstände zu machen – und Ihr besoffenen Schelme, – gebt acht, daß Ihr nicht eher Feuer gebt, als bis ich rufe. Dann sollen diese Trampler, und wären ihre Rippen felsenhaft wie die Alpen, es erfahren, wie der alte Colvin seine Mörser lädt.«

Alle fünf standen atemlos, jeder bei seinem Geschütz. Der dumpfe Hall der Tritte kam immer näher und näher, bis das mangelhafte Morgenlicht eine düstere, undeutlich erkennbare Reihe von Männern zeigte, die, mit langen Spießen, Streitäxten und andern Waffen versehen, unter dunkel flatternden Bannern einherzogen. Colvin ließ sie bis auf eine Entfernung von fünfzig Ellen heranrücken, und rief dann: »Feuer!« aber nur sein Stück ging los; von den andern blitzte vom Zündloche nur eine schwache Flamme auf, weil die Mörser von den italienischen Verrätern vernagelt und unbrauchbar gemacht worden waren. Wären alle Mörser tauglich gewesen, so würde sich seine Prophezeiung wahrscheinlich erfüllt haben; denn schon die Entladung des einen Geschützes brachte eine schauderhafte Wirkung hervor, indem sie in den Reihen der Schweizer eine lange Linie Toter und Verwundeter niedermähte.

»Haltet stand,« rief Colvin, »und helft mir womöglich, den Mörser wieder zu laden.« – Doch dazu war keine Zeit. In der zerrütteten Kriegerschar schritt eine stattliche Gestalt, hob das Banner, dessen Träger mitgestürzt war, auf und rief mit der Stimme eines Riesen: »Was, Ihr Männer, Ihr habt Murten und Granson gesehen und fürchtet Euch vor einem einzigen Schießmörser? Bern! Ury! Schwyz! Banner vorwärts! Unterwalden, hier ist Dein Fähnlein! Laßt Euren Schlachtruf erschallen! Blast in Eure Hörner! Unterwalden folgt seinem Landammann!«

Und heran stürzten sie gleich einem wütenden Ozean, mit einem betäubenden Geheul, in unbändigem Lauf! Colvin, der noch bemüht war, seinen Mörser zu laden, wurde niedergemacht. Oxford und sein Sohn wurden durch die Menge, deren wilden Drängen allein sie es zu danken hatten, daß sie nicht tödliche Streiche empfingen, zu Boden gestoßen. Arthur schützte sich, indem er unter den Mörser kroch, bei dem er stand; über seinen Vater hin, der minder glücklich war, trabten die feindlichen Krieger und würden ihn zerquetscht haben, wenn seine Stahlrüstung ihn nicht beschirmt hätte. Die Schar der Schweizer, mindestens viertausend Mann, wälzte sich in das Lager hinein, indem sie ihr fürchterliches Geschrei fortsetzte, in das sich bald Geheul, Aechzen und Schreckensrufe mischten.

Ein breiter roter Schimmer stieg auf hinter den Anstürmenden und überstrahlte das bleiche Licht des Wintermorgens, als Arthur zuerst wieder zur Besinnung kam. Das Lager hinter ihm stand in Flammen und hallte wider vom Jauchzen der Sieger, vom Stöhnen der Ueberfallenen. Niederblickend, schaute er umher nach seinem Vater. Dieser lag bewußtlos neben ihm, wie auch die Kanoniere, die in ihrer Halbtrunkenheit wohl nicht an Flucht gedacht hatten. Als Arthur des Vaters Helm öffnete, sah er zu seiner Freude, daß er noch lebte, – »Die Rosse! – die Rosse!« rief Arthur, – »Thibault, wo bist Du?«

»Zur Hand, Mylord,« sagte dieser getreue Geleitsmann, der sich und seine Tiere durch klugen Rückzug in ein Dickicht gerettet hatte. – »Wo ist der tapfere Colvin?« fragte der Graf, der sich wieder erhob. – »Seine Kriege sind ausgekämpft, Mylord,« entgegnete Thibault, »er wird hienieden keinen Hengst mehr besteigen.« – Ein Seufzer der Teilnahme, als Oxford auf Colvin blickte, der mit gespaltenem Schädel vor der Mündung seines Schießmörsers lag, war alles, was der Augenblick gestattete. – »Wohin?« fragte Arthur. – »Zum Herzog,« sagte der ältere Graf. »Ich will ihn nicht an einem Tage wie diesem verlassen.«

»Mit Verlaub,« sagte Thibault, »ich sah den Herzog, begleitet von einem halben Schock seiner Leibwächter, in vollem Trabe über diesen Wasserstrom setzen – und den Weg nach dem nordöstlichen Flachlande einschlagen. Ich denke, ich kann Euch auf die Spur dahin bringen.« – »Wenn dem so ist,« sagte Oxford, »so sitzen wir auf und jagen ihm nach. Das Lager ist an mehr als einer Stelle überfallen worden, und alles muß verloren sein, da er entfloh.«

Mit Mühe nur konnte der Graf von Oxford den Gaul besteigen, und er ritt auch nur so schnell, als seine zertretenen Glieder es ihm gestatteten. Mehr als einmal blickten die Reiter zurück auf das Lager, das jetzt eine wilde Brandstätte war, bei deren glührotem Scheine sie am Boden die Spur von Karls Rückzug wahrnehmen konnten. Nach ungefähr einer halben Stunde erreichten sie einen halb zugefrorenen Morast, um den herum mehrere Leichname lagen. Unter ihnen erkannten sie Karl von Burgund. Er war zum Teil entkleidet und beraubt wie die übrigen, die um ihn her lagen. Sein Leib war mit verschiedenen Wunden bedeckt, die von mehr als einer Waffenart herrührten. Er hatte das Schwert noch in der Hand, und auf seinem erstarrten Gesicht lag noch jene Wildheit, die in der Schlacht seine Züge zu beleben pflegte. Dicht neben ihm, als seien beide im Kampf Mann gegen Mann gefallen, lag die Leiche des Grafen Albert von Geierstein und etwas abseits die Itel Schreckenwalds, des treuen wiewohl gewissenlosen Knappen des Geiersteiners. Beide waren wie die Leute von der Leibwache des Herzogs angetan – eine Verkleidung, die sie wahrscheinlich anlegten, um den Blutauftrag der heiligen Feme zu vollziehen. Es ist anzunehmen, daß Leute des Verräters Campobasso in dem Scharmützel tätig waren, in dem der Herzog fiel, denn sechs oder sieben dieser Gesellen und ebensoviele von des Herzogs Leibwache lagen ebenfalls tot am Boden.

Der Graf von Oxford stieg vom Pferde und untersuchte den Leichnam seines hingeschiedenen Waffenbruders, und zwar mit aller Bekümmernis, die die Erinnerung an die frühere Güte des Herzogs in ihm erweckte. Aber während er sich so seinem Schmerz überließ, rief Thibault, der auf den Pfad hinausschaute, auf welchem sie hergekommen waren: »Zu Roß, Mylord, hier ist nicht Zeit, die Toten zu beweinen. Die Schweizer sind uns auf den Fersen!«

»Flieh hin, ehrlicher Bursch!« sagte der Graf; »auch Du, Arthur, flieh! Rette Deine Jugend für glücklichere Tage! Ich kann und will nicht weiter fliehen. Ich will mich den Verfolgern ergeben; gewähren sie mir Gnade, so ist's gut; wo nicht, so lebt einer über uns, der mir seine Gnade verleihen wird.« – »Ich verlasse Euch nicht!« rief Arthur. »Ich will bleiben und Euer Schicksal teilen!« – »Und ich will auch bleiben,« sagte Thibault.

Das Schweizerhäuflein, das heraufkam, zeigte Sigismund, dessen Bruder Ernst und etliche andere Söhne aus Unterwalden. Sigismund nahm die Gefangenen liebreich und freudig auf und leistete so dem jungen Grafen von Oxford für die Güte, die dieser ihm früher erwiesen hatte, zum drittenmale einen wesentlichen Dienst.

»Ich will Euch zu meinem Vater führen,« sagte Sigismund, »der recht erfreut sein wird, Euch zu sehen; nur ist er eben jetzt betrübt über den Tod unseres Bruders Rüdiger, der mit dem Banner in der Hand durch den einzigen Mörser fiel, der an diesem Morgen abgefeuert wurde; die übrigen Donnerbüchsen konnten nicht bellen. Campobasso hat den Hunden des Colvin die Mäuler verstopft, sonst wären mehrere von uns gleich dem armen Rüdiger bedient worden. Aber dafür liegt Colvin auch hingestreckt.« – »So war Campobasso mit Euch im Einverständnis?« fragte Arthur. – »Nicht mit uns – wir verachten solche Genossen – doch etwas dergleichen fand zwischen den Welschen und dem Herzoge Ferrand statt, und als sie das Geschütz vernagelt und die deutschen Kanoniere trunken gemacht hatten, kam er mit fünfzehnhundert Reitern zu uns herüber und wollte gemeinsame Sache mit uns machen.« »Nichts da, nichts!« rief mein Vater. »Verräter dulden wir nicht in unseren Reihen! Und so wollten wir nichts mit ihm zu schaffen haben, wiewohl wir durch das Tor drangen, das er uns geöffnet hatte. So gesellte er sich zu dem Herzog Ferrand, um den andern Teil des Lagers zu überfallen. So glückte der Sieg, und man sagt, der Herzog werde nie wieder ein Heer sammeln können.«

»Nie wieder, junger Mann,« sagte der Graf von Oxford, »denn er liegt tot vor Euch,«

Sigismund stutzte; denn er hegte Hochachtung, ja eine Art von Furcht vor dem hohen Namen Karls des Kühnen und wollte kaum glauben, daß der zerfetzte Leichnam, der jetzt vor ihm lag, einst der gewaltige Mann gewesen wäre. Doch, Kummer mischte sich in sein Staunen, als er die Leiche seines Ohms, des Grafen Albert von Geierstein, erblickte. »O, mein Ohm, mein Ohm!« rief er, »mein teurer Ohm Albert! hat all Deine Hoheit und Weisheit Dir neben einem Moraste gleich einem schäbigen Bettler das Grab gegraben? – Kommt, diese trübe Kunde muß gleich meinem Vater mitgeteilt werden. Das wird zur Bitterkeit über den Fall des armen Rüdiger noch Galle hinzufügen. Bei alledem ist es ein Trost, daß Vater und Oheim sich nicht recht vertragen konnten!«

*

Sie zogen jetzt in die Stadt Nancy ein. Die Fenster waren mit Teppichen behangen, und die Straßen wimmelten von lärmenden und jauchzenden Menschenmassen, die der glückliche Sieg vor großer Not und vor der gefürchteten Rache Karls von Burgund bewahrt hatte. – Die Gefangenen wurden mit der größten Güte von dem Landammanne aufgenommen, der ihnen seinen Schutz und seine Freundschaft zusagte. Es schien, als ertrüge er den Tod seines Sohnes Rüdiger mit ernster Gelassenheit, und er nahm die Nachricht vom Tode seines Bruders mit sichtlicher Bewegung entgegen, jedoch ohne überrascht zu sein. »So,« sagte er, »mußte sein Ehrgeiz enden.« – Dann fragte der Landammann den Grafen von Oxford ernstlich, was seine Absichten wären, und inwiefern er ihm darin beistehen könnte.

»Ich denke die Bretagne zu meinem Zufluchtsorte zu wählen,« versetzte der Graf, »wo meine Gattin wohnt, seit die Schlacht bei Tewkesbury uns aus England vertrieb.« – »Tut das nicht,« sagte der Landammann, »sondern kommt nach Geierstein mit Eurer Gräfin, wo sie willkommen sein soll, wie in dem Hause ihres Bruders. Sie wird einen Boden betreten, wo weder Verschwörung noch Verrat jemals blühten. Ihr wißt, daß es in Frankreich wie in Burgund Leute gibt, die nach Eurem Blute dürsten.«

Der Graf von Oxford äußerte seinen Dank für diesen Antrag und nahm ihn an, für den Fall, daß Heinrich von Lancaster, Graf von Richmond, den er jetzt als seinen Monarchen betrachtete, seine Einwilligung dazu geben würde.

*

Die Erzählung zum Schluß zu bringen, berichten wir, daß drei Monate nach der Schlacht bei Nancy der verbannte Graf von Oxford sich den Beinamen Philippson wieder beilegte, seine Gattin und die Trümmer seines früheren Reichtumes mitbrachte und sich unweit Geierstein eine anmutige Wohnung kaufte. Der Landammann erwirkte ihnen das Bürgerrecht, Anna von Geierstein und Arthur de Vere reichten sich die Hand zum Ehebunde, und Annette Veilchen zog samt ihrem Liebsten zu den Neuvermählten, nicht als Diener, sondern als treue Gehilfen in der Landwirtschaft, denn Arthur zog es vor, sich lieber der Jagd als dem Ackerbau zu widmen. Die Zeit verrann, und fünf Jahre hatte die verbannte Familie schon in der Schweiz zugebracht. Da starb im Jahre 1482 der Landammann den Tod des Gerechten, allgemein beklagt als ein Muster eines echten, tapfern, schlichten und einsichtsvollen Vorstandes. Im selben Jahre starb die Gemahlin des älteren Oxford.

Um diese Zeit begann der Stern des Hauses Lancaster noch einmal zu erglänzen und rief den verbannten Lord und dessen Sohn aus ihrer Abgeschiedenheit zurück in das Getriebe der großen Welt. Das kostbare Halsgeschmeide Margarethens ward nun zu seiner Bestimmung verwendet, und das daraus gelöste Geld zur Aushebung jener Scharen benützt, die bald darauf die berühmte Schlacht bei Bosworth kämpften, in welcher die Waffen der beiden Oxfords so viel zum Siege Heinrich II. beitrugen.

Das änderte das Geschick de Veres und seiner Gemahlin.

Ihre Schweizer Pachtung wurde Annette Veilchen und deren Manne überlassen, und die Sitten und die Schönheit Annas von Geierstein erregten nun am englischen Hofe eben die Bewunderung wie vormals zwischen den Hürden des Schweizerlandes.

Ende.


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