Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

Von diesem Augenblicke an herrschte am Hofe des Herzogs von Burgund und in dessen Heere rege Tätigkeit; Gelder wurden eingetrieben, Kriegsknechte ausgehoben, und alles war zu einem abermaligen Feldzuge bereit. Allein, obgleich Karl dem äußern Scheine nach tätig wie ehedem war, so meinten doch die, die in seiner unmittelbaren Nähe weilten, er zeige nicht mehr seine sonstige Geistesklarheit noch die Stärke der Urteilskraft, die ihn vor den verhängnisvollen Schlachten ausgezeichnet hatte. Er litt oft an Anfällen finsterer Schwermut und furchtbarer Wut.– Wochen und Monate waren verflossen, als die Kunde eintraf, Ferrand de Vaudemont habe einen Einfall in Lothringen unternommen und, unterstützt vom Heere der Eidgenossen, die Hauptstadt Lothringens erstürmt. Karl beschloß nun sofort, gegen ihn zu ziehen. – »Dieser junge irrende Ritter,« rief er, »wagt sich aus dem Schutze seiner Gebirge hervor, und der Himmel soll mich richten, so ich meinen Schwur nicht halte! Ich gelobe, das nächste Schlachtfeld, auf dem wir beide uns treffen, soll einen von uns getötet sehen! Wir sind jetzt in der letzten Woche des alten Jahres und noch vor dem Dreikönigstage wollen wir sehen, wer von uns beiden die Bohne im Kuchen finden wird. – In den Waffen, Ihr Herren! laßt unser Lager sogleich aufbrechen, und unsere Mannen nach Lothringen vorrücken. Die italienischen und albanischen leichten Reiter bilden den Vortrab. – Oxford, Du trittst mit unter die Waffen auf diesem Zuge, nicht wahr?« – »Gewiß,«, sagte der Graf, »ich esse das Brot Eurer Hoheit, und wenn Feinde in Euer Land fallen, so ziemt es meiner Ehre, für Euch zu fechten, als wäre ich Euer wahrhaftiger Vasall. Mit Eurer Hoheit Erlaubnis entsende ich einen Boten mit Briefen an meinen ehemaligen Gastfreund, den Landammann von Unterwalden, um ihm diesen meinen Entschluß kund zu tun.«

Nachdem der Herzog dies bereitwillig zugestanden hatte, wurde ein Bote abgefertigt, der nach wenigen Stunden schon zurückkehrte. So nahe befand sich bereits das feindliche Heer. Er brachte ein Schreiben vom Landammann zurück, das im Tone der Höflichkeit, ja selbst der Güte abgefaßt war und das Bedauern aussprach, daß die Verhältnisse zwei ehemalige Freunde zwängen, die Waffen gegeneinander zu führen. Derselbe Bote überbrachte auch Grüße der Brüder Biedermann an Arthur, nebst einem besonderen Schreiben an diesen letzteren, das folgendermaßen lautete:

»Rudolf von Donnersberg hegt den lebhaften Wunsch, mit dem jungen Kaufmann Arthur von Philippson den seinerzeit im Burghofe zu Geierstein abgebrochenen Handel auszutragen, wünscht dies um so mehr, da ihm bekannt geworden ist, daß dieser Arthur ihm ein Mädchen von Stande abspenstig gemacht habe, für das dieser Philippson nichts mehr ist als ein gewöhnlicher Bekannter. Rudolf von Donnersberg wird dem Arthur Philippson kund tun, wo ein ritterliches Zusammentreffen auf neutralem Boden stattfinden kann. Mittlerweile wird er in den ersten Reihen des Vortrabs anzutreffen sein.« Arthurs Brust hob sich höher, als er die Herausforderung las, deren spitziger Ton hinlänglich dartat, wie aufgebracht Rudolf darüber war, daß Anna von Geierstein dem Fremden ihre Neigung zugewendet hätte. Arthur fand Gelegenheit, dem Schweizer eine Erwiderung zukommen zu lassen, die die Versicherung enthielt, daß er entweder in der Schlachtreihe oder an jedem vom Donnersberger bezeichneten Platze ihm stehen würde.

Mittlerweile rückte der Herzog gegen Nancy vor und beschloß, die Stadt zu belagern. Die Mehrzahl der burgundischen Räte war, zusamt den Grafen Oxford, gegen diesen Plan. Man stellte dem Herzog die Schwäche seines Heeres zu solchem Unternehmen, die Strenge der Jahreszeit und die Schwierigkeit vor, Lebensmittel zu erhalten. Man riet ihm, sich zurückzuziehen und jede Entscheidung bis zum Frühlinge zu verschieben. Anfänglich versuchte Karl diese Gründe zu bestreiten, als aber seine Räte ihn erinnerten, daß er sich und sein Heer in ebendieselbe Stellung bringen würde, wie zu Granson und Murten, ward er wütend über diese Erinnerung; Schaum trat aus seinem Munde, und er antwortete nur mit Schwüren und Flüchen, daß er vor dem Dreikönigstage Herr von Nancy sein wollte.

So bezog denn das burgundische Heer eine feste Stellung vor Nancy. Nachdem der Herzog durch diese Anordnung seiner Starrsinnigkeit Genüge geleistet hatte, schien es, als habe er mehr acht auf die Ratschläge seiner Vertrauten, soweit es die Sicherheit seiner Person anging, und gestattete dem Grafen von Oxford und dessen Sohne, nebst zwei oder drei Hauptleuten seiner Leibwache, die Männer von erprobter Treue waren, zu seinem besonderen Schutze mit ihm in einunddemselben Zelte zu schlafen.

Es war drei Tage vor dem Christfeste, als der Herzog das Lager vor Nancy bezog, und am Abend desselben Tages erhob sich ein Tumult, der die Besorgnisse für Karls persönliche Sicherheit zu rechtfertigen schien. Es war Mitternacht, und alles im Zelt des Herzogs war zur Ruhe gegangen, als plötzlich das Geschrei: »Verrat! Verrat!« laut wurde. Der Graf von Oxford zog sein Schwert, riß ein neben ihm brennendes Licht vom Tische und stürzte in des Herzogs Gemach. Karl stand unbekleidet da und schlug mit dem Schwert so wütend um sich, daß der Graf Mühe hatte, seinen Hieben auszuweichen. Auch die übrigen Wachthabenden traten mit gezückter Waffe ein, die Mäntel über den linken Arm geschlagen. Als der Herzog sich etwas beruhigt hatte und sich von seinen Freunden umringt sah, erzählte er voll Wut und Aufregung, daß trotz aller seiner Vorsicht die Boten des heimlichen Gerichts in sein Gemach gedrungen wären und ihm bei schwerer Leibesstrafe anbefohlen hätten, in der Christnacht vor dem Stuhle der heiligen Feme zu erscheinen.

Die Umstehenden hörten mit Staunen diese Kunde, und einige schienen zu zweifeln, ob sie sie für Wahrheit oder für einen Traum der überreizten Einbildungskraft des Herzogs halten sollten. Allein die Vorladung, wie üblich auf Pergament geschrieben und mit drei Kreuzen unterzeichnet, war mit einem Dolch auf den Tisch des Herzogs geheftet, und aus dem Holze ein Splitter geschnitten. Oxford las die Vorladung mit Aufmerksamkeit. Sie nannte wie gewöhnlich den Ort, wo der Herzog sich ohne Waffen einzufinden hätte, um von dort aus vor den heiligen Stuhl geführt zu werden.

Nachdem Karl eine Zeitlang in die Schrift geblickt hatte, gab er seinen Gedanken Worte: »Ich weiß,« sprach er, »von welcher Sehne der Pfeil abgeschossen wurde. Er kommt von der Hand jenes entarteten Edlen, jenes apostatischen Priesters, jenes Alberts von Geierstein. Wir haben vernommen, er befände sich unter der zusammengelaufenen Rotte Geächteter und Meuchler, mit welcher der Großsohn des alten Fiedlers in der Provence sich zusammengetan hatte. Aber beim St. Georg von Burgund! weder Kapuze noch Helm soll ihn nach einer solchen Schmach fürder schützen! Ich will ihn der Ritterwürde entkleiden und ihn am höchsten Kirchturm in Nancy hängen lassen, und seiner Tochter soll die Wahl bleiben zwischen dem schlechtesten Troßbuben meines Heeres und dem Kloster büßender Schwestern!« – »Welche Vorsätze Ihr auch hegen mögt,« sagte Contay, »so wäre es wohl das beste zu schweigen, da wir aus diesem letzten Ereignis schließen können, daß man uns deutlicher hört, als wir glauben.« – Der Herzog schien über diesen Wink betroffen zu sein und schwieg oder murmelte doch nur Flüche und Drohungen zwischen den Zähnen, während nach dem Störer seiner nächtlichen Ruhe die strengste Nachforschung, wiewohl ganz vergebens, angestellt wurde.

Karl gab indessen diese Nachforschungen nicht auf, denn er war außer sich über eine Kühnheit, die alles übertraf, was bisher das heimliche Gericht sich erdreistet hatte; denn so verwegen war es doch noch nie gewesen, die Hand nach Fürsten auszustrecken. Eine treue Schar burgundisch Volk wurde in der Christnacht ausgesandt, den Vorladungsort, einen Kreuzweg, der in der Pergamentrolle angedeutet worden war, besetzt zu halten und jeden, der sich dort würde blicken lassen, gefangen zu nehmen; allein nichts Verdächtiges ließ sich wahrnehmen. Nur um so heftiger fuhr der Herzog fort, dem Grafen Albert von Geierstein die erlittene Schmach zuzuschreiben. Ein Preis wurde auf dessen Kopf gesetzt, und Campobasso, stets bereit, der Laune seines Gebieters gefällig zu sein, nahm es auf sich, durch einige seiner Welschen, die auf dergleichen Fährten zu gehen verstanden, den verhaßten Geiersteiner lebend oder tot herbeizuschaffen.

Es war am zweiten Tage nach jenem Tumulte, als Oxford den Wunsch äußerte, über das Feldlager Ferrands von Lothringen Kundschaft einzuholen; denn er zweifelte an der Richtigkeit der bisher über die Stärke und Ausrüstung des Feindes eingelaufenen Berichte. Er erhielt des Herzogs Erlaubnis dazu, der zu gleicher Zeit ihm und seinem Sohne zwei edle Hengste von großer Stärke und Schnelligkeit schenkte. Sobald der Graf von Campobasso dies erfahren hatte, drückte er die größte Freude darüber aus, daß der erfahrene Oxford ihm auf seinem Kundschaftsritt beistehen wolle, und stellte ihm eine ausgesuchte Schar venezianischer Reiter zur Verfügung, die er schon manchesmal, wie er sagte, zu Scharmützeln mit dem Vortrabe der Schweizer ausgeschickt hätte.

Am Eingange eines ein wenig abwärts führenden Tales äußerte Campobasso gegen den englischen Edelmann, wenn sie bis an das entgegengesetzte Ende der Schlucht gelangen könnten, würden sie imstande sein, die ganze Stellung des Feindes zu überblicken. Zwei oder drei Venezianer sprengten vorweg, um den Talweg zu untersuchen, kehrten bald zurück und teilten ihrem Führer in ihrer Landessprache mit, daß alles sicher wäre, worauf Campobasso den Grafen Oxford aufforderte, ihn zu begleiten. – Ohne einen Feind wahrzunehmen, ritten sie das Tal entlang; allein, als sie auf die von Campobasso bezeichnete Ebene hinauskamen, konnte Arthur, der mit den Venezianern vorausritt, allerdings in einer Entfernung von tausend Schritte Ferrands Lager wahrnehmen, jedoch in demselben Augenblicke sprengte daraus eine Schar Berittener hervor und auf die Talöffnung zu, aus der Arthur hervorgekommen war. Eben wollte er sein Roß wenden und zurückreiten, jedoch im Vertrauen auf die Schnelligkeit seines Gaules dachte er, er könnte es wagen, einen Augenblick zu halten, um das Lager genau zu beaugenscheinigen. Die Venezianer, die ihn begleiteten, warteten nicht seinen Befehl zum Rückzug ab, sondern ergriffen die Flucht.

Unterdessen bemerkte Arthur, daß der Anführer der Berittenen ein gewaltiges Roß ritt, das durch seinen Tritt den Boden erbeben ließ, und daß er auf seinem Schilde den Bären von Bern führte, auch überhaupt in seiner riesenhaften Gestalt dem Rudolf von Donnersberg glich. Jeder Zweifel daran schwand vollends, als er sah, wie der Ritter seine Schar Halt machen ließ und allein auf ihn zukam, indem er die Lanze einlegte und sich langsam näherte, als wollte er seinem Gegner Zeit lassen, sich zum Zweikampfe zu rüsten. Solche Herausforderung in diesem Augenblick anzunehmen, war gefährlich; allein, ihr auszuweichen, wäre schimpflich gewesen; und während Arthurs Blut bei dem Gedanken kochte, einen groben Nebenbuhler zu züchtigen, freute es ihn im Herzen nicht wenig, daß ihr Zusammentreffen zu Roß ihm einen Vorteil über den Schweizer gewährte, indem er mit dem Lanzengefecht im Turnier, worin Rudolf nur ein Neuling sein konnte, genau bekannt war.

Sie trafen aufeinander. Die Lanze des Schweizers glitt ab vom Helme des Engländers, gegen den sie gerichtet gewesen war, während Arthurs Speer, genau auf den Bauch seines Gegners gerichtet, so richtig traf und durch die volle Wucht des Anlaufes so treulich unterstützt wurde, daß er nicht nur den Schild, den der unglückliche Krieger vorhielt, sondern auch eine Brustplatte und ein Panzerhemd, das er trug, durchbohrte. Arthurs Speer drang dem beklagenswerten Ritter gerade durch den Leib, und Rudolf stürzte kopfüber von seinem Gaule, als wäre er vom Blitze getroffen, wälzte sich ein paarmal am Boden hin und her, streckte sich dann lang aus und war tot.

Ein Weh- und Rachegeschrei erhob sich unter den Männern zu Roß, und mehrere von ihnen legten die Lanzen ein, um ihn zu rächen; allein Ferrand von Lothringen, der in Person zugegen war, befahl ihnen, den glücklichen Sieger zum Gefangenen zu machen, jedoch ihm kein Leides zu tun. Das geschah, denn Arthur hatte nicht Zeit, sein Pferd zur Flucht zu wenden, und Widerstand wäre Raserei gewesen. Als er vor Ferrand gebracht wurde, öffnete er sein Visier und fragte: »Ist es wohlgetan, einen fahrenden Ritter, der gegen persönliche Herausforderung seine Pflicht tat, gefangen zu nehmen?« – »Beklagt Euch nicht, Herr Arthur von Oxford,« sagte Ferrand, »ehe Euch noch Leides widerfährt. Ihr seid frei, Herr Ritter – Euer Vater und Ihr wart treue Anhänger meiner königlichen Muhme Margarethe, und wiewohl sie mir Feindin war, so will ich doch Eurer Treue gegen sie Gerechtigkeit widerfahren lassen und Euch die Freiheit geben. Aber ich muß auch Sorge für Euch tragen, bis Ihr in das burgundische Lager zurückgekehrt seid. Diesseits der Talschlucht schlagen treue und ehrliche Männerherzen, jenseits befinden sich Verräter und Mordgesellen. – Ihr, Herr Graf, möchtet, wie mich dünkt, unsern Gefangenen gern in Sicherheit wissen.«

Der Ritter, den Ferrand mit diesen Worten anredete, ein langer, stattlicher Mann, spornte sein Roß, um Arthur zu begleiten, während letzterer dem jungen Herzog von Lothringen seinen Dank für die ihm erwiesene ritterliche Behandlung aussprach. – »Lebt wohl, Sir Arthur de Vere,« fügte Ferrand. »Ihr habt einen edlen Kämpen niedergestreckt, der mir ein nützlicher und treuer Freund war, aber es geschah edel und offen, mit gleichen Waffen und angesichts der Schlachtlinie. Wehe dem, der deshalb Fehde mit Euch sucht!« Arthur verbeugte sich bis an den Sattelknopf. – Ferrand erwiderte den Gruß, und sie schieden.

Ein Stück nur waren Arthur und sein Geleitsmann geritten, als der Fremde das Wort nahm: »Wir waren ehedem schon Reisegenossen, junger Mann, jedoch Ihr erkennt mich nicht.« – Arthur warf einen Blick auf den Ritter, und als er gewahrte, daß der Kamm seines Helmes einen Geier bildete, fuhr ein seltsamer Argwohn durch seine Seele, der nur allzusehr bestätigt wurde, als der Ritter das Visier aufschlug und ihm die finstern, ernsten Gesichtszüge des schwarzen Priesters von St. Paul zeigte.

»Graf Albert von Geierstein,« sagte Arthur. – »Eben der,« versetzte der Graf, »obgleich Du ihn im andern Gewande und mit einem Glatzkopfe gesehen hast. Allein die Tyrannei treibt alle Welt unter Waffen, so habe auch ich die meinigen wieder ergriffen. Eine Fehde gegen Grausamkeit und Unterdrückung ist heilig wie ein Zug nach Palästina.« – »Mein Herr Graf,« sagte Arthur lebhaft, »ich kann Euch nicht früh genug bitten, zum Herzog Ferrand von Lothringen zurückzukehren. Hier seid Ihr in Gefahr, und weder Stärke noch Mut kann Euch schützen. Der Herzog von Burgund hat einen Preis auf Euren Kopf gesetzt, und das Land zwischen hier und Nancy wimmelt von italienischen Reitern.« – »Ich lache ihrer,« antwortete der Graf. »Ich habe darum nicht so lange in einer sturmbewegten Welt zwischen Staatsränken und Fehdezügen gelebt, um von so elenden Händen zu fallen. Ueberdies bist Du bei mir, und ich habe soeben gesehen, daß Du Dich ritterlich zu benehmen verstehst.« – »Zu Eurem Schutze, Herr Graf,« sagte Arthur, der in seinem Gefährten nur den Vater Annas von Geierstein erblickte, »würde ich es gewiß versuchen, mein Bestes zu tun.« – »Wie, Jüngling?« versetzte Graf Albert mit einem düstern Lächeln, »wolltest Du dem Feinde des Herrn, unter dessen Banner Du dienst, gegen dessen Söldlinge Beistand leisten?« – Arthur war über die Wendung betroffen, die seiner Erklärung gegeben wurde; doch er sammelte sich sofort und sprach: »Mein Herr Graf Albert, Ihr habt die Gefälligkeit gehabt, mich vor den Lanzen Eurer Parteigänger zu schützen, an mir ist es nun, ein Gleiches für Euch zu tun.« – »Das war ehrlich geantwortet,« sagte der Geiersteiner, »doch es gibt einen kleinen blinden Parteigänger, von dem die Troubadours und Minnesänger schwatzen, und diesem dürfte ich im Fall der Not wohl für den Beistand, den Ihr mir leisten würdet, am meisten zu Dank verpflichtet sein.«

Er ließ unserm Arthur, der nicht wenig verlegen war, keine Zeit zu antworten, sondern fuhr fort: »Höre mich, junger Mann! Deine Lanze hat an diesem Tage dem Schweizerlande, der Stadt Bern und dem Herzoge Ferrand großes Leid zugefügt. Mir ist jedoch der Tod des von Donnersberg willkommen. Als seine Dienste immer unentbehrlicher wurden, war er aufdringlich genug, Ferrand zu seinem Brautwerber zu gewinnen, so daß der Herzog selbst, der Sohn einer Fürstin, nicht errötete, die Letzte meines Hauses – denn der Stamm meines Bruders zeigt nur entartete Sprößlinge – von mir für einen anmaßenden Jüngling zu begehren, dessen Ohm ein Knecht im Hause meines Schwiegervaters war, wenngleich dieser Rudolf sich edler Herkunft rühmte.« – »Gewiß,« sagte Arthur, »eine Ehe zwischen Personen von so ungleicher Herkunft wäre zu widersinnig, um noch von ihr zu reden.«

»Bei meinen Lebzeiten,« erwiderte Graf Albert, »wäre solch ein Bündnis nimmermehr geschlossen worden, da der Tod des Bräutigams wie der Braut durch einen Dolch die Ehre meines Hauses gegen Gewalt hätte schützen können. Allein wenn ich – dessen Tage, ja dessen letzte Lebensstunden gezählt sind – nicht mehr sein werde, was könnte dann einen rücksichtslosen Fürstenknecht, unterstützt durch die Gunst des Herzogs, durch den Beifall seines Vaters und vielleicht auch durch die unseligen Vorurteile meines Bruders, hindern, seine Sache trotz allem Widerstande eines verwaisten Mädchens durchzusetzen? Nun merkt auf, Arthur de Vere! Meine Tochter hat mir erzählt, was zwischen Euch und ihr vorfiel. Eure Gesinnung wie Euer Wandel ist des edlen Hauses wert, von dem Ihr abstammt und das sich, wie ich weiß, an die edelsten Häuser Europas rühmlich anschließt. Zwar seid Ihr enterbt, allein auch Anna von Geierstein ist es, bis auf das, was ihr Oheim ihr von ihrem väterlichen Erbe etwa abtreten dürfte. Wenn Ihr es mit ihr teilen wollt, bis bessere Tage kommen – immer vorausgesetzt, daß Euer edler Vater seine Einwilligung gibt – so weiß meine Tochter, daß ich einwillige und sie segne. Auch mein Bruder soll meinen Willen erfahren. Er wird meine Absicht billigen; denn obgleich gestorben für Gedanken an Ehre und Rittertum, ist er doch empfänglich für häusliches Glück, liebt seine Nichte und hegt Freundschaft für Dich und Deinen Vater. Was sagst Du, junger Mann? Willst Du eine bettelarme Gräfin zur Gefährtin Deines Lebens wählen? Ich glaube, ja ich weissage – denn ich stehe so nahe dem Rande des Grabes, daß mich dünkt, mir sei ein Blick über dasselbe hinaus gestattet – es wird einst den Häusern de Vere und Geierstein ein neuer Glanz beschieden sein!«

De Vere schwang sich von seinem Pferde, ergriff des Grafen Hand und wollte in Danksagungen ausbrechen; doch der Geiersteiner gebot ihm Stillschweigen.

»Wir müssen scheiden,« sprach er. »Die Zeit ist kurz – der Ort gefährlich. Ihr seid mir, persönlich gesprochen, weniger als nichts. Wäre einer der vielen Pläne des Ehrgeizes, denen ich nachrang, geglückt, so wäre der Sohn eines verbannten Grafen nimmer der Eidam, den ich erwählt hätte. Besteigt Euer Pferd wieder! – Unverdienter Dank wird lästig.«

Arthur richtete sich auf und stieg schweigend wieder zu Roß.

»Ich weiß, daß meine letzte Stunde nahe ist,« fuhr Graf Albert von Geierstein fort. »Hört und zittert! Der Herzog von Burgund ist zum Tode verurteilt, und die unsichtbaren Richter, die in der Tiefe ihren Spruch fällen und im geheimen rächen, gleich der Gottheit, haben Strang und Dolch in meine Hand gelegt.« – »O, werft diese garstigen Symbole von Euch!« rief Arthur enthusiastisch aus. »Mögen sich Häscher und geheime Mörder finden, solch Amt zu vollführen, das den edlen Herrn von Geierstein entehrt!« – »Still, törichter Knabe!« antwortete der Graf. – »Der Eid, den ich geschworen habe, ist höher denn der wolkige Himmel, und fester begründet als jene fernen Berge. Auch wähne nicht, mein Tun sei das eines Meuchlers, eher könnte ich das des Herzogs als ein solches ansehen. Ich sende keine Mietlinge, wie diese elenden Venezianer es sind, hinaus auf die Jagd gehen, sein Leben, ohne das meinige dabei in Gefahr zu setzen. Ich gebe nicht seiner Tochter – die unschuldig ist an seinen Missetaten – die Wahl zwischen schmachvoller Ehe und einer vor der Welt entwürdigenden Zurückgezogenheit. Nein, Arthur de Vere, ich suche Karl mit der Entschlossenheit eines Mannes auf, der sich dem sichern Tode preisgibt, um das Leben eines Gegners zu vertilgen,« – »Ich bitte Euch, redet nicht mehr davon,« sagte Arthur, höchst ängstlich. »Bedenkt, ich diene für den Augenblick dem Fürsten, den Ihr bedroht –« – »Und bist verbunden,« unterbrach ihn der Graf, »ihm zu offenbaren, was ich Dir sage. Ich wünsche, daß Du es tust, und obwohl er die Vorladung der heiligen Feme gering geachtet hat, so freut es mich doch, ihm persönliche Herausforderung zukommen zu lassen. Sagt Karl von Burgund, daß er Albert von Geierstein schwer verletzte. Wer an seiner Ehre gekränkt wurde, verliert alle Freude am Leben. Warnt ihn, sich vor mir wohl in acht zu nehmen; denn Albert von Geierstein ist meineidig, so der Herzog noch die zweite Sonne des herannahenden Jahres erblickt. – Und jetzt lebt wohl; denn ich sehe eine Schar unter burgundischem Banner sich nahen.«

Mit diesen Worten warf der Geiersteiner sein Roß herum und sprengte von dannen. –


 << zurück weiter >>