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Drittes Kapitel.

Der Novize ritt ein Stück mit Philippson, zeigte ihm ein halbverfallenes Gebäude, gab ihm dann den Zügel des Maultieres in die Hand und verschwand in der Dunkelheit. Da sich am Tore der Herberge niemand blicken ließ, fing unser Engländer an, durch lautes Rufen und endlich durch Klopfen seine Gegenwart kund zu geben; jedoch bekam er lange Zeit hindurch keine Antwort. Endlich steckte ein graubärtiger Aufwärter den Kopf durch ein kleines Fenster und fragte mit einer Stimme, die eher Verdruß über erfahrene Störung, als Hoffnung auf Gewinn von einem ankommenden Gaste auszudrücken schien, nach des Klopfenden Begehr. – »Ist dies eine Herberge?« versetzte Philippson.– »Ja!« erwiderte grob der Dienende und war im Begriff, sich vom Fenster zurückzuziehen, als der Reisende fortfuhr: »Und wenn es eine ist, kann man hier unterkommen?« – »Kommt herein!« war die kurze, dürre Antwort, – »Schickt jemanden heraus, die Pferde zu besorgen,« sagte Philippson. – »Niemand hat Zeit,« war die einladende Antwort, »Ihr müßt Euren Pferden selbst, so gut es geht, die Streu bereiten.«

»Wo ist der Stall?« fragte der Kaufmann, der bei aller Klugheit und Gelassenheit gegenüber diesem mehr als holländischem Phlegma fast die Geduld verlor. – Der Bursch, der mit Worten so sparsam zu sein schien, als hätte er, wie die Prinzessin im Feenmärchen, mit jedem derselben einen Dukaten zu verschütten, zeigte auf eine Tür im Nebengebäude, das mehr einem Keller als einem Stalle glich, und zog sodann, als wäre er der Zwiesprache überdrüssig, den Kopf zurück, indem er das Fenster vor dem Gaste zuschlug, als wenn er einen zudringlichen Bettler abzufertigen hätte.

Philippson machte aus der Not eine Tugend, führte die beiden Gäule nach der als Stalltür bezeichneten Pforte und war hocherfreut, als er Licht durch die Ritzen schimmern sah. Er trat mit seinen Tieren in den Raum ein, der so ziemlich das Kerkergewölbe eines alten Schlosses zu sein schien und mit einigen Krippen dürftig versehen war. Dieser sogenannte Stall war von bedeutender Länge, und am unteren Ende waren zwei oder drei Männer beschäftigt, ihre Pferde abzuschirren, zu bedecken und ihnen Futter vorzuwerfen.

Das letztere wurde von dem Stallknechte, einem sehr alten verlahmten Manne gereicht, der die Hand weder an die Striegel, noch an den Mähnenkamm legte, sondern sich begnügte, das Heu abzuwägen und, wie es schien, den Hafer körnchenweise zu zählen, so besorgt, beugte er sich bei dem Scheine eines dünnen Lichtchens in einer hörnernen Laterne über seine Arbeit. Bei dem Geräusche, das der Engländer machte, als er mit seinen beiden Gäulen eintrat, wendete er nicht einmal den Kopf und schien nicht daran zu denken, sich um den Fremden zu kümmern oder ihm den geringsten Beistand zu leisten.

»Laßt die Gäule hier stehen, oder nehmt sie mit, wie Ihr wollt,« brummte er, als Philippson ihn um Auskunft bat.

Während der Mann des Hafers sich also vernehmen ließ, schloß er seine orakelreichen Kinnbacken und konnte durch keine einzige Frage, die der Gast noch vorbringen mochte, bewogen werden, dieselben wieder zu öffnen.

Im Verlaufe dieses kalten und widerwärtigen Empfanges bedachte Philippson die Notwendigkeit, sich als kluger und vorsichtiger Handelsmann zu zeigen, welches er an diesem Tage schon einmal zu tun vernachlässigt hatte, und indem er dem Beispiele der andern folgte, die gleich ihm beschäftigt gewesen waren, für ihre Gäule zu sorgen, nahm er sein Gepäck auf und schaffte es, nebst seiner eigenen Person in die Herberge. Hier war er eher geduldet als zugelassen: denn man gestattete ihm in die Gaststube oder in das allgemeine Versammlungsgemach einzutreten.

Als Philippson seine Pferde versorgt hatte, trat er in die Gaststube, die sogenannte »Stove«, ein. Hier pflegten sich alle Reisenden, jedes Alters und Standes, zu versammeln, hier wurden sonder Scham und Scheu die Oberkleider zum Trocknen oder Auslüften rings umhergehängt – und die Gäste selbst sah man sich waschen und dergleichen Handlungen verrichten, die in neuerer Zeit gewöhnlich in die Zurückgezogenheit eines Ankleidezimmers verwiesen worden sind.

Die verfeinerten Gefühle des Engländers hegten Widerwillen gegen diesen Auftritt, und es ekelte ihn an, sich unter diese Gesellschaft zu mischen. Aus diesem Grunde fragte er den Wirt, ob er ein von dem Gewühl abgelegenes Quartier erhalten könne, wo er für sich allein speisen und ruhen wolle. Der Wirt aber, ein sauertöpfischer Alter, schlug ihm dies rundweg ab, trotzdem gute Bezahlung dafür geboten wurde, und erklärte, daß in seinem Gasthause niemand eine besondere Wurst gebraten würde.

»Herr Reisender,« sprach der Wirt, »wer immer in dieses Haus kommt, muß essen, was alle hier essen, trinken, was alle hier trinken, an dem Tische mit allen übrigen Gästen sitzen und schlafen gehen, wenn die Gesellschaft aufgehört hat zu zechen. Bleibt Ihr hier, so sollt Ihr mit gleicher Aufmerksamkeit, wie alle die andern, bedient werden – seid Ihr nicht gewillt, Euch zu verhalten wie die andern, so verlaßt mein Haus und sucht eine andere Herberge!«

Nach diesem abweisenden Bescheid kehrte Philippson in die überfüllte Stove zurück. Etliche von den Gästen schliefen und schnarchten, derweil sie des Abendessens harrten, andere schwatzten über Landesangelegenheiten, andere spielten Würfel oder trieben sonstwelchen Zeitvertreib. – Die Gesellschaft war aus verschiedenen Ständen zusammengesetzt: von denen herab, die dem Anscheine nach wohlhabend und angesehen waren, bis zu denen, an deren Kleidung und Sitten zu erkennen war, daß sie noch gerade von der Armut unangetastet blieben.

Ein Bettelmönch, ein Mann von anscheinend fröhlicher und heiterer Gemütsart, näherte sich unserm Philippson und knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Der Engländer war bekannt genug mit dem Weltlauf, um einzusehen, daß er Stand und Vorhaben am besten unter einem geselligen und offenen Benehmen verbergen könne. Er nahm deswegen des Mönchs Annäherung gefällig auf und plauderte mit ihm über den Zustand Lothringens und darüber, wie man wohl den Versuch des Herzogs von Burgund, sich dieses Krongutes zu bemächtigen, in Frankreich wie in Deutschland aufnehmen möchte. Er begnügte sich damit, über diese Gegenstände die Meinung seines Gegenübers, zu vernehmen, indem er mit der eigenen Ansicht zurückhielt. Während er sich so in ein Gespräch einließ, das am meisten seinem Gewerbe zuzusagen schien, trat der Wirt plötzlich in das Gemach, bestieg eine alte Tonne, warf den Blick langsam auf das mit Menschen gefüllte Gemach und rief, nachdem er sattsam umhergeschaut hatte, in gebietendem Tone: »Schließt die Tore – macht den Tisch zurecht!«

»Sankt Antonius sei gelobt!« sprach der Mönch, »Unser Wirt hat die Hoffnung aufgegeben, heute noch mehr Gäste für diese Nacht zu erhalten. Nun gibt's endlich was zu essen. Ha! hier kommt das Tischtuch, die alten Pforten des Hofraumes sind jetzt fest genug verriegelt, und wenn Johann Mengs einmal gesagt hat: »Schließt die Tore!« so mag der Fremde draußen klopfen, so lange er will, wir können versichert sein, daß ihm nicht aufgemacht wird.« – »Herr Mengs hält strenge Zucht in seinem Hause,« sagte Philippson.

»Ebenso unbedingt Strenge und unumschränkte Zucht wie der Herzog von Burgund,« antwortete der Mönch. »Nach zehn Uhr keine Aufnahme! Wer draußen ist, bleibt draußen, und wer drinnen ist, muß drinnen bleiben, bis mit Tagesanbruch die Pforten geöffnet werden. Bis dahin gleicht das Haus einer belagerten Feste, Johann Mengs ist Vogt.« –

Während sie so schwatzten, hatte der betagte Aufwärter unter Seufzen und Murren etliche Anschiebsel hervorgeholt, mittelst welcher ein in der Mitte stehender Tisch vergrößert wurde, so daß die Gesellschaft daran Platz finden konnte. Dann wurde ein Tuch darauf gedeckt, das sich weder durch besondere Reinlichkeit noch durch Feinheit des Gewebes auszeichnete. Als so der Tisch zur Aufnahme sämtlicher Gäste geordnet war, wurden vor jeden Gast ein hölzerner Plattteller, ein hölzerner Löffel und ein Trinkglas hingestellt, indem man annahm, daß mit einem Messer jeder selbst versehen sei. Was die Gabel anbelangte, so war dieselbe erst zu viel späterer Zeit bekannt, und alle Europäer bedienten in jenen Tagen sich der Finger, um, wie die Asiaten es noch jetzt tun, sich die Bissen auszuwählen und zum Munde zu führen.

Kaum war die Tafel geordnet, als auch die hungrigen Gäste eilten, ihre Plätze einzunehmen. Die Schlafenden wurden geweckt, die Würfler entsagten ihrem Spiele, und die Müßigen und Plaudernden hielten inne mit ihren weisen Abhandlungen. Die Gäste saßen bald in Reih und Glied, jeder mit gezogenem Messer, der Speisen harrend, die sich noch unter den Händen des Kochs befanden. Mit verschiedenen Graden von Geduld hatten die Hungernden eine volle halbe Stunde gewartet, als endlich der alte Aufwärter mit einer Kanne Moselwein eintrat, der so leicht und so sauer war, daß Philippson seinen Becher niedersetzte, indem ihm, wie wenig er auch davon verschluckt hatte, doch jeder Zahn im Munde stumpf geworden war. Der Wirt, Johann Mengs, der am oberen Ende des Tisches einen erhöhten Sitz innehatte, verfehlte nicht, diesen Beweis von Insubordination zu rügen.

»Der Wein schmeckt Euch wohl nicht, mein Herr?« sagte er zu dem englischen Kaufmanne, – »Als Wein, nein!« antwortete Philippson, »doch käme eine Speise, die gesäuert werden möchte, so würde ich schwerlich bessern Essig bekommen können.« – Dieser Scherz, wiewohl äußerst ruhig und gelassen vorgebracht, schien den Herbergsvater in Wut zu bringen. »Schweigt, Ihr boshafter Spötter!« rief er, »und legt sogleich bei mir und dem Weine, den Ihr verleumdet habt, ein gutes Wort ein; sonst gebe ich Befehl, das Abendessen bis Mitternacht zu verschieben.«

Hier erhob sich ein allgemeiner Aufstand der Gäste, indem alle miteinander beteuerten, in Philippsons Tadel nicht einzustimmen. Die meisten schlugen vor, Johann Mengs sollte sich lieber an dem wirklich Schuldigen rächen, indem er ihn sofort zur Türe hinauswürfe, statt soviel schuldlose und hungrige Männer die Ungezogenheit eines einzelnen büßen zu lassen. Während Johann Mengs von allen Seiten mit Bitten und Vorstellungen bestürmt wurde, war der Mönch, gleich einem weisen Ratgeber und zuverlässigen Freunde, bemüht, den Zwist dadurch zu enden, daß er unserm Philippson riet, sich der Gewaltherrschaft des Wirtes zu unterwerfen. – »Würdige Gäste,« sagte Philippson, »es tut mir leid, unsern verehrten Wirt erzürnt zu haben, und ich bin soweit entfernt, den Wein zu verachten, daß ich eine Doppelkanne bezahlen will, damit sie in dieser ehrenwerten Gesellschaft herumgereicht werde, – nur darf man nicht verlangen, daß ich mittrinken soll.« – Diese letzten Worte wurden beiseite gesprochen; allein der Engländer erkannte an den verzerrten Mäulern etlicher Gäste, die mit einem zarteren Gaumen begabt waren, daß ihnen ebenso vor einem zweiten Schlucke des essigsauren Gesöffs graute.

Der Mönch machte hierauf der Gesellschaft den Vorschlag, daß der fremde Handelsmann, statt mit einer Doppelkanne des von ihm geschmähten Weines gestraft zu werden, lieber zur Buße ein gleiches Maß eines feineren Weines zahlen solle, wie sie nach geendeter Mahlzeit gereicht zu werden pflegten. Hierin fanden so Wirt wie Gäste ihren Vorteil; und da Philippson sich des nicht weigerte, so wurde der Vorschlag einstimmig angenommen, und Johann Mengs gab von dem Sitze seiner Würde herab das Zeichen, die Speisen aufzutragen.

Die langerwarteten Gerichte erschienen endlich, und die Gesellschaft fiel eifrig darüber her, Schüsseln voll Suppe und Gemüse, Teller voll geschmorten und gebratenen Fleisches machten die Runde um die Tafel, so daß jeder der Reihe nach davon nehmen konnte. Schwarze Klöße, gedörrtes Fleisch und getrocknete Fische gingen ebenfalls herum mit verschiedenem Eingemachten, Bortago, Caviar und dergleichen, die mit starken Gewürzen versehen und ganz darauf berechnet waren, Durst zu erwecken und zu rüstigem Trinken anzuregen. Weinkannen begleiteten diese aufreizenden Leckerbissen, und das darin enthaltene Getränk übertraf den zuvor gereichten Wein an Stärke, so daß binnen kurzem die ausgelassenste Laune an der Tafel herrschte. Philippson allein verhielt sich still, und Johann Mengs begann sich bereits darüber aufzuhalten, indem er Worte wie »Störenfried«, »Spaßverderber« fallen ließ, die alle auf den Engländer gemünzt waren und wohl bald die Mehrzahl der Gäste gegen den einsilbigen Genossen aufgehetzt hätten, der sich weigerte mitzuzechen und Miene machte, im Stuhl einzuschlafen; als plötzlich laut und anhaltend an das Tor des Gasthauses geklopft wurde.

»Was gibt's denn da?« fragte Mengs, dessen Nase der Unwille noch höher rötete. »Welch böser Geist schlägt an die Pforte des Goldenen Vließes zu solcher Stunde, und das mit einer Gewalt, als donnere er an die Tür eines Freudenhauses? Hinaus einer an das Turmfenster – Gottfried, Du Schuft von einem Stallknecht, oder Du, alter Timotheus, sagt dem heftigen Manne, daß zu so ungehöriger Zeit niemand mehr herein darf.«

Die beiden taten, wie ihnen befohlen war, und man konnte in der Stube hören, wie sie miteinander wetteiferten, dem Manne draußen, der durchaus eingelassen werden wollte, die Tür zu weisen. Doch kehrten sie bald zurück und berichteten ihrem Herrn, sie seien nicht imstande, die Hartnäckigkeit des Fremden zu beschwichtigen, der einfach nicht gehen wolle, bis er Mengs selbst gesprochen hätte.

Der Gebieter im »Goldenen Vließ« fuhr von seinem Sessel auf, packte einen derben Knüttel, der sein gewöhnliches Scepter oder sein Herrscherstab zu sein schien, murmelte etwas in den Bart von Prügeln und Eimern kalten Wassers und stürzte zu dem Fenster, das auf den Hof hinausging.

Es kam ganz anders, als die Gäste erwarteten; denn nachdem einige unhörbare Worte gewechselt worden waren, wurden zur allgemeinen Verwunderung die Tore der Herberge aufgeschlossen, und gleich darauf ließen sich Tritte zweier Männer auf der Stiege hören; dann trat mit allen Zeichen plumper Höflichkeit der Wirt herein und bat die Versammelten, einem verehrten Gaste Platz zu machen, der, wenn zwar spät, ihre Gesellschaft zu vermehren käme. Eine lange, düstere Gestalt, in einen Reisemantel gehüllt, folgte ihm; der Mantel fiel, und in dem Ankömmling erkannte Philippson sofort den schwarzen Priester von St. Paul.

Dieser Umstand hatte an und für sich nichts Staunenerregendes, da es sehr natürlich war, daß ein Wirt, wie grob und frech er gegen gewöhnliche Gäste auch sein mochte, doch Rücksicht auf einen Geistlichen nehmen mußte. Philippson wunderte sich denn auch weniger darüber, als vielmehr über den Eindruck, den das Erscheinen dieses unerwarteten Gastes machte. Ohne weiteres setzte dieser sich an den obersten Platz der Tafel und ließ sein mattes graues Auge langsam und schleichend über die Gesellschaft schweifen, gleich als beabsichtigte er, in aller Herzen zu lesen.

An Philippson sah er rasch vorüber und schien ihn nicht wiederzuerkennen; und trotz alles Mutes, der unserm Engländer zu eigen war, beschlich ihn doch ein Gefühl des Unbehagens, solange er sich unter den Augen dieses geheimnisvollen Mannes befand, so daß ihm wohler wurde, als dessen steinerner Blick von ihm ließ und auf einem andern in der Gesellschaft ruhte, der dann ebenfalls unter den eiskalten Blicken zu erbeben schien. Das Getöse berauschter Lust und trunkenen Streites, das lärmende, gellende Gelächter – alles war sofort verstummt, als ob das Festmahl in ein Leichenbegängnis, jeder Gast aber plötzlich in einen Stummen verwandelt worden wäre. Alle waren so gespannt darauf, was nun folgen würde oder was der Unheimliche zu sagen hätte, daß bei dem Schalle der Dorfglocke, die die erste Stunde nach Mitternacht verkündigte, die Gäste erstarrten, gleich als ob der dumpfe Klang ihnen den Ansturm eines Feindes oder den Ausbruch einer Feuersbrunst verkündigt hätte. Der schwarze Priester, der hastig etwas Speise zu sich genommen hatte, womit der Wirt ihn bereitwilligst versorgte, faßte den Glockenruf als Zeichen zum Dankgebet und zur Aufhebung der Abendtafel auf.

»Wir haben gegessen,« sprach er, »um unser Leben zu fristen, lasset uns beten, daß wir tüchtig sein mögen, dem Tode zu begegnen, der dem Leben so zuverlässig folgt wie die Nacht dem Tage oder wie der Schatten dem Sonnenstrahle, obwohl wir nicht wissen, von wannen oder zu welcher Stunde er uns ereilen werde.«

Wie mechanisch beugte die Gesellschaft das unbedeckte Haupt, während der Priester mit tiefer und feierlicher Stimme ein Gebet in lateinischer Sprache hersagte, worin er Gott für den am verflossenen Tage gewährten Schutz dankte und ihn anflehte, auch diesen Schutz während der zaubervollen Stunden zu verleihen, die noch bis zum Anbruch des neuen Tages verrinnen müßten. Als die Zuhörer wieder aufsahen, war der schwarze Priester mit dem Wirte zum Gemache hinausgegangen, wahrscheinlich um sich in die ihm als Schlafgemach angewiesene Kammer zu begeben. Kaum waren sie gewahr geworden, daß er fort war, so flüsterten sie miteinander und wechselten verstohlene Gebärden, doch keiner sprach laut, so daß Philippson nichts Deutliches verstehen konnte. Er selbst wagte, jedoch auch nur mit gedämpfter Stimme, den neben ihm sitzenden Klosterbruder zu fragen, ob der würdige Geistliche, der soeben hinausgegangen, nicht der Priester von St. Paul in dem Grenzorte La Ferette wäre.

»Und so Ihr wisset, daß er es ist,« sagte der Mönch mit einem Blicke und einem Tone, aus denen jegliche Spur seines Rausches – denn er hatte trotz seines heiligen Standes wacker getrunken – plötzlich verschwunden war, »warum fragt Ihr mich denn?« – »Weil ich gern den Zauber kennen lernen möchte,« sagte der Kaufmann, »der so plötzlich all die lustigen Zecher in enthaltsame Männer und ein fröhlich Gelag in einen Konvent von Mönchen verwandelt hat.« – »Freund, wonach Du fragst,« sagte der Pater, »scheint Dir schon wohlbekannt zu sein. Doch ich bin kein Dummkopf, der sich so leicht fangen läßt. So Du den schwarzen Priester kennst, so mußt Du wissen, welchen Schrecken seine Gegenwart einflößt.« Mit diesen Worten zog er sich von Philippson zurück.

In demselben Augenblick kam der Wirt wieder herein und befahl mit weit mehr feiner Sitte, als er bisher gezeigt hatte, der Gesellschaft den Nachttrunk zu reichen, der in einem Becher gewürzten Branntweins bestand; ein Getränk, wie es Philippson selten besser bekommen hatte. Unterdessen schrieb der alte Timotheus auf jeden Teller mit Kreide den Betrag, den ein jeder zu zahlen hatte, was durch herkömmliche Schriftzeichen kurz angedeutet wurde, während auf einem andern hölzernen Teller die Gesamtsumme verzeichnet wurde, die die Einzelzahlungen bringen würden, worauf er von jedem den Anteil einkassierte. Als der böse Teller, auf welchem das Geld geopfert werden mußte, an den lustigen Klosterbruder kam, schien dessen Gesicht sich ein wenig zu verwandeln. Er warf einen kläglichen Blick auf Philippson, von dem er am ersten Beihilfe erhoffte; und unser Kaufmann, wie unzufrieden er auch mit der Verschlossenheit des Mönches war, wollte doch in einem fremden Lande und in der Hoffnung, eine ihm vielleicht nutzbringende Bekanntschaft gemacht zu haben, eine kleine Ausgabe nicht scheuen und zahlte daher mit seiner eigenen Zeche auch zugleich die des Mönches. Der arme Pater stattete seinen Dank mit einem in gutem Deutsch und schlechtem Latein ausgesprochenen Segen ab, allein der Wirt fiel ihm dabei in die Rede; denn indem er sich Philippson mit einem Lichte näherte, bot er ihm seine Dienste an, um ihn in sein Schlafgemach zu führen; ja er hatte sogar die Herablassung, des Engländers Felleisen oder Mantelsack eigenhändig aufzuheben und fortzutragen.

»Ihr gebt Euch zu viel Mühe, mein Herr Wirt,« sagte der Kaufmann etwas betroffen über die Veränderung in dem Benehmen dieses Johann Mengs, der ihn bisher so unfreundlich behandelt hatte, – »Ich kann nicht Sorge genug für einen Gast tragen,« war seine Antwort, »den mein ehrwürdiger Freund, der Priester zu St. Paul, ganz besonders meiner Obhut empfahl.«

Dann öffnete er die Tür einer für einen Gast hergerichteten Schlafkammer und sagte zu Philippson: »Hier mögt Ihr ruhen bis morgen und bis zu welcher Stunde es Euch beliebt, und so viele Tage es Euch gefällt. Der Schlüssel wird Eure Habe gegen jeglichen Raub oder Diebstahl sichern. Ich tue das nicht für all und jeden; denn wenn von meinen Gästen jeder ein Bett für sich allein haben wollte, so würde jeder gleich auch an einem Tisch für sich essen wollen; und vorbei wäre es dann mit den guten alten deutschen Sitten, und wir würden ebenso läppisch und lüstern werden, wie unsere Nachbarn es sind. Ich hoffe, es herrscht kein Mißverständnis zwischen uns, mein werter Gast,« setzte er hinzu. »Wir deutschen Wirte tun uns nun einmal was zu gute darauf, nicht so höflich zu sein wie die französischen oder italienischen Wirte. Doch wenn auch unser Benehmen rauh ist, so sind doch unsere Forderungen billig, und was wir liefern, ist gut.« – In diesen Worten schien er seine ganze Beredsamkeit erschöpft zu haben; denn als sie gesprochen waren, drehte er sich kurz herum und verließ das Gemach.

So hatte Philippson abermals keine Gelegenheit, nachzufragen, wer oder was dieser Geistliche sein könnte, der solchen Einfluß auf alle hatte, die sich ihm näherten. Er lechzte danach zu wissen, wer der Mann wäre, der die Macht besaß, durch ein einziges Wort den Mordstahl elsässischer Straßenräuber abzuwehren, die doch wie alle Grenzdiebe an Raub und Plünderung gewöhnt sein mußten, und der imstande war, die beispiellose Grobheit eines deutschen Herbergsvaters sofort in Höflichkeit umzugestalten.


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