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Siebentes Kapitel.

Arthur erwog hastig, wie er sich bei dem herannahenden Auftritt zu verhalten hätte, und beschloß klüglich, alle tätige und persönliche Einmischung zu vermeiden, bis er aus Annas Benehmen ermessen könne, daß ihr ein anderes Auftreten seinerseits angenehm sein dürfte. Er nahm also fern vom Tische Platz, indem er zu gleicher Zeit seine innere lebhafte Besorgnis unter einem Anstrich ehrerbietiger Zurückhaltung zu verdecken suchte, Anna dagegen schien auf eine heftige Szene gefaßt zu sein. Doch nahm sie eine weibliche Arbeit zur Hand und erwartete ebenfalls mit Ruhe den Ankömmling, über den ihre Zofe soviel Geschrei erhoben hatte.

Ein eiliger und ungleicher Schritt ließ sich auf der Treppe vernehmen, wie wenn sich jemand in Bestürzung näherte; die Tür flog auf, und Itel Schreckenwald trat ein.

Dieser Itel, der aus der Schilderung des Landammanns, dem Leser schon einigermaßen bekannt ist, war ein großer, wohlgebauter Mann von kriegerischem Aeußern. Seine Kleidung, gleich der eines Mannes vom Stande damaliger Zeit, war buntfarbig und geziert, aufgeschlitzt und benäht. Die nimmerfehlende Reiherfeder schmückte sein Barett und wurde von einer Goldmünze, die als Agraffe diente, gehalten. Auf der Brust trug er eine goldene Kette als Zeichen seines Ranges unter der Dienerschaft des Freiherrn. Er trat mit ziemlich eilfertigem Schritte und geschäftigem, finsterm Blicke ein, indem er etwas derb fragte: »Wie, nun, junges Fräulein? Was soll das heißen? Fremde in der Feste zu dieser nächtlichen Stunde?«

Obwohl Anna von Geierstein lange Zeit außerhalb ihres Geburtslandes gewesen war, so waren ihr doch dessen Sitten und Gebräuche genau bekannt, und sie wußte, mit welcher Hoffahrt alle Untergebenen daselbst von ihren Herrschaften behandelt wurden. »Seid Ihr ein Vasall der Arnheimer Herren, Itel Schreckenwald,« fragte sie, »und sprecht also zu dem Fräulein von Arnheim in ihrer eigenen Burg, und das mit so lauter Stimme, mit mürrischem Blick und obendrein bedeckten Hauptes? – Vergeßt nicht, wer Ihr seid, und wenn Ihr Eurer Frechheit wegen um Verzeihung bittet und Eure Botschaft in Ausdrücken vorbringt, die Eurem und meinem Stande gemäß sind, so will ich hören, was Ihr mir zu sagen habt.«

Wider Willen schob Schreckenwalds Hand sich nach dem Barette, und der stolze Vogt entblößte die Stirn. – »Edles Fräulein,« sagte er in etwas milderem Tone, »entschuldigt mich, wenn meine Hast sich etwas unziemlich zeigt; allein, die Unruhe ist arg. Das Kriegsvolk des Rheingrafen hat Meuterei angestiftet, die Banner seines Gebieters herabgerissen und ein Zeichen der Unabhängigkeit aufgesteckt. Sie nennen es das Fähnlein des heiligen Nikolaus und erklären unter diesem Panier, Frieden mit Gott und Krieg mit aller Welt haben zu wollen. Sie werden sicher, um zuvörderst in den Besitz eines festen Punktes zu kommen, diese Feste angreifen. Ihr müßt also aufbrechen und das mit dem ersten Morgenstrahle. Für den Augenblick sind sie mit den Weinschläuchen der Bauern beschäftigt; allein, wenn sie morgen früh erwachen, so werden sie ohne Zweifel hierherziehen, und leicht könntet Ihr in ihre Hände fallen, denn vor den Schrecken der Feste fürchten sie sich ebensowenig, wie vor dem Dunstgebilde eines Zaubermärchens.«

»Ist es nicht möglich, ihnen Widerstand zu leisten? Die Burg ist fest,« sagte das junge Fräulein, »und ungern verlasse ich das Haus meiner Väter, ohne eine Verteidigung auch nur versucht zu haben.« – »Fünfhundert Mann,« sagte Schreckenwald, »wären nötig, Arnheims Tore und Mauern zu besetzen. Mit geringerer Mannschaft wäre es Tollheit, die Verteidigung einer Burg, wie diese, zu versuchen; und ich weiß nicht, wie ich zwanzig Söldner zusammenbringen soll. So! da Ihr jetzt die ganze Geschichte wisset, so laßt mich Euch ersuchen, diesen Gast zu entlassen, der, wie mich dünkt, zu jung ist, um der Insasse einer Wohnung zu sein, in der eine Dame haust. Ich will ihm den nächsten Weg zeigen, der aus der Feste führt; denn, wie die Dinge jetzt liegen, hat jeder genug mit seiner eigenen Sicherheit zu schaffen.«

»Und wohin gedenkt Ihr zu gehen?« fragte die Freiin. – »Nach Straßburg, falls es Euch gefällt, und bis Tagesanbruch will ich versuchen, noch einige Geleitsmänner zusammenzubringen.« – »Und warum nach Straßburg?«

»Weil ich dort Euren hochedlen Vater, den edlen Freiherrn Albert von Geierstein, treffen werde.« – »Gut,« sagte das Fräulein. »Auch Ihr, Herr Philippson, nanntet, wie mich dünkt, Straßburg als Euer nächstes Ziel. Wenn es Euch angenehm ist, so mögt Ihr bis dahin unter dem Schutze meiner Geleitsmänner reisen, Ihr wollt ja dort auch mit Eurem Vater zusammentreffen.«

Man wird gern glauben, daß Arthur fröhlichen Herzens in einen Vorschlag einstimmte, der ihm Gelegenheit gab, noch länger in Annas Gesellschaft zu bleiben. Seine erhitzte Einbildungskraft spiegelte ihm vor, daß er vielleicht auf dieser mit Gefahren belagerten Straße seiner Geliebten einen Dienst würde leisten können.

Itel Schreckenwald versuchte, Einwendungen zu machen. – »Fräulein! Fräulein!« rief er mit Ungeduld. – »Schöpft Atem, und gönnt Euch Ruhe, Schreckenwald,« entgegnete ihm Anna, »und Ihr werdet besser imstande sein, Euch mit geziemender Höflichkeit auszudrücken.« – Der ungeduldige Vasall murmelte einen Fluch zwischen seinen Zähnen, und antwortete mit erzwungener Höflichkeit: »Erlaubt mir, zu bemerken, daß wir genug damit zu tun haben, für Euch allein Sorge zu tragen. Wir können nicht gestatten, daß ein Fremder mit uns ziehe.«

»Wenn ich wüßte,« sagte Arthur, »ich würde dieser jungen Dame und Euch nur schwerfallen, ohne Euch nützen zu können, Herr Vogt, so würde mich die ganze Welt nicht vermögen, des Fräuleins gütiges Anerbieten anzunehmen. Aber ich bin weder ein Kind noch ein Weib, sondern ein ausgewachsener Mann und bereit zu jeglichem ehrlichen Dienst, den ein beherzter Bursche leisten kann, Eure Herrin zu verteidigen.« – »Wenn wir auch Eure Tapferkeit und Euren Mut nicht in Zweifel ziehen, junger Herr,« sagte Schreckenwald, »wer bürgt uns für Eure Treue?« – »An jedem andern Orte, als hier, wäre es gefährlich, diese Frage zu tun,« entgegnete Arthur.

Anna warf sich ins Mittel. »Wir müssen schnell zur Ruhe und auf Störung vorbereitet sein, vielleicht noch vorm Morgenrot. Schreckenwald, ich vertraue Eurer Fürsorge, was Wachsamkeit und Hut betrifft. Hört und merkt es Euch! es ist mein Wunsch und Befehl, daß dieser Herr Wohnung für diese Nacht hier erhält und morgen mit uns zieht. Ich werde selbst meinem Vater dafür verantwortlich sein, und Ihr habt dabei nichts zu tun, als meinen Befehlen zu gehorchen. Ich kenne diesen jungen Mann wie seinen Vater seit längerer Zeit. Auf der Reise werdet Ihr dem Jüngling höflich begegnen.«

Itel Schreckenwald gab seine Zustimmung durch einen Blick voller Bitterkeit zu erkennen, der Trotz, Ingrimm, gedemütigten Stolz und widerstrebende Unterwürfigkeit ausdrückte. Dennoch unterwarf der Vogt sich und geleitete den jungen Philippson in ein anständiges Gemach, wo sich ein Bett befand, das dem Jüngling, nach der am verflossenen Tage ausgestandenen Aufregung und Erschöpfung höchst erwünscht war. Er schlief fest und tief, bis der Osten sich rötete und Schreckenwalds Stimme ihm zurief: »Auf, Herr Engländer, so Ihr Eure so prunkend angebotenen Dienste wahrmachen wollt. Es ist Zeit, im Sattel, zu sein, und auf Schlaftrunkene wird nicht gewartet.«

Arthur war wach und fast in demselben Augenblicke auch gekleidet, wobei er nicht vergaß, sein Stahlhemd anzulegen. Dann eilte er, sein Roß zu holen, und indem er in die unteren Gebäude der Feste hinabstieg, um einen Weg nach dem Stalle zu suchen, flüsterte ihm Annelis Stimme leise zu: »Hierher, Herr Philippson, mein Fräulein wünscht Euch noch auf eine Minute zu sprechen.« – Zu gleicher Zeit winkte ihm das Schweizerdirnchen, in ein kleines Zimmer zu treten.

Völlig zur Reise gerüstet, trat Anna von Geierstein herein.

»Ich bin überzeugt,« sagte sie, »Herr Philippson wird die Gesinnungen der Gastfreundschaft – ich will sagen der Freundschaft richtig würdigen, die mich bestimmten, ihn gestern abend aus meiner Burg nicht fortschicken zu lassen und an diesem Morgen seine Gesellschaft auf dem etwas gefährlichen Wege nach Straßburg anzunehmen. An dem Tore dieser Stadt scheiden wir voneinander, ich um zu meinem, Ihr, um zu Eurem Vater zu gelangen. Von dem Augenblick hört unser Umgang auf, und wir dürfen aneinander nur noch denken, wie an verstorbene Freunde. Noch ein Wort – redet unterwegs nicht mit mir! so Ihr dies tätet, würdet Ihr mich beleidigendem Verdacht aussehen, Euch selbst aber Zwist und Gefahren zuziehen. – Lebt wohl, unsere Begleitung sitzt auf.«

Sie verließ das Gemach, wo Arthur einen Augenblick in Schmerz und Betrübnis versunken stehen blieb. – »Ich kann nicht begreifen, was ihr zugestoßen ist,« sagte Anneli. »Gegen mich ist sie gütig wie immer, doch gegen alle andern spielt sie höchst nachdrücklich die Gräfin oder Freiin, und nun will sie gar noch ihre eigenen Gefühle tyrannisieren, – und – wenn dies Größe heißen soll, so will Anneli Veilchen lebenslänglich die pfennigarme Schweizerdirne bleiben; dann ist sie doch Herrin über ihre Freiheit und hat das Recht, mit ihrem Liebsten zu reden, wann sie will, so lange Religion und Mädchentugend nicht dabei vergessen werden. Doch fürchtet nichts, Arthur, denn ist sie grausam genug, Euch verlassen zu wollen, so könnt Ihr Euch auf eine Freundin verlassen, die, solange sie eine Zunge und solange Anna von Geierstein Ohren hat, ihr solche Gedanken austreiben wird.«

Indem Anneli dies sprach, trippelte sie von dannen, nachdem sie zuvor unserm Philippson den Weg gezeigt hatte, auf welchem er zu den unteren Gebäuden der Feste gelangen konnte. Dort stand sein Roß unter etwa zwanzig andern Gäulen, gesattelt und gezäumt. Zwölf dieser Pferde waren mit Kriegssätteln und eisernen Stirnbändern versehen und sollten für ebensoviele, zu dem Gefolge des Arnheimers gehörigen Reitersknechte dienen, die der Vogt in Eile noch hatte herbeischaffen können. Zwei Zelter, an besseren Decken kenntlich, waren für Anna von Geierstein und ihre Zofe bestimmt. Die andern Leute des Gefolges, größtenteils Hausgesinde, hatten Gäule geringerer Gattung. Auf ein gegebenes Zeichen ergriffen die Reitersknechte ihre Lanzen und standen neben den Gäulen, bis die Frauen und die Dienerschaft aufgesessen waren; dann sprangen auch sie in den Sattel und begannen sich langsam und mit großer Vorsicht fortzubewegen.

Schreckenwald führte den Vortrab, indem er Arthur Philippson neben sich reiten ließ, Anna und ihre Begleiterin befanden sich im Mitteltreffen der kleinen Schar, ihnen folgte der Zug der unbewaffneten Dienerschaft, während zwei oder drei erfahrene Reitersknechte den Nachtrab bildeten.

Als der Zug sich in Bewegung setzte, fiel es Arthur sofort auf, daß die Hufe der Rosse nicht den scharfen klingenden Ton vernehmen ließen, den Eisen auf dem Stein hervorruft und als das Tageslicht zunahm, nahm er wahr, daß die Hufe und Füße aller Pferde, das seinige nicht ausgenommen, sorgfältig mit Wolle umwickelt waren, damit jedes Geräusch vermieden würde.

So zogen sie dann den gewundenen Pfad von der Burg Arnheim nach dem naheliegenden Dorfe hinab, in dem jetzt die aufrührerischen Krieger des Rheingrafen hausten. Als die Arnheimer sich dem Eingange des Dorfes näherten, gab Schreckenwald ein Zeichen, Halt zu machen, dem seine Begleiter sofort Folge leisteten, dann ritt er, von Arthur Philippson begleitet, in Person voraus, um zu erspähen, ob Gefahr vorhanden sei. Beide bewegten sich mit der größten Vorsicht. Das tiefste Schweigen herrschte in den verödeten Gassen. Hie und da war ein Landsknecht zu sehen, der dem Anscheine nach Schildwacht stehen sollte, jedoch fest schlief.

»Die säuischen Meuterer!« sagte Schreckenwald. »Schöne Nachtwache halten sie, und lustig wollte ich ihnen Reveille blasen, müßte ich nicht diese launische Dirne geleiten. – Bleib hier halten, Fremdling, während ich zurückreite, um die andern nachzuholen – es ist hier keine Gefahr.«

Mit diesen Worten verließ Schreckenwald den Engländer, der allein in der Straße eines Dorfes, das mit Mordgesindel angefüllt war, wenn dieses vorderhand auch noch schlief, eben nicht Ursache hatte, seine Lage als angenehm anzusehen. Doch nach einigen Minuten traf Itel Schreckenwalds Schar ganz geräuschlos wieder mit ihm zusammen. Alles ging gut, bis sie das äußerste Ende des Dorfes erreichten. Der Soldat, der hier Wache stand, war zwar ebenso betrunken wie die andern, aber ein großer Pudel, der neben ihm lag, zeigte sich wachsamer. Als der kleine Zug sich näherte, erhob das Tier ein wildes Gebell, laut genug, alle Siebenschläfer im Dorfe zu erwecken. Der Posten fuhr auf und schoß, ohne recht zu wissen warum und wohin. Arthurs Pferd sank getroffen unter seinem Reiter, und als es fiel, stürzte der Reisige vor, um Arthur zu töten oder ihn zum Gefangenen zu machen.

»Fort! Vorwärts! Männer von Arnheim, vorwärts! Sorgt für nichts als Eures Fräuleins Sicherheit!« rief der die Schar führende Vogt. – »Halt, befehl ich Euch! Helft dem Fremden, so Euch Euer Leben lieb ist!« sagte Anna mit einer Stimme, die, sonst sanft und milde, jetzt allen ringsumher wie eine Silbertrompete erscholl. – »Ich weiche nicht, bevor er nicht gerettet ward.«

Schreckenwald hatte schon sein Roß zur Flucht gespornt: allein als er sah, daß Anna ihm nicht folgen wollte, sprengte er zurück, ergriff ein gesatteltes Pferd, das frei herumtrabte, und warf dem Engländer die Zügel zu, indem er zu gleicher Zeit seinen eigenen Gaul zwischen Arthur und den Landsknecht drängte und so den letzteren zwang, von seinem Vorhaben abzulassen. In einem Augenblick saß Philippson wieder im Sattel, ergriff eine Streitaxt, die am Sattelknopfe seines Pferdes hing, und schlug die halbtrunkene Schildwache nieder, die nochmals Hand an ihn legen wollte. Die ganze Schar galoppierte nun davon, denn es wurde im Dorfe Lärm gemacht, etliche Reisige sah man aus ihren Quartieren hervorkommen, und andere schwangen sich auf ihre Gäule. Bevor Schreckenwald und die Seinigen eine Viertelstunde Wegs zurückgelegt hatten, hörten sie den Schall von Kampfhörnern, und als sie an die Spitze eines Hügels gelangten, von wo aus man das Dorf überblicken konnte, machte der Führer, der sich jetzt zum Nachtrabe gesellt hatte, Halt, auszuschauen, was der Feind hinter ihnen vorhätte. Verwirrung und Getöse schien in den Gassen zu herrschen, jedoch setzte man ihnen nicht nach.

Als sie zwei Stunden und länger geritten waren, glaubte Itel sich soweit in Sicherheit, daß er es wagte, an einem lieblichen Haine Halt machen zu lassen, wo sie sich verbergen und Roß und Reiter sich erfrischen konnten. Zu diesem Zweck hatte man Futter und Speise mitgenommen. Nachdem Itel Schreckenwald Rücksprache mit der Freiin genommen hatte, fuhr er fort, gegen den englischen Reisegefährten eine Art sauertöpfischer Höflichkeit zu äußern. Er lud ihn ein, an seiner Schüssel teilzunehmen, deren Inhalt sich freilich wenig von dem unterschied, was den übrigen Reitern gereicht wurde, die jedoch mit einem Becher besseren Weins gewürzt war.

Nach kurzer Frist bestieg man wieder die Rosse und trabte so rüstig weiter, daß man lange vor Mitternacht die starke Festung Kehl auf dem östlichen Rheinufer, Straßburg gegenüber, erreichte.

Es mag Ortsbeschreibern überlassen bleiben, ausfindig zu machen, ob unsere Reisenden von Kehl nach Straßburg über die berühmte Schiffbrücke ritten, die jetzt über den Strom leitet, oder ob sie auf irgend eine andere Weise über den Rhein kamen. Genug, sie erreichten wohlbehalten das jenseitige Ufer, und als sie auf der andern Seite an das Land stiegen, näherte sich Anna sogleich dem jungen Engländer, der nur allzuwohl erriet, was sie ihm sagen wollte.

»Edler Fremdling,« sprach sie, »ich muß Euch Lebewohl sagen. Zuvor aber laßt mich wissen, wo Ihr Euren Vater aufzusuchen gedenkt?« – »In der Herberge zum fliegenden Hirsch,« warf Arthur hin; »allein, wo diese Herberge in dieser großen Stadt zu finden ist, weiß ich nicht.« – »Kennt Ihr sie, Itel Schreckenwald?« – »Ich, junges Fräulein? Ich? Nein! Ich weiß nichts von der Stadt Straßburg und deren Herbergen. Ich glaube, alle, die mit uns sind, wissen ebensowenig davon.« – »Ihr sprecht aber Deutsch, wie unsere Begleiter, meine ich,« sagte Anna von Geierstein trocken, »und könnt also besser Nachfrage halten als ein Fremder. Geht, Herr, und vergeßt nicht, daß Menschenliebe dem Fremdling zu erweisen eine Pflicht ist, die die Gotteslehre uns auferlegt.«

Mit jenem Achselzucken, an dem man einen unfreiwilligen Boten erkennt, machte sich Itel Schreckenwald auf den Weg, Erkundigungen einzuziehen, und während seiner kurzen Abwesenheit nahm Anna die Gelegenheit wahr, unserm Arthur zuzuflüstern: »Lebt Wohl! Lebt wohl! Nehmt dieses Andenken der Freundschaft und tragt es mir zu Ehren! Seid glücklich!« Ihre zarten Finger ließen ein kleines Päckchen in seine Hand gleiten. Arthur wollte ihr danken; doch schon war sie fortgeeilt, und Schreckenwald, der neben ihm hielt, sprach in seinem rauhen Tone: »Kommt, junger Herr, ich habe Eure Herberge gefunden, aber wenig Zeit, den Zeremonienmeister bei Euch zu machen.« – Dann ritt er fürbaß, und Philippson, der im Sattel seines Kriegshengstes saß, folgte ihm schweigend bis zu einer Stelle, wo eine Straße quer vor der vorüberlief, die sie vom Stromufer heraufgekommen waren. – »Dort weht der fliegende Hirsch!« sagte Itel, indem er auf ein übergroßes Aushängeschild zeigte, das, an einem riesigen Pfahl befestigt, fast die ganze Breite der Straße einnahm. »Euer Witz kann Euch kaum verlassen, wenn Ihr solchen Wegweiser im Auge habt.« – Mit diesen Worten wendete er sein Roß und sprengte, ohne weiter Lebewohl zu sagen, zurück zu seiner Gebieterin.


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